Titel:
Baugenehmigung für Wettannahmestelle und Kleingastronomie
Normenkette:
BauGB § 34 Abs. 1
Leitsätze:
1. Um eine abschließende bauplanungsrechtliche Einordnung als Gewerbebetrieb ("Wettannahmestelle") vornehmen zu können, ist ein verbindlicher Nachweis in Form einer Bestätigung des Wettanbieters bzw. Franchisegebers oder Hard- bzw. Softwarebetreibers erforderlich, dass die (bei den Terminals) verwendete Software technisch (ggf. durch Anpassung der Programmierung) nicht geeignet ist, "Live-Wetten" durchzuführen. Allein die Festlegung durch die Betriebsbeschreibung, dass Sportereignisse, Live-Wetten, Live-Quoten oder Live-Zwischenergebnisse auf den Monitoren nicht angezeigt werden, genügt dagegen nicht. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. In eine "Gemengelage" vermag sich ein Vorhaben grundsätzlich dann einzufügen, wenn ein Vorbild vorhanden ist, es also den Rahmen der Umgebungsbebauung wahrt. Bei der Charakterisierung und Bewertung der vorhandenen Nutzungen ist dabei auf die in der BauNVO typisierten Nutzungsarten abzustellen (vgl. BVerwG BeckRS 1994, 10479). (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
vorangegangene Nutzungsuntersagung für Wettbüro, Bauantrag (Nutzungsänderung) für Wettannahmestelle und Kleingastronomie, Auslegung eines Bauantrags, funktionale Einheit, Wettbüro, Wettannahmestelle, Gemengelage, Umgebung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 24.04.2023 – 2 ZB 23.584
Fundstelle:
BeckRS 2022, 30133
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für eine „Nutzungsänderung des Teils einer Gaststätte in eine Ladenfläche mit Wettannahme“ im Erdgeschoss des Anwesens ... straße 131, Fl.Nr. …, Gem. ... (im Folgenden: Baugrundstück).
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Mit Baugenehmigung vom 8. Mai 2015 nach PlanNr. … wurde im Erdgeschoss des Baugrundstücks (Vordergebäude) eine Gaststätte mit einer Gastraumfläche von 48,32 m² bauaufsichtlich genehmigt.
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Mindestens seit dem Jahr 2017 betrieb die „… GmbH“, deren Geschäftsführerin die Klägerin ist, im unweit des Baugrundstücks gelegenen Anwesen ... straße 121 ohne die erforderliche bauaufsichtliche Genehmigung ein Wettbüro. Die Nutzung wurde untersagt. Klagen und Eilanträge blieben ohne Erfolg (M 8 S 18.183, M 8 S 18.182, M 8 K 17.838, M 8 K 17.1482, M 8 K 17.4827 und 2 CS 18.768, 2 CS 18.770, 2 ZB 18.2329, 2 ZB 18.2328, 2 ZB 18.2327).
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Anschließend verlagerte die „… GmbH“ etwa Anfang des Jahres 2018 den Betrieb des aufgegriffenen Wettbüros in das Erdgeschoss des streitgegenständlichen Anwesens. Auch diese Nutzung wurde mit zwischenzeitlich bestandskräftigem Bescheid vom 20. März 2018 untersagt; Klagen gegen die Nutzungsuntersagung sowie zu deren Durchsetzung getroffene Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung (Zwangsgelder) und Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz blieben ohne Erfolg (M 8 S 18.6054, M 8 S 18.6055, M 8 K 18.1950, M 8 K 18.2934, 2 CS 19.707, 2 ZB 19.2252, 2 ZB 19.2254).
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Mit Bauantrag vom 29. November 2019 nach PlanNr. … beantragte die Klägerin die „Nutzungsänderung eines Teils einer Gaststätte in eine Ladenfläche mit Wettannahme“. Laut den zur Genehmigung gestellten Plänen sollte die im Jahr 2015 bauaufsichtlich genehmigte Gaststätte verkleinert werden, die Gastraumfläche sollte 43,12 m² umfassen. Die genehmigte „Spülküche“ sollte aufgelöst werden. Neben dem Gastraum waren der Gaststätte eine Garderobe mit 6,14 m² Fläche sowie WCs mit Vorraum (6,78 m²) zugeordnet. Eine separate Küche oder Lagerräume waren nicht vorgesehen. Im rückwärtigen Bereich sollten bisher bauaufsichtlich genehmigte Nebenräume der Gaststätte (WC und Flur) durch Einziehen von Zwischenwänden und das Zumauern von Türen baulich abgetrennt werden. Die so entstehende, aus einem einzigen Raum bestehende Ladeneinheit sollte 17,65 m² umfassen. Der Laden verfügt über keine sanitäre Infrastruktur, Nebenräume oder Lager. Im Laden sollten acht Terminals aufgestellt werden. Der Zugang zur Gaststätte sollte über den bisherigen Gaststätteneingang erfolgen, der Zugang zum hinter der Gaststätte gelegenen Laden über den weiter östlichen situierten Hauseingang bzw. Hausflur. Dem Bauantrag beigefügt war eine (vom Wettanbieter „...“ unterzeichnete) Betriebsbeschreibung vom 27. Februar 2020. Die Gaststätte sollte Montag bis Sonntag von 10:00 Uhr bis 4:00 Uhr geöffnet haben und Kaffee, Tee, sonstige Getränke mit und ohne Alkohol, Gebäck, Toast, Fast Food und warme Speisen ausgeben sowie Wasserpfeifen zur Verfügung stellen. Das „Ladengeschäft mit Annahme von Sportwetten“ sollte täglich von 10:00 Uhr bis 20:00 Uhr geöffnet sein, jedoch an Sonn- und Feiertagen geschlossen haben. Die Kunden sollten den Laden zum Ausarbeiten ihrer Wetten mit Wettschein oder digital nutzen. Eine Bewirtung sollte nicht stattfinden. Getränke sollten nicht ausgegeben werden. Zum Ausfüllen der Wettscheine sollten nur Stehtische zur Verfügung stehen. Wettangebote / -quoten und Ereignisse sollten auf vier Monitoren angezeigt und sechs bis maximal acht Terminals aufgestellt werden. Die Übertragung von Sportereignissen sollte nicht stattfinden sowie keine „Live-Wetten“ angeboten werden. Auch die Terminals sollten nicht für „Live-Wetten“ freigeschaltet werden.
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Mit Bescheid vom 19. Oktober 2020 lehnte die Beklagte „den Bauantrag vom 20. Juli 2020“ [gemeint: 29. November 2019] im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass weiterhin von einem funktionalen Nutzungszusammenhang zwischen der geplanten verkleinerten Gaststätte und der Wettannahmestelle auszugehen sei. Die Angaben in der eingereichten Betriebsbeschreibung, dass keine Bewirtung im Laden stattfinden solle und dass keine Übertragung von „Live-Ereignissen“ möglich sei, seien unerheblich, da diese Dienstleistungen in der direkt angrenzenden Gaststätte angeboten werden könnten. Die Tatsache, dass die Öffnungszeiten der Gaststätte die Öffnungszeiten der Wettannahmestelle vollständig abdeckten, führe zu der Annahme, dass eine Nutzung als Wettbüro beabsichtigt sei. Die maßgebliche nähere Umgebung nach § 34 Baugesetzbuch sei als Gemengelage mit überwiegendem Wohnanteil einzustufen. Das Vorhaben könne sich in die Eigenart der näheren Umgebung nicht einfügen.
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Hiergegen ließ die Klägerin, vertreten durch ihren Bruder, zur Rechtsantragstelle des Bayerischen Verwaltungsgerichts München Klage mit den Anträgen erheben:
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1. Der Bescheid der ... vom 19.10.2020, Az.: …, wird aufgehoben.
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2. Die Beklagte wird verpflichtet, den Bauantrag vom 20.07.2020 [gemeint: 29. November 2019] zu genehmigen.
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Eine Begründung erfolgte zunächst nicht.
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Das Gericht hat am 27. Juni 2022 Beweis durch Einnahme eines Augenscheins erhoben. Auf das Protokoll dieses Augenscheins wird ebenso verwiesen wie auf die Niederschrift der am selben Tag stattgefundenen mündlichen Verhandlung, in der sich der Bevollmächtigte der Klägerin für diese bestellte und die Beteiligten auf weitere mündliche Verhandlung verzichteten. Das Gericht wies ferner auf seine vorläufige Rechtsauffassung hin, wonach die maßgebliche Umgebung als „Gemengelage“ einzustufen sei, in der für ein als Vergnügungsstätte betriebenes Wettbüro kein Vorbild vorhanden sei.
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Mit Schriftsatz vom 7. August 2022 führte der Bevollmächtigte der Klägerin aus, dass der Bauantrag zu Unrecht abgelehnt worden sei. Die Ortsbesichtigung habe dies bestätigt. Die Feststellungen des Gerichts bei der Ortsbesichtigung seien teilweise falsch. Es sei von einer Gemengelage auszugehen. Die vorhandenen Wettbüros in der ... straße 29 und 185b sowie in der H. Str. 10 prägten die Umgebung als Gemengelage. Eine Verbindung des Wettgeschehens mit der gastronomischen Nutzung bestehe nicht. Das Bistro und die Tippannahme seien getrennt und würden auch getrennt betrieben. Die von der Beklagten zugrunde gelegte Vermutung sei rechtswidrig und entbehre jeglicher Grundlage. Die Möglichkeit von „Live-Wetten“ sei ausgeschlossen, ein bis zwei Monitore seien zur Kundeninformation erforderlich. Auch für das Bistro seien ein bis zwei Monitore zur Kundeninformation vorgesehen. Im Rahmen des Staatsvertrags sei eine Tippannahmestelle erlaubt, wenn die baurechtliche und die gewerbliche Genehmigung vorlägen. Bei dieser Regelung werde das KVR kontrollieren, ob „Live-Quoten“ gezeigt würden, was bei einem Verstoß zum Lizenzverlust und erheblichen Schäden führe und den Wettanbieter treffe. Beigefügt war eine händisch gefertigte Planskizze, die die Trennung verdeutlichen sollte.
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Die Beklagte beantragt,
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Sie äußerte sich in der Sache nicht.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des weiteren schriftsätzlichen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten, auch in den Verfahren M 8 S 18.6054, M 8 S 18.6055, M 8 K 18.1950 und M 8 K 18.2934 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Gemäß § 101 Abs. 2 VwGO kann über die Klage ohne (weitere) mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten ihr Einverständnis hiermit erklärt haben.
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Bei verständiger Würdigung des Antrags der Klägerin, § 88 VwGO, begehrt diese die Verpflichtung der Beklagten, ihren Bauantrag vom 29. November 2019 (Eingangsdatum bei der Beklagten) zu genehmigen. Ein „Bauantrag vom 20. Juli 2020“ ist in den vorgelegten Behördenakten nicht existent. Dieses Datum wird jedoch (irrtümlich) im Tenor der ablehnenden Entscheidung der Beklagten vom 19. Oktober 2020 genannt (Ziffer 1). Anhand des Aktenzeichens des angefochtenen Bescheids (...) und der PlanNr. des Bauantrags (...) ist jedoch unzweifelhaft auszumachen, dass vorliegend der Bauantrag vom 29. November 2019 nach PlanNr. … Gegenstand des Verpflichtungsbegehrens ist.
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Die so verstandene Klage ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der von ihr beantragten Baugenehmigung, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Art. 59 Satz 1 Nr. 1a BayBO. Das Vorhaben ist bauplanungsrechtlich nicht genehmigungsfähig. Die beantragte Gaststättennutzung und Wettannahmestelle bilden eine „funktionale Einheit“. Das bauplanungsrechtlich als „Wettbüro“ einzuordnende Vorhaben (1.1.) findet in der als Gemengelage i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB zu qualifizierenden maßgeblichen Umgebung kein Vorbild und erzeugt städtebauliche Spannungen (1.2.).
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1. Gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Im hier einschlägigen, vereinfachten Genehmigungsverfahren ist u.a. die Übereinstimmung des Vorhabens mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB zu prüfen (Art. 59 Satz 1 Nr. 1a BayBO).
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1.1. Das mit Bauantrag vom 29. November 2019 nach PlanNr. … beantragte Vorhaben ist als (nicht kerngebietstypische) Vergnügungsstätte in Form eines „Wettbüros“ zu qualifizieren.
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1.1.1. Der Betrieb von Wettvermittlungsstellen kommt in bauplanungsrechtlicher Hinsicht seiner Art nach als herkömmlicher Gewerbebetrieb oder als Vergnügungsstätte in Betracht. Eine Vergnügungsstätte ist ein auf kommerzielle Unterhaltung ausgerichteter besonderer Gewerbebetrieb, der in unterschiedlicher Ausprägung unter Ansprache oder Ausnutzung des Geselligkeitsbedürfnisses, des Spiel- oder Sexualtriebs einer bestimmten auf Gewinnerzielung gerichteten Freizeitunterhaltung gewidmet ist. In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird zwischen sog. „Wettannahmestellen“ und „Wettbüros“ unterschieden. Während bloße Wettannahmestellen für Sportwetten mit den Annahmestellen für Lotto und Toto gleichgestellt werden, sind Wettbüros als Vergnügungsstätten zu behandeln, wenn sie auch der kommerziellen Unterhaltung im o.g. Sinn dienen. In Wettbüros (als Wettvermittlungsstellen mit Vergnügungsstättencharakter) werden zwischen dem Kunden (Spieler), einem Vermittler (dem Betreiber des Wettbüros) und dem - meist im europäischen Ausland ansässigen - Wettunternehmen Transaktionen abgeschlossen, wobei es sich um Sportwetten bzw. um Wetten auf diverse sonstige Ereignisse handelt. Bereits das Bereithalten von Einrichtungsgegenständen - wie von Wettterminals und Monitoren -, die der Vermittlung von Live-Wetten dienen, führt zur Aufnahme einer Nutzung als Wettbüro und damit als Vergnügungsstätte (vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2019 - 15 ZB 18.690 - juris Rn. 22 ff., m.w.N.; B.v. 13.5.2016 - 9 ZB 13.1991 - juris Rn. 5, m.w.N.; B.v. 25.8.2016 - 9 ZB 13.1993 - juris Rn. 5). Von einer bauplanungsrechtlichen Einordnung eines Wettbüros als Vergnügungsstätte ist dabei auszugehen, wenn die Räumlichkeiten eine die Wettleidenschaft fördernde gewisse Aufenthaltsqualität aufweisen und sich dadurch von reinen Wettannahmestellen für Sportwetten unterscheiden (OVG NRW, U.v. 17.8.2020 - 2 A 691/17 - BeckRS 2020, 25986, Rn. 40). Ausschlaggebend kann daher auch der „Verweilcharakter“ der Einrichtung sein, denn „Wettbüros“ dienen der kommerziellen Unterhaltung der Nutzer (Angebot von Live-Wetten, Getränke- und Speisenangebot, Sitzgelegenheiten, Monitore, Wett-Terminals…).
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1.1.2. Zwar wird das Vorhaben im Bauantrag als „Gaststätte“ und „Ladenfläche mit Wettannahme“ bezeichnet. Die Auslegung des Bauantrags ergibt jedoch, dass das von der Klägerin einheitlich zur Genehmigung gestellte Vorhaben auch bauplanungsrechtlich eine funktionale Einheit bildet.
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1.1.2.1. Durch den Bauantrag bestimmt der Bauherr den genauen Gegenstand des Baugenehmigungsverfahrens (vgl. Gaßner/Reuber in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: Januar 2022, Art. 64 Rn. 9). Zur Auslegung des Inhalts des Bauantrags können insbesondere die Bauvorlagen herangezogen werden (Molodovsky/Famers/Waldmann, Bayerische Bauordnung, 144. EL, Art. 64 Rn. 10). Für die Auslegung gilt § 133 BGB entsprechend (vgl. Gaßner/Reuber in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: Januar 2022, Art. 64 Rn. 13 ff.). Maßgebend ist demnach nicht allein der Wortlaut des im Bauantrag bezeichneten Vorhabens im buchstäblichen Sinn, sondern der erklärte Wille, wie er bei objektiver Würdigung zu verstehen ist. Etwas im Bauantrag nicht oder anders Bezeichnetes ist deshalb dann nicht maßgeblich, wenn sich durch objektive Umstände eine anderweitige Deutung ergibt (BayVGH, B.v. 19.7.2016 - 9 ZB.14.1147 - BeckRS 2016, 50145 Rn. 9).
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Die Nutzung der streitgegenständlichen Räumlichkeiten als „Wettbüro“ wurde bauaufsichtlich bereits bestandskräftig untersagt. In einem derartigen Fall sind an die Bauvorlagen, insbesondere an die Betriebsbeschreibung strenge Anforderungen zu stellen. Dies gilt vor allem dann, wenn in der Folge Nutzungen beantragt werden, die als funktionale Einheit betrachtet als „Wettbüro“ zu qualifizieren sind bzw. qualifiziert werden können (etwa wie hier eine „Wettannahmestelle“ in Kombination mit einer „Kleingaststätte“). Die räumliche und funktionale Trennung und die bauplanungsrechtliche Eigenständigkeit der beantragten Nutzungen muss zweifelsfrei feststehen, um sicherzustellen, dass nicht unter Umgehung von bauplanungsrechtlichen Vorschriften und bauordnungsrechtlichen Geboten ein „Wettbüro“ in Form einer funktionalen Einheit durch eine nur zum Schein durchgeführte „Aufspaltung“ in zwei (oder mehrere) andere Nutzungstypen geschaffen wird (vgl. hierzu: VG München, U.v. 28.1.2019 - M 8 K 17.3627 - BeckRS 2019, 61493, Rn. 30 ff.).
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1.1.2.2. Dies berücksichtigend ergibt sich anhand der objektiven Umstände und der Bauvorlagen, dass in den streitgegenständlichen Räumlichkeiten (weiterhin) ein „Wettbüro“ betrieben werden soll. Die Wettkunden können sich in der Gaststätte aufhalten, dort gemeinsam Sportereignisse und aktuelle Wettquoten verfolgen (in der Betriebsbeschreibung wird die Übertragung von Sportereignissen nur für den „Laden“ ausgeschlossen) und unkompliziert die in geselligem Beisammensein ausgefüllten Wettscheine in der unmittelbar daran anschließenden als „Wettannahmestelle“ bezeichneten Einheit abgeben (vgl. auch VG München, U.v. 28.1.2019 - M 8 K 17.3627 - BeckRS 2019, 61493, Rn. 32).
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Zwar findet eine umfassende baulich-räumliche Trennung der beiden Einheiten „Gaststätte“ und „Ladengeschäft mit der Annahme von Sportwetten“ statt, jedoch erfolgt keine funktionale Trennung. Dem „Laden“ fehlt bereits die erforderliche Infrastruktur, um eigenständig betrieben werden zu können. Dieser Einheit ist, wie sich aus den zur Genehmigung gestellten Bauvorlagen ersehen lässt, keinerlei Personal-, Lager- oder Nebenraum zugeordnet, ebenso wenig eine (Personal-)Toilette. Die Angestellten des „Ladens“ (laut Betriebsbeschreibung sind zwei Beschäftigte in zwei Schichten vorgesehen) sind daher offensichtlich darauf angewiesen, (zumindest) die sanitären Einrichtungen der „Gaststätte“ zu nutzen. Die beantragte Gaststätte, in der laut Betriebsbeschreibung unter anderem Getränke sowie warme Speisen ausgegeben und Wasserpfeifen zur Verfügung gestellt werden sollen, verfügt aufgrund des Abtrennens der Nebenräume zur Schaffung des „Ladens“ über keine separate Möglichkeit der Vorrats- bzw. Lagerhaltung oder der Zubereitung von Speisen. Sämtliche der Bewirtung dienende Infrastruktur muss neben den vorgesehenen max. 25 Gastplätzen im gerade einmal 43,12 m² umfassenden Hauptraum untergebracht werden. Ferner gibt es keinen Personalraum oder eine sonstige Rückzugsgelegenheit für die Angestellten. Offensichtlich steht also nicht die Bewirtung von Gästen im Vordergrund, sondern das Schaffen einer Verweilmöglichkeit für die Nutzer der „Wettannahmestelle“, mit dem Ziel, die Spieler zu animieren, während der Verweildauer möglichst viele Wetten zu platzieren. Der vorgesehene Geschäftsbetrieb des „Ladens“ ist hierauf abgestimmt - anders als etwa eine „Lotto-Toto-Annahmestelle“ - einzig auf die Vermittlung von (Sport-)Wetten ausgerichtet. Im Ladengeschäft werden ausschließlich Wettterminals und Monitore angebracht, weitere Dienstleistungen bzw. der Verkauf von Waren (Zeitschriften, Tabakwaren etc.) sind nicht vorgesehen. Zutreffend hat die Beklagte ferner darauf hingewiesen, dass die Öffnungszeiten des „Ladens“ von der „Gaststätte“ vollständig abgedeckt werden. Die Absicht, zwei als funktionale Einheit betriebene, voneinander abhängige Nutzungen umsetzen zu wollen, zeigt sich nicht zuletzt in der Einlassung der Klägerin im gerichtlichen Verfahren, dass auch „für das Bistro ein bis zwei Monitore zur Kundeninformation vorgesehen seien“.
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1.1.3. In den Bauvorlagen wurde das Anbieten von „Live-Wetten“ nicht hinreichend ausgeschlossen. Das Vorhaben ist bauplanungsrechtlich daher als „Wettbüro“, also eine (aufgrund ihrer Größe nicht kerngebietstypische) Vergnügungsstätte einzustufen.
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An den Ausschluss von „Live-Wetten“ sind vorliegend - nicht zuletzt aufgrund der Gesamtumstände (Betrieb eines zwischenzeitlich bestandskräftig untersagten „Wettbüros“ in den streitgegenständlichen Räumen durch eine Gesellschaft, deren Geschäftsführerin die Klägerin ist) - ebenfalls strenge Anforderungen zu stellen. Um eine abschließende bauplanungsrechtliche Einordnung als Gewerbebetrieb („Wettannahmestelle“) vornehmen zu können, wäre ein verbindlicher Nachweis (§ 1 Abs. 3 BauVorlV) in Form einer Bestätigung des Wettanbieters bzw. Franchisegebers oder Hard- bzw. Softwarebetreibers (oder demjenigen, der rechtlich zur Einstellung der Software befugt und tatsächlich dazu in der Lage ist), erforderlich, dass die (bei den Terminals) verwendete Software technisch (ggf. durch Anpassung der Programmierung) nicht geeignet ist, „Live-Wetten“ durchzuführen. Allein die Festlegung durch die Betriebsbeschreibung, dass Sportereignisse, Live-Wetten, Live-Quoten oder Live-Zwischenergebnisse auf den Monitoren nicht angezeigt werden, genügt dagegen nicht. Der erforderliche Nachweis umfasst insbesondere eine Erklärung, dass es für den Betreiber der Wettannahmestelle technisch ausgeschlossen ist, die verwendete Wettsoftware selbst (nachträglich) so einzustellen, dass „Live-Wetten“ angeboten werden können (VG München, B.v. 16.5.2018 - M 8 E 18.1233 - juris Rn. 42). Ferner ist nachvollziehbar darzulegen, welches Informationsangebot beim Betrieb der „Wettannahmestelle“ zur Verfügung gestellt werden soll (vgl. BayVGH, B.v. 21.5.2015 - 15 CS 15.9 - juris Rn. 23). Es ist der Beklagten im Vollzug der Baugenehmigung nicht zuzumuten, die Räume der Klägerin ständig daraufhin zu überprüfen, ob die Monitore und Terminals eingeschaltet sind oder waren oder welche Inhalte auf ihnen dargestellt werden oder abrufbar sind (vgl. BayVGH, B.v. 21.5.2015 - 15 CS 15.9 - juris Rn. 23).
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Das Platzieren der Wetten soll laut Betriebsbeschreibung nicht nur per Wettschein, sondern auch digital (also am Wettterminal) erfolgen. Daher ist es nicht ausreichend, wenn die Bauherrin und der Wettanbieter ausführen, dass keine „Live-Wetten“ angeboten werden. Vielmehr ist eine Bestätigung erforderlich, dass die eingesetzte Software hierfür ungeeignet ist (s.o.). Einen solchen Nachweis hat die Klägerin bisher nicht geführt. Sie hat lediglich auf Bestimmungen des Glücksspielstaatsvertrags und etwaige Kontrollen im Verwaltungsvollzug hingewiesen. Diese Regelungen sind hier jedoch nicht relevant.
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1.2. Das Vorhaben findet in der maßgeblichen Umgebung, welche als „Gemengelage“ im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB einzuordnen ist, kein Vorbild. Es würde überdies städtebaulich Spannungen erzeugen.
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1.2.1. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich, da das Baugrundstück im unbeplanten Innenbereich liegt, nach § 34 BauGB. Gemäß § 34 Abs. 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist.
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Ein Vorhaben fügt sich im Allgemeinen ein, wenn es sich innerhalb des Rahmens hält, der durch die in der Umgebung vorhandene Bebauung gezogen wird. Ein den Rahmen überschreitendes Vorhaben ist ausnahmsweise zulässig, wenn es keine „städtebaulichen Spannungen“ hervorruft. Welcher Bereich als „nähere Umgebung“ anzusehen ist, hängt davon ab, inwieweit sich einerseits das geplante Vorhaben auf die benachbarte Bebauung und andererseits sich diese Bebauung auf das Baugrundstück prägend auswirken (vgl. BVerwG, U.v. 26.5.1978 - IV C 9.77 - BVerwGE 55, 369/386 f.; U. v. 3.4.1981 - 4 C 61.78 - BVerwGE 62, 151). Wie weit diese wechselseitige Prägung reicht, ist eine Frage des Einzelfalls. Die nähere Umgebung ist für jedes der in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB aufgeführten Zulässigkeitsmerkmale gesondert zu ermitteln, weil die prägende Wirkung der jeweils maßgeblichen Umstände unterschiedlich weit reichen kann (BVerwG, B.v. 6.11.1997 - 4 B 172.97 - NVwZ-RR 1998, 539; B.v. 28.8.2003 - 4 B 74.03 - juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 27.9.2010 - 2 ZB 08.2775 - juris Rn. 4).). Grundsätzlich gelten als Bereich gegenseitiger Prägung das Straßengeviert und die gegenüberliegende Straßenseite (vgl. BayVGH, B.v. 30.1.2013 - 2 ZB 12.198 - juris; U.v. 24.7.2014 - 2 B 14.1099 - juris Rn. 20).
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Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der BauNVO bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Abs. 1 BauGB, im Übrigen ist § 31 Abs. 2 BauGB entsprechend anzuwenden, § 34 Abs. 2 BauGB. Ob ein faktisches Baugebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. §§ 2 ff. BauNVO) vorliegt, ist anhand der Eigenart der maßstabsbildenden näheren Umgebung i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilen. Bei der Anwendung des § 34 Abs. 2 BauGB ist die nähere Umgebung dabei der Umgriff, der hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB maßgeblich ist (BVerwG, B.v. 14.10.2019 - 4 B 27.19 - juris Rn. 7).
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1.2.2. Dies berücksichtigend ist die nähere Umgebung hinsichtlich des Zulässigkeitsmerkmals der Art der baulichen Nutzung - hiervon konnte sich das Gericht bei Einnahme des Augenscheins sowie unter Heranziehung von Lageplänen und im Internet allgemein zugänglichen Luftbildern überzeugen - die Straßenrandbebauung entlang der ... straße mit der ihr jeweils zugeordneten rückwärtigen Bebauung, im Osten begrenzt durch die Fl.Nr. … (... straße 137) und im Norden durch die … straße 42. Die durch die stark befahrene ... straße geprägte Bebauung weist in diesem Bereich eine hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung durchmischte Struktur auf. Es findet sich neben (überwiegender) Wohnnutzung auch gewerbliche Nutzung in nicht unerheblichem Ausmaß. Die sich im Quartier nordöstlich anschließende Bebauung entlang der Seitenstraßen (… straße und … Straße) verfügt dagegen über eine andere städtebauliche Struktur. Eine Durchmischung ist kaum mehr zu verzeichnen, hier ist weit überwiegend bzw. ausschließlich Wohnnutzung zu finden.
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Der ... straße kommt, nicht nur soweit sie Teil des … Rings ist, sondern auch in dem Bereich, in dem sie vom Kreuzungsbereich … Ring / … straße / … Straße abknickend von Süden nach Norden verläuft, bereits aufgrund ihrer Breite (ca. 50 m) und der dort vorherrschenden Verkehrsdichte trennende Wirkung zu, sodass die dem Baugrundstück gegenüberliegende Bebauung auf der Westseite der ... straße nicht mehr zu maßgeblichen Umgebung zu zählen ist.
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1.2.3. Die vorgefundene Umgebung ist - wie auch die Klägerin meint - als „Gemengelage“ im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB zu qualifizieren, da sie keinem der in der BauNVO bezeichneten Baugebiete zugeordnet werden kann.
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In der maßgeblichen Umgebung finden sich Gastronomiebetriebe (... straße 137), gewerbliche Nutzungen (Rückgebäude ... straße 137, ... straße 135, Rückgebäude ... straße 127), Ladennutzungen (u.a. ... straße, Fl.Nr. … und ... straße 127) und gewerbliche Dienstleistungsbetriebe (... straße 125). Die gewerblichen Nutzungen sind weitestgehend straßenseitig in den Erdgeschossen situiert. Das Gebäude ... straße 135 ist zwar über alle fünf Stockwerke gewerblich genutzt, allerdings finden sich dort auch vereinzelt Wohnungen. Nur das Rückgebäude ... straße 127 ist ausschließlich gewerblich genutzt. Die Obergeschosse der bis zu sechsgeschossigen Gebäude sind sowohl am Straßenrand als auch im rückwärtigen Bereich weitestgehend wohngenutzt.
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Die Wohnnutzung tritt nach Anzahl und Umfang das Gebiet (optisch) dominierend in Erscheinung, so dass die maßgebliche Umgebung nicht als Mischgebiet (§ 6 BauNVO) zu qualifizieren ist (vgl. zu den Voraussetzungen und Anforderungen an die Durchmischung von Wohnen und Gewerbe im Mischgebiet: BVerwG, B.v. 11.4.1996 - 4 B 51.96 - NVwZ-RR 1997, 463; U.v. 21.2.1986 - 4 C 31.83 - NVwZ 1986, 643; Roeser in: König/Roeser/Stock, Baunutzungsverordnung, 5. Auflage 2022, § 6 Rn. 4). Aufgrund des Umfangs der vorgefundenen gewerblichen Nutzungen, welche zudem teilweise insbesondere wegen ihres Störpotenzials und ihres Einzugsgebiets im allgemeinen Wohngebiet, § 4 BauNVO, nicht zulässig wären (etwa die Nutzung in der ... straße 135: „...“) verbietet sich allerdings auch eine Einstufung als allgemeines Wohngebiet.
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1.2.4. In eine „Gemengelage“ vermag sich ein Vorhaben grundsätzlich dann einzufügen, wenn ein Vorbild vorhanden ist, es also den Rahmen der Umgebungsbebauung wahrt. Bei der Charakterisierung und Bewertung der vorhandenen Nutzungen ist - auch bei der Beurteilung der Zulässigkeit nach § 34 Abs. 1 BauGB - dabei auf die in der BauNVO typisierten Nutzungsarten abzustellen (BVerwG, U.v. 15.12.1994 - 4 C 13/93 - NVwZ 1995, 698, (Ls 1)).
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Für die beantragte Vergnügungsstätte - „Wettbüro“ - fehlt ein solches Vorbild. Die vorhandenen Wettbüros in der ... straße 29 (Entfernung vom Baugrundstück ca. 800 m) und 185b (Entfernung vom Baugrundstück ca. 650 m) sowie in der H. Str. 10 (Entfernung vom Baugrundstück ca. 500 m) liegen nicht innerhalb der das Baugrundstück prägenden maßgeblichen Umgebung. Sie können daher nicht als Vorbild herangezogen werden.
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1.2.5. Ein den Rahmen überschreitendes Vorhaben ist zwar dann ausnahmsweise zulässig, wenn es keine „städtebaulichen Spannungen“ hervorruft (s.o.). Wenn in der näheren Umgebung keine Vergnügungsstätte vorhanden ist, fügt sich eine Vergnügungsstätte im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB daher nur dann ein, wenn sie die gegebene Situation nicht negativ in Bewegung bringt (BVerwG, U.v. 15.12.1994 - 4 C 13/93 - NVwZ 1995, 698, (Ls 2)). Die beantragte Vergnügungsstätte ruft jedoch vorliegend aufgrund der entstehenden Konfliktlage mit der schützenswerten Wohnnutzung bodenrechtlich beachtliche und bewältigungsbedürftige Spannungen hervor. Von dem Vorhaben geht eine negative Vorbildwirkung aus. Die Gefahr der Verwirklichung weiterer „Wettbüros“ in der maßgeblichen Umgebung, insbesondere in den Erdgeschossen entlang der ... straße, ist auch aufgrund der Eigenart der vorgefundenen Umgebung (dem Straßenlärm massiv ausgesetzte Bebauung entlang einer großen Ein- und Ausfallstraße) nicht von der Hand zu weisen.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.