Inhalt

OLG Bamberg, Endurteil v. 02.05.2022 – 4 U 108/19
Titel:

Arzthaftung – Voraussetzungen einer Behandlungsübernahme und einer Haftung für Fehler des Klinikpersonals (Hebamme) durch den Belegarzt im Vorfeld einer Geburt - Geburtsschaden - Verjährung

Normenketten:
BGB § 199 Abs. 1 Nr. 2
BGB § 278
BGB § 823
BGB § 831
SGB X § 116
Leitsätze:
1. Eine Behandlungsübernahme und eine Haftung für Fehler des Klinikpersonals (Hebamme) durch den Belegarzt im Vorfeld einer Geburt wird nicht schon durch eine telefonische Information des Belegarztes durch das Klinikpersonal/Hebamme vom Eintreffen einer Schwangeren in der Klinik ohne den Hinweis auf besondere/regelwidrige Umstände bewirkt, sofern nicht die vor dem Anruf durchgeführten Untersuchungen der Schwangeren und der Inhalt der telefonisch mitzuteilenden Informationen vom Belegarzt (etwa durch eine Dienstanweisung) vorgegeben waren und das Klinikpersonal daher bereits zum Zeitpunkt des Anrufs als dessen Gehilfe anzusehen wäre.
2. Allein die Kenntnis vom Inhalt eines MDK-Gutachtens in dem zwar gravierende Behandlungsfehler benannt, diese aber nicht bestimmten Personen zugeordnet werden, begründet noch keine Kenntnis von der Person des Schädigers im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB.
Schlagworte:
Arzthaftung, Voraussetzungen einer Behandlungsübernahme und einer Haftung für Fehler des Klinikpersonals (Hebamme) durch den Belegarzt im Vorfeld einer Geburt, Geburtsschaden, Verjährung
Vorinstanz:
LG Schweinfurt, Urteil vom 29.03.2019 – 21 O 832/10
Fundstelle:
BeckRS 2022, 30276

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten zu 2) gegen das Urteil des Landgerichts Schweinfurt vom 29.03.2019, Az. 21 O 832/10, wird zurückgewiesen.
2. Von den Gerichtskosten des Berufungsverfahrens und den außergerichtlichen Kosten des Klägers haben der Kläger und die Beklagte zu 2) jeweils die Hälfte zu tragen; dies gilt nicht für die aufgrund der Beweisaufnahme und der durchgeführten mündlichen Verhandlungen entstandenen Kosten, diese hat die Beklagte zu 2) allein zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) trägt der Kläger. Soweit der Beklagten zu 1) infolge der im Berufungsverfahren erfolgten Nebenintervention weitere Kosten entstanden sind, hat diese die Beklagte zu 2) zu tragen. Im Übrigen hat jeder seine eigenen Kosten zu tragen.
3. Das Urteil und das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Schweinfurt sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte zu 2) kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Der Kläger macht als überörtlicher Träger der Sozialhilfe aus übergegangenem Recht Schadensersatz wegen behaupteter Fehler bei der Geburt des Kindes A. geltend. Das Kind wurde am ... 1986 in der Klinik der Beklagten zu 2) (Krankenhaus … in …) geboren. Behandelnder Arzt und der erstinstanzlich Beklagte zu 1) war der mittlerweile am ... 2018 (noch in erster Instanz) verstorbene Dr. S., der als Belegarzt im Krankenhaus der Beklagten zu 2) tätig war. Die nunmehrige Beklagte zu 1) war dessen Ehefrau und ist dessen Rechtsnachfolgerin. Diese war an der Geburt des Kindes auch als Anästhesistin beteiligt.
2
Die Mutter des Kindes, G. (im Folgenden: Kindesmutter), wurde am 16.09.1996 um 21:45 Uhr im Krankenhaus der Beklagten zu 2) durch die diensthabende Hebamme M., eine Angestellte der Beklagten zu 2), aufgenommen. Der zum Dienst eingeteilte Belegarzt war zu diesem Zeitpunkt Dr. S., der sich jedoch nicht in der Klinik befand. Für die Kindesmutter war es die dritte Schwangerschaft, sie war stark übergewichtig, litt unter einer Gestose, latentem Diabetes und Asthma. Die Hebamme L. untersuchte die Kindesmutter und trug ihre Daten und Angaben in den Patienteunterlagenbogen ein, wobei sie u.a. einen Blutdruck von 150/90 mmHG vermerkte. Ab 22:00 Uhr wurde bei der Kindesmutter ein CTG geschrieben.
3
In den Patientenunterlagen der Kindsmutter befindet sich unter der Zeitangabe „22.30 Uhr“ ein Eintrag, dessen Urheber nicht vermerkt ist: „Dr S. (sic!) angerufen, Pat. soll schlafen Pat kommt zur Station“. Ferner befindet sich unter der Rubrik „Medikation“ der Eintrag „1 TBl Valium 5“. Zwischen den Parteien ist streitig, ob ein entsprechender Anruf tatsächlich erfolgt ist. Während der Beklagte zu 1) dies erstinstanzlich in Abrede gestellt hat, hat die Beklagte zu 2) erstinstanzlich vorgetragen, dass die Eintragungen in den Patientenunterlagen den Tatsachen entsprächen. Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, dass die Kindesmutter durch den Beklagten zu 1 in das Krankenhaus eingewiesen und nach dem um 22:30 Uhr erfolgten Anruf vom Krankenhauspersonal ständig über den Zustand der Schwangeren telefonisch auf dem Laufenden gehalten worden sei.
4
In den Patientenunterlagen befinden sich weitere Eintragungen über den Zustand und Untersuchungen der Kindesmutter, insoweit wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (Seite 4, Bl. 447 d.A.) verwiesen.
5
A. wurde schließlich mittels Sectio am .. 1986 entbunden. Diese wurde durch den Beklagten zu 1) vorgenommen; die nunmehrige Beklagte zu 1) war hierbei als Anästhesistin tätig. Mit der Narkose der Kindesmutter wurde um 10:02 Uhr begonnen, als Zeitpunkt der Geburt ist in den Patientenunterlagen die Uhrzeit 10:09 Uhr vermerkt. Nach der Geburt des Kindes wurde dessen Verlegung in das ... Krankenhaus in … veranlasst. Dort wurde u.a. eine schwere perinatale Asphyxie diagnostiziert. Behandelt wurde das Kind dort bis einschließlich 22.01.1987; es fand eine Langzeitbeatmung über insgesamt 47 Tage statt.
6
A. leidet unter einer schweren körperlichen und geistigen Behinderung in Form einer rechts betonten Tetraspastik, er konnte keinerlei Kulturtechniken erlernen und ist unselbstständig, sodass er für alle Lebensbereiche Lenkung, Anleitung und Aufsicht benötigt. A. besuchte verschiedene Einrichtungen für geistig und körperlich behinderte Menschen. Seit 11.12.2006 hält er sich tagsüber in einer Tagesheimstätte in … auf, abends kehrt er zu seinen Eltern zurück.
7
Der Kläger gewährt A. - in einer von der Beklagtenseite bestrittenen Höhe - Hilfe zum Lebensunterhalt.
8
Ein an die Krankenversicherung AOK des A. gerichtetes Gutachten des MDK vom 11.10.2004 (Anlagenband des Klägers I, dort Seitenbezeichnung 262 bis 264) kommt zu dem Ergebnis, dass eine Indikation für eine Kaiserschnittentbindung bereits am „frühen Abend des 16.09.1986“ bestanden habe und dass ein Behandlungsfehler vorliege.
9
Nach einer telefonischen Kontaktaufnahme zwischen einer Sachbearbeiterin des Klägers und einer Mitarbeiterin der AOK … im November 2007, übersandte die AOK eine Kopie des MDK-Gutachtens an den Kläger. Mit einem an die Beklagte zu 2) gerichteten Schreiben vom 07.12.2007 (Bl. 49 der Akte) teilte der Kläger mit, dass ihm durch ein Schreiben der AOK … vom 03.12.2007 bekannt geworden sei, dass die Behinderung des A. möglicherweise auf einer fehlerhaften Behandlung in der Klinik der Beklagten beruhe und diese als möglicher Schädiger in Betracht komme; der Kläger bat um Mitteilung der an der Geburt beteiligten Personen und ob es sich hierbei um Klinikpersonal oder Belegärzte gehandelt habe; ferner bat der Kläger um Mitteilung des Haftpflichtversicherers und um ein schriftliches Anerkenntnis der Ersatzansprüche.
10
Der Kläger hat am 24.11.2010 Klage gegen den Beklagten zu 1) erhoben (zugestellt am 07.12.2010). Nachdem der Beklagte zu 1) der Beklagten zu 2) den Streit verkündet hatte und diese dem Rechtsstreit auf der Seite des Beklagte zu 1) beigetreten war, hat der Kläger die Klage mit Schriftsatz vom 21.12.2011 (Bl. 143 d.A.) auf die Beklagte zu 2) erweitert (Zustellung am 30.12.2011). Erstinstanzlich hat auch die Beklagte zu 2) dem Beklagten zu 1) den Streit verkündet (Bl. 393 d.A.).
11
Der Kläger trägt vor, dass er erstmals durch den Anruf eines Mitarbeiters der AOK vom 27.11.2007 davon Kenntnis erhalten habe, dass die Beeinträchtigungen des A. auf den Umständen der Geburt beruhten. Er hat erstinstanzlich vorgetragen, dass der Beklagte zu 1) die Kindsmutter in das Krankenhaus der Beklagten zu 2) eingewiesen habe und von dort - nach dem Anruf um 22:30 Uhr - ständig über den Zustand der Kindsmutter telefonisch auf dem Laufenden gehalten worden sei. Er ist der Auffassung, dass der derzeitige Gesundheitsschaden des A. ausschließlich dadurch verursacht worden sei, dass auf den Zustand der Mutter und des Kindes behandlungsfehlerhaft zu spät reagiert worden sei. Insoweit nimmt der Kläger Bezug auf das vorgenannte MDK Gutachten, sowie auf von ihm eingeholte Gutachten des Professor Dr. K. vom 05.05.2010 (Anlagen der Klagepartei Bd. I, dort Seitenbezeichnung 468-473) und des Professor Dr. G. (Anlagen der Klagepartei Bd. I, dort Seitenbezeichnung 480 f.).
12
Der Kläger hat die Beklagten erstinstanzlich als Gesamtschuldner für die Kosten der aufgrund des gesundheitlichen Zustands des A. erforderlichen Betreuung in Anspruch genommen. Er hat erstinstanzlich für den Zeitraum zwischen 11.09.1990 und dem 31.12.2010 einen Kostenaufwand für die Betreuung des A., sowie die Einholung von vorgerichtlichen medizinischen Gutachten in Höhe von insgesamt 164.246,98 € geltend gemacht. Im Wege der mehrfachen Klageerweiterung hat der Kläger im Verlauf des Rechtsstreits darüber hinaus weitere Beträge in Höhe von insgesamt 155.568,45 € gefordert. Ferner hat er die Feststellung begehrt, dass die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger einen weiteren materiellen Schaden zu ersetzen, der dem Kläger aus dem Behandlungsfehler anlässlich der Geburt des Kindes A. entstehen wird. Hinsichtlich der konkreten Antragstellung wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Endurteils Bezug genommen (EU S. 10, Bl. 453 d.A.).
13
Der Beklagte zu 1) hat sich erstinstanzlich dahingehend eingelassen, dass er in der Nacht vom 16. September auf den 17.09.1986 keinen Anruf aus dem Krankenhaus der Beklagten zu 2) erhalten habe; der Inhalt der Patientenakte, wonach er um 22:30 Uhr angerufen worden sei, entspreche nicht den Tatsachen. Ferner sei die Kindsmutter auch ohne Einweisung eines Frauenarztes ins Krankenhaus gekommen, diese sei ihm allein aufgrund des Dienstplans automatisch und rein verwaltungstechnisch zugeordnet worden. Auf den schlechten Zustand der Kindsmutter sei er erstmals am Morgen des 17.09.1986 im Rahmen seiner täglichen Visite aufmerksam geworden. Er habe dann sofort reagiert und eine Schnittentbindung angeordnet, welche allein deswegen nicht sofort durchgeführt werden konnte, weil keiner der vier Operationssäle des Krankenhauses zur Verfügung gestanden habe. Ferner hat er eine Kausalität zwischen der Hirnschädigung A. und den im Krankenhaus der Beklagten zu 2) getroffenen Maßnahmen bestritten. So sei die Schädigung des Kindes bereits vor der stationären Aufnahme eingetreten.
14
Die Beklagte zu 2) hat erstinstanzlich vorgetragen, dass die Einträge in den Patientenunterlagen, insbesondere auch der Anruf um 22:30 Uhr, den Tatsachen entsprächen und durch die Hebammen M. bzw. R. erfolgt seien. So habe die Hebamme M. den Beklagten zu 1) angerufen und ihm das alarmierende CTG mitgeteilt und daraufhin durch den Beklagten zu 1) die Anweisung erhalten, der Patientin Valium zu geben, was durch eine Hebamme nicht ohne ärztliche Anweisung erfolgen dürfe. Auch die Beklagte zu 2) hat erstinstanzlich bestritten, dass die Hirnschädigung A. aufgrund der Behandlung in ihrer Klinik erfolgt sei. Diese sei anlagebedingt bzw. aufgrund einer Erkrankung entstanden. Ferner erhebt sie die Einrede der Verjährung und behauptet, dass der Kläger bereits vor dem Jahr 2007 von dem MDK Gutachten vom 11.10.2004 Kenntnis genommen habe. Zumindest aber habe der Kläger grob fahrlässig zunächst nur den Beklagten zu 1) in Anspruch genommen, nachdem in den Behandlungsunterlagen lediglich das Telefonat dokumentiert sei und daher auch eine Haftung der bei der Beklagten zu 2) angestellten Hebammen in Betracht gekommen sei.
15
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Hebammen R. und M., sowie durch uneidliche Vernehmung der Zeugin C., einer Mitarbeiterin des Klägers, und der Ehefrau des Beklagten zu 1) und nunmehrigen Beklagten zu 1). Ferner hat das Landgericht ein schriftliches gynäkologisches Sachverständigengutachten (Prof. Dr. W.) eingeholt; das Gutachten wurde durch den Sachverständigen auch in mündlicher Verhandlung erläutert.
16
Mit Urteil vom 29.03.2019 hat das Landgericht die Klage gegen den Beklagten zu 1) abgewiesen und die Beklagte zu 2) entsprechend dem zuletzt vom Kläger gestellten Antrag verurteilt. Auf den Tenor des Endurteils vom 29.03.2019, der mit Beschluss vom 07.06.2019 (Bl. 499 ff. d.A.) hinsichtlich der Kostenentscheidung berichtigt wurde, wird insoweit Bezug genommen (S. 2 EU, Bl. 445 d.A.).
17
Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger einen Anruf bei dem Beklagten zu 1) um 22:30 Uhr nicht habe nachweisen können, wobei selbst dann - wenn dieser Anruf stattgefunden hätte - kein Zweifel daran bestünde, dass der Beklagte zu 1) durch die Hebamme M. nicht über den tatsächlichen Zustand, insbesondere das hochpathologische CTG der Kindsmutter informiert worden sei. Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass der entsprechende Eintrag in der Patientenakte nicht zuverlässig sei, da er offenkundig nachträglich eingefügt und auch eine Veränderung an bestehenden Einträgen vorgenommen worden sei. Die Angaben der Zeugin M., welche den Anruf bestätigt habe, seien demgegenüber widersprüchlich und nicht glaubhaft. Das Landgericht hat einen Behandlungsfehler darin erkannt, dass zwischen der Anordnung der Sectio und der Entbindung eine Stunde vergangen sei. Daran trage der Beklagten zu 1) jedoch kein Verschulden, da ihm keine Operationssäle zur Verfügung gestanden hätten. Jedenfalls sei der Nachweis (da es sich jedenfalls um keinen groben Fehler gehandelt habe), dass die Verzögerung auch kausal für den Schaden geworden ist, nicht geführt worden.
18
Einen der Beklagten zu 2) zuzurechnenden - groben - Behandlungsfehler hat das Landgericht darin erkannt, dass durch die bei der Beklagten zu 2) angestellten Hebammen spätestens um 7.30 Uhr, als eine hochgradige Gefährdung der Mutter und auch des Kindes bestanden habe, nicht reagiert worden sei. Das Landgericht hat insoweit auch einen Kausalzusammenhang mit den bei dem Kind nach der Geburt diagnostizierten Schäden bejaht. Ansprüche des Klägers seien auch nicht verjährt, da eine vollständige Kenntnis des Klägers im Jahr 2007 über die behandelnden Personen und deren Verhältnis zu der Beklagten zu 2) (Angestellenverhältnis oder Belegärzte/Hebammen) und auch eine grob fahrlässige Unkenntnis nicht vorgelegen habe.
19
In der Höhe hat das Landgericht die Klageforderung nach Zeugeneinvernahme der Mitarbeiterin des Klägers und unter Berücksichtigung der vorgelegten Unterlagen für begründet erachtet.
20
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Parteivortrags, des Wortlauts der erstinstanzlichen Anträge sowie wegen des Beweisergebnisses, des Inhalts und der Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung wird auf Tenor, Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 444 ff. d.A.) Bezug genommen.
21
Die Kläger und die Beklagte zu 2) haben gegen Endurteil des Landgerichts vom 29.03.2019 fristgerecht Berufung eingelegt. Der Kläger hat seine Berufung bzgl. der Beklagten zu 1), bevor er eine Berufungsbegründung eingereicht hat, zurückgenommen. Mit Senatsbeschluss vom 04.07.2019 (Bl. 594 d.A.) wurde insoweit das eingelegte Rechtsmittel der Berufung für verlustig erklärt.
22
Die Beklagte zu 2) hat ihre Berufung mit Schriftsatz vom 28.06.2019 (Bl. 560 ff. d.A.) form- und fristgerecht begründet.
23
Sie greift die Beweiswürdigung des Landgerichts im Hinblick auf die getroffene Feststellung an, dass der Beklagte zu 1) entgegen der Dokumentation tatsächlich nicht durch die Hebamme der Beklagten zu 2) angegriffen worden sei. Vielmehr hätte das Landgericht bei korrekter Beweiswürdigung zu dem Ergebnis kommen müssen, dass der Anruf bei dem Beklagten stattgefunden und ein der Beklagten zu 2) zuzurechnendes Verschulden ihrer Hebammen nicht vorgelegen habe. Ferner sei das Landgericht zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Verzögerung der Sectio nicht auf einem Verschulden des Beklagten zu 1) beruht habe; insbesondere habe sich das Landgericht insoweit nicht auf die Aussage der Ehefrau des Beklagten zu 1) stützen dürfen. Auch sei ein vermeintlicher Fehler der Hebammen nicht kausal für den Gesundheitszustand des Kindes geworden (sondern allein die durch den Beklagten zu 1) verschuldete Verzögerung); das Landgericht habe das insoweit angebotene Beweismittel der Begutachtung durch einen Neonatologen übergangen. Auch sei unter Berücksichtigung der Tatsache, dass dem Kläger das MDK-Gutachten spätestens im Jahr 2007 bekannt war und die Klage erst im Jahr 2011 auf die Beklagte zu 2) erweitert worden sei, Verjährung eingetreten. Schließlich sei die Schadenshöhe nicht schlüssig dargelegt worden; die Bezugnahme auf Eigenbelege sei insoweit nicht ausreichend.
24
Die Beklagte zu 2) beantragt,
1. Das Endurteil des Landgerichts Schweinfurt, verkündet am 29.03.2019 - Az. 21 O 832/10 - abgeändert mit Beschluss vom 07.06.2019, wird in seinem der Klage stattgebenden Umfang aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen.
2. Hilfsweise: Die Klage wird zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Schweinfurt zurückgewiesen.
25
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt
die Zurückweisung der Berufung.
26
Die Beklagte zu 1) ist, unter Bezugnahme auf die in erster Instanz erfolgte Streitverkündung durch die Beklagte zu 2), mit Schriftsatz vom 20.08.2019 (Bl. 613 ff. d.A.) dem Rechtsstreit auf Seiten des Klägers beigetreten und beantragt ebenfalls die Zurückweisung der Berufung.
27
Der Senat hat am 24.02.2020 einen Hinweisbeschluss erlassen (Bl. 620 ff. d.A.), am 19.10.2020 erstmals mündlich verhandelt (Protokoll v. 19.10.2020, Bl. 683 ff d.A.) und mit Beweisbeschluss vom 19.10.2020 (Bl. 688 d.A.) eine Begutachtung durch einen Neonatologen (Dr. H.) und ergänzend mit Beschluss vom 31.05.2021 (Bl. 765 d.A.) durch einen Gynäkologen (Prof. Dr. K.) angeordnet, der sein Gutachten in mündlicher Anhörung ergänzend erläutert hat. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftlichen Gutachten (H. v. 01.03.2021, Bl. 729 ff. d.A. und K. v. 20.08.2021, Bl. 782 ff. d.A. bzw. v. 25.12.2021, Bl. 832 ff. d.A.) sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 07.03.2022 (Bl. 864 ff. d.A.) Bezug genommen.
II.
28
Die zulässige Berufung der Beklagten zu 2) ist nicht begründet. Zu Recht hat das Landgericht einen groben Behandlungsfehler der Mitarbeiter der Beklagten zu 2) am 17.09.1986 und einen Kausalzusammenhang zwischen diesem Behandlungsfehler und der schweren geistigen und körperlichen Behinderung des am 17.09.1986 geborenen A. bejaht. Dieser Behandlungsfehler ist der Beklagten zu 2) auch zuzurechnen; eine Übernahme der Behandlung durch den Beklagten zu 1) als Belegarzt ist vor der fehlerhaften Behandlung durch die Mitarbeiter der Beklagten zu 2) nicht erfolgt. Die Ansprüche des Klägers sind auch nicht verjährt und in der vom Landgericht festgestellten Höhe nicht zu beanstanden.
29
1. Der Kläger hat gegen die Beklagte zu 2) aus positiver Forderungsverletzung wegen Schlechterfüllung des mit der Kindsmutter bei Aufnahme in das Krankenhaus der Beklagten zu 2) (auch zugunsten des ungeborenen Kindes: siehe Laufs/Kern/Rehborn ArztR-HdB, 5. Aufl., § 43 Rn. 43) abgeschlossenen Behandlungsvertrags i.v.m. § 278 BGB und aus Delikt gem. §§ 823, 831 BGB jeweils i.V.m. § 116 SGB X einen Anspruch auf Schadensersatz.
30
a) Zu Recht hat das Landgericht einen groben Behandlungsfehler deshalb angenommen, weil am 17.09.1986 auf einen spätestens um 7.30 Uhr erkennbaren gravierenden pathologischen Zustand des Kindes durch die angestellten Hebammen der Beklagten zu 2) nicht reagiert wurde. Das Landgericht hat seine Feststellungen auf die Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. W. gestützt, der sein Gutachten anhand der dokumentierten Aufzeichnungen in der Patientenakte der Beklagten zu 2) erstattet hat. Insoweit hat die Beklagte zu 2) nicht in Frage gestellt, dass die dort dokumentierten Befunde und Vorgehensweisen der behandelnden Personen auch den Tatsachen entsprochen haben.
31
Soweit die Beklagte zu 2) die entsprechenden Feststellungen des Landgerichts mit dem Argument angegriffen hat, dass das CTG keinen pathologischen Befund gezeigt habe und sich insoweit auf die entsprechenden Angaben der als Zeuginnen vernommenen Hebammen M. und R. gestützt hat, sowie gerügt hat, dass einem Beweisangebot durch Erstellung eines Gutachtens eines Neonatologen nicht nachgekommen sei, dringt sie hiermit nicht durch. Wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat, hat der Sachverständige W. seine Beurteilung auf die Behandlungsdokumentation und die vorhandenen CTG-Aufzeichnungen gestützt. Eine unterschiedliche Bewertung der CTG-Aufzeichnungen durch die an der Behandlung beteiligten Hebammen stellt die objektive Bewertung durch den Sachverständigen grundsätzlich nicht in Frage. Allein die vom Landgericht im angegriffenen Endurteil nicht thematisierte Problematik, inwieweit der Sachverständige W. als Arzt fachlich geeignet war, ein Verhalten einer Hebamme zu beurteilen, ist in diesem Zusammenhang zu problematisierten. Allerdings hat der in der zweiten Instanz bestellte Sachverständige Prof. K., wie der Sachverständige W. (sowie die vorgerichtlich eingeholten Gutachten), einen groben Behandlungsfehler spätestens um 7.30 Uhr - bei Vorliegen eines Blutdrucks v. 190/130 mmHG, grünem Fruchtwasser und einem silenten CTG-Muster und fehlender Unterrichtung eines Frauenarztes hierüber - bejaht und in diesem Zusammenhang ausdrücklich im Rahmen seines Ergänzungsgutachtens (vom 25.12.2021, Bl. 832 ff. d.A.) ausgeführt, dass er fachlich in der Lage sei, das Verhalten einer Hebamme in einem klinischen Setting, auch unter Berücksichtigung des Behandlungszeitpunkts (Jahr 1986), zu beurteilen. Ein zusätzliches Gutachten eines Neonatologen zur Beurteilung des CTG war nicht einzuholen, da ein Gutachten grundsätzlich aus dem betroffenen medizinischen Fachgebiet (hier Geburtshilfe) einzuholen ist (Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 6. Aufl., Rn. S6 m.w.N.). Keine Zweifel bestehen darin, dass die in erster und zweiter Instanz bestellten Sachverständigen Prof. W. und Prof. K. als Frauenärzte zur Beurteilung eines CTG fachlich geeignet sind. Ferner hat auch der in zweiter Instanz bestellte Neonatologe Dr. H. grundsätzlich erklärt, dass seine Expertise mit der Geburt des Kindes beginne (Schreiben v. 02.02.2021, Bl. 724 c) d.A.).
32
b) Zu Recht hat das Landgericht auch einen Kausalzusammenhang zwischen dem vorgenannten Behandlungsfehler und der als Primärschäden zu qualifizierenden schweren kindlichen Asphyxie und dem Mekoniumaspirationssyndrom angenommen. An der Beurteilung der unterlassenen Reaktion auf die um 7.30 Uhr vorliegenden Risikoanzeichen als grobem Behandlungsfehler bestehen unter Berücksichtigung der erst- und zweitinstanzlich eingeholten Gutachten keine Zweifel. Keine Zweifel bestehen auch daran, dass der Behandlungsfehler grundsätzlich dazu geeignet war, die Primärschäden des Kindes herbeizuführen.
33
Dies führt zu einer Umkehr der Beweislast (BGH, Urteil vom 8. 1. 2008 - VI ZR 118/06, NJW 2008, 1304, nunmehr § 630h Abs. 5 BGB). Der Gegenbeweis, dass für die Primärschäden des Kindes der grobe Behandlungsfehler etwa infolge einer vor Aufnahme der Kindsmutter in das Krankenhaus der Beklagten zu 2) bestehenden Vorschädigung des Kindes oder aufgrund einer sich bis zum Zeitpunkt des Fehlers um 7.30 Uhr bereits verfestigten Schädigung des Kindes, nicht kausal geworden ist, ist der Beklagten zu 2) nicht gelungen. Auf den entsprechenden Beweisbeschluss des Senats vom 09.11.2020 (Bl. 688 ff. d.A.) hat der Neonatologe Dr. H. in seinem Gutachten vom 01.03.2021 (Bl. 729 ff. d.A.) ausgeführt, dass sich weder aus der Patientenakte der Mutter noch aus den Unterlagen der Kinderklinik ein Hinweis ergebe, dass eine angeborene Schädigung oder Erkrankung des Kindes vorgelegen habe; es seien keine Auffälligkeiten ersichtlich, die nicht durch die schwere Asphyxie mit HIE (Hypoxisch-Ischämische-Enzephalopathie) erklärbar seien. Auch der Sachverständige Prof. K. hat in seinem Gutachten v. 20.08.2021 (Bl. 782 ff. d.A.) diese Frage entsprechend beantwortet und dargestellt, dass zwar bereits vor 7.30 Uhr und schon bei der Aufnahme der Kindsmutter im Krankenhaus der Beklagten zu 2) und auch um 2.30 Uhr aufgrund der vorhandenen Risikokonstellationen der zuständige Frauenarzt hätte informiert werden müssen. Auf einen bestimmten Zeitpunkt, ab dem eine unumkehrbare Schädigung des Kindes bei zunehmender Verschlechterung der klinischen Situation der Risikoschwangeren vorlag, konnte er sich jedoch nicht festlegen.
34
c) Der Kausalzusammenhang ist auch nicht deswegen unterbrochen, weil dem Beklagten zu 1) ein (ggf. grober) Behandlungsfehler aufgrund der verspäteten Durchführung der Sectio bzw. aufgrund von weiteren Fehlern (Sicherstellung einer neonatologischen Betreuung) während der Geburt unterlaufen wäre. So konnte der Sachverständige K. eine entsprechende Nachfrage, wie der Zustand des Kindes im Falle eines idealen Verlaufs ab der Indikationsstellung zur Sectio um 9.00 Uhr gewesen wäre, nicht beantworten (S. 4 d. Protokolls v. 07.03.2022; Bl. 867 d.A.). Im Übrigen würde ein Zurechnungszusammenhang auch nur dann entfallen, wenn die Behandlung durch den Beklagten zu 1) in keinem inneren Zusammenhang mit den (unterlassenen) Maßnahmen der Hebammen stünde bzw. wenn der Beklagte zu 1) in außergewöhnlich hohem Maße die an ein gewissenhaftes ärztliches Verhalten zu stellenden Anforderungen außer Acht gelassen und derart gegen alle Regeln und Erfahrungen verstoßen hätte, dass der eingetretene Schaden wertend allein seinem Handeln haftungsrechtlich zugerechnet werden müsste (BGH, Urteil v. 22.05.2012, Az. VI ZR 157/11, MJW 2012, 2024). Dies liegt hier unter Berücksichtigung der Tatsachen, dass die verspätete Reaktion der Hebammen auf einen pathologischen Zustand grob behandlungsfehlerhaft einzustufen war und dem Beklagten zu 1) ggf. „nur“ eine weitere Verzögerung, nicht jedoch ein hiervon abgrenzbarer Fehler von völlig andersgearteter Qualität vorzuwerfen ist, fern.
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d) Der Behandlungsfehler ist der Beklagten zu 2) auch zuzurechnen. Die Beklagte zu 2) hat es nicht vermocht, den ihr obliegenden Beweis für die ihr vorteilhafte Behauptung zu führen, dass aufgrund einer Behandlungsübernahme durch den Bekl. zu 1) nicht mehr sie als Vertragspartnerin für Fehler ihrer angestellten Hebammen verantwortlich war (§ 278 bzw. § 831 BGB), sondern aufgrund einer entsprechenden Behandlungsübernahme des Beklagten zu 1).
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aa) Nicht von der Beklagten zu 2) behauptet wurde, hierfür sind auch darüber hinaus keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Kindsmutter bereits vor deren Aufnahme in das Krankenhaus der Beklagten zu 2) durch den Beklagten zu 1) behandelt worden bzw. mit ihm ein entsprechender Behandlungsvertrag abgeschlossen worden wäre. Zwar wurde durch den Kläger erstinstanzlich - zunächst - vorgetragen, dass es sich bei dem Beklagten zu 1), der dies bestritten hat, um den behandelnden Arzt der Kindsmutter gehandelt habe, der diese auch in das Krankenhaus der Beklagten zu 2) eingewiesen habe. Eine entsprechende Feststellung, an die der Senat in zweiter Instanz gebunden wäre (§ 529 Abs. 1 ZPO), hat das Landgericht jedoch nicht getroffen. Die entsprechende Behauptung wurde durch die Parteien auch zweitinstanzlich nicht mehr aufgestellt. Es kann damit dahinstehen, ob allein aufgrund eines (vorstationären) Behandlungsvertrags der Kindsmutter mit dem Beklagten zu 1) bzw. einer Einweisung in die Klinik der Beklagten zu 2) die dort tätigen Hebammen als Gehilfinnen (allein) des Beklagten zu 1) zu qualifizieren wären (BGH, Urteil v. 14.02.1995, Az. VI ZR 272/93, NJW 1995, 1611).
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bb) Die Beklagte zu 2) konnte auch nicht nachweisen, dass der Beklagte zu 1) nach der Aufnahme der Kindsmutter in das Krankenhaus der Beklagten zu 2) (vor der Entscheidung über die Durchführung der Sectio) die Behandlung übernommen hat, mit der Folge, dass die Hebammen nachfolgend als dessen Gehilfinnen tätig geworden wären und etwaige Fehler ihm und nicht der Beklagten zu 2) gem. § 278 BGB bzw. § 831 BGB zugerechnet werden müssten.
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Dabei konnte dahinstehen, ob der in den Behandlungsunterlagen dokumentierte Anruf um 22.30 Uhr, so das Landgericht, tatsächlich stattgefunden hat oder nicht. Der Senat hat, worauf bereits im Beschluss vom 24.02.2020 (Bl. 620 ff. d.A.) hingewiesen wurde, insoweit Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts. Allerdings kann letztlich dahinstehen, ob der Anruf erfolgt ist oder nicht, da die Beklagte zu 2) jedenfalls nicht dargelegt und nachgewiesen hat, dass aufgrund des Inhalts des Telefonats von einer Behandlungsübernahme durch den Beklagten zu 1) auszugehen ist. Allein ein Anruf der Hebamme bei dem nicht in der Klinik anwesenden Belegarzt, in dem sie diesen über die Ankunft einer Schwangeren informiert, bewirkt jedenfalls für den Fall, dass keine besonderen/regelwidrigen Umstände mitgeteilt werden, noch keine Übernahme der Geburtsleitung durch den Belegarzt. Es wurde auch nicht vorgetragen, dass die von der Hebamme der Beklagten zu 2) vorzunehmenden Untersuchungen im Rahmen einer generellen ärztlichen Dienstanweisung und die im Anschluss dem Arzt telefonisch zu übermittelnden Informationen durch den Arzt vorgegeben gewesen wären, so dass die handelnde Hebamme bereits zu diesem Zeitpunkt als Erfüllungsgehilfin des jeweiligen Belegarztes zu qualifizieren wäre. Dem widerspricht auch die zum damaligen Zeitpunkt geltende gesetzliche Regelung d. § 7 HebBO (v. 20.08.1970, BayGVBl. Nr. 21/1970, S. 433), wonach die Hebamme bei allen regelrechten Vorgängen Hilfe leistet (§ 7 Abs. 1 HebBO) und die Beiziehung eines Arztes zu einer Schwangeren bei regelwidrigen Vorgängen (§ 7 Abs. 2 HebBO) zu erfolgen hatte.
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Dass eine Hebamme den Beklagten zu 1) über einen regelwidrigen Verlauf informiert hätte, hat der Beklagte zu 2) schon nicht schlüssig vorgetragen. Tatsächlich ist, wie das Landgericht auch ausgeführt hat, der entsprechende Vortrag der Beklagten zu 2) widersprüchlich, da zum einen behauptet wurde, dass der Beklagte zu 1) über das „alarmierende“ CTG telefonisch informiert worden sei; zum anderen aber (noch in der Berufungsinstanz) behauptet und unter Beweis gestellt wurde, wonach das CTG tatsächlich nicht pathologisch gewesen sei. Der Einlassung, wonach die Hebamme M. vor dem Anruf bei dem Beklagten zu 1) das (erste) CTG irrtümlich als pathologisch eingestuft und den Beklagten zu 1) hierüber informiert habe, ist gleichfalls nicht zu folgen, nachdem die als Zeugin vernommene Hebamme dies so nicht bestätigt hat, sondern im Rahmen ihrer Vernehmung (S. 9 ff. d. Protokolls v. 28.11.2012, Bl. 203 ff. d.A.) dieses CTG als „in Ordnung“ eingestuft hat. Auch wenn die Hebamme nicht ausschließen wollte, dass sie dies zum damaligen Zeitpunkt tatsächlich anders bewertet hat, kann allein hieraus eine entsprechende Überzeugung nicht gewonnen werden. Die Beklagte zu 2) hat auch nicht vorgetragen, dass die Hebamme dem Beklagten zu 1) weitere konkrete Befunde mitgeteilt hätte, die auf einen regelwidrigen Verlauf schließen ließen. Entsprechendes ergibt sich auch nicht aus den protokollierten Angaben der Zeugin. Ferner hat die Beklagte zu 2) auch nicht vorgetragen, dass ein entsprechender Anruf beim Belegarzt zum damaligen Zeitpunkt grundsätzlich nur im Falle eines regelwidrigen Verlaufs erfolgt wäre. Das Gegenteil liegt vielmehr unter Berücksichtigung der protokollierten Angaben der Hebamme R. nahe (S. 2 ff. d. Protokolls v. 28.11.2012, Bl. 195 ff. d.A.), die einen Anruf beim Belegarzt nach Aufnahmeuntersuchung und Durchführung eines CTG als grundsätzliche Vorgehensweise beschrieben hat. Auch nicht vorgetragen wurde, dass die (dokumentierte) Anordnung der Gabe von Valium einen regelwidrigen Verlauf indiziert habe. Vielmehr hatte offensichtlich nach den Angaben der Zeugin R. regelhaft ein Anruf beim Belegarzt vor der Gabe von Valium zu erfolgen, was nunmehr - im Falle eines unauffälligen Befunds - nicht mehr erforderlich sei.
40
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger selbst erstinstanzlich vorgetragen hat, dass die Angestellten der Beklagten zu 2) den Beklagten zu 1) ab dem 16.09.1986 um 22.30 Uhr telefonisch auf dem Laufenden gehalten hätten, was die Beklagte zu 2) erstinstanzlich auch nicht bestritten hat. Vor dem Hintergrund jedoch, dass das Landgericht infolge des entsprechenden Bestreitens des Beklagten zu 1) hiervon nicht ausgegangen ist und sich der Kläger der Auffassung des Landgerichts in zweiter Instanz angeschlossen und den Vortrag des Beklagten zu 1) zu eigen gemacht hat, konnte auch der Senat insoweit nicht von einem übereinstimmenden und unstreitigen Vortrag ausgehen.
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Daher ist dem Senat die Feststellung verwehrt, dass - selbst bei Annahme eines entsprechend der Behandlungsunterlagen geführten Telefonats - der Beklagte zu 1) auch über auffällige Befunde informiert worden ist und ggf. mit seiner Entscheidung, nicht in die Klinik zu fahren und keine persönliche Untersuchung der Kindsmutter vorzunehmen, auch bei Ortsabwesenheit die Verantwortung für den weiteren Verlauf und damit die Behandlung übernommen hat (was auch zweifelhaft erscheint: OLG Koblenz, Urteil v. 05.02.2009, Az. 5 U 854/08, BeckRS 2009, 5286, hier jedoch im Ergebnis dahinstehen kann).
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2. Hinsichtlich des Umfangs der festgestellten Schäden ist das Urteil des Landgerichts nicht zu beanstanden.
43
a) Die Feststellung des Landgerichts zur Höhe der Ersatzansprüche sind nicht zu beanstanden. Dass die unmittelbar nach der Geburt schon bei der Behandlung des Neugeborenen im ... Krankenhaus festgestellten Diagnosen einer Zerebralparese vom spastisch-athetoiden Typ und die weiteren Langzeitschäden auf die vor bzw. während der Geburt eingetretene Asphyxie als Primärschaden zurückzuführen sind, hat die Beklagte zu 2) nicht bestritten und wurde auch durch den Sachverständigen Prof. K. in seinem schriftlichen Gutachten vom 20.08.2021 (S. 10, 11, Bl. 791, 792 d.A.) bestätigt. Damit steht, jedenfalls unter Berücksichtigung des Beweismaßes des § 287 ZPO, fest, dass auch die Betreuung des A. in Einrichtungen für geistig und körperlich behinderte Menschen aufgrund der bei der Geburt erlittenen Schäden erfolgte und auch erforderlich war. Hinsichtlich der Höhe der Schäden sind die Feststellungen des Landgerichts, die auf den vorgelegten Buchhaltungsunterlagen des Klägers beruhen, die von einer Mitarbeiterin des Klägers als Zeugin erläutert und bestätigt wurden, nicht zu beanstanden. Insoweit nimmt der Senat ausdrücklich auf die Ausführungen des Landgerichts (EU S. 24) und die protokolierte Aussage der Zeugin C. (Bl. 358 ff. d.A.) sowie die entsprechenden Anlagen des Klägers Bezug. Die hiergegen durch die Beklagte zu 2) in der Berufung erhobenen Einwendungen, mit denen sie eine mangelnde Substantiierung der Forderung bzw. Bestimmtheit der Klageanträge rügt, teilt der Senat nicht. Vielmehr ergeben sich die geltend gemachten Beträge unter Berücksichtigung der Ausführungen der Zeugin zwanglos aus dem vorgelegten Tabellenwerk, das auch die aufgrund eines Teilungsabkommens mit der Krankenkasse erstatteten Beträge berücksichtigt. Wie der Kläger im vorliegenden Fall die Schadenshöhe außer durch Bezugnahme auf ein entsprechendes für den internen Gebrauch erstelltes Tabellenwerk, in dem die Ausgaben nach Höhe und Grund aufgelistet sind, schlüssig hätte darstellen können, geht aus den Ausführungen der Beklagten zu 2) nicht hervor und ist auch nicht ersichtlich. Konkrete Einwendungen gegen die Berechnungen des Klägers wurden auch nicht erhoben.
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b) Das erforderliche Feststellungsinteresse ist für zukünftige materielle Schäden zu bejahen. Ausreichend hierfür ist im Falle eines Gesundheitsschadens, dass jedenfalls die Möglichkeit künftiger Schadenslagen besteht, auch wenn über die Wahrscheinlichkeit weiterer Schäden noch keine nähere Aussage getroffen werden kann (BGH, Beschluss vom 16.01.2001, VI ZR 381/99, Rn. 8). Dies ist bei einem Dauerschaden - wie hier der Fall - unzweifelhaft zu bejahen.
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3. Die Forderungen des Klägers sind auch nicht verjährt. Insoweit hat der Senat schon in seinem Hinweisbeschluss vom 24.02.2020 darauf hingewiesen, dass die Rechtsauffassung des Landgerichts, wonach eine Kenntnis bzw. eine grob fahrlässige Unkenntnis über die Person des Schuldners im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB bzgl. der Beklagten zu 2) im Jahr 2007 noch nicht vorlag, nicht zu beanstanden ist.
46
Bei Schadensersatzansprüchen liegt Kenntnis von der Person des Schuldners vor, wenn die Verantwortlichkeit soweit geklärt ist, dass der Gläubiger aufgrund der ihm bekannten oder erkennbaren Tatsachen eine hinreichend aussichtsreiche, wenn auch nicht risikolose Klage gegen den Schuldner erheben kann (Grüneberg/Ellenberger, BGB, 81. Aufl., § 199, Rn. 36). Diese, vom Beklagten darzulegende und zu beweisenden Voraussetzungen für eine Verjährung (a.a.O., Rn. 50), liegen nach den insoweit nicht zu beanstandenden Feststellungen des Landgerichts nicht vor.
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Nicht zu folgen vermag der Senat dem Vorwurf der Beklagten zu 2), dass der Kläger nicht dazu vorgetragen habe, wann er erstmals von möglichen Behandlungsfehlern im Rahmen der Geburt des A. erfahren habe. Hierzu erfolgte vielmehr entsprechender Sachvortrag in der Klage (S. 3, 4) und mit Schriftsatz vom 18.02.2011 (S. 5, 6 bzw. Bl. 30, 31 d.A.). Damit hat der Kläger auch seiner Darlegungslast genügt, da er vorgetragen hat, was er zur Ermittlung der Voraussetzungen seines Anspruchs und der Person des Schuldners getan hat.
48
Soweit die Beklagte zu 2) eine frühere Kenntnis des Klägers behauptet, legt sie nicht dar, von welchen konkreten Kenntnissen des Klägers aufgrund welchen Vortrags bzw. aufgrund welcher Beweisangebote das Landgericht hätte ausgehen müssen, bzw. welchen Beweisangeboten insoweit verfahrensfehlerhaft nicht nachgekommen wurde.
49
Laut des vom Landgericht festgestellten Sachverhalts, war dem Kläger das MDK-Gutachten vom 11.10.2004 im Dezember 2007 bekannt geworden, in dem gravierende Fehler im Vorfeld der Geburt des Kindes A. nach Aufnahme der Kindsmutter im Krankenhaus … der Beklagten zu 2) beschrieben sind. Damit mag eine Kenntnis von einen Schadensersatzanspruch begründenden Umständen im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB bereits im Jahr 2007 vorgelegen haben, nicht jedoch eine solche von der Person des Schädigers. Die an der Behandlung beteiligten Personen sind im vorgenannten MDK-Gutachten, auf dessen Inhalt insoweit ausdrücklich Bezug genommen wird, nicht aufgeführt. Auch musste der Kläger nicht, was letztlich auch nicht der Fall war, von vorneherein von einem sogenannten „totalen Krankenhausvertrag“ zwischen der Kindsmutter und der Beklagten zu 2) und damit von deren Haftung für sämtliche an der Behandlung der Kindsmutter und des Kindes tätigen Personen im Krankenhaus … ausgehen.
50
Auch eine grob fahrlässige Unkenntnis von einer Haftung der Beklagten zu 2) ist für das Jahr 2007 nicht anzunehmen. Nicht zu beanstanden ist, dass der Kläger zunächst mit Schreiben vom 07.12.2007 und damit zeitnah nach der Kenntniserlangung vom MDK-Gutachten, die Beklagte zu 2) um Mitteilung der bei der Geburt beteiligten Personen, nebst deren Status als Klinikpersonal bzw. Belegarzt, gebeten hat und nicht unmittelbar die Einsicht in die Krankenunterlagen verlangt hat. Die Vorgehensweise des Klägers erscheint vielmehr nachvollziehbar und entspricht den Gepflogenheiten bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen. Keinesfalls kann darin ein Verhalten erkannt werden, das als Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt in einem ungewöhnlich groben Maß qualifiziert werden könnte (Grüneberg, a.a.O., Rn. 39). Im Übrigen würde eine grob fahrlässige Unkenntnis auch erst in dem Zeitpunkt vorliegen, in dem der Kläger, auf ein entsprechendes Begehren hin, die Akte auch erhalten hätte (MüKoBGB/Grothe, 8. Aufl. 2018, BGB § 199 Rn. 35). Hierzu wurde von der Beklagten zu 2) nichts vorgetragen.
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Es kommt für die Beurteilung des Verjährungsbeginn auch nicht darauf an, dass der Beklagte zu 1) erstmals im vorliegenden Verfahren den in den Behandlungsunterlagen dokumentierten Anruf bestritten hat. Vielmehr war eine Kenntnis des Klägers von den handelnden Personen und deren Verhältnis zu Beklagten zu 2) erst mit der Vorlage der Behandlungsunterlagen der Beklagten zu 2) vorhanden. Dass diese dem Kläger bereits im Jahr 2007 vorgelegen hätten, wurde auch von der Beklagten zu 2) nicht behauptet.
III.
52
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 97, 101, 516 Abs. 3 ZPO.
53
Die nach dem Ausscheiden der Beklagten zu 1) aus dem Prozess (in ihrer Stellung als beklagte Partei) erfolgte Nebenintervention war nach erfolgter Streitverkündung auch unter den (ursprünglich) als Gesamtschulder in Anspruch genommenen Beklagten zulässig (eine Rüge wurde auch nicht erhoben), da im vorliegenden Verfahren zwar die Haftung der Beklagten gegenüber dem Kläger rechtskräftig geklärt wird, nicht jedoch im Verhältnis zwischen den Streitgenossen selbst (BGH, Urteil vom 20.11.2018 - VI ZR 394/17, NJW 2019, 1751). Die allein im Verhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 2) - infolge des durch die Berufungsrücknahme erfolgten Ausscheidens der Beklagten zu 1) aus dem Verfahren - entstandenen Kosten der Beweisaufnahme und den mündlichen Verhandlungen waren infolge des Unterliegens der Beklagten zu 2) gem. § 97 Abs. 1 ZPO allein dieser aufzuerlegen; diese Kosten sind nicht im Sinne des § 516 Abs. 3 ZPO durch das Rechtsmittel des Klägers verursacht worden und daher nicht in Anwendung des § 92 ZPO zu verteilen.
54
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708, Nr. 10, 711, 709 S. 1, 2 ZPO.
55
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.