Titel:
Keine Verfolgung in Nigeria
Normenketten:
AsylG § 3, § 4, § 30, § 36
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsätze:
1. Ein landesweiter innerstaatlicher Konflikt ist für Nigeria nicht festzustellen. Religiös motivierte Auseinandersetzungen zwischen christlichen und muslimischen Gruppen sind regional begrenzt und weisen nicht die Merkmale eines innerstaatlichen Konflikts auf. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch nach Nigeria zurückgeführte Personen, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden, werden bei einer Rückkehr keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nigeria, in Deutschland geborenes Kleinkind, Ablehnung des Asylantrags als „offensichtlich unbegründet“ (bestätigt), Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (verneint), subsidiärer Schutz (verneint), Abschiebungsverbote (verneint), Abschiebungsverbot, inländische Fluchtalternative, Flüchtlingsanerkennung, subsidiärer Schutz
Fundstelle:
BeckRS 2022, 30205
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen, gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unbegründet.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Anerkennung als Asylberechtigter, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die Gewährung subsidiären Schutzes bzw. hilfsweise die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten nach Nigeria bzw. in einen anderen aufnahmebereiten Staat.
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Der am ... 2021 in A. (Bundesrepublik Deutschland) geborene Kläger ist nigerianischer Staatsangehöriger mit Volkszugehörigkeit der I. und c. Glauben.
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Am 22. Februar 2022 wurde für den Kläger ein Asylantrag mit Eingangs des Schreibens der Ausländerbehörde vom 22. Februar 2022 aufgrund der Antragsfiktion des § 14a Abs. 2 Asylgesetz (AsylG) als gestellt erachtet. Eine Beschränkung des Asylantrages gemäß § 13 Abs. 2 AsylG auf die Zuerkennung internationalen Schutzes (Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutz) erfolgte im Verfahren nicht. Für den Kläger wurden keine eigenen individuellen Gründe geltend gemacht. Von einer persönlichen Anhörung des Klägers im Asylverfahren wurde gemäß § 24 Abs. 1 Satz 6 AsylG abgesehen.
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Mit Schreiben vom 24. Februar 2022 wurden die Eltern des Klägers aufgefordert, schriftlich zu eigenen Asylgründen des Klägers Stellung zu nehmen. Unter dem 10. März 2022 gaben die Eltern des Klägers eine zwar unterschriebene Erklärung ab, die jedoch keinen Individualbezug zu asylrechtlich relevanten Tatsachen des Klägers enthielt.
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Mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 5. April 2022 (Gz.: ...) wurden die Anträge des Klägers auf Asylanerkennung bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich unbegründet abgelehnt (Nrn. 1 und 2 des Bescheids). In Nr. 3 des Bescheids ist bestimmt, dass der Antrag auf Gewährung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) liegen nicht vor (Nr. 4). In Nr. 5 des Bescheids wird der Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Folgeleistung wurde dem Kläger die Abschiebung nach Nigeria bzw. in einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht. Nr. 6 des Bescheids ordnet das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristet es auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.
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Zur Begründung seiner Entscheidung führt das Bundesamt aus, dass beim Kläger die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes und die Anerkennung als Asylberechtigter offensichtlich nicht vorlägen. Der Kläger sei kein Flüchtling i.S.d. § 3 AsylG. Es bestehe auch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit staatlicher Verfolgung allein wegen der Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland. Auch die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG lägen nicht vor. Insbesondere bestehe in Nigeria kein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt i.S.d. § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG. Der Asylantrag werde darüber hinaus als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylG sei ein Asylantrag für einen nach dem Asylgesetz handlungsfähigen Ausländer als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn er gestellt worden sei oder nach § 14a AsylG als gestellt gelte, nachdem zuvor Asylanträge der Eltern oder des alleinpersonenberechtigten Elternteils unanfechtbar abgelehnt worden seien. Der Asylantrag der Eltern des Klägers sei am 31. Mai 2017 rechtskräftig abgelehnt worden. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse könne nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu bewerten sein und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) erfüllen. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Nigeria führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab sei nicht erfüllt. Beim Kläger läge auch kein Ausnahmefall vor. Die Eltern des Klägers seien ebenfalls zur Ausreise aus dem Bundesgebiet aufgefordert worden. Es sei daher davon auszugehen, dass der Kläger zusammen mit ihnen nach Nigeria zurückkehren könne. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Klägers sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch eine Abschiebung nicht beachtlich. Individuelle gefahrerhöhende Umstände seien für den Kläger weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 36 Abs. 1 AsylG. Nr. 6 des Bescheids ordnet das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristet es gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Diese Befristung sei vorliegend angemessen.
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Auf den weiteren Inhalt des Bescheids des Bundesamts vom 5. April 2022 wird ergänzend verwiesen.
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Der vorbezeichnete Bescheid wurde der gesetzlichen Vertreterin des Klägers am 13. April 2022 mit Postzustellungsurkunde bekannt gegeben.
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Der Kläger bzw. dessen gesetzliche Vertreterin hat am 20. April 2022 zur Niederschrift beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg Klage gegen den vorbezeichneten Bescheid erhoben und sinngemäß beantragt,
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1. Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, ihm subsidiären Schutz zu gewähren bzw. hilfsweise festzustellen, dass für ihn nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Nigeria vorliegen.
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2. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 5. April 2022 wird aufgehoben, soweit er der o.g. Verpflichtung entgegensteht.
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Zur Begründung wurde auf die Anhörung im Asylverfahren Bezug genommen. Eine weitergehende Begründung der Klage ist nicht erfolgt.
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Ein vom Kläger gestellter Antrag vorläufigen Rechtsschutzes (Az.: Au 9 S 22.30466) wurde mit Gerichtsbeschluss vom 28. April 2022 abgelehnt. Auf die Gründe dieser Entscheidung wird verwiesen.
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Das Bundesamt ist der Klage für die Klage mit Schriftsatz vom 28. April 2022 entgegengetreten und beantragt,
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Zur Begründung wurde auf die mit der Klage angegriffene Entscheidung Bezug genommen.
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Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg vom 26. April 2022 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Am 30. Mai 2022 fand die mündliche Verhandlung statt. Für den Hergang der Sitzung wird auf das hierüber gefertigte Protokoll Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und auf die von der Beklagten vorgelegte Verfahrensakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage des Klägers verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beteiligten an der mündlichen Verhandlung vom 30. Mai 2022 teilgenommen haben. Auf den Umstand, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Beteiligten sind zur mündlichen Verhandlung vom 30. Mai 2022 form- und fristgerecht geladen worden.
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Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Zurecht ist das Bundesamt in dem mit der Klage angegriffenen Bescheid vom 5. April 2022 davon ausgegangen, dass der vom Kläger gestellte Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes (Asylanerkennung, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, subsidiärer Schutz) als offensichtlich unbegründet im Sinne des § 30 Abs. 1 AsylG abzulehnen war. Der Kläger besitzt keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§§ 3 ff. AsylG), auf Gewährung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG). Auch liegen in seiner Person die Voraussetzungen für ein nationales Abschiebungsverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vor. Insoweit war die Klage des Klägers als einfach unbegründet abzuweisen.
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1. Es bestehen hier keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der mit Bescheid des Bundesamts vom 5. April 2022 erfolgten Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet (§ 30 Abs. 1, 2 AsylG). Im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) bestehen an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Bundesamts vernünftigerweise keine Zweifel, so dass sich die Ablehnung des Asylantrags nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG [Kammer], B.v. 20.9.2001 - 2 BvR 1392/00; BVerfG [Kammer], B.v. 3.9.1996 - 2 BvR 2353/95 - beide juris). Der Asylantrag war als offensichtlich unbegründet abzulehnen, weil beim Kläger offensichtlich keine Gründe vorliegen, die für die Zuerkennung von Asyl oder internationalem Schutz relevant sind und auch (zielstaatsbezogene) Abschiebungshindernisse nicht vorliegen.
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Mit dem Bundesamt ist das erkennende Gericht der Auffassung, dass sich beim Kläger die Ablehnung des Antrags auf Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a Grundgesetz - GG) bzw. auf Gewährung internationalen Schutzes (Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutz) geradezu aufdrängt.
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Der Asylantrag war als offensichtlich unbegründet abzulehnen, weil bei dem Kläger im Ergebnis offensichtlich keine Gründe vorliegen, die für die Zuerkennung von asyl- oder internationalem Schutz (§ 3 AsylG) relevant sind. Derartige Gründe wurden für den Kläger bereits nicht vorgetragen. Bezogen auf den Kläger ist gerade nicht dargelegt, dass für diesen eine erstmalige Einreise nach Nigeria aus begründeter Furcht vor Verfolgung, seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) ausgeschlossen wäre. Eigene relevante Asylgründe sind für den Kläger nicht geltend gemacht.
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Damit liegen nach Auffassung des Gerichts die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 AsylG vor, wonach ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen ist, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen.
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Die Klage des Klägers war daher bezogen auf seinen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes in Form der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich unbegründet abzuweisen.
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2. Zu Gunsten des Klägers liegen aber auch die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt) offensichtlich nicht vor.
28
Ein landesweiter innerstaatlicher Konflikt ist für den Herkunftsstaat des Klägers nicht festzustellen. Ein solcher kann auch nicht im Hinblick auf die religiös motivierten Auseinandersetzungen in Nigeria angenommen werden. Die insoweit immer wieder aufkommenden, gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen christlichen und muslimischen Gruppen bzw. die Angriffe und Auseinandersetzungen mit der Gruppierung „B. H.“ sind überwiegend regional begrenzt und weisen nicht die Merkmale eines innerstaatlichen Konflikts im Sinne der Vorschrift auf. Eine landesweite Verübung von Terrorakten durch die Organisation „B. H.“ findet nicht statt (vgl. dazu: AA, Lageberichte von Nigeria vom 22. Februar 2022, 16. Januar 2020, 10. Dezember 2018, 21. Januar 2018, 26. November 2016, 28. November 2014, jew. Zusammenfassung S. 5). Vielmehr konzentrieren sich die Auseinandersetzungen hauptsächlich auf den Norden bzw. Nordosten Nigerias.
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Der Kläger wäre zusammen mit seiner ebenfalls ausreisepflichtigen Mutter und Erziehungsberechtigten bzw. seinen Eltern daher in der Lage, diesen Konflikten durch Rückkehr in weniger gefährdete Gebiete im Sinne eines internen Schutzes (§ 3e AsylG) aus dem Weg zu gehen.
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3. Auch an der Rechtmäßigkeit der Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, bestehen im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) keine Zweifel. Insoweit war die Klage des Klägers als einfach unbegründet abzuweisen.
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Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung kann sich aus einer allgemeinen Situation der Gewalt im Zielstaat ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beidem (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2018 - 13a B 18.30632 - juris Rn. 26; BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 25).
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Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen. Dies ist immer dann anzunehmen, wenn diese Verhältnisse ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger nichtstaatlicher Akteure, die dem Staat zurechenbar sind, beruhen, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will (EGMR, U.v. 21.1.2011 - 30696/09 - NVwZ 2011, 413; U.v. 28.6.2011 - 8319/07 und 11449/07 - NVwZ 2012, 681). Aber auch dann, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, weil es an einem verantwortlichen Akteur fehlt und „nichtstaatliche“ Gefahren für Leib und Leben im Zielgebiet aufgrund prekärer Lebensbedingungen vorliegen, können schlechte humanitäre Bedingungen im Zielgebiet dennoch in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK als unmenschliche Behandlung zu qualifizieren sein (VGH BW, U.v. 24.7.2013 - A 11 S 697/13 - juris Rn. 79 ff.).
33
Schlechte humanitäre Verhältnisse können somit nur in ganz „besonderen Ausnahmefällen“ Art. 3 EMRK verletzen, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen eine Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2018 - 13a B 18.30632 - juris Rn. 26).
34
Dabei können Ausländer aber grundsätzlich kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach der Rechtsprechung allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Denn Art. 3 EMRK verpflichtet die Staaten nicht, Unterschiede im Fortschritt in der Medizin sowie Interschiede in sozialen und wirtschaftlichen Standards durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu beseitigen (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - juris Rn. 23). Nur in ganz außergewöhnlichen Fällen können auch schlechte humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe zwingend gegen eine Aufenthaltsbeendigung sprechen, wie beispielsweise im Fall einer tödlichen Erkrankung im fortgeschrittenen Stadium, wenn im Zielstaat diesbezüglich keine Unterstützung besteht (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - juris Rn. 23 ff.).
35
Dies zugrunde gelegt ist zu Gunsten des Klägers ein Abschiebeverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht gegeben. Bei einer naheliegenden und vom Gericht unterstellen Rückkehr des Klägers zusammen mit seiner ebenfalls ausreisepflichtigen Mutter bzw. seinen Eltern liegen die Voraussetzungen für die Gewährung eines zielstaatsbezogenen Abschiebeverbots nicht vor. Überdies bleibt festzustellen, dass auch nach Nigeria zurückgeführte Personen, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden, bei einer Rückkehr keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet werden. Eine gemeinsame Rückkehr des Klägers zusammen mit seinen Eltern bzw. seiner erziehungsberechtigten Mutter erscheint für das Gericht naheliegend. Bezüglich einer gemeinsamen Rückkehr ist auf die Vorschrift des § 43 Abs. 3 Satz 1 AsylG zu verweisen, wonach bei gleichzeitiger Asylantragstellung von Familienangehörigen i.S.d. § 26 Abs. 1 bis 3 AsylG die Ausländerbehörde die Abschiebung vorübergehend aussetzen kann, um eine gemeinsame Ausreise der Familie zu ermöglichen.
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Schließlich liegen auch die Voraussetzungen für ein Abschiebeverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vor. Diesbezüglich fehlt es bereits an einem berücksichtigungsfähigen Vortrag des Klägers. Nennenswerte gesundheitliche Einschränkungen sind im Verfahren nicht geltend gemacht worden. Überdies gewährt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage keinen weitergehenden Schutz als es § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK tut. Liegen also - wie hier - die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus.
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Dies gilt auch unter Berücksichtigung der sich wohl auch in A. ausbreitenden Corona-Pandemie. Auch dieser Umstand ist nicht geeignet, zur Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu führen. Insoweit gilt es die Vorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG zu beachten. Danach sind Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nur bei einer Anordnung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Eine derartige allgemeine Entscheidung hinsichtlich des Zielstaats Nigeria i.S.d. § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG liegt derzeit nicht vor. Eine persönliche Betroffenheit von der Krankheit selbst hat der Kläger bzw. dessen gesetzliche Vertreterin nicht aufgezeigt. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Gesundheitsschäden ausgeliefert wäre. Davon kann nicht ausgegangen werden. Insbesondere in Bezug auf den Kläger ist zu berücksichtigen, dass die Erkrankungen bei Kindern seltener und in der Regel mild verlaufen (vgl. https://www.rki.de/DE/content/infaz-n/neuartiges:_coronavirus/steckbrief.html#boc 13776792body2.)
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Im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sind überdies in Nigeria lediglich 256.028 Corona-Fälle bestätigt, wovon 250.036 Personen genesen sind und es lediglich zu 3.143 Todesfällen gekommen ist (Quelle: Covid19.n..., Stand: 30.05.2022). Demnach handelt es sich um eine lediglich abstrakte Gefährdung, der im Rahmen des § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu begegnen ist. Dieser Umstand ist daher nicht geeignet, für den Kläger ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu begründen.
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4. Die auf die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende Ausreiseaufforderung der einwöchigen Ausreisefrist und die gleichzeitig erfolgte Abschiebungsandrohung nach §§ 34, 36 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG sind demnach ebenfalls nicht zu beanstanden.
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Gleiches gilt in Bezug auf das in Nr. 6. des mit der Klage angegriffenen Bescheids verfügten gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf der Grundlage von § 11 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG. Die Beklagte hat insoweit zutreffend das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG auf die Dauer von 30 Monaten befristet. Diese Befristungsentscheidung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Beklagte hat insoweit das ihr zukommende Ermessen erkannt und im Rahmen der gerichtlich eingeschränkten Prüfung des § 114 VwGO ordnungsgemäß ausgeübt. Einwände wurden hiergegen auch nicht erhoben.
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5. Nach allem war die Klage demnach in Bezug auf den gestellten Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes als offensichtlich unbegründet abzuweisen. Im Übrigen war die Klage als einfach unbegründet abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.
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Das Urteil ist gemäß § 78 Abs. 1 Satz 2 AsylG unanfechtbar.