Titel:
Erfolglose Klage gegen isolierten Widerspruchsbescheid
Normenkette:
VwGO § 79 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, § 88, § 91
Leitsätze:
1. Beschwer iSd § 79 Abs. 2 S. 1 VwGO ist in erster Linie die weitere Belastung des Widerspruchsführers durch materielle Regelungen im Tenor des Widerspruchsbescheids (einschließlich der Nebenentscheidungen über die Kosten). (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
2. Beschränkt sich ein Widerspruchsbescheid in seinem verfügenden Teil darauf, den Widerspruch zurückzuweisen, ist diesem eine eigenständige Beschwer grundsätzlich nicht zu entnehmen. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Auswechseln des Beklagten nach Ablauf der Klagefrist führt nicht dazu, dass die Klage wegen Fristversäumnisses unzulässig ist, wenn der angefochtene belastende Verwaltungsakt schon mit der Erhebung der Klage eindeutig bezeichnet worden ist. Das ist nicht der Fall, wenn der belastende Verwaltungsakt zu keinem Zeitpunkt innerhalb der Klagefrist anhängig war. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unzulässige Klage im Kommunalabgabenrecht, Isolierte Klage gegen einen Widerspruchsbescheid, Grenzen der Auslegung des Klagebegehrens, Klageänderung, Klage verfristet, Beschwer, Widerspruchsbescheid, Klagebegehren, Auslegung, Verfristung, Auswechseln
Fundstelle:
BeckRS 2022, 30192
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten, mit dem sie zur Erstattung der Kosten der Reparatur einer Wasserleitung auf ihrem Grundstück herangezogen wurde.
2
Die Klägerin ist Eigentümerin eines bebauten Grundstücks im Ortsbereich der Beklagten. Am 20. Februar 2018 wurde dort eine Wasseranschlussleitung freigelegt und ausgetauscht.
3
Mit Rechnung vom 31. Oktober 2018 stellte die Beklagte der Klägerin die Kosten für die Reparatur eines Wasserrohrbruchs in Höhe von zunächst 427,20 € in Rechnung.
4
Mit Schreiben vom 26. November 2018 erhob die Klägerin hiergegen „Widerspruch“, da die Rechnung sachlich nicht gerechtfertigt sei. Die Hausanschlussleitung habe zu keinem Zeitpunkt einen Schaden gehabt. Am Vormittag des 15. Februar 2018 seien auf ihrem Grundstück Messungen durchgeführt, die Wasserleitung abgehört worden. Ein Schaden habe nicht festgestellt werden können. Am Nachmittag habe man ihr mitgeteilt, dass Grabarbeiten wegen eines Wasserleitungsschadens am Hausanschluss erforderlich seien. Sie habe sich gewehrt, da am Vormittag nichts habe festgestellt werden können und die Firma in der kommenden Woche zu einer weiteren Prüfung habe vorbeikommen wollen. Die Arbeiter hätten sie jedoch bedrängt, da ein hoher Wasserverlust vorhanden sei, der ihr berechnet werden könne. Notgedrungen habe sie die Arbeiten deshalb durchführen lassen, sei aber nicht davon ausgegangen, dass dadurch Kosten für sie entstünden. Einen Alternativvorschlag, eine neue Leitung auf ihre Kosten im Durchschussverfahren herzustellen, habe sie abgelehnt. Am 20. Februar 2018 sei das Hausanschlussrohr freigelegt worden und es habe sich gezeigt, dass kein Schaden vorliege. Trotzdem sei das freigelegte Rohrstück ausgewechselt worden, ohne dass die Klägerin gefragt worden sei. Das herausgeschnittene Rohrstück habe sie als Beweismittel zurückbehalten und durch eine Fachfirma auf Dichtigkeit prüfen lassen. Eine undichte Stelle habe nicht festgestellt werden können. Da kein Schaden vorgelegen habe, seien die Arbeiten unnötig gewesen.
5
Mit Bescheid vom 11. April 2019 forderte die Beklagte von der Klägerin die Erstattung von Kosten für die Unterhaltung des Grundstücksanschlusses in Höhe von 1.807,00 €.
6
Die Kosten seien aufgrund eines Wasserrohrbruchs auf dem Grundstück der Klägerin der Beklagten als Kosten für die Unterhaltung des Grundstücksanschlusses zu erstatten. Gem. § 10 Abs. 1 der Satzung für die öffentliche Wasserversorgungseinrichtung (Wasserabgabesatzung - WAS) vom 15. November 2013 sei die Klägerin als Grundstückseigentümerin verpflichtet, für die ordnungsgemäße Errichtung, Erweiterung, Änderung und Unterhaltung der Anlage von der Übergabestelle ab - mit Ausnahme des Wasserzählers - zu sorgen. Diese Aufgaben würden gem. § 9 Abs. 1 WAS von der Gemeinde vorgenommen. Der Aufwand für die Unterhaltung der Grundstücksanschlüsse sei mit Ausnahme des Aufwands, der auf die im öffentlichen Straßengrund liegenden Teile der Grundstücksanschlüsse entfiele, in der jeweils tatsächlichen Höhe zu erstatten (§ 8 Abs. 1 Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung - BGS-WAS). Der Betrag setze sich aus drei Rechnungen der Firmen B., A. und S. zusammen, die jeweils beigefügt seien.
7
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 6. Mai 2019 Widerspruch ein. Zur Begründung ist unter Verweis auf das Schreiben vom 26. November 2018 angeführt, im Protokoll der Firma B. sei die Grabung weder als Grabung mit Gewährleistung noch als Risikograbung freigegeben gewesen. Dies hätte zunächst geklärt werden müssen. So sei es zu der Fehlgrabung ohne Ergebnis gekommen. Sie vermute, die Auswechslung des Rohres sei nur deshalb vorgenommen worden, um eine Fehlgrabung zu rechtfertigen.
8
Mit Anhörungsschreiben vom 7. Juli 2020 teilte das zuständige Landratsamt der Klägerin unter Schilderung der Sach- und Rechtslage mit, dass der Widerspruch zwar zulässig, aber unbegründet sei.
9
Hierzu ließ die Klägerin durch ihren nunmehr Bevollmächtigten nach erfolgter Akteneinsicht mit Schreiben vom 19. August 2020 Stellung nehmen.
10
Es würden wesentliche Vorgänge in den Akten fehlen. Dabei gehe es um einen anderen und einzigen erheblichen Wasseraustritt unweit des Grundstückes der Klägerin im Februar 2018 im öffentlichen Straßenbereich. Kern des Verfahrens sei die Frage, ob ein Wasserschaden auf dem Grundstück der Klägerin tatsächlich nachgewiesen sei. Die hierzu in den Akten befindlichen Aussagen seien weder präzise noch geeignet, einen Anspruch der Beklagten zu begründen. Alleine die Verwendung des Konjunktivs oder die Aufstellung von Vermutungen sprächen gegen einen Wasserschaden bei der Klägerin.
11
Mit Schreiben vom 25. August 2020 teilte das zuständige Landratsamt mit, dass der Wasserschaden auf dem Grundstück der Klägerin im Februar 2018 festgestellt und behoben worden sei, der weitere Wasserschaden unweit des Grundstücks der Klägerin erst im April 2018 aufgetreten sei. Der Wasserschaden sei mittels Zonenmessung und weiterer Messungen auf die Anschlussleitung des klägerischen Grundstücks verortet worden. Nach Austausch des klägerischen Anschlussrohres sei keine erhöhte Nachtabgabe mehr festzustellen gewesen.
12
Mit Widerspruchsbescheid vom 8. September 2020 wies das zuständige Landratsamt den Widerspruch zurück (Ziffer 1), erlegte der Klägerin die Kosten des Widerspruchsverfahrens auf (Ziffer 2) und setzte die Gebühr auf 236,00 € fest (Ziffer 3).
13
Zur Begründung ist unter Darlegung des Sachverhalts angeführt, der Widerspruch sei unbegründet. Der Wasserrohrbruch unweit des klägerischen Grundstücks könne aufgrund der zeitlichen Abfolge keine Auswirkungen auf den Schaden am klägerischen Anschlussrohr gehabt haben. Der Bescheid sei auch ohne Nennung eines konkreten Reparaturdatums bestimmt genug. Die einzelnen diesem zugrundeliegenden Rechnungen seien beigefügt gewesen, dort die Daten der Ausführung genannt. Trotz des Untersuchungsergebnisses der Überprüfung des Rohrstücks durch die Klägerin habe das Rohr einen Schaden gehabt. Die Landeswasserversorgung habe eine stark erhöhte Nachtabgabe in der Kalenderwoche 7/2018, also in der Zeit vom 12. bis 18. Februar 2018 festgestellt, woraufhin der Ort des Wasseraustritts mittels Zonenmessung und weiteren Messungen auf die klägerische Anschlussleitung verortet worden sei. Bei einer Punktmessung sei ausweislich des Protokolls der Firma B. 1,5 m von der Hausecke Richtung Eingangstüre des klägerischen Anwesens Gas ausgetreten. Nach Austausch des Rohres sei keine erhöhte Nachtabgabe mehr festzustellen gewesen.
14
Aufgrund dieser Umstände läge auch nicht bloß eine Vermutung vor. Auch die Verwendung des Konjunktivs führe zu keiner anderen Bewertung. Es sei lediglich dargelegt worden, was passiere, wenn kein Leck geortet werden könne. Mit der Firma B. sei keine Gewährleistungsübernahme vereinbart worden, so dass die entsprechenden Felder im Protokoll leer geblieben seien.
15
Die Klägerin ließ am 13. Oktober 2020 Klage gegen das Landratsamt erheben und zunächst beantragen,
16
Der Widerspruchsbescheid des Landratsamtes ... vom 8. September 2020 wird aufgehoben.
17
Der Bescheid selbst enthalte kein Datum, wann der Wasserrohrbruch stattgefunden habe. Der von der Klägerin beauftragte Gutachter S. sei ausweislich des Gutachtens vom 19. November 2018 zu dem Ergebnis gelangt, dass während einer Prüfdauer von 10 Minuten weder am Rohr noch an der Verbindung Wasseraustritt habe festgestellt werden können. Aus einem Aktenvermerk vom 25. Juni 2020 ergäben sich Unsicherheiten. Die dortigen Aussagen seien weder präzise noch geeignet, den Anspruch der Gemeinde zu begründen (Vermutungen, Verwendung des Konjunktivs). Die Arbeiten seien trotz Hinweises der Klägerin, dass kein Schaden vorliege, fortgeführt worden. In der Baugrube habe es entgegen der Darstellungen des Landratsamtes kein Wasser gegeben, es sei auch keine Pumpe zur Wasserentfernung zum Einsatz gekommen. Wände der Baugrube seien nicht eingestürzt.
18
Im Februar 2018 sei es in der gleichen Straße zu einem Ausbaggern wegen eines dortigen Wasseraustrittes gekommen. Es habe ein Wasserschaden im öffentlichen Straßenbereich vorgelegen. Der Wasserschaden sei nach Aussage der dort wohnhaften Nachbarn so erheblich gewesen, dass das Wasser am Gehweg, also an der Oberfläche ausgetreten und der Schadensort offensichtlich gewesen sei. Dort sei ebenfalls die Firma B. zur Ortung eingesetzt worden. Hinsichtlich dieses Wasserschadens sei keine Aufklärung erfolgt. Eine genaue Recherche habe ergeben, dass der Wasserleitungsschaden dort am 1. April 2018 bemerkt worden sei, weil das Wasser an die Oberfläche getreten sei. Dies sei etwa sechs Wochen nach dem angeblichen Schadensereignis vor dem Gebäude der Klägerin gewesen. Schäden an einer Wasserleitung würden zunächst klein beginnen und sich wegen des ständigen Drucks erst zeitversetzt weiten. Es sei nicht auszuschließen, dass bereits sechs Wochen vorher die Leitung unweit des klägerischen Grundstücks schadhaft gewesen sei.
19
Nach richterlichem Hinweis vom 3. November 2020, dass sich die Klage ausweislich des klaren Wortlautes des Antrags offenbar isoliert gegen den Widerspruchsbescheid des Landratsamtes wende und insofern bereits die Zulässigkeit der Klage fraglich sein könnte, wenn der Widerspruchsbescheid keine erstmalige bzw. zusätzliche Beschwer enthalte, ließ die Klägerin zuletzt am 30. November 2020 gegen die Gemeinde ... beantragen,
20
Der Bescheid der Gemeinde ... vom 11. April 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts ... vom 8. September 2020 wird aufgehoben.
21
Der Anlage 6 des Klageschriftsatzes lasse sich entnehmen, dass bereits am 19. August 2020 beantragt worden sei, den Bescheid der Gemeinde vom 11. April 2019 aufzuheben. Im Widerspruchsverfahren sei erstmals der weitere Wasserschaden unweit des Grundstücks der Klägerin vorgetragen worden. Das Landratsamt habe sich weitergehend und völlig anderen Inhalts als die Gemeinde mit Schreiben vom 25. August 2020 hierzu geäußert. Insofern habe der Widerspruchsbescheid des Landratsamts den ursprünglichen Verwaltungsakt in neuer Gestalt im Sinne des § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO aufscheinen lassen. Ausgangsbescheid und Widerspruchsbescheid stellten letztlich eine Einheit dar. Hier beschwere der Widerspruchsbescheid die Klägerin mit der neuen Begründung zusätzlich. Hinzu komme, dass in der Klagebegründung vom 13. Oktober 2020 unter dem Sachverhalt ausführlich dargelegt worden sei, dass am 11. April 2019 der zugrundeliegende Bescheid der Gemeinde ausgesprochen und aus dem gesamten Zusammenhang heraus mit der Klage bereits konkludent mit zur Aufhebung gestellt worden sei. Eine isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheids sei der Klage aus dem Sinn und Zusammenhang nicht zu entnehmen.
22
Die Beklagte lässt beantragen,
24
Erhebliche Zweifel bestünden bereits an der Zulässigkeit der Klage, da sich diese ausdrücklich gegen das Landratsamt richte und nur die Aufhebung des Widerspruchsbescheids beantragt worden sei. Erst nach Ablauf der Klagefrist sei der Klageantrag auch auf den Ausgangsbescheid der Gemeinde erstreckt worden. Der Widerspruchsbescheid enthalte keine erstmalige Beschwer. Bei einer möglichen Auslegung gem. § 88 VwGO sei zu beachten, dass dem Schriftsatz ausdrücklich nicht der Ausgangsbescheid als Anlage beigefügt gewesen sei.
25
Der weitere Wasserschaden unweit des klägerischen Grundstücks sei für den hiesigen Fall irrelevant. Ein etwaiger dortiger Wasserrohrbruch habe keine Auswirkungen auf den Schaden beim klägerischen Anwesen. Der klägerische Schaden sei bereits am 15. Februar 2018 festgestellt worden, nachdem eine stark erhöhte Nachtabgabe vorgelegen habe. Dabei sei bei der Ortung ein Gasaustritt auf dem klägerischen Grundstück festgestellt worden. Nach durchgeführter Reparatur habe es keine erhöhte Nachtabgabe mehr gegeben. Vermutungen gebe es nicht. Im Protokoll der Firma B. sei der Schadensort genau lokalisiert und bezeichnet worden. Bestätigt werde dies durch den Vortrag der Klägerin, dass am 15. Februar 2018 zwei Mitarbeiter der Wasserversorgung bei der Klägerin erschienen seien und mitgeteilt hätten, dass Grabarbeiten wegen eines Wasserleitungsschadens erforderlich seien. Auf den klägerseits vorgelegten Fotos sei auch Wasser in der Grube erkennbar.
26
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakte sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
27
Die Klage ist bereits unzulässig, in der Sache jedoch auch unbegründet.
28
I. Die Klage ist unzulässig, da die gegen die Widerspruchsbehörde und den Widerspruchsbescheid isoliert gerichtete Klage nicht statthaft ist, weil es an einer selbständigen Beschwer des Widerspruchsbescheids fehlt. Im Übrigen ist die sodann umgestellte Klage gegen den Ausgangsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids verfristet erhoben.
29
1. Der Widerspruchsbescheid vom 8. September 2020 kann gem. § 79 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht Gegenstand der Anfechtungsklage sein, weil es an einer erstmaligen bzw. zusätzlichen selbständigen Beschwer fehlt. Gegenstand der Anfechtungsklage ist der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) bzw. der Abhilfebescheid oder Widerspruchsbescheid, wenn dieser erstmalig eine Beschwer enthält (§ 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO). Der Widerspruchsbescheid kann auch dann alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält (§ 79 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Als eine zusätzliche Beschwer gilt auch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift, sofern der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht (§ 79 Abs. 2 Satz 2 VwGO).
30
a) Gegenstand der ursprünglich erhobenen Klage war ausschließlich der Widerspruchsbescheid vom 8. September 2020. Eine anderweite Auslegung, § 88 VwGO, scheitert am klaren Wortlaut des Rubrums und des Klageantrags sowie den klaren Ausführungen in der Klagebegründung, in der entweder von der Gemeinde oder dem Beklagten (dem Landratsamt) die Rede ist.
31
Das Gericht muss das Klagebegehren - das wirkliche Rechtsschutzziel - von Amts wegen ermitteln (BVerwG, B.v. 20.1.1993 - 7 B 158/92 - BVerwGE 60, 144 (149) = juris Rn. 4 ff.; U.v. 1.9.2016 - 4 C 4/15 - BVerwGE 156, 94 = juris Rn. 9). Das Klagebegehren ergibt sich aus dem gesamten Vortrag des Klägers, insbesondere aus der Klagebegründung sowie aus etwa beigefügten Bescheiden. An die Fassung vom Kläger gestellter Anträge ist das Gericht nicht gebunden; sie können das Klagebegehren nicht nur schief, sondern insbesondere auch unvollständig erfassen oder zu weit gefasst sein. Die Anträge sind daher gemäß §§ 133, 157 BGB auszulegen, ggf. unter Rückgriff auf die Interessenlage (BVerwG, U.v. 1.9.2016 - 4 C 4/15 - BVerwGE 156, 94 = juris Rn. 9). Ratio der in § 82, § 86 Abs. 3, § 88 VwGO enthaltenen Regelung ist, dass es dem nicht juristisch Geschulten vielfach Mühe bereitet, im Verwaltungsrecht den sachdienlichen Antrag richtig zu formulieren; hieraus sollen dem Kläger keine Nachteile erwachsen (vgl. BayVGH, B.v. 4.4.2018 - 22 C 18.371 - juris Rn. 11). Daraus ergibt sich aber zugleich, dass der anwaltlich Vertretene sich eher an seinen Anträgen festhalten lassen muss (BVerfG, Kammerbeschluss v. 8.5.1991 - 2 BvR 170/85 - juris). Allerdings ist das Gericht auch dann nicht strikt an den Antragswortlaut gebunden, wenn die Klagebegründung, die beigefügten Bescheide oder sonstige Umstände eindeutig erkennen lassen, dass das wirkliche Klageziel von der Antragsfassung abweicht (vgl. hierzu Eyermann/Wöckel, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 88 Rn. 8 f. m.w.N.)
32
In Anwendung dieser Grundsätze kommt eine anderweitige als die oben dargelegte Auslegung nicht in Betracht. Die am 13. Oktober 2020 anwaltlich erhobene Klage richtet sich ausweislich des Rubrums ausdrücklich gegen das Landratsamt (vgl. auch § 78 Abs. 2, 79 Abs. 2 Satz 3 VwGO) wegen des „Widerspruchsbescheid[s] vom 08.09.2020, Aktenzeichen des Landratsamtes ... ... “. Die Mandantin habe den genannten Widerspruchsbescheid erhalten und es werde beantragt, den Widerspruchsbescheid des Landratsamtes aufzuheben. In der Anlage zur Klage ist auch nur der Widerspruchsbescheid beigefügt, nicht jedoch der Ausgangsbescheid der Gemeinde. Auch in der Klagebegründung spricht der Anwalt davon, dass der Vorgang „der Beklagten als Widerspruchsbehörde vorgelegt“ worden sei und „die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 08.09.2020 entschieden“ habe. Auch die übrigen Ausführungen lassen keinen Raum für eine andere Auslegung, zumal die Klägerin anwaltlich vertreten ist.
33
b) Der Widerspruchsbescheid vom 8. September 2020 enthält jedoch keine eigene Beschwer. Beschwer ist die Schmälerung jeder, nicht nur der durch den Ausgangsbescheid geschaffenen Rechtsstellung (vgl. Eyermann/Wöckel, VwGO, § 79 Rn. 14). Beschwer i.S.d. § 79 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist in erster Linie die weitere Belastung des Widerspruchsführers durch materielle Regelungen im Tenor des Widerspruchsbescheids (einschließlich der Nebenentscheidungen über die Kosten). Eine fehlerhafte Begründung (etwa in Ermessensfragen) allein löst keine zusätzliche selbständige Beschwer aus; sie gibt aber ggf. dem Ausgangsbescheid eine andere Gestalt i.S.d. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO (vgl. Eyermann/Wöckel, VwGO, § 79 Rn. 20).
34
Der Widerspruchsbescheid vom 8. September 2020 beschränkt sich in seinem verfügenden Teil darauf, den Widerspruch zurückzuweisen (Ziffer 1). Eine eigenständige Beschwer ist dem Widerspruchsbescheid nicht zu entnehmen. Soweit die Klägerin vortragen lässt, in der Begründung werde erstmals Stellung zu dem weiteren Wasserschaden genommen, ändert diese Begründung die Beschwer nicht, sondern führt lediglich dazu, dass der Ausgangsbescheid in seiner Begründung die Gestalt der Begründung des Widerspruchsbescheids annimmt bzw. diese ergänzt.
35
2. Die Klage in Gestalt der Klageänderung vom 30. November 2020 erweist sich als unzulässig, weil die Klagefrist nicht eingehalten worden ist.
36
Soweit mit Schriftsatz vom 30. November 2020 der Klageantrag dahingehend geändert wurde, dass nunmehr Klagegegenstand der Ausgangsbescheid vom 11. April 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. September 2020 ist, liegt darin keine bloße Präzisierung des Klageantrags sondern eine Klageänderung gem. § 91 VwGO in zweifacher Weise. Zum einen richtet sich die so geänderte Klage nunmehr nicht mehr gegen das Landratsamt (auch wenn eine dahingehende Klageänderung nicht durch den Klägerbevollmächtigten explizit beantragt worden ist, sondern dieser im Rubrum lediglich die Gemeinde als Beklagte anführt, so dass auch im Rahmen der Begründetheit fraglich ist, ob die Voraussetzungen der Passivlegitimation vorliegen), zum anderen gegen einen eigenen, anderen Verwaltungsakt, nämlich den Ausgangsbescheid vom 11. April 2019. Liegt damit ein anderer Klagegegenstand vor, müssen auch die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Klage für diesen neuen Klagegegenstand vorliegen.
37
Das Auswechseln des Beklagten (subjektive Klageänderung) nach Ablauf der Klagefrist macht die Klage nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zwar nicht wegen Fristversäumnis unzulässig, wenn der angefochtene belastende Verwaltungsakt schon mit der Erhebung der Klage eindeutig bezeichnet worden ist (vgl. BVerwG, B.v. 20.1.1993 - 7 B 158.92 - juris Amtlicher Leitsatz und Rn. 6 f.). Zum Wesen der Klageänderung gehört es nämlich, dass das Prozessrechtsverhältnis in geänderter Form fortgesetzt wird. Wird bei einer Anfechtungsklage lediglich der Beklagte ausgewechselt, so hat diese Änderung in diesem Fall keinen Einfluss auf die bereits eingetretene Rechtshängigkeit (vgl. BVerwG, B.v. 20.1.1993 - 7 B 158.92 - juris Rn. 7). Der Fall hier liegt - wie dargestellt - anders. Eine Klage gegen den Ausgangsbescheid vom 11. April 2019 ist nach jeder möglichen Auslegung (vgl. Ziffer I. 1. a) oben) nicht rechtshängig.
38
Am 30. November 2020 war die einmonatige Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO bereits offensichtlich abgelaufen. Der Widerspruchsbescheid vom 8. September 2020 wurde ausweislich des Empfangsbekenntnisses des Klägerbevollmächtigten (Bl. 2 der Behördenakte) am 14. September 2020 zugestellt.
39
II. Die Klage ist zudem unbegründet. Der Bescheid vom 11. April 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. September 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
40
Gem. § 10 Abs. 1 der Satzung für die öffentliche Wasserversorgungseinrichtung (Wasserabgabesatzung - WAS) vom 15. November 2013 ist die Klägerin als Grundstückseigentümerin verpflichtet, für die ordnungsgemäße Errichtung, Erweiterung, Änderung und Unterhaltung der Anlage von der Übergabestelle ab - mit Ausnahme des Wasserzählers - zu sorgen. Der Grundstücksanschluss wird von der Gemeinde hergestellt, angeschafft, verbessert, unterhalten, erneuert, geändert, abgetrennt und beseitigt (§ 9 WAS). Der Aufwand für die Unterhaltung der Grundstücksanschlüsse ist mit Ausnahme des Aufwands, der auf die im öffentlichen Straßengrund liegenden Teile der Grundstücksanschlüsse entfällt, in der jeweils tatsächlichen Höhe zu erstatten (§ 8 Abs. 1 Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung vom 15. November 2013 - BGS-WAS).
41
1. Der Wasserschaden bestand zur Überzeugung des Gerichts am Zuleitungsrohr auf dem klägerischen Grundstück. Die Ortung der Leckstelle ergibt sich nachvollziehbar aus den Behördenakten (vgl. Aktenvermerk über ein Telefongespräch der Widerspruchsbehörde mit dem Wasserversorger, Bl. 44 der Behördenakte), wonach der Wasserversorger über Übergabezähler verfüge und Zonenmessungen durchführe und so auf ca. 20 Schächte bzw. einen Straßenzug genau eingrenzen könne, wo ein Schaden im Rohr vorliege. Der Wasserversorger schaue dann vor Ort, bei welchem Hausanschluss der Schaden liege („Vorortung“) und die Firma B. führe die Punktortung durch. Den Behördenakten ist ein Protokoll der Firma B. vom 15. Februar 2018 zur Punktortung zu entnehmen (Bl. 58 der Behördenakte), wonach bei der Teilnetz- und Punktmessung per Korrelation, Gasspürverfahren und Akustik am Hausanschluss der Klägerin auf deren Grundstück eine Leckstelle geortet worden ist. Der Gasaustritt habe 1,5 Meter von der Hausecke Richtung Eingangstür festgestellt werden können. Dem Protokoll ist zudem eine Skizze des klägerischen Anwesens mit eingezeichnetem Schadensort zu entnehmen.
42
2. Konkrete Anhaltspunkte oder Nachweise dafür, dass diese Angaben zur Ortung unzutreffend sein könnten, hat die Klägerin nicht substantiiert vorgetragen oder unter Beweis gestellt.
43
Die Klägerin gibt zwar an, sie sei in Besitz des damals ausgetauschten Wasserrohres und habe dieses bei einer Sanitärfirma prüfen lassen (vgl. Bl. 57 der Behördenakte). Diesem Protokoll ist zu entnehmen, dass während einer Prüfdauer von zehn Minuten weder am Rohr noch an der Verbindung ein Wasseraustritt festgestellt habe werden können. Der Prüfdruck habe 3 bar betragen und die Prüfung habe am 19. November 2018 stattgefunden.
44
Die Prüfung des Rohrstücks mit einem Prüfdruck von 3 bar dürfte jedoch nicht hinreichend sein, um eine Dichtigkeit bei einem Systemdruck von bis zu 10 bar nachzuweisen (vgl. aber die unsichere Aussage im Aktenvermerk über ein Telefongespräch der Widerspruchsbehörde mit dem Wasserversorger, Bl. 44 der Behördenakte). Zudem lassen sich zu den jeweiligen abgetrennten Enden des Rohrstücks keine Aussagen mehr zur Dichtigkeit der damaligen Verbindung im eingebauten Zustand treffen. Insofern ist nicht hinreichend in Zweifel gezogen, dass eine Leckstelle auf dem klägerischen Grundstück bestand.
45
3. Hinzu kommt, dass von Beklagtenseite vorgetragen worden ist, dass die erhöhte Nachtabgabe nach Austausch des Wasseranschlussrohres auf dem klägerischen Grundstück sich wieder normalisiert habe. Dies spricht ebenfalls für eine Leckstelle auf dem klägerischen Grundstück, wenngleich die konkreten Zahlen zur Nachtabgabe von Beklagtenseite nicht mehr vorgelegt werden konnten und diesbezüglich nur die Aussagen des Wasserversorgers vorliegen.
46
4. Auch der Vortrag der Klägerseite zu einem weiteren Wasserschaden in derselben Straße im April 2018 ändert an dieser Beurteilung nichts. Es erschließt sich dem Gericht nicht, wie die Nachtabgabe nach Reparatur des klägerischen Schadens im Februar sich hätte normalisieren sollen, wenn das eigentliche Leck nicht gefunden worden wäre. Auch erklärt sich nicht, wie ein Gasaustritt an der klägerischen Hausanschlussleitung hätte festgestellt werden können, wenn dort kein Schaden vorgelegen hätte. Der zweite Wasserschaden in derselben Straße fand zudem in einem zeitlichen Abstand von fast zwei Monaten statt.
47
5. Der konkrete Aufwand zum Austausch des streitgegenständlichen Wasseranschlussrohres ist durch die dem Bescheid beigefügten Rechnungen der Firmen B, A. und S. nachgewiesen und im Übrigen auch der Höhe nach nicht angegriffen.
48
III. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.