Inhalt

AG Aschaffenburg, Beschluss v. 07.11.2022 – 654 IK 298/21
Titel:

Erhöhter Freibetrag eines Pfändungsschutzkontos aufgrund der Energiepreispauschale?

Normenketten:
InsO § 36 Abs. 1
ZPO § 851, § 906 Abs. 2
Leitsätze:
Bei der Energiepreispauschale handelt es sich um einen Anspruch aus einem Steuerschuldverhältnis, weswegen gem. § 120 I 1 EStG die Vorschriften der Abgabenordnung über Steuervergütungen anwendbar sind und die Energiepreispauschale als Steuervergütung somit nach § 46 I AO pfändbar ist. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Energiepreispauschale ist pfändbar und erhöht daher den Freibetrag nicht.  (Rn. 9 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Freibetrag, Pfändbarkeit, Energiepreispauschale
Fundstellen:
ZInsO 2022, 2691
RPfleger 2023, 55
JurBüro 2023, 50
ZVI 2022, 477
LSK 2022, 30314
NZI 2022, 944
BeckRS 2022, 30314
ZRI 2022, 981

Tenor

Der mit Schreiben des Schuldners vom 06.10.2022 gestellte Antrag auf Festsetzung eines vom gesetzlichen Freibetrags abweichenden Freibetrags auf sein Kontoguthaben nach § 36 Absatz 1 InsO in Verbindung mit § 906 Absatz 2 ZPO wird zurückgewiesen.

Gründe

1
Mit Schreiben vom 06.10.2022 (Blatt … der Akte), das am 07.10.2022 bei Gericht einging, beantragte der Schuldner gemäß § 906 Absatz 2 ZPO die Festsetzung eines von dem gesetzlichen Freibetrag abweichenden Freibetrags auf sein Kontoguthaben. Der Antrag wird damit begründet, dass der Arbeitgeber des Schuldners „die von der Bundesregierung gezahlte Energiepreispauschale“ ausgezahlt hat. Damit ist die in den §§ 112 ff. EStG geregelte Energiepreispauschale gemeint. Der Schuldner vertritt die Auffassung, dass diese Energiepreispauschale wegen einer eindeutigen Zweckbestimmung nach § 851 ZPO unpfändbar sei. Der Schuldner verweist diesbezüglich auf die Bundestagsdrucksache 20/1765 (Seiten 1 und 24) und auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 10.03.2021 - Aktenzeichen VII ZB 24/20. Dem Antrag war nur eine Kopie der Lohnabrechnung beigefügt.
2
Weil der Schuldner nicht angegeben hatte, auf welches Verfahren des Amtsgerichts Aschaffenburg sich sein Antrag bezieht, wurde das Schreiben zunächst dem Vollstreckungsgericht vorgelegt und dort bearbeitet. Mit Verfügung vom 07.10.2022 (Blatt … der Akte) forderte die Rechtspflegerin des Vollstreckungsgerichts weitere Nachweise, die sie für die Bearbeitung des Antrags für notwendig hielt. Nachdem ein Konvolut verschiedener Unterlagen (Blatt … der Akte), aus denen sich unter anderem ergibt, dass über das Vermögen des Schuldners mit Beschluss vom 31.08.2021 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, einging wurde der Antrag des Schuldners deshalb zu dem Insolvenzverfahren weitergeleitet. Mit Verfügung vom 27.10.2022 (Blatt … der Akte) wurde dem Insolvenzverwalter zu dem Antrag des Schuldners rechtliches Gehör gewährt. Gleichzeitig wies das Gericht den Schuldner auf seine Bedenken gegen den Antrag hin.
3
Mit Schreiben der Schuldnervertreterin, die gemäß § 305 Abs. 4 InsO dazu befugt ist den Schuldner im Insolvenzverfahren zu vertreten, vom 31.10.2022 (Blatt … der Akte) wurden weitere Argumente für die vom Schuldner angenommene Unpfändbarkeit der in den §§ 112 ff. EStG geregelten Energiepreispauschale (folgend nur „Energiepreispauschale“ oder „EPP“) vorgetragen. Die Schuldnervertreterin verweist auf die Ausführungen zu der in den §§ 112 ff. EStG geregelten Energiepreispauschale auf der Internetseite des Bundesministeriums der Finanzen (abrufbar unter: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/FAQ/energiepreispauschale.html). Der von der Schuldnervertreterin genannte Abschnitt VI. Nr. 27 lautet:
„27. Ist die EPP als Arbeitslohn pfändbar?
Die EPP ist von einer Lohnpfändung nicht umfasst, da es sich arbeits- und sozialversicherungsrechtlich nicht um „Arbeitslohn“ oder „Arbeitsentgelt“ handelt. Die steuerrechtliche Einordnung der EPP als Arbeitslohn ist insoweit unbeachtlich.“
4
Der von der Schuldnervertreterin genannte Abschnitt XI lautet:
„Ist die EPP bei einkommensabhängigen Sozialleistungen als Einkommen zu berücksichtigen?
Nein. Die EPP ist bei einkommensabhängigen Sozialleistungen nicht als Einkommen zu berücksichtigen, da die EPP ebenfalls eine staatliche Sozialleistung darstellt.“
5
Mit Schreiben vom 03.11.2022 (Blatt … der Akte) nahm der Insolvenzverwalter zu dem Antrag des Schuldners und der Verfügung vom 27.10.2022 Stellung. Der Insolvenzverwalter stellt fest, dass in den Motiven des Gesetzgebungsverfahrens eine Stellungnahme, die sich bewusst mit der Pfändbarkeit oder Unpfändbarkeit befasst, nicht auffindbar ist. Nach seiner persönlichen Meinung sei die in den §§ 112 ff. EStG geregelte Energiepreispauschale zumindest mit einer Sozialleistung gemäß § 54 SGB I vergleichbar.
6
Der Schuldner führt das Girokonto, auf das die Energiepreispauschale ausgezahlt wurde, als Pfändungsschutzkonto im Sinn von § 850k ZPO. Ausweislich der Akte beträgt der unpfändbare Betrag auf das Kontoguthaben aktuell 1.340,00 Euro pro Monat. Ausweislich der dem Antrag beigefügten Lohnabrechnung erhielt der Schuldner für September 2022 einen Nettolohn von BETRAG Euro. Hiervon ist nach § 36 Absatz 1 InsO in Verbindung mit § 850c ZPO und der Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung 2022 ein Teilbetrag von BETRAG Euro Insolvenzmasse, sodass dieser Betrag an den Insolvenzverwalter hätte gezahlt werden müssen. Obwohl die Energiepreispauschale gemäß § 119 EStG zu versteuern ist, wurde ausweislich der Lohnabrechnung der Bruttobetrag von 300,00 Euro an den Schuldner ausgezahlt.
7
Gemäß § 36 Absatz 4 InsO ist das Insolvenzgericht für die Entscheidung über den Antrag zuständig, weil das Insolvenzverfahren noch nicht beendet wurde. Nach § 906 Absatz 2 ZPO, der wegen der Verweisung in § 36 Absatz 1 InsO auch im Insolvenzverfahren Anwendung findet, muss das Gericht auf Antrag des Schuldners einen von § 899 Absatz 1 und § 902 Satz 1 abweichenden pfändungs- und somit auch insolvenzfreien Betrag festsetzen, wenn sich aus einer bundes- oder landesrechtlichen Vorschrift eine solche Abweichung ergibt. Die beantragte Festsetzung eines abweichenden Freibetrags ist somit nur möglich, wenn die Energiepreispauschale unpfändbar ist.
8
Weil der vom Arbeitgeber ausgezahlte Betrag wegen der Energiepreispauschale den aktuell für das Kontoguthaben des Schuldners maßgeblichen Freibetrag übersteigt, liegt ein Rechtsschutzbedürfnis für die Festsetzung eines abweichenden Freibetrags durch das Gericht vor. Der Antrag ist somit zulässig.
9
Der Antrag ist jedoch unbegründet. Nach der Systematik des Gesetzes sind alle Vermögensgegenstände pfändbar, außer sie sind unpfändbar. Es gibt keine gesetzliche Regelung die ausdrücklich regelt, dass die Energiepreispauschale unpfändbar ist. Deshalb ist umstritten, ob die Energiepreispauschale pfändbar und somit Insolvenzmasse ist (ablehnend: Grote, InsbürO 2022, 337; bejahend: Wipperfürth, ZInsO 2022, 1665; Ahrens, NJW-Spezial 2022, 341; AG Norderstedt, Beschluss vom 15. September 2022 - 66 IN 90/19 -, juris; AG Osnabrück, Beschluss vom 10. Oktober 2022 - 27 IK 6/22 -, juris). Im Gegensatz zu der im Einkommenssteuergesetz geregelten Energiekostenpauschale ist im Gesetz ausdrücklich geregelt, dass die nach § 150a SGB XI geregelte Sonderzahlung an Pflegekräfte unpfändbar ist. Auch § 4 Absatz 2 RentEPPG und § 3 Absatz 2 VEPPGewG regeln ausdrücklich die Unpfändbarkeit der auszuzahlenden Beträge. Der Gesetzesbegründung zum Steuerentlastungsgesetz 2022 lässt sich nicht ausdrücklich entnehmen, dass es auch der Wille des Gesetzgebers gewesen wäre, dass die Energiepreispauschale nach dem EStG unpfändbar ist.
10
Nach § 117 Absatz 2 Satz 2 ESt müssen Arbeitgeber den von Ihnen auszuzahlenden Betrag der Energiepreispauschale aus dem Gesamtbetrag der einzubehaltenden Lohnsteuer entnehmen. Somit handelt es sich bei der Energiepreispauschale nicht um Arbeitslohn. Der Hinweis des Bundesministeriums für Finanzen, dass die Energiepreispauschale nicht von einer Lohnpfändung umfasst sei, erscheint deshalb logisch und überzeugend. Eine Aussage dazu, ob die Energiepreispauschale pfändbar ist, wird auf der Internetseite des Bundesministeriums für Finanzen jedoch nicht getroffen.
11
Nach § 54 Absatz 2 SGB I können einmalige Sozialleistungen nur gepfändet werden, wenn das unter Berücksichtigung der Umstände der Billigkeit entspricht. Wenn es sich bei der Energiepreispauschale um eine Sozialleistung handelt, würde die Vorschrift des § 54 SGB I auf sie Anwendung finden.
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Woraus sich die Behauptung auf der Internetseite des Bundesministeriums der Finanzen, dass die Energiepreispauschale eine Sozialleistung sei, ergibt, ist vollkommen unklar. Diese Aussage kann das Gericht deshalb nicht nachvollziehen. Weder im Gesetz noch in der Gesetzesbegründung wurde ausdrücklich festgestellt, dass es sich bei der Energiepreispauschale um eine Sozialleistung handelt Im Gegensatz zu der Energiepreispauschale nach dem EStG sind Sozialleistungen in aller Regel in den Sozialgesetzbüchern oder in eigenständigen Gesetzen (z.B. Bundeselterngeldgesetz oder Bayerisches Familiengeldgesetz) geregelt. So wie die Energiepreispauschale für Arbeitnehmer ist aber auch, das Kindergeld, das nach allgemein herrschender Meinung eine Sozialleistung ist, zumindest teilweise im Einkommenssteuergesetz geregelt. Dass die Energiepreispauschale im EStG geregelt ist, steht somit einer möglichen Einordnung als Sozialleistung nicht entgegen.
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Sozialleistungen werden nur dann gewährt, wenn ein Bedürfnis hierfür besteht. Das ist etwa dann der Fall, wenn ohne die gewährten Leistungen das Existenzminimum nicht gesichert ist. Das ist Ausfluss des Subsidiaritätsprinzips. Dieses bedeutet, dass der Staat nur dann hilft, wenn der Bürger sich nicht selbst angemessen helfen kann. Die im EStG geregelte Energiepreispauschale wird gemäß § 113 EStG an alle unbeschränkt Steuerpflichtigen nach § 1 Absatz 1 EstG, die im Veranlagungszeitraum 2022 Einkünfte aus § 13, § 15, § 18 oder § 19 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 EStG erzielen, ausgezahlt. Das bedeutet, dass sowohl Geringverdiener, als auch Spitzenverdiener die Energiepreispauschale erhalten. Spitzenverdiener sind nicht auf die Energiepreispauschale angewiesen um das Existenzminimum sichern zu können. Andere Sozialleistungen, etwa das Kindergeld werden dann gewährt, wenn ein konkreter Anlass hierfür, etwa die finanzielle Belastung durch ein Kind, besteht. Die gestiegenen Kosten für Strom, Heizen und Kraftstoffe betreffen alle Einwohner Deutschlands. Die Energiepreispauschale nach dem EStG erhält aber nur der in § 113 EStG genannte Personenkreis. Diese Tatsachen sprechen nach Auffassung des Gerichts gegen eine Einordnung der Energiepreispauschale als Sozialleistung.
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Nach § 851 ZPO sind nicht übertragbare Forderungen grundsätzlich nicht pfändbar. Eine Forderung ist dann nicht pfändbar, wenn sie einer eindeutigen Zweckbestimmung unterliegt. Die Auffassung des Schuldners, dass das bei der im EStG geregelten Energiepreispauschale der Fall sei, vermag nicht zu überzeugen. Wie Ahrens (NJW-Spezial 2022, 341) zutreffend ausführt ist vollkommen unklar, was genau dieser angeblich konkrete Zweck der Energiepreispauschale eigentlich sein soll. Das Ziel der Energiepreispauschale soll es nach der Gesetzesbegründung sein, dass die sprunghaft und drastisch gestiegenen Energiekosten, kurzfristig und sozial gerecht abgefedert werden. Was genau mit dem Begriff „Energiekosten“ gemeint ist, wird jedoch nicht näher ausgeführt.
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Die Energiepreispauschale nach dem EStG kommt nur Arbeitnehmern und Selbständigen zu Gute. Empfänger von Sozialleistungen, Rentner, Pensionäre und Studenten erhalten diese Energiepreispauschale nicht. Das Steuerentlasstungsgesetz 2022, durch das die §§ 112 ff. in das Einkommenssteuergesetz eingefügt wurden, wurde am 23. Mai 2022 beschlossen. Der Entwurf eines Gesetzes zur Zahlung einer Energiepreispauschale an Renten- und Versorgungsbeziehende und zur Erweiterung des Übergangsbereichs stammt vom 11. Oktober 2022. Somit hatte der Gesetzgeber als er das Steuerentlastungsgesetz 2022 beschlossen hatte, nicht den Willen, dass auch Rentner und Pensionäre eine Energiepreispauschale erhalten. Von den erhöhten Heizkosten und Stromkosten sind Arbeitnehmer, Selbständige, Rentner, Pensionäre und Studenten gleichermaßen betroffen. Sie kommen aber nicht gleichermaßen in den Genuss der im EStG geregelten Energiepreispauschale. Diese Tatsache versteht das Gericht so, dass es nicht konkreter Zweck dieser Energiepreispauschale ist, zur Begleichung von Heiz- und Stromkosten verwendet zu werden.
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Zwar sind die Preise für Kraftstoffe stark gestiegen. Gleichzeitig wurde dies aber durch andere Maßnahmen wie Homeoffice und das 9-Euro-Ticket kompensiert. Außerdem sind nicht alle Arbeitnehmer und Selbständige gleichermaßen auf ein KFZ angewiesen um ihrer Erwerbstätigkeit nachzugehen.
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Mit dem vom Schuldner zitierten Beschluss vom 10.03.2021 - Az: VII ZB 24/20 hat der Bundesgerichtshof darüber entschieden, ob es eine „Corona-Soforthilfe“ nach dem Bundesprogramm „Corona-Soforthilfen für Kleinstunternehmen und Selbständige“ und dem ergänzenden Landesprogramm „NRW-Soforthilfe 2020“ rechtfertigte nach der damaligen Fassung von § 850 k Absatz 4 ZPO, die der aktuellen Fassung von § 906 Absatz 2 ZPO weitgehend entspricht, einen abweichenden Freibetrag auf das Kontoguthaben festzusetzen. Das wurde vom BGH bejaht, weil eine eindeutige Zweckbestimmung im Sinn von § 851 ZPO vorliege. Das begründete der Bundesgerichtshof damit, dass in den Programmen des Bundes und des Landes Nordrhein-Westfalen, sowie dem Bewilligungsbescheid ein konkreter Zweck detailliert definiert war und der Empfänger später auch die zweckentsprechende Verwendung auch verantworten musste. Ob die Coronahilfen zweckentsprechend verwendet wurden, wurde auch vom Staat überprüft. Teilweise waren Empfänger von Coronahilfen mit Forderungen auf Rückzahlung konfrontiert.
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Das ist bei der im EStG geregelten Energiepreispauschale nicht der Fall. Weder aus dem Gesetz noch aus der Gesetzesbegründung lässt sich ein konkreter Zweck, für den der zur Auszahlung kommende Betrag verwendet werden muss (oder zumindest soll), entnehmen. Weder vor, noch nach der Auszahlung wird geprüft, ob der Empfänger auf diese angewiesen ist. Es wird auch nicht geprüft, ob der ausgezahlte Betrag für einen bestimmten Zweck verwendet wird, wobei bereits unklar ist, welcher Zweck das eigentlich sein sollte.
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Die teilweise vertretene Auffassung, dass es sich bei der Energiepreispauschale um einen Anspruch aus einem Steuerschuldverhältnis handelt (Wipperfürth, ZInsO 2022, 1665), hält das Gericht für überzeugend. Das Gericht schließt sich deshalb dieser Auffassung an. Nach § 120 Absatz 1 Satz 1 EStG finden die Vorschriften der Abgabenordnung über Steuervergütungen auf die Energiepreispauschale entsprechende Anwendung. Nach § 46 Absatz 1 AO können Steuervergütungen gepfändet werden. Somit ist nach Auffassung des Gerichts auch die im EStG geregelte Energiepreispauschale pfändbar.
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Das Gericht kann aus den genannten Gründen nicht erkennen, dass die im EstG geregelte Energiepreispauschale unpfändbar sei. Somit musste der Antrag des Schuldners auf Festsetzung eines vom gesetzlichen Freibetrags abweichenden Freibetrags zurückgewiesen werden.