Inhalt

LG Memmingen, Endurteil v. 28.09.2022 – 13 S 249/22
Titel:

Erstattung von im Flugpreis enthaltenen Steuern, Gebühren und Entgelte bei Kündigung des Luftbeförderungsvertrages

Normenkette:
BGB § 648 S. 2, § 812 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Die im Gesamtpreis für einen Flug enthaltenen Steuern, Gebühren und Entgelte, einschließlich eines Treibstoffzuschlages sind zu erstatten, wenn der Flug nicht angetreten wird. Diese Flugnebenkosten fallen nur an, wenn der Fluggast den Flugschein tatsächlich in Anspruch nimmt. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Werkvertrag, Luftbeförderungsvertrag, Kündigung, Ersparte Aufwendungen, Erstattung, Steuern, Gebühren, Entgelte, Treibstoffzuschlag
Vorinstanz:
AG Memmingen, Urteil vom 28.01.2022 – 11 C 781/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 01.08.2023 – X ZR 118/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 30391

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Memmingen vom 28.01.2022, Az. 11 C 781/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Memmingen ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Klägerin verlangt von der Beklagten aus abgetretenem Recht die Erstattung von Steuern und Gebühren eines seitens eines Passagiers gebuchten, aber nicht angetretenen Fluges.
2
Am 23.09.2020 war der Passagier (…) auf den Flug der Beklagten von Memmingen nach Chania (…) gebucht. Der Passagier bezahlte an die Beklagte den Flugpreis in Höhe von 27,30 €, erschien aber nicht zur Abfertigung am Startflughafen und trat den Flug nicht an. Für den Passagier und Zedenten hätte die Beklagte im Fall seiner Beförderung 12,90 € Luftverkehrsabgabe, 4,40 € Gebühren für die Sicherheitskontrolle, 0,30 € PRM-Umlage sowie ein Sicherheitsentgelt in Höhe von 0,81 €, mithin einen Gesamtbetrag an Gebühren und Abgaben in Höhe von 18,41 € entrichten müssen.
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Das Amtsgericht Memmingen gab der Klage mit Endurteil vom 28.01.2022 statt und verurteilte die Beklagte zu einer Zahlung von 18,41 € nebst Zinsen. Das Erstgericht ging dabei von einer wirksamen Abtretung aus und sprach den geltend gemachten Anspruch gemäß §§ 648, 812 BGB zu. Etwaige entgegenstehende Regelungen der allgemeinen Beförderungsbedingungen (ABB) der Beklagten (wie etwa die Anwendung des irischen Rechts, das Abtretungsverbot sowie die Erhebung einer Verwaltungsgebühr von 20,- €) würden die Passagiere unangemessen benachteiligen und seien deshalb aufgrund Verstoßes gegen EU-Richtlinien und nationale Gesetze unwirksam. Nach §§ 812 Abs. 1 S. 1, 648 S. 2 BGB könne die Klägerin auch die ersparten Aufwendungen der Beklagten in Höhe von 18,41 € herausverlangen.
4
Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte weiterhin die Klageabweisung. Die Beklagte rügt, dass das Amtsgericht rechtsfehlerhaft angenommen habe, dass das irische Recht nicht zur Anwendung komme. Die Beklagte habe den Einbeziehungsprozess der ABB dezidiert dargelegt und die gewählten Formulierungen seien für eine wirksame Anwendung bestimmt genug. Weiterhin sei auch der gewöhnliche Aufenthalt des Zedenten ordnungsgemäß bestritten und von Klägerseite hierzu nichts Konkretes vorgetragen worden. Die zurückgeforderten Beträge würden schon begrifflich und auch vom Anwendungsbereich nicht unter § 648 S. 2 BGB fallen, da diese Vorschrift vom Leitbild eines Unternehmers ausgehe, der für seine Tätigkeit (Material-)Aufwendungen vornehme. Außerdem sei die Vorschrift vom gesetzlichen Wortlaut her nicht anwendbar, wenn bereits eine Zahlung des Werklohns erfolgt sei. Das in den ABB festgelegte Abtretungsverbot sei im Übrigen wirksam und die Abtretung auch nicht durch Originalurkunden nachgewiesen, so dass bereits deshalb ein Anspruch nicht bestehe. Auch die Regelung einer Verwaltungsgebühr sei angesichts des eklatanten Ungleichgewichts von Flugpreis (27,30 €) und vermeintlich erstattbaren Kosten (18,41 €) gerechtfertigt.
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Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Berufung, da das Erstgericht der Zahlungsklage rechtsfehlerfrei stattgegeben habe. Die Rechtswahlklausel der Beklagten sei unwirksam, da sie den materiellrechtlichen Vorgaben an die freie Rechtswahl nach Art. 3 Abs. 1 Rom-I-VO zuwiderlaufe. Zum einen sei die verwendete Klausel weder klar noch eindeutig formuliert und zum anderen genüge sie in ihrer konkreten Ausgestaltung auch nicht den Anforderungen der Verordnung, da sich selbst einem rechtskundigen Leser nicht erschließe, wann welche Rechtsordnung zur Anwendung kommen solle. Damit finde § 648 Satz 2 BGB, der auch für Beförderungsverträge mit Luftfahrtunternehmen gelte, Anwendung. Die Norm biete auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass nur direkt auf den Werklohn umgelegte Aufwendungen erstattungsfähig sein sollen. Eine Einschränkung ergebe sich auch nicht durch das Recht zur freien Preisbildung. Es widerspräche den Verbraucherschutzgrundsätzen, wenn Luftfahrtunternehmen selbst entscheiden könnten, ob sie Steuern und Gebühren explizit als Flugpreisbestandteil ausweisen oder nicht und damit bestimmen könnten, ob diese Posten erstattungsfähig sind oder nicht. Auch entspreche es der ständigen Rechtsprechung, dass ersparte Aufwendungen auch im Falle der bereits erfolgten Zahlung kondiktionsfähig seien. Hinsichtlich des in den ABB festgelegten Abtretungsverbots sei zu beachten, dass keine überwiegenden Interessen eines Luftfahrtunternehmens zu erkennen seien, die ein solches Verbot gerechtfertigt erscheinen lassen könnten. Im Gegenteil würde die professionelle Bearbeitung solcher Ansprüche auch den Luftfahrtunternehmen entgegenkommen. Eine Verwaltungsgebühr, die in der Praxis jegliche Rückerstattungsansprüche der vorliegenden Art ausschließen würde, sei aufgrund unangemessener Benachteiligung der Flugkunden unwirksam. Gründe, warum vorliegend nicht die Aushändigung einer Kopie der Abtretungsbestätigung ausreichend sein soll, wurden weder vorgetragen noch seien solche ersichtlich, so dass keine Verurteilung Zug um Zug zu erfolgen hatte.
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Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands und zur Ergänzung des Tatbestands auf das Urteil des Amtsgerichts Memmingen vom 28.01.2022 (Bl. 81/89 d.A.), auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.07.2022 (Bl. 141/142 d.A.) Bezug genommen.
II.
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Die zulässige Berufung ist unbegründet, so dass sie zurückzuweisen war. Die Entscheidung des Amtsgerichts ist nach Ansicht der Kammer weder aus tatsächlicher noch aus rechtlicher Hinsicht zu beanstanden.
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1. Die Klage ist zulässig.
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a) Das Landgericht Memmingen ist gem. Art. 5 Abs. 1, 7 Nr. 1 lit. a) und b) VO (EU) Nr. 1215/2012 (Brüssel Ia-VO) international zuständig. Die Rechtsansicht des OLG Köln, Beschluss vom 29.01.2021, Az. 9 U 184/20 und des LG Frankfurt a.M., Teilurteil vom 03.07.2020, Az. 2-24 O 100/19 sind soweit überzeugend. Richtig ist zwar, dass im Ergebnis ein auf § 812 BGB begründeter Zahlungsanspruch verfolgt wird. Hierbei handelt es sich jedoch um einen Sekundäranspruch aus dem Luftbeförderungsvertrag und damit um Ansprüche aus einem Vertrag i.S.d. Art. 7 Nr. 1 lit. a) Brüssel Ia-VO. Bei einer Klage auf Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge genügt hierfür die Feststellung, dass ohne eine freiwillig eingegangene vertragliche Beziehung zwischen den Parteien nicht gezahlt worden wäre und kein Rückgewähranspruch bestünde. Dieser Kausalzusammenhang zwischen dem Rückgewähranspruch und der vertraglichen Beziehung reicht aus, um die Klage auf Rückgewähr zu den Fällen zu zählen, in denen ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden (vgl. EuGH, Urteil vom 20.04.2016, Az. C-366/13). Der Flug hatte im Übrigen den Flughafen Memmingen als Abflugort, so dass auch die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Memmingen gem. Art. 7 Nr. 1 lit. b) Brüssel Ia-VO gegeben ist.
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b) Die von der Beklagten in den allgemeinen Beförderungsbestimmungen (ABB) verwendete Gerichtsstandsklausel ist nach Auffassung der Kammer - unabhängig von der strittigen Frage der wirksamen Einbeziehung - in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des OLG Köln, Beschluss vom 29.01.2021, Az. 9 U 184/20, unwirksam. Zwar bleiben die gerichtliche Zuständigkeit und insbesondere Gerichtsstandsvereinbarungen nach deutschem Recht von einer Abtretung grundsätzlich unberührt (vgl. Grüneberg in Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022, §398 BGB, Rn. 18 m.w.N.), sodass im Falle einer wirksamen Gerichtsstandsklausel der Zessionar grundsätzlich hieran gebunden wäre. Für diesen Fall hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) aber entschieden, dass eine solche Gerichtsstandsklausel in einem Vertrag zwischen einem Verbraucher und einer Fluggesellschaft, die dem Gericht, in dessen Bezirk sich der Sitz der Fluggesellschaft befindet, eine ausschließliche Zuständigkeit zuweist, gleichwohl als missbräuchlich im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der RL 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (Klausel-RL) angesehen und von einem nationalen Gericht für unanwendbar erklärt werden kann (EuGH, Urteil vom 18.11.2020, Az. C-519/19). Denn eine solche Klausel gehöre zu der im Anhang der Klausel-RL unter Nr. 1 lit. q genannten Gruppe von Klauseln, die darauf abzielen oder zur Folge haben, dass die Möglichkeit genommen oder erschwert wird, Rechtsbehelfe bei Gericht einzulegen (EuGH a.a.O.). Insoweit hat der Gerichtshof auch ausdrücklich klargestellt, dass der Anwendungsbereich der für Verbraucherverträge geltenden Klausel-RL nicht von der Identität der Parteien des fraglichen Rechtsstreits, sondern vielmehr von der Eigenschaft der Vertragsparteien abhängig ist (EuGH a.a.O.). Jedenfalls schränkt die Gerichtsstandsklausel die Verbraucherrechte faktisch massiv ein, wenn die Kunden der Beklagten gezwungen wären, ihre Ansprüche gegen die Beklagte vor irischen Gerichten geltend zu machen, so dass auch nach Ansicht der Kammer eine unangemessene Benachteiligung der von der Klägerin vertretenen Kunden der Beklagten i.S.d. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB vorliegt.
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Der Zuständigkeit des Landgerichts Memmingen steht daher auch keine abweichende Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 25 Brüssel Ia-VO entgegen.
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2. Die Klage ist aber auch begründet, da der geltend gemachte und in der Höhe unstreitige Rückerstattungsanspruch aus §§ 812 Abs. 1 S. 1, 648 S. 2 BGB besteht.
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a) Soweit die Beklagte ein Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 410 BGB mangels Vorlage der Originale der Abtretungsvereinbarungen geltend gemacht hat, kommt dieses vorliegend nicht zum Tragen. Ein solches Leistungsverweigerungsrecht kommt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 23.08.2012, Az. VII ZR 242/11), nur in Betracht, wenn der Schuldner ein schutzwürdiges Interesse an der Vorlage der Originale hat. Ein solches schutzwürdiges Interesse ist von der Beklagten nicht vorgetragen und auch sonst nicht zu erkennen (vgl. auch OLG Köln, Beschluss vom 29.01.2021, Az. 9 U 184/20).
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b) Soweit die Beklagte die Wirksamkeit der Abtretung an sich bestritten hat, ist nach Auffassung der Kammer auch das Abtretungsverbot aus Art. 15.4 der ABB unwirksam. Es verstößt gegen § 307 Abs. 1 S. 2 BGB (LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 30.07.2018, Az. 5 S 8340/17; LG Frankfurt a.M., Teilurteil vom 03.07.2020, Az. 2-24 O 100/19). Überwiegende Interessen eines Luftfahrtunternehmens sind nicht ersichtlich, während das Abtretungsverbot die Durchsetzung von Ansprüchen von Verbrauchern doch - auch angesichts des bei Rückerstattungen in der Regel niedrigen Streitwerts - unangemessen erschwert. Gerade die Geltendmachung der Verbraucherrechte über Fluggastrechteportale - wie das der Klägerin - entspricht jedoch ausdrücklich dem gesetzgeberischen Willen, um eine möglichst einfache und effiziente Durchsetzung der Verbraucherrechte gegenüber den jeweiligen Unternehmen auch bei niedrigen Streitwerten zu ermöglichen.
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c) Auf das Rechtsverhältnis ist das deutsche Recht anwendbar. Die Kammer erachtet die Rechtswahlklausel in den ABB - unabhängig von der strittigen Frage der wirksamen Einbeziehung - als unwirksam, § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Sie ist irreführend und intransparent, weil dem Verbraucher nicht verdeutlicht wird, dass die Fluggastrechte-VO dem irischen Recht in der Anwendung vorgeht (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 29.01.2021, Az. 9 U 184/20; LG Frankfurt a.M., Teilurteil vom 03.07.2020, Az. 2-24 O 100/19; LG Baden-Baden, Teilurteil vom 27.10.2020, Az. 2 O 287/19). Der gewöhnliche Aufenthalt des Zedenten wurde darüber hinaus von Beklagtenseite nur unsubstantiiert bestritten, so dass diese Tatsache seitens des Amtsgerichts zu Recht als zugestanden gewertet wurde. Bei der Beantragung der Rückerstattung bei der Klägerin hat der Zedent eine Wohnanschrift in D. und eine e-Mail-Adresse der Universität D. (“@uni-d..de“) angegeben (vgl. Anlage K6), die darauf schließen lässt, dass der Zedent dort studiert oder beschäftigt ist. Es gibt daher mit Ausnahme des Namens, der ggf. auf eine ausländische Herkunft oder einen Migrationshintergrund schließen lässt, keinerlei tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass der Zedent seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort nicht in Deutschland hat. Da es sich bei dem Zedenten (auch) um einen Kunden der Beklagten handelt, wäre es ihr oblegen, tatsächliche Anhaltspunkte für einen abweichenden tatsächlichen Aufenthaltsort durch Mitteilung der bei ihr hinterlegten, ggf. anderslautenden Kundenadressdaten oder Vorlage einer abweichenden Einwohnermeldeamtsauskunft darzulegen.
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d) Der Einwand der Beklagten, dass § 648 S. 2 BGB auf Steuern und Gebühren nicht anwendbar sein soll, ist nach Ansicht der Kammer nicht nachvollziehbar. Zunächst sind entgegen der Auffassung der Beklagten die Vorschriften des Werkvertrags auf den (Luft-)Beförderungsvertrag anwendbar (vgl. BGH, Urteil vom 16.02.2016, Az. X ZR 97/14). Der Fluggast kann daher nach § 649 BGB den Beförderungsvertrag jederzeit kündigen (vgl. BGH, Urteil vom 25.10.1984, Az. VII ZR 11/84). Erspart sind hierbei Aufwendungen, die der Unternehmer bei Ausführung des Vertrages gehabt hätte, wegen der Kündigung aber nicht mehr machen musste (vgl. BGH, Urteil vom 22.09.2005, Az. VII ZR 63/04). Anerkannt ist, dass die im Gesamtpreis enthaltenen Steuern, Gebühren und Entgelte, einschließlich eines Treibstoffzuschlages zu erstatten sind, wenn der Flug nicht angetreten wird. Diese Flugnebenkosten fallen nur an, wenn der Fluggast den Flugschein tatsächlich in Anspruch nimmt (OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.07.2020, Az. I-16 U 99/20). Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich insoweit von den Entscheidungen, auf die sich die Berufungsbeklagte bezieht, als dass die Nebenkosten nicht in den Flugpreis einberechnet sind. Die Flugnebenkosten sind jedoch auch unter diesen Voraussetzungen als ersparte Aufwendungen i.S.d. § 648 Satz 2 BGB zu betrachten. Dafür spricht der Wortlaut des § 648 Satz 2 BGB, der nicht voraussetzt, dass die Aufwendungen Teil der vereinbarten Vergütung sind. Die Flugnebenkosten sind auch nicht bloße allgemeine Geschäftskosten, die nicht zu den abzuziehenden Aufwendungen gehören, sondern weisen einen spezifischen Bezug zu der Flugbeförderung als geschuldetes Werk auf (vgl. LG Dresden, Beschluss vom 28.1.2022, Az. 2 S 217/21). Schließlich hat die Beklagte mit ihrem Geschäftsmodell das Risiko selbst gesetzt, indem sie die Flugnebenkosten nicht in den Flugpreis eingerechnet hat. Auch das in § 648 Satz 2 BGB verankerte Bereicherungsverbot spricht hier nicht gegen diese Rechtsauffassung: Der Werkunternehmer soll sich nicht durch die Kündigung des Bestellers bereichern können, indem er die volle Vergütung verlangen kann, ohne weitere Aufwendungen zu tätigen. Es soll verhindert werden, dass der Werkunternehmer bei Kündigung des Bestellers günstiger gestellt ist, als wenn der Werkvertrag ordnungsgemäß durchgeführt worden wäre. Diese Situation droht in der hiesigen Konstellation nicht, wenn die Flugnebenkosten nicht in die Vergütung einbezogen werden (vgl. LG Dresden, a.a.O.). Auch eine Unterscheidung des Werklohns in „direkte“ und „indirekte“ Lohnbestandteile findet sich weder im Wortlaut noch ergibt sich eine solche Unterscheidung aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Es widerspräche auch tatsächlich den Verbraucherschutzgrundsätzen, wenn Luftfahrtunternehmen selbst entscheiden könnten, ob sie Steuern und Gebühren explizit als Flugpreisbestandteil ausweisen oder nicht und damit bestimmen könnten, ob diese Posten erstattungsfähig sind oder nicht. Gleichzeitig verkehrt es nach Ansicht der Kammer die Wertungen des EuGH-Urteils vom 6.7.2017 (Az. C-290/16) geradezu ins Gegenteil, wenn man aus dem Recht zur freien Preisbildung folgern würde, dass es Luftfahrtunternehmen befähigt, Bestimmungen des nationalen Rechts zulasten ihrer Vertragspartner zu unterlaufen, insbesondere wenn es sich - wie vorliegend - um Verbraucher handelt.
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e) Eine Verwaltungsgebühr, die in der Praxis jegliche Rückerstattungsansprüche der vorliegenden Art ausschließen würde, ist nach Ansicht der Kammer aufgrund unangemessener Benachteiligung der Flugkunden gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam (vgl. LG Frankfurt a.M., Urteil vom 03.07.2020, Az. 2-24 O 100/19; LG Kleve, Urteil vom 14.10.2020, 2 O 252/19; AG Erding, Urteile vom 24.07.2019 (Az. 3 C 5140/18) sowie vom 25.03.2020 (Az. 17 C 4963/19)). Weiterhin erklärte das Kammergericht bereits mit Urteil vom 12.08.2014 (Az. 5 U 2/12), eine Klausel von Air Berlin für unwirksam, die eine Bearbeitungsgebühr von 25,- € nicht einmal pro Strecke, sondern bloß pro Buchung (!) und Passagier festsetzte. Nachdem der BGH ein Vorabentscheidungsverfahren hierzu angestrengt hatte (BGH, Beschluss vom 21.04.2016, Az. I ZR 220/14), bestätigte der EuGH mit Entscheidung vom 06.07.2017 (C-290/16), auch die Europarechtskonformität des zitierten Kammergerichtsurteils.
III.
18
1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.
20
3. Die Revision wird zugelassen, weil dies angesichts unterschiedlicher amts- und landgerichtlicher Rechtsprechung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist und die aufgeworfenen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung sind, nachdem bislang keine Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hierzu vorliegt (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO).