Titel:
Abschiebungsverbot wegen fehlender Finanzierbarkeit der Behandlung einer Nierenerkrankung im Senegal
Normenketten:
AufenthG § 60 Abs. 6, § 60a Abs. 2c S. 3
VwGO § 92 Abs. 3, § 113 Abs. 5
Leitsatz:
Ein nephrotisches Syndrom bei einem minderjährigen Kind ist im Senegal zwar grundsätzlich behandelbar, kann aber dennoch zu einem Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen Gründen führen, wenn die Kosten der notwendigen Medikation sowie der häufiger erforderlich werdenden Krankenhausaufenthalte nicht vom Kind oder seinen Eltern finanziert werden können. (Rn. 27 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylrecht Senegal, Nephrotisches Syndrom bei minderjährigem Kind, Qualifiziertes ärztliches Attest (bejaht), Behandelbarkeit der Krankheit im Senegal (bejaht), Finanzierbarkeit der Behandlung im Senegal durch die Eltern (verneint), Asyl, Senegal, Abschiebungsverbot, nephrotisches Syndrom, Nierenerkrankung, qualifiziertes ärztliches Attest, Behandlung, Behandelbarkeit, Finanzierbarkeit
Fundstellen:
InfAuslR 2023, 56
BeckRS 2022, 30127
LSK 2022, 30127
Tenor
I. Soweit die Klagen zurückgenommen wurden, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 5. September 2017 hinsichtlich des Klägers zu 3 in Nummer 2 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, für ihn ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Senegal festzustellen. Im Übrigen wird die Klage des Klägers zu 3 abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu 9/10 und die Beklagte zu 1/10 zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Jeder Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, nicht die andere Seite vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Kläger wenden sich mit ihrer Klage gegen die Ablehnung ihrer Asylfolgeanträge mit Bescheid der Beklagten vom 5. September 2017.
2
Die Kläger haben am 19. September 2017 gegen den Bescheid vom 5. September 2017 Klage erhoben. Eine weitere Klage des jüngsten Kindes der Kläger zu 1 und 2 ist noch unter dem Verfahren M 10 K 19.34492 anhängig. Mit Gerichtsbescheid vom 4. September 2020, den Klägern zugestellt am 14. September 2020, wurde die Klage abgewiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird gem. § 84 Abs. 4 VwGO auf den Tatbestand des Gerichtsbescheids Bezug genommen.
3
Am 28. September 2020 beantragten die Kläger mündliche Verhandlung.
4
Mit Schriftsatz vom 26. September 2022 nahm die Bevollmächtigte der Kläger die Klagen hinsichtlich der Kläger zu 1, 2, 4 und 5 zurück. Hinsichtlich des Klägers zu 3 wird zuletzt beantragt,
5
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 5. September 2017 aufzuheben und festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorliegt.
6
Die Beklagte legte die Behördenakte vor, äußerte sich aber nicht inhaltlich zur Sache und stellte keinen Antrag.
7
Mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2022 legte die Klägerbevollmächtigte ein aktualisiertes ärztliches Attest des …-Nierenzentrums vom 13. Oktober 2022 vor.
8
Die Kläger haben in der mündlichen Verhandlung vom 29. September 2022 auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet, die Beklagte mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2022.
9
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
10
Der Gerichtsbescheid vom 28. Januar 2019 gilt infolge fristgerechten Antrags der Kläger auf mündliche Verhandlung (§ 78 Abs. 7 AsylG, § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) als nicht ergangen, § 84 Abs. 3 Halbs. 2 VwGO.
11
Das Gericht konnte im schriftlichen Verfahren entscheiden, da die Beteiligten übereinstimmend auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
12
Soweit die Kläger zu 1, 2, 4 und 5 in der mündlichen Verhandlung ihre Klagen zurückgenommen hat, war das Verfahren insoweit gem. § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Die Entscheidung darüber ist unanfechtbar (§ 92 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
13
Soweit demnach nur noch über die Klage des Klägers zu 3 zu entscheiden ist, ist diese zulässig und teilweise begründet.
14
Der Bescheid vom 5. September 2017 ist im maßgeblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) insoweit rechtswidrig, als er hinsichtlich des Klägers zu 3 die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG verneint; insoweit verletzt ihn der Bescheid in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger zu 3 hat aufgrund seiner nachgewiesenen Nierenerkrankung einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Insoweit war die Beklagte unter entsprechender Teilaufhebung des verfahrensgegenständlichen Bescheids zur Feststellung eines Abschiebungsverbots zu verpflichten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
15
1. Soweit sich der Kläger zu 3 mit seiner Klage gegen die Unzulässigkeitsentscheidung in Nummer 1 des angegriffenen Bescheids wendet, hat diese keinen Erfolg. Insoweit folgt das Gericht zur Vermeidung von Wiederholungen gem. § 84 Abs. 4 VwGO den Ausführungen des Gerichtsbescheids vom 4. September 2020 (VG München, GB v. 4.9.2020 - M 10 K 17.47935 - Rn. 19-21, n.v.).
16
2. Die Klage des Klägers zu 3 hat allerdings insoweit Erfolg, als die Feststellung eines Abschiebungsverbots gem. § 60 Abs. 7 AufenthG verneint wurde. Die vom Kläger zu 3 vorgetragene Nierenerkrankung rechtfertigt es nach den vorgelegten ärztlichen Attesten und Berichten, das Vorliegen der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
17
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist bei einer Krankheit diese durch ein qualifiziertes ärztliches Attest glaubhaft zu machen.
18
Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Diese gesetzliche Vermutung kann der Ausländer durch Vorlage einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung betreffend seine Erkrankung widerlegen (§ 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Diese ärztliche Bescheinigung soll gemäß § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten (s. zuletzt statt vieler: VG München, U.v. 24.6.2022 - M 10 K 17.34431 - juris Rn. 22).
19
a) Im konkreten Fall erfüllt das zuletzt klägerseitig vorgelegte ärztliche Attest des …-Nierenzentrums vom 13. Oktober 2022 die Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung nach § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Dieses ergänzt das ärztliche Attest des …-Nierenzentrums vom 15. September 2022 insoweit, als nun auch die Bezeichnung der Krankheit des nephrotischen Syndroms nach ICD 10 angegeben wird. Weiter wird im Attest vom 13. Oktober 2022 auch (knapp) ausgeführt, wie die behandelnden Ärzte zu der Diagnose gekommen sind (durch eine Nierenbiopsie), womit die tatsächlichen Umstände der fachlichen Beurteilung sowie die Methode der Tatsachenerhebung ausreichend dargelegt sind. Eine weitere, eingehendere Darstellung der tatsächlichen Umstände zur Ermittlung des Krankheitsbildes war nicht erforderlich, da - anders als z.B. beim teilweisen unscharfen Krankheitsbild psychischer Erkrankungen - die konkrete Diagnose des nephrotischen Syndroms beim Kläger zu 3 aufgrund einer Nierenbiopsie auf Anhieb nachvollziehbar ist.
20
Im Attest vom 13. Oktober 2022 wird ausgeführt, dass der Kläger zu 3 seit Dezember 2016 wegen eines nephrotischen Syndroms behandelt wird. Dieses führe häufig zu Rezidiven, welche mit einem massiven Eiweißverlust einhergingen und unbehandelt tödlich seien. Die Ursache der Erkrankung sei nicht genau bekannt. Da der Kläger zu 3 aber auf Immunsuppressiva anspreche, werde sie als eine Autoimmunerkrankung eingeschätzt. Unter Dauertherapie mit Mycophenolatmofetil (MMF) seien keine Rezidive aufgetreten. Die Erkrankung habe im Kindsalter häufig einen chronisch rezidivierenden Verlauf, sodass die Rezidive durch eine Steroidtherapie behandelt werden müssten. Um die Langzeitnebenwirkungen der Steroidtherapie zu vermeiden, werde eine Dauertherapie mit Immunsuppressiva durchgeführt. Diese Therapie werde Talspielkontrolliert durchgeführt, was regelmäßige Blutentnahmen mindestens alle 8 Wochen zur Dosisanpassung sowie Kontrolle der Therapie-Nebenwirkungen (Blutbildveränderungen, Leberwerterhöhung, Infektionen durch Immunsuppression) notwendig mache. Ein Versuch, die Immunsuppression zwischen Dezember 2021 und Januar 2022 zu reduzieren und abzusetzen, habe im März 2022 ein weiteres Rezidiv ausgelöst, das mit Cortison habe behandelt werden müssen. Daher sei eine weitere Behandlung mit Immunsuppressiva sowie das regelmäßige Vorstellen im Kindernierenzentrum lebensnotwendig.
21
b) Angesichts dieser Diagnose ist eine erhebliche, konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1, Satz 3 AufenthG anzunehmen.
22
aa) Eine erhebliche Gefahr in diesem Sinne liegt nur vor, wenn aufgrund zielstaatsbezogener Umstände eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist, namentlich, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde (vgl. BVerwG, U.v. 25.11.1997 - 9 C 58.96 - juris Rn. 13; BVerwG, U.v. 29.7.1999 - 9 C 2.99 - juris Rn. 8; VGH Baden-Württemberg, U.v. 30.11.2006 - A 6 S 674/05 - juris Rn. 39). Die Gesetzesbegründung verweist insoweit auf „äußerst gravierende“, insbesondere lebensbedrohliche Erkrankungen (s. dazu die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 18/7538 vom 16.2.2016, zu Artikel 2 - Änderung des Aufenthaltsgesetzes - Nr. 1, S. 18). Eine (erhöhte) „existentielle“ oder extreme Gefahr, die den betroffenen Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde, ist indes nicht erforderlich (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 - 1 C 18.05 - juris Rn. 15 ff.).
23
Eine erhebliche konkrete Gefahr ist im ärztlichen Attest vom 13. Oktober 2022 in ausausreichender Weise dargelegt. Die Notwendigkeit einer dauerhaften Anbindung des Klägers zu 3 an ein Nierenzentrum mit der geschilderten nierenärztlichen Therapie wird schlüssig und nachvollziehbar dargelegt. Dies verdeutlicht nicht zuletzt die geschilderte versuchsweise Absetzung der Immunsuppression, die innerhalb eines engen zeitlichen Zusammenhangs ein weiteres Rezidiv ausgelöst hat. Auch wenn die Formulierung „häufig rezidivierend“ für sich genommen unscharf klingen mag (vgl. insoweit der Gerichtsbescheid vom 4.9.2020, Rn. 36), zeigt der im Attest vom 13. Oktober 2022 geschilderte Geschehensablauf zwischen November 2021 und Februar 2022, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Absetzen der Immunsuppression und dem Auftreten des Rezidivs im März 2022 nachweislich besteht. Insofern steht die Erheblichkeit der Gefahr für den Kläger zu 3, sollte das nephrotische Syndrom unbehandelt bleiben, außer Frage. Nicht zuletzt zeigt auch der langjährige, durchgehende Behandlungsverlauf und -bedarf des Klägers zu 3 durch Nierenärzte seit Dezember 2016, dass vorliegend eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers zu 3 im Falle eines Abbruchs der nierenärztlichen Behandlung greifbar ist.
24
bb) Im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ist auch davon auszugehen, dass diese erhebliche Gefahr hinreichend konkret im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1, Satz 3 AufenthG ist.
25
Konkret ist die durch eine Krankheit verursachte Gefahr, wenn die Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Rückkehr in das Heimatland eintreten würde, weil eine adäquate Behandlung dort nicht möglich ist (vgl. hierzu: BVerwG, U.v. 29.7.1999, a.a.O.). Es ist dabei nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist, § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG. Behandlungsmöglichkeiten sind dann unzureichend, wenn eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation für die betreffende Krankheit in dem Herkunftsstaat wegen des geringeren Versorgungsstandards generell nicht verfügbar ist. Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht darüber hinaus aber auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, U.v. 29.10.2002 - 1 C 1.02 - juris Rn. 9; s. zum Ganzen auch: BVerwG, U.v. 17.10.2006, a.a.O., Rn. 20).
26
Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben sowie aller Umstände des Einzelfalles ist vorliegend von einer konkreten Gefahr auszugehen.
27
Zwar ergibt sich dies nicht schon daraus, dass ein nephrotisches Syndrom im Senegal nicht grundsätzlich behandelbar wäre; auch stehen dort verschiedene Wirkstoffe zur Behandlung dieser Krankheit zur Verfügung (vgl. hierzu die in das Verfahren eingeführte Auskunft von MedCOI - Medical Country of Origin Information - vom 29.11.2021).
28
Das Gericht ist aber nach den in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck davon überzeugt (§ 108 Abs. 1 VwGO), dass der Kläger zu 3 die Kosten der notwendigen Medikation sowie der häufiger erforderlich werdenden Krankenhausaufenthalte nicht, insbesondere auch nicht über die Kläger zu 1 und 2, finanzieren kann.
29
Nach dem Bericht des Auswärtigen Amts im Hinblick auf die Einstufung der Republik Senegal als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylG vom 14. Februar 2020 (Stand: Dezember 2019, im Folgenden: Lagebericht, S. 16) ist im Senegal das Gesundheitssystem für viele unzureichend zugänglich. Patienten müssen ihre Medikamente, Operationen und Krankenhausaufenthalte selbst finanzieren. Dies verursacht vor allem Probleme bei chronischen Erkrankungen. Häufig muss in solchen Fällen die gesamte erweiterte Familie für die Behandlungskosten aufkommen. Das Angebot an meist aus Frankreich importierten Medikamenten ist umfassend. Obwohl wesentlich preiswerter als in Europa, sind die Medikamente für die große Bevölkerungsmehrheit kaum erschwinglich bzw. nicht über einen längeren Zeitraum finanzierbar (s. zuletzt statt vieler auch: VG München, U.v. 24.6.2022 - M 10 K 17.34431 - juris Rn. 38).
30
Angesichts dessen erscheint es vorliegend nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Kosten der medizinischen Behandlung des Klägers zu 3 von den Klägern zu 1 und 2 bestritten werden können. Zwar sind die Medikamente für sich genommen im Senegal vergleichsweise günstig. Dennoch ist davon auszugehen, dass es sich bei den regelmäßig anfallenden Kosten für die Medikamente sowie die Behandlungen im Krankenhaus für durchschnittliche senegalesische Verhältnisse um nicht unerhebliche Beträge handeln dürfte. Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass die bisherigen beruflichen Einkommen der Kläger zu 1 und 2 (lediglich) ausgereicht haben, der Familie das Existenzminimum zu sichern. So hat die Klägerin zu 2 angegeben, dass ihre Verdienste aus ihrer Tätigkeit als Straßenverkäuferin im Senegal (lediglich) dazu ausgereicht hätten, sich zu ernähren. Das Gleiche dürfte im Wesentlichen für die beruflichen Verdienste des Klägers zu 1 gelten. Nicht zuletzt zeigen die Ausbildungsqualifikationen der Kläger zu 1 und 2, dass für sie lediglich Arbeitstätigkeiten mit niedrigen Einkommen im Bereich des Realistischen liegen werden. Damit erscheint es aber nicht beachtlich wahrscheinlich, dass mit diesen für die Kläger zu 1 und 2 erreichbaren Einkommensbereiche die langfristig erforderliche medizinische Behandlung des Klägers zu 3 auf absehbare Zeit finanziert werden kann.
31
In diesem Kontext kommt erschwerend dazu, dass die Kläger zu 1 und 2 im Senegal (voraussichtlich) nicht auf ein (erweitertes) Familiennetzwerk zur finanziellen Unterstützung bezüglich der Behandlungskosten des Klägers zu 3 zugreifen können. So hat der Kläger zu 1 in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass seine Familienangehörigen im Senegal gestorben seien. Nicht zuletzt ist zu berücksichtigen, dass die finanziellen Belastungen der Kläger zu 1 und 2 allein auch im Hinblick auf ihre familiäre Situation mit insgesamt vier Kindern von nicht zu unterschätzendem Gewicht sein werden. Auch der Umstand, dass zwei von den vier Kindern der Kläger zu 1 und 2 noch sehr jung sind, spielt insofern noch eine Rolle, als dass berufliche Vollzeittätigkeiten beider Eltern mangels der Möglichkeit weiterer familiärer Unterstützung nur schwer mit der Betreuung der Kinder in Einklang zu bringen sein dürften.
32
Etwas anderes ergibt sich schließlich nicht daraus, dass unter bestimmten Voraussetzungen Angestellte („permanently employed workers“), Selbstständige, Rentner, Kinder unter 5 Jahren und vulnerable Personengruppen (z.B. sehr arme Personen - „the poorest social categories“) im Senegal krankenversichert sein können (vgl. MedCOI vom 18.8.2020, S. 3 ff.). Denn hieraus geht nicht hervor, dass besondere fachärztliche Leistungen (wie vorliegend eine erforderliche Dauertherapie in einem Nierenzentrum) vom Krankenversicherungsschutz abgedeckt wären. Entscheidend ist jedenfalls, dass nach der in das Verfahren eingeführten Auskunft des MedCOI vom 29. November 2021 die für den Kläger zu 3 benötigten Medikamente (lediglich) in (privaten) Apotheken („Private Facility“) erhältlich sind und sich aus dieser Auskunft gerade nicht ergibt, dass die für den Kläger zu 3 erforderliche nierenärztliche Therapie als krankenversicherte Leistung erfasst wäre.
33
c) Aufgrund des Anspruchs des Klägers zu 3 auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Senegal ist Nummer 2 des angegriffenen Bescheids insoweit rechtswidrig und aufzuheben.
34
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 und § 155 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.