Titel:
Polizeiliche Datenspeicherung, Strafrechtliche Verurteilungen in der Vergangenheit, Löschungsanspruch für Einträge aus dem Kriminalaktennachweis, Löschung von Daten im IGVP, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, Regelfristen, Abwägung im Einzelfall, Ablehnung der geltend gemachten Löschungsansprüche
Normenketten:
PAG Art. 54 Abs. 2 S. 2
PAG Art. 54 Abs. 2 S. 3, S. 5 i.V.m. Art. 53 Abs. 5
PAG Art. 62 Abs. 2 S. 1
GG Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1
Schlagworte:
Polizeiliche Datenspeicherung, Strafrechtliche Verurteilungen in der Vergangenheit, Löschungsanspruch für Einträge aus dem Kriminalaktennachweis, Löschung von Daten im IGVP, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, Regelfristen, Abwägung im Einzelfall, Ablehnung der geltend gemachten Löschungsansprüche
Fundstelle:
BeckRS 2022, 30208
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Verpflichtung des Beklagten zur Löschung von Eintragungen im Kriminalaktennachweis (KAN) sowie von Eintragungen in der Vorgangsverwaltung der bayerischen Polizei (IGVP).
2
1. Mit Schreiben vom 10. Dezember 2021 beantragte der Kläger beim Beklagten Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten sowie ggf. deren Löschung. Für den Fall der Ablehnung der Löschung bat der Kläger um die Mitteilung der Gründe dafür und wies auf die Pflicht zur Anhörung für den Fall der beabsichtigten Ablehnung des Antrags hin.
3
Nach Beteiligung der für die jeweils erhobenen Daten örtlich zuständigen Polizeidienststellen und ohne eine weitere Anhörung des Klägers teilte das Landeskriminalamt diesem mit Bescheid vom 31. Januar 2022 mit, welche Daten über ihn im KAN und im IGVP gespeichert sind (Ziffer 1 und 2 des Bescheids).
4
Danach sind für vier verschiedene Dienststellen aus den Jahren 2003 bis 2009 im KAN für die Person des Klägers insgesamt sieben Verstöße gegen Vorschriften des Betäubungsmittelrechts und vier Eigentumsdelikte sowie drei weitere Eintragungen („Waffengesetz“, „Falsche Versicherung an Eides Statt“ sowie „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“) eingetragen, den entsprechenden Eintragungen für drei Dienststellen ist jeweils ein personengebundener Hinweis „BtM-Konsument“ beigefügt. Weitere Speicherungen im KAN betreffen eine erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers vom März 2008 sowie ein DNA-Identifizierungsmuster. Zuletzt wurde im Jahr 2021 im KAN ein Verstoß gegen das „Straßenverkehrsgesetz - 0,25 mg/l-Grenze AAK“ gespeichert.
5
Im IGVP sind insgesamt 18 Einträge für den Zeitraum 2003 bis 2021 enthalten. Im Einzelnen ist unter Ziffer 2.1 und 2.2 jeweils ein Eintrag in Bezug auf den Verstoß gegen das StVG vom 29. Juli 2021 enthalten. In Ziffer 2.3 wird ein Vorgang „Delikte: Bayer. Straßen- und Wegegesetz“ aus dem Jahr 2017 gespeichert. Die Eintragungen 2.4 bis 2.17 beziehen sich im Einzelnen auf Vorgänge, die den Speicherungen der vorgenannten Straftatbestände im KAN zugrunde liegen. Unter Ziffer 2.18 ist ein Verkehrsunfall aus dem Jahr 2016 gespeichert, der Kläger ist dabei als „Auskunftsperson“ erfasst.
6
Dem Antrag auf Löschung von Daten hinsichtlich des DNA-Identifizierungsmusters und einem Eintrag im KAN aus dem Jahr 2003 („Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“) wurde stattgegeben (Ziffer 3.1 des Bescheids), im Übrigen wurde die Löschung der Eintragungen im KAN und im IGVP abgelehnt (Ziffer 3.2 des Bescheids).
7
Zur Begründung der Ablehnung im Übrigen wurde ausgeführt, dass der Kläger zunächst im Jahr 2004 zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten wegen illegalem Handel mit Betäubungsmitteln verurteilt worden sei. Mit der weiter verhängten Freiheitsstrafe aus dem Jahr 2006 wegen BtMG-Verstößen sowie der erneuten Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten durch die Entscheidung des Amtsgerichts * vom Dezember 2009 wegen Straftaten im Zusammenhang mit dem BtMG ergebe sich für die Polizei eine erhebliche Wiederholungsgefahr aufgrund der bestehenden Suchterkrankung des Klägers. In Folge dieser Erkenntnisse könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger erneut Straftaten begehen werde. Die Fortführung der Speicherungen einschließlich der erkennungsdienstlichen Behandlungen sowie des personengebundenen Hinweises sei aus präventivpolizeilicher Sicht erforderlich und geeignet zur zukünftigen Tataufklärung. Bei dieser Entscheidung sei auch berücksichtigt, dass der Kläger nach Haftende nicht mehr erneut strafrechtlich in Erscheinung getreten sei. Allerdings sei der Kläger im Jahr 2021 im Zusammenhang mit einer Alkoholtat („Verstoß gegen das Straßenverkehrsgesetz - 0,25 mg/l-Grenze AAK“) in Erscheinung getreten, diese Verkehrsordnungswidrigkeit stehe wiederum im Zusammenhang mit einem Suchtmittel (Alkohol). Deshalb sei trotz der Straffreiheit seit der Haftentlassung ein Abweichen von der Regelaussonderungsfrist nicht veranlasst.
8
Die Löschung des DNA-Identifizierungsmusters und des Eintrags aus dem Jahr 2003 („Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“) im KAN wurde in der Folge durchgeführt und in der Behördenakte dokumentiert, die insoweit zugehörige Eintragung im IGVP (Ziffer 2.16, Tatzeit 6.2.2003) wurde ebenfalls gelöscht.
9
2. Der Kläger ließ dagegen am 14. Februar 2022 Klage erheben und beantragen,
10
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 31. Januar 2022 zu verpflichten, die im KAN und IGVP benannten personenbezogenen Daten des Klägers zu löschen.
11
Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom 30. März 2022 vorgetragen, dass der im KAN enthaltene personenbezogene Hinweis „BtM-Konsument“ zu löschen sei, der Hinweis sei falsch. Der Kläger sei 2014 aus der Haft entlassen worden, seitdem sei er in keiner Weise in Verbindung mit Betäubungsmitteldelikten in Erscheinung getreten. Er habe während der Haftzeit erfolgreich eine Entziehung durchlaufen, auch nach der Haftentlassung habe er sich freiwillig auf Drogen- und Alkoholkonsum untersuchen lassen. Diesbezügliche Atteste aus den Jahren 2014/2015 würden vorgelegt. Dem Kläger sei im Rahmen der Führungsaufsicht eine positive Prognose gestellt worden, der Kläger gehe einer geregelten Arbeit nach. Seit 2009 sei deshalb von Drogenabstinenz auszugehen, der Hinweis sei jedenfalls nunmehr falsch.
12
Die weiteren Eintragungen im KAN seien auch vor Ablauf der Regelfrist von zehn Jahren zu löschen. Die Regelfrist entbinde den Beklagten nicht von der Prüfung des Einzelfalls, eine weitere Notwendigkeit für die Speicherung sei vor dem Hintergrund der gelungenen Resozialisierung des Klägers nach der Haftentlassung nicht mehr gegeben. In Abwägung mit dem Interesse der Polizei an der weiteren Speicherung für die präventiv-polizeiliche Arbeit sei das Interesse des Klägers am Schutz seiner persönlichen Daten höher zu gewichten, zumal die letzten Straftaten im Jahr 2009 bereits lange zurückliegen würden. Eine weitere Speicherung sei auch nicht im Hinblick auf die Speicherung der Alkoholfahrt im Jahr 2021 gerechtfertigt. Diese Ordnungswidrigkeit könne eine Wiederholungsgefahr im Hinblick auf die gespeicherten Betäubungsmitteldelikte nicht begründen. Eine weitere Speicherung sei auch durch die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten im Bereich der Beschaffungskriminalität nicht gerechtfertigt. Der Kläger habe erkennbar keinen Bezug mehr zum Drogenmilieu, aufgrund der vollkommen geänderten Lebenssituation sei eine Wiederholungsgefahr auch insoweit zu verneinen.
13
Der Kläger könne auch einen Anspruch auf die Löschung der Speicherungen im IGVP aus Art. 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 PAG geltend machen, da die Speicherfrist von fünf Jahren für die Eintragungen unter den Ziffern 2.4 - 2.18 überschritten sei. Die Eintragungen unter Ziffern den 2.3 und 2.18 dürfen darüber hinaus nicht Teil der Kriminalakte sein. Die Ziffer 2.3 betreffe einen Fall von lediglich geringer Bedeutung, so dass auch insoweit eine Verkürzung der Speicherfrist angezeigt sei.
14
Der Beklagte beantragt,
16
Aufgrund der Begründung der Klage und der dazu vorgelegten Dokumente hat der Beklagte die Löschung des personengebundenen Hinweises („BtM-Konsument“) von Amts wegen veranlasst. Die tatsächlichen Umstände in Bezug auf die erfolgreiche Drogentherapie waren vor Klagebegründung beim Beklagten nicht bekannt, eine weitere Speicherung auch zum Zweck der Eigensicherung von Polizeibeamten im Einsatzfall deshalb nicht mehr notwendig.
17
Soweit in der Klagebegründung auf die Speicherung der Verkehrsordnungswidrigkeit im Jahr 2021 abgestellt werde, verkenne die Klägerseite, dass dadurch keine Verlängerung der Speicherdauer im KAN erfolge. Die Speicherung im KAN sei für Ordnungswidrigkeitstatbestände im Einzelfall möglich, ohne dass diese Speicherung Auswirkungen auf die Regellöschungsfristen hätte. Die Speicherung der Verkehrsordnungswidrigkeit sei vorliegend deshalb notwendig, weil es sich um eine erneute Gesetzesübertretung des Klägers unter dem Einfluss eines Suchtmittels gehandelt habe. Auch wenn der Kläger seit Jahren nicht mehr im Zusammenhang mit Betäubungsmitteldelikten aufgefallen sei, sei im Hinblick auf die Wiederholungsgefahr im Zusammenhang mit Suchtmitteln eine Speicherung notwendig. Die geänderte Lebenssituation des Klägers sei dabei in die Abwägung eingestellt worden. Die Löschungsfrist für die KAN-Eintragungen berechne sich ohne diese Verkehrsordnungswidrigkeit nach der letzten Straftat, die mit der Haftentlassung am 17. Oktober 2014 erfasst worden sei, die Regellöschungsfrist laufe somit im Jahr 2024 ab (Aussonderungsprüfungsdatum 2024).
18
Die in der Vorgangsverwaltung (IGVP) gespeicherten Daten würden regelmäßig nach fünf Jahren gelöscht. Soweit sie im Zusammenhang mit Eintragungen im KAN stehen, würde sich die Löschungsfrist an der Löschung der KAN-Eintragung orientieren, um den Vorgang im System wiederauffindbar zu halten. Die Speicherung unter 2.3 dokumentiere die vom Kläger begangene Ordnungswidrigkeit, eine regelmäßige Löschung erfolge innerhalb der Frist von fünf Jahren. Die Eintragung unter Ziffer 2.18 enthalte keine Belastung für den Kläger, dieser sei darin ausdrücklich als Auskunftsperson erfasst.
19
Hinsichtlich des mit der Klage verfolgten Anspruchs auf die Löschung des personenbezogenen Hinweises („BtM-Konsument“) wurde nach der vom Beklagten mitgeteilten Löschung die Hauptsache von den Beteiligten übereinstimmend für erledigt erklärt. Das Verfahren wurde insoweit abgetrennt und mit Beschluss des Berichterstatters vom 18. Juli 2022 unter dem Aktenzeichen Au 8 K 22.1499 eingestellt.
20
Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 20. Mai 2022 für die Klägerseite und vom 26. April 2022 für die Beklagtenseite auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
21
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auch im Verfahren Au 8 K 22.1499, und der beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
22
Über die Klage konnte nach § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten darauf verzichtet haben.
23
Die zulässig erhobene Klage bleibt erfolglos. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 31. Januar 2022 ist - soweit nicht die bereits vom Beklagten mitgeteilten Löschungen im KAN betroffen sind - formell (dazu nachfolgend zu 1.) und materiell (dazu nachfolgend zu 2.) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger kann keinen Anspruch auf die begehrte Löschung der (noch bestehenden) Eintragungen im KAN und im IGVP geltend machen (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).
24
1. Der verfahrensgegenständliche Bescheid erweist sich als formell rechtmäßig, insbesondere leidet er nicht unter dem formellen Fehler einer unterbliebenen Anhörung gemäß Art. 28 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG).
25
a) Nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG ist vor dem Erlass eines Verwaltungsakts einem Beteiligten, in dessen Rechte der Verwaltungsakt eingreift, Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Für eine ordnungsgemäße Anhörung ist zumindest erforderlich, dass der Betroffene von der Einleitung des Verfahrens respektive von der Absicht, einen Verwaltungsakt zu erlassen, verständigt wird (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl. 2021, § 28 Rn. 19 f.).
26
Auch wenn eine derartige Anhörung des Klägers vor dem Erlass des streitgegenständlichen Bescheids nicht erfolgt ist, kann dieser Verfahrensmangel gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG durch die Nachholung der Anhörung im gerichtlichen Verfahren geheilt werden.
27
Die fehlende Anhörung kann nach dieser Norm bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Hierbei setzt Art. 45 BayVwVfG einen zeitlichen Rahmen ohne eine Regelung zur Art und Weise, wie die unterbliebene Verfahrenshandlung vorzunehmen ist, zu enthalten. Dass eine unterlassene Anhörung allein im Rahmen eines behördlichen Verwaltungsverfahrens nachgeholt werden kann, ist der Norm nicht zu entnehmen. Der Mangel kann ausnahmsweise auch durch verwaltungsprozessualen Schriftwechsel der Beteiligten oder Äußerungen der Beteiligten im gerichtlichen Verfahren geheilt werden, indem nicht die formelle Zugehörigkeit zu einem Verwaltungs- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahren, sondern die materielle Gleichwertigkeit der Anhörung entscheidend ist, zumal für die Anhörung in Art. 28 BayVwVfG keine bestimmte Form vorgeschrieben ist.
28
Damit ist entscheidend, dass der Sinn und Zweck der Anhörung gewahrt ist. Notwendig ist es somit, dass die Behörde das - wegen der fehlenden Anhörung im Verwaltungsverfahren - bislang noch nicht Vorgetragene zur Kenntnis nimmt, würdigt und erneut prüft, ob sie unter Berücksichtigung des Vorbringens an ihrer Verfügung festhält oder nicht, und schließlich dem Betroffenen das Ergebnis dieser (nunmehr erfolgten) Prüfung ausdrücklich oder sinngemäß mitteilt (vgl. BayVGH, B.v. 7.10.2014 - 22 ZB 14.1062 - juris Rn. 9 f.; BayVGH, B.v. 17.12.2015 - 20 CS 15.2677 - juris Rn. 3; vgl. zum Ganzen VG Würzburg, U.v. 29.3.2019 - W 9 K 18.476 - juris Rn. 31 f.).
29
b) Diesen Maßstäben entsprechend hat der Beklagte vorliegend im Nachgang zum Erlass des Bescheids vom 31. Januar 2022 das von der Bevollmächtigten des Klägers im gerichtlichen Verfahren (erstmals) Vorgetragene zur Kenntnis genommen und entsprechend gewürdigt. Soweit sich die tatsächliche Grundlage für die Entscheidung des Beklagten in Bezug auf die Drogenfreiheit des Klägers seit seiner Haftentlassung durch diesen Vortrag geändert hat, hat der Beklagte auf dieser (neuen) Grundlage den streitgegenständlichen Bescheid nochmals überprüft, dem Antragsbegehren teilweise stattgegeben und im Übrigen unter Abwägung mit dem nunmehr Vorgetragenen seine getroffene Entscheidung weiter begründet.
30
c) Damit sind die materiellen Anforderungen an die Nachholung der zunächst unterbliebenen Anhörung gewahrt, so dass eine Heilung gemäß der Regelung des Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG eingetreten ist.
31
2. Der angefochtene Bescheid vom 31. Januar 2022 ist - soweit nicht bereits Erledigung des Rechtsstreits hinsichtlich der ebenfalls beantragten Löschung des personenbezogenen Hinweises eingetreten ist - auch materiell rechtmäßig ergangen. Die Polizei hat die beantragten Löschungen im KAN (dazu nachfolgend zu a) und im IGVP (dazu nachfolgend zu b) zu Recht abgelehnt.
32
a) Ein subjektiver Anspruch des Klägers auf Löschung der im KAN gespeicherten Daten vor dem Ablauf der Regellöschungsfrist besteht nicht, der Beklagte hat diese Löschung in rechtlich nicht zu beanstandender Weise abgelehnt.
33
aa) Die polizeiliche Befugnis zur Datenspeicherung im KAN ergibt sich aus der Regelung des Art. 54 Abs. 2 Satz 1 PAG. Nach dieser Norm, die eine Spezialregelung zur generellen Befugnisnorm in Art. 54 Abs. 1 KAG für die Speicherung und Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Polizei enthält, ist die Speicherung personenbezogener „Daten, die die Polizei im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungsverfahren oder von Personen gewonnen hat, die verdächtig sind, eine Straftat begangen zu haben,“ in Polizeiakten erlaubt. Diese Speicherung muss sich auf die „Gefahrenabwehr in Form der Verhütung oder Unterbindung von Straftaten oder auf die Strafverfolgung beziehen“ (Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, PAG/POG, 5. Aufl. 2020, Art. 54 Rn. 1 f.).
34
Die im KAN enthaltenen Eintragungen betreffen die gegen den Kläger in den Jahren 2003 bis 2009 geführten strafrechtlichen Ermittlungen bzw. Verurteilungen. Die Speicherung dieser Daten ist damit zur Gefahrenabwehr zulässig.
35
bb) Der Anspruch auf die Löschung der in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (zu repressiven Zwecken) gewonnenen und für präventive Zwecke genutzten Daten nach Art. 54 Abs. 2 Satz 2 PAG entsteht, der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs folgend, wenn der dem jeweiligen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zugrundeliegende Tatverdacht (restlos) entfallen ist (vgl. zuletzt etwa BayVGH, B.v. 17.3.2022 - 10 ZB 21.3222 - juris Rn. 5 f.; stRspr). Dabei sind in Anwendung von Art. 54 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Art. 53 Abs. 5 PAG Termine für die Prüfung des Weiterbestehens des Tatverdachts bzw. der Aufbewahrungsfristen festzulegen, die bei Erwachsenen in der Regel zehn Jahre betragen. Der Fristbeginn für diese Regelfrist ist dabei während der Zeit der Inhaftierung „gesperrt“, der Lauf der Regelfrist beginnt erst mit der Entlassung des Betroffenen aus einer Justizvollzugsanstalt (Art. 54 Abs. 2 Satz 5 PAG).
36
Vorliegend besteht in Folge der (unstreitig) gegen den Kläger verhängten Freiheitsstrafen der zugrundeliegende Tatverdacht für die im Einzelnen im KAN gespeicherten Daten weiter. Nach der Haftentlassung des Klägers im Oktober 2014 ist auch die Regellöschungsfrist von zehn Jahren im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung noch nicht abgelaufen.
37
cc) Von dieser gesetzlichen Regellöschungsfrist ist auch nicht aufgrund des Verhaltens des Klägers nach der Haftentlassung abzuweichen. Die Ablehnung der Löschung der Daten im KAN führt zu keiner subjektiven Rechtsverletzung beim Kläger.
38
(1) Zwar stellen die in Art. 54 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Art. 53 Abs. 5 PAG gesetzlich vorgesehenen (Regel-)Löschungsfristen nur jeweils eine Höchstfrist dar, von der im Einzelfall nach unten abgewichen werden kann (zum Charakter der Löschungsfristen des Art. 54 Abs. 2 Satz 3 PAG als Regelhöchstfrist BayVerfGH, E.v. 19.10.1994 - Vf. 12-VII/92 u.a. - NVwZ 166/168 zur inhaltsgleichen Vorschrift des Art. 38 Abs. 2 Satz 3 PAG a.F.; ebenso BayVGH, B.v. 16.3.2020 - 10 ZB 19.423 - juris Rn. 1). Diesem Charakter korrespondiert der subjektive Rechtsanspruch des von den Eintragungen Betroffenen auf Prüfung der Erforderlichkeit der (weiteren) Speicherung auch vor Fristablauf im Einzelfall (Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, PAG/POG, Art. 54 Rn. 41).
39
(2) Diesem subjektiven Anspruch des Klägers auf Prüfung im Einzelfall ist der Beklagte im angefochtenen Bescheid nachgekommen, er hat in rechtlich nicht zu beanstandender Weise die Verkürzung der (Regel-)Löschungsfrist abgelehnt.
40
Die vom Kläger begangenen Straftaten stehen ganz wesentlich im Zusammenhang mit der bei ihm unstreitig in der Vergangenheit bestehenden Drogenabhängigkeit. Diesen Straftaten ist generell eine hohe Wiederholungsgefahr immanent, die sich im Einzelnen auch bereits in der Vergangenheit durch das strafrechtlich relevante Verhalten des Klägers realisiert hat. Der Beklagte hat deshalb eine weitere Speicherung der Daten im KAN als notwendig angesehen, was aufgrund des Vorgenannten gerichtlich nicht zu beanstanden ist.
41
Für diese weitere Speicherung hat der Beklagte auch berücksichtigt, dass nach den nunmehr im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Dokumenten von einer Drogenfreiheit des Klägers seit seiner Haftentlassung auszugehen ist. Allerdings hat der Beklagte zu Recht in seine Entscheidung zur Ablehnung der Löschung auch eingestellt, dass der Kläger zuletzt im Jahr 2021 im Zusammenhang mit einer Verkehrsordnungswidrigkeit, Alkoholkonsum beim Führen eines Fahrzeugs, in Erscheinung getreten ist. Auch wenn diesem Gesetzesverstoß kein Handeln im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln zugrunde gelegen hat, ergibt sich daraus nachvollziehbar weiter die Gefahr der missbräuchlichen Verwendung von Suchtmittel, zumal die vorgelegten Dokumente für den Kläger von einem vollständigen Alkoholverzicht seit 2009 ausgehen (vgl. K 8; Bl. 33 der Gerichtsakte).
42
(3) Die (Fortführung der) Speicherung erweist sich entgegen der Auffassung der Klägerseite auch als verhältnismäßig, was sich aus einer Abwägung des öffentlichen Interesses an der Gefahrenabwehr und vorbeugenden Straftatbekämpfung mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung des Klägers ergibt.
43
Zwar weist die Bevollmächtigte des Klägers unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des VG Ansbach (VG Ansbach, U.v. 24.8.2021 - AN 15 K 18.1958 - juris) zu Recht darauf hin, dass aufgrund des langen Zeitablaufs zwischen den im KAN gespeicherten strafrechtlichen Verurteilungen des Klägers und dem geltend gemachten Löschungsanspruch die weitere Speicherung bis zum Ablauf der Regellöschungsfrist der besonderen Rechtfertigung bedarf (a.a.O. Rn. 32). Allerdings ist es vorliegend in Abwägung mit der Bedeutung der vom Kläger begangenen Straftaten, der dadurch verletzten Rechtsgüter und der diesen Taten - auch unter Berücksichtigung der Drogenfreiheit des Klägers - immanenten generellen Wiederholungsgefahr gerichtlich nicht zu beanstanden (§ 114 Satz 1 VwGO), wenn der Beklagte der weiteren Speicherung den Vorrang einräumt.
44
In der Abwägung ist auch zu berücksichtigen, dass der Beklagte die mit einem erheblicheren Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Klägers verbundenen Speicherungen, das DNA-Identifizierungsmuster und den personenbezogenen Hinweis, bereits gelöscht hat. Die weitere Speicherung der Daten im KAN betrifft somit im Kern den - bis zum Ablauf der Löschungsfristen nachvollziehbaren - „umfassenden Überblick über die kriminellen Aktivitäten“ (VG Ansbach, U.v. 24.8.29021 - AN 15 K 18.1958 - juris Rn. 32) des Klägers in der Vergangenheit, die weiteren Speicherungen wurden bereits gelöscht.
45
Nicht zu beanstanden ist insoweit auch die Speicherung der Verkehrsordnungswidrigkeit. Auch wenn Ordnungswidrigkeiten regelmäßig nicht im KAN gespeichert werden, ist im konkreten Einzelfall im Hinblick auf den Zusammenhang mit einer Suchtmitteltat eine Speicherung sachgerecht. Dabei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass diese Speicherung nach der Mitteilung des Beklagten nicht an der Mitziehklausel des Art. 54 Abs. 2 Satz 6 PAG teilnimmt und diese Speicherung damit mit der Löschung der weiteren Eintragungen im KAN ebenfalls gelöscht wird.
46
b) Der Kläger kann auch keinen Anspruch auf die Löschung der in der Vorgangsverwaltung (IGVP) gespeicherten Daten geltend machen.
47
aa) Die Speicherung im IGVP findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 54 Abs. 1 PAG, wonach die Polizei personenbezogene Daten in Akten oder Dateien speichern und verarbeiten kann, soweit dies unter anderem (3. Alternative in Art. 54 Abs. 1 PAG) zur Vorgangsverwaltung erforderlich ist. Diese Polizeiakten (vgl. Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, PAG/POG, Art. 54 Rn. 2 und Rn. 13) dienen der Aufgabenerfüllung der Polizei, eine Verknüpfung mit dem Kriminalakt nach Art. 54 Abs. 2 Satz 1 PAG ist unzulässig (Schmidbauer a.a.O. Rn. 15).
48
Vorliegend hat der Beklagte die in den Ziffern 2.4 - 2.15 sowie in Ziffer 2.17 aufgeführten Vorgänge in Bezug auf die gegen den Kläger ergangenen strafrechtlichen Verurteilungen, die den Eintragungen im KAN zugrunde liegen, gespeichert. Für die (weitere) Zulässigkeit der Speicherungen gilt das oben zu a) Ausgeführte entsprechend, darauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.
49
In den Ziffern 2.1 - 2.2 hat die Polizei den der Verkehrsordnungswidrigkeit vom Juli 2021 zugrundeliegenden Sachverhalt erfasst, in Ziffer 2.3 eine Ordnungswidrigkeit nach dem Bayerischen Straßen- und Wegegesetz. Da eine Verknüpfung mit den Eintragungen im KAN nicht erfolgen darf, ist die Speicherung zur Vorgangsverwaltung zulässig (vgl. zur Funktion der Vorgangsverwaltung als „automatische Aktenregistratur“: Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, PAG/POG, Art. 54 Rn. 13; BayVGH, B.v. 25.1.2006 - 24 ZB 05.3074 - juris Rn. 36). In Ziffer 2.18 wurde der Kläger als Auskunftsperson zu einem Straßenverkehrsdelikt erfasst, der Vorgang ist somit im Rahmen der Aktenführung wieder auffindbar (vgl. BayVGH a.a.O.).
50
bb) Aus dem Recht des von der Datenspeicherung Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) folgt grundsätzlich ein Anspruch auf Löschung der über ihn gespeicherten Polizeidaten, soweit deren Aufbewahrung und Speicherung nicht auf gesetzlicher Grundlage gerechtfertigt ist. Diesen im Verfassungsrecht wurzelnden Rechtsanspruch hat der bayerische Gesetzgeber einfach-rechtlich für den Bereich der Polizeidaten allgemein in Art. 62 Abs. 2 Satz 1 PAG ausgestaltet. Danach sind personenbezogene Daten zu löschen, wenn ihre Erhebung oder weitere Verarbeitung unzulässig war (Nr. 1), sie zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung gelöscht werden müssen (Nr. 2) oder bei der zu bestimmten Fristen oder Terminen vorzunehmenden Überprüfung oder aus Anlass einer Einzelfallbearbeitung festgestellt wird, dass ihre Kenntnis für die speichernde Stelle zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben nicht mehr erforderlich ist (Nr. 3).
51
(1) Die in Art. 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HS. 1 PAG genannten (Regel-)Überprüfungsfristen und -termine betragen bei Erwachsenen zehn Jahre (vgl. Art. 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HS. 2 i.V.m. Art. 54 Abs. 2 Satz 3 PAG).
52
Da die in den Ziffern 2.4 - 2.15 und in Ziffer 2.17 enthaltenen Eintragungen in Bezug auf die Eintragungen im KAN erfolgt sind und der Kläger insoweit keinen Anspruch auf die Löschung dieser Eintragungen geltend machen kann (s.o. zu 2.a), ist auch ein Anspruch des Klägers auf die Löschung der Eintragungen im IGVP aus den oben genannten Gründen zu verneinen.
53
(2) Die weiteren Eintragungen in den Ziffern 2.1 - 2.2, 2.3 und 2.18 betreffen Vorgänge, die keine Beziehung zu den Speicherungen im KAN haben (Verkehrsordnungswidrigkeit; Ordnungswidrigkeit nach dem Bayerischen Straßen- und Wegegesetz; Erfassung des Klägers als Auskunftsperson).
54
Für diese Vorgänge geht der Beklagte selbst von einer verkürzten Löschungsfrist von fünf Jahren aus, ein weitergehender Anspruch des Klägers auf Löschung vor Ablauf dieser Frist ist nicht erkennbar. Die (bloße) Vorgangsverwaltung stellt insoweit keinen wesentlichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar, eine allgemeine Überprüfungsfrist von fünf Jahren ist von der Rechtsprechung als sachgerecht angesehen worden (vgl. BayVGH, B.v. 25.1.2006 - 24 ZB 05.3074 - juris Rn. 18).
55
3. Der Kläger trägt als unterlegener Teil nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens.
56
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.