Titel:
Prüfungsrecht, Endgültig nicht bestandene Prüfung, Unverzüglicher Prüfungsrücktritt (verneint), Härtefall (verneint), Bewertungsfehler (verneint), Zulässigkeit von Maluspunkten außerhalb des Antwort-Wahl-Verfahrens
Normenketten:
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 5 Abs. 3 S. 1
GG Art. 12 Abs. 1
Rahmenprüfungsordnung für die Fachhochschulen (RaPO)
Allgemeine Prüfungsordnung für die gemeinsamen Bachelorstudiengänge der Hochschulen * und * (gemeinsame APO)
Schlagworte:
Prüfungsrecht, Endgültig nicht bestandene Prüfung, Unverzüglicher Prüfungsrücktritt (verneint), Härtefall (verneint), Bewertungsfehler (verneint), Zulässigkeit von Maluspunkten außerhalb des Antwort-Wahl-Verfahrens
Fundstelle:
BeckRS 2022, 30195
Tenor
I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III.Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 10. November 2021 die Zulassung zu einem zweiten Wiederholungsversuch im Fach „Datenverarbeitung I“ im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen an der Beklagten, hilfsweise die Verpflichtung der Beklagten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu über die Prüfungsleistung des Klägers zu entscheiden.
2
Der Kläger studierte seit dem Sommersemester 2019 Wirtschaftsingenieurwesen an der beklagten Hochschule. Im Sommersemester 2021 legte der Kläger die zweite Wiederholungsprüfung „Datenverarbeitung I“ mit der Note 5,0 „nicht bestanden“ ab.
3
Mit Bescheid vom 10. August 2021 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass dieser die zweite Wiederholungsprüfung im Fach „Datenverarbeitung I“ endgültig nicht bestanden habe und er daher exmatrikuliert werde.
4
Eine dritte Wiederholung einer nicht bestandenen Prüfung sei nach § 13 Abs. 4 der Allgemeinen Prüfungsordnung für die gemeinsamen Bachelorstudiengänge der Hochschulen * und * (gemeinsame APO) ausgeschlossen.
5
Mit Schreiben vom 20. August 2021 ließ der Kläger hiergegen Widerspruch einlegen und am 26. Oktober 2021 weiter begründen. Die Prüfung und Bewertung sei formell und materiell nicht rechtmäßig zustande gekommen.
6
Die Prüfung habe schriftlich abgelegt werden müssen, obgleich die Programmierung ausschließlich am PC gelehrt worden sei, was eine unzureichende Prüfungsvorbereitung darstelle. Eine Online-Prüfung sei nicht in Erwägung gezogen worden. Diesem Umstand sei auch nicht durch eine Verlängerung der Arbeitszeit oder kulanter Bewertung Rechnung getragen worden. Es liege ein Verstoß gegen die Chancengleichheit aufgrund einer Ungleichbehandlung vor, da im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen mit Logistik für die streitgegenständliche Prüfung eine Hausarbeit erstellt haben werde müssen, was mit einer schriftlichen Präsenzarbeit im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen mit Produktionstechnik nicht vergleichbar sei. Die Prüfung sei daher für alle Studierenden nochmals einheitlich abzulegen.
7
Die Prüfung habe aus vier Aufgaben bestanden (15, 22, 20 und 25 Punkte), wobei sämtlichen Teilaufgaben nicht zu entnehmen gewesen sei, wie sich die Punkte innerhalb der Gesamtaufgabe verteilen. Dies beeinflusse nicht nur die Bearbeitung der Aufgaben, sondern ermögliche zudem die ungleiche oder gar willkürliche Bewertung einzelner Prüfungsleistungen, sobald die volle Punktzahl nicht erreicht werde. Auch der Erst- und Zweitbewertung seien die Punkteverteilungen nicht zu entnehmen.
8
In Aufgabe 1 sei nicht nachvollziehbar, weshalb ein Punkt abgezogen worden sei, eine Begründung fehle. In der Einsicht sei dem Kläger ein weiterer Punkt gewährt worden, woraus der Eindruck entstehe, dass die Bewertungen nicht festen Kriterien unterzogen worden seien.
9
In Aufgabe 2 sei ein Folgefehler mit anschließendem richtigen Lösungsweg unbeachtet gelassen worden.
10
In Aufgabe 3 habe ein gegebener Programmcode mit 12 Fehlern verbessert werden müssen. Dieser Aufgabe sei nicht zu entnehmen gewesen, dass für falsches Verbessern Minuspunkte vergeben würden. Die Vergabe von Minuspunkten sei unzulässig, da es im Ergebnis richtige Antworten in der Bewertung beseitige. Für falsche Antworten seien allenfalls keine Punkte zu vergeben.
11
Dem Kläger habe im Termin zur Einsicht keine Musterlösung zu Aufgabe 4 zur Verfügung gestanden, so dass nicht beurteilt habe werden können, inwieweit die Lösung des Klägers von der Musterlösung abweiche. Mangels Prüfung am PC habe auch keine Selbstkontrolle der abgelieferten Lösung erfolgen können.
12
Es könne nicht nachvollzogen werden, weshalb im Rahmen der Zweitkorrektur trotz Erreichens der hälftigen Punktzahl (41 von 82 Punkten) die Note 5 vergeben werde. Mit Erreichen der hälftigen Punktzahl komme zum Ausdruck, dass notwendiges Grundlagenwissen vorhanden und das Ziel gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 APO erreicht sei, zumal der Kläger die darauf aufbauende Prüfung „Datenverarbeitung II“ mit der Note 1,0 bestanden habe.
13
Der Situation des Klägers liege weiter ein Härtefall zugrunde, welcher es rechtfertige, die Prüfung notfalls ein weiteres Mal ablegen zu dürfen. Der Kläger leide ausweislich des vorgelegten Arztbriefs an einer vernarbten Nase, die die Atmung - v.a. beim Tragen einer Maske - beeinträchtige, sowie psychischen Beeinträchtigungen, welche dazu geführt hätten, dass im Prüfungstermin die getragene Maske nass gewesen und damit die Atmung zusätzlich erschwert worden sei. In der Prüfung habe die Maske daher kurz unter die Nase geschoben werden müssen, damit überhaupt eine Atmung möglich gewesen sei. Hierfür sei der Kläger durch die Aufsichtsperson ermahnt worden, was zusätzlich die Leistungsfähigkeit aufgrund weiteren Stresses und Atemnot gemindert habe. Unter diesen Umständen seien die Prüfungsbedingungen für den Kläger nicht zumutbar gewesen. Zu berücksichtigen sei, dass der Kläger diese Beschwerden nicht vor der Prüfung gemeldet habe, da er angenommen habe, dass die Prüfung - wie auch diejenige im Fach Personalführung - ohne Maske stattfinden würde.
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Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass der Kläger sein Studium trotz gesundheitlicher und finanzieller Einschränkungen nahezu komplett abgeschlossen habe, sei die Gewährung einer weiteren Wiederholungsprüfung auch unter Berücksichtigung der Chancengleichheit anderer Studenten angemessen.
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Am 21. Oktober 2021 stellte der Prüfungsausschuss in seiner Sitzung fest, dass der Widerspruch zwar zulässig, jedoch unbegründet sei.
16
Mit Widerspruchsbescheid vom 10. November 2021 lehnte die Beklagte den Widerspruch ab (Ziffer 1) und erlegte dem Kläger die Kosten auf (Ziffern 2 und 3).
17
Die Prüfung „Datenverarbeitung I“ habe im Sommersemester 2021 als schriftliche Präsenzprüfung an der Beklagten stattgefunden. Im Studienplan für den Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen sei gem. § 31 Abs. 1 gemeinsame APO für die Prüfung „Datenverarbeitung I“ eine schriftliche Prüfung vorgesehen. Über deren Ausgestaltung gebe es neben der zeitlichen keine weiteren Vorgaben. Es gebe keinen Anspruch, dass die Prüfung am PC durchgeführt werden müsse. Bezogen auf Art. 5 Abs. 3 GG liege die Ausgestaltung der Prüfung im Entscheidungsbereich des jeweiligen Prüfers. Nach Auskunft der Prüferin seien die Prüflinge auf die konkrete Art der Prüfung ausreichend vorbereitet worden. In den letzten beiden Übungsstunden seien insbesondere Aufgaben behandelt worden, die in ähnlicher Form auch in der Klausur abgeprüft worden seien.
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Dass die Prüfung „Datenverarbeitung I“ in einem anderen Studiengang als Hausarbeit durchgeführt werde, stelle keinen Verstoß gegen die Chancengleichheit dar. Der an beiden Hochschulen gemeinsam angebotene Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen/Logistik habe einen eigenen in § 32 Abs. 1 der gemeinsamen APO geregelten Studienplan und einen eigenen Prüfer für das Modul „Datenverarbeitung I“. Die Studiengänge seien unabhängig voneinander, so dass die Chancengleichheit gewahrt bleibe.
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Die Bewertungskriterien seien nach Mitteilung der zuständigen Prüferin im Vorhinein festgelegt worden, um eine konsistente Bewertung aller Prüfungsarbeiten zu gewährleisten. Es existiere ein genaues Schema, nach welchem die Punkte vergeben worden seien. Es bestehe kein Anspruch, dass dieses Schema im Rahmen der Aufgabenstellung im Detail offengelegt werde, da aus diesem zumindest teilweise die Lösung bzw. der Lösungsweg entnommen werden könne. Angegeben würden in der Klausur die in den jeweiligen Aufgaben insgesamt erreichbaren Punkte. Eine weitere Detaillierung der Punktevergabe sei prüfungsrechtlich nicht erforderlich, zumal der Bewertungsvorgang sich nicht in jeder Weise an ein starres Bewertungsschema halten müsse, da die Bewertung einer individuellen Leistung letztlich ein persönlicher Vorgang bleibe, bei dem auch nicht zu vermeidende Ungenauigkeiten eines Schemas auszugleichen seien.
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Bei Aufgabe 2 sei die Aussage, ein Folgefehler sei nicht berücksichtigt worden, inkorrekt.
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Hinsichtlich Aufgabe 3 liege keine rechtswidrige Vergabe von Malus-Punkten vor. Es handele sich nicht um eine Multiple-Choice-Aufgabe. Vielmehr würden Punkte abgezogen, wenn korrekte Codezeilen verändert würden. Dies sei bei dem Kläger in zwei Fällen so gewesen. Es seien hingegen keine Punkte abgezogen worden, wenn falsche Codezeilen nicht richtig verbessert worden seien. Da die Studierenden zwei Seiten mit Programmierbefehlen und/oder Codebeispielen hätten mit in die Klausur nehmen dürfen, sei dieses Bewertungsschema fair. Eine andere Bewertungsweise würde die Option eröffnen, einfach alles als falsch zu kennzeichnen und auf diese Weise die volle Punktzahl für die Fehlersuche zu erlangen. Als Gesamtpunktzahl für die Aufgabe seien keine negativen Punkte möglich gewesen.
22
Die Korrektur durch den Zweitprüfer sei fehlerfrei erfolgt. Der Zweitkorrektor könne bei der Korrektur zu leicht abweichenden Bewertungen kommen, was aber an der Gesamtbewertung der Klausur nichts ändere. Der Zweitprüfer sei ausdrücklich nicht an das Bewertungsschema der Erstprüferin gebunden, sondern nehme die Bewertung unabhängig aufgrund seiner eigenen Kompetenzen vor. Die Bestehensgrenze der Klausur habe bei 55% der maximal zu erreichenden Punkte gelegen. Dem Argument, dass 50% der Punkte zum Bestehen ausreichen müssten, könne nicht gefolgt werden, da dies dem Bewertungsspielraum des Prüfers unterfalle.
23
Nach Aussage der Prüferin sei die Musterlösung während der Prüfungseinsicht auch dem Kläger zugänglich gewesen.
24
Gesundheitliche Gründe, die zu einer Beeinträchtigung der Prüfungsfähigkeit führen, müssten gem. § 9 Abs. 3 der Rahmenprüfungsordnung für Hochschulen in Bayern (RaPO) unverzüglich schriftlich angezeigt und glaubhaft gemacht werden. Der Kläger habe weder vor der Prüfung noch nachträglich im Rahmen des Widerspruchsverfahrens ein Attest vorgelegt, welches eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit durch eine psychische Erkrankung oder das Tragen einer Maske bestätigen würde. Der Kläger habe die Prüfung angetreten, ohne zuvor das Referat Prüfung oder die Dozentin über vorliegende Einschränkungen zu informieren. Auch während der Prüfung habe der Kläger nicht geäußert, dass das Tragen einer Maske bei ihm zu Atemnot und damit zu einer Verringerung der Leistungsfähigkeit geführt habe. Nach § 11 Abs. 2 der gemeinsamen APO hätte eine während der Prüfung eintretende Prüfungsunfähigkeit unverzüglich bei der Prüfungsaufsicht geltend gemacht und ein Attest vorgelegt werden müssen. Von dem Kläger sei lediglich im Rahmen des Widerspruchsverfahrens ein Arztbrief zum ambulanten Besuch in einer Universitätsklinik über das Bestehen einer Tubenfunktionsstörung eingereicht worden. Inwieweit diese im Jahr 2020 festgestellte Erkrankung die Prüfungsfähigkeit beeinträchtige, sei dem Schreiben nicht zu entnehmen. Das vorgelegte Attest aus der Praxis für seelische Gesundheit enthalte ebenfalls keine Angaben darüber, dass zum Zeitpunkt der Prüfung im Modul „Datenverarbeitung I“ eine Prüfungsunfähigkeit vorgelegen habe.
25
Gem. § 13 Abs. 1 der gemeinsamen APO könnten nicht bestandene Prüfungsleistungen höchstens zweimal wiederholt werden. Eine dritte Wiederholung einer nicht bestandenen Prüfungsleistung sei ausgeschlossen. Es bestehe keine Möglichkeit, hiervon Ausnahmen zuzulassen. Da es sich um eine erforderliche Prüfungsleistung handele, gehe dadurch der Prüfungsanspruch verloren. Der Kläger habe auch das Studium noch nicht fast abgeschlossen, da er bisher nur 143 von 210 ECTS erworben habe. Dieses Argument sei zudem unerheblich.
26
Der Prüfungsausschuss der Beklagten sei am 21. Oktober 2021 zu dem Schluss gekommen, dass die Bewertung rechtsfehlerfrei erfolgt sei. Bewertungsspielräume seien eingehalten, die Bewertung der einzelnen Aufgabe korrekt dargestellt worden und Bewertungsfehler nicht ersichtlich. Die Gewährung einer zusätzlichen Wiederholungsmöglichkeit verstieße gegen den Grundsatz der Chancengleichheit im Prüfungsverfahren gem. Art. 3 Abs. 1 GG.
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Hiergegen ließ der Kläger am 15. Dezember 2021 Klage erheben und beantragen,
28
I. Der Bescheid der Beklagten vom 19. August 2021 (Az. *) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. November 2021 (Az. *) wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, den Kläger zu einem zweiten Wiederholungsversuch im Fach „Datenverarbeitung I“ im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen zuzulassen,
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hilfsweise unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu über die Bewertung der Prüfungsleistung des Klägers zu entscheiden
30
II. Der Beklagten werden die außergerichtlichen Kosten des Klägers auferlegt und die Zuziehung der Verfahrensbevollmächtigten des Klägers im Widerspruchsverfahren für notwendig erklärt.
31
Zur Begründung ist im Wesentlichen die Begründung des Widerspruchs unter dahingehender Bezugnahme wiederholend und vertiefend vorgetragen, es liege ein Verstoß gegen die Chancengleichheit vor, da das Fach „Datenverarbeitung I“ für die Studiengänge Wirtschaftsingenieurwesen und Wirtschaftsingenieurwesen/Logistik verpflichtend vorgeschrieben sei, eine inhaltliche Abweichung für die beiden Studiengänge nicht bestehe und das Fach in beiden Studiengängen mit derselben Bezeichnung („Datenverarbeitung I“) mit derselben Prüfungsnummer (*) im Leistungsverzeichnis aufgeführt sei. Während im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen eine Prüfung in Form einer Klausur abzulegen gewesen sei, seien im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen/Logistik eine Hausarbeit sowie studienbegleitende Teilprüfungsleistungen ausreichend. Die Anforderungen an beide Studiengänge innerhalb derselben Prüfung wichen daher erheblich voneinander ab und begründeten eine Ungleichbehandlung. Daran ändere auch die gesonderte Regelung der Studien- und Prüfungsleistungen nichts, da für das Fach „Datenverarbeitung I“ keinerlei Abweichung zwischen den Studiengängen vorgesehen sei. Dass in den beiden Studiengängen jeweils andere Module im Studienplan vorgeschrieben seien, trage einzig dem Umstand Rechnung, dass die Studierenden einen anderen Schwerpunkt wählen könnten. Dies besage nicht, dass für solche Module bzw. Prüfungen, die für beide Studiengänge gleichermaßen verpflichtend seien, andere Voraussetzungen geschaffen werden könnten. Es bleibe der Beklagten unbenommen, inhaltliche Abweichungen der streitigen Prüfung vorzunehmen, beispielsweise durch eine andere Bezeichnung. Dies sei jedoch nicht der Fall, weshalb die Prüfung auch nicht verwaltungstechnisch getrennt sei. Verwaltungstechnische Erwägungen könnten eine Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen. Die Ungleichbehandlung könne auch nicht dadurch umgangen werden, dass für beide Studiengänge separate Prüfer bestellt würden. Eine Rechtsgrundlage hierfür sei nicht ersichtlich. Im Übrigen seien die jeweiligen Prüfer auch im Rahmen des Grundsatzes der Freiheit von Forschung und Lehre nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verpflichtet, zwischen den Prüflingen dieselben Bedingungen zu gewährleisten - notfalls durch Absprache der Prüfer untereinander und Erstellung einer gemeinsamen Klausur.
32
Die unterschiedlichen Prüfungsformen wichen in ihren jeweiligen Anforderungen erheblich voneinander ab. Während im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen/Logistik im Fach „Datenverarbeitung I“ im Sommersemester 2021 ein Gesamtnotendurchschnitt von 2,3 erreicht worden und lediglich 7 von 29 Teilnehmer durchgefallen seien, gebe es im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen einen Gesamtnotendurchschnitt von 4,2 und es seien 36 von insgesamt 57 Teilnehmern durchgefallen. Eine Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung sei nicht ersichtlich.
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Unzutreffend sei, dass in den letzten beiden Übungsstunden vor der Klausur Aufgaben behandelt worden seien, die in ähnlicher Form auch in der Klausur abgeprüft worden seien und daher eine ausreichende Vorbereitung stattgefunden habe. Tatsächlich seien 10 von 11 Übungen am PC gelehrt worden. Auch stellten zwei Übungsstunden im gesamten Semester nicht im Ansatz eine ausreichende Prüfungsvorbereitung für eine schriftliche Klausur dar. § 21 b der Allgemeinen Prüfungsordnung der Hochschule für angewandte Wissenschaften * sehe digitale Prüfungen ausdrücklich vor. Hierauf sei der Lerninhalt des Fachs „Datenverarbeitung I“ auch ausgerichtet gewesen. Auch dieser Umstand sei in der Bewertung unberücksichtigt geblieben.
34
Nach der Studienordnung habe das Fach „Datenverarbeitung I“ einen Umfang von 4 SWS, d.h. im kompletten Vorlesungszeitraum einen Stundenumfang von 60. Hiervon seien zwei Stunden für 50% der Aufgaben der streitigen Klausur als Vorbereitung investiert worden. Dies sei vor allem für eine Grundlagenklausur völlig unzureichend. Der erhebliche Schwierigkeitsgrad sei mit einem Notendurchschnitt von 4,2 bereits belegt und komme erschwerend hinzu. Bestritten werde, dass die Phyton-Befehle und Programmierbeispiele als zugelassenes Hilfsmittel für die Bearbeitung der Klausur hilfreich gewesen wären.
35
Zudem sei nicht die Hälfte der Gesamtpunkzahl als Bestehensgrenze angesetzt worden, obwohl dies nach Ansicht des Klägers in der Vergangenheit üblicher Maßstab gewesen sei. Dass der Bewertungsmaßstab und die Bewertungskriterien vor dem Prüfungstermin festgelegt worden seien, werde bestritten, nachdem dem Kläger in der Prüfungseinsicht und im Rahmen der beantragten Akteneinsicht solche nicht vorgelegt worden seien. Es könne daher eine willkürliche Bewertung der Prüfungsleistung nicht ausgeschlossen werden.
36
Dem Kläger seien sowohl in Aufgabe 1, Aufgabe 3 als auch Aufgabe 4 a) b) und c) insgesamt sieben Punkte abgezogen worden, was unzulässig sei. Hinzu komme, dass der Aufgabenstellung nicht entnommen habe werden können, dass bei falschen Lösungen Punktabzüge vorgenommen würden. Ohne Berücksichtigung des Punktabzugs hätte der Kläger bestanden, da der Mittelwert beider Korrekturen die angesetzte Bestehensgrenze von 46 Punkten erreiche.
37
Die Beklagte beantragt,
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Zur Begründung ist unter Bezugnahme auf die Begründung des Widerspruchsbescheids im Wesentlichen dargelegt, dass eine Verletzung der Chancengleichheit ausgeschlossen sei, da der Vergleich des Klägers zwei voneinander zu unterscheidende Studiengänge betreffe. Zwar habe die Prüfung in beiden Studiengängen die gleiche Bezeichnung und die gleiche Prüfungsnummer, allerdings würden die Prüfungen strikt voneinander getrennt. Die Studiengänge unterschieden sich inhaltlich und auch verwaltungstechnisch voneinander. Für jeden Studiengang sei für das Fach „Datenverarbeitung I“ ein gesonderter Prüfer bestellt. Wie der jeweilige Prüfer das Wissen abfrage, unterliege dem Grundsatz von Freiheit der Forschung und Lehre nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Den Prüfern stehe es offen, selber zu entscheiden, wie sie ihre Prüfung ausgestalten, solange die Chancengleichheit für alle Studierenden innerhalb des jeweiligen Studiengangs gewahrt bleibe. Im Sommersemester 2021 habe die Möglichkeit bestanden, aufgrund der Satzung vom 23. März 2021 über studien- und prüfungsrechtliche Sonderregelungen im Sommersemester 2021 von der Prüfungsform abzuweichen. Hiervon habe der Prüfer im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen/Logistik Gebrauch gemacht, die Prüferin im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen nicht. Die Studierenden der jeweiligen Studiengänge seien keine vergleichbaren Gruppen.
40
Da es sich um einen gemeinsamen Studiengang der Beklagten und einer Partnerhochschule handele, sei die Zuordnung der einzelnen Module ca. 50/50 aufgeteilt, damit jede Hochschule einen vergleichbaren Aufwand habe. Die Aufteilung ergebe sich aus der Prüfungsordnung. Die Zuordnung zur jeweiligen Hochschule sei unterschiedlich. Für „Datenverarbeitung I“ in „Wirtschaftsingenieurwesen“ sei die Partnerhochschule zuständig und diese Vorlesung lehre Frau Prof. Dr. O.. Für „Datenverarbeitung I“ in „Wirtschaftsingenieurwesen/Logistik“ sei die Beklagte zuständig. Die Vorlesung werde von Frau K gelehrt. Es erfolge eine strikte Trennung. Die beiden Studiengänge seien zwar ähnlich, aber als unabhängig anzusehen. Das endgültige Nichtbestehen des Moduls „Datenverarbeitung I“ in „Wirtschaftsingenieurwesen“ führe nicht dazu, dass auch der Prüfungsanspruch für „Wirtschaftsingenieurwesen/Logistik“ verloren gehe. Ein Studiengangwechsel sei möglich und werde auch rege genutzt - u.a. auch vom Kläger.
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Bewertungsfehler lägen nicht vor. Der Kläger trage nicht substantiiert vor, welche allgemeingültigen Bewertungsmaßstäbe verletzt worden seien bzw. von welchen sachfremden Erwägungen sich die Prüferin habe leiten lassen. Die vom Kläger vorgetragene Unzulässigkeit von Malus-Punkten beziehe sich auf das Antwort-Wahl-Verfahren. Bei den Aufgaben der streitgegenständlichen Prüfung habe es sich jedoch nicht um Multiple-Choice-Fragen gehandelt. Punktabzüge seien lediglich innerhalb einer Aufgabe und nicht aufgabenübergreifend vorgenommen worden, eine negative Punktzahl nicht möglich gewesen. Würden objektiv falsche Angaben nicht zu einem Punktabzug führen, wäre in Aufgabe 3 beispielsweise die Option eröffnet, einfach alles als falsch zu kennzeichnen und auf diese Weise sicher alle Punkte zu erlangen. Dies wäre als Ungleichbehandlung im Vergleich zu präzise arbeitenden Studierenden anzusehen. Würde man die Punktabzüge außer Betracht lassen, so würden bei der Erstkorrektur 45 und bei der Zweitkorrektur 44 Punkte erzielt, so dass auch in diesem Fall die Bestehensgrenze nicht erreicht werde.
42
Die Studierenden seien ausreichend auf die Prüfungsform vorbereitet worden. Sämtliche Vorlesungsstunden dienten der Vorbereitung auf die Klausur. Das Fach „Datenverarbeitung I“ enthalte zwei Teile - einen Theorie- und einen Praxisteil -, die beide zu etwa 50% in der Klausur abgebildet worden seien. Der Theorieteil enthalte lediglich schriftliche Übungen. Diese Art der Aufgabenstellung habe in der schriftlichen Klausur in gleicher Weise abgefragt werden können. Im Praxisteil werde die Programmiersprache Python gelehrt. Die Programmierkonzepte würden mit Hilfe von zehn Rechnerübungen schrittweise eingeführt und vertieft. Diese Inhalte hätten etwa 50% der restlichen Klausur ausgemacht. Da die Studierenden die komplette Klausur schriftlich verfassen müssten, habe die Prüferin ein eigenes letztes Übungsblatt konzipiert, mit dem sich die Studierenden auf die Klausursituation hätten vorbereiten können. Die Inhalte der Übungen 1 - 10 seien wiederholt worden und hätten rein auf dem Papier gelöst werden sollen. Diese Vorbereitungsaufgaben sowie die Klausuraufgaben zum Thema Python-Programmierung seien sowohl von der Aufgabenstellung, als auch von der Komplexität der Situation angepasst gewesen (= einfacher, weniger Umfang, detailliertere Aufgabenbeschreibung), hätten sich jedoch nicht von den Inhalten der vorherigen Übungsblätter unterschieden. Insofern hätten alle Übungen dazu gedient, die Studierenden auf die Klausur vorzubereiten. Zudem sei die Klausursituation noch mit einigen Übungsaufgaben, die in ähnlicher Form auch in der Klausur abgeprüft worden seien, in den letzten beiden Übungsstunden vor der Klausur trainiert worden - ohne weiteren Stoff durchzunehmen. Die Studierenden hätten zudem vier selbst angefertigte DinA4-Blätter mit Python-Befehlen und Programmierbeispielen als zugelassenes Hilfsmittel mit in die Klausur nehmen dürfen, sodass die Befehle nicht auswendig gelernt hätten werden müssen. Wenn die Liste des Klägers für diesen nicht hilfreich gewesen sei, so habe dieser sich ungenügend auf die Klausur vorbereitet.
43
Der Bewertungsmaßstab und die Bewertungskriterien seien von der Prüferin vor dem Prüfungstermin festgelegt worden, um eine konsistente Bewertung aller Prüfungsarbeiten zu gewährleisten. Dem Kläger sei die Musterlösung während der Prüfungseinsicht zugänglich gewesen.
44
Mit Klage vom 8. September 2021 ließ der Kläger in einem eigenständigen Verfahren beantragen, die in Ziffer 2 des Bescheids vom 10. August 2021 ausgesprochene Exmatrikulation aufzuheben (Au 8 K 21.1815). Über diese Klage ist noch nicht entschieden. Dieses Klageverfahren ruht bis zum rechtskräftigen Abschluss des Widerspruchsverfahrens und wurde unter dem 21. März 2022 statistisch erledigt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auch im Verfahren Au 8 K 21.1815, und der vorgelegten Behördenakte sowie des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 21. Juni 2022 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Prüfungsbescheid der Beklagten vom 10. August 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. November 2021 erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf erneute Zulassung zum zweiten Wiederholungsversuch im Fach „Datenverarbeitung I“ im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) bzw. auf Verpflichtung der Beklagten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu über die Bewertung der Prüfungsleistung des Klägers zu entscheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
47
I. Prüfungsentscheidungen sind nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar. Nach dem das Prüfungsrecht beherrschenden Grundsatz der Chancengleichheit müssen für vergleichbare Prüflinge so weit wie möglich vergleichbare Prüfungsbedingungen und Bewertungskriterien gelten. Mit diesem Grundsatz wäre es unvereinbar, wenn einzelne Kandidaten, indem sie einen Verwaltungsgerichtsprozess anstrengen, die Chance einer vom Vergleichsrahmen unabhängigen Bewertung erhielten. Die gleichmäßige Beurteilung aller vergleichbaren Kandidaten ist nur erreichbar, wenn den Prüfungsbehörden bei prüfungsspezifischen Wertungen ein Entscheidungsspielraum verbleibt und die gerichtliche Kontrolle insoweit eingeschränkt wird (BVerfG, B.v. 17.4.1991 - 1 BvR 419/81 - BVerfGE 84, 34/52). Dieser prüfungsspezifische Bewertungsspielraum erstreckt sich auch auf die Notenvergabe bei Prüfungen wie der streitgegenständlichen: Die Prüfer müssen bei ihrem wertenden Urteil von Einschätzungen und Erfahrungen ausgehen, die sie im Laufe ihrer Prüfungspraxis bei vergleichbaren Prüfungen entwickelt haben und allgemein anwenden. Auch die Bestehensgrenze lässt sich nicht starr und ohne den Blick auf durchschnittliche Ergebnisse bestimmen. Daraus folgt, dass die Prüfungsnoten nicht isoliert gesehen werden dürfen, sondern in einem Bezugssystem zu finden sind, das durch die persönlichen Erfahrungen und Vorstellungen der Prüfer beeinflusst wird. Da sich die komplexen Erwägungen, die einer Prüfungsentscheidung zugrunde liegen, nicht regelhaft erfassen lassen, würde eine gerichtliche Kontrolle zu einer Verzerrung der Maßstäbe führen (BVerfG, B.v. 17.4.1991 - 1 BvR 419/81 - BVerfGE 84, 34/51 f.). Gegenstände des prüfungsspezifischen Beurteilungsspielraumes sind etwa die Punktevergabe und Notengebung, soweit diese nicht mathematisch determiniert sind, die Einordnung des Schwierigkeitsgrades einer Aufgabenstellung, bei Stellung verschiedener Aufgaben deren Gewichtung untereinander, die Würdigung der Qualität der Darstellung, die Gewichtung der Stärken und Schwächen in der Bearbeitung sowie die Gewichtung der Bedeutung eines Mangels (BVerwG, U.v. 12.11.1997 - 6 C 11.96 - juris Rn. 22; B.v. 13.5.2004 - 6 B 25/04 - juris Rn. 11; Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022, Rn. 635). Ebenso handelt es sich um eine den Prüfern vorbehaltene prüfungsspezifische Wertung, ob im Hinblick auf eine entsprechend determinierte Notenstufe bzw. zugeordnete Punktzahl eine Prüfungsleistung als „brauchbar“ zu bewerten ist (BVerwG, U.v. 12.11.1997, a.a.O.). In diesen Bereich des prüfungsspezifischen Bewertungsspielraumes dürfen die Gerichte grundsätzlich nicht eindringen, sondern haben nur zu überprüfen, ob die Prüfer die objektiven, auch rechtlich beachtlichen Grenzen ihres Bewertungsspielraumes überschritten haben (vgl. BVerwG, B.v. 13.5.2004 - 6 B 25/04 - juris; BVerfG, B.v. 17.4.1991 - 1 BvR 419/81 - BVerfGE 84, 34 ff.). Der Bewertungsspielraum ist überschritten, wenn die Prüfungsbehörden Verfahrensfehler begehen, anzuwendendes Recht verkennen, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgehen, sich von sachfremden Erwägungen leiten lassen oder allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzen. Das Gericht hat die zu Grunde liegenden Prüfungsbewertungen nur insoweit zu überprüfen, als vom Prüfling dagegen substantiierte Einwendungen vorgebracht werden. Der Prüfling muss also auf vermeintliche Irrtümer und Rechtsfehler wirkungsvoll hinweisen (BVerfG, B.v. 17.4.1991 - 1 BvR 419/81 - BVerfGE 84, 34/48). Dazu genügt es nicht, dass er sich generell gegen eine bestimmte Bewertung seiner Prüfungsleistungen wendet und etwa pauschal eine zu strenge Korrektur bemängelt. Vielmehr muss er konkret darlegen, in welchen Punkten die Korrektur bestimmter Prüfungsleistungen nach seiner Auffassung Bewertungsfehler aufweist, indem er substantiierte Einwände gegen Prüferbemerkungen und -bewertungen erhebt. Macht er geltend, dass etwa eine als falsch bewertete Antwort in Wahrheit vertretbar sei und auch so vertreten werde, so hat er dies unter Hinweis auf entsprechende Fundstellen näher darzulegen (BVerwG, U.v. 24.2.1993 - 6 C 35/92 - juris Rn. 27).
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Ist die vom Prüfling gerügte Bewertung einer Prüfungsaufgabe fehlerhaft und hat dieser Fehler Einfluss auf das Prüfungsergebnis, so führt dies zur Aufhebung des Bescheides über die Prüfungsendnote und zur Verpflichtung der Prüfungsbehörde, das Prüfungsverfahren durch Neubewertung der betreffenden Aufgabe fortzusetzen (BVerwG, U.v. 16.3.1994 - 6 C 5/93 - juris Rn. 22). Können allerdings Auswirkungen dieser materiellen Prüfungsfehler auf das Ergebnis der Prüfungsentscheidung ausgeschlossen werden, so folgt - wie bei unwesentlichen Verfahrensfehlern - aus dem Grundsatz der Chancengleichheit, dass ein Anspruch auf Neubewertung nicht besteht, weil sich die Prüfungsentscheidung im Ergebnis als zutreffend und damit als rechtmäßig darstellt (BVerwG, B.v. 13.3.1998 - 6 B 28/98 - juris Rn. 7; zum Ganzen auch VG München, U.v. 27.4.2021 - M 4 K 16.5166 - juris Rn. 22 ff.).
49
Die vom Kläger erhobenen Einwände greifen in Anwendung der dargestellten Grundsätze nicht durch. Der Kläger hat die Prüfung „Datenverarbeitung I“ gem. § 13 Abs. 1 Sätze 3 und 4, Abs. 4 Satz 1 gemeinsame APO endgültig nicht bestanden.
50
1. Eine Verletzung der Chancengleichheit i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG hinsichtlich der unterschiedlichen Ausgestaltung der Prüfungen in den Fächern „Datenverarbeitung I“ in den Studiengängen Wirtschaftsingenieurwesen und Wirtschaftsingenieurwesen mit Schwerpunkt Logistik liegt entgegen der Ansicht des Klägers nicht vor.
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a) Ein besonderes Gewicht hat gerade im Bereich des Prüfungsverfahrens das Gebot der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) im Sinne einer zuverlässigen Vermittlung gleicher Startchancen für alle Prüflinge, die den Zugang zu einem bestimmten Beruf anstreben. Das prüfungsrechtliche Gebot der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG) verlangt, dass für vergleichbare Prüfungen so weit wie möglich vergleichbare Prüfungsbedingungen und Bewertungsmaßstäbe gelten. Für das Prüfungsverfahren, d.h. für Form und Verlauf der Prüfungen, müssen einheitliche Regeln gelten, die auch einheitlich angewandt werden; die tatsächlichen Verhältnisse während der Prüfung müssen gleichartig sein (stRspr; vgl. BVerwG, B.v. 22.6.2016 - 6 B 21/16 - juris Rn. 13; B.v. 30.6.2015 - 6 B 11.15 - juris). Bevorzugungen und Benachteiligungen einzelner Teilnehmer oder Teilnehmergruppen müssen nach Möglichkeit vermieden werden, um gleiche Erfolgschancen zu garantieren. Unterschiedliche Prüfungsbedingungen sind mit Art. 3 Abs. 1 GG nur vereinbar, wenn hierfür ein gewichtiger sachlicher Grund besteht und die Ungleichbehandlung keine ungleichen Erfolgschancen nach sich zieht. Es ist dabei nicht zu vermeiden, dass die einzelnen Prüfer, ohne den Rahmen des Zulässigen zu verlassen, unterschiedlich strenge Anforderungen stellen und dass nicht jede Prüfungsaufgabe den gleichen Schwierigkeitsgrad aufweist wie die andere (vgl. Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, Rn. 402 ff.).
52
b) Unter Anwendung dieser Grundsätze liegt eine Verletzung der Chancengleichheit i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG nicht vor, da beide der klägerseits aufgezählten Studiengänge getrennt zu beurteilen sind und insoweit eine sachliche Differenzierung stattfindet. Es fehlt bereits an einer geeigneten Vergleichsgruppe.
53
Bei den Studiengängen Wirtschaftsingenieurwesen und Wirtschaftsingenieurwesen/Logistik handelt es sich zwar um gemeinsame Bachelorstudiengänge der Beklagten und einer Partnerhochschule (vgl. § 31 gemeinsame APO). Beide Bachelorstudiengänge besitzen jedoch einen eigenen Studienplan (§ 31 bzw. 32 gemeinsame APO) und einen eigenen Prüfungsanspruch, der jeweils durch das endgültige Nichtbestehen im anderen Studiengang nicht beeinträchtigt wird. Dabei ist ein Modul Datenverarbeitung mit der Lehrveranstaltung „Datenverarbeitung I“ in beiden gemeinsamen Studiengängen vorgesehen. In beiden Studiengängen hat der Kläger aber jeweils die Möglichkeit, drei Prüfungsversuche im Fach „Datenverarbeitung I“ abzulegen, selbst wenn diese Prüfung im jeweils anderen der beiden gemeinsamen Studiengänge bereits endgültig, d.h. dreimal, nicht bestanden ist, was eine strikte Trennung der beiden Studiengänge maßgeblich unterstreicht. Der Prüfungsanspruch im jeweils anderen Studiengang besteht neu und unabhängig vom endgültigen Nichtbestehen der Prüfung in einem Studiengang. Insofern verschließt sich ein direkter Vergleich der gemeinsamen Studiengänge vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 1 GG.
54
Für die gemeinsamen Studiengänge bestehen zudem verschiedene Modulhandbücher, in denen die Module jeweils zwar inhaltlich ähnlich, jedoch nicht identisch ausgestaltet sind. So sind im Modul Datenverarbeitung im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen/Logistik 90h Präsenz- und 150h Selbststudium zu leisten, während im Modul Datenverarbeitung im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen jeweils 120h Präsenz- und Selbststudium zu leisten sind. Ausweislich der Studienpläne der beiden Studiengänge (vgl. § 31 und 32 gemeinsame APO) haben die beiden Hochschulen auch die Zuständigkeiten für die Lehrveranstaltungen unterschiedlich ausgestaltet und die Lehrveranstaltungen einer der beiden Hochschulen entsprechend ihrer Hochschulautonomie zugeordnet. Dabei sind auch - aus den o.g. Gründen ebenso nicht gleichheitswidrig - unterschiedliche Prüfer berufen.
55
Eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung ergibt sich auch nicht daraus, dass für die Lehrveranstaltung „Datenverarbeitung I“ in einem Studiengang eine Hausarbeit, im anderen eine Klausur als schriftliche Leistung zu erbringen war. Die Auswahl der konkreten Prüfungsart und des Prüfungsstoffes - im Rahmen der normativen Vorgaben - und die Zuteilung bestimmter schriftlicher Prüfungsaufgaben unterfällt dem gerichtlich nur eingeschränkten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum der zuständigen Prüfer (vgl. Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, Rn. 423). Dass dieser vorliegend überschritten sein könnte, ist weder hinreichend dargelegt noch sonst ersichtlich.
56
Aufgrund der strikten Trennung beider Studiengänge musste auch nicht vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 1 GG eine Absprache zwischen den Prüfern hinsichtlich Lehrinhalten und Prüfungsabnahme stattfinden. Dass bei den Studierenden im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen/Logistik bei Ablegung einer Hausarbeit bessere Noten erzielt worden sind als bei der - im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG nicht einzubeziehenden Vergleichsgruppe - der Studierenden im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen, ist angesichts der zulässigen Unterscheidung der Studiengänge bei unterschiedlichen Prüfern und Prüfungsausgestaltung nicht zu vermeiden und nicht geeignet, das klägerische Begehren zu stützen.
57
Letztlich ist auch das Vorbringen des Klägerbevollmächtigten inkonsistent, wenn er darlegt, die Beklagte könne alleine durch Änderung der Bezeichnung der Lehrveranstaltung einen Verstoß gegen die Chancengleichheit verhindern. Wären jedoch die Studierenden und die Lehrveranstaltung der beiden Studiengänge miteinander vergleichbar, würde auch die bloße Bezeichnung einer Lehrveranstaltung an einem möglichen Verstoß gegen die Chancengleichheit nichts ändern.
58
2. Soweit der Kläger vorträgt, während der Durchführung der Präsenzprüfung erheblich in seiner Leistungsfähigkeit beschränkt und im Ergebnis prüfungsunfähig gewesen zu sein, weil er an einer vernarbten Nase und in Kombination mit der zu tragenden Maske an Atemnot gelitten habe, ist dieser Einwand zum einen ersichtlich verspätet und zum anderen auch nicht durch aussagekräftige Atteste substantiiert dargelegt. Gleiches gilt für die vorgetragenen psychischen Beeinträchtigungen sowie der Prüfung eines Härtefalls.
59
a) Nach § 9 Abs. 3 Satz 1 der Rahmenprüfungsordnung für die Fachhochschulen in Bayern (RaPO) i.d.F. Bek. vom 17. Oktober 2001 (GVBl S. 686; BayRS 2210-4-1-4-1-WK) sind die Gründe für den Rücktritt oder das Versäumen einer Prüfung bei der Hochschule unverzüglich schriftlich anzuzeigen und glaubhaft zu machen. Bei krankheitsbedingter Prüfungsunfähigkeit ist ein ärztliches Attest vorzulegen, das auf einer Untersuchung beruhen muss, die grundsätzlich am Tag der jeweiligen Prüfung zu erfolgen hat (§ 9 Abs. 3 Satz 3 RaPO). Dabei hat das ärztliche Attest die durch den Prüfungsausschuss festgelegten Angaben zu enthalten (§ 9 Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 8 Abs. 4 Satz 5 RaPO). Eine inhaltlich gleichlaufende Regelung findet sich in § 11 Abs. 2 gemeinsame APO.
60
b) Die Anerkennung eines nachträglichen Rücktritts wegen krankheitsbedingter Prüfungsunfähigkeit kommt in Betracht, wenn dem Prüfling gleichheitswidrig die Chance genommen worden ist, seine Leistungsfähigkeit in der Prüfung unter Beweis zu stellen. Dies setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts voraus, dass der Prüfling aufgrund einer vorübergehenden krankheitsbedingten Beeinträchtigung seines physischen oder psychischen Zustands nicht in der Lage gewesen ist, in der Prüfung seine individuelle Leistungsfähigkeit nachzuweisen, und er diese Beeinträchtigung in der Zeit der Prüfung nicht erkennen konnte (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2021 - 6 C 1.20 - juris Rn. 18 m.w.N.). Die Anerkennung als Rücktrittsgrund scheidet aus, wenn die Krankheit nicht vorübergehend, sondern auf unabsehbare Zeit - dauerhaft - den Zustand des Prüflings beeinträchtigt und damit dessen individuelle Leistungsfähigkeit prägt (sog. Dauerleiden). Bei einem Dauerleiden bleibt der fehlgeschlagene Prüfungsversuch die Folge einer die Persönlichkeit prägenden und deshalb nicht irregulären Leistungsbeeinträchtigung des Prüflings. Darauf, dass die durch das Dauerleiden bedingte Beeinträchtigung seiner Leistungsfähigkeit im Zeitpunkt der Prüfung für den Prüfling nicht erkennbar war, kommt es nicht an (BVerwG a.a.O. Rn. 19; BayVGH, B.v. 9.5.2022 - 7 ZB 21.1805 - juris Rn. 10).
61
c) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, U.v. 7.10.1988 - 7 C 8/88 - BVerwGE 80, 282 = juris Rn. 12) ist an die Unverzüglichkeit des Rücktritts dabei ein strenger Maßstab anzulegen. Dies gebietet der prüfungsrechtliche Grundsatz der Chancengleichheit (vgl. BVerwG, U.v. 7.10.1988 - 7 C 8.88 - juris LS 1, Rn. 12). Denn nur ein strenger Maßstab kann Missbräuche des Rücktrittsrechts mit dem Ziel der Verbesserung der Prüfungschancen verhindern. Ein Rücktritt ist nicht mehr unverzüglich, wenn der Prüfling die Erklärung nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt abgegeben hat, zu dem sie von ihm in zumutbarer Weise hätte erwartet werden können. Diese Obliegenheit des Prüflings gründet im Grundsatz von Treu und Glauben, der auch im Prüfungsrechtsverhältnis Anwendung beansprucht (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2021 - 6 C 1.20 - juris LS 3, Rn. 28; Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, Rn. 283). Zeitlicher Anknüpfungspunkt für die Frage, ob die Rücktrittserklärung unverzüglich erfolgte, ist dabei die Kenntnis des Prüflings vom Vorliegen des Rücktrittsgrunds (BayVGH, B.v. 9.5.2022 - 7 ZB 21.1805 - juris Rn. 14).
62
Dabei wird es meist als ein besonders starkes Indiz für einen Missbrauch des Rücktrittsrechts zu werten sein, wenn der Prüfling mit der Geltendmachung der Prüfungsunfähigkeit gewartet hat, bis ihm das Scheitern in der Prüfung bekanntgegeben worden war (vgl. BVerwG a.a.O). Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (vgl. BayVGH, B.v. 23.1.2007 - 7 ZB 06.509 - juris Rn. 12) ist der Prüfling insbesondere verpflichtet, sich rechtzeitig vor der Prüfung Klarheit über seine Prüfungsfähigkeit zu verschaffen und gegebenenfalls unverzüglich die in der jeweiligen Prüfungsordnung vorgesehenen Konsequenzen zu ziehen, und zwar bei krankheitsbedingter Prüfungsunfähigkeit grundsätzlich vor Beginn der Prüfung, spätestens aber dann, wenn er sich ihrer bewusstgeworden ist (vgl. BayVGH, U.v. 16.4.2002 - 7 B 01.1889 - juris Rn. 17 ff.; BVerwG, U.v. 7.10.1988 - 7 C 8/88 - BVerwGE 80, 282 (285) = juris Rn. 12). Zur Mitwirkungspflicht des Prüflings gehört es insbesondere auch, dass er sich bei Auftreten gesundheitlicher Beeinträchtigungen selbst um die Frage seiner Prüfungsfähigkeit und eines eventuell erforderlichen Rücktritts kümmert und dass diese Frage bei auftauchenden Zweifeln sofort geklärt wird (vgl. BayVGH a.a.O.). Unterlässt er dies, obwohl es ihm zuzumuten ist, und nimmt er auch an der Prüfung teil, ist es dem Prüfling verwehrt, sich nachträglich auf eine nach der Prüfung ärztlich festgestellte Erkrankung am Prüfungstag zu berufen (vgl. BayVGH, a.a.O.).
63
Insbesondere ein Prüfungsrücktritt nach Antritt der Prüfung birgt die Gefahr des Missbrauchs. Offensichtlich ist dies, wenn der Prüfling die Prüfung zunächst ablegt und erst nach Bekanntwerden der Ergebnisse seinen Rücktritt erklärt. Auch wenn dem Prüfling insoweit ein Mindestmaß an Überlegungszeit zugebilligt werden muss, berührt ein solcher nachträglicher oder während der Prüfung erklärter Rücktritt den Grundsatz der Chancengleichheit im Prüfungsrecht (Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG) in besonderem Maße und unterliegt daher strengen Anforderungen (vgl. BVerwG, U.v. 7.10.1988 - 7 C 8/88 - BVerwGE 80, 282 (285 f.) = juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 3.7.2013 - 7 ZB 13.891 - juris Rn. 10 f.). Unterzieht sich der Prüfungsteilnehmer in Kenntnis eigener Beschwerden einer Prüfung, nimmt er dieses Risiko, das auch eine Fehleinschätzung seines Leistungsvermögens einschließt, bewusst in Kauf (vgl. BayVGH, B.v. 3.7.2013 - 7 ZB 13.891 - juris Rn. 11).
64
d) In Anwendung dieser Grundsätze konnte der Kläger nicht mehr wirksam von der streitgegenständlichen Prüfung zurücktreten.
65
Nicht nur die Zeitspanne zwischen Prüfungstermin und Widerspruchseinlegung bzw. Vorlage der ärztlichen Unterlagen, sondern auch die Tatsache, dass der Kläger die Bekanntgabe der Ergebnisse abgewartet hat, bevor er seine Prüfungsunfähigkeit geltend macht, führen dazu, dass er diese nicht mehr unverzüglich im Sinne der Vorschrift geltend gemacht hat. Vorliegend hat der Kläger am 23. August 2021 mit Erhebung seines Widerspruches gegen den streitgegenständlichen Ausgangsbescheid erstmals ärztliche Unterlagen vorgelegt und damit nach Erhalt der Prüfungsergebnisse. Weshalb der Kläger solange zugewartet hat, ist weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich.
66
Hinzu kommt, dass sich die ärztlichen Unterlagen zu einer Prüfungsunfähigkeit während der streitgegenständlichen Prüfung nicht verhalten. Die Tubenfunktionsstörung ist ausweislich der ärztlichen Unterlagen aus 2020 dabei als nicht nur vorübergehende Erkrankung einzustufen und berechtigt deshalb bereits grundsätzlich nicht zum Rücktritt (BayVGH, B.v. 9.5.2022 - 7 ZB 21.1805 - juris Rn. 11). Der Kläger hat keine Umstände vorgebracht, aus denen sich Anhaltspunkte dafür ergäben, dass das diagnostizierte Dauerleiden ausnahmsweise einen Rücktrittsgrund darstellt, weil er aufgrund medizinischer Behandlung sicher in einem für das Prüfungsrechtsverhältnis absehbaren Zeitraum gesund oder jedenfalls im Wesentlichen symptomfrei werden kann (BVerwG, U.v. 24.2.2021 - 6 C 1.10 - juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 9.5.2022 - 7 ZB 21.1805 - juris Rn. 11).
67
Die vorgelegten ärztlichen Unterlagen sind zudem nicht geeignet, eine Prüfungsunfähigkeit für die streitgegenständliche Prüfung zu attestieren.
68
Der Arztbrief zum ambulanten Besuch eines Universitätsklinikums vom 8. Januar 2020 führt lediglich eine Tubenfunktionsstörung sowie eine Hörminderung seit Kindheit als Diagnosen auf. Aussagen dazu, inwieweit die Prüfungsfähigkeit des Klägers hierdurch eingeschränkt sein könnte, finden sich nicht. Zudem hätte der Kläger vom 8. Januar 2020 bis zum Prüfungstermin im Sommersemester 2021 hinreichend Zeit gehabt, die Beklagte bzw. deren Prüfungsamt über seine gesundheitlichen Einschränkungen zu informieren und etwaige Nachteilsausgleiche zu beantragen. Dies ist ausweislich der Akten nicht geschehen.
69
Auch das fachärztliche Attest vom 6. August 2021, ebenfalls eingereicht mit Erhebung des Widerspruchs am 23. August 2021, erfüllt nicht die Anforderungen der RaPO. Auch diesem ist keine Prüfungsunfähigkeit für die streitgegenständliche Prüfung zu entnehmen. Es werde aus psychiatrischer Sicht eine Härtefallregelung empfohlen. Eine solche hat der Kläger jedoch ausweislich der Akten nicht (rechtzeitig) beantragt.
70
Sollte der Kläger damit jedoch sinngemäß darauf abzielen wollen, dass der Rücktritt zur nachträglichen Geltendmachung eines Anspruchs auf Nachteilsausgleich anzuerkennen sei, kann er damit nicht durchdringen. Denn jedenfalls scheitert ein Rücktritt des Klägers, wie dargelegt, zur nachträglichen Inanspruchnahme eines Nachteilsausgleichs an der fehlenden unverzüglichen Geltendmachung. Die parallele Anwendbarkeit von Rücktritts- und Härtefallregelungen würde andernfalls letztlich dazu führen, dass die Voraussetzungen eines wirksamen Prüfungsrücktritts mit Hilfe von Härtefallregelungen umgangen werden könnten (vgl. VG Ansbach, U.v. 10.9.2019 - AN 2 K 18.00556 - juris Rn. 43).
71
Dem Kläger waren die Umstände, die nach seinem Vortrag seine Leistungsfähigkeit eingeschränkt haben sollen, ausweislich seines Vortrags und der vorgelegten Unterlagen auch während der Prüfung bereits bekannt.
72
3. Die Festsetzung einer Bestehensgrenze von ca. 55% der erreichbaren Punkte ist nach den o.g. Grundsätzen gerichtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Bestehensgrenze lässt sich nicht starr und ohne den Blick auf durchschnittliche Ergebnisse bestimmen. Daraus folgt, dass die Prüfungsnoten nicht isoliert gesehen werden dürfen, sondern in einem Bezugssystem zu finden sind, das durch die persönlichen Erfahrungen und Vorstellungen der Prüfer beeinflusst wird. Da sich die komplexen Erwägungen, die einer Prüfungsentscheidung zugrunde liegen, nicht regelhaft erfassen lassen, würde eine gerichtliche Kontrolle zu einer Verzerrung der Maßstäbe führen (BVerfG, B.v. 17.4.1991 - 1 BvR 419/81 - BVerfGE 84, 34, 51 f.; VG München, U.v. 27.4.2021 - M 4 K 16.5166 - juris Rn. 24). Vor diesem Hintergrund hat der Kläger bereits nicht hinreichend dargelegt, weshalb eine Bestehensgrenze von ca. 55% sich außerhalb des prüfungsspezifischen Bewertungsspielraums des Prüfers befinden soll. Eine allgemeingültige Regel, wonach bereits 50% der erreichbaren Punkte zum Bestehen einer Klausur führen müssen, besteht nicht. Auch ein Vergleich mit den Studierenden im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen/Logistik, bei denen die Prüfung augenscheinlich besser ausgefallen ist, ist vor dem Hintergrund, dass eine sachliche Unterscheidung bei den zwei getrennten Studiengängen vorgenommen wird, nicht tauglich, die klägerische Ansicht zu stützen.
73
4. Ebenso ersichtlich innerhalb des prüfungsspezifischen Beurteilungsspielraumes der Prüferin liegen die weiteren gerügten Umstände der Prüfung. Verfahrensfehler, die Verkennung anzuwendenden Rechts, das Ausgehen von einem unrichtigen Sachverhalt oder die Verletzung allgemeingültiger Bewertungsmaßstäbe liegen nicht vor. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass sich die Prüferin von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen.
74
a) Ausweislich der Stellungnahme der Prüferin vom 30. September 2021 wurden in den letzten beiden Übungsstunden vor der Klausur insbesondere Aufgaben behandelt, die in ähnlicher Form auch in der Klausur abgeprüft worden seien. Hierin liege eine hinreichende Vorbereitung der Prüflinge auf die Prüfung. Dem ist der Kläger nur pauschal und nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten. Auch aus der Auflistung eines bloßen zeitlichen Umfangs der Lehrveranstaltungen und Darlegung des Anteils der letzten beiden Übungsstunden hieran lässt sich kein Verstoß gegen prüfungsrechtliche Grundsätze herleiten. Vielmehr ist mit der Stellungnahme der Prüferin davon auszugehen, dass die letzten beiden Übungsstunden noch einmal gezielt der Prüfungsvorbereitung gedient haben, ohne dass damit die restlichen Vorlesungsstunden nicht auch der Prüfungsvorbereitung gedient hätten.
75
b) Auch das Abhalten einer schriftlichen Präsenzklausur hält sich - auch unter Einbeziehung der pandemiebedingten Sondersituation und der hierzu ergangenen satzungsrechtlichen Regelungen der Beklagten (Satzung über studien- und prüfungsrechtliche Sonderregelungen im Sommersemester 2021 vom 23.3.2021) - ersichtlich im Rahmen des prüfungsspezifischen Beurteilungsspielraumes der Prüferin (vgl. auch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG). Gegenteilige Anhaltspunkte sind weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich. Auch § 21 b APO sieht lediglich fakultativ eine digitale Prüfung vor. Einen Rechtsanspruch hierauf hat der Kläger nicht.
76
c) Die Beklagte hat ausweislich des vorgelegten Bewertungsschemas hinreichend konkret und detailliert festgelegt, wie viele Einzelpunkte es pro Teilaufgabe und Lösungsschritt zu erreichen gibt (vgl. Bl. 36 bis 41 der Gerichtsakte). Inwiefern es daher zu einer von dem Kläger befürchteten willkürlichen Punktevergabe bzw. Klausurbewertung kommen soll, ist für das Gericht nicht nachvollziehbar. Ausweislich der dem Gericht vorliegenden Erst- und Zweitkorrektur der streitgegenständlichen Prüfung haben sich beide Prüfer auch an dieses Bewertungsschema gehalten. Insofern ist auch nicht erkennbar, dass das Bewertungsschema, wie der Kläger befürchtet, erst nachträglich erstellt sein könnte. Die Angabe der erreichbaren Punkte pro Aufgabe auf dem Klausurdeckblatt ist zudem hinreichend, damit die Prüflinge die Schwerpunkte der Klausur erkennen können. Eine zu detaillierte Aufschlüsselung der Punktevergabe würde dem Sinn und Zweck einer Prüfung - der Kenntnisprüfung und Leistungsfeststellung - entgegenstehen, da dadurch jedenfalls in Teilen der Lösungsweg vorgezeichnet werden könnte. Soweit der Kläger darüber hinaus eine willkürliche Punktevergabe deswegen befürchtet, weil ihm nach dessen Vortrag für Aufgabe 1 während der Klausureinsicht ein weiterer Punkt gewährt worden sei, ist dies der Klausurbearbeitung und dem Klausurdeckblatt nicht zu entnehmen. Auch die zuständige Prüferin hat sich dahingehend geäußert, dass ein zusätzlicher Punkt nicht gewährt worden sei (vgl. Stellungnahme der Prüferin vom 30.9.2021).
77
d) Die Vergabe von Malus-Punkten ist im Rahmen der streitgegenständlichen Prüfung nicht zu beanstanden.
78
Ob und in welcher Weise bei Anwendung eines Punkteschemas Punkte jeweils zu vergeben und wie einzelne Prüfungsbestandteile zu gewichten sind, unterfällt dem Bewertungsspielraum des Prüfers. Diese „prüfungsspezifische Wertung“ erstreckt sich insbesondere auf den Schwierigkeitsgrad der Aufgabe, auf das schnelle und genaue Erfassen der Probleme, auf die Geordnetheit der Darlegungen sowie die Qualität der Darstellung, auf die Flexibilität und Vorstellungskraft, auf die Überzeugungskraft der Argumente, auf die Gewichtung der Schwere einzelner Fehler und einzelner positiver Ausführungen, auf die Bedeutung einzelner Teile der Prüfungsarbeit für das Gesamtergebnis, auf den Gesamteindruck der Leistungen des Prüflings und nicht zuletzt auf die „durchschnittlichen“ Anforderungen als Maßstab für Differenzierungen bei der Notenvergabe. Diese - von persönlichen Einschätzungen und Erfahrungen des einzelnen Prüfers getragenen - Vorgänge rechtlich in näherer Weise zu steuern, ist weder möglich noch sinnvoll, da die individuelle Leistungskontrolle andernfalls ihr wesentliches Merkmal verlöre (vgl. Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, Rn. 635).
79
Ein Prüfungsverfahren, dessen Ergebnisse zu einem endgültigen Nichtbestehen des Studiengangs führen können und somit Auswirkungen auf die Freiheit der Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG) hat, muss so gestaltet sein, dass es geeignet ist, Aussagen darüber zu gewinnen, welche berufsbezogenen Kenntnisse der Prüfling hat. Einem Bewertungsverfahren, bei dem fehlerfrei erbrachte Prüfungsleistungen als nicht oder schlecht erbracht gewertet werden, weil andere Prüfungsfragen nicht richtig beantwortet worden sind, genügt dem nicht. Denn damit wird nicht der Wissenstand des Prüflings, sondern allenfalls seine Risikobereitschaft zum Raten beurteilt (vgl. zum Ganzen OVG NRW, U.v. 16.12.2006 - 14 A 2154/08 - juris Rn. 45 und B.v. 11.11.2011 - 14 B 1109/11 - juris Rn. 11; VG München, U.v. 21.4.2021 - M 3 K 19.1748 - juris Rn. 30; Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, Rn. 588). Aus diesem Gedanken ergibt sich, dass im Antwort-Wahl-Verfahren Maluspunkte grundsätzlich unzulässig sind. Anders verhält sich dies im Rahmen der streitgegenständlichen Prüfung, die keine Aufgabenstellung im Antwort-Wahl-Verfahren enthält. Eine aufgabenübergreifende Verrechnung von Maluspunkten findet gerade nicht statt. Vielmehr dienen die Maluspunkte innerhalb einer Aufgabe dazu, die Kenntnisse des Prüflings gleichförmig und möglichst objektiviert im Vergleich zu den Mitprüflingen zu bewerten. Sowohl in Aufgabe 1 als auch in Aufgaben 3 und 4 führt die Vergabe von Maluspunkten bei den Prüflingen zu einer objektiven Bewertung der Klausurbearbeitung. Fehler innerhalb einer Aufgabe müssen letztlich auch Berücksichtigung in der Gesamtbewertung dieser Aufgabe finden. Sowohl für Aufgabe 1 als auch für Aufgaben 3 und 4 sind objektivierend Maluspunkte für konkret aufgelistete Fehler vorgesehen. Dieses Vorgehen stellt sich als sachgerecht dar. Eines Hinweises in der Aufgabenstellung, dass sowohl positive als auch negative Aspekte im Rahmen der Bewertung einer Aufgabe berücksichtigt werden, bedurfte es angesichts dieser prüfungsrechtlichen Selbstverständlichkeit - die im Rahmen der streitgegenständlichen Prüfung mathematisch mittels Maluspunkten lediglich zur Wahrung der Chancengleichheit objektiviert wurde - nicht.
80
e) Ob Bewertungsfehler im Übrigen vorliegen, kann das Gericht offenlassen, da selbst bei Zuerkennung der restlichen Punkte die Bestehensgrenze nicht erreicht werden würde und daher jedenfalls keine Kausalität für das endgültige Nichtbestehen vorliegt.
81
5. Soweit der Kläger rügt, ihm habe im Rahmen der Prüfungseinsicht keine Musterlösung für Aufgabe 4 der Klausur zur Verfügung gestanden, ist die Prüferin dem in ihrer Stellungnahme vom 30. September 2021 entgegengetreten. Selbst wenn dem Kläger Teile der Musterlösung im Rahmen der Einsicht nicht zur Verfügung gestanden hätten, ist nicht erkennbar, inwieweit dies kausal für die Bewertung der und das Abschneiden des Klägers bei dieser Klausur sein könnte. Im Übrigen hat der Kläger im Rahmen des Widerspruchs- und Gerichtsverfahrens Akteneinsicht erhalten. Ihm sind zudem alle von ihm angeforderten Unterlagen vorgelegt worden. Es ist daher nicht erkennbar, wie der Kläger daher in seinem Rechtsschutz beeinträchtigt worden sein soll. Es war ihm erkennbar möglich, im Rahmen des Widerspruchs- und Klageverfahrens zu allen Aufgaben auch inhaltlich Stellung zu nehmen.
82
II. Da sich die Klage damit sowohl im Haupt- als auch im Hilfsantrag als unbegründet erweist, war diese vollumfänglich mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Kläger hat als unterlegener Teil die Kosten des Verfahrens zu tragen.
83
III. Eine Entscheidung über die Frage der Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren gem. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO war mangels einer dem Kläger günstigen Kostenentscheidung nicht veranlasst.
84
IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.