Titel:
Jagdrechtliche Eignung - Eignungsgutachten nach § 6 Abs. 2 WaffG
Normenketten:
BJagdG § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
WaffG § 6 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3, Abs. 2
AWaffV § 4 Abs. 5
Leitsätze:
1. Nach der gesetzlichen Konzeption obliegt es dem Betroffenen, Bedenken gegen seine Eignung auszuräumen. Gelingt ihm dies nicht, so erfüllt er die Voraussetzungen für jagdrechtliche Erlaubnisse nicht (§ 17 Abs. 1 S. 2 BJagdG, § 6 Abs. 1 WaffG) und ist so lange als ungeeignet im Umgang mit Waffen und Munition anzusehen, bis er die behördlicherseits berechtigt bestehenden Zweifel an seiner Eignung mittels eines positiven Gutachtens ausräumen kann. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Da die Waffenbehörde die rechtlich relevante Entscheidung über das Vorliegen der Eignung zu treffen hat und es keinen Anerkennungsautomatismus hinsichtlich des Ergebnisses eines Gutachtens geben kann, fordert § 4 Abs. 5 S. 2 Hs. 2 AWaffV, dass das Vorgehen des Gutachters allgemeinverständlich und in groben Zügen offengelegt wird, damit die zuständige Behörde - und im Streitfall auch die Gerichte - den Weg des Gutachters zu seinem Ergebnis in einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ nachvollziehen kann. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erteilung eines Jagdscheins, Remittierte psychische Erkrankungen, Beibringung eines fachärztlichen Gutachtens zur Ausräumung von Bedenken gegen die persönliche Eignung, Anforderungen an ein fachärztliches Gutachten, Jagdrechtliche Eignung, Eignungsgutachten gem. § 6 Abs. 2 WaffG, Remittierte Psychose, Waffenrechtliche Eignung, Persönliche Eignung, Eignungsgutachten, Freiburger Persönlichkeitsinventar, psychische Erkrankung, Gefahrenprognose, Waffenbehörde
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 15.02.2023 – 24 ZB 22.2088
Fundstelle:
BeckRS 2022, 30196
Tenor
I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 26. Januar 2022 (Gz. ...) verpflichtet, dem Kläger den von ihm beantragten Dreijahresjagdschein zu erteilen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt unter Aufhebung eines dahingehend ablehnenden Bescheids der Unteren Jagdbehörde die Wiedererteilung eines Jagdscheins.
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Der Kläger war seit 2001 im Besitz eines Jagdscheines und seit 2004 zweier Waffenbesitzkarten. Nachdem der Kläger mit einer Trunkenheit im Straßenverkehr am 15. April 2012 aufgefallen und sich in einer psychiatrischen Universitätsklinik vom 12. bis 25. November 2015 (ICD 10: F 23.2 akute schizophrenieforme psychotische Störung, F 20.0 Paranoide Schizophrenie) und in einer weiteren psychiatrischen Klinik mit Beschluss einer Unterbringung vom 26. Februar bis 25. März 2018 (ICD 10: F 20.0 Paranoide Schizophrenie) aufgehalten hat, wurden dem Kläger mit Bescheid vom 19. November 2018 die waffenrechtlichen Erlaubnisse widerrufen, nachdem dieser das zuvor angeforderte Fachgutachten zur persönlichen Eignung nicht beigebracht hatte.
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Unter dem 15. März 2021 beantragte der Kläger die (Wieder-)Erteilung eines Jagdscheins. In Abstimmung mit der zuständigen Waffenbehörde holte der Kläger im Mai/Juni 2021 ein fachärztliches Gutachten über seine persönliche Eignung ein.
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Unter dem 5. Juli 2021 kam der Diplom-Psychologe L. in seinem Gutachten über eine Untersuchung auf Basis des § 6 WaffG zu dem Ergebnis, dass „zum Zeitpunkt der Untersuchung (…) bei [dem Kläger] aus [seiner] fachlichen Sicht keine Nichteignung im Sinne der behandelten Fragestellung festgestellt werden [konnte]. [Der Kläger] ist daher im Sinne des § 6 WaffG geeignet zum Umgang mit Waffen und Munition. Er besitzt die geistige und körperliche Eignung zur Ausübung der Jagd gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 2 BJagdG“.
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Auf das Gutachten wird im Einzelnen verwiesen.
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Mit Schreiben vom 19. August 2021 hörte das Landratsamt den Kläger zur beabsichtigten Ablehnung des Antrags auf Wiedererteilung eines Jagdscheines an. In dem Gutachten sei auch berichtet, dass der Kläger sich bei Stresssituationen in psychologische Beratung begebe und notfalls auch das während der psychiatrischen Behandlung verabreichte Medikament Olanzapin wieder einnehmen werde. Diese möglichen und nicht vorhersehbaren Gesundheitsstörungen könnten einen negativen Einfluss auf den Umgang mit Waffen haben und ein Restrisiko darstellen, welches im Waffenrecht nicht hingenommen werden könne. Im Rahmen der Zuverlässigkeitsabfrage sei zudem mitgeteilt worden, dass ein Verfahren wegen vorsätzlicher Körperverletzung eingeleitet worden sei, nachdem der Kläger am 3. Oktober 2020 betrunken nach Hause gekommen sei und in einem Streit versucht habe, den Lebensgefährten seiner Mutter mit einer Soft-Air-Waffe zu bedrohen. Dabei sei auch erforderlich gewesen, den Kläger in Sicherheitsgewahrsam zu nehmen.
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Diese Ausführungen ließen den Schluss zu, dass durch das Verhalten des Klägers die konkrete Gefahr einer Selbst- und Fremdgefährdung bestehen könne. Es bestünden daher erhebliche Bedenken, dass der Kläger Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden werde (§ 17 Abs. 3 Nr. 1 BJagdG).
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Der Kläger nahm hierzu Stellung und teilte mit, dass er mit der Streitigkeit am 3. Oktober 2020 und der daraus resultierenden Anzeige nichts zu tun habe. Ein Nachbar im selben Haus habe Streit mit dessen Familie gehabt. Der Kläger sei lediglich dazu gekommen. Der Nachbar habe Anzeige erstattet. Der Kläger reichte zudem eine Ergänzung vom 26. August 2021 zum o.g. Gutachten vom 5. Juli 2021 ein.
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Mit Schreiben vom 30. September 2021 nahm der Kläger weiter dahingehend Stellung, dass er in Stresssituationen weder in psychologische Behandlung, noch das Medikament Olanzapin einnehmen müsse. Aus Sicht der Ärzte sei keine Behandlung mehr nötig. Es sei eine gute Rückfallprophylaxe erarbeitet worden. Das Risiko sei bei einer Person, die über keine Rückfallprophylaxe verfüge, weitaus höher und bei dem Kläger mit dem der Allgemeinbevölkerung vergleichbar. Die strafrechtlichen Vorwürfe hätten sich zwischenzeitlich als falsch herausgestellt.
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Mit Schreiben vom 4. November 2021 hörte das Landratsamt den Kläger erneut zu einer beabsichtigten Ablehnung des Antrags auf Wiedererteilung eines Jagdscheines an. Auch bei derzeitiger Symptomfreiheit könne beim Kläger das Auftreten von Stresssituationen nicht völlig ausgeschlossen werden. Eine mögliche Einnahme von Psychopharmaka in Stresssituationen schließe einen Waffenbesitz jedoch aus und stelle ein nicht kalkulierbares Restrisiko dar, das im Waffenrecht nicht hingenommen werden könne. Ein Waffenbesitz mit Auflagen komme nicht in Betracht Es fehle die erforderliche persönliche Eignung nach den jagd- und waffenrechtlichen Vorschriften.
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Der Kläger ließ hierzu durch seinen bevollmächtigten Rechtsanwalt Stellung nehmen, dass das vorgelegte Gutachten und dessen Ergänzung eindeutig ergebe, dass der Kläger über die nötige Zuverlässigkeit und körperliche Eignung verfüge. Eine davon abweichende Interpretation durch die Waffenbehörde sei weder fachlich zutreffend noch rechtlich begründet. Der Kläger sei seit mehr als drei Jahren ohne jede psychische und körperliche Symptomatik und seit über zweieinhalb Jahren ohne jede Medikation. Eine mögliche Einnahme von Psychopharmaka stehe aufgrund der festgestellten gesundheitlichen Situation des Klägers nicht im Raum.
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Mit Bescheid vom 26. Januar 2022 lehnte der Beklagte die Erteilung eines Dreijahresjagdscheines ab (Ziffer 1) und erlegte dem Kläger die Kosten auf (Ziffer 2).
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Zur Begründung ist wie im Anhörungsschreiben - mit Ausnahme des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens - im Wesentlichen wiederholend und vertiefend angeführt, dass der Begriff „psychisch krank“ in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WaffG zwar einschränkend dahingehend auszulegen sei, dass nicht ausnahmslos alle auch nur leichtgradigen psychischen Störungen, bei denen negative Auswirkungen auf den Umgang mit Waffen nicht zu befürchten seien, erfasst seien und damit zum absoluten Ausschluss der persönlichen Eignung führen sollten. Allerdings seien aufgrund des Telos keine überhöhten Anforderungen an Art und Intensität der psychischen Störung und die damit verbundenen Auswirkungen auf den Umgang mit Waffen zu stellen. Im Bereich des Waffenrechts dürfe kein Restrisiko hingenommen werden. Bereits 2015 sei der Kläger mehrere Tage stationär in einer psychiatrischen Universitätsklinik behandelt worden, was der Waffenbehörde nicht mitgeteilt worden sei. Der Stellungnahme der psychiatrischen Ambulanz des Bezirkskrankenhauses G. vom 29. März 2021 sei zwar ausweislich des vorgelegten Gutachtens zu entnehmen, dass von einer stabilen Remission ohne weitere Medikamentengabe ausgegangen werde. Als Remission bezeichne man das Nachlassen von bestimmten Krankheitssymptomen, ohne dass die Genesung eintrete. Von einer sicheren Beherrschung der Erkrankung des Klägers könne nicht ausgegangen werden. Die Waffenbehörde habe ein Gutachten stets dahingehend zu prüfen, ob ein eindeutiges Urteil hinsichtlich der Eignung oder Nichteignung abgegeben worden sei. Diesen Anforderungen werde das Gutachten vom 5. Juli 2021 nicht gerecht, da dort auch festgestellt werde, dass sich der Kläger im Rahmen einer erarbeiteten Rückfallprophylaxe erforderlichenfalls in psychologische Beratung begeben und erneut Psychopharmaka einnehmen werde. Damit werde die erforderliche Feststellung einer uneingeschränkten und eindeutigen waffenrechtlichen Eignung des Klägers nicht getroffen. Die Einnahme derartiger Medikamente schließe einen Umgang mit Waffen und Munition regelmäßig aus. Auch die Ergänzung vom 26. August 2021, dass der Kläger bei einem erneuten Auftreten seiner Symptome seine Waffen ohne behördliches Eingreifen auf Jagdkameraden übertragen werde, reiche hier nicht bzw. sei als Auflage für einen Waffenbesitz unzulässig. Der Vergleich mit der Allgemeinbevölkerung führe ebenfalls zu keiner anderen Entscheidung. Das Waffengesetz stelle sehr hohe Anforderungen an die Zuverlässigkeit und die persönliche Eignung von Personen, die mit Waffen umgehen dürfen. Bei dem Kläger lägen Gesundheitsstörungen vor, die einen negativen Einfluss auf den Umgang mit Waffen haben könnten. Es bestehe daher durch den Kläger beim Umgang mit Waffen und Munition evtl. eine konkrete Gefahr einer Eigen- und Fremdgefährdung. Die persönliche Eignung des Klägers zum Umgang mit und Besitz von Waffen und Munition sei daher gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3 WaffG nicht gegeben. Ausnahmen von der Regelvermutung kämen praktisch nicht in Betracht. Das Interesse der Allgemeinheit vor den Folgen des Waffenbesitzes durch Personen, an deren Eignung Zweifel fortbestehen, würden schwerer wiegen als nachteilige Folgen für das Jagdhobbyinteresse eines Privaten. Das Vorliegen der waffenrechtlichen Zuverlässigkeits- und Eignungsanforderungen sei zugleich auch Erteilungsvoraussetzung für einen Jagdschein. Dem Kläger fehle die körperliche Eignung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BJagdG.
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Hiergegen ließ der Kläger am 10. Februar 2022 Klage erheben und beantragen,
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I. Der Bescheid des Landratsamtes ... vom 26. Januar 2022 wird aufgehoben.
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II. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger den von ihm beantragten Dreijahresjagdschein, hilfsweise einen Jahresjagdschein, zu erteilen.
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Zur Begründung ist im Wesentlichen vorgetragen, Gründe für eine Versagung des Jagdscheins lägen nicht vor. Der Kläger sei weder psychisch krank, noch bestehe die konkrete Gefahr einer Fremd- oder Selbstgefährdung. Die vor sechs Jahren diagnostizierte schizophrene Psychose habe nach den Feststellungen des Gutachters L. eine vollständige Remission erfahren. Dabei seien sämtliche medizinischen Berichte vollumfänglich gewürdigt worden. Auch die behandelnden Fachärzte der psychiatrischen Klinik G. sähen den Kläger in ihrem Arztbericht vom 19. Mai 2021 als vollständig remittiert ohne Notwendigkeit einer medizinischen Weiterversorgung an. Schließlich bestätige auch Dipl.-Psychologe F. in seinem Bericht vom 27. April 2020, dass der Kläger im gesunden Zustand über die charakterlichen, physischen und ethischen Voraussetzungen verfüge, wie sie für Führerschein, Jagdschein bzw. Waffenbesitzkarte Voraussetzung seien. Nach den Feststellungen des Gutachters L. sei zwischenzeitlich eine vollständige Gesundung des Klägers eingetreten. Der Kläger sei uneingeschränkt zum Umgang mit Waffen und Munition geeignet und besitze die geistige und körperliche Eignung zur Ausübung der Jagd. Eine mögliche Einnahme von Psychopharmaka stehe aufgrund der festgestellten gesundheitlichen Situation des Klägers nicht im Raum und sei auch zukünftig nicht zu erwarten. Anhaltspunkte für die Gefahr einer gesundheitlichen Verschlechterung seien nach der gutachterlichen Einschätzung nicht gegeben. Hypothetische Fragestellungen bzgl. einer fiktiven Gesundheitsverschlechterung seien nicht angezeigt. Dem Beklagten fehle der medizinische Sachverstand, um eigenständige medizinische Bewertungen auf dem psychologischen Fachgebiet vornehmen zu können. „Praktizieren seit Ende 2019“ meine lediglich die Anwendung allgemeiner Entspannungsstrategien bei Stress und starker Arbeitsbelastung. Dass der Kläger vollumfänglich zuverlässig sei, zeige sich auch bei seiner Aufgabenwahrnehmung und Verantwortung im Arbeitsleben. Der Kläger sei Alleingesellschafter und Geschäftsführer eines Industrietechnikunternehmens mit fünf Angestellten.
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Die Beklagte beantragt,
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Zur Begründung ist im Wesentlichen angeführt, das Gutachten vom 5. Juli 2021 inkl. dessen Ergänzung vom 26. August 2021 erfülle nicht die methodischen Anforderungen, da widersprüchliche Aussagen enthalten seien. Zum einen werde angeführt, dass der gesunde Zustand nunmehr eingetreten sei und es würden die Geeignetheit bzw. geistige und körperliche Eignung des Klägers festgestellt. Zum Anderen würden vom Kläger jedoch seit 2019 Vermeidungsstrategien praktiziert. Dies bedeute dabei nach dem Wortlaut nicht das bloße Vorhandensein einer Vermeidungsstrategie etwa für unwahrscheinliche Notfälle, sondern meine die konkrete Anwendung. Dazu in Widerspruch stehe die Aussage, dass seit 2018 keine erneute Anflutung von Unruhe erfolgt sei. Exazerbation bedeute zudem die deutliche Verschlimmerung der Symptome einer bereits bestehenden, in der Regel chronischen Erkrankung. Das Gutachten sei auch nicht in sich stimmig, weil nicht nachvollziehbar sei, wie in einer Situation wie vor dem Ladengeschäft, als der Kläger auf die Straße gelaufen sei, als Gegenmaßnahmen Auszeiten oder das Beiseitelegen des Handys in Betracht kämen. Die beschriebene Rückfallprophylaxe könne in einer Situation, in der sich die Ereignisse überschlagen, nicht zum Tragen kommen.
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Der Hinweis, dass der Kläger sich in Stresssituationen in psychologische Behandlung begeben solle und ihm das in der Vergangenheit bereits verabreichte Medikament Olanzapin wieder verabreicht werden könne, deute darauf hin, dass der Gutachter einen entsprechenden Rückfall zwar für unwahrscheinlich, aber nicht für gänzlich ausgeschlossen halte. Somit liege eine uneingeschränkte und eindeutige Eignung für die Erteilung eines Jagdscheines nicht vor. Dass der Kläger seit drei Jahren ohne jede Medikation sei, treffe nicht zu. Im Gutachten vom 5. Juli 2021 werde auf Seite 6 eine Aussage zitiert, dass die Medikation im Juni 2020 abgesetzt worden sei. Ein Vergleich des Klägers mit der Allgemeinbevölkerung führe ebenfalls zu keiner anderen Entscheidung. Das Jagdrecht stelle ebenso wie das Waffenrecht sehr hohe Anforderungen an die persönliche Eignung von Personen, die mit Waffen umgehen dürfen. Ein Restrisiko dürfe nicht hingenommen werden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakte sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist bereits im Hauptantrag begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 26. Januar 2022 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf die Erteilung des von ihm beantragten Drei-Jahres-Jagdschein (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Versagungsgründe liegen nicht (mehr) vor.
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1. Der Jagdschein ist gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BJagdG Personen zu versagen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie die erforderliche körperliche Eignung nicht besitzen. Fehlt die persönliche Eignung im Sinne § 6 WaffG, darf nur ein Jagdschein nach § 15 Abs. 7 BJagdG erteilt werden (§ 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG). Gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3 WaffG besitzen Personen die erforderliche persönliche Eignung nicht, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie psychisch krank oder debil sind (Nr. 2) oder auf Grund in der Person liegender Umstände mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren können oder dass die konkrete Gefahr einer Fremd- oder Selbstgefährdung besteht (Nr. 3). Sind Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die persönliche Eignung im vorgenannten Sinn begründen, so hat die zuständige Behörde nach § 6 Abs. 2 WaffG dem Betroffenen auf seine Kosten die Vorlage eines amts- oder fachärztlichen oder fachpsychologischen Zeugnisses über die geistige oder körperliche Eignung aufzuerlegen. Die Beibringung eines solchen Gutachtens hat der Beklagte aufgrund der Vorgeschichte des Klägers diesem zurecht auferlegt, der Kläger hat das geforderte Gutachten im Verwaltungsverfahren vorgelegt.
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Der Kläger besitzt zur Überzeugung des Gerichts aufgrund des im Rahmen der Beantragung des Jagdscheins vorgelegten Gutachtens vom 5. Juli 2021 die persönliche Eignung gem. § 6 WaffG bzw. die körperliche Eignung gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BJagdG zur Erteilung eines Jagdscheins. Eine konkrete Gefahr einer Fremd- oder Selbstgefährdung liegt ausweislich des genannten Gutachtens ebenfalls nicht vor.
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Nach der gesetzlichen Konzeption obliegt es dem Kläger, Bedenken gegen seine Eignung auszuräumen. Gelingt ihm dies nicht, so erfüllt er die Voraussetzungen für jagdrechtliche Erlaubnisse nicht (§ 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG, § 6 Abs. 1 WaffG) und ist so lange als ungeeignet im Umgang mit Waffen und Munition anzusehen, bis er die behördlicherseits berechtigt bestehenden Zweifel an seiner Eignung mittels eines positiven Gutachtens ausräumen kann. Der Betroffene hat somit eine Vorlagepflicht, die sich jedoch nicht darauf beschränkt (irgend-)ein Gutachten vorzulegen, sondern er muss ein Gutachten vorlegen, das die berechtigten Eignungsbedenken der Behörde zerstreut, ansonsten ist der Kläger für jagdrechtliche Erlaubnisse ungeeignet (vgl. VG Würzburg, U. v. 23.6.2016 - W 5 K 16.133 - juris Rn. 30).
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Das streitgegenständliche Gutachten erfüllt die Voraussetzungen des § 4 Abs. 5 Sätze 1 und 2 AWaffV und war daher geeignet, die Zweifel des Landratsamts auszuräumen. Nach § 4 Abs. 5 Satz 2 AWaffV muss das Gutachten darüber Auskunft geben, ob der Betroffene persönlich ungeeignet ist, mit Waffen oder Munition umzugehen; die bei der Erstellung des Gutachtens angewandte Methode muss angegeben werden. Da die Waffenbehörde die rechtlich relevante Entscheidung über das Vorliegen der Eignung zu treffen hat und es keinen Anerkennungsautomatismus hinsichtlich des Ergebnisses eines Gutachtens geben kann, fordert § 4 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 AWaffV, dass das Vorgehen des Gutachters allgemeinverständlich und in groben Zügen offengelegt wird, damit die zuständige Behörde - und im Streitfall auch die Gerichte - den Weg des Gutachters zu seinem Ergebnis in einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ nachvollziehen kann (vgl. Heller/Soschinka/Rabe, Waffenrecht, 4. Aufl. 2020, Rn. 814). Die zuständige Behörde muss sich also nicht mit dem Ergebnis des Gutachtens zufriedengeben, sondern hat ein Recht darauf, die tragende Begründung zu erfahren, wozu jedenfalls gehört, dass die getroffenen Schlussfolgerungen einzelfallbezogen und in verständlicher Weise aus der Befundlage abgeleitet werden, was seinerseits die Angabe der wesentlichen Anknüpfungstatsachen bedingt (vgl. OVG NW. U.v. 21.2.2014 - 16 A 2367/11 - juris Rn. 53).
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Diesen Anforderungen entspricht das Gutachten vom 5. Juli 2021 sowie seine Ergänzung vom 26. August 2021.
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a) Der Gutachter hat für das Gericht nachvollziehbar dargelegt, wie er zu seiner Schlussfolgerung der persönlichen Eignung des Klägers im waffen- bzw. jagdrechtlichen Sinn kommt. Neben der ausführlichen Darstellung der rechtlichen und formellen Rahmenbedingungen hat der Gutachter umfangreiche Informationen zum Krankheitsverlauf von allen behandelnden Ärzten sowie der Krankenkasse eingeholt und alle relevanten Anknüpfungstatsachen aufgeführt. Der Gutachter hat den Kläger am 18. Juni 2021 persönlich untersucht und dabei standardisierte Testverfahren und eine Exploration in Form eines strukturierten Interviews über eine Gesamtdauer von ca. 150 Minuten durchgeführt. Als Testverfahren kam das Freiburger Persönlichkeitsinventar (FPI-R) zum Einsatz, welches für das Gericht inhaltlich nachvollziehbar dargestellt wurde. Die Erhebung der Daten und Befunde wird ausführlich und strukturiert über acht Seiten dargestellt, dabei auch das angewendete Testverfahren unter Angabe der konkreten Ergebnisse des Klägers ausgewertet und eingeordnet. Es ist dabei insbesondere nicht ersichtlich, dass der Kläger erneut Psychopharmaka einnehmen muss. Nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Gutachters ist der gesunde Zustand des Klägers eingetreten, Anhaltspunkte für eine konkrete Selbst- oder Fremdgefährdung bestehen nicht.
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Nach den Angaben des Gutachters hat der Kläger in den verwendeten Testverfahren keine auffälligen Befunde gezeigt, die Ergebnisse der Testung sprechen nicht gegen eine Eignung zum Führen von Waffen sprechen. Die diagnostizierte schizophrene Psychose (vollständige Remission) und postschizophrene Depression (remittiert) sind soweit abgeklungen, dass keine unmittelbare Gefahr für den Kläger selbst und andere mehr bestehe. Die Strategien für eine Rückfallprophylaxe wirkten äußerst stabil und glaubhaft nachvollziehbar. Die zahlreichen medizinischen Berichte sind hinreichend durch den Gutachter gewürdigt worden, eine psychiatrische Klinik sieht den Kläger als vollständig remittiert und ohne Notwendigkeit einer medizinischen Weiterversorgung (Bericht vom 19.5.2021). Der behandelnde Psychologe des Klägers schreibt in seinem Bericht vom 27. April 2020, dass der Kläger im gesunden Zustand über die charakterlichen, physischen und ethischen Voraussetzungen verfüge, wie sie für Führerschein, Jagdschein bzw. Waffenbesitzkarte Voraussetzung seien. Ferner könne er über rückfallprophylaktische Strategien verfügen, um mit verhaltensbezogenen und pharmakotherapeutischem Management eine floride Phase zu verhindern. Der Gutachter stellt sodann nach Auswertung der ärztlichen Unterlagen und der persönlichen Begutachtung fest, dass der gesunde Zustand nunmehr eingetreten ist. Er halte den Kläger zum Untersuchungszeitpunkt für frei von selbst- und fremdgefährdenden Impulsen. Der Kläger habe beim Führen der Waffe niemals Anlass zu einer kritischen Beurteilung gegeben. Seine Erkrankung sei vollständig remittiert. Es spreche nichts dagegen, dem Kläger den uneingeschränkten Zugang zu seinen Waffen wieder zu ermöglichen. Die Lebens- und Arbeitssituation des Klägers sei gefestigt, der Kläger altersangemessen reif. Es gebe keine Anzeichen für fehlende Impulskontrolle oder stark erhöhtes Aggressionspotenzial. In seinem Gesamtergebnis zur Beantwortung der Fragestellung kommt der Gutachter sodann zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger zum Zeitpunkt der Untersuchung aus seiner fachlichen Sicht keine Nichteignung im Sinne der behandelten Fragestellt festgestellt werden kann. Der Kläger sei daher im Sinne des § 6 WaffG geeignet zum Umgang mit Waffen und Munition. Er besitze die geistige und körperliche Eignung zur Ausübung der Jagd gem. § 17 Abs. 1 Nr. 2 BJagdG.
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b) Das streitgegenständliche Gutachten ist auch entgegen der Ansicht des Beklagten nicht widersprüchlich oder in sich unstimmig. Soweit die Waffenbehörde auf einen Absatz auf S. 11 des Gutachtens vom 5. Juli 2021 abstellt, befindet sich dieser im Abschnitt „Exploration“, d.h. der Abschnitt zur Rückfallprophylaxe beschreibt die im Rahmen der Untersuchung erhobenen Daten, die der Gutachter sodann bewertet hat. In den Schlussfolgerungen ab S. 12 des genannten Gutachtens bewertet der Gutachter die Strategien für eine Rückfallprophylaxe (S. 13) als äußerst stabil und glaubhaft nachvollziehbar und stellt sodann für das Gericht nachvollziehbar aufgrund der konkreten Bezugnahme auf eingeholte medizinische Informationen und Stellungnahmen dar, dass der Kläger hiernach vollständig remittiert ohne Notwendigkeit einer medizinischen Weiterversorgung und dass ein gesunder Zustand eingetreten ist. Der Kläger ist frei von selbst- und fremdgefährdenden Impulsen. Letztlich machen auch die Umstände, dass jedenfalls seit über einem Jahr (Bericht vom 19.5.2021) keine Notwendigkeit zur medizinischen Weiterversorgung besteht, der Kläger seit 2020 ohne Medikamentierung auskommt und nach den Schilderungen des Gutachters und des Klägers seit Anfang 2018 keine erneute Anflutung von Unruhe mehr erfolgt ist, die Schlussfolgerungen des Gutachters und Rückgriff auf die von ihm eingeholten Informationen für das Gericht nachvollziehbar und in sich stimmig. Dazu kommt die nachvollziehbare Schilderung der geänderten Lebensumstände mit einem nunmehr gefestigten sozialen und beruflichen Umfeld und der persönliche Eindruck, den sich das Gericht während der mündlichen Verhandlung von dem Kläger verschaffen konnte.
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Die Einordnung und Bewertung der Rückfallprophylaxe hinsichtlich der von dem Kläger geschilderten in der Vergangenheit längerfristig anhaltenden Stresssituationen durch den Gutachter ist ebenfalls für das Gericht nachvollziehbar und nicht widersprüchlich zum Ergebnis. Eine singuläre Betrachtung des akuten Geschehens auf der Straße vor dem Ladengeschäft, wie von der Waffenbehörde vorgenommen, würde dabei den längerfristigen begleitenden Gesamtumständen als Grundlage dieser Situation nicht gerecht. Der Kläger sprach in diesem Zusammenhang beim Gutachter von einem „Kreislauf“, den er durchschaut habe. Zur Vermeidung dieses Kreislaufs habe er sich gute Strategien erarbeitet. Insofern ist das streitgegenständliche Gutachten für das erkennende Gericht trotz der Bedenken des Beklagten in sich stimmig und nachvollziehbar.
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Soweit die Waffenbehörde meint, wegen der Ausführungen des Gutachters zur freiwilligen Abgabe der Waffen im unwahrscheinlichen Fall des (Wieder-)Auftretens massiver Symptome an Jagdkameraden in seiner Ergänzung vom 26. August 2021 müsste eine waffenrechtliche Erlaubnis unter einer Auflage erteilt werden, ist dies dem Gutachten und seiner Ergänzung gerade nicht zu entnehmen. Der Gutachter hat vielmehr in der Gesamtschau für das Gericht nachvollziehbar dargestellt und erläutert, weshalb er den Kläger für (uneingeschränkt) geeignet zum Führen von Jagdwaffen hält und feststellt, dass nichts dagegenspricht, dem Kläger den uneingeschränkten Zugriff auf seine Waffen wieder zu ermöglichen.
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c) Auch der zunächst noch im Rahmen des Anhörungsverfahrens genannte strafrechtliche Vorfall mit Waffen- bzw. Gewaltbezug vom 3. Oktober 2020 steht der persönlichen waffenrechtlichen Eignung des Klägers nicht entgegen. Der Anzeige gegen den Kläger wurde mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 26. November 2020 keine Folge gegeben (§§ 374, 376 StPO). Nach Durchsicht der strafrechtlichen Unterlagen und der Anhörung der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung hat sich - wie zuvor schon bei dem Beklagten im Verwaltungsverfahren - herausgestellt, dass es im Rahmen des Ermittlungsverfahrens offensichtlich - wohl aufgrund desselben Vornamens - zu einer Personenverwechslung in den Akten bzw. in der Vorgangsverwaltung der Polizei gekommen war. Nicht der Kläger, sondern ein Nachbar im selben Haus hat demnach mit einer Softair-Waffe auf Personen gezielt und versucht, im Rahmen eines Streits ein Messer aus der Küche zu holen. Eine dahingehende Anklage erfolgte gegen den Nachbarn. Der Kläger hat nach seinen nachvollziehbaren Angaben lediglich versucht, in dem Streit der Nachbarn zu vermitteln. Insofern ist auch dieser Vorfall nicht geeignet, das Gutachten vom 5. Juli 2021 sowie seine Ergänzung vom 26. August 2021 zu erschüttern und wurde auch seitens der Waffenbehörde im streitgegenständlichen Bescheid und dem weiteren Verfahren folgerichtig nicht mehr angeführt.
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2. Da nicht ersichtlich ist, dass die übrigen Erteilungsvoraussetzungen für einen Dreijahresjagdschein nicht gegeben sind, war der Klage wegen Spruchreife mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Über den Hilfsantrag musste mangels Bedingungseintritt nicht mehr entschieden werden. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.