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LG Landshut, Endurteil v. 08.07.2022 – 44 O 2750/21
Titel:

Haftung von VW und/oder Audi für den von Audi entwickelten und hergestellten 3,0-Liter-Motor (hier: Audi A 6 Avant)

Normenketten:
BGB § 31, § 826
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 5 Abs. 2
ZPO § 138
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2021, 41003; OLG Karlsruhe BeckRS 2021, 43408; LG Bamberg BeckRS 2022, 29502; LG Kempten BeckRS 2022, 28679; OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Herstellerin haftet einem Käufer eines Diesel-Fahrzeugs auf Schadensersatz, wenn dessen Motorsteuerung eine Aufheizstrategie beinhaltet, deren Schaltbedingungen so eng bedatet sind, dass sie nahezu ausschließlich im NEFZ und den dort definierten Prüfbedingen wirkt, während schon kleine Abweichungen in Fahrprofil und Umgebungsbedingungen zur Abschaltung der Aufheizstrategie führen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Arglist des Vorgehens der Herstellerin wird aufgrund der Machart der hier beanstandeten Abschalteinrichtung (Aufheizstrategie; Strategie A) indiziert. (Rn. 15 und 18) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Herstellerin trifft eine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Frage, wer die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung bei ihr getroffen hat und ob ihr Vorstand hiervon Kenntnis hatte. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, 3,0-Liter-Motor, Audi, Schadensersatz, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, Rückruf, Aufheizstrategie, Strategie A, sekundäre Darlegungslast
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 21.03.2024 – 8 U 4789/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 30353

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 32.627,90 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 29.10.2021 Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges Audi, Typ A 6 Avant, mit der Fahrgestellnummer … zu zahlen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 10 % und die Beklagte 90 %.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert wird auf 35.605,78 € festgesetzt.

Tatbestand

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Die Parteien streiten um Ansprüche im Rahmen des sog. Dieselabgasskandals.
2
Der Kläger erwarb am 14.06.2019 für 38.450 € ein Fahrzeug der Marke Audi, Typ A 6 Avant. Zum Zeitpunkt der Fahrzeugübergabe betrug der Kilometerstand 19.740 km. In das streitgegenständliche Fahrzeug wurde ein 3,0 Liter TDI-Motor verbaut. Das Fahrzeug soll laut Herstellerangaben die Schadstoffklasse Euro 6 erfüllen. Der aktuelle Kilometerstand mit Datum vom 31.05.2022 beträgt 54.606 km.
3
Das Kraftfahrtbundesamt erließ für das streitgegenständliche Fahrzeug einen Zwangsrückrufbescheid gemäß Anlage K 3. Als Grund für den Zwangsrückruf gibt das KBA Folgendes an: „Entfernung unzufässiger Abschalteinrichtungen bzw. der unzulässigen Reduzierung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems.“. Das KBA kommt zu der Schlussfolgerung: „Mit der Strategie A enthält das Motorsteuergerät eine Abschalteinrichtung. Durch Erfassung und Auswertung verschiedener physikalischer Größen wird eine Aufheizstrategie im Emissionskontrollsystem betrieben oder abgeschaltet. Wird die Aufheizstrategie (Strategie A) abgeschaltet, verschlechtert sich das Stickoxidemissionsverhalten. Solche Abschalteinrichtungen sind nach Art. 5 II 1 der VO (EG) Nr. 715/2007 unzulässig.“.
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Der Kläger behauptet, dass der Zwangsrückruf bestätige, dass die Beklagte eine illegale Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaut habe. Zudem sei der Motor vom Emissions-Kontroll-Institut der Deutschen Umwelthilfe auf dem Rollenprüfstand sowie auf der Straße getestet worden. Die Werte hätte im Straßentest weit über denen gelegen, die den EG-Richtlinien entsprechen. Die Stickoxidwerte würden sich auch mit den Werten decken, die das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur im Untersuchungsbericht Volkswagen für diesen Motor ermittelt habe. Zusammenfassend lasse sich also sagen, dass der zulässige Grenzwert nur auf dem Rollenprüfstandsverfahren, das zur Erlangung der EU-Typgenehmigung durchgeführt wurde, ein gehalten wird. Bei allen anderen Prüfverfahren würden die Ausstoßwerte deutlich über dem Grenzwert liegen. Die Vorstände der Beklagten hätten Kenntnis von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichturg gehabt. Die arglistige Täuschung der Verbraucher habe nur durch die höchsten Ebenen des Unternehmens veranlasst werden können. Außerdem verfüge das Fahrzeug über ein Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung.
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Der Kläger könne somit den Kauf im Wege des Schadensersatzes rückabwickeln. Die zu erwartende Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs betrage 350.000 km.
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Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerpartei 38.450 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 4.059,22 € Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi, Typ A 3 Avant, mit der Fahrgestellnummer … zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte behauptet, dass in dem Fahrzeug keine unzulässige prüfstandsabhängige Abschalteinrichtung zum Einsatz komme. Es sei zwar zutreffend, dass auch für das streitgegenständliche Fahrzeug ein verbindlich angeordneter Rückruf des KBA vorliegt. Aufgrund der besonderen Sachverhaltskonstellation scheide ein deliktsrechlicher Anspruch gemessen an den höchstrichterlichen Anforderungen jedoch aus. Der vom KBA beanstandete Bestandteil der Software des streitgegenständlichen Fahrzeugs verändere lediglich in besonderen, nur ausnahmsweise eintretenden Fahrsituationen die Arbeitsweise des emissionsreduzierenden SCR-Katalysators. Dementsprechend betreffe das für Fahrzeuge des streitgegenständlichen Typs angebotene Software-Update die Arbeitsweise des SCR-Katalysators, wenn der Harnstoff (AdBlue) nur noch für eine voraussichtliche Restreichweite von 2.400 km ausreicht. Des Weiteren scheide ein Anspruch der Klagepartei aus dem Grund aus, weil die vom KBA beanstandete Bedatung der Motorsteuerungssoftwere zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses am 14. Juni 2019 in dem streitgegenständlichen Fahrzeug nicht mehr vorhanden war. Die Software des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei bereits vor Abschuss des Kaufvertrags aktualisiert worden. Mit der Freigabebestätigung habe das KBA ausdrücklich bestätigt, dass nach Durchführung des Software-Updates keien unzulässige Abschalteinrichtung mehr vorliege.
9
Eine Beweisaufnahme fand nicht statt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 31.05.2022 sowie auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat teilweise Erfolg.
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A. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 32.627,90 € gemäß § 826 BGB.
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I. Die Beklagte haftet auf Schadensersatz gem. §§ 826, 31 BGB. Sie hat den Kläger vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt mit der Inverkehrgabe eines Fahrzeugs mit einem von ihr hergestellten und entwickelten Motor, bei dem eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Aufheizstrategie (Strategie A) in Verbindung mit weiteren Strategien zum Einsatz kam.
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1. Unstreitig hat das Kraftfahrt-Bundesamt in Bezug auf den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp einen verpflichtenden Rückruf wegen festgestellter unzulässiger Abschalteinrichtung angeordnet. Das ergibt sich auch aus der gerichtsbekannten, im Internet veröffentlichten, Liste des KBA der betroffenen Fahrzeugvariantsn; Zeile 5 dieser Liste weist den hier streitgegenständlichen Audi A 6 mit 240 kW, Euro 6, Motorkennbuchstabe CVU auf. Der Kläger hat dargelegt, welche Aspekte das KBA beanstandet hat, nämlich u.a. die sog. Aufheizstrategie (vgl. Klage vom 01.10.2021, Bl. 2-5 d.A.). Aus dem Schreiben des KBA (K 3) ergibt sich, dass die Schaltbedingungen so eng bedatet sind, dass die Aufheizstrategie nahezu ausschließlich im NEFZ und den dort definierten Prüfbedingen wirkt, während schon kleine Abweichungen in Fahrprofil und Umgebungsbedingungen zur Abschaltung der Aufheizstrategie führen. Durch die Nutzung dieser Strategie sowie der Strategie 3 - „Alternatives Aufheizen“ während der Vorkonditionierung des Fahrzeugs - wird die Überschreitung des NOx-Grenzwerts bei der Prüfung sicher vermieden. Mit der Abschaltung der Aufheizstrategie verschlechtert sich das Stickoxid-Emissionsverhalten. Dass die Emissionsgrenzwerte auch mit abgeschalteter Aufheizstrategie eingehalten würden, konnte das KBA nicht feststellen (vgl. Anlage K 3) Die Beklagte ist dem Vortrag zur Aufheizstrategie nicht substantiiert entgegengetreten und hat eingeräumt, dass sie auf Anordnung des KBA eine Aktualisierung der Motorsoftware mit einer Aufweitung der Bedatung vornimmt.
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2. Die Beklagte hat sittenwidrig gehandelt i.S.v. § 826 BGB, indem sie Fahrzeuge wie das streitgegenständliche in den Verkehr gebracht hat. Denn diese Fahrzeuge sind/waren - unstreitig - von einem Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen, wobei die Arglist des Vorgehens bererts aufgrund der Machart der beanstandeten Abschalteinrichtung indiziert wird.
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a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermiteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (grundlegend BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19). Ein Automobilhersteller handelt gegenüber dem Fahrzeugkäufer sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, undamit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Fin solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 16 ff.).
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b) Zwar genügt für eine Haftung nach § 826 BGB, und zwar bereits in Bezug auf die Frage nach der objektiven Sittenwidrigkeit, nicht die bloße Feststellung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne der europarechtlichen Vorgaben. Der darin liegende Gesetzesverstoß ist für sich allein nicht ohne Weiteres geeignet, den Einsatz der beanstandeten Technologie durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich anzusehen. Maßgeblich ist, ob entweder die beanstandete Technik darüber hinaus bereits aufgrund ihrer Machart als evident unzulässige, auf der Basis einer strategischen Grundentscheidung eingesetzte und durch Arglist geprägte Abschalteinrichtung dem Handeln ein sittenwidriges Gepräge gibt oder ob darüber hinaus weitere Umstände dazu treten, die den Einsatz der beanstandeten Technologie durch Verantwortliche der Beklagten als besonders verwerflich erscheinen lassen, die indem sie ein auf die arglistige Täuschung der Typengenehmigungsbehörde abzielendes Verhalten nahelegen. Auf die mittlerweile ständige Rechtsprechung des BGH zu „Thermofenstern“ (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 19.01.2021 - VI ZR 433/19) wird Bezug genommen.
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c) Vorliegend indiziert aber bereits die Machart der beanstandeten Technologie eine bewusste Täuschung der Genehmigungsbehörde und damit die Sittenwidrigkeit des Handelns der für die Beklagte handelnden Personen. Zwar mag die hier inmitten stehende Technologie anders konstruiert sein als die sog. „Umschaltlogik“ der Volkswagenmotoren EA 189, die für den Prüfstand und den realen Fahrbetrieb zwei verschiedene Betriebsmodi aktivierte und auf diese Weise die Einhaltung der Grenzwerte allein im Testbetrieb sicherstellte, und mag eine Behebung der Beanstandung hier durch ein bloßes Aufweiten der Daten möglich sein. Mit der streitgegenständlichen Technologie wird aber der gleiche Effekt wie bei der „Umschaltlogik“ lediglich auf andere Weise erzielt. Die Aktivierung der Aufheizstrategie, bei deren Verwendung die erforderlichen NOx-Abgaswerte jedenfalls zusammen mit der Strategie B sicher eingehalten werden, ist an eine Vielzahl von Initialisierungsparametern geknüpft, die außerdem sämtlich kumulativ vorliegen müssen. Die Schaltbedingungen sind dabei so eng bedatet, dass die Aufheizstrategie nahezu ausschließlich im Prüfstand unter den dort geltenden gesetzlich definierten Sonderbedingungen wirk;. Kleine Abweichungen führen zur Abschaltung der Aufheizstrategie. Die Aktivierung der Aufheizstrategie ist mithin zur Überzeugung des Gerichts gezielt auf den Prüfstandbetrieb zugeschnitten. Die Abgasreinigung funktioniert damit eben gerade nicht im Prüfstand wie im Straßenverkehr im Grundsatz in gleicher Weise.
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3. Der Vortrag der Klagepartei zur Kenntnis der Verantwortlichen bei der Beklagten und zur Entscheidung über den Einsatz der hier inmitten stehenden Technologie, gilt gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden, weil die Beklagte aus vergleichbaren Gründen, wie vom BGH in der Entscheidung vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 29 ff., dargelegt, ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen ist. Die dcrtigon Grundsätze sind auf die vorliegende Konstellation zu übertragen. Zwar trägt im Grundsatz derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, die volle Derlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat. Dieser Grundsatz erfährt aber eine Einschränkung, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis von den maßgeblichen Umständen und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. In diesem Fall trifft den Prozessgegner eine sekundäre Darlegungslast, im Rahmen derer es ihm auch obliegt, zumutbare Nachforschungen zu unternehmen. Genügt er seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchsstellers nach § 138 ZPO als zugestanden.
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Nach diesen Grundsätzen traf die Beklagte die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Frage, wer die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung bei ihr getroffen hat und ob ihr Vorstand hiervon Kenntnis hatte. Denn schon in der Klageschrift verweist der Kläger auf eingeleitete Ermittlungsverfahren und Anklageerhebung gegen Vorstandsmitglieder, insbesondere den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Rupert Stadler, und führt aus, diesem werde im Rahmen der Anklage vorgeworfen, spätestens ab September 2015 von den Manipulationen Kenntnis gehabt zu haben (B….d.A.). Die Beklagte ist dieser sekundären Darlegungslast aber nicht nachgekommen; sie hat sich im Wesentlichen auf Ausführungen zur mangelnden Substantiierung des Klagevortrags beschränkt. Vor diesem Hintergrund ist von Schädigungsvorsatz auszugehen. Der Schädigungsvorsatz enthält ein Wissens- und Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchsstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben und mindestans mit bedingtem Vorsatz gehandelt haben. Vorstandsmitglieder oder Repräsentanten, die in Kenntnis der Funktionsweise der Software ihren serienmäßigen Einsatz in Motoren anordnen oder nicht unterbinden, billigen ihn auch und sind sich der Schädigung der späteren Fahrzeugerwerber bewusst.
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4. Die Einwände gegen das Bestehen der haftungsbegründenden Kausalität greifen nicht durch. Schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist davon auszugehen ist, dass die Klagepartei den streitgegenständlichen Pkw nicht gekauft hätte, wenn sie um die unzulässige Software und die davon ausgehende Gefahr der Betriebsuntersagung gewusst hätte; der Schaden liegt in der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 47 ff.). Kein vernünftiger Käufer hätte in Kenntnis dieses Sachverhalts, insbesondere der Gefahr der Betriebsuntersagung, den Pkw erworben, zumal zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht die Möglichkeit bestand, mittels des erst später entwickelten Software-Updates die Manipulation am Motor zu beseitigen. Auf den Einwand der Beklagten, die hohe Motorisierung des streitgegenständlichen Wagens spreche dafür, dass das Abgasverhalten des Wagens tatsächlich für den Kauf keine Rolle gespielt habe, kommt es damit nicht an. Selbst wenn für einen Käufer Umweltschutzaspekte vollkommen unerheblich sein sollten, so ändert dies nichts an seinem Interesse daran, ein Fahrzeug ohne Stilllegungsrisiko zu erwerben.
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5. Zu ersetzen ist gem. §§ 826, 249 BGB der gezahlte Kaufpreis; im Wege der Vorteilsanrechnung ist das streitgegenständliche Fahrzeug zurückzugeben und das Eigentum zu übertragen sowie ein Ersatz der gezogenen Nutzungen vorzunehmen (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 65 ff.). Das Gericht wendet in ständiger Rechtsprechung die nach der Rechtsprechung des BGH gebilligte lineare Berechnung des Nutzungsersatzes an. Eine Ausweitung der Vorteilsanrechnung - etwa wegen des Wertverlusts des Fahrzeugs - ist nicht angezeigt (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 397/19, Rdnr. 36). Das Gericht geht für das streitgegenständliche Fahrzeug von einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km aus. Das liegt in der Bandbreite der von den Obergerichten angenommenen Werte für vergleichbare Fahrzeuge. Die vom Kläger angenommene Gesamtlaufleistung von 350.000 km erscheint hingegen überhöht. Auf das konkrete Fahrzeug zugeschnittene Tatsachen, die eine höhere Prognose der Gesamtlaufleistung rechtfertigen könnten, wurden nicht vorgetragen. Ausgangspunkt für die Schadensberechnung ist der Bruttokaufpreis. Danach errechnet sich bei einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 5.822,10 € (38.450 € × [54.606 km - 19.740 km] : [250.000 km - 19.740 km]) ein Erstattungsanspruch i.H.v. 32.627,90 €.
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II. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Verzinsung des Kaufpreises abzüglich der Nutzungsentschädigung seit Rechtshängigkeit (§ 291 BGB) zu.