Inhalt

VGH München, Beschluss v. 17.10.2022 – 22 ZB 22.1555
Titel:

Gewerbeuntersagung wegen Überschuldung

Normenkette:
GewO § 35 Abs. 1 S. 1, S. 2, Abs. 6
Leitsätze:
1. Für die Beurteilung der Zuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden und der Rechtmäßigkeit einer Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 GewO kommt es auf den Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung – hier auf das Wirksamwerden des Untersagungsbescheids – an, sodass es nicht maßgeblich ist, wie sich die tatsächlichen Verhältnisse nach Abschluss des behördlichen Untersagungsverfahrens weiterentwickelt haben. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist ein Gewerbetreibender im maßgeblichen Zeitpunkt überschuldet sowie wirtschaftlich leistungsunfähig und kann er auch kein sinnvolles und erfolgversprechendes Sanierungskonzept vorlegen, ist er gewerberechtlich unzuverlässig iSd § 35 Abs. 1 GewO. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Hinblick auf § 35 Abs. 6 GewO, aus dem sich eine deutliche Trennung zwischen dem Untersagungsverfahren einerseits und dem Wiedergestattungsverfahren andererseits ergibt, sind Entwicklungen nach der letzten Behördenentscheidung für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Gewerbeuntersagung außer Acht zu lassen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gewerbeuntersagung, maßgeblicher Zeitpunkt, Behördenentscheidung, Verbindlichkeiten, Überschuldung, Sanierungskonzept, Zuverlässigkeit, Wiedergestattungsverfahren, Untersagungsverfahren
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 28.03.2022 – M 16 K 18.3045
Fundstelle:
BeckRS 2022, 29806

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger verfolgt sein erstinstanzliches Begehren weiter, welches auf die Aufhebung der von der Beklagten mit Bescheid vom 5. Juni 2018 auf der Grundlage von § 35 Abs. 1 Satz 1 und 2 GewO verfügten erweiterten Gewerbeuntersagung zielte.
2
Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 28. März 2022, den Klägerbevollmächtigten zugestellt am 10. Juni 2022, ab. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus: Der Kläger habe im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür geboten, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben werde. Der Kläger habe Steuerrückstände beim Finanzamt und beim Kassen- und Steueramt der Beklagten gehabt, die sowohl nach ihrem absoluten Betrag wie auch im Verhältnis zur Wirtschaftskraft des Gewerbes erheblich erschienen, ohne dass Ratenzahlungsvereinbarungen bestanden hätten. Zudem sei der Kläger seinen steuerlichen Erklärungspflichten für die Veranlagungszeiträume 2011 bis 2013 nicht nachgekommen. Schließlich sei der Kläger mehrfach im Schuldnerverzeichnis wegen Ausschlusses der Gläubigerbefriedigung eingetragen worden. Der Kläger sei überschuldet und wirtschaftlich leistungsunfähig gewesen.
3
Mit Schriftsatz vom 1. Juli 2022, eingegangen beim Verwaltungsgericht am gleichen Tag, beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung. Er begründete diesen Antrag mit Schriftsätzen vom 10. August 2022 und vom 13. Oktober 2022, jeweils am gleichen Tag beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen.
4
Die Beklagte ist dem Berufungszulassungsantrag entgegengetreten.
5
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
II.
6
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Der Sache nach macht der Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gem. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen zur Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) ergeben sich solche Zweifel aber nicht.
7
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, wenn nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers gegen dessen Richtigkeit gewichtige Gesichtspunkte sprechen. Davon ist immer dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (BVerfG, B.v. 7.10.2020 - 2 BvR 2426/17 - juris Rn. 34; BVerwG, B.v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 - juris Rn. 9). Der Rechtsmittelführer muss konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis falsch ist. Dazu muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts konkret auseinandersetzen und im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 62 f.).
8
Das Zulassungsvorbringen erweckt keine Zweifel daran, dass die Klage abzuweisen war; insbesondere vermag es nicht in Zweifel zu ziehen, dass der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt i.S.d. § 35 Abs. 1 GewO unzuverlässig war.
9
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen (UA Rn. 22), dass es für die Beurteilung der Zuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden und der Rechtmäßigkeit einer Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 GewO auf den Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung, hier also auf das Wirksamwerden des Untersagungsbescheids, ankommt. Daher ist nicht maßgeblich, wie sich die tatsächlichen Verhältnisse nach Abschluss des behördlichen Untersagungsverfahrens weiterentwickelt haben (st. Rspr., vgl. etwa BVerwG, B.v. 15.4.2015 - 8 C 6.14 - BVerwGE 152, 39 - juris Rn. 15; U.v. 2.2.1982 - 1 C 146.80 - BVerwGE 65, 1 - juris, LS 2; BayVGH, B.v. 26.7.2022 - 22 ZB 22.291 - juris Rn. 14).
10
Der Kläger hat selbst vorgetragen, dass bei Erlass des streitgegenständlichen Bescheids noch eine Vielzahl an Verbindlichkeiten bestanden, die er nicht erfüllen konnte. Der Saldo der dauerhaft nicht erfüllbaren Verbindlichkeiten habe 200.000 Euro betragen. Mit einer baldigen Verbesserung der Vermögenslage sei im Zeitpunkt des Bescheiderlasses nicht zu rechnen gewesen. Dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept arbeitete, ist hingegen nicht vorgebracht. Der Kläger war daher im maßgeblichen Zeitpunkt wegen Überschuldung und wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit unzuverlässig i.S.d. § 35 Abs. 1 GewO (vgl. BVerwG, B.v. 15.4.2015 - 8 C 6.14 - BVerwGE 152, 39 - juris Rn. 14; U.v. 2.2.1982 - 1 C 146.80 - BVerwGE 65, 1 - juris Rn. 15; vgl. bereits im PKH-Verfahren BayVGH, B.v. 24.1.2022 - 22 C 21.3044 - Rn. 6 ff.).
11
Sämtlicher weiterer Vortrag im Zulassungsvorbringen (insbesondere Zuwendung durch die Großeltern des Klägers, Erarbeitung und Erfüllung eines außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplans, divergierende Angaben der Beklagten über Forderungen gegenüber dem Kläger) betrifft Entwicklungen, die erst - deutlich, nämlich mindestens zwei Jahre - nach dem maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt eingetreten sind.
12
Ob dem Kläger - wie er behauptet - auf Grund dieser nachträglichen Entwicklungen ein Wiedergestattungsanspruch nach § 35 Abs. 6 GewO zusteht, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Vielmehr sind gerade im Hinblick auf § 35 Abs. 6 GewO, aus dem sich eine deutliche Trennung zwischen dem Untersagungsverfahren einerseits und dem Wiedergestattungsverfahren andererseits ergibt, Entwicklungen nach der letzten Behördenentscheidung für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Gewerbeuntersagung außer Acht zu lassen (vgl. näher BVerwG, U.v. 2.2.1982 - 1 C 146.80 - BVerwGE 65, 1 - juris Rn. 14). Diese Rechtsprechung steht mit höherrangigem Recht, insbesondere mit Art. 12 Abs. 1 GG, in Einklang (vgl. BVerfG, B.v. 14.3.1995 - 1 BvR 1639/91 - juris Rn. 2). Das Verwaltungsgericht war daher nicht verpflichtet aufzuklären, ob im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch Forderungen der Beklagten gegenüber dem Kläger bestanden.
13
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nrn. 54.2.1 und 54.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
14
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).