Inhalt

VG Regensburg, Urteil v. 20.06.2022 – RN 9 K 22.1133
Titel:

Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts rechtmäßig

Normenkette:
FreizügG/EU § 2 Abs. 1, § 4a Abs. 1, § 6 Abs. 1, Abs. 2 S. 2, S. 3
Leitsatz:
Auch ein (EU-)Ausländer hat keinen Anspruch darauf, solange in einer Therapieeinrichtung in der Bundesrepublik zu verbleiben, bis seine Suchterkrankung geheilt ist und keine negative Gefahrenprognose mehr besteht.  (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verlustfeststellung, Daueraufenthaltsrecht, Alkoholproblematik, Grundinteresse der Gesellschaft, Gefährdungsprognose, Maßregelvollzug
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 10.10.2022 – 19 ZB 22.1660
Fundstelle:
BeckRS 2022, 29801

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. 
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen eine Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU.
2
Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger. Nach Aktenlage reiste er erstmals am 18. April 2016 in das Bundesgebiet ein (Fortzug ins Ausland am 12.4.2017). Zum Zeitpunkt seiner Festnahme am 1. März 2020 war er in der Stadt Landshut gemeldet (Wiederzuzug am 20.5.2019).
3
Nach Aktenlage, insbesondere den Feststellungen zur Person im landgerichtlichen Urteil vom 1. Dezember 2020, lebt der Vater des Klägers in Polen. Die Mutter ist bereits 2010 verstorben. Er hat einen Bruder, zu dem kein Kontakt besteht. Zu seinen in Nordrhein-Westfalen lebenden Schwestern hat er ein sehr gutes Verhältnis. Der Kläger ist ledig und kinderlos, war aber bis zu Inhaftierung in einer Beziehung mit einer in Polen lebenden Frau. In Polen habe er 1996 die allgemeine Schule abgeschlossen sowie eine Ausbildung zum Bäcker erfolgreich absolviert. Nach einem nicht abgeschlossenen Studium habe er erst in einer Bäckerei, dann in einer Molkerei, einer Schreinerei und einem Bestattungsinstitut gearbeitet. In den Folgejahren habe er in Polen und anderen europäischen Ländern verschiedenste Jobs angenommen. Im Mai 2019 habe er nach Einreise in das Bundesgebiet für eine Leiharbeitsfirma gearbeitet. Er habe keine Ersparnisse, sondern einige tausend Euro Schulden aus laufendem Lebensunterhalt. Suchtbezogen habe er seit seiner frühen Jugendzeit Alkohol konsumiert, wobei der Konsum meist kontrolliert gewesen sei. Seit dem Tod seiner Mutter habe sich der Alkoholkonsum sehr stark gesteigert und sei regelmäßig exzessiv (regelmäßiger Konsum von Bier, Wein und Schnaps in erheblichem Maße) ausgefallen. Ab dem 19. Lebensjahr habe er auch Cannabis bzw. Marihuana konsumiert, seit dem 20. Lebensjahr vor allem an den Wochenenden auch Amphetamin mit einem zuweilen wöchentlichen Konsum von etwa 15 Gramm. In den letzten Jahren vor Inhaftierung sei dieser Konsum allerdings fast zum Erliegen gekommen.
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Der Kläger ist in der Vergangenheit wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:
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1. Amtsgericht Bochum, Strafbefehl v. 15. Juli 2016 - …, rechtskräftig seit 9. November 2019 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung
20 Tagessätze Zum Sachverhalt:
2. Landgericht Landshut, U.v. 1. Dezember 2020 - …, rechtskräftig seit 9. Januar 2021 Gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 und 5 StGB)
Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten; Unterbringung in einer Entziehungsanstalt Zum Sachverhalt:
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Aus dem Strafurteil ergibt sich ferner, dass der Kläger wesentliche Teile des Tatvorwurfs eingeräumt hatte und somit größtenteils geständig gewesen sei. Im Rahmen der Strafzumessung ging die Strafkammer nicht von einem minderschweren Fall der gefährlichen Körperverletzung aus. Zu Gunsten u.a. des Klägers spreche, dass er im Wesentlichen geständig gewesen sei. Hierdurch sei Schuldeinsicht und Reue gezeigt worden, insbesondere auch dadurch, dass sich beide Angeklagte in der Hauptverhandlung in Anwesenheit des Geschädigten bei diesem entschuldigt hätten. Zudem sei der Kläger in Deutschland nur unwesentlich vorbestraft. Ferner seien die Verletzungen des Geschädigten trotz allem nicht allzu gravierend gewesen und nach einer Woche vollständig abgeklungen. Nicht zuletzt sei ins Gewicht gefallen, dass u.a. der Kläger aufgrund seiner erheblichen Alkoholisierung deutlich enthemmt gewesen sei. Schließlich habe auch gesehen werden müssen, dass der Geschädigte nicht ausschließbar mit den Handgreiflichkeiten begonnen habe. Zu Lasten u.a. des Klägers sei jedoch das Gesamtbild der Auseinandersetzung zu würdigen gewesen. Nicht nur die beiden Angeklagten, sondern ein weiterer unbekannter Täter, also drei Personen hätten den Geschädigten traktiert. Hierbei habe es sich zudem um eine Vielzahl von Schlägen und Tritten in sehr empfindliche Körperregionen, nämlich den Oberkörper und Kopfbereich, gehandelt. Bei diesem Gesamtbild, welches hier vermittelt worden sei, sei es letztlich auch nur vom Zufall abgehangen, dass es zu keinen gravierenderen Verletzungen gekommen sei. Letztendlich sei es für keinen der Angeklagten beherrschbar gewesen, dass der Geschädigte keine lebensgefährlichen Verletzungen erlitten habe. Bezüglich der Maßregel der Besserung und Sicherung nach § 64 StGB lägen die Voraussetzungen für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vor. Es bestehe auf Basis der sachverständigen Einschätzung hinreichend konkrete positive Aussicht im Sinne von § 64 Satz 2 StGB. U.a. der Kläger habe eine erhebliche Substanzgebrauchsstörung in Bezug auf Alkohol entwickelt, ferner einen Hang im Sinne des § 64 StGB mit Alkohol. Nach sachverständiger Ansicht liege ein solcher Hang nahe, da u.a. der Kläger aufgrund seiner psychischen Abhängigkeit von diesem Rauschmittel sozial gefährdet oder gefährlich erscheine. Bezüglich des Klägers sei zwar während der Begutachtung kein auffallender Leidensdruck bzw. keine auffallende Beeinträchtigung durch seinen vergangenen Substanz- und hier vor allem Alkoholkonsum erkennbar gewesen. Jedoch sei in besonderem Maße zu berücksichtigen, dass sein übermäßiger Alkoholkonsum schon über viele Jahre andauere und auch die letzten Jahre über erheblich zugenommen habe. Auch sei diese ihm vorgeworfene Tat durchaus typisch für den Alkoholkonsum, da durch den Alkohol die Hemmschwelle für die Aggressionen des Klägers erheblich herabgesetzt worden sei. Bei beiden Angeklagten habe der Alkoholkonsum eine solche Intensität und Dynamik erreicht, dass von einem Hang im Sinne des Gesetzes ausgegangen werden müsse. Dies gelte nicht nur unter Zugrundelegung der Ausführungen des Sachverständigen. Beide Angeklagten selbst hätten in der Verhandlung von einem Alkoholproblem gesprochen, welches therapiebedürftig sei. Zwar sei die soziale Leistungsfähigkeit der Angeklagten im Wesentlichen noch erhalten geblieben, da diese u.a. vor ihrer Inhaftierung geregelter Arbeit nachgegangen seien. Auf der anderen Seite sei jedoch nochmals der andauernde, regelmäßige und sehr hohe Alkoholkonsum hervorzuheben, welche auch gerade diese Tat begünstigt habe. Auf den symptomatischen Zusammenhang der alkoholbedingten Enthemmung und der hier vorliegenden gefährlichen Körperverletzung sei bereits eingegangen worden. Der Sachverständige habe ferner prognostiziert, dass vergleichbare Straftaten, bedingt durch Alkoholkonsum und eine dadurch bedingte Enthemmung, auch in Zukunft ohne Weiteres zu erwarten seien. Gerade die vorliegende Konstellation erscheine für eine „Wiederholung“ prädestiniert (Trinken im Freien, Streit mit anderen sich dem Trinken anschließenden zunächst unbekannten Dritten). Bei hohen Alkoholwerten - welche aufgrund des Suchtverhaltens zu erwarten seien - sei es auch nach Überzeugung der Strafkammer vorprogrammiert, dass bei geringen Anlässen Streitigkeiten zu handfesten Auseinandersetzungen führen würden. Die positive Maßregelprognose leite die Strafkammer zunächst aus den eigenen Bekundungen der Angeklagten, aber auch aus der sachverständigen Einschätzung ab. Der Sachverständige halte eine Therapiedauer von zwei Jahren für erforderlich.
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Der Kläger befand sich in der Angelegenheit zu 2. in der Zeit vom 1. März 2020 bis 10. Februar 2021 in der Justizvollzugsanstalt L* … in Haft, seither zum Maßregelvollzug im Bezirkskrankenhaus S* … Auf einen Anhörungsschreiben der Ausländerbehörde vom 15. November 2021 zu den geplanten aufenthaltsrechtlichen Maßnahmen teilte der Bevollmächtigte unter den 28. November 2021 mit, dass die Tat aufgrund der „Krankheit“ des Klägers begangen worden sei. Eine kostspielige und aufwändige Maßnahme nach § 64 StGB sei angeordnet worden, die der Resozialisierung diene. Es werde um Zurückstellung der Entscheidung über die beabsichtigte Verlustfeststellung gebeten, um die Maßnahme zum Abschluss führen zu können.
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Die Justizvollzugsanstalt L… äußerte sich mit Schreiben vom 1. Dezember 2021 zum Kläger (Bl. 152 d.A.).
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Das Bezirkskrankenhaus S… nahm am 28. Dezember 2021 Stellung (Bl. 160 d.A.).
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Mit Bescheid vom 30. März 2022 stellte die Ausländerbehörde den Verlust des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU gemäß § 6 Abs. 1 FreizügG/EU fest. Ferner ordnete sie insoweit den Sofortvollzug an. Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung (Zielstaat: Polen), auch aus der Haft heraus, sowie ein auf die Dauer von vier Jahren ab Ausreise befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot sind ebenfalls verfügt. Rechtsgrundlage für die Verlustfeststellung sei § 6 Abs. 1 FreizügG/EU. Hiernach könne der Verlust des Rechts eines Unionsbürgers auf Einreise und Aufenthalt nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit festgestellt werden. Dabei genüge die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung für sich allein nicht, um eine solche Maßnahme zu begründen, die im Übrigen nicht zu wirtschaftlichen Zwecken getroffen werden dürfe. Im Bundeszentralregister noch nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen dürften nur insoweit berücksichtigt werden, als die diesen zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen ließen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstelle. Es müsse eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre (§ 6 Abs. 2 Sätze 2 und 3 FreizügG/EU). Im Hinblick auf die Qualität der Gefährdung bedürfe es nicht der Feststellung einer gegenwärtigen Gefahr im Sinne des Polizeirechts, wonach der Eintritt eines Schadens sofort und nahezu mit Gewissheit zu erwarten sei. Vielmehr sei dieses Kriterium dahingehend auszulegen, dass eine hinreichende - unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit nach dem Ausmaß des möglichen Schadens und ihrem Grad differenzierende - Wahrscheinlichkeit gegeben sei, dass der Betroffene künftig die öffentliche Ordnung beeinträchtigen werde. Eine strafrechtliche Verurteilung könne eine Ausweisung insoweit rechtfertigen, als die ihr zu Grunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen ließen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstelle. Erforderlich seien also eine Bewertung des persönlichen Verhaltens des Freizügigkeitsberechtigten und eine hierauf beruhende Gefährdungsprognose. Dabei sei es unzulässig, allein aufgrund eines früheren Verhaltens auf eine aktuelle Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu schließen. Es bedürfe der Feststellung, dass eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Annahme bestehe, der Betroffene werde künftig die öffentliche Ordnung beeinträchtigen. Mithin seien die Anforderungen an die Annahme einer Wiederholungsgefahr umso geringer, je gewichtiger die Belange der Allgemeinheit seien, deren Schutz mit der Feststellung des Verlusts der Rechte nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU bezweckt werde. Die Schwere der in einem Wiederholungsfalle zu erwartenden Schäden könne in solchen Fällen auch für das erforderliche Maß der Wahrscheinlichkeit neuer Verfehlungen bedeutsam sein. Nach diesen Maßstäben seien im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für die Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts gem. § 6 Abs. 1 FreizügG/EU aufgrund des persönlichen Verhaltens des Klägers gegeben, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstelle. Zwar dürfe nicht allein deswegen, weil ein Freizügigkeitsberechtigter eine Straftat begangen habe, auf das Vorliegen einer hinreichend schweren Gefährdung der öffentlichen Ordnung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, geschlossen werden. Allerdings schließe dies nicht aus, die Gefahr der Wiederholung einer solchen Tat zu bewerten und damit im Ergebnis zu einer Maßnahme nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU zu kommen. Der Kläger sei im Bundesgebiet erstmalig gravierend strafrechtlich in Erscheinung getreten. So sei er durch Urteil des Landgerichts Landshut vom 1. Dezember 2020, rechtskräftig seit dem 9. Januar 2021, zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden. Auch die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sei angeordnet worden. Eine Strafaussetzung zur Bewährung habe gerade nicht mehr erfolgen können. Ein gesichertes Umfeld, welches ihm Halt geben könnte, bestehe nicht. Er habe zwar ein gutes Verhältnis zu seiner Schwester, die in Deutschland lebe, allerdings falle es schwer, daraus einen gesicherten sozialen Empfangsraum zu konstruieren, da die Schwester sich in Nordrhein-Westfalen aufhalte und ihn diese Beziehung auch von der Begehung der vorgenannten Straftat nicht abgehalten habe. Bei ihm bestehe nach Aussage des Landgerichts seit Jahren eine Alkoholproblematik. Auch bei der Begehung der Tat sei er massiv alkoholisiert gewesen. In der Urteilsbegründung vom 1. Dezember 2020 sei dabei von einem Blutalkoholwert von etwa 2,4 bis 2,7 Promille zum Zeitpunkt der Tatbegehung die Rede gewesen. In ständiger Rechtsprechung sei anerkannt, dass gerade bei Straftaten, die - wie vorliegend gegeben - auf einer Suchterkrankung beruhten oder mit einer Suchtproblematik in Zusammenhang stünden, von einem Fortfall der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden könne, solange ein Betroffener nicht eine Therapie erfolgreich abgeschlossen und darüber hinaus die damit verbundene Erwartung künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht habe. Solange sich der Betroffene nicht außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt habe, könne nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde. Allein aus einer begonnenen Therapie könne noch nicht auf ein künftig straffreies Leben geschlossen werden. Das Verhalten während der Therapie sei zwar prognostisch heranzuziehen, aber nur bedingt aussagekräftig für die Frage eines späteren straffreien Lebens in Freiheit. Selbst eine erfolgreich abgeschlossene Therapie schließe eine Rückfall- und Wiederholungsgefahr nicht per se aus und rechtfertige per se keine Resozialisierungswahrscheinlichkeit. Eine Bewährung in Freiheit sei notwendig, um eine dauerhafte Änderung des Lebenswandels tatsächlich annehmen und hieraus ggf. einen Entfall der Wiederholungsgefahr ableiten zu können. Darüber hinaus sei es entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten nicht erforderlich, mit der ausländerrechtlichen Gefahrenprognose bis zum Zeitpunkt des Abschlusses der Therapie bzw. einer Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung abzuwarten. Der Kläger habe seit dem 19. bzw. 20. Lebensjahr wohl bis mindestens 2019 Cannabis, Marihuana und Amphetamine konsumiert. Auch aufgrund der Schwierigkeiten während der Therapie und des damals geäußerten Wunsches, diese zu beenden, werde von der Ausländerbehörde bezweifelt, dass er schon die Verurteilung als Warnung verstehe und künftig keine Straftaten mehr begehe. Die Tatsache, dass er jahrelange Drogenprobleme habe und in Deutschland über keinen gesicherten Arbeitsplatz, Wohnraum und gesicherten sozialen Empfangsraum verfüge, zeige, dass im vorliegenden Fall das für den Erlass einer Verlustfeststellung erforderliche Maß einer Wiederholungsgefahr bestehe. Er verfüge über eine erhebliche kriminelle Energie. Seine Tat habe sich vor allem durch eine besondere Aggressivität ausgezeichnet. Letztlich habe auch mit Blick auf das Strafmaß eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht mehr gewährt werden können. Das Hinwegsetzen über strafrechtliche Vorschriften begründe eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung und berühre dadurch in schwerwiegender Weise das Grundinteresse der Gesellschaft an der Einhaltung der Strafrechtsnormen als Grundregeln für eine friedliche menschliche Koexistenz. Die von ihm begangene Straftat sei auch als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, die geeignet sei, die Ruhe und die Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen. Das Grundinteresse der Gesellschaft bestehe vorliegend in der Sicherung des friedlichen Zusammenlebens der Bürger unter Einhaltung der geltenden Rechtsordnung, insbesondere des Schutzes der körperlichen Unversehrtheit. Gemessen an diesen Grundsätzen liege vorliegend eine den Verlust des Freizügigkeitsrechts rechtfertigende hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch den Kläger vor, welche ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Die Ausländerbehörde sei auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse sowie seiner persönlichen Verhältnisse davon überzeugt, dass er auch in Zukunft Straftaten begehe, welche ein Grundinteresse der Gesellschaft berührten. Die für die Verlustfeststellung eines Freizügigkeitsberechtigten erforderliche Gefährdung könne im Einzelfall auch schon nach einer einmaligen strafgerichtlichen Verurteilung aus dem abgeurteilten Verhalten und der darin zum Ausdruck kommenden Gesamtpersönlichkeit zu schließen sein. Ein Verstoß gegen § 6 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU sei darin nach der Rechtsprechung nicht zu sehen. Es bedürfe jedoch auf jeden Fall immer einer individuellen Gefahrenprognose im Einzelfall, die sich über den Umstand der strafgerichtlichen Verurteilung hinaus mit der Gesamtpersönlichkeit des Freizügigkeitsberechtigten auseinandersetze. Es gebe auch keine Regelvermutung dafür, dass jemand, der eine schwere Straftat begangen habe, weitere Straftaten mit erheblicher Wahrscheinlichkeit wieder begehen werde. Auch in solchen Fällen sei eine einzelfallbezogene Gefahrenprognose zwingend erforderlich. Diese müsse die Umstände des Einzelfalls hinreichend in den Blick nehmen. Allein der Umstand, dass sich der Kläger im Strafvollzug beanstandungsfrei führe, führe nicht zu einer positiven Gefahrenprognose. Das Haftverhalten sei regelmäßig an die Bedingungen ständiger Überwachung angepasst und biete somit keinen sicheren Aufschluss über das Verhalten nach Wiedererlangung der Freiheit. Trotz der ständigen Überwachung sei es während seiner Inhaftierung in der JVA L* … zu einem Vorfall gekommen. So habe er versucht, die richterliche Briefkontrolle zu umgehen und dafür als Strafe einen Monat Einkaufssperre erhalten. Auch sein Aufenthalt im BKH S* … verlaufe nicht beanstandungsfrei. So sei eine seiner Urinproben stark verwässert gewesen und habe daher nicht für ein Drogenscreening verwendet werden können. Da er sich in der Folge uneinsichtig, ausfällig gegenüber seiner Therapeutin und paranoid-misstrauisch verhalten und auch den Wunsch nach einer Beendigung der Therapie geäußert habe, sei er vorerst auf Lockerungsstufe 0 zurückgestuft worden. Auch spreche für die bestehende Wiederholungsgefahr, dass tragfähige soziale Bindungen und Wohnraum im Bundesgebiet ebenfalls nicht vorhanden seien. Zwar befinde sich seine Schwester im Bundesgebiet, allerdings könne die Beziehung zu ihr, obwohl ein guter Kontakt bestehe, nicht als tragfähige soziale Bindung bezeichnet werden, da sich eine größere Entfernung zwischen den Aufenthaltsorten befinde. In seinem Heimatland befinde sich nach Informationen der Ausländerbehörde weiterhin sein Vater. Der Kläger habe sich an die deutsche Rechtsordnung nicht anpassen können und sei nach der Verurteilung zu einer Geldstrafe im Jahr 2016 erneut straffällig geworden. Dabei habe er eine erhebliche Aggressivität an den Tag gelegt, indem er ohne Vorwarnung und ohne rechtfertigenden Grund mit einer Vielzahl von Schlägen und Tritten in den Oberkörper- und Kopfbereich lebensgefährliche Verletzungen des Geschädigten riskiert habe. Seine Taten seien absolut unvorhersehbar und nicht nachvollziehbar gewesen. Sein Verhalten stelle somit auch zukünftig eine gravierende Gefahr für die Bevölkerung dar. Auch bestehe bei ihm seit Jahren eine massive Alkoholabhängigkeit. Nachdem die Therapie zunächst wegen der bereits beschriebenen Vorfälle wenig erfolgversprechend erschienen sei, werde der Therapieverlauf vom Bezirksklinikum M* … zwar mittlerweile als positiv beschrieben, ein erfolgreicher Abschluss einer Therapie schließe eine Rückfall- und Wiederholungsgefahr allerdings nicht per se aus. Es sei dennoch wahrscheinlich, dass er erneut im einschlägigen Bereich straffällig werde. Sein Vater befinde sich in Polen. Eine besondere Bindung zur Bundesrepublik Deutschland bestehe gerade nicht. Zuletzt sei er am 19. August 2019 nach Deutschland eingereist, zuvor habe er sich u.a. in Polen aufgehalten. Er verfüge in Deutschland über keinen Arbeitsplatz mehr, auch eine Wohnung stehe ihm nicht mehr zur Verfügung. Auch die JVA L* … gehe bei ihm aufgrund der vorliegenden Drogen- und Gewaltproblematik von einer negativen Sozial- und Kriminalprognose aus. Das BKH S* … gehe trotz anfänglicher Schwierigkeiten derzeit zwar von Erfolgsaussichten hinsichtlich seiner Therapie aus. Eine nach Abschluss der Therapie nach den vorstehenden Ausführungen notwendige Bewährung in Freiheit liege allerdings nicht vor. Die derzeitige Strafvollstreckung lasse nicht erwarten, dass er künftig keine die öffentliche Ordnung gefährdende Straftaten mehr begehen werde. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten ernsthaft droht, seien die besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts ebenso wie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zu dem maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Demnach bestehe vorliegend auf Grund seiner Gesamtpersönlichkeit, wie sie in der abgeurteilten Tat und seinem sonstigen Verhalten zum Ausdruck komme, eine den obigen Vorgaben gerecht werdende hinreichend wahrscheinliche Gefahr, dass nach seiner Entlassung aus der Therapie ein Grundinteresse der Gesellschaft im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU beeinträchtigt werde. Es seien keine besonderen Umstände erkennbar, aufgrund derer seine weitere straf- und ordnungsrechtlich unerlaubte Betätigung im Bereich der schweren Kriminalität ausgeschlossen werden könnte. Die seiner strafrechtlichen Verurteilung zu Grunde liegenden Umstände ließen ein persönliches Verhalten erkennen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstelle (§ 6 Abs. 2 FreizügG/EU). In Anbetracht des erheblichen Umfangs seines Fehlverhaltens, welches bereits aus der Höhe der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe sowie der fehlenden Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung ersichtlich werde, bestünden hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass eine beachtliche Rückfallwahrscheinlichkeit gegeben sei und damit auch in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen - insbesondere auch im Hinblick auf die erhebliche Aggressivität bei der Tatbegehung - ernsthaft drohe. Er verfüge im Bundesgebiet weder über eine Arbeitsstelle noch über ein ausreichendes Einkommen. Dass er angesichts seiner schwerwiegenden Verfehlung nunmehr allein durch die Verbüßung der gegen ihn verhängten Haft seine Einstellung zur Rechtsordnung in Zukunft ändern werde, könne insbesondere im Hinblick auf die von ihm begangene Straftat und sein Fehlverhalten in der Therapie nicht angenommen werden. Er verbüße derzeit seine erste Freiheitsstrafe in Deutschland. Der Umstand, dass er sich das erste Mal im Strafvollzug befinde, mache sein kriminelles Verhalten bei ordnungsrechtlicher Würdigung jedoch nicht weniger gewichtig. Im Übrigen habe nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs auch ein bloßes Wohlverhalten während der Haft und der Therapie unter den Bedingungen und der Kontrolle des Straf- bzw. Maßregelvollzugs wenig Aussagekraft für ein künftiges Verhalten in Freiheit und reiche gerade im vorliegenden Fall nicht aus, um das aus vorstehenden Gründen anzunehmende Maß einer Wiederholungsgefahr auszuschließen. So sei er auch während der Haft disziplinarisch in Erscheinung getreten und habe während der Therapie wegen Fehlverhaltens seine Lockerungsstufen entzogen bekommen. Vielmehr sei vorliegend von der Schwere der strafrechtlichen Verurteilung, seinem dieser zu Grunde liegenden Verhalten und seiner darin zum Ausdruck kommenden Gesamtpersönlichkeit auf die konkrete Gefahr künftiger weiterer Verfehlungen zu schließen. Nach all dem seien die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU für eine Verlustfeststellung gegeben. Über die Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU werde nach pflichtgemäßem Ermessen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit entschieden. Dabei seien sein Privatinteresse daran, als Unionsbürger unbeschränkte Freizügigkeit zu genießen, und das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung im unionsrechtlichen Sinne gegeneinander abzuwägen, wobei bei der Entscheidung immer die besondere Rechtsstellung der vom Unionsrecht privilegierten Personen und die besondere Bedeutung der Freizügigkeit in den Blick zu nehmen und auch den weiteren Grundrechten des Betroffenen Rechnung zu tragen sei. Die dem Unionsrecht immanenten Grundrechte wirkten nämlich als „Schranken-Schranke“ auf die Beschränkungen ein, denen die unionsrechtliche Freizügigkeit unterliege, nämlich den in § 6 Abs. 1 FreizügG/EU genannten Gründen (Gefährdung der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit). Neben den verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrechten hätten insoweit die in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verankerten Grundrechte eine besondere Bedeutung. Danach sei insbesondere der nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK garantierte Schutz des Familienlebens zugunsten des Unionsbürgers zu beachten. Bei der Beurteilung, ob der beabsichtigte Eingriff in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel, dem Schutz der öffentlichen Ordnung, stehe, seien bei der zu treffenden Ermessensentscheidung insbesondere Art und Schwere der begangenen Straftat, die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat, der Grad der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Integration des Unionsbürgers im Bundesgebiet, die Beziehungen des Unionsbürgers zu seinem Herkunftsstaat, die Zeit, die seit der Begehung der Straftat verstrichen sei, Alter und Gesundheitszustand des Unionsbürgers, die familiäre und wirtschaftliche Situation des Betroffenen und das Ausmaß der Schwierigkeiten zu berücksichtigen, denen der Unionsbürger, sein Ehegatte und - gegebenenfalls - seine Kinder im Herkunftsland begegnen könnten. Im Übrigen sei der unionsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch unabhängig vom Schutzbereich des Art. 6 GG und Art. 8 EMRK zu beachten. Darüber hinaus seien die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten privaten Belange des Unionsbürgers in die Ermessenserwägungen einzustellen. Die Ausländerbehörde dürfe in ihre Abwägung aber einerseits auch die in § 54 AufenthG aufgeführten Gründe für ein Ausweisungsinteresse und andererseits auch die in § 55 AufenthG bezeichneten Gründe für ein Bleibeinteresse als - weder abschließende noch zwingende - Wertungen des Bundesgesetzgebers in die Ermessensentscheidung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU einbeziehen. Die darin normierten Tatbestände dürften allerdings auch hier nicht im Sinne einer Regelvermutung oder einer sonstigen schematisierenden und ermessensbestimmenden Entscheidungsdirektive angewendet werden, die auch nur den Anschein eines Automatismus begründe. Vielmehr sei stets auf die Umstände und Besonderheiten des Einzelfalles abzustellen. Ferner sei im Rahmen der Ermessensentscheidung die Zweckmäßigkeit der Verlustfeststellung von der Ausländerbehörde zu prüfen. Gemessen hieran führe die Abwägung der widerstreitenden Interessen zu dem Ergebnis, dass das Privatinteresse des Klägers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet gegenüber dem erheblichen öffentlichen Interesse an einer Verlustfeststellung nachrangig sei. Die Feststellung des Verlusts seines Rechts auf Einreise und Aufenthalt sei im (deutlich) überwiegenden öffentlichen Interesse geboten, da aus vorstehenden Gründen eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit einer auf seinem persönlichen Verhalten beruhenden künftigen tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung der öffentlichen Ordnung bestehe, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Es bestehe ein erhebliches öffentliches Interesse daran, die Allgemeinheit vor dieser von ihm ausgehenden Gefährdung zu schützen. Sein Privatinteresse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet und einer unbeschränkten Freizügigkeit habe hinter das (deutlich) überwiegende öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung zurückzutreten. Er verfüge über keinen Wohnraum und keine Arbeitsstelle im Deutschland. Im Bundesgebiet verfüge er auch nicht über tragfähige soziale Bindungen. Seine einzige Bezugsperson im Bundesgebiet sei seine Schwester. Die Beziehung zu dieser sei allerdings von geringerem Gewicht, da er nicht auf Grund besonderer Umstände auf deren Unterstützung und Hilfe angewiesen sei. Von einer nachhaltigen Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland könne nicht die Rede sein. Vielmehr sei er durch die Begehung einer gravierenden Straftat aufgefallen und deswegen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden, deren Vollstreckung auch nicht mehr zur Bewährung habe ausgesetzt werden können. Er sei letztmals am 19. August 2019 in das Bundesgebiet eingereist und bereits 8 Monate später straffällig geworden. Sein Aufenthalt in Freiheit sei nicht von langer Dauer gewesen. Es hätten vor allem keine tragfähigen familiären Beziehungen zur Bundesrepublik bestanden. Sein Vater halte sich vielmehr durchgehend in Polen auf. Es sei anzumerken, dass er bereits erwachsen und in Polen aufgewachsen sei und sich dort bis vor seiner Einreise aufgehalten habe. Es sei daher nicht unzumutbar für ihn, sein weiteres Leben in Polen zu verbringen und sich dort eine Zukunft, sowohl beruflich als auch privat, aufzubauen bzw. weiter zu leben. Sein kurzer Aufenthalt im Bundesgebiet lasse zusätzlich annehmen, dass er keine besonderen Bindungen in Deutschland habe und ihm ein Umzug/Leben in seinem Heimatland zugemutet werden könne. Angesichts seiner gravierenden strafrechtlichen Verfehlung und der darin zum Ausdruck kommenden Missachtung der deutschen Rechtsordnung könne vorliegend, wenn überhaupt, allenfalls von einem äußerst geringen Grad einer Integration in der Bundesrepublik Deutschland ausgegangen werden, der die mit diesem Bescheid getroffene Verlustfeststellung im Hinblick auf die begangene Straftat nicht als unverhältnismäßig erscheinen lasse. Darüber hinaus sei sein Aufenthalt in Deutschland nicht von langer Dauer gewesen. Die der rechtskräftigen Verurteilung vom 1. Dezember 2020 zugrunde liegende Straftat habe er als Erwachsener im Alter von seinerzeit 38 Jahren begangen. Dieser Zeitraum liege noch nicht so lange zurück, als dass der Erlass dieses Bescheids eine unverhältnismäßige Reaktion auf seine strafrechtlichen Verfehlungen darstellen könnte, zumal das Urteil auch erst seit dem 9. Januar 2021 rechtskräftig sei. Durch seine derzeitige Inhaftierung und Therapie habe er auch keine Gelegenheit, im Bundesgebiet erneut gleichartige Straftaten zu begehen. Er befinde sich mit nunmehr 29 Jahren (zutr. wohl 40, Anm. d.G.) in einem Alter, in dem es ihm zugemutet werden könne, sich in Polen eine Existenz aufzubauen. Dies sei ihm insbesondere angesichts seines bisher in Polen verbrachten Lebens auch möglich. Er verfüge im Bundesgebiet über keine schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen oder sonstigen Bindungen. Art. 6 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK, die den Schutz des Familienlebens garantierten, stünden dem Erlass dieses Bescheids daher nicht entgegen. Er habe nach Aktenlage keine Familienangehörigen in der Bundesrepublik Deutschland, mit denen er in familiärer Lebensgemeinschaft lebe. Unverheiratete und kinderlose Ausländer genössen einen schwächeren aufenthaltsrechtlichen Schutz. Die Beziehung zu seiner Schwester sei von geringerem Gewicht, da er nicht auf Grund besonderer Umstände auf deren Unterstützung und Hilfe angewiesen sei. Soweit mit dem Erlass dieses Bescheids überhaupt ein Eingriff in das von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verbunden sei, wäre dieser jedenfalls im Lichte des Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt und verhältnismäßig, da er zum einen im Bundesgebiet eine schwerwiegende Straftat begangen habe und hier über keine feste Arbeitsstelle und Wohnung verfüge und zum anderen sein Leben in Polen verbracht habe und somit die dortigen Verhältnisse kenne, volljährig sei und die polnische Sprache beherrsche. Zudem lebe ein Teil seiner Familie in Polen. Es sei daher davon auszugehen, dass ihm eine schnelle Reintegration in die Lebensverhältnisse seines Heimatstaates gelingen könne. Duldungsgründe im Sinne von § 60a AufenthG lägen nicht vor. Es sei ihm somit durchaus zumutbar, in Polen wieder Fuß zu fassen. Aus den vorstehenden Gründen liege auch kein Verstoß gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vor. Die in Ziffer 1 des Bescheides getroffene Verlustfeststellung sei legitim und das geeignete, erforderliche und angemessene Mittel zur Erreichung des mit ihr verfolgten Zwecks. Sie sei aus den vorstehend aufgeführten spezialpräventiven Gründen dazu geeignet, den angestrebten Erfolg der Gefahrenabwehr herbeizuführen und auch erforderlich, da keine milderen Maßnahmen zur Verfügung stünden, welche in gleicher Weise wie die Verlustfeststellung zwecktauglich seien. Schließlich sei die Feststellung des Verlusts seines Rechts auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet auch angemessen, denn sie führe in Anbetracht der Gesamtumstände des vorliegenden Falles keinen Nachteil herbei, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg stehe. Er sei in Deutschland zwar erstmalig gravierend strafrechtlich in Erscheinung getreten. Auf der anderen Seite könne er sich aus vorstehenden Gründen, auch unter Berücksichtigung der besonderen Rechtsstellung der vom Unionsrecht privilegierten Personen und der besonderen Bedeutung der Freizügigkeit, nicht mit Erfolg auf eine Rechtsposition berufen, die dazu geeignet wäre, das vorstehend dargelegte erhebliche öffentliche Interesse an einer Verlustfeststellung hinter seine privaten Belange zurücktreten zu lassen. Insgesamt gesehen sei nach all dem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt. Im vorliegenden Fall bestehe eine konkrete Wiederholungsgefahr in Bezug auf schwerwiegende Straftaten, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Auch ergebe insgesamt gesehen eine Abwägung der für und gegen eine Verlustfeststellung sprechenden Belange, dass diese nicht unverhältnismäßig sei und ein deutliches Übergewicht der für die Verlustfeststellung sprechenden Sicherheitsinteressen bestehe. Dabei falle auch die nur kurze Dauer seines bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet angesichts der von ihm ausgehenden Wiederholungsgefahr bei der hier zu treffenden Ermessensentscheidung über die Verlustfeststellung nicht ausschlaggebend ins Gewicht. Vielmehr werde deutlich, dass er die deutsche Rechtsordnung nicht akzeptiere, da er bereits 8 Monate nach seiner erneuten Einreise straffällig geworden sei. Die in Ziffer 1 des Bescheids getroffene Verlustfeststellung erweise sich auch im Hinblick auf den der Behörde eingeräumten Ermessensspielraum als zweckmäßig. Der Verlust seines Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU sei nach all dem nach pflichtgemäßem Ermessen festzustellen gewesen. § 6 Abs. 4 FreizügG/EU erhöhe die Anforderungen an die Verlustfeststellung in den Fällen, in denen der Betroffene bereits ein Daueraufenthaltsrecht erworben habe, zusätzlich dahingehend, dass die vorgenannten Gründe schwerwiegend sein müssen. Ein Unionsbürger erwerbe nach § 4a Abs. 1 FreizügG/EU das Daueraufenthaltsrecht unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU, wenn er sich seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Dies treffe auf den Kläger nicht zu. Er sei zwar bereits am 18. April 2016 erstmalig in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und könnte daher rein rechnerisch bereits ein Daueraufenthaltsrecht erworben haben. Beim Erwerb des Daueraufenthaltsrechts komme es auf die Sicherung der Kontinuität des Aufenthalts an, so dass es nicht ausreiche, dass sich der Begünstigte irgendwann einmal über fünf Jahre lang rechtmäßig in Deutschland aufgehalten habe. Die fünf Jahre rechtmäßiger Aufenthalt müssten ununterbrochen unmittelbar bis zum Erwerb des Daueraufenthaltsrechts erreicht werden. Nach § 4a Abs. 6 Nr. 1 FreizügG/EU würden dabei Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr, nach Abs. 6 Nr. 3 eine einmalige Abwesenheit von bis zu zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigem Grund nicht als Unterbrechungen eines ständigen Aufenthalts berücksichtigt. Er habe sich vom 12. April 2017 bis zum 20. Mai 2019 nicht in der Bundesrepublik aufgehalten. Die Abwesenheit in diesem Zeitraum überschreite die in § 4a Abs. 6 Nr. 3 FreizügG/EU genannte Dauer von einem Jahr. Ein Daueraufenthaltsrecht sei somit bisher nicht erworben worden. Auch die Voraussetzungen nach § 4a Abs. 2 FreizügG/EU, um das Daueraufenthaltsrecht bereits vor Ablauf von fünf Jahren zu erwerben, lägen bei ihm derzeit nicht vor. § 6 Abs. 4 FreizügG/EU greife vorliegend nicht zu seinen Gunsten. Die Abschiebungsandrohung unter Fristsetzung finde ihre Rechtsgrundlage in § 7 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU. Danach solle die Abschiebung angedroht und eine Ausreisefrist gesetzt werden. Die hiernach grundsätzlich einzuräumende Ausreisefrist, die dem Unionsbürger Gelegenheit geben solle, freiwillig auszureisen, sei zwar auch dann erforderlich, wenn der Betroffene sich in Haft bzw. im Maßregelvollzug befinde und daraus abgeschoben werden solle. Der Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 2 und 3 FreizügG/EU lasse sich jedoch nicht entnehmen, dass dem Betroffenen in jedem Fall Gelegenheit zur freiwilligen Ausreise gegeben werden müsse. Unschädlich sei es daher, wenn die Ausreisefrist in die Zeit der Haft bzw. des Maßregelvollzugs falle. Der Lauf der nach § 7 Abs. 1 Sätze 2 und 3 FreizügG/EU zu setzenden Ausreisefrist könne somit auch in einen Maßregelvollzugszeitraum fallen, weil auch unter den besonderen Umständen der Haft bzw. des Maßregelvollzugs die Ausreise organisiert werden könne und daher keine Notwendigkeit bestehe, den Beginn der Ausreisefrist erst auf das Ende der Haft bzw. des Maßregelvollzugs zu legen. Somit könne nach Fristablauf auch ein Unionsbürger, der eine Haftstrafe verbüße, aufgrund einer Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU - etwa im Rahmen einer Anordnung des Absehens von weiterer Strafvollstreckung gem. § 456 a StPO - aus der Haft bzw. Maßregel heraus abgeschoben werden. Die Abschiebungsandrohung bzw. Ausreisefristsetzung sei so bestimmt worden, dass die Mindestfrist des § 7 Abs. 1 Satz 3 FreizügG/EU eingehalten sei. Damit sei Sinn und Zweck der Vorschrift erfüllt, nämlich eine so genannte Überraschungsabschiebung zu vermeiden. Insoweit beruhe die Setzung einer einmonatigen Ausreisefrist auf § 7 Abs. 1 Satz 3 FreizügG/EU. Besondere Umstände, die die Einräumung einer längeren Ausreisefrist erforderten, seien weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Schließlich dürften nach § 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die ihr Freizügigkeitsrecht nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU verloren hätten, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Gemäß § 7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU sei das Einreise- und Aufenthaltsverbot bereits mit dem Erlass der Verlustfeststellung von Amts wegen zu befristen. Die Vorschrift gewähre Unionsbürgern einen strikten Rechtsanspruch auf die Befristung. Nach § 7 Abs. 2 Satz 6 FreizügG/EU sei die Frist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen und dürfe die Dauer von fünf Jahren nur in den Fällen des - hier vorliegenden - § 6 Abs. 1 FreizügG/EU überschreiten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei in einem ersten Schritt eine an dem Gewicht des Grundes für die Verlustfeststellung sowie dem mit der Maßnahme verfolgten spezialpräventiven Zweck orientierte äußerste Frist zu bestimmen. Hierzu bedürfe es der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Verlustfeststellung zugrunde liege, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr mit Blick auf die im vorliegenden Fall bedeutsame Gefahrenschwelle des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU zu tragen vermöge. Diese so ermittelte Frist müsse sich in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. unionsrechtlichen Vorgaben (Art. 7 GRCh und Art. 8 EMRK) und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) messen und gegebenenfalls relativieren lassen. Die Abwägung sei nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles nach der Gewichtung der jeweiligen Belange vorzunehmen. Gemessen an diesen Grundsätzen gehe die Ausländerbehörde im Rahmen der vorliegenden Befristungsentscheidung in einem ersten Schritt unter Berücksichtigung von Art und Schwere der begangenen Straftat einschließlich des bei der letzten Verurteilung festgesetzten Strafmaßes sowie der beim Kläger anzunehmenden Wiederholungsgefahr davon aus, dass insoweit eine Bestimmung der Sperrfrist auf vier Jahre gerechtfertigt sei. Die Ausländerbehörde gehe vorliegend zu dessen Gunsten davon aus, dass wegen der begangenen Straftat im ersten Schritt nach der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung unter Berücksichtigung des mit der Verlustfeststellung verfolgten Zwecks keine höhere Frist anzusetzen sei. Bei der abgeurteilten strafrechtlichen Verfehlung handele es sich zwar um eine schwerwiegende Straftat. Es sei aber andererseits auch zu beachten, dass er sich das erste Mal in Deutschland in Haft befinde und die abgeurteilte Straftat noch nicht im allerhöchsten Bereich der Kriminalität zu verorten sei. Auch habe er die Tat bereits acht Monate nach seiner erneuten Einreise nach Deutschland begangen, welche sich durch eine besondere Aggressivität ausgezeichnet habe. Auch anzumerken sei seine jahrelange Alkohol- und Drogenproblematik. Insoweit setze die Ausländerbehörde bei der Bemessung der Sperrfrist im ersten Schritt eine Frist von vier Jahren an. In einem zweiten Schritt könne diese Frist, insbesondere mit Blick auf die Schutzwirkungen des Art. 6 GG und das von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Privat- und Familienleben, verkürzt werden. Im Fall des Klägers sei dies nicht angebracht. Er habe weder einen längeren Aufenthalt in der Bundesrepublik zu verzeichnen, noch verfüge er über eine Arbeitsstelle und Wohnraum, auch wenn er bis vor seiner Inhaftierung in Deutschland berufstätig gewesen sei. Auch sei er bereits acht Monate nach seiner Ersteinreise strafrechtlich in Erscheinung getreten. Es bestünden keine tragfähigen sozialen Bindungen im Bundesgebiet. Ein Teil seiner Familie befinde sich in seinem Heimatland. Die Bindungen zu Deutschland seien nicht von solchem Gewicht, dass sie eine Verkürzung der Frist hätten rechtfertigen können. Unter diesen Umständen verbleibe die Sperrfrist bei vier Jahren, was einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen der notwendigen Gefahrenabwehr einerseits und den privaten Belangen andererseits darstelle. Eventuelle Härten könnten durch Anwendung des § 11 Abs. 8 AufenthG abgemildert werden. Auf die weitere Bescheidsbegründung, insbesondere zur Anordnung des Sofortvollzugs und der hieraus resultierenden Rechtsfolgen, wird verwiesen.
11
Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger mit am 8. April 2022 eingegangenem Schriftsatz Klage erheben und unter dem 22. April 2022 ferner die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung beantragen. Es sei zutreffend, dass er mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Landshut zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt worden sei. Gleichzeitig sei die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB angeordnet worden. Er befinde sich erstmalig in seinem Leben in einer Therapie. Er habe sich bisher in das Stationsleben gut einfügen können und nutze alle angebotenen Therapiemöglichkeiten. Im Stationsalltag zeige er sich höflich und angepasst. Er erledige aufgetragene Dienste sorgfältig und trete stets freundlich in Kontakt. Mit Schriftsatz vom 15. Juni 2022 wird weiter geltend gemacht, dass der Kläger zwischenzeitlich einen Arbeitsvertrag geschlossen habe und einer Arbeitstätigkeit nachgehe. Die im gerichtlichen Verfahren eingeholte Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses S* … vom 23. Mai 2022 scheine vor diesem Hintergrund nicht mehr aktuell zu sein. Dort heiße es nämlich, dass der Kläger am 3. März 2022 die Lockerungsstufe C erhalten habe. Weiter habe er seit dem 15. März 2022 an der Gruppe „Rückfallprophylaxe“ teilgenommen, die er mittlerweile habe abschließen können. Weiter heiße es in der Stellungnahme, dass deutliche Fortschritte in seinem Umgang im Vergleich zum Jahr 2021 zu verzeichnen seien. Insofern arbeite der Kläger weiter ernsthaft an sich und seiner Therapie, die bei weiterhin gutem Verlauf eine günstige Sozialprognose erkennen lasse, wobei dann auch in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung drohe. In der Zusammenschau des bisherigen Verlaufs zeige sich der Kläger von der Therapie durchaus beeindruckt, die nach derzeitiger Einschätzung auch einen nachhaltigen Einfluss auf sein zukünftiges Verhalten nehmen werde. Zusammenfassend sei bei ihm weiter ein authentischer Therapie- und Veränderungswillen sowie ein Abstinenzvorsatz vorhanden. Die Therapie gemäß § 64 StGB scheine insgesamt weiter erfolgversprechend. Der Kläger sollte im Sinne der damaligen Stellungnahme und der fortschreitenden Lockerungsbedingungen weiter erprobt werden. Die Lockerungsstufe sei erreicht. Der Kläger gehe einer Arbeitstätigkeit in Freiheit nach. Die im Schreiben der Beklagten vom 10. Mai 2022 vorgetragenen Gründe eine Wiederholungsgefahr in Bezug auf schwerwiegende Straftaten, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührten, seien nicht mehr vorhanden. Eine Bewährung des Klägers in Freiheit fehle nicht mehr, sondern finde nachweislich bereits jetzt statt. Es werde beantragt, eine neue Stellungnahme bei der Klinik einzuholen, bevor eine Entscheidung getroffen werde.
12
Der Kläger lässt beantragen,
Der Bescheid der Beklagten vom 30. März 2022, zugestellt am 7. April 2022, wird aufgehoben.
13
Der Beklagte beantragt unter inhaltlicher Wiederholung der den streitgegenständlichen Bescheid tragenden Erwägungen,
die Klage abzuweisen.
14
Beim Kläger bestehe eine Suchtmittelabhängigkeit, die derzeit zwar therapiert werde, jedoch noch nicht erfolgreich abgeschlossen sei. Außerdem fehle nach Abschluss der Therapie eine Bewährung in Freiheit. Von einer Wiederholungsgefahr sei daher auszugehen. Im Rahmen der anschließenden Ermessensausübung seien alle für und gegen die inmitten stehende Entscheidung sprechenden Umstände eingestellt und angemessen gewürdigt worden. Eine Ermessensreduzierung auf null zu Gunsten des Klägers sei vorliegend nicht gegeben. Darüber hinaus begegne die festgesetzte Ausreisefrist von einem Monat ebenso wenig rechtlichen Bedenken wie die Dauer der unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Belange festgesetzten Fernhaltefrist. Mit Schriftsatz vom 8. Juni 2022 wird ergänzend mitgeteilt, dass die Voraussetzungen für die getroffene Verlustfeststellung auch im Lichte der Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses S* … vom 23. Mai 2022 weiter bestünden. Eine Wiederholungsgefahr sei beim Kläger nach wie vor gegeben. Liege - wie bei ihm - die Ursache der begangenen Straftaten in einer Suchtmittelabhängigkeit, könne nach ständiger Rechtsprechung von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange er eine notwendige Therapie nicht erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung eines künftig straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht habe, indem er sich insbesondere außerhalb des Straf- oder Maßregelvollzugs bewährt habe. Davon könne beim Kläger jedoch keine Rede sein. Ein Wohlverhalten unter dem Druck einer strafgerichtlich angeordneten Therapie und staatlicher Kontrolle lasse nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung schließen. Dies gelte vorliegend umso mehr, als dem Kläger erst vor kurzem bereits gewährte Lockerungen wegen fehlender Absprachefähigkeit wieder entzogen werden hätten werden müssen. Selbst wenn nach der Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses S* … vom 23. Mai 2022 zu Gunsten des Klägers von einem nunmehr insgesamt positiven Verlauf der derzeit zu absolvierenden Therapie auszugehen sei, sei vorliegend in den Blick zu nehmen, dass sich diese Einschätzung auf die derzeitige Situation im Rahmen des Maßregelvollzugs beziehe und sich daraus keine belastbaren Aussagen darüber entnehmen ließen, wie sich der Kläger ohne die Protektivfaktoren einer stationären Unterbringung in der Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB verhalten werde.
15
Ein gerichtlicherseits angeforderter Therapiebericht des Bezirkskrankenhauses S* … datiert vom 23. Mai 2022. Auf dessen Inhalt wird Bezug genommen.
16
Die Einzelrichterübertragung erfolgte am 20. Juni 2022. Die Beteiligten erklärten sich mit Schriftsätzen vom 10. Mai und 15. Juni 2022 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
17
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere der gewechselten Schriftsätze, sowie der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage, über die gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden wird, hat keinen Erfolg.
19
Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das Gericht zunächst auf die ausführlichen und überzeugenden Darlegungen der Beklagten sowohl im streitgegenständlichen Bescheid als auch in den Klageerwiderungen vom 10. Mai und 8. Juni 2022 und macht sich diese zu eigen. Mit Blick auf die Klagebegründung ist Folgendes ergänzend festzuhalten:
20
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs kann bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, - als Teil der erforderlichen Prognoseentscheidung - von einem Wegfall der für die Ausweisung/Verlustfeststellung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat. Solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich verfestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (zum Vorstehenden etwa BayVGH, B.v. 29.3.2022 - 10 ZB 21.1021 - juris Rn. 10; B.v. 16.8.2021 - 19 ZB 19.2491 - juris Rn. 14 m.w.N.). Das Abwarten eines erfolgreichen Therapieverlaufs ist insoweit nicht angezeigt, da künftige Entwicklungen nichts über die aktuell vom Kläger ausgehende Gefährdung aussagen (BayVGH, B.v. 15.3.2021 - 19 ZB 20.496 - juris Rn. 10 unter Verweis auf BVerwG, B.v. 11.9.2015 - 1 B 39/15 - juris Rn. 10). Ein (EU-)Ausländer hat keinen Anspruch darauf, solange in einer Therapieeinrichtung in der Bundesrepublik zu verbleiben, bis seine Suchterkrankung geheilt ist und keine negative Gefahrenprognose mehr besteht (vgl. BayVGH, B.v. 9.6.2021 - 19 C 21.847 - juris Rn. 15 m.w.N.).
21
2. Mit Blick auf die nach wie vor andauernde Therapiemaßnahme liegen die vorstehend beschriebenen Voraussetzungen für die Annahme eines Entfalls der Wiederholungsgefahr trotz positiver Grundeinschätzung des Bezirkskrankenhauses entgegen der Ansicht der Klägerseite nicht vor. Hieran ändert eine möglicherweise zwischenzeitlich weiter fortgeschrittene Lockerungssituation durch externe Arbeitsaufnahme nichts, da auch damit die Therapie gemäß § 64 StGB noch nicht erfolgreich beendet ist. Einen positiven Abschluss der Therapie, welche am 10. Februar 2021 mit einer sachverständigenseitig für erforderlich gehaltenen Dauer von zwei Jahren begonnen hat, macht die Klägerseite mit ihrem jüngsten Vorbringen ohnehin nicht geltend. Vielmehr handelt es sich allenfalls um eine Fortsetzung der Erprobung des Klägers durch weitere schrittweise Lockerungsmaßnahmen in Einklang mit den Ausführungen im vorletzten Absatz des Therapieberichts des Bezirkskrankenhauses S* … vom 23. Mai 2022. Die Arbeitstätigkeit des Klägers ist mithin Teil der laufenden Therapiemaßnahme. Das Bezirkskrankenhaus empfiehlt dagegen ausdrücklich aktuell nicht die Aussetzung der weiteren Vollziehung, mithin nicht die Entbindung des Klägers von den selbst bei weiterer Lockerung fortbestehenden Rahmenbedingungen der Therapie. Folglich kann von einer „Bewährung in Freiheit“ im Sinne der gefestigten verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung - die selbstverständlich ein autarkes und selbstbestimmtes Leben des Betroffenen ohne steuernde und begleitende Protektivfaktoren des Maßregelvollzugs nach erfolgreich absolvierter Therapie und nicht die Phase der Erprobung im Freiheitskontakt während andauernder Therapiemaßnahme zugrunde legt - nach wie vor keine Rede sein. Dies gilt vorliegend erst recht mit Blick darauf, dass der Verlauf der Therapie in einer Zusammenschau der Therapieberichte vom 28. Dezember 2021 und 23. Mai 2022 keineswegs als geradlinig und problemfrei bezeichnet werden kann. Insbesondere war es in 2021 zur Entziehung bereits gewährter Lockerungsstufen sowie zu einer Rückstufung auf Stufe 0 bei Aussetzung bisher gewährter Lockerungen gekommen. Erst nach wunschgemäßer Verlegung auf eine andere Therapiestation haben sich die Therapieaussichten wieder verbessert. Gleichwohl fällt im Therapiebericht vom 23. Mai 2022 ein positives Drogenscreening auf Alkohol am 23. April 2022 (2021 muss im Berichtskontext ein Tippfehler sein) auf, welcher wiederum mit einer Aussetzung der Lockerungsstufe bis zum 22. Mai 2022 verbunden war. Nach alledem erscheint unter weiterer Berücksichtigung der Tatsache, dass Alkohol als sog. „legale Droge“ im Alltag vergleichsweise einfach weithin verfügbar, leicht und „unauffällig“ zu erwerben und dabei teilweise sogar sehr günstig erhältlich ist, eine beanstandungsfreie Bewährung des Klägers in (unüberwachter) Freiheit entscheidend, um die suchtwie tat- bzw. verhaltensbedingt negativ ausfallende aufenthaltsrechtliche Gefahrenprognose belastbar entkräften zu können.
22
An dieser Stelle ist die ohne Weiteres nachvollziehbare Bewertung der Strafkammer in Erinnerung zu rufen, wonach die vorliegende Tatkonstellation für eine „Wiederholung“ prädestiniert erscheint (Trinken im Freien, Streit mit anderen sich dem Trinken anschließenden zunächst unbekannten Dritten). Bei hohen Alkoholwerten - welche grundsätzlich aufgrund des Suchtverhaltens zu erwarten seien -, sei es auch nach Überzeugung der Strafkammer vorprogrammiert, dass bei geringen Anlässen Streitigkeiten zu handfesten Auseinandersetzungen führen würden. Solche „Nichtigkeiten“ haben vorliegend zu einer Verurteilung des Klägers wegen gefährlicher Körperverletzung unter dem Blickwinkel sowohl einer gemeinschaftlichen als auch einer das Leben gefährdenden Behandlung geführt. Die Strafkammer betont dabei zu letzterem Aspekt völlig zu Recht, dass es beim Gesamtbild der Tat letztendlich auch nur vom Zufall abhing, dass es zu keinen gravierenderen Verletzungen des Geschädigten gekommen ist. Letztendlich sei es für keinen der Angeklagten, also auch nicht für den Kläger, beherrschbar gewesen, dass der Geschädigte keine lebensgefährlichen Verletzungen erlitten habe. Nach dem strafrechtlich festgestellten Sachverhalt kam es also aus einer letztlich „belanglosen“ und in ihrer Entstehungskonstellation nachgerade zufälligen Situation heraus zu einem gewichtigen Übergriff auf die körperliche Unversehrtheit des Geschädigten (mehrmalige wahllose Schläge auf den am Boden in Embryonalhaltung liegenden Geschädigten mit Händen und Füßen bei „Treffern“ v.a. im Oberkörper- und Kopfbereich). Dabei erwies sich die Hemmschwelle u.a. des seit vielen Jahren alkoholsüchtigen Klägers gerade wegen des intensiven Alkoholkonsums als erheblich herabgesetzt. Demgegenüber können die Auswirkungen einer solch gravierenden Enthemmung einerseits und einer daraus resultierenden deutlichen Gewaltanwendung andererseits für ein Tatopfer potenziell erheblichste, auch bleibende körperliche und psychische Schäden nach sich ziehen.
23
Mit in die Gefahrenprognose kann zudem die erste Verurteilung des Klägers vom 15. Juli 2016 einbezogen werden. Ihr lag eine insofern ähnliche Grundkonstellation zugrunde, als der Kläger schon damals in alkoholisiertem Zustand u.a. versuchte Körperverletzungshandlungen gegenüber Polizisten begangen hatte. Im Lichte des seit 2010 verfestigten Suchtproblems des Klägers wird also unter diesem Blickwinkel ebenfalls deutlich, wie wichtig eine belastbar erfolgreiche Therapie mit Anschlussbewährung in Freiheit ist, um bei Anwendung „praktischer Vernunft“ annehmen zu können, dass neue Verfehlungen nicht in Rechnung zu stellen sind, weil das vom Betroffenen ausgehende Risiko bei Würdigung aller wesentlicher Umstände des Einzelfalls letztlich kein anderes ist, als es bei jedem Menschen „mehr oder weniger“ besteht.
24
Bei dieser Sachlage steht folglich unter Einbeziehung der sachverständigen Einschätzung im Strafverfahren, wonach vergleichbare Straftaten, bedingt durch Alkoholkonsum und eine dadurch bedingte Enthemmung, in Zukunft ohne Weiteres zu erwarten seien (S. 81 des Strafurteils), ohne erfolgreiche Therapie mit Anschlussbewährung eine erneute Gefährdung höchst bedeutsamer, auch unionsrechtliche Grundinteressen darstellender Rechtsgüter (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) im Raum. Daher ist für einen Entfall der Gefahrenprognose nicht nur der erfolgreiche Therapieabschluss als „Rüstzeug“ für ein suchtfreies Leben in (unüberwachter) Freiheit erforderlich. Vielmehr ist zusätzlich notwendig, dass der Kläger nach Abschluss der Therapiemaßnahme eigenständig und selbstverantwortlich beweist, dass er trotz der allfälligen von ihm zu bewältigenden Widrigkeiten des Alltags, insbesondere Krisen oder Provokationen, der - im Lichte der vergleichsweise einfachen Zugangsmöglichkeit zu Alkohol leicht erfüllbaren - Versuchung eines Rückfalls in die immerhin seit 2010 bestehende Alkoholsucht gleichwohl nachhaltig widerstehen kann und zugleich zeigt, dass er sich sowohl sozial und wirtschaftlich positiv in die hiesigen Lebensverhältnisse integrieren wie straffrei halten kann.
25
3. Da also selbst nach jüngstem Sachstand die laufende Therapie des Klägers nicht (erfolgreich) abgeschlossen ist, war es im Lichte der vorstehenden Ausführungen nicht entscheidungserheblich notwendig, dem Antrag des Klägerbevollmächtigten auf Einholung eines weiteren Therapieberichts nachzukommen.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
26
I. Der Streitwert wird auf € 5.000.- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung von Ziffer 8.2 des Streitwertkatalogs 2013).
27
II. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung wird aus den in o.g. Urteil genannten Gründen wegen mangelnder hinreichender Erfolgsaussicht bereits zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife am 10. Mai 2022 abgelehnt.