Inhalt

VGH München, Beschluss v. 06.10.2022 – 19 ZB 22.1357
Titel:

Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt wegen der Begehung von Betäubungsmitteldelikten

Normenkette:
FreizügG/EU § 4a Abs. 1 S. 1, § 6 Abs. 1, Abs. 4
Leitsätze:
1. Bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Griechischer Staatsangehöriger, Verlustfeststellung, Betäubungsmitteldelikte, Betäubungsmittelabhängigkeit, Freizügigkeit, griechischer Staatsangehöriger, schwerwiegende Gründe der öffentlichen Ordnung, Grundinteresse der Gesellschaft, Daueraufenthaltsrecht, tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, Prognose zur Wiederholungsgefahr, Suchtmittelabhängigkeit
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 16.03.2022 – AN 5 K 21.01319
Fundstelle:
BeckRS 2022, 29790

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Berufungszulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
2
Der am ... 1984 geborene Kläger, griechischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 16. März 2022, durch das seine Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 23. Juni 2021 abgewiesen worden ist. Mit diesem Bescheid hat die Beklagte hinsichtlich des Klägers den Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt für die Bundesrepublik Deutschland festgestellt (Nr. I des Bescheides), die Wirkungen der Verlustfeststellung und einer eventuellen Abschiebung auf die Dauer von sechs Jahren ab Ausreise/Abschiebung befristet (Nr. II des Bescheides), den Kläger zur Ausreise innerhalb einer Frist von einem Monat nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheides aufgefordert (Nr. III des Bescheides) und ihm widrigenfalls die Abschiebung insbesondere nach Griechenland angedroht (Nr. IV des Bescheides).
3
Zur Begründung des Urteils führt das Verwaltungsgericht an, die in Nr. I des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Verlustfeststellung sei rechtlich nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage der Verlustfeststellung sei vorliegend trotz der langen Aufenthaltsdauer des Klägers im Bundesgebiet nicht § 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 FreizügG/EU, sondern § 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 FreizügG/EU. Die Beklagte gehe zu Gunsten des Klägers, allerdings ohne die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU im Einzelnen zu prüfen, davon aus, dass der Kläger schon auf Grund seiner griechischen Staatsangehörigkeit ein freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger sei. Zugunsten des Klägers werde - in Übereinstimmung mit der Beklagten - davon ausgegangen, dass der Kläger ein Daueraufenthaltsrecht gem. § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU erworben habe. Der noch weitergehende Schutz nach § 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 FreizügG/EU stehe ihm jedoch nicht zu, da die von dem Kläger geknüpften Integrationsbande - soweit vorhanden - jedenfalls durch die Verbüßung der aktuellen Haftstrafe abgerissen seien. Die Beklagte habe den Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt am 23. Juli [gemeint Juni] 2021 festgestellt. Der Kläger habe sich bereits seit dem 7. November 2019 in Untersuchungs- bzw. anschließend in Strafhaft und sodann durchgehend im Maßregelvollzug befunden. Innerhalb des gemäß §6 Abs. 5 FreizügG/EU relevanten Zeitraums von zehn Jahren sei der Kläger demnach bereits mehr als eineinhalb Jahre in Haft gewesen. Dadurch sei der erforderliche Aufenthaltszeitraum nach Auffassung der Kammer unterbrochen worden. Alleine aus dem langen (Vor-) Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet könne nicht auf eine Kontinuität geschlossen werden, denn bereits vor seiner Inhaftierung hätten nur geringe Integrationsverbindungen im Bundesgebiet bestanden. Der Kläger sei zwar im Bundesgebiet geboren und aufgewachsen und habe die Schule mit dem qualifizierenden Hauptschulabschluss beendet. Eine erfolgreich abgeschlossene Berufsausbildung habe der Kläger jedoch nicht. Nach seinem Schulabschluss habe er in nichtqualifizierten Beschäftigungsverhältnissen als Bürohilfe, Kellner und Gebäudereiniger gearbeitet. Er sei laut den insoweit getroffenen Feststellungen des Landgerichts zumindest zum Teil auch ohne Beschäftigung gewesen, wobei der fast 20 Jahre währende, immer weiter gesteigerte Betäubungsmittelkonsum des Klägers jedenfalls zum Zeitpunkt seiner Inhaftierung seine berufliche Integration im Bundesgebiet - soweit nach vorstehenden Ausführungen vorhanden - beeinträchtigt habe. Gegen die Integration des Klägers im Bundesgebiet spreche auch, dass er bereits vor der Begehung der Anlasstat der Verlustfeststellung im Bundesgebiet mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten sei. Auch in familiärer Hinsicht seien vor Haftantritt keine starken Bindungen vorhanden gewesen. Die Schwester und eine Cousine lebten zwar im Bundesgebiet, der ledige und kinderlose Kläger verfüge jedoch nicht über eine eigene Kernfamilie im Bundesgebiet. Zuletzt sei auch zu berücksichtigen, dass sich der Kläger vom 20. September 2014 bis 2. August 2015 nicht in Deutschland, sondern in Griechenland zur Arbeit in der dortigen Gastronomie aufgehalten habe, was wiederum gegen eine nachhaltige Integration und Bindung zum Bundesgebiet spreche. Die vom Kläger begangene Straftat rechtfertigte die Verlustfeststellung aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung (§ 6 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 FreizügG/EU). Aus der Straftat, aufgrund derer der Kläger mit Urteil des Landgerichts vom 16. März 2018 [gemeint 2.6.2020] wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 34 Fällen in Tatmehrheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit vorsätzlichem Besitz einer verbotenen Waffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten verurteilt worden sei, folge eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Sinne des §6 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 FreizügG/EU. Der Kläger habe im Zeitraum vom 1. Juli 2016 bis zum 31. Juli 2018 einen gewinnbringenden Handel mit insgesamt mindestens 17,5 kg Marihuana im Stadtgebiet von Nürnberg betrieben. Zudem habe er am 7. November 2019 in seiner Wohnung 20,54 Gramm Marihuana sowie zwei verbotene Wurfsterne aufbewahrt. Das Strafgericht habe zu Gunsten des Klägers insbesondere dessen vollumfängliches, auf Reue und Schuldeinsicht basierendes Geständnis, seine Betäubungsmittelabhängigkeit, Marihuana als weniger gefährliche Droge zum überwiegenden Zweck des Eigenkonsums und das längere Zurückliegen eines großen Teils der Taten berücksichtigt. Zulasten des Klägers seien dessen einschlägige Vorstrafen, die mit Blick auf die im Juli 2016 begangenen Taten nicht unerhebliche Rückfallgeschwindigkeit sowie das Handeln mit dem 19-fachen der nicht geringen Menge berücksichtigt worden. Insoweit handle es sich bei der vom Kläger begangenen Tat um ein gravierendes Verbrechen. Von einem Grundinteresse der Gesellschaft könne in diesem Zusammenhang ausgegangen werden, da die Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, schwerwiegend seien und ein Grundinteresse der Gesellschaft berührten. Das persönliche Verhalten des Klägers indiziere nach Auffassung der Kammer auch für die Zukunft eine tatsächliche, gegenwärtige und schwerwiegende Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Die Kammer gehe vorliegend mit der Beklagten davon aus, dass der Kläger bei einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet auch weiterhin gravierende Straftaten, namentlich Betäubungsmitteldelikte, begehen werde. Im Rahmen der Gefahrenprognose sei zu berücksichtigen, dass nach der Einschätzung des im Strafverfahren hinzugezogenen Sachverständigen Dr. T. beim Kläger von einer Cannabisabhängigkeit ausgegangen werden müsse (ICD 10 F 12.2), welche auch tatzeitbezogen vorgelegen habe. Der Kläger blicke auf eine langjährige Suchtmittelanamnese zurück, wobei eine dauerhafte Abstinenz nicht habe erreicht werden können. Die Suchtmittelproblematik habe sich auch negativ auf dessen Leben ausgewirkt. Der Kläger sei zuletzt keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgegangen. Aus medizinischer Sicht sei eine tief verwurzelte innere Disposition, psychotrope Substanzen im Übermaß zu konsumieren, und mithin ein Hang anzunehmen. Es bestehe auch ein symptomatischer Zusammenhang zwischen dem Hang des Klägers und der abgeurteilten Betäubungsmittelstraftat. Sofern der Kläger keine langzeittherapeutische Maßnahme absolviere, sei zudem die Wiederholungswahrscheinlichkeit für gleichgelagerte Straftaten hoch. Dementsprechend sei bei Nichtbehandlung vor allem mit Betäubungsmittel- und Beschaffungskriminalität zu rechnen. Die Kammer erkenne durchaus, dass der Kläger an seiner Suchtproblematik arbeite und sich um ein geregeltes Leben bemühe. Laut Therapiebericht des Bezirkskrankenhauses Lohr am Main vom 6. September 2021 habe der Kläger bislang ohne Suchtmittelrückfälle Fortschritte in seiner Therapie gemacht und befinde sich seit dem 24. August 2021 (und nach Aussage des Bezirkskrankenhauses nach wie vor) in der Lockerungsstufe D2 (Beurlaubung zum Probewohnen). Er habe am 1. Juni 2021 die Arbeit in einem griechischen Restaurant aufgenommen und sei gegenwärtig in Nürnberg beschäftigt. Der Kläger habe sich therapie- und abstinenzmotiviert gezeigt und habe die erlernten Strategien bereits unter Arbeitsbelastung erproben können. Trotz der gezeigten Fortschritte sei dennoch zu berücksichtigen, dass bislang die Betäubungsmittelabhängigkeit des Klägers (noch) nicht erfolgreich therapiert sei. Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung könne bei Straftaten, die auch auf der Suchterkrankung des Ausländers beruhen, von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht habe. Angesichts der erheblichen Rückfallquoten während einer andauernden Drogentherapie und auch noch in der ersten Zeit nach dem erfolgreichen Abschluss einer Drogentherapie könne allein aus der begonnenen Therapie noch nicht auf ein künftiges straffreies Leben geschlossen werden. Die Kammer gehe daher im Hinblick auf die längerfristig angelegte ausländerrechtliche Gefahrenprognose und den Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon aus, dass der Kläger, auch gegenwärtig, wieder straffällig werde. Die Beklagte habe bei Erlass der Verlustfeststellung das ihr eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt. Auch die in Nrn. III und IV verfügten ausländerrechtlichen Annexmaßnahmen nach §§ 58, 59 AufenthG begegneten keinen rechtlichen Bedenken.
4
Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung.
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1. Der ausschließlich geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), dessen Beurteilung sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs richtet (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12), sodass eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 20.2.2017 - 10 ZB 15.1804 - juris Rn. 7), liegt nicht vor. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen des Klägers auch unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung nicht.
6
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn die Klägerseite im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16). Solche schlüssigen Gegenargumente liegen bereits dann vor, wenn im Zulassungsverfahren substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufgezeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 - juris Rn. 19). Es reicht nicht aus, wenn Zweifel lediglich an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen bestehen, auf welche das Urteil gestützt ist. Diese müssen vielmehr zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründen. Das wird zwar regelmäßig der Fall sein. Jedoch schlagen Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente nicht auf das Ergebnis durch, wenn das angefochtene Urteil sich aus anderen Gründen als richtig darstellt (BVerwG, B.v. 10.3.2004 - 7 AV 4/03 - juris Rn. 9).
7
Zur Begründung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils lässt der Kläger vortragen, nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) stehe es den Mitgliedstaaten zwar frei, Straftaten wie die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV angeführten als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, die geeignet sei, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen, und die damit unter den Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit fallen könne, mit denen „gemäß Art. 28 Abs. 3“ eine Ausweisungsverfügung gerechtfertigt werden könne, sofern die Art und Weise der Begehung solcher Straftaten besonders schwerwiegende Merkmale aufweise; dies sei vom vorlegenden Gericht auf der Grundlage einer individuellen Prüfung des konkreten Falles, mit dem es befasst ist, zu klären. Das angegriffene Urteil setze sich nicht mit der Art und Weise der Begehung der Straftat durch den Kläger und/oder solcher besonders schwerwiegenden Merkmale der Begehung der Straftat auseinander. Es gebe insoweit lediglich auszugsweise die Darstellung der begangenen Straftaten sowie die erfolgte Strafzumessung aus dem Strafurteil wieder, ohne dass erkennbar eine entsprechende Auseinandersetzung des Gerichtes mit der Art und Weise der Begehung dieser Straftat festzustellen sei, insbesondere was die oben genannten besonders schwerwiegenden Merkmale anbelange. Darüber hinaus setze nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs jede Ausweisungsverfügung voraus, dass das persönliche Verhalten des Betroffenen eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft oder des Aufnahmemitgliedstaats berühre, wobei diese Feststellung im Allgemeinen bedeute, dass eine Neigung des Betroffenen bestehen müsse, das Verhalten in Zukunft beizubehalten. Bevor der Aufnahmemitgliedstaat eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfüge, habe er insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet dieses Staates, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in diesem Staat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen. Zwar sei im Ansatz erkennbar, dass sich das Verwaltungsgericht insbesondere mit der Dauer des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet, dem Alter, seinem Gesundheitszustand, seiner familiären wirtschaftlichen Lage, etc. auseinandergesetzt habe, übersehe dabei aber, dass der Kläger inzwischen erfolgreich eine Drogentherapie bestreite. Die vom Kläger begangenen Straftaten basierten auf einer Betäubungsmittelabhängigkeit des Klägers und lägen zudem weit zurück. Inzwischen habe der Kläger jedoch die Gelegenheit erhalten, diese Betäubungsmittelabhängigkeit, also seine Erkrankung, durch Absolvierung einer Drogentherapie behandeln zu lassen. Der Verlauf der Therapie sei wohl unstrittig bislang erfolgreich. Bei der Berücksichtigung der Art und Weise bei der Begehung der Straftaten aber auch der Frage, ob beim Kläger eine Neigung bestehe, dieses strafrechtliche Verhalten in Zukunft beizubehalten könne dem Kläger jedoch nicht das Vorliegen einer Erkrankung entgegengehalten werden. Betäubungsmittelabhängigkeit sei eine solche Erkrankung. Dies habe aber nichts mit entsprechenden Neigungen des Klägers im Hinblick auf die Begehung von Betäubungsmittelstraftaten zu tun, insbesondere, wenn davon ausgegangen werden könne, dass die absolvierte Drogentherapie erfolgreich bestritten werde. Die Frage, ob das persönliche Verhalten des Klägers eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft oder des Aufnahmemitgliedstaats berühre, könne folglich nur dadurch beantwortet werden, ob die für die Straftaten ursächliche Betäubungsmittelerkrankung noch vorliegt oder nicht. Zu dieser Frage hätten weder die Beklagte noch das Verwaltungsgericht Feststellungen getroffen. Allein das Abstellen darauf, dass im allgemeinen Drogenabhängige nach Absolvierung einer Drogentherapie rückfallgefährdet seien, im Hinblick auf den Kläger sei das im Einzelfall nicht einmal ansatzweise geprüft worden, stelle keine hinreichende Auseinandersetzung der Beklagten und des Verwaltungsgerichtes mit dem hier vorliegenden Einzelfall im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes dar.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen des Klägers auch unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung nicht.
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Auch unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens ist weiter von den für eine Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts nach § 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 FreizügG/EU erforderlichen schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung auszugehen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren und die Fernhaltung des Klägers vom Bundesgebiet erfordern (das Verwaltungsgericht hat - in Übereinstimmung mit der Beklagten - zugunsten des Klägers ein Daueraufenthaltsrecht des Klägers gem. § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU angenommen, den weitergehenden Schutz nach § 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 FreizügG/EU jedoch verneint; somit kommt es auf die vom Kläger angeführte Rechtsprechung des EuGH vorliegend nicht an, weil diese zu Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der RL 2004/38 ergangen ist <vgl. EuGH, U.v. 22.5.2012 - C-348/09 - juris Rn. 33>, also nur die Fälle betrifft, in denen der Unionsbürger seinen Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt hat <was das Verwaltungsgericht vorliegend verneint hat und das Zulassungsvorbringen auch nicht substantiiert angreift>; diese Norm ist in §6 Abs. 5 FreizügG/EU umgesetzt worden, der aber vorliegend nicht einschlägig ist).
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1.1 Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats stellt das persönliche Verhalten des Klägers (weiterhin) eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar (zum maßgeblichen Zeitpunkt vgl. BVerwG, U.v. 3.8.2004 - 1 C 30.02 - juris Rn. 28; BayVGH, B.v. 10.10.2013 - 10 ZB 11.607 - juris).
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Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU kann der Verlust des Rechts eines Unionsbürgers auf Einreise und Aufenthalt (§ 2 Abs. 1 FreizügG/EU) u.a. aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit festgestellt werden. Die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung genügt für sich allein nicht, um die in § 6 Abs. 1 FreizügG/EU genannten Entscheidungen oder Maßnahmen zu begründen. Es dürfen nur im Bundeszentralregister noch nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen berücksichtigt werden, und diese nur insoweit, als die ihnen zu Grunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Es muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (§ 6 Abs. 2 FreizügG/EU; vgl. Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 1 der RL 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, v. 29.4.2004, ABl. EU L 158 S. 77: Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt), wobei diese Feststellung im Allgemeinen bedeutet, dass in der Regel eine Neigung des Betroffenen bestehen muss, das Verhalten in Zukunft beizubehalten (EuGH, U.v. 22.5.2012 - C-348/09 - juris Rn. 33 f.; EuGH, U.v. 27.10.1977 - 30/77 - juris Rn. 29/30). Wenn auch in der Regel die Feststellung einer derartigen Gefährdung eine Neigung des Betroffenen nahelegt, dieses Verhalten in Zukunft beizubehalten, so ist es doch auch möglich, dass schon allein das vergangene Verhalten den Tatbestand einer solchen Gefährdung der öffentlichen Ordnung erfüllt (EuGH, U.v. 27.10.1977 - 30/77 - juris Rn. 29/30). Dieser Maßstab verweist - anders als der Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im deutschen Polizeirecht - nicht auf die Gesamtheit aller Rechtsnormen, sondern auf einen spezifischen Rechtsgüterschutz, nämlich ein Grundinteresse der Gesellschaft, das berührt sein muss (BVerwG, U.v. - 1 C 30.02 - juris Rn. 24).
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungs- und Verlustfeststellungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 33 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 34; BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - Rn. 18).
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Der im Bundesgebiet geborene Kläger ist wiederholt und teilweise erheblich strafrechtlich in Erscheinung getreten. Bereits mit Urteil vom 18. Juli 2000 wurde dem Kläger wegen Leistungserschleichung in zwei Fällen und Hehlerei die Ableistung von 30 Stunden gemeinnütziger Arbeit auferlegt. Es folgte mit Urteil vom 7. Juni 2006 die Verhängung von vier Tagen Kurzarrest und die Auferlegung von 60 Stunden gemeinnütziger Arbeit wegen gemeinschaftlich begangener Beleidigung mit Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Mit Urteil vom 3. Februar 2010 wurde der Kläger wegen unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln in 40 Fällen und des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 40 Fällen und des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung verurteilt (Bewährungszeit 3 Jahre; Strafe erlassen mit Wirkung vom 23.4.2013). Eine Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt wurde nicht angeordnet. Zwar ist der Sachverständige im strafgerichtlichen Verfahren beim Kläger von einem „Abhängigkeitssyndrom von multiplen psychotropen Substanzen“ ausgegangen. Ein Hang im Sinne von § 64 StGB wurde aber verneint. Kurze Zeit nach Ablauf der Bewährungszeit wurde mit Urteil vom 26. Juni 2016 gegenüber dem Kläger eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen wegen unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln verhängt. Es folgte am 2. Juni 2020 die der Verlustfeststellung zugrundeliegende Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 34 Fällen (12 Fälle ab Juli 2016 bis zum 31.10.2016 mit mindestens 125g Marihuana <Einzelstrafe 12x jeweils 1 Jahr>; 8 Fälle ab April 2017 bis zum 31.07.2017 mit jeweils mindestens 250g Marihuana <Einzelstrafe 8x jeweils 1 Jahr 8 Monate>, 14 Fälle im Zeitraum Januar 2018 bis einschließlich 31.07.2018 mit jeweils mindestens 1 kg Marihuana <Einzelstrafe 14x jeweils 3 Jahre) in Tatmehrheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit vorsätzlichem Besitz einer verbotenen Waffe (Einzelstrafe: 3 Monate) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten. Es wurde die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Kläger im Zeitraum vom 1. Juli 2016 bis zum 31. Juli 2018 einen gewinnbringenden Handel mit insgesamt mindestens 17,5 kg Marihuana im Stadtgebiet von Nürnberg betrieben hatte. Zudem hatte er am 7. November 2019 in seiner Wohnung Marihuana sowie zwei Wurfsterne aufbewahrt. Das Strafgericht berücksichtigte zu Gunsten des Klägers insbesondere dessen vollumfängliches, auf Reue und Schuldeinsicht basierendes Geständnis, seine Betäubungsmittelabhängigkeit, Marihuana als weniger gefährliche Droge zum überwiegenden Zweck des Eigenkonsums und das längere Zurückliegen eines großen Teils der Taten. Zulasten des Klägers wurden dessen einschlägige Vorstrafen, die mit Blick auf die im Juli 2016 begangenen Taten nicht unerhebliche Rückfallgeschwindigkeit sowie das Handeln mit dem 19-fachen der nicht geringen Menge berücksichtigt. Der insoweit vom Verwaltungsgericht angestellten Bewertung (folglich ist die klägerische Auffassung verfehlt, eine Auseinandersetzung des Verwaltungsgerichts mit der Art und Weise der Begehung der Straftaten sei nicht festzustellen) der Taten des Klägers als „gravierendes Verbrechen“ schließt sich der Senat an.
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Wesentlicher Hintergrund der Delinquenz des Klägers war seine Suchtmittelabhängigkeit. Nach den strafgerichtlichen Feststellungen hat er die Taten auch begangen, um seine eigene Sucht zu finanzieren. Der Kläger hatte seinen ersten Kontakt mit illegalen Substanzen, namentlich Cannabis, mit 15 Jahren. Mit 16 oder 17 Jahren begann er, stimulierende Substanzen, insbesondere Amphetamin, Metamphetamine und Ecstasy, zu konsumieren. Nach dem Tod seiner Eltern in den Jahren 2007 und 2008 entwickelte sich ein regelmäßiger Konsum von Cannabis, Amphetaminen und Metamphetamin, später zusätzlich auch von Kokain. Ab dem Jahr 2016 konsumierte der Kläger täglich Cannabis, zudem wöchentlich Metamphetamin sowie zusätzlich an den Wochenenden Ecstasy und Kokain, soweit es vorhanden war. Schließlich konsumierte er auch zwei bis drei Tabletten Ecstasy täglich, ausnahmsweise auch bis zu zehn Tabletten. Der Sachverständige hat in seinem mündlichen Gutachten vor dem Strafgericht insoweit insbesondere ausgeführt, dass bei dem Kläger von einer Cannabisabhängigkeit ausgegangen werden müsse (ICD 10 F 12.2), welche auch tatzeitbezogen vorgelegen habe. Der Kläger blicke auf eine langjährige Suchtmittelanamnese zurück, wobei eine dauerhafte Abstinenz nicht habe erreicht werden können. Die Suchtmittelproblematik habe sich auch negativ auf dessen Leben ausgewirkt. Der Kläger sei zuletzt keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgegangen. Aus medizinischer Sicht sei eine tief verwurzelten inneren Disposition, psychotrope Substanzen im Übermaß zu konsumieren, und mithin ein Hang anzunehmen. Daher hat das Verwaltungsgericht - in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen im strafgerichtlichen Verfahren und dem Strafgericht - zu Recht einen Zusammenhang zwischen der Straffälligkeit und dem Drogenproblem des Klägers angenommen.
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Die durch die Delinquenz indizierte Gefährlichkeit des Klägers ist bislang nicht beseitigt.
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Der am 7. November 2019 festgenommene Kläger, der sich ab dem 8. November 2018 zunächst in Untersuchungs- und danach in Strafhaft befunden hat, befindet sich weiterhin in dem seit 15. Juni 2020 begonnenen Maßregelvollzug. Er kann bislang keinen erfolgreichen Abschluss der Therapie vorweisen. So trägt er im Rahmen des Zulassungsvorbringens selbst nicht vor, dass seine Therapie mittlerweile erfolgreich abgeschlossen ist, sondern, dass „der Verlauf der Therapie (…) wohl unstreitig bislang erfolgreich“ sei. Eine Mitteilung der Entziehungsanstalt über den erfolgreichen Abschluss der Therapie ist weder vorgelegt worden noch dem Senat anderweitig zur Kenntnis gelangt. Weitergehende Feststellungen waren entgegen der klägerischen Auffassung vom Verwaltungsgericht nicht zu treffen. Von einem Fortfall der Wiederholungsgefahr kann daher schon aus diesem Grund nicht ausgegangen werden.
17
Bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (siehe z.B. BayVGH, B.v. 29.5.2018 - 10 ZB 17.1739 - juris Rn. 9; B.v. 16.2.2018 - 10 ZB 17.2063 - juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 7.2.2018 - 10 ZB 17.1386 - juris Rn. 10; BayVGH, U.v. 3.2.2015 - 10 B 14.1613 - juris Rn. 32 m.w.N.), da die Erfolgschancen einer Therapie im Allgemeinen bereits deutlich unter 50% liegen (die Katamnesedaten zum Entlassungsjahrgang 2011 - Drogeneinrichtungen - Stand: August 2013 des Bundesverbandes für Stationäre Suchtkrankenhilfe e. V. - Teil 1 - lassen auf eine Misserfolgsquote nach einem Jahr von 70% und mehr schließen; nach Klos/Görgen - Rückfallprophylaxe bei Drogenabhängigkeit, 2009, S. 25 ff. - sind Rückfälle eher die Regel als die Ausnahme; vgl. in-soweit auch Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Aufl. 2016, §35 Rn. 47: „bescheidene Erfolge“). Solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (BayVGH, B.v. 13.10.2017 - 10 ZB 17.1469 - juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 6.5.2015 - 10 ZB 15.231 - juris Rn. 11).
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Der Senat verkennt insoweit nicht (wie auch das Verwaltungsgericht), dass ein positiver Bericht der Entziehungsanstalt über den Therapieverlauf im Maßregelvollzug vorliegt (entgegen der klägerischen Auffassung hat das Verwaltungsgericht den Umstand der laufenden Therapie ebenso berücksichtigt wie den vorgelegten Bericht der Entziehungsanstalt). Bei der Einschätzung des Gewichts von Therapieberichten ist aber zu berücksichtigen, dass - wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 2. Mai 2017 (19 CS 16.2466 - juris, insbesondere Rn. 48) im Einzelnen dargelegt und belegt hat - zu einer effektiven Drogenbehandlung ein enges Vertrauensverhältnis erforderlich ist, der Therapeut kein verlängerter Arm des Staates ist und Therapieberichte keine objektive Bewertung oder gar Begutachtung darstellen, weswegen Therapiestellungnahmen als einseitige Stellungnahmen zu bewerten sind und die Therapieeinrichtung regelmäßig dann eine günstige Prognose abgibt, wenn sie - wie vorliegend - nicht vom Klienten durch einen erheblichen Verstoß gegen ihre Regeln zu einem disziplinarischen Therapieabbruch genötigt worden ist. Allerdings wird in der Stellungnahme auch ausgeführt, dass die Fortsetzung der Therapie empfohlen wird. Das Abwarten eines erfolgreichen Therapieverlaufs ist insoweit nicht angezeigt, da künftige Entwicklungen nichts über die aktuell vom Kläger ausgehende Gefährdung aussagen (vgl. BVerwG, B.v. 11.9.2015 - 1 B 39/15 - juris Rn. 10). Ein strafvollstreckungsrechtlicher Beschluss im Hinblick auf die Aussetzung der Vollstreckung der weiteren Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und des Restes der Freiheitsstrafe zur Bewährung ist ebenfalls schon nicht ergangen. Selbst im Falle eines (in Kürze ergehenden) strafvollstreckungsrechtlichen Aussetzungsbeschlusses (dieser würde zwar ein wesentliches Indiz darstellen, eine Bindung des Senats an die strafvollstreckungsgerichtlichen Prognosen betreffend die Straf- und Maßregelaussetzung zur Bewährung bestünde aber nicht) ist zu erwarten, dass der Kläger zunächst noch einem engmaschigen Kontroll- und Nachsorgekonzept aus Konsumverboten, Kontrollmaßnahmen, Resozialisierungsgeboten und Meldepflichten unterliegen wird.
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Soweit im Rahmen der Zulassungsbegründung vorgetragen wird, die Betäubungsmittelabhängigkeit sei eine Erkrankung, die dem Kläger bei der Frage, ob beim Kläger eine Neigung bestehe, das strafrechtliche Verhalten in Zukunft beizubehalten, nicht entgegengehalten werden könne, trifft dies schon deshalb nicht zu, weil die (nicht erfolgreich behandelte) Betäubungsmittelabhängigkeit maßgeblich für das Verhalten des Klägers ist und im Rahmen der Wiederholungsgefahr auf den Gesundheitszustand des Klägers zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist. Der im Strafverfahren hinzugezogene Sachverständige hat insoweit ausgeführt, dass die Wiederholungswahrscheinlichkeit für gleichgelagerte Straftaten hoch sei, sofern der Kläger keine langzeittherapeutische Maßnahme absolviere und dementsprechend bei einer Nichtbehandlung vor allem mit Betäubungsmittel- und Beschaffungskriminalität zu rechnen sei. Im Übrigen widerspricht sich der Kläger im Rahmen seiner Zulassungsbegründung, wenn dort an anderer Stelle ausgeführt wird, „die Frage also, ob das persönliche Verhalten des Klägers eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft oder des Aufnahmemitgliedstaats berührt, kann folglich nur dadurch beantworte[t] werden, ob die für die Straftaten ursächliche Betäubungsmittelerkrankung noch vorliegt oder nicht“.
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Soweit der Kläger mit seinen Ausführungen im Schriftsatz vom 23. September 2022 (nach Ablauf der Begründungsfrist), zukünftig werde es Straftaten, die im Hinblick auf die aufenthaltsrechtliche Entscheidung dem Kläger entgegengehalten würden, nicht mehr geben, es werde auch keine öffentliche Drogenszene in dieser Art mehr geben und gerade im Umgang mit weichen Drogen eine Legalisierung erfolgen, sodass im Falle des Klägers auch nicht (mehr) von einer fortbestehenden, gegenwärtigen tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung der öffentlichen Ordnung auszugehen sei, nicht nur im Hinblick auf die vom Kläger absolvierte Therapie, sondern eben gerade auch im Hinblick auf die bevorstehende (weil im Koalitionsvertrag vereinbarte) gesetzliche Legalisierung sog. weicher Drogen, beabsichtigt haben, die Annahme einer Wiederholungsgefahr zu entkräften, greift dieses Vorbringen nicht durch. Hinsichtlich der Beurteilung des angefochtenen Bescheids und der Voraussetzungen ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BVerwG, U.v. 3.8.2004 - 1 C 30.02 - juris Rn. 28; BayVGH, B.v. 10.10.2013 - 10 ZB 11.607 - juris). Ob und ggf. in welcher Form eine Legalisierung sog. weicher Drogen zukünftig erfolgen wird, ist derzeit nicht konkret absehbar.
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1.2 Das Verhalten des Klägers belegt eine schwerwiegende Gefahr der öffentlichen Ordnung i.S.v. § 6 Abs. 4 FreizügG/EU (zu diesem Gefahrenbegriff vgl. Nr. 6.4.1 AVwV FreizügG/EU).
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Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Verurteilung des Klägers grundsätzlich eine Verlustfeststellung eines zehn Jahre im Bundesgebiet sich aufhaltenden Unionsbürgers rechtfertigen könnte (§ 6 Abs. 5 Satz 2 FreizügG/EU).
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Darüber hinaus wird durch diese vom Kläger ausgehende Gefahr ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Von einem solchen kann ausgegangen werden, wenn die von dem Unionsbürger ausgehende Gefahr allgemein anerkannte und gesetzlich festgelegte Werte und Normen in einem Maße beeinträchtigt, das ein Einschreiten seitens des Staates erforderlich macht. Dazu gehört - wie hier - auch die effektive Bekämpfung von Drogenhandel (Nr. 6.2.3 AVwV FreizügG/EU).
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1.3 Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Beklagte habe das ihr eingeräumte Ermessen bei Erlass der Verlustfeststellung pflichtgemäß ausgeübt, ist nicht zu beanstanden. Das Zulassungsvorbringen greift die diesbezüglichen verwaltungsgerichtlichen Ausführungen nicht substantiiert an.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf §154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 3, Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziff. 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).