Titel:
Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt für die Bundesrepublik Deutschland eines italienischen Staatsangehörigen bei BtM-Abhängigkeit und -Straftaten
Normenketten:
FreizügG/EU § 2 Abs. 1, § 6
BtMG § 29, § 29a Abs. 1 Nr. 2, § 35, § 36
Leitsätze:
1. Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte haben bei spezialpräventiven Ausweisungs-/Verlustfeststellungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
3. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen. Für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr gilt mithin ein differenzierender, mit zunehmenden Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Dies bedeutet nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern (wie Leben und Gesundheit, vgl. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
4. Was die Prognose der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts im Hinblick auf Drogenstraftaten angeht, ist zudem festzuhalten, dass Betäubungsmitteldelikte zu den schweren, Grundinteressen der Gesellschaft berührenden und schwer zu bekämpfenden Straftaten gehören (vgl. Art. 83 Abs. 1 Unterabschnitt 2 AEUV). (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
5. Bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verlustfeststellung italienischer Staatsangehöriger, BtM-Abhängigkeit und -Straftaten, Rückfälle während Bewährung und Führungsaufsicht, Ausländerrecht, Verlustfeststellung, Unionsbürger, Betäubungsmittelabhängigkeit, Betäubungsmittelstraftaten, Bewährung, Rückfälle, Therapie
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 20.07.2020 – AN 11 K 18.1995
Fundstelle:
BeckRS 2022, 29777
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
2
Der Kläger, ein am ... 1972 geborener, erstmalig im Januar 1996 und im Jahr 2002 dauerhaft in das Bundesgebiet eingereister italienischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 20. Juli 2020, durch das seine Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 12. September 2018 abgewiesen worden ist. Mit diesem Bescheid hat die Beklagte den Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt des Klägers für die Bundesrepublik Deutschland festgestellt (Nr. I des Bescheids), die Feststellungswirkungen auf die Dauer von acht Jahren ab Ausreise bzw. Abschiebung befristet (Nr. II des Bescheids), den Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Frist von einem Monat nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu verlassen (Nr. III des Bescheids) und dem Kläger die Abschiebung, insbesondere nach Italien, angedroht (Nr. IV des Bescheids).
3
Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Die geltend gemachten Zulassungsgründe (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (nachfolgend unter 1.) und Verfahrensmängel (nachfolgend unter 2.), deren Beurteilung sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts richtet (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 -1 C 10.12 - juris Rn. 12), sodass eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 20.2.2017 -10 ZB 15.1804 - juris Rn. 7), liegen nicht vor.
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1. Die Berufung des Klägers ist nicht aufgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn die Klägerseite im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16). Solche schlüssigen Gegenargumente liegen bereits dann vor, wenn im Zulassungsverfahren substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufgezeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 - juris Rn. 19). Es reicht nicht aus, wenn Zweifel lediglich an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen bestehen, auf welche das Urteil gestützt ist. Diese müssen vielmehr zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründen. Das wird zwar regelmäßig der Fall sein. Jedoch schlagen Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente nicht auf das Ergebnis durch, wenn das angefochtene Urteil sich aus anderen Gründen als richtig darstellt (BVerwG, B.v. 10.3.2004 - 7 AV 4/03 - juris Rn. 9).
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Der Kläger trägt diesbezüglich zur Begründung seines Zulassungsantrags vor, dass das Urteil rechtsfehlerhaft ergangen sei, da §6 Freizügigkeitsgesetz unzutreffend angewendet, ein Beweisantrag zu Unrecht abgelehnt worden und das Urteil zudem unvollständig sei.
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Das Verwaltungsgericht stütze sich tragend darauf, dass die Verlustfeststellung habe ergehen dürfen, da der Kläger zwar ein Daueraufenthaltsrecht erworben habe, aber schwerwiegende Gründe im Sinne des §6 Abs. 4 FreizügG/EU vorlägen. Zutreffend weise das Verwaltungsgericht darauf hin, dass schwerwiegende Gründe stets eine Wiederholungsgefahr voraussetzten und eine strafrechtliche Verurteilung in der Vergangenheit eine Verlustfeststellung alleine nicht rechtfertigen könne, sondern eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung Tatbestandsvoraussetzung sei, wozu eine Einzelfallbetrachtung erforderlich sei. Diese liege jedoch - anders als das Verwaltungsgericht annehme - bei dem Kläger gerade nicht vor.
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Das Verwaltungsgericht sei ebenso wie die Beklagte zu Unrecht von dem Bestehen einer Wiederholungsgefahr ausgegangen. Dabei sei zunächst festzustellen, dass die Beklagte die Frage der Wiederholungsgefahr überhaupt nicht aufgeklärt habe. Vielmehr gehe diese davon aus, dass sich im Alter des Klägers der Charakter eines Menschen nicht mehr grundlegend ändere. Die Beklagte habe somit das Gegenteil dessen vorgenommen, was das FreizügG/EU voraussetze: einen schematischen Rückschluss aus vergangenen Verurteilungen, der für die Zukunft fortgelten solle. Die Beklagte wäre aber vielmehr verpflichtet gewesen (Art. 26, 28 VwVfG), die Frage der Wiederholungsgefahr im Rahmen des förmlichen Verwaltungsverfahrens aufzuklären. Hierzu wäre die Einholung eines Gutachtens erforderlich gewesen. Denn die Annahme, ohne sachverständige Aufklärung Prognosemerkmale wie das Alter heranziehen zu können und hieraus Rückschlüsse auf die Weiterentwicklung eines Menschen ziehen zu können, übersteige das Behördenwissen bei Weitem. Sie habe auch nicht im Ansatz dargelegt, aus welcher kriminologischen Kenntnis und aufgrund welcher kriminalprognostischen Erwägungen dieses Wissen rühren solle. Wäre die Annahme richtig, würde sich bereits die Anordnung des Maßregelvollzugs gegen Menschen ab einem bestimmten Alter von vornherein verbieten. Die Unterbringung gem. §64 StGB diene gerade der Persönlichkeitsentwicklung, die im Falle des Klägers auch stattgefunden habe. Eine klare Abstinenzentscheidung sei keine Frage des Alters, jedoch sei ein höheres Alter prognostisch eher günstig. Ohnehin nehme Delinquenz mit zunehmendem Alter ab, was die Behauptung der Beklagten ebenfalls widerlege. Auch das Verwaltungsgericht habe die Wiederholungsgefahr jedoch nicht aufgeklärt, sondern stütze sich nur auf eine Fortgeltung vergangenen Verhaltens. Der Verweis darauf, dass es den Behörden und Verwaltungsgerichten zukomme, eigenständige Prognoseentscheidungen zu treffen, ändere nichts daran, dass die Anforderungen an die Prognose hoch seien und eine intensive Aufklärung erforderlich sei. Eine solche sei jedoch nicht geschehen. Insbesondere sei die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer nicht ausreichend berücksichtigt und deren Inhalt zudem verkannt worden.
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Das Verwaltungsgericht meine, dass die Berufstätigkeit des Klägers nicht für eine dauerhafte Integration spreche und wolle dies damit begründen, dass diese Teil der Therapiemaßnahme gewesen sei. Dies treffe jedoch nicht zu, zumal der Rückschluss fehlerhaft sei. Der Kläger gehe einer unbefristeten Vollzeitbeschäftigung nach. Diese erfolge nicht etwa in einem geschützten therapeutischen Umfeld, sondern im Rahmen eines herkömmlichen Beschäftigungsverhältnisses und habe mit der Therapie nichts zu tun. Dass Gegenstand der Behandlung im Maßregelvollzug das Ziel der Aufnahme von Beschäftigung sei, habe nichts damit zu tun, dass die Beschäftigung „Teil der Therapie“ sein würde. Es handele sich gerade nicht um eine Beschäftigungstherapie. Vielmehr würden Lockerungsstufen voraussetzen, dass der Untergebrachte Außenarbeit finde und zuverlässig wahrnehme, nicht etwa sei es umgekehrt, wie das Verwaltungsgericht wohl meine. Auch sei der Rückschluss unzutreffend. Es verstehe sich von selbst, dass es nicht etwa leichter sei, nach einer Verurteilung, Inhaftierung und Unterbringung Arbeit auf dem freien Arbeitsmarkt zu finden als wenn diese Umstände nicht vorlägen. Es bestehe daher keine Grundlage dafür, die unbefristete Tätigkeit des Klägers hinsichtlich ihrer prognostischen Bedeutung in Frage zu stellen. Vielmehr handele es sich um ein ganz wesentliches günstiges prognostisches Merkmal, dass es dem Kläger gelungen sei, den Arbeitgeber durch seine gute Arbeitsleistung und Zuverlässigkeit zu überzeugen und die Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses im Rahmen einer unbefristeten Tätigkeit zu erreichen.
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Anders als das Verwaltungsgericht annehme, komme ein Abweichen von der Entscheidung des Landgerichts R. vom 26.02.2020 nicht in Betracht. Das Verwaltungsgericht stütze sich gerade nicht auf eine breitere Tatsachengrundlage und verkenne insbesondere auch die Bedeutung der Entscheidung grundlegend. Das Urteil sei insoweit erkennbar rechtsfehlerhaft, wenn sich das Verwaltungsgericht „explizit“ gegen die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer stelle, ohne diese jedoch zutreffend erfasst zu haben. Das Verwaltungsgericht meine, der Beschluss der Strafvollstreckungskammer sei wesentlich auf den Bericht des Bezirkskrankenhauses gestützt. Dabei würde es sich aber um keine objektive Bewertung oder gar Begutachtung handeln, sondern es läge ein Näheverhältnis zwischen dem „Berater“ und dem Klienten vor. Das Verwaltungsgericht habe insoweit auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 10. Oktober 2017,19 ZB 16.2636 verwiesen. Diese Auffassung sei jedoch in jeder Hinsicht unzutreffend. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts, das die Strafvollstreckungsakten überhaupt nicht beigezogen habe, habe der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer wie gesetzlich vorgesehen selbstverständlich ein Sachverständigengutachten zugrunde gelegen, das aufgrund Beweisbeschlusses vom 09.01.2020 eingeholt worden sei. Auch handele es sich bei der Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses gerade nicht um einen „Bericht“ eines „Beraters“, sondern um eine gesetzlich vorgeschriebene Stellungnahme eines staatlichen Bezirkskrankenhauses. Es handele sich bei dem Bezirkskrankenhaus nicht um einen Drogenberater. Vielmehr handele es sich bei der Stellungnahme gem. §67e StGB um einen umfassenden fachärztlichen Bericht der Klinik für forensische Psychiatrie und Psychiatrie aufgrund einer gesetzlich übertragenen Pflicht zur Durchführung des Maßregelvollzugs (vgl. Art. 45 BayMRVG). Dabei sei der Leiter der Maßregelvollzugsabteilung, der mit den behandelnden Ärzten (nicht: Beratern) die Stellungnahme erstellt bzw. verantwortet, nicht etwa ein Vertrauter des Untergebrachten, sondern gem. Art. 49 BayMRVG mit umfassenden Befugnissen ausgestattet, insbesondere auch mit Disziplinarbefugnissen. Wenn das Verwaltungsgericht insoweit auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 10.10.2017 verweise, sei anzumerken, dass die dort in Bezug genommene Literatur nicht die Frage des Maßregelvollzugs betreffe. Die hier eingeholte Stellungnahme stelle eine gutachterliche Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses dar. Es sei schon nicht nachvollziehbar, wenn das Verwaltungsgericht meine, die Strafvollstreckungskammer habe sich auf einen Bericht vom „12.9.2019“ gestützt. Ein solcher würde in dem Beschluss überhaupt nicht erwähnt werden. Auch handele es sich gerade nicht um einen Bericht eines Drogenberaters, auf den sich der Verwaltungsgerichtshof in der Entscheidung vom 10.10.2017 stütze und dem im Rahmen einer Beantragung einer Maßnahme nach §35 BtMG Bedeutung zukommen möge. Es werde bereits in der dortigen Entscheidung nicht der Unterschied zwischen einem Bericht eines ambulanten Drogenberaters vor einer Behandlung und einem Therapiebericht über eine Rehabilitationsbehandlung gem. §35 BtMG beachtet. Beides habe aber schlicht nichts mit der gutachterlichen Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses zu tun, die im Falle des Klägers gesetzlich vorgesehen sei. Es handele sich dabei gem. Art. 49 Abs. 2 Nr. 10 i. V. m. Art. 35 Abs. 3 BayMRVG um eine gutachterliche Stellungnahme. Von einer „einseitigen Stellungnahme“ könne überhaupt keine Rede sein und das Verwaltungsgericht habe die Bedeutung des Maßregelvollzugs, der Stellungnahmen von Maßregelvollzugseinrichtungen und der Auswirkung auf die Strafvollstreckungsentscheidung verkannt und sich daher nicht an die verfassungsrechtlich gebotenen Vorgaben hinsichtlich der Bedeutung von Vollstreckungsentscheidungen für die Prüfung der Wiederholungsgefahr „nicht beachtet“. Dem Verwaltungsgericht sei die Stellung der Maßregelvollzugseinrichtung offenbar nicht bekannt und es verwechsele den Bericht eines ambulanten Drogenberaters mit einer gesetzlich geregelten Stellungnahme eines Organs des Maßregelvollzugs. Dass das Verwaltungsgericht die Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses nicht einmal beigezogen habe, um sie sodann aber als einseitige Stellungnahme darzustellen, sei ohnehin rechtsfehlerhaft. Es verstehe sich von selbst, dass man eine Stellungnahme, die man gar nicht kenne, nicht disqualifizieren könne. Auch sei es in sich widersprüchlich auszuführen, die Strafvollstreckungskammer habe wesentliche Umstände nicht gewürdigt, ohne die in Bezug genommenen Entscheidungen und Stellungnahmen überhaupt beizuziehen. Völlig unberücksichtigt bleibe seitens des Verwaltungsgerichts auch der Bericht des Bezirkskrankenhauses vom 09.07.2020 (von der Beklagten vorgelegt) und der Bericht vom 08.04.2020 (vom Kläger vorgelegt). Beide sprächen für eine günstige Prognose. Das Urteil sei insoweit unvollständig. Wenn das Verwaltungsgericht weiterhin meine, die Strafvollstreckungskammer habe wesentliche Gesichtspunkte nicht beachtet, sei dies unzutreffend und beinhalte letztlich den Vorwurf, die Strafvollstreckungskammer habe das Recht nicht richtig angewendet. Diese Feststellung stehe dem Verwaltungsgericht jedoch nicht zu. Das Verwaltungsgericht meine, dass das Landgericht nicht auf die Vergangenheit des Klägers abstelle und nicht gesehen hätte, dass es um „harte Drogen“ gegangen sei. Es könne also keine Rede davon sein, dass wesentliche Anhaltspunkte wie das Vorleben, die Umstände der Tat und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts „allgemein unwesentlich sein mögen“ (UA S. 20). Das Gegenteil sei richtig. Denn §57 Abs. 2 S. 2 StGB laute: Bei der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind. Es frage sich, was das Verwaltungsgericht damit überhaupt habe ausdrücken wollen, dass das Landgericht derartige Umstände nicht berücksichtigt hätte (Vorleben, Art der Straftat). Gegenstand der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer sei die Entscheidung über die Aussetzung der Anordnung des Maßregelvollzugs aus dem Urteil des Landgerichts N.-F. vom 04.09.2017 (Az. 17 KLs 353 Js 4616/17) und die Frage der Reststrafenaussetzung der in diesem Urteil ausgeworfenen Strafe. Gegenstand der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer sei also gerade gewesen, dass auf Grundlage der in dem Urteil des Landgerichts ausgeführten Tatumstände und des Vorlebens über die weitere Vollstreckung von Maßregel und Strafhaft unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben zu entscheiden gewesen sei. Die Darlegungen des Landgerichts N.-F. seien Gegenstand der strafvollstreckungsrechtlichen Entscheidung gewesen. Wie die Strafvollstreckungskammer zutreffend ausführe, habe sie zunächst in früheren Beschlüssen, die das Verwaltungsgericht ebenso wenig beigezogen habe, die Fortdauer des Maßregelvollzugs angeordnet. Nach umfassender Prüfung der Sache und aufgrund Antrags der Maßregelvollzugseinrichtung gem. Art. 35 BayMRVG sei die Aussetzungsentscheidung unter Beachtung sämtlicher gesetzlicher Vorgaben getroffen worden. Dabei sei insbesondere auch §454 StPO beachtet worden. Der Strafvollstreckungskammer habe somit nicht etwa eine schmalere Tatsachengrundlage vorgelegen als dem Verwaltungsgericht, sondern eine breitere. Das Verwaltungsgericht stütze sich auf Erkenntnisse aus der Entscheidung des Landgerichts N.-F. vom 12.09.2017. Genau über die weitere Vollstreckung dieses Urteils habe das Landgericht R. zu entscheiden gehabt und habe selbstverständlich auch die Grundlagen dieses Urteils, das Gegenstand der Strafvollstreckungsakte sei, dabei berücksichtigt. Anders als dem Verwaltungsgericht hätten der Strafvollstreckungskammer sämtliche gutachterliche Stellungnahmen gem. Art. 35 Abs. 3 BayMRVG vorgelegen. Entgegen der Behauptung des Verwaltungsgerichts handele es sich dabei nicht etwa um einen einseitigen Therapiebericht, sondern sehr wohl um eine gutachterliche Stellungnahme (entgegen UA S. 19, wonach es sich nicht um eine gutachterliche Stellungnahme handeln solle). Diese sei nämlich ergangen, damit die Strafvollstreckungskammer über die Fortdauer der Unterbringung entscheiden könne. Weiterhin habe der Strafvollstreckungskammer ein Gutachten der Sachverständigen Dr. W.-L. vorgelegen. Dagegen habe dem Verwaltungsgericht weder das Gutachten der Sachverständigen noch die gutachterliche Stellungnahme vom „12.9.2019“ (an diesem Tag sei überhaupt kein Bericht erstellt worden) vorgelegen. Das Verwaltungsgericht habe seine Prognoseentscheidung nicht auf eine breitere, sondern schmalere Tatsachengrundlage gestellt, sodass ein Abweichen von der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer nicht zulässig gewesen sei. Denn ebenso wie im Rahmen der Ausweisungsentscheidung gem. §53 AufenthG sei auch bei der Verlustfeststellung gemäß §6 FreizügG zu berücksichtigen, dass der Frage der Wiederholungsgefahr verfassungsrechtlich besonderes Gewicht zukomme. Der Kläger habe unstreitig ein Daueraufenthaltsrecht erworben. Zudem liege ein intensiver Schutz aus Art. 8 EMRK vor. Denn die Kern-Bezugsfamilie und die Lebensgefährtin würden in Deutschland leben, der Kläger gehe einer Vollzeitbeschäftigung nach, er habe erfolgreich die Maßregel abgeschlossen und er lebe seit 1996 in der Bundesrepublik Deutschland und nach zwischenzeitlicher Ausreise seit 2002 dauerhaft. Die Maßnahme greife daher intensiv in Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 6 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK ein. Weiter hätte das Verwaltungsgericht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Bedeutung von Strafvollstreckungsentscheidungen für die Wiederholungsgefahr berücksichtigen müssen (BVerfG, Beschluss vom 19.10.2016, 2BvR 1943/16, Rn. 24; Beschluss vom 08.05.2019, 2 BvR 657/19, Rn. 37). Dies habe es aber nicht getan. Es habe nämlich nicht nur keine breitere Tatsachengrundlage geschaffen und vielmehr eine schmalere zur Grundlage der eigenen Prognoseentscheidung gemacht, sondern auch den Inhalt und die Bedeutung der Entscheidung der Strafvollstreckungsentscheidung verkannt, indem es die gutachterliche Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses als „einseitige Stellungnahme“ eines Beraters disqualifiziert habe (UA S. 19). Wie das Verwaltungsgericht zu der Feststellung komme, dass das Landgericht frühere Therapien nicht berücksichtigt habe, sei rätselhaft, wenn man bedenke, dass das Verwaltungsgericht die Strafvollstreckungsakte überhaupt nicht beigezogen habe und weder die Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses noch das Sachverständigengutachten kenne. Es begegne gewisser Verwunderung, dass offenbar die Auffassung bestehe, eine bayerische Strafvollstreckungskammer würde das Recht beugen und weder §57 Abs. 1 StGB noch §67d Abs. 2 StGB beachten. Das Verwaltungsgericht verhalte sich auch nicht zu der Frage, weshalb dieselbe Strafvollstreckungskammer zuletzt mit Beschluss vom 26.6.2019 die Unterbringung nicht zur Bewährung ausgesetzt habe, wenn sie sich angeblich überhaupt nicht mit dem Werdegang des Klägers auseinandergesetzt habe. Alles, was das Verwaltungsgericht auf S. 20 des Urteils ausführe, sei Gegenstand des landgerichtlichen Urteils (dort ab S. 5) und natürlich Gegenstand der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer gewesen, die eben gerade über die weitere Vollstreckung dieses Urteils zu entscheiden gehabt hätte. Natürlich müsse die Strafvollstreckungskammer dieses Urteil nicht nochmals wiedergeben, da es Gegenstand der Strafvollstreckungsakte sei. Es sei das tägliche Prüfungsprogramm einer Strafvollstreckungskammer zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Bewährungsaussetzung oder nicht vorlägen und dabei sei natürlich zentral das Vorleben des Betroffenen. Das Verwaltungsgericht übersehe auch, dass der Kläger zwar bereits Therapien absolviert habe, es sich aber erstmalig um eine forensisch-psychiatrische Aufnahme und Behandlung des Klägers gehandelt habe. Eine Unterbringung in der forensischen Psychiatrie sei in der Vergangenheit nicht erfolgt gewesen. Eine Langzeitbehandlung in einer forensisch-psychiatrischen Klinik samt dem umfassenden Behandlungsprogramm des Maßregelvollzugs habe es in der Vergangenheit gerade nicht gegeben. Schon deshalb würden sich allgemeine Rückschlüsse auf angeblich „deutlich unter“ 50 vom Hundert liegende Erfolgsaussichten verbieten. Diese seien aber ohnehin nicht von Belang, da es auf die konkrete Prognose hinsichtlich des Klägers ankomme, die natürlich nicht auf allgemeine Erkenntnisse gestützt werden könne. Wenn das Verwaltungsgericht aber meine, an einer erfolgreichen Therapie „zweifeln“ zu können (UA S. 20), verkenne es schon, dass Zweifel gar nicht ausreichen würden, um eine Wiederholungsgefahr positiv festzustellen. Unbeschadet dessen habe sie aber diese Zweifel weder näher aufgeklärt und nicht einmal Berichte der zuständigen Fachstellen angefordert (Bezirkskrankenhaus, Bewährungshelfer usw.), noch ein Sachverständigengutachten eingeholt. Selbstredend habe sich das Bezirkskrankenhaus P. in den gutachterlichen Stellungnahmen, auch der vom 18.12.2019 mit dem Vorleben und früheren Therapien und Behandlungen auseinandergesetzt. Völlig unverständlich sei es, wenn das Verwaltungsgericht meine, aus der Vollstreckungsentscheidung selbst einen „Rückfall“ mit Alkohol herausgreifen zu können, um sich sodann der Prognose der Strafvollstreckungskammer zu widersetzen. Auch insoweit handele es sich um das Gegenteil einer breiteren Tatsachengrundlage, sondern lediglich um eine Umwertung der Entscheidung, ohne aber darzulegen, weshalb es sich um eine falsche Entscheidung handeln solle. Die Strafvollstreckungskammer habe keine Weisung zum Alkoholkonsum erteilt, weil aufgrund der therapeutischen Stellungnahme im Rahmen der Anhörung aufgrund der Einmaligkeit des Alkoholkonsums gerade keine überlagernde Problematik bestehe. Die Strafvollstreckungskammer habe sich im Rahmen der Anhörung damit ausdrücklich befasst, sodass auch insoweit keine breitere Tatsachengrundlage bestehe. Das Verwaltungsgericht führe auch gar nicht aus, worauf es insoweit hinaus wolle. Unbeschadet dessen führe das Verwaltungsgericht ja selbst an, dass die Maßnahme verlängert worden sei. Es bleibe daher im Verborgenen, was der Rückschluss hieraus sein solle. Ebenso wenig sei es sachgerecht, negative Wertungen aus der „immer noch“ fortbestehenden Substitutionsbehandlung zu ziehen (UA S. 21). Dabei handele es sich um eine ärztlich verordnete Behandlung aus der sich nicht etwa eine Wiederholungsgefahr ableiten lasse. Hierzu trage das Verwaltungsgericht nichts vor und habe dies auch nicht medizinisch aufgeklärt. Richtig sei vielmehr, dass es sich bei der Substitutionsbehandlung um einen prognostisch günstigen Umstand handele und dies sowohl seitens des Bezirkskrankenhauses als auch der Sachverständigen Dr. W.-L. so beurteilt worden sei. Der Kläger konsumiere neben dem Substitut kein Betäubungsmittel und werde insoweit auch regelmäßig überwacht. Es komme daher nicht darauf an, was im Jahre 2017 gewesen sei, zumal der Kläger damals nicht forensisch-psychiatrisch behandelt worden sei. Die Sachverständige habe den Rückfall während früherer Substitutionsbehandlung ausdrücklich berücksichtigt und dennoch eine günstige Prognose gerade wegen der Behandlung erstellt, da sie sich detailliert mit den Umständen des Rückfalls befasst habe, was das Verwaltungsgericht gerade nicht getan habe. Entscheidend sei vielmehr eine sowohl von der Fachklinik als auch der Gutachterin geprüfte klare Abstinenzentscheidung. Auf diese gehe das Verwaltungsgericht mit keinem Wort ein. Dabei sei es auch fehlerhaft, die Lebensgefährtin als fehlende Stütze heranzuziehen. Der soziale Empfangsraum sei der Strafvollstreckungskammer natürlich bekannt gewesen. Dieser sei auch selbstredend stets ein wesentlicher Gegenstand der Vorbereitung der Entlassung. Aus den gutachterlichen Stellungnahmen folge, dass der soziale Empfangsraum günstig sei, da der Kläger den Kontakt zu dem deliktischen Umfeld vollständig beendet habe. Es sei daher falsch, wenn das Verwaltungsgericht anführe, es läge wegen dem Wohnumfeld bei der Schwester keine Zäsur vor. Die Zäsur liege in dem Abbruch der Kontakte zum Deliktsumfeld. Die Lebensgefährtin konsumiere im Übrigen seit Jahren keine Betäubungsmittel mehr. Von einem grundlegend falschen Maßstab gehe das Verwaltungsgericht aus, wenn es meine, dass die Drogen- und Straffreiheit des Klägers nicht die „Prognose der Wiederholungsgefahr“ zu erschüttern vermöge (UA S. 21). Es müsse nicht etwa eine Prognose - wessen werde insoweit gar nicht ausgeführt - erschüttert werden, sondern es müsse eine Prognose erstellt werden. Wenn das Verwaltungsgericht meine, dass es „allgemeiner Erfahrung“ entspreche, dass eine Bewährungsaussetzung zu einem Legalbewährungsdruck führe, bleibe im Verborgenen, was hieran negativ sein solle. Ebenso wenig vermöge das Verwaltungsgericht darzulegen, weshalb es prognostisch negativ sein solle, dass ein Betroffener die Aufenthaltsbeendigung fürchte, falls er künftig Betäubungsmittelstraftaten begehen würde. Beide Aspekte seien prognostisch nicht ungünstig, sondern günstig (sog. Spezialprävention). Der Unterschied zwischen einem Therapieerfolg und einem „wirklichen“ Therapieerfolg (UA S. 22), den das Verwaltungsgericht anbringen wolle, sei nicht nachvollziehbar. Es führe auch gar nicht aus, wann sich denn der Betroffene nach Auffassung des Gerichts „bewährt“ habe und wann nicht. Es werde angeführt, dass es auf eine „längerfristige“ Gefahrenprognose ankommen solle, ohne aber auch nur im Ansatz anzufügen, weshalb diese beim Kläger nicht vorhanden sein solle, zumal der Kläger unter Aufsicht und Kontrolle stehe und sich legal bewährt habe. Einer Tatsachengrundlage entbehre die Annahme, der Kläger werde sich künftig zur Finanzierung seiner Betäubungsmittelsucht dem Drogenhandel zuwenden (UA S. 22). Dabei handele es sich erkennbar um bloße Mutmaßungen. Der Kläger sei in Vollzeit beschäftigt und verdiene seinen Lebensunterhalt mit legaler Erwerbstätigkeit. Im Hinblick auf den dem Verwaltungsgericht vorliegenden Bericht vom 09.07.2020 und auch ansonsten gebe es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger Betäubungsmittel konsumieren würde.
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Soweit das Verwaltungsgericht den Beweisantrag abgelehnt habe, weil sich das Verwaltungsgericht die Gefahrenprognose selbst erstellen könne, führe es unzutreffend aus, dass bei dem Kläger lediglich eine „Abhängigkeitserkrankung“ bestanden habe, nicht jedoch eine „psychische Erkrankung oder Störung“. Richtig sei vielmehr, dass bei dem Kläger eine Diagnose nach ICD-10 F11.2 gestellt worden sei im Zusammenhang mit der Anordnung des Maßregelvollzugs und es sich dabei gerade um eine „psychische und Verhaltensstörung durch Opioide“ handele. Dies sei somit eine psychische Erkrankung oder Störung, so dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, kein Gutachten einholen zu müssen. Weshalb eine Abhängigkeitserkrankung keine psychische Erkrankung oder Störung sein solle, erläutere das Verwaltungsgericht nicht und dies [erg.: sei] auch nicht zutreffend. Ohne ein entsprechendes Krankheitsbild erfolge keine Behandlung in einer forensisch-psychiatrischen Fachklinik. Das Verwaltungsgericht lege auch nicht dar, weshalb es insoweit selbst über ausreichende Sachkunde verfügen würde. Weiterhin habe das Verwaltungsgericht den Aufklärungsbedarf verkannt. Ausweislich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. oben) komme ein Abweichen von der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer nur in Betracht, wenn das Gericht über eine breitere Tatsachengrundlage verfüge oder ein eigenes Gutachten eingeholt habe. Hier meine das Verwaltungsgericht aber, dass überhaupt keine sachverständige Beurteilung vorgelegen habe. Dann hätte es natürlich erst recht selbst ein Gutachten einholen müssen, da die Kammer nicht über die entsprechende Sachkunde verfüge, Kriminalprognosen im Zusammenhang mit einem psychiatrischen Krankheitsbild und nach dem Durchlaufen einer mehrjährigen forensisch-psychiatrischen Behandlung zu beurteilen und dabei auch noch von der Prognose der Strafvollstreckungskammer und der forensisch-psychiatrisch Klinik abzuweichen. Tatsächlich hätte aber der Strafvollstreckungskammer zudem ein Sachverständigengutachten der Frau Dr. W.-L. vorgelegen, mit dem sich das Verwaltungsgericht überhaupt nicht auseinandergesetzt habe. Mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts habe sich das Verwaltungsgericht in dem Beschluss vom 20.07.2020 (vgl. Niederschrift S. 5) und in dem Urteil ebenfalls überhaupt nicht auseinandergesetzt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.10.2016, 2BvR 1943/16, Rn. 24). Auch die Beklagte habe kein Gutachten eingeholt.
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Fehlerhaft sei es auch, wenn das Verwaltungsgericht meine, es sei an die Strafvollstreckungsentscheidung nicht gebunden, weil diese anderen Zwecken diene als die ausländerrechtliche Prognose. Nun lege das Verwaltungsgericht bereits gar nicht dar, worin die Unterschiedlichkeit überhaupt liegen solle und es verkenne dabei insbesondere, dass - wie vom Kläger bereits in erster Instanz ausdrücklich dargelegt - die Resozialisierung gerade im öffentlichen Interesse der Europäischen Union liege (vgl. Urteil vom 23.11.2010, Taskouridis, C-145/09, ECLI:EU:C:2010:708, Rn. 75). „Es gelte also gar nicht derselbe Maßstab, wie dies im Rahmen des §53 AufenthG der Fall sein möge, vor“. Auch treffe das Verwaltungsgericht nicht den Kern, wenn es um die Frage von Bindungswirkungen gehe. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer sei deshalb von besonderer Bedeutung, weil es wegen der Einheit der Rechtsordnung nicht verhältnismäßig sei, wenn ein Gericht eine günstige Prognose auf Grundlage eines umfassend gesetzlich geregelten Prüfungsprogramms, das das Verwaltungsgericht zudem verkannt habe, treffe, ein anderes Gericht aber ohne ein vergleichbares Prüfungsprogramm zu einer völlig anderen Erkenntnis gelange. So sei es aber hier. Auf die vermeintlich unterschiedliche Zwecksetzung komme es gar nicht [erg.: an]. Das Bundesverfassungsgericht habe in der zitierten Rechtsprechung gerade eine derartige Auslegung des Gesetzes nicht anerkannt. Unbeschadet dessen liege eine unterschiedliche Zwecksetzung auch nicht vor. Sowohl die Entscheidungen nach §67d Abs. 2 und nach §57 Abs. 1 StGB und die nach §6 FreizügG/EU seien ausschließlich spezialpräventiv ausgerichtet. Beiden Entscheidungen liege auch eine identische Prognose zugrunde, bei der der Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit besondere Bedeutung zukomme. Die Prognosen seien auch nicht zeitlich unterschiedlich. Wenn das Verwaltungsgericht meine, die Prognoseentscheidungen unterlägen unterschiedlichen Regeln (UA S. 19), sei dies insoweit zutreffend, als für die Strafvollstreckungsentscheidung ein striktes Prüfungsprogramm gesetzlich normiert sei, das wesentlich höhere Anforderungen aufgrund der Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit stelle als die Ausweisungsentscheidung. Damit könne also nicht etwa die Bedeutung der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer in Frage gestellt werden, sondern es würden sich hieraus folgend vielmehr die Anforderungen für ein Abweichen erhöhen. Diesen Anforderungen werde die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht gerecht, insbesondere weil es kein Gutachten eingeholt habe. Bei der Verlustfeststellung gehe es im Übrigen nicht um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft zu tragen sei. Bei der Verlustfeststellung gehe es zunächst um die o.a. Interessen der Europäischen Union. Sodann gehe es nicht um ein Risiko, sondern um eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Hierfür sei das Bestehen einer konkreten Gefahr erforderlich. Mit einem Risiko habe dies nichts zu tun. Nur wenn eine konkrete Gefahr, also eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Begehung schwerwiegender Straftaten festgestellt sei, komme eine Verlustfeststellung überhaupt in Betracht. Dann aber ergehe gerade auch keine Aussetzungsentscheidung durch die Strafvollstreckungskammer, so dass die Prognosen sich nicht unterscheiden würden.
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Die Frage der Wiederholungsgefahr sei nicht nur Tatbestandsvoraussetzung, sondern auch Abwägungsgebot im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Dies gelte im Falle des Klägers insbesondere im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 6 GG und Art. 8 EMRK und den langjährigen Inlandsaufenthalt. Der Kläger wohne im selben Haus wie die Schwester und der Schwager. Der Bruder sei zwischenzeitlich an einer Krebserkrankung verstorben. Auch die Eltern des Klägers seien verstorben. Die Lebensgefährtin sei deutsche Staatsangehörige und lebe im Inland. Es sei insoweit rechtsfehlerhaft, nur die Frage der Ermessensausübung zu prüfen. Denn bereits auf Tatbestandsebene bedürfe es einer Verhältnismäßigkeitsabwägung, da alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden müssten. Dies habe das Verwaltungsgericht jedoch überhaupt nicht geprüft und die Anforderung an die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme nicht beachtet. Diese sei nämlich durch das Abweichen von der Strafvollstreckungsentscheidung, ohne dass das Abweichen auf einer breiteren Tatsachengrundlage beruhen würde, nicht verhältnismäßig. Die Annahme einer Wiederholungsgefahr hätte nicht gestellt werden dürfen.
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Seitens des Verwaltungsgerichts sei nicht berücksichtigt worden, dass die Ermessensausübung der Beklagten fehlerhaft gewesen sei. Weder habe die Beklagte berücksichtigt, dass der Kläger die Behandlung im Maßregelvollzug erfolgreich abgeschlossen habe, noch dass er Vollzeit und unbefristet beschäftigt sei. Im Gegenteil: das Verwaltungsgericht stelle mit der Beklagten darauf ab, dass der Kläger im Inland nicht wirtschaftlich und kulturell integriert sei. Dagegen spreche aber die erfolgreiche Beendigung des Maßregelvollzugs, der eine intensive Mitarbeit des Therapierten voraussetze und auch dem öffentlichen Interesse der Europäischen Union entspreche. Ebenso spreche dagegen, dass der Kläger berufstätig sei, so dass überhaupt keine aktuelle Ermessensausübung auf vollständiger Tatsachenbasis erfolgt sei. Auch sei - sowohl von der Beklagten als auch dem Verwaltungsgericht - nicht gesehen worden, dass es der deutschen Lebensgefährtin nicht zumutbar sei, nach Italien umzusiedeln. Nicht erkannt habe das Verwaltungsgericht auch, dass die Beklagte einen Ermessensfehlgebrauch vorgenommen habe, der nicht etwa in der mündlichen Verhandlung berichtigt worden sei. Obwohl der Kläger unter Beweis gestellt habe, dass es weder der Beklagten noch sonst einer Stelle zustehe zu beurteilen, ob ein Mensch im Alter des Klägers sich noch charakterlich wandeln könne, habe die Beklagte diesen tragenden Entscheidungsgrund im Rahmen ihrer Ermessensausübung nicht zurückgenommen. Der Gesichtspunkt sei aber nicht nur nur inhaltlich falsch, sondern ein unzulässiger Ermessensgesichtspunkt. Dies gelte sowohl für die Frage der Wiederholungsgefahr als solche, die im Falle des Klägers aufgrund des starken Grund- und Menschenrechtseingriffs (auch) Abwägungskriterium sei und deren Anforderungen besonders hoch seien, wenn die Maßnahme verhältnismäßig sein solle. Es gelte aber auch für die Ermessensausübung im Allgemeinen, da nur Umstände eingestellt werden dürften, die nicht die Grenzen des Ermessens überschreiten würden. Dies sei aber gerade der Fall, wenn die Beklagte meine, aus eigener Beurteilung die Möglichkeit zur Verhaltensänderung in Beziehung zum Lebensalter setzen zu dürfen. Dies sei kein zulässiger Ermessensgesichtspunkt. Die Beklagte gebe damit nämlich zu erkennen, dass sie gerade eine schematische Herangehensweise vornehme, die nicht dem gesetzlichen Gebot der Einzelfallentscheidung entspräche. Die Meinung der Beklagten, wonach man im Alter des Klägers einen Charakter nicht mehr grundlegend verändere (Bescheid S. 9) sei fachlich und sachlich nicht fundiert, insbesondere sei die Frage der Wiederholungsgefahr durch die Beklagte in keiner Weise aufgeklärt worden. Diese habe gerade auch kein Sachverständigengutachten eingeholt. Hierzu hätte jedoch zur Aufklärung des Sachverhalts bereits im Verwaltungsverfahren gemäß Art. 24, 26 VwVfG die Pflicht bestanden. Es würden sich auch derartige Verallgemeinerungen per se verbieten, da das persönliche Verhalten des Klägers maßgeblich sei und nicht irgendwelche Personen im Alter des Klägers.
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Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die Befristungsentscheidung der Beklagten nicht beanstandet. Dabei sei es fehlerhaft, dass die Beklagte bereits nicht berücksichtigt habe, dass der Kläger unter Bewährungs- und Führungsaufsicht stehe (vgl. Niederschrift S. 4), obwohl hierdurch eine staatliche Kontrolle von Abstinenz und Weisungen vorliege. Das Ermessen sei insoweit nicht erneuert worden. Darüber hinaus habe sie die Arbeitsstelle unzutreffend nur dahingehend gewürdigt, dass der Kläger schon zuvor freien Zugang auf dem Arbeitsmarkt gehabt habe. Darauf komme es aber überhaupt nicht an. Die Beklagte habe vielmehr darauf abgestellt in dem Bescheid, dass der Kläger nicht dauerhaft erwerbstätig gewesen sei. Dies sei er nun aber. Weiterhin habe die Beklagte nicht erkannt, dass es sich insoweit um ein wesentliches Prognosemerkmal handele. Nicht ausreichend sei auch berücksichtigt worden, dass der Kläger nicht nur den Maßregelvollzug erfolgreich abgeschlossen habe, was eine aktive Mitwirkung des Klägers voraussetze, sondern auch weiterhin eine positive Prognose seitens des Bezirksklinikums ausgestellt worden sei. Es sei in sich widersprüchlich, wenn dieselbe Befristungsdauer angemessen erforderlich sein solle, wenn ein Betroffener eine Maßregelvollzugsbehandlung nicht abgeschlossen habe wie wenn er sie erfolgreich abgeschlossen habe. Dies zeige, dass die Beklagte weder eine nachvollziehbare Prognoseentscheidung getroffen habe, noch ihr Ermessen richtig ausgeübt habe. Es sei insoweit nicht vertretbar, dass sich die erfolgreiche Behandlung nicht auf die Prognose „ausüben“ könne. Auch die bereits angeführte Annahme einer fehlenden Veränderungsmöglichkeit ab einem bestimmten Alter sei ein unzulässiger Prognose- und Ermessensgesichtspunkt im Rahmen der Befristungsentscheidung gewesen. Zudem sei die Beklagte zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Behandlung nur geringen Wert hätte, da der Kläger schon zuvor Behandlungen absolviert habe. Der Kläger sei nämlich erstmalig in forensisch-psychiatrischer Behandlung gewesen. Auch habe das Verwaltungsgericht zu Unrecht nicht beanstandet, dass die Beklagte nicht gewürdigt habe, dass die Anlasstat erhebliche Zeit zurückliege und zwischenzeitlich Strafhaft bzw. die Maßregel vollzogen worden seien. Nicht tragfähig sei die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Frist deshalb verhältnismäßig sei, weil sie später verkürzt werden könne. Die Frist müsse vielmehr immer verhältnismäßig sein. Der Kläger habe sein Verhalten bereits verändert und konsumiere keine Drogen und habe erfolgreich und erstmalig den Maßregelvollzug beendet.
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Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts liege im Falle des Klägers zudem ein Fall des §6 Abs. 5 FreizügG/EU vor. Insoweit sei von dem Verwaltungsgericht nicht gesehen worden, dass aus der Tatsache, dass der Kläger nunmehr seit einem Jahr bei der Fa. K. K.-T. N. GmbH, die in die Gesamtwürdigung mit einzubeziehen sei, gerade folge, dass der Kläger auch bereits vor der Verurteilung bzw. dem Strafvollzug bzw. Maßregelvollzug integriert gewesen sei. Sei nämlich der Straf- und Maßregelvollzug erfolgreich, so im Falle des Klägers, und die Resozialisierung gelungen, was sich an dem Verhalten des Klägers einschließlich der Berufstätigkeit, aber auch des beanstandungsfreien Gebarens zeige, bedeute dies auch, dass zuvor eine Sozialisierung und Integration stattgefunden habe. Denn sonst wäre ihm nicht gelungen, trotz des Werdegangs die Behandlung so gut für sich zu nutzen und zudem eine unbefristete Stelle zu erlangen. Dies gelte schon aufgrund der erforderlichen Sprachkompetenz. Zudem sei die Entscheidung der Beklagten erst ergangen, als sich der Kläger bereits nicht mehr in Strafhaft befunden habe. Er habe sich bereits im Maßregelvollzug befunden, an dem er erfolgreich mitgewirkt habe, sodass zu diesem Zeitpunkt bereits neue Integrationsleistungen erbracht worden seien. Der Maßregelvollzug diene auch gerade der Aufrechterhaltung der Integrationsbande und der Resozialisierung (Art. 2 Abs. 2 BayMRVG). Dass dieser auch im Interesse der Allgemeinheit aus Schutzgesichtspunkten liege, wie das Verwaltungsgericht ausführe, stehe dem nicht etwa entgegen, sondern spreche gerade für die Bedeutung der Resozialisierung. Denn diese sei gerade auch im Interesse der Allgemeinheit, anders als eine unbehandelte Entlassung aus dem Vollzug bei schlechter Prognose. Da dies aber eine Mitwirkung des Betroffenen erfordere, liege in der Vollstreckung von Strafhaft und Maßregelvollzug gerade kein Abbruch der Integrationsbande. Weder bestünden Zweifel an der intrinsischen Motivation des Klägers zur Mitwirkung an der Behandlung, da das Landgericht N.-F. keine derartigen Feststellungen getroffen habe. Noch dürfe - was aber das Verwaltungsgericht nicht beachtet habe - übersehen werden, dass auch ein Fehlverhalten im Untersuchungshaft- oder Strafvollzug und fehlende Therapiebereitschaft (vgl. Urteil des LG N.-F. vom 04.09.2017, S. 28) der Anordnung bzw. Überleitung in den Maßregelvollzug widersprochen hätten. Auch das Aufrechterhalten der privaten und familiären Bindungen spreche gerade für das Fortbestehen der Integrationsbande.
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Nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2020 ausführlich auf die Antragsbegründung erwidert und dabei insbesondere auch ihre Ermessenserwägungen - wie bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht geschehen - ergänzt hatte, führte der Kläger mit Schriftsatz vom 3. Februar 2021 weiter aus, dass es entgegen der Annahme der Beklagten nicht zutreffend sei, dass Umstände, die nach dem Erlass des Bescheides eingetreten seien, vollständig unberücksichtigt zu bleiben hätten. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs komme es für die Prüfung des §6 Abs. 5 FreizügG vielmehr darauf an, ob im Rahmen einer Gesamtbetrachtung eine Haftstrafe zu einem Verlust von Integrationsbanden geführt hätte, wozu ausdrücklich auch das Verhalten in Haft bzw. nach der Haft einzustellen sei (vgl. EuGH Urteil vom 17.04.2018 - C-316/, C-424/16, Rn. 70). Dabei seien ausweislich der Entscheidung des EuGH sehr wohl Umstände zu berücksichtigen, die nach der „Ausweisungs“-Entscheidung ergangen seien, da der Gerichtshof darauf hinweise, dass das Gericht diese Umstände zu berücksichtigen habe (Rn. 72). Unbeschadet dessen verkenne die Beklagte, dass der Klägervertreter nicht versuche, nachträgliche Umstände vorzubringen. Vielmehr zeige die berufliche Einbindung des Klägers, dass er an bereits vor der Entscheidung bestehende Integrationsbande habe anknüpfen können. Soweit die Beklagte anführe, bei dem Kläger liege eine Sprachbarriere vor, stehe dies im Widerspruch dazu, dass das Verwaltungsgericht den Kläger in der mündlichen Verhandlung umfangreich angehört habe, ohne dass ein Sprachmittler benötigt worden wäre (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.07.2020, S. 3). Entgegen der Auffassung der Beklagten belege der Bericht des Klinikums auch nicht etwa mangelnde Integration. Vielmehr weise der Bericht ja gerade darauf hin, dass es dem Kläger gelungen sei, sich konstruktiv und ressourcenorientiert mit den seiner Sucht und Delinquenz zugrundeliegenden Faktoren zu befassen. Dass der Kläger nicht auf dem Niveau eines Muttersprachlers deutsch spreche, liege nicht nur in der Natur der Sache. Es handele sich nun einmal nicht um einen Akademiker und das Unionsrecht setze auch nicht voraus, dass nur derjenige nach langjährigem Aufenthalt gemäß §6 Abs. 5 FreizügG einen besonderen Schutz vor eine Verlustfeststellung habe, der hochgebildet sei und Sprachkenntnisse aufweisen könne, die zum Hochschulstudium berechtigen würden. Eine andere Auffassung sei vielmehr gerade mit den europäischen Grundprinzipien nicht in Einklang zu bringen. Fest stehe, dass der Kläger über gute Deutschkenntnisse verfüge, die ihn befähigen würden bzw. befähigt hätten, die Therapiemaßnahme erfolgreich abzuschließen, einer unbefristeten Vollzeitbeschäftigung in der Bundesrepublik nachzugehen und einer verwaltungsgerichtlichen mündlichen Verhandlung zu folgen und Fragen des Gerichts zu beantworten. Entgegen der Annahme der Beklagten komme es auch nicht darauf an, ob der Kläger mit seiner deutschen Lebenspartnerin verheiratet sei. Eine schutzwürdige Beziehung folge insoweit auch unmittelbar aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK. Dies gelte auch für das sonstige Privatleben und insbesondere das enge Verhältnis zu seinen in Deutschland lebenden Verwandten, die die Kernfamilie darstellten. Daran ändere auch nichts, dass der volljährige Sohn in Italien lebe. Es sei schon nicht verständlich, was daraus für die Frage der Integration in die Lebensverhältnisse in die Bundesrepublik Deutschland folgen solle. Der Kläger habe angegeben, dass er keinen Kontakt zu dem volljährigen Sohn habe, sodass hieraus für die hier maßgeblichen Fragen nichts folge. Eine nicht enge Beziehung zu einzelnen Familienmitgliedern besage hierüber vielmehr nichts aus, das gebe es in Familien aller Staatsangehörigkeiten und sei für das hiesige Verfahren ohne Belang. Ebenso wenig komme es darauf an, dass der Kläger in der Bundesrepublik keine Kinder habe. Wenn Kinder in der Bundesrepublik Deutschland leben, möge das besondere Bedeutung für Verfahren nach §6 FreizügG haben. Der Umkehrschluss sei aber selbstverständlich nicht zulässig, da dies bereits eine Diskriminierung derjenigen darstellen würde, die eben keine Kinder hätten - ob dies nun auf freier Entscheidung oder gar nicht selbst zu entscheidenden Gründen beruhe.
18
Der Versuch der Beklagten, zwischen einem gefahrenabwehrrechtlichen Zweck des Maßregelvollzugs und dem der Resozialisierung zu unterscheiden, könne schon deshalb nicht gelingen, da Resozialisierung ja gerade Gefahrenabwehr in seiner besten Form sei. Anders als die dauerhafte Entziehung der Freiheit im Rahmen der Maßregel des §63 StGB, bedeute Resozialisierung im hier vorliegenden Sinne, dass von dem Kläger gerade keine Gefahren mehr ausgingen. Der Europäische Gerichtshof habe selbst - wie bereits im Zulassungsantrag ausführlich dargelegt - auf das Interesse an der Resozialisierung im Inland hingewiesen. Es sei daher in sich widersprüchlich auszuführen, dass die Sicherheit der Allgemeinheit und die Resozialisierung nicht im Einklang mit dem öffentlichen Interesse des Freizügigkeitsrechts stehende Zwecke des Maßregelvollzugs beinhalte. Das Gegenteil sei richtig. Es sei im Übrigen auch die Ausgestaltung des Maßregelvollzugs gerade nicht mit der Inhaftierung vergleichbar. Im Maßregelvollzug würden sich bereits keine Gefangenen befinden, sondern Patienten. Es bestünden völlig andere Formen der Besuchsregelungen und Umgangsregelungen. So bestünde regelmäßig bereits während der vollständig geschlossenen Unterbringung die Möglichkeit neben Besuchen die unüberwachte Außenkontaktaufnahme über das Patiententelefon. Im Rahmen der Behandlung des §64 StGB träten darüber hinaus, wenn der Patient - wie im Falle des Klägers - die jeweiligen Behandlungsabschnitte erfolgreich abschließe, umfangreiche Lockerungsstufen, die es in dieser Form im Rahmen des Strafvollzugs - außerhalb des sogenannten offenen Vollzugs - gar nicht bzw. erst zu einem wesentlich späteren Vollzugszeitpunkt gäbe (vergleiche hierzu Art. 16 Abs. 2 BayMRVG). Diese Lockerungsstufen habe der Kläger erreicht, da sonst der Maßregelvollzug nicht erfolgreich abgeschlossen worden wäre. Auch diese Lockerungen dienten ausweislich Art. 16 Abs. 1 Nr. 1 BayMRVG ausdrücklich der sozialen Wiedereingliederung.
19
Entgegen der Annahme der Beklagten hätte die Strafvollstreckungskammer den Nichteintritt der Führungsaufsicht nicht anordnen können. §67d Abs. 6 StGB sei nicht einschlägig. §67d Abs. 6 StGB betreffe die Unterbringung nach §63 StGB („Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus“). Der Kläger habe sich dagegen in einer Maßregel gem. §64 StGB („Unterbringung in der Entziehungsanstalt“) befunden. Die Führungsaufsicht träte im Falle des Maßregelvollzugs nach §64 StGB kraft Gesetzes ein (§ 67d Abs. 5 StGB) und beruhe nicht auf einer richterlichen Gefahrenprognose. Da es aber fernliegend sei, die Dauer der Führungsaufsicht und die Dauer der Bewährungszeit im Falle der gleichzeitigen Entscheidung unterschiedlich zu bestimmen, die Führungsaufsicht gerade durch den Bewährungshelfer erfolge, sei ein negativer Rückschluss aus der Anordnung einer fünfjährigen Bewährungszeit nicht zulässig. Abgesehen davon ändere dies auch nichts daran, dass das Landgericht eine positive Prognose gestellt habe. Wenn die Beklagte ausführe, dass sich aus einer Bewährungsaussetzung ein Legalbewährungsdruck ergebe, streite dies nicht etwa für eine negative, sondern für eine positive Prognose. Verfassungsrechtlich nicht zulässig wäre im Übrigen, im Rahmen einer Prognoseentscheidung zu berücksichtigende Weisungen und Auflagen im Rahmen einer ausländerrechtlichen Prognose nicht als günstige Umstände zu berücksichtigen. Zum einen gelte der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht nur im Rahmen von Art. 2 Abs. 2 GG, sondern auch im Rahmen von Art. 2 Abs. 1 GG. Zum anderen bestehe keine tragfähige Grundlage dafür, die positive Wirkung von Auflagen und Weisungen in Abrede stellen zu wollen, solange nicht aufgezeigt werden könne, dass diese nicht beachtet würden. Vielmehr seien alle Umstände zu berücksichtigen, die Einfluss auf eine günstige Prognose hätten. Die Annahme der Beklagten, dass aus den Weisungen und der engmaschigen Kontrolle eine negative Prognose abzuleiten wäre, sei daher bereits im Ausgangspunkt unzutreffend. Das Gegenteil sei vielmehr richtig. Die Beklagte setze sich auch in erkennbaren Widerspruch zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 19.10.2016, 2BvR 1943/16, Rn. 22. Die Beklagte versuche nämlich, die Auflagen und Weisungen, die der Kläger unstreitig beachten würde, in eine negative Prognose einzustellen. Das Bundesverfassungsgericht habe aber wiederholt betont, dass positiven Strafvollstreckungsprognosen wesentliches Gewicht zukomme und hiervon nur abgewichen werden könne, wenn im Verwaltungsverfahren eine breitere Tatsachengrundlage bestehe (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.05.2019, Rn. 37). Dies sei hier gerade nicht der Fall, wie bereits ausführlich in der Zulassungsbegründung vorgetragen worden sei. Das Behandlungskonzept im Rahmen einer Behandlung nach §64 StGB sei mit dem einer Rehabilitationsbehandlung weder identisch noch auf einen gleichen Zeitablauf ausgerichtet. Es liege der Behandlung ein vielstufiger Plan zugrunde, an die geschlossene Unterbringung schließe sich eine Adaptionsphase mit fortwährender Gestaltung der Übernahme von Eigenverantwortung unter fortlaufender Kontrolle an. Der Kläger habe eine derartige Behandlung erstmals absolviert. Die Annahme aufgrund allgemeiner Erfolgsquoten von „Suchttherapien“, bei denen noch nicht einmal die Art der Suchterkrankung differenziert werde, sei die Prognose grundsätzlich schlecht, lasse sich weder mit den Anforderungen an eine individuelle Prognoseentscheidung in Einklang bringen noch mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Im Falle des Klägers läge eine positive Prognoseentscheidung des Landgerichts R. vor. Diese könnte nicht etwa dadurch entkräftet werden, dass Suchttherapien nach „allgemeinen Erkenntnissen“ keine hohen Erfolgsquoten aufweisen könnten. Dabei handele es sich nämlich um das Gegenteil einer breiteren Tatsachengrundlage. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfe auch bei Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz ein allgemeines Erfahrungswissen nicht zu einer schematischen Gesetzesanwendung führen (BVerfG NVwZ 2017, 229 (239)). Dass die forensische Psychiatrie des Bezirkskrankenhauses, die forensische Sachverständige und die Strafvollstreckungskammer eines bayerischen Landgerichts, deren Schwerpunkt derartige Prognoseentscheidungen darstellten, über „allgemeine Erkenntnisse“ nicht verfügen würden, lege die Beklagte weder dar, noch werde sie dies ernsthaft vertreten wollen. Dabei verkenne die Beklagte auch, dass es gerade keine breitere Tatsachengrundlage darstelle, wenn das Verwaltungsgericht einen „Rückfall“ mit Alkohol herausgreife, um von der Prognose der Strafvollstreckungskammer abzuweichen. Das diesseitig geäußerte Unverständnis beruhe darauf, dass sich das Verwaltungsgericht auf den Beschluss des Landgerichts beziehe und nicht auf Tatsachen, die es über die Beschlussgrundlage hinaus selbst erhoben hätte. Die Prognose beruhe somit auf keiner breiteren Tatsachengrundlage, sondern es solle nur ein anderer Schluss gezogen werden. Dies sei aber gerade nicht in Einklang zu bringen mit der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dass das Landgericht N.-F. ausgeführt habe, dass der Kläger mit seiner Lebenspartnerin sechs bis sieben Monate vor der Anlasstat bestimmte Betäubungsmittelmengen pro Monat konsumiert habe, beruhe auf dessen eigenen Angaben und sei in dem Urteil des Landgerichts dargelegt worden. Dieser Konsum sei der wesentliche Gegenstand der Behandlung im Bezirkskrankenhaus gewesen. Das Landgericht N.-F. habe aufgrund der Feststellungen zum Betäubungsmittelkonsum nach sachverständiger Diagnose die psychische Erkrankung und Behandlungsbedürftigkeit bejaht und den Kläger in die Entziehungsanstalt eingewiesen. In dieser sei er genau wegen dieses Konsumverhaltens erfolgreich behandelt worden. Die diesbezügliche Behandlung und Rückfallvermeidung und Prüfung des sozialen Empfangsraums sei der Schwerpunkt der Behandlung im Maßregelvollzug gewesen. Dazu habe auch die Prüfung gehört, ob der Kläger von dem deliktischen Umfeld Abstand genommen habe. Dazu gehöre auch die Lebenspartnerin, mit der der Kläger nicht in einer Wohnung wohne, und deren eigene Abstinenz. Alle Abstinenzkontrollen seien bei dem Kläger negativ verlaufen. Ein konkreter Anhaltspunkt für einen Konsum von Betäubungsmittel bestehe daher nicht. Wenn die Beklagte nun anführen möchte, dass es in „der betreffenden Stellungnahme“ des Bezirkskrankenhauses um eine krisenhafte Zuspitzung mit wiederholter Rückfälligkeit gegangen sei, sei zunächst festzuhalten, dass nicht klar werde, worauf sich die Beklagte überhaupt beziehen möchte. Das Verwaltungsgericht habe sich hinsichtlich seiner Prognoseentscheidung nicht auf eine „betreffende Stellungnahme“ bezogen, sondern auf eine Rückfälligkeit mit Alkohol. Offenbar wolle die Beklagte nunmehr eine eigene Prognose erstellen, was im Berufungszulassungsverfahren natürlich nicht in Betracht komme. Hier stehe die Prognose des Verwaltungsgerichts zur Prüfung und diese könne nicht durch eine neue Prognose im Wege einer summarischen Prüfung erfolgen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.05.2019, Rn. 37). Wenn die Beklagte anführe, dass die Überwachungszeit mit Ablauf der Bewährungszeit ende, sei dies nicht zutreffend. Sollte zu diesem Zeitpunkt noch eine Substitutionsbehandlung stattfinden, werde diese ebenfalls überwacht. Ein Beikonsum von illegalen Betäubungsmitteln führe nämlich zum Abbruch der Behandlung. Weiterhin könne die Bewährungszeit verlängert werden (vgl. Fischer, StGB, 68. Aufl. 2021, StGB, §56a, Rn. 3). Die Beklagte lege auch gar nicht dar, wie lang denn die freizügigkeitsrechtliche Prognose sein solle und - was ausschlaggebender wäre - dürfe. Eine negative Schlussfolgerung aus der ärztlichen Verordnung des Substituts zu folgern, sei bereits aus Rechtsgründen nicht zulässig. Das Substitut sei ärztlich verordnet, der Kläger beachte die Weisungen des Landgerichts Ziff. 4 lit. d und e - die übrigen selbstverständlich auch. Wie die Beklagte darauf komme, dass der Kläger „wahrscheinlich“ nur über ein geringes Einkommen verfüge, sei nicht nachvollziehbar. Es sei schließlich der Arbeitsvertrag vorgelegt worden. Der Kläger verdiene ausweislich der beigefügten Lohnbescheinigungen für November und Dezember 2020 ca. 1800 € netto pro Monat.
20
Wenn die Beklagte das Urteil des Verwaltungsgerichts A. bezüglich des expliziten Abweichens von der Prognose der Strafvollstreckungskammer damit rechtfertigen möchte, dass das Landgericht wesentliche „Aspekte“ (Schriftsatz vom 10.12.2020, S. 14) nicht berücksichtigt habe, sei dies schon deshalb nicht tragfähig, weil es nicht auf „Aspekte“, sondern auf Tatsachen ankomme. Selbstredend könne die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zudem nicht auf „Aspekte“ gestützt werden, die das Verwaltungsgericht selbst nicht zur Grundlage gemacht habe. Die Beklagte wolle sich nun auf eine Stellungnahme des Bezirksklinikums vom 18.12.2019 stützen, die sie selbst aber erstmalig mit Schriftsatz vom 10.12.2020 überhaupt vorgelegt habe. Bereits daraus folge, dass das Verwaltungsgericht seine Prognose gerade nicht auf diesen „Aspekt“ gestützt haben könne. Die Beklagte versuche somit, nunmehr im Zulassungsverfahren eine neue Prognose zu erstellen bzw. zu bewirken. Dies sei aber nicht zulässig. Die Beklagte selbst könne keine eigenständige negative Prognose im Verwaltungsgerichtsverfahren mehr stellen, sie könne allenfalls den Bescheid aufheben. Das Zulassungsverfahren diene aber auch nicht etwa dazu, im summarischen Verfahren aufgrund neuer Tatsachen eine neue Prognose zu stellen. Wenn die Beklagte also neue Tatsachen in das Verfahren einführen und eine Prognose des Verwaltungsgerichtshofs bewirken wolle, sei das Berufungsverfahren schon deshalb zuzulassen (vgl. zum Rechtsgedanken BVerfG, B.v. 8.5.2019 - 2 BvR 657/19, Rn. 37). Es verkürze erkennbar den Rechtsweg des Klägers unter Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG, wenn eine nicht auf ausreichender Tatsachengrundlage erfolgte erstinstanzliche Entscheidung aufgrund von dem Gericht erkennbar nicht berücksichtigter Tatsachengrundlagen gerechtfertigt werden solle, ohne dass hierzu die von der Prozessordnung vorgeschriebene mündliche Verhandlung stattgefunden habe. Abgesehen davon sei es nicht Gegenstand des Zulassungsverfahrens, im summarischen Wege Prognoseentscheidungen zu treffen. In der Zulassungsbegründung sei umfassend dargestellt worden, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts an gravierenden Mängeln leide und keine ausreichende Tatsachengrundlage geschaffen worden sei für eine abweichende Prognoseentscheidung. Dies versuche die Beklagte nunmehr zu heilen, was bereits aus Gründen der Rechtswegsgarantie nicht gelingen könne. Soweit die Beklagte einen unterschiedlichen Prognosehorizont aufzeigen wolle, den das Strafvollstreckungsverfahren und das ausländerrechtliche Verfahren charakterisiere, setze sie sich schon in Widerspruch zu ihrer eigenen Begründung. Während sie auf Seite 5 und 6 des Schriftsatzes darauf abstellen wolle, dass der Maßregelvollzug „erkennbar vorrangig“ der Gefahrenabwehr diene, werde auf Seite 15 ausgeführt, dass die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht das Ziel habe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit längerfristig zu unterbinden. Dieses argumentative Dilemma zeige aber geradezu exemplarisch auf, dass die vermeintliche charakteristische Unterschiedlichkeit eben gerade nicht bestehe und daher von der Beklagten auch nicht aufgezeigt werden könne. Ohnehin sei anzumerken, dass sich das Bundesverfassungsgericht dieser Rechtsauffassung der unterschiedlichen Prognosehorizonte offenkundig nicht angeschlossen habe, wie aus dem Beschluss vom 08.05.2019, 2BvR 657/19, folge, wenn man die Ausgangsentscheidung beachte. Auch sei das Resozialisierungsziel gerade keine tragfähige Grundlage, um eine Unterschiedlichkeit zwischen dem Besonderen Verwaltungsrecht und den Sicherheitsinteressen im Rahmen von Vollstreckungsentscheidungen zu benennen. In beiden Fällen gehe es darum, künftige Straffälligkeit zu verhindern. Unbeschadet dessen erfolge die Aussetzung nicht bereits, wenn der Verurteilte das Potenzial habe, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Jeder habe das Potenzial, sich straffrei zu führen, das sei nämlich das Wesen des Schuldstrafrechts. Vielmehr verlange die Prognose eine ausreichende Sicherheit, dass die Begehung von Straftaten nicht zu erwarten sei. Dabei sei die Anforderung an die Sicherheit der Erwartung umso höher, je schwerer das Ausmaß im Falle einer Straffälligkeit wäre. Es gelte daher ein flexibler Wahrscheinlichkeitsmaßstab, den die Beklagte schließlich auch für das Ausweisungsverfahren heranziehen wolle. Keinesfalls sei der Prognosezeitraum begrenzt auf die Dauer der Bewährungszeit. Wie aufgezeigt stehe die Dauer der Bewährungszeit auch gar nicht fest. Die Ausführungen zur Frage des zeitlichen Prognosezeitraums seien nicht zutreffend. Es erkläre sich eigentlich von selbst, dass die Bewährungszeit und der Prognosezeitraum völlig unterschiedliche Dinge seien. Im Hinblick auf eine Bewährungszeit von zwei bis fünf Jahren könne nun nicht ernsthaft die Auffassung vertreten werden, dass die Bewährungszeit auf zwei Jahre festzusetzen wäre, weil eine günstige Prognose nur für zwei Jahre bestehe und bei einer günstigen Prognose für eine Dauer von fünf Jahren eine Bewährungszeit von fünf Jahren festzusetzen wäre. Die Bewährungsprognose im Rahmen der Entscheidung nach §57 StGB sei zeitlich vielmehr unbefristet und reiche über den Bewährungszeitraum hinaus. Soweit die Beklagte darauf abstellen wolle, dass die strafvollstreckungsrechtliche Entscheidung über die Beendigung der Maßregel von der ausländerrechtlichen Prognose abweiche, weil die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt keine langfristige Bewahrung vor einem Rückfall als Ziel setzen dürfe, handele es sich aus mehreren Gründen nicht um eine tragfähige Argumentation. Zunächst habe die Aussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer nichts mit der Frage der Anordnung des Maßregelvollzugs durch den Tatrichter zu tun. Die Prognose bei der Anordnung des Maßregelvollzugs und die Prognose bei der Aussetzungsentscheidung seien völlig unterschiedlich, weshalb es auf die Anordnungsprognose nicht ankomme: die eine Prognoseentscheidung erfolge vor Beginn der Maßnahme und befasse sich mit der Frage, ob die Maßregel angeordnet werden dürfe; die andere Prognose erfolge auf Grundlage der Behandlung während der Unterbringung und befasse sich mit der Frage, ob die Maßregel zur Bewährung auszusetzen sei. Es sei vor der Entscheidung nach §67d Abs. 2 StGB oder vor einer Erledigungsentscheidung nach §67d Abs. 5 StGB ein Sachverständigengutachten zur Kriminalprognose einzuholen (§ 463 Abs. 3 StPO). Die Aussetzung der Maßregel zur Bewährung bedinge zudem noch keine Aussetzung einer je nach Einzelfall noch zu vollstreckenden Restfreiheitsstrafe zur Bewährung. Das Gesetz verlange die Erwartung, dass der Betroffene „keine erheblichen Straftaten mehr begehen werde“, §67d Abs. 2 S. 1 StGB. Die Erwartung sei nicht zeitlich befristet. Dass die Anordnungsprognose einfach auf die Aussetzungsprognose übertragen werden könne, verstehe sich keineswegs von selbst und sei auch nicht belegt worden. Selbst wenn es so wäre, könne daraus nicht verallgemeinernd die Aussetzungsentscheidung ihrer Bedeutung enthoben werden. Es komme auf eine individuelle Gefahrenprognose an. Das Landgericht R. habe auch keine zeitlich befristete Prognose getroffen. Die Aussetzung der Maßregel zu Bewährung bedinge zudem noch keine Aussetzung einer noch zu vollstreckenden Restfreiheitsstrafe zur Bewährung. Es sei somit eine Entscheidung nach §67d und eine Entscheidung nach §57 StGB ergangen. Nicht verständlich sei zudem, wenn die Beklagte darauf abstellen wolle, dass eine Beendigung der Maßregel nur erfolgen dürfe, wenn keine erheblichen rechtswidrigen Taten außerhalb des Maßregelvollzugs zu erwarten seien (Schriftsatz Seite 15). Worin der Unterschied zur ausländerrechtlichen Gefahrenabwehr bestehen solle, zeige die Beklagte überhaupt nicht auf und sie erschließe sich auch nicht. Es sei insoweit an §6 Abs. 2 S. 3 FreizügG/EU erinnert, wonach eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen müsse, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, um die Verlustfeststellung zu rechtfertigen. Eine Unterschiedlichkeit der Prognoseentscheidungen bestehe erkennbar nicht. Erneut sei auch darauf hinzuweisen, dass es sich entgegen der Darstellung des Verwaltungsgerichts und der Beklagten nicht um Risikorecht, sondern um Gefahrenabwehrrecht handele. Es sei auch systemwidrig, wenn die Beklagte darauf abstelle, ob eine Prognose im Strafverfahren bereits dann „zugunsten des Betroffenen“ ausfallen dürfe, wenn dieser durch einen Legalbewährungsdruck zu rechtstreuem Verhalten motiviert werde (Schriftsatz S. 16). Nicht etwa müsse der Kläger eine positive Legalprognose beweisen, sondern die Beklagte die negative. Das Vorliegen der Wiederholungsgefahr aufgrund einer negativen Prognose sei Tatbestandsvoraussetzung, da sonst keine Gefährdung im Sinne des §6 FreizügG/EU. Die negative Prognose müsse sicher feststehen, nicht etwa sei die Prüfungsgrundlage eine negative Prognose, die irgendwann „zu Gunsten“ des Betroffenen umschlage. Unbeschadet dessen vermöge die Beklagte auch nicht zu erläutern, worin insoweit überhaupt der prognostische Unterschied bestehen solle. Es sei - wie bereits oben dargelegt - verfassungsrechtlich nicht zulässig, eine Motivation niedrigerer Stufe anzunehmen, weil eine Bewährungsaussetzung mit einem Legalbewährungsdruck einhergehe. Es sei weder von der Beklagten noch dem Verwaltungsgericht aufgezeigt worden, dass der Kläger ein ausschließlich freizügigkeitsrechtlich angepasstes Verhalten zutage fördere. Anzumerken sei auch, dass zwischen einem Risiko und einer Gefährdung ein ganz erheblicher Unterschied bestehe. Es sei ein Zirkelschluss anzuführen, dass ein Risiko des Misslingens der Resozialisierung bestehe, weil eine schwerwiegende und gegenwärtige Wiederholungsgefahr bestehe (Schriftsatz S. 16). Die Beklagte wolle mit dem beabsichtigten Ergebnis der Prüfung die Tatbestandsprüfung vornehmen. In der Berufungszulassungsbegründung sei gerade aufgezeigt worden, dass das Verwaltungsgericht keine tragfähige Grundlage für ein Abweichen von der Prognose des Landgerichts zugrunde gelegt habe und dies nicht dadurch gestützt werden könne, dass auf ein Risiko des Misslingens der Resozialisierung in Unterscheidung zum Prognosehorizont der strafvollstreckungsrechtlichen Entscheidungen beruhen könne. Abgesehen davon, dass sich schon die Frage stelle, weshalb das Bundesverfassungsgericht diese vermeintliche Unterschiedlichkeit nicht zu erkennen vermögen solle, wenn sie denn bestünde (vgl. Beschluss vom 09.05.2019, 2BvR 1943/16), handele es sich hierbei um abstrakte Rechtsfragen über den Prognosehorizont. Um diese beantworten zu können, sei eine Einzelfallbetrachtung nicht geeignet. Die Beklagte wolle mit einer angeblich bestehenden Wiederholungsgefahr bei dem Kläger aber aufzeigen, dass generell unterschiedliche Maßstäbe im Prognosehorizonte gelten würden. Das könne natürlich nicht gelingen. Es gehe ja vielmehr gerade darum, die streitige Frage der Wiederholungsgefahr zu ermitteln. Soweit die Beklagte meine, es sei nicht überzeugend, dass die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer von besonderer Bedeutung sei, weil es wegen der Einheit der Rechtsordnung nicht verhältnismäßig sei, wenn ein Gericht eine günstige Prognose auf Grundlage eines gesetzlich geregelten Prüfungsprogramms treffe, ein anderes Gericht ohne vergleichbares Prüfungsprogramm jedoch eine andere (Schriftsatz S. 17), lasse sie eine Begründung vermissen. Für die Rechtsauffassung im Berufungszulassungsverfahren streite nun einmal die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK, die auf einer dementsprechenden Auslegung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beruhe. Auch die Ausweisung - hier in Form des Verlustes des Freizügigkeitsrechts - sei stets auf ihre Verhältnismäßigkeit hin zu überprüfen. Da aber bereits ein Gericht eine günstige Prognose gestellt und die Schutzinteressen der Allgemeinheit berücksichtigt habe und die Aussetzung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung beschlossen habe, sei es nicht verhältnismäßig, wenn ein anderes Gericht trotz nicht bestehender anderer Tatsachengrundlagen eine andere Prognose treffe und ein Entfernen vom Gebiet der Bundesrepublik, was einen mindestens ebenso schweren Grundrechtseingriff wie eine Freiheitsentziehung darstelle, für verhältnismäßig erachte. Es liege dann nämlich ein Übermaß der Reaktion auf vergangenes Unrecht vor, das das Verhältnismäßigkeitsgebot gerade nicht erlaube. Insbesondere verkenne die Beklagte, wenn sie auf Bewährungsauflagen und Weisungen in negativer Hinsicht Bezug nehme, dass gerade die Überwachung von Auflagen und Weisungen ein geeignetes, erforderliches und auch angemessenes Mittel der Wahrung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit darstelle. Ein darüber hinaus gehender Eingriff erweise sich daher weder als geboten noch angemessen. Er erweise sich auch nicht als in einer demokratischen Gesellschaft gerechtfertigt und dringend notwendig, da durch die Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer und das Verhalten des Klägers die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit gewahrt seien. Wolle eine staatliche Stelle von einer bereits getroffenen legalprognostischen Entscheidung und hiermit einhergehenden Auflagen und Weisungen, die der Betroffene strikt beachte und als Grundrechtseinschränkung akzeptiere, negativ abweichen, verlange dies eine besondere Rechtfertigung hinsichtlich ihrer Erforderlichkeit und damit Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Dies habe zur Folge, dass von der Strafvollstreckungsentscheidung nicht mit der Begründung abgewichen werden dürfe, dass die dort bereits bekannten Umstände nicht in der Weise gewichtet worden seien, wie es die Beklagte vornehmen würde. Dies folge zum einen daraus, dass bereits ein hierzu berufenes Gericht eine umfassende Prognoseentscheidung getroffen habe, bei der die Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung von höchstem Gewicht seien, zum anderen daraus, dass die von dem Betroffenen eingehaltenen Auflagen und Weisungen sich bereits als geeignet erwiesen hätten, den Schutz der Allgemeinheit zu gewährleisten. Ein Abweichen von der Prognose erfordere daher konkrete Anhaltspunkte dafür, dass dies künftig nicht mehr der Fall sein werde. Solche trage die Beklagte aber nicht vor. Dem lasse sich nicht entgegenhalten, dass die Verlustfeststellung eine umfassende „Gesamtbetrachtung“ verlange. Es sei schon nicht klar, was damit überhaupt gemeint sein solle. Dass aber bei der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ebenfalls eine Gesamtbetrachtung stattfinde, sei klar und ein Unterschied sei nicht aufgezeigt und erkennbar. Wenn die Beklagte meine, zu einer Gesamtbetrachtung gehörten „ausländerrechtliche“ Gesichtspunkte, die die Strafvollstreckungskammer nicht einstellen würde, sei zunächst daran erinnert, dass ein solcher Gesichtspunkt keine Tatsache wäre, sondern eine rechtliche Würdigung. Es handele sich also schon nicht um eine breitere Tatsachengrundlage. Im Übrigen sei die Verlustfeststellung reines Gefahrenabwehrrecht und es gehe nicht um keine andere Fragestellung als im Rahmen der Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer. Beides Mal gehe es um eine Gefahrenprognose und um eine Verhältnismäßigkeitsabwägung. Natürlich sei im Rahmen einer Strafvollstreckungsentscheidung eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen, das gelte aber im Rahmen der hier gegenständlichen Entscheidung ganz genauso. Und die Grundrechte des Klägers seien im hier gegenständlichen Verfahren keineswegs schwächer als im Rahmen der Strafvollstreckungsentscheidung. Ebenso wenig vermöge die Beklagte eine Rechtsgrundlage für die Auffassung darzulegen, wonach §6 FreizügG/EU einen „strengeren“ Maßstab als §57 Abs. 1 StGB bzw. §67d Abs. 2 StGB zugrunde lege. Diese Auffassung sei unzutreffend. Das Bundesverfassungsgericht habe eine Auslegung des §57 Abs. 1 StGB dahingehend, dass „eine Entlassung (…) aufgrund des bei einem möglichen Rückfall bedrohten Rechtsguts nur in Betracht kommt, wenn eine künftige Straffreiheit aufgrund eindeutiger positiver Umstände erwartet werden kann“ und es hierfür einer „tragfähige[n] Grundlage für die Erwartung künftiger Straffreiheit“ bedürfe, ausdrücklich gebilligt (BVerfG, B.v. 11.01.2016, 2BvR 2961/12, 2BvR 2484/13, Rn. 34). Der Gesetzgeber habe bei der Frage der Reststrafenaussetzung festgelegt, dass das Strafvollstreckungsgericht als wesentliche Gesichtspunkte („insbesondere“, §57 Abs. 1 S. 2 StGB) zu berücksichtigen habe: die Persönlichkeit des Verurteilten inklusive des Vorlebens; die Umstände der Tat und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts; das Verhalten im Vollzug; Lebensverhältnisse und Wirkungen, die von einer Aussetzungsentscheidung zu erwarten seien. Dies sei nichts anderes als eine „Gesamtbetrachtung“, auf die die Beklagte abstellen möchte. Eine günstige Prognose nach §57 StGB müsse „umso sicherer [sein], je schwerer eine neue Straftat wäre und je stärker sie damit das allgemeine Sicherheitsinteresse berühren würde“. Anders ausgedrückt: „Je höherwertige Rechtsgüter in Gefahr seien, desto geringer müsse das Rückfallrisiko sein“. Es sei nicht ausreichend, dass lediglich eine Chance bestehe, dass der Betroffene die Bewährungszeit durchstehe, sei unzutreffend. Der Maßstab sei zeitlich nicht auf die Bewährungszeit beschränkt, sondern es komme auf die künftige Straffreiheit insgesamt an. Insbesondere gebe es keinen Maßstab, wonach jede Chance ausreiche, um die Bewährungsaussetzung zu verantworten. Zudem sei stets der Bezug zu den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit zu beachten: „Dies bedeutet, dass je nach der Schwere der Straftaten, die vom Verurteilten nach Erlangung der Freiheit im Falle eines Bewährungsbruchs zu erwarten stünden […], unterschiedliche Anforderungen an das Maß der Wahrscheinlichkeit für ein künftiges strafloses Leben der Verurteilten zu stellen sind.“ (BGH, B.v.25.04.2003, StB 4/03 = BeckRS 2003,04089). Strafrechtliche Prognoseentscheidungen hätten das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit unter Berücksichtigung des Grads der Wahrscheinlichkeit erneuter Straffälligkeit und der für diesen Fall betroffenen Rechtsgüter zum Gegenstand (BVerfG, Kammerbeschluss vom 11.01.2016, 2BvR 2961/12, Rn. 28). Dies gelte auch für Entscheidungen über Reststrafenaussetzung, die auf Basis eines flexiblen Wahrscheinlichkeitsurteils zu treffen seien. Sie würden ausschließlich der Spezialprävention dienen und unterlägen aufwändigen Verfahrensvorgaben. Die strafrechtlichen Kriminalprognoseentscheidungen würden daher nicht auf einem sich vom Gefahrenabwehrrecht unterscheidenden Maßstab beruhen. Der Unterschied liege vielmehr in dem unterschiedlichen Grundrecht, das von der Eingriffsmaßnahme betroffen sei: Der allgemeinen Handlungsfreiheit bzw. dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht im Falle der Ausweisung und des Freiheitsgrundrechts im Falle der Freiheitsentziehung. Wie bereits dargelegt seien aber die betroffenen Grundrechte, insbesondere auch im Hinblick auf die eine verhängte Sperrfrist von acht Jahren trotz bzw. zusätzlich zu dem Vollzug der Freiheitsstrafe und Maßregel bis zur jeweiligen Bewährungsaussetzung keineswegs weniger gewichtig. Soweit die Beklagte meine, die Strafaussetzungsentscheidung spräche eine „Vielzahl von Anhaltspunkten“ nicht an, die ausländerrechtlich zu berücksichtigen seien, treffe das nicht den Kern. Wie wiederholt dargelegt komme es darauf an, ob die Beklagte bzw. das Verwaltungsgericht über eine breitere Tatsachenbegründung verfügt haben als die Strafvollstreckungskammer. Dem sei nicht so. Dabei sei nicht etwa die schriftliche Begründung der Entscheidung des Landgerichts R. maßgeblich, sondern der dortige Akteninhalt. Diesen kenne aber das Verwaltungsgericht überhaupt nicht und auch die Beklagte bezweifele ja sogar, dass die Strafvollstreckungskammer ein Sachverständigengutachten eingeholt habe, obwohl dies der Fall sei. Dabei verkenne die Beklagte auch §34 StPO. Zum Zeitpunkt der Abfassung der schriftlichen Gründe des Beschlusses vom 26.02.2020 sei dieser nämlich bereits rechtskräftig gewesen. §34 StPO diene dem Zweck, die Anfechtungsberechtigten in die Lage zu versetzen, eine sachgemäße Entscheidung über ein Rechtsmittel zu entscheiden und dem Rechtsmittelgericht die Prüfung zu ermöglichen. Dies sei hier aber nicht mehr der Fall gewesen, so dass eine knappe Begründung ausreichend gewesen sei und keineswegs den Rückschluss zulasse, das Landgericht habe wesentliche Gesichtspunkte nicht beachtet. Nicht in zulässiger Form in Abrede gestellt habe die Beklagte, dass das Landgericht R. die vorgeschriebene Form der Amtsaufklärung nicht beachtet und ein Gutachten eingeholt habe. Selbstverständlich sei dies der Fall. Im Übrigen habe das Landgericht auch ausdrücklich auf vorherige Entscheidungen im Vollstreckungsverfahren Bezug genommen, so dass nicht noch einmal der gesamte Verlauf des Verfahrens in den Beschlussgründen aufzuführen gewesen sei. Es sei auch daran erinnert, dass im Verfahren des Bundesverfassungsgerichts 2BvR 1943/16 keineswegs ein ausführlicherer begründeter Beschluss des für die Vollstreckungsentscheidung zuständigen Amtsgerichts N. vorgelegen habe. Ebenso wenig habe das Bundesverfassungsgericht eine Auslegung dahingehend gebilligt, dass per se ein „engerer strafvollzugsrechtlicher Prognosehorizont“ als im ausländerrechtlichen Verfahren (vgl. dort, Beschluss vom 19.10.2016, Rn. 13) vorliegen würde. Von einer „Unvollständigkeit“ der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer könne keine Rede sein. Zu den beabsichtigten Weisungen seien alle Verfahrensbeteiligten angehört worden und der Kläger habe sich mit diesen einverstanden erklärt. Daher sei auch keine ausführliche Begründung erforderlich gewesen (Anlage: Niederschrift der Anhörung vom 26.2.2020). Auch die Staatsanwaltschaft sei vor der mündlichen Anhörung angehört worden und habe konkrete Anträge gestellt. Auch ihr habe selbstverständlich das Sachverständigengutachten vorgelegen (Anlage: Schreiben an die Staatsanwaltschaft nebst Verfügung der Staatsanwaltschaft). Es werde erneut darauf hingewiesen, dass eine vollständige Vorlage der Akte der Staatsanwaltschaft N.-F. dem Prozessbevollmächtigten nicht zustehe und insbesondere von hier auch keine Gutachten und gutachterlichen Stellungnahmen vorgelegt werden könnten, die urheberrechtlich geschützt seien. Die Darstellung der Beklagten, die Strafvollstreckungskammer habe die Voraussetzungen des §57 Abs. 1 S. 2 StGB nicht beachtet, sei somit widerlegt. Aufgrund der umfassend vorgenommenen Amtsaufklärung und der Anhörung aller Verfahrensbeteiligte käme es dagegen nicht auf eine ausführliche schriftliche Begründung an. Die Anordnung der Führungsaufsicht habe schon deshalb keiner Begründung bedurft, da sie aufgrund gesetzlicher Anordnung eintrete (vgl. oben). Der Hinweis auf die Entscheidung des OLG H. treffe daher nicht den Verfahrensgegenstand. Zumal in der dort angefochtenen Entscheidung überhaupt keine Begründung angegeben worden sei. Hier seien aber alle zwingend zu beteiligenden Stellen vor der Entscheidung ausdrücklich zu den beabsichtigten Weisungen angehört worden, die im Übrigen dem Vorschlag des Klinikums entsprochen hätten (vgl. von der Beklagten vorgelegte Stellungnahme), so dass überhaupt keine Rede davon sein könne, dass das Landgericht sein Ermessen nicht ausgeübt habe. Soweit die Beklagte meine, der Bericht des Bezirkskrankenhauses P. vom 18.12.2019 sei kein objektiver Bericht, sei zunächst festzustellen, dass dem Verwaltungsgericht der Bericht überhaupt nicht bekannt gewesen sei. Vielmehr habe ihn nun die Beklagte vorgelegt mit Schriftsatz vom 10.12.2020. Wie das Verwaltungsgericht daher zur Kenntnis habe gelangen können, dass der Bericht nicht objektiv sei, erschließe sich nicht. Der Aufklärungsmangel sei offenkundig, sonst hätte die Beklagte den Bericht ja nicht - erstmalig im Berufungszulassungsverfahren - vorlegen müssen. Wie bereits ausgeführt, sei Gegenstand des Zulassungsverfahrens nicht der Versuch der Beklagten, eine neue Prognoseentscheidung zu erwirken, sondern die Rechtsfehlerhaftigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts, die sich durch die Vorlage von Unterlagen, die das Verwaltungsgericht gerade nicht beigezogen habe, noch manifestiere. Bereits aufgrund der Vorlage eines neuen Beweismittels sei die Berufung zuzulassen, um dem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG zur Geltung zu verhelfen. Denn sonst sei es dem Kläger gar nicht möglich, hierauf folgend Beweisangebote zu unterbreiten. Wie im Folgenden noch vorbereitend schriftsätzlich anzukündigen sei, seien aber in der mündlichen Berufungsverhandlung entsprechende Beweisanträge zu stellen (vgl. unten). Es würde auch nicht dem Gebot des fairen Verfahrens entsprechen, wenn die Beklagte das Urteil des Verwaltungsgerichts nachbessern könnte, der maßgebliche Entscheidungszeitpunkt aber dennoch die letzte mündliche Verhandlung sein würde. Unbeschadet dessen sei die Darstellung der Beklagten, dass der Bericht nicht objektiv sei, falsch. Wie bereits ausführlich dargelegt, handele es sich nicht um eine therapeutische Stellungnahme, sondern um eine gutachterliche Stellungnahme aufgrund einer gesetzlichen Pflicht. Das Bezirkskrankenhaus sei eine medizinische Einrichtung des Bezirks O. in der Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts. Es gebe nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass die Berichte dieser Anstalt des öffentlichen Rechts nicht objektiv sein könnten. Soweit die Beklagte auf eine Entscheidung des Senats vom 24.11.2020 Bezug nehme, die wiederum auf die Senatsentscheidung vom 02.05.2017 (19 CS 16.2466) verweise, sei festzuhalten, dass es dort unter Randnummer 48 heiße: „Bei der Würdigung des Therapieberichts ist zu berücksichtigen, dass ein Therapiebericht - entgegen der Darstellung in der Verfassungsbeschwerde des Antragstellers (S. 50) - keine objektive Bewertung oder gar Begutachtung darstellt. Zu einer effektiven Drogenberatung ist ein enges Vertrauensverhältnis zwischen dem Drogenabhängigen und dem Berater erforderlich. Der Berater ist kein verlängerter Arm des Staates (Patzak, a.a.O., §35 Rn. 436). Eine Mitteilungspflicht gegenüber staatlichen Stellen besteht aufgrund der Vorschrift des §35 Abs. 4 BtMG nur bei einem Therapieabbruch. Ansonsten gilt der Schutz des Zeugnisverweigerungsrechts nach §53 Abs. 1 Nr. 3 StPO (Patzak, a.a.O., §35 Rn. 418 ff.). Um einen Bericht über den Therapieverlauf zu erhalten, muss die Strafvollstreckungsbehörde den Verurteilten zur Einholung bei der Therapieeinrichtung und zur Vorlage (bzw. zur Schweigepflichtentbindung) verpflichten. Weil Drogenberater Interessenvertreter ihrer Klienten (und nicht des Staates) sind (Patzak, a.a.O., §35 Rn. 253) und deshalb in der Regel nicht die Mitwirkung verweigern, wenn sie beispielsweise erkennen, dass der Klient nicht die Überwindung der Sucht anstrebt, sondern die Therapie lediglich deshalb beantragt, weil er der Strafhaft entkommen möchte (vgl. Patzak, a.a.O., §35 Rn. 253, 254; in Rn. 254 weist Patzak überdies darauf hin, dass Therapieeinrichtungen Wirtschaftsunternehmen sind, die wie Reiseunternehmen und Hotels darauf achten müssen, dass ihre Therapieplätze und Betten regelmäßig belegt sind), sind die Therapiestellungnahmen nicht als objektive Gutachten, sondern als einseitige Stellungnahmen zu bewerten (Patzak, a.a.O., §35 Rn. 253). Gegen unzureichende Stellungnahmen von Therapieeinrichtungen gibt es keine effektive Handhabe (Patzak, a.a.O., §35 Rn. 413 ff.). Im Wesentlichen aus diesen Gründen und weil bei einer Bewertung von Therapieerfolgen die Patienten ihre Lebensprobleme nicht offen, sondern nur angepasst angehen würden, hat der Gesetzgeber bei der Anrechnung der Therapie auf die Strafe nach §36 BtMG nicht auf erfolgreiche Therapiezeiten, sondern auf die Aufenthaltszeiten in der Therapie an sich abgestellt (Patzak, a.a.O., §35 Rn. 16 ff.). Aus all dem ergibt sich, dass die Ausführungen in Therapieberichten keine objektive Einschätzung darstellen und die Einrichtung regelmäßig dann eine günstige Prognose abgibt, wenn sie nicht vom Klienten durch einen erheblichen Verstoß gegen ihre Regeln zu einem disziplinarischen Therapieabbruch genötigt worden ist“. Dies habe mit dem Verfahrensgegenstand nichts zu tun. Es sei schon unzutreffend, den Bericht einer Rehabilitationseinrichtung mit einem Bericht eines Drogenberaters gleichzusetzen. Hier gehe es aber um Beides nicht. Es müsse auch kein enges Vertrauensverhältnis gebildet werden, wie die Beklagte meine. Das Bezirkskrankenhaus erfülle vielmehr eine gesetzliche Verpflichtung zur Durchführung der durch eine richterliche Einweisungsentscheidung erfolgten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Das Bezirkskrankenhaus erfülle eine Behandlungspflicht im Sinne des Maßregelvollzugsgesetzes und habe mit einem Reiseunternehmen oder Hotel nichts gemein. Das Bezirksklinikum sei die Maßregelvollzugseinrichtung gemäß Art. 47 BayMRVG, und nehme die Aufgaben des Bezirks war, Art. 45 BayMRVG. Die Vorstellung der Beklagten hinsichtlich einer irgendwie gearteten niederschwelligen Beziehung zwischen Therapeut und Patient zeige auf, dass die Beklagte von falschen Tatsachen ausgehe. Die Vorstellung, dass ein Bezirkskrankenhaus die Verlängerung einer Behandlung durch entsprechend gesteuerte Gutachten beeinflussen würde, damit Betten belegt seien, sei nicht nur fernliegend, sondern würde die Tatbestände der Abgabe unrichtiger Gesundheitszeugnisse und der Freiheitsberaubung beinhalten. Die Maßregelvollzugseinrichtung vollziehe den staatlichen Freiheitsentzug und werde hier für den Bezirk tätig. Sie sei also nicht nur der verlängerte Arm des Staates, sondern in der Regel „der Staat“ oder aber im Rahmen des Art. 46 BayMRVG tätig. Auch die Fachaufsicht liege beim Staat (Art. 50 BayMRVG). Obwohl in der Berufungszulassungsbegründung ausführlich dargestellt worden sei, dass es sich bei der Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses um ein ärztliches Gutachten handele, würden seitens der Beklagten die Tatsachen verdreht, indem sie wiederholt von einem „Therapiebericht“ spreche und sie über eine Vertrauensgrundlage zwischen Therapeuten und Patienten nachdenke. Nun komme es zwar weniger auf die Rechtsauffassung der Beklagten an, sondern darauf, dass das Verwaltungsgericht nicht ansatzweise erkannt habe, dass der „Therapiebericht“ eine gutachterliche Stellungnahme einer öffentlichen Anstalt, die der Fachaufsicht des ZFBS unterstehe, handele. Es sei aber dennoch nochmals festzuhalten, dass es sich ausweislich des Beschlusses des Landgerichts und der gesetzlichen Grundlagen nicht um einen „Therapiebericht“ und auch nicht um die Stellungnahme eines Therapeuten, sondern um ein fachärztliches Gutachten der Chefärztin Dr. L. - Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Forensische Psychiatrie -, des Oberarztes Dr. N. - Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie - und der Stationsärztin Dr. P. - Fachärztin für Neurologie - handele. Dies stelle ein Gesundheitszeugnis eines Arztes im Sinne der §277 ff. StGB (vgl. Fischer, in: Fischer, Strafgesetzbuch, 68. Aufl., StGB, §277, Rn. 3) dar. Auch Prognosen würden zum Gegenstand von Gesundheitszeugnissen gehören. Die Rechtsauffassungen des Verwaltungsgerichts und der Beklagten, dass ärztliche Gutachten eines Bezirkskrankenhauses nicht objektiv sein würden, seien somit nicht vertretbar. Da das Gesetz eine zeitnahe aktualisierte Stellungnahme der Vollzugsanstalt - hier der Maßregelvollzugsanstalt - verlange, sei die vom Gericht angeordnete Teilnahme an der mündlichen Anhörung der Strafvollstreckungskammer nicht etwa Ausdruck eines besonderen Vertrauensverhältnisses, sondern Folge des Amtsaufklärungsgrundsatzes, den die Strafvollstreckungskammer zu Recht beachtet habe (vgl. Fischer, in: Fischer, Strafgesetzbuch, 68. Aufl., StGB, §67e, Rn. 2a). Auch insoweit sei die Ansicht der Beklagten nicht zutreffend. Wenig hilfreich sei es, wenn die Beklagte nun meine, das Gutachten des Bezirksklinikums im eigenen Sinne auslegen zu wollen. Gegenstand des Berufungszulassungsverfahrens sei die Prognoseentscheidung des Verwaltungsgerichts A. und nicht die der Beklagten. Das Verwaltungsgericht habe aber das Gutachten des Bezirkskrankenhauses überhaupt nicht beigezogen, da es dieses nicht nur für irrelevant - da angeblich einseitig - erachtet habe, sondern hiermit sogar noch das dezidierte Abweichen von der Prognose des Landgerichts habe begründen wollen. Wenn aber nun seitens der Beklagten eine neue Tatsachengrundlage geschaffen werden solle, sei die Berufung zuzulassen und mündlich zu verhandeln. Dem Kläger werde sonst allein das Recht genommen, die mündliche Anhörung der Dres. L. u.a., Bezirkskrankenhaus P., zu beantragen, die zwingend geboten erscheine, da die Beklagte versuche, das dortige Gutachten in ihre Richtung zu interpretieren und ihm eine angeblich defizitäre Grundlage zu attestieren und meine, mit Umkehrschlüssen arbeiten zu können. Es sei allerdings sicherlich auch der Beklagten aufgefallen, dass dieses Vorgehen schon deshalb unbehelflich sei, da es bereits auf S. 2 der gutachterlichen Stellungnahme heiße: „Zum bisherigen Therapieverlauf dürfen wir freundlicherweise auch auf unsere bisherigen Stellungnahmen Bezug nehmen und verweisen.“ Anders als die Beklagte und das Verwaltungsgericht hätten sowohl sämtliche mit dem Kläger befassten Ärzte (hier drei behandelnde Ärzte im Rahmen der gutachterlichen Stellungnahme im Gutachten der Frau Dr. W.-L. weiterhin eine erfahrene Sachverständige) als auch die Strafvollstreckungskammer die gesamte Vollstreckungsakte und alle Therapieberichte zum Gegenstand des Verfahrens und letztere zum Gegenstand der Entscheidung gemacht. Es sei natürlich nicht erforderlich, dass in einer abschließenden Stellungnahme noch einmal all das vorgetragen werde, was bereits vorher vorgetragen worden sei. Das Defizit liege hier in der unzureichenden Aufklärung durch die Beklagte und durch das Verwaltungsgericht und nicht etwa im strikt beachteten formalen Ablauf des Strafvollstreckungsverfahrens. Festzuhalten sei, dass es sich um eine umfassende Stellungnahme handele und sich auch das Bezirkskrankenhaus ausführlich mit der Legalprognose (die ebenfalls zum Umfang eines Gesundheitszeugnisses gehöre) und dem sozialen Empfangsraum befasst habe. Wenn die Beklagte meine, es müssten sich neue Umstände ergeben, zeige das ihre Vorstellung einer Gefahrindizierung. Der neue Umstand sei das erfolgreiche Absolvieren einer umfangreichen, gesetzlich normierten (§ 64 StGB) Behandlung in einer Entziehungsanstalt und Entlassung in ein stabiles Umfeld nebst Arbeitstätigkeit und Wohnung nach monatelanger Erprobungsphase unter fortwährender Kontrolle und kritischer Prüfung durch die Behandler. Wie die Beklagte darauf komme, dass das Bezirksklinikum nicht auf die Betäubungsmittelabhängigkeit und das Vorleben des Klägers, dessen Konsum und etwaige Therapieverläufe eingegangen sein könnte, sei nun wirklich nicht mehr nachvollziehbar. Diese sei Gegenstand des Behandlungsauftrags und Grundlage der Einweisungsentscheidung durch das Landgericht N.-F., sowie der regelmäßigen richterlichen Entscheidungen über die Fortdauer des Maßregelvollzugs entsprechend der gesetzlichen Vorgaben und auf Basis umfassende Berichterstattung durch die Maßregelvollzugseinrichtung. Ebenso hätte der Beklagten aufgefallen sein müssen, dass ihre eigenen Erkenntnisse auf keinen anderen Umständen beruhen würden als Informationen aus den Straf-(vollstreckungs-)Unterlagen, „die sowohl Gegenstand der Behandlung im Maßregelvollzug als auch der Strafvollstreckungsentscheidung beruhen“. Entgegen der offenbar bestehenden Auffassung der Beklagten sei das Strafurteil des Landgerichts N.-F. vom 12.09.2017 (Az. 17 KLs 353 Js 4616/17) naturgemäß Gegenstand der gutachterlichen Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses (s. dort S. 1), der Sachverständigen Dr. W.-L. und des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer. Es begegne gewissem Unverständnis, dass versucht werden solle zu unterstellen, dass die Strafvollstreckungskammer und die jeweils tätigen Ärzte entgegen ihrer gesetzlichen Pflicht die Einweisungsentscheidung nicht berücksichtigt hätten. Neben dem Urteil vom 12.09.2017 sei auch das schriftliche Sachverständigengutachten Dr. W., auf das sich das Landgericht N.-F. gestützt hätte, Gegenstand der Vollstreckungsakte und habe sowohl der Strafvollstreckungskammer als auch der Sachverständigen Dr. W.-L. vorgelegen. Darüber hinaus habe das Bezirksklinikum regelmäßig umfassend schriftlich an die Strafvollstreckungskammer zum Therapieverlauf einschließlich der Thematik „Rückfall“, zum Vorleben und zum sozialen Empfangsraum in mehreren schriftlichen Gutachten berichtet. Dabei seien der soziale Empfangsraum, insbesondere die Beziehung zur Lebensgefährtin und früherer Konsum entscheidende Grundlage der Behandlung und der Prognoseentscheidung gewesen und es sei in jeder Hinsicht unzutreffend anzunehmen, dass die Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie diese Fragestellung nicht zum Gegenstand der Behandlung und der prognostischen Einschätzung gemacht gehabt hätte. Beweisantragsankündigung: Einvernahme des ärztlichen Direktors des Bezirkskrankenhauses P., Dr. Sch, als sachverständiger Zeuge. Auch der Richter am Landgericht R. habe sämtliche Gutachten, Stellungnahmen und das Urteil des Landgerichts N.-F. zum Gegenstand ihrer Entscheidung gemacht. Beweisantragsankündigung: Herr R. am Landgericht B. als Zeuge. Was die Beklagte damit ausdrücken möchte, dass das Landgericht N.-F. auf eine nicht zur Bewährung auszusetzende Freiheitsstrafe erkannt habe, und deshalb das Landgericht R. im Rahmen seiner Bewährungsentscheidungen nicht das Urteil des Landgerichts N.-F. zum Gegenstand der Entscheidung gehabt hätte, bleibe im Dunkeln. Zunächst sei festzustellen, dass das Landgericht N.-F. über die Frage der Bewährung hinsichtlich der verhängten Freiheitsstrafe nicht zu befinden gehabt hätte, da eine Bewährung aufgrund von §56 StGB von Gesetzes wegen nicht habe ausgesprochen werden können und es auf die Frage der Prognose überhaupt nicht angekommen sei, §56 Abs. 1 und 2 StGB. Die Strafvollstreckungskammer hätte dagegen aufgrund gesetzlicher Pflicht darüber zu entscheiden gehabt, ob die Freiheitsstrafe, die im Urteil vom 12.09.2017 aus den dort dargelegten Gründen verhängt worden sei, zur Bewährung ausgesetzt werden könne. Dabei habe sie gem. §57 Abs. 1 StGB selbstverständlich auch die Umstände, die im Urteil zugrunde gelegt worden seien, zu berücksichtigen. Sie entscheide nämlich gerade über die weitere Vollstreckung dieses Urteils. Beweisantragsankündigung: Herr R. am Landgericht B. als Zeuge. Es sei an dieser Stelle noch einmal an das Gesetz erinnert (§ 57 Abs. 1 StGB): „Bei der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind.“ Die Strafvollstreckungskammer habe darüber hinaus entschieden, dass die Unterbringung in der Entziehungsanstalt „nunmehr“ zur Bewährung ausgesetzt werden könne (Beschlussgründe S. 4). Daraus ergebe sich eindeutig der Bezug auf die vorangegangenen Nicht-Aussetzungsentscheidungen, in denen sich das Landgericht R. der negativen Prognose des Landgerichts N.-F. noch angeschlossen hätte. Die Auffassung der Beklagten, dass die Vollstreckungskammer die zunächst negative Prognose im Sinne des §64 StGB nicht dahingehend überprüft habe, ob sie aufgrund einer nunmehr positiven Prognose nicht mehr fortbestehe, sei ausweislich der Entscheidungsgründe widerlegt. Da das Landgericht R. zuvor die Aussetzung abgelehnt habe, nunmehr die Aussetzung aber bejaht habe, habe sie alle Umstände, die zu berücksichtigen gewesen wären, zum Gegenstand der Entscheidung gemacht. Das Landgericht habe den letzten Beschluss ausdrücklich zum Gegenstand der Begründung gemacht (dort S. 4) und stelle fest, dass „nunmehr“ (dort S. 5) eine günstige Legalprognose bestehe. Das Landgericht R. habe auch dargestellt, dass dies darauf beruhe, dass es - unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses und die Anhörung - von einer erfolgreichen Resozialisierung überzeugt sei und die Therapie ebenfalls erfolgreich abgeschlossen worden sei, der Kläger in Lohn und Brot stehe und eine eigene Wohnung habe, es zu Rückfällen nicht mehr gekommen sei und er letztmalig im Sommer 2019 mit Alkohol rückfällig geworden sei. Das Gutachten der Sachverständigen Dr. W.-L. habe im Beschluss nicht explizit aufgeführt werden müssen. Es sei Gegenstand des Anhörungsverfahrens gewesen, das Gericht habe auf die Anhörung Bezug genommen. Das Gericht sei nicht von der Einschätzung der Sachverständigen abgewichen, sodass es keiner näheren Erörterung bedurft habe.
21
Wenn die Beklagte meine, eine „psychische Verhaltensstörung durch Opioide“ im Sinne des ICD-10 F11.2 sei keine „psychische Erkrankung oder Störung“, zeige dies auf, dass sowohl die Prognoseentscheidung der Beklagten - auf die es aber nicht mehr entscheidungserheblich ankomme -, aber auch die Ermessensentscheidung auf falschen Tatsachenannahmen beruhe. Dass die Straftat Folge einer psychischen Erkrankung oder Störung sei, hätte die Beklagte nämlich auch im Rahmen der Ermessensentscheidung berücksichtigen müssen, es sich um einen schuld-limitierenden Faktor handele. Nun stelle die Beklagte aber sogar das Krankheitsbild in Frage. Es komme nicht darauf an, ob irgendwelche Unterziffern der ICD-10 F11 nicht erfüllt seien, da die Ziffer F11.2 unzweifelhaft diagnostiziert worden sei. Die internationale Klassifikation der Krankheiten weise unter den Ziffern F10-F19 die psychischen und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen auf. Alle Unterpunkte seien demnach psychische und Verhaltensstörungen, so dass die Darstellung des Verwaltungsgerichts, dass eine solche nicht bestünde, unzutreffend sei. Daran ändere auch der Versuch der Beklagten nichts, die Ziffer F11.2 dahingehend umzuinterpretieren, dass diese keine psychische und Verhaltensstörung darstellen würde. Ganz verständlich sei nicht, was die Beklagte eigentlich aussagen wolle. Die Frage, weshalb die Ziffer unter den Ziffern F10-F19 aufgeführt sei, wenn es keine psychische oder Verhaltensstörung sein solle, vermöge die Beklagte nicht zu erklären. In der Klassifikation der WHO (IDC-10) sei die Suchterkrankung in der Gruppe der psychischen Störungen aufgeführt. Was daran falsch sein solle, sei nicht nachvollziehbar. Was damit gemeint sein solle, dass die Diagnose im Falle des Klägers („Abhängigkeitssyndrom durch Opioide“, ICD-10 F 11.2) „unter Außerachtlassung der genauen Diagnose“ nicht auf eine psychische Erkrankung oder Störung schließen lasse (Schriftsatz S. 23), erläutere die Beklagte demzufolge auch nicht. Um was es sich dann alternativ handeln solle, vermöge sie naturgemäß nicht darzulegen. Denn die diagnostizierte Krankheit sei eindeutig als psychische und Verhaltensstörung durch psychotrope Substanzen eingeordnet und sei demzufolge auch in der forensischen Psychiatrie behandelt worden. Erst recht folge das daraus, dass aus einer fortbestehenden Substitutionsbehandlung, die eine suchtmedizinische Behandlung darstelle, negative Rückschlüsse gezogen werden sollen, gleichzeitig aber eine Verhaltensstörung negiert werde. Auf welcher Basis die ärztlich verordnete Substitutionsbehandlung dann erfolgen solle, bleibe dagegen unerwähnt. Die Verordnung des Substituts erfolge aufgrund §5 BtMVV und nicht etwa nach Belieben. Hieraus folge, dass bereits die suchtmedizinische Kompetenz des Verordnenden strengen gesetzlichen Vorgaben unterliege und die Verordnung ausschließlich im Rahmen einer medizinischen Behandlung erfolgen dürfe. Endlich sei die Auffassung des Verwaltungsgerichts falsch, dass eine psychische Erkrankung oder Störung nicht vorgelegen habe.
22
Entgegen der Auffassung der Beklagten handele es sich bei dem Antrag auf Einholung eines Gutachtens zur Tatsache, dass bei dem Kläger die Begehung von Straftaten, insbesondere auch aus dem Betäubungsmittelbereich, nicht zu erwarten sei, um eine dem Sachverständigenbeweis zugängliche Tatsache. Einer Prognose sei grundsätzlich das erreichbare Wissen zum Prognosezeitpunkt zugrunde zu legen, da sonst willkürliche Entscheidungen drohten. Das prognostische Urteil müsse also auf gesicherten Erkenntnissen beruhen, wozu auch Sachverständigengutachten gehören könnten. Die sachverständige Erwartung der Begehung von Straftaten - insbesondere im Betäubungsmittelbereich - durch einen Fachpsychiater sei eine Anknüpfungstatsache zur Erstellung von Prognoseentscheidungen. Die - kriminalprognostische - Erwartung der Begehung künftiger Straftaten sei messbar und mithilfe sachverständiger Wissensgenerierung ermittelbar. Das bedeute: die für die Prognoseentscheidung maßgebliche Prognosebasis sei eine Wissensfrage und - jedenfalls teilweise - dem Sachverständigenbeweis zugänglich. Das betreffe nicht nur die individuelle Rückfallwahrscheinlichkeit aufgrund kriminalprognostischer Untersuchung und Testung, sondern auch die Bestimmung von Begleitumständen, aus denen - als Schlussfolgerung - Hypothesen gebildet werden könnten, um die Wahrscheinlichkeit des Bestehens einer Gefahr - als juristischem Wahrscheinlichkeitsurteil - zu bestimmen. Die Wahrscheinlichkeitseinschätzung eines kriminalprognostischen Gutachtens sei dabei selbst eine Tatsache, die im Rahmen der Prognoseentscheidung zu berücksichtigen sei. Es sei überhaupt nicht behauptet worden, dass ein Sachverständigengutachten an die Stelle einer richterlichen Prognose gestellt werden könnte und es sei auch nicht die Rechtsfrage der Wiederholungsgefahr unter Beweis gestellt worden. Das Untersuchungsergebnis des Sachverständigen gehöre vielmehr zu dem Wissen, das für die richterliche Prognoseentscheidung zur Verfügung stehe und bei der eigenen Entscheidung zu berücksichtigen sei. Dies habe der Gesetzgeber auch in §454 Abs. 2 StPO zum Ausdruck gebracht: „Das Gutachten hat sich namentlich zu der Frage zu äußern, ob bei dem Verurteilten keine Gefahr mehr besteht, dass dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbesteht.“ Dies zeige, dass die Gefahrenbestimmung des Sachverständigen selbst die Tatsache sei, die dann im Rahmen der Prognoseentscheidung als eine Anknüpfungstatsache zu berücksichtigen sei. Denn auch im Rahmen des §454 StPO treffe nicht etwa der Sachverständige die Entscheidung, sondern das Gericht. Wie auch im Rahmen der strafrechtlichen Kriminalprognose gelte auch bei der verwaltungsrechtlichen Prognose: „Das Gericht hat die mithilfe des Sachverständigen ermittelten Merkmale und dessen Wahrscheinlichkeitseinschätzung […] seinem eigenständigen prognostischen Urteil zugrunde zu legen“ (Boetticher u.a., NStZ 2006, 537 (540)). Der Kriminalprognostiker treffe dabei eine erfahrungswissenschaftliche Wahrscheinlichkeitsaussage über das Rückfall- bzw. Kriminalitätsrisiko des Probanden. Die ermittelten Prognosemerkmale und die Wahrscheinlichkeitseinschätzung seien daher Beweistatsachen. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei der Fall sehr wohl komplex. Dies folge ja schon daraus, dass die Beklagte und das Verwaltungsgericht ohne nähere Aufklärung die Substitutionsbehandlung als negatives Prognosemerkmal einstellten. Durch die Ermessenserwägungen im Schriftsatz vom 10.12.2020 sei das Abstellen auf das Lebensalter als Prognosemerkmal nicht entfallen. Die Beklagte stelle ja weiterhin darauf ab (Schriftsatz S. 26). Im Übrigen betreffe die Frage die Legalprognose und nicht nur die Ermessensausübung.
23
Die Ermessensausübung der Beklagten bleibe fehlerhaft, da sie aufgrund des vorherigen Vortrags zur Sach- und Rechtslage deutlich gemacht habe, dass sie nicht alle zu berücksichtigenden Umstände gesehen habe. Zuvörderst sei festzustellen, dass ihre eigene Prognoseentscheidung unter Verstoß gegen den Aufklärungsgrundsatz erfolgt sei. Sie bezweifele nämlich zum einen, dass die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer vollständig ergangen sei und das Landgericht §57 StGB bzw. §67d StGB ausreichend beachtet und die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit vollständig berücksichtigt habe, ohne aber die Strafvollstreckungsakte überhaupt beizuziehen und den Sachverhalt vollständig aufzuklären. Zum anderen setze sie die Gefahrenprognose offenbar mit der Ermessensabwägung gleich, obwohl es sich dabei um unterschiedliche Prüfungsschritte handele. Würde die Beklagte nicht von einer Wiederholungsgefahr ausgehen (die diesseitig nicht geteilt werde), käme man vielmehr gar nicht zu Ermessensausübung. Angesichts der Tatsache, dass die Beklagte auch noch negiere, dass der Konsum von Betäubungsmitteln in der Vergangenheit auf einer psychischen und Verhaltensstörung beruhe, stelle sie sich mit der Meinung, es sei „sehr unwahrscheinlich“, „dass dieser trotz der umfassenden Behandlung im Maßregelvollzug und der Strafaussetzung der Reststrafe nicht nur gegen die Auffassungen der Sachverständigen Dr. W.-L., der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie des Bezirkskrankenhauses P. und der Strafvollstreckungskammer, sondern auch gegen den Gesetzgeber, der auch für Betroffene im Alter bzw. mit dem Vorleben des Klägers die Anordnung des Maßregelvollzugs gemäß §64 StGB durchaus für verhältnismäßig“ erachte. Wäre es aber „sehr unwahrscheinlich“, dass eine Behandlung Erfolg haben könnte, hätte bereits das Landgericht N.-F. die Unterbringung nicht anordnen dürfen, sodass sich die Beklagte auch noch gegen die Auffassung des Landgerichts N.-F. stelle. Dies zeige, dass Ermessensgesichtspunkte eingestellt worden seien, die unzutreffend seien. Eine sachverständige Aufklärung habe die Beklagte weiterhin nicht vorgenommen, sondern zwar - in sich widersprüchlich - eine Verhaltensstörung unterstellt, die der Kläger angeblich nicht ablegen könne, die medizinische Grundlage für eine solche Annahme aber nicht aufgeklärt, da gar keine Verhaltensstörung vorliege. Auch habe sie den schuldlimitierenden Faktor nicht gesehen (vgl. oben). Nicht dagegen sei eine dissoziale Persönlichkeitsstörung attestiert worden, was die Annahme, dass der Kläger „dissoziale Verhaltensweisen“ zeige (Schriftsatz S. 27), als nicht tragfähigen Ermessensgesichtspunkt erweise. Es sei auch nicht gesehen worden, dass im Rahmen des Maßregelvollzugs eine mehrmonatige Erprobungsphase, die der Kläger erfolgreich absolviert habe, sowie dass der Kläger seit mittlerweile knapp einem Jahr vollständig außerhalb des Maßregelvollzugs lebe und sich in jeder Hinsicht ordnungsgemäß verhalte. Wenn die Beklagte meine, dass die drohende Aufenthaltsbeendigung einen Legalbewährungsdruck ausübe, vermöge sie nicht darzulegen, weshalb dann die Aufenthaltsbeendigung tatsächlich erfolgen müsse. Aus diesem Gesichtspunkt folge vielmehr, dass bereits die Androhung ausreichend sei. Ebenso wenig vermöge sie darzulegen, weshalb ein Legalbewährungsdruck durch eine Bewährungsaussetzung ein negativer Faktor sein könnte. Bereits aus Gründen der Verhältnismäßigkeit sei dies als günstiger Faktor einzustellen. Nicht gesehen habe die Beklagte auch, dass die Bewährungszeit verlängert werden könnte, wenn dies erforderlich wäre. Dass der Kläger nach Ablauf der Bewährungszeit „stark rückfallgefährdet“ sei, habe die Beklagte nicht aufgeklärt, insbesondere hierzu kein Sachverständigengutachten eingeholt. Es handele sich dabei nur um einen schematischen Rückschluss aus der Annahme, es bestünden insoweit allgemeine Erkenntnisse. Dafür, dass bei dem Kläger weiterhin der Hang bestehe, Suchtmittel im Übermaß zu konsumieren, habe die Beklagte nicht aufgeklärt und dies beruhe nicht auf einer medizinischen Feststellung. Die Substitutionsbehandlung begründe gerade keinen Hang, Suchtmittel im Übermaß zu konsumieren. Die Beklagte meine hier, fachärztliche Einschätzungen vornehmen zu können, ohne ein Gutachten eingeholt zu haben, während sie gleichzeitig eine Verhaltensstörung verneine. Dass dies in sich widersprüchlich sei, sei offensichtlich. Da die Substitutionsbehandlung auf Erreichen der Opiatabstinenz ausgerichtet sei (§ 5 Abs. 2 S. 1 BtMVV) und kein Anhaltspunkt dafür bestehe, dass das Bezirksklinikum die gesetzlichen Voraussetzungen der Verordnung von Substituten nicht beachten würde, sei die Annahme der Beklagten, die nicht fachmedizinisch beraten worden sei, auch nicht haltbar. Der Kläger sei unbefristet in Vollzeit beschäftigt. Ein Anhaltspunkt dafür, dass er die Beschäftigung nicht fortsetzen würde, bestehe nicht. Die Annahme, es handele sich nicht um eine dauerhafte berufliche Integration sei daher nicht zutreffend. Es sei unzulässig, an der beruflichen Integration zu zweifeln, weil dem Kläger die Weisung erteilt worden sei, die Beschäftigung nicht zu gefährden. Hieraus folge weder, dass der Kläger der Beschäftigung nicht nachgehen würde, weil er sich mit einer entsprechenden Weisung einverstanden erklärt habe, noch dass er nach Ablauf der Führungsaufsicht bzw. der Bewährungsaufsicht das Beschäftigungsverhältnis nicht fortsetzen würde. Dafür gebe es keinen konkreten Anhaltspunkt. Es dürfe nicht etwa gegen den Kläger vorgebracht werden, dass er Auflagen und Weisungen beachte, die von ihm - auch - strafrechtlich erwartet würden (vgl. BVerfG, 2BvR 1943, 19.10.2016, Rn. 22). Soweit im Rahmen der Befristungsentscheidung darauf abgestellt werde, dass eine achtjährige Frist verhältnismäßig sei, weil eine Wiederholungsgefahr bestünde, sei dies kein tragfähiger Ermessensgesichtspunkt. Würde aus Sicht der Beklagten keine Wiederholungsgefahr bestehen, dürfe bereits die Verlustfeststellung nicht erfolgen. Eine Begründung, weshalb die Frist acht Jahre betragen solle, lege die Beklagte auch weiterhin nicht dar. Dass die Frist ohne erfolgreiche Behandlung im Maßregelvollzug und Vollzeitbeschäftigung sowie beanstandungsfreiem Verhalten seit erheblicher Zeit genauso lange angemessen sein solle, als wenn der Maßregelvollzug nicht erfolgreich abgeschlossen und derselbe sowie die Reststrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden wäre, vermöge die Beklagte auch weiterhin nicht schlüssig zu begründen. Im Übrigen werde zur Vermeidung von Wiederholungen auf das bisherige Vorbringen - insbesondere die Berufungszulassungsbegründung - Bezug genommen.
24
Mit Schriftsatz vom 17.1.2022 führt der Klägerbevollmächtigte weiter aus: wie ausführlich dargelegt worden sei, komme eine Abweichung von der strafvollstreckungsrechtlichen Gefahrenprognose nur dann in Betracht, wenn eine breitere Tatsachengrundlage bestehe. Es sei in der Berufungszulassungsschrift dargelegt worden, dass dem Verwaltungsgericht gravierende Fehler unterlaufen seien und die Entscheidung rechtsfehlerhaft sei. Diese fehlerhafte Entscheidung könne nicht durch eine eigenständige Prognoseentscheidung im Rahmen des Berufungszulassungsverfahrens ersetzt werden und es seien auch keine neuen Tatsachen in positiver (BVerfG, Beschluss vom 08.05.2019, Rn. 37) oder negativer (BVerfG, Beschluss vom 06.12.2021, 2BvR 860/21) Hinsicht zu berücksichtigen, da dies eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG nach sich ziehen würde (vgl. Schriftsatz vom 03.02.2021, S. 8f., 19, 23). Vielmehr sei die Berufung zuzulassen und das Verfahren entweder zurückzuverweisen oder mündlich zu verhandeln. Das Bundesverfassungsgericht habe jüngst erneut klargestellt, dass allgemeine Erwägungen in Richtung angeblich grundsätzlich hoher Rückfallquoten nicht zulässig seien (vgl. hierzu auch Schriftsatz vom 03.02.2021, S. 6). Das Verwaltungsgericht habe neben unzutreffenden Prämissen und nicht ausreichender Tatsachengrundlage seine Entscheidung gerade nicht auf eine breitere Tatsachengrundlage gestellt, sondern einzelne Aspekte aus dem Beschluss des Landgerichts herausgegriffen, die diesem damit ebenfalls bekannt gewesen seien. Dass eine derartige Methode unzulässig sei, habe das Bundesverfassungsgericht nun noch einmal in aller Deutlichkeit klargestellt (Beschluss vom 06.12.2021, 2BvR 860/21). Ebenso habe es herausgestellt, dass eine breitere Tatsachengrundlage nicht im Berufungszulassungsverfahren geschaffen werden könne, sondern hierfür die Berufung zuzulassen wäre. Komme aber eine Abweichung von der strafvollstreckungsrechtlichen Prognose wie hier nicht in Betracht, sei die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen.
25
Mit Schriftsatz vom 31.01.2022 wurden ein unbefristeter Arbeitsvertrag des Klägers ohne Probezeit vom 10.01.2022 sowie Verdienstabrechnungen vom 22.10., 18.11. und 14.12.2021 übersandt.
26
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen des Klägers insbesondere auch unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung nicht.
27
1.1 Die Rüge des Klägers, dass § 6 FreizügG/EU unzutreffend angewendet worden sei, insbesondere das Verwaltungsgericht ebenso wie die Beklagte zu Unrecht von dem Bestehen einer Wiederholungsgefahr ausgegangen seien (1.1.1), eine Abwägung auf Tatbestandsebene nicht stattgefunden habe (1.1.2) und die Ermessensausübung fehlerhaft gewesen sei (1.1.3), begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
28
1.1.1 Auch unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens ist im Hinblick auf die Schwere der Verurteilung vom 4. September 2017 und aufgrund der langjährig bestehenden und anhaltenden Drogenproblematik, des bestehenden Legalbewährungsdrucks und der letztlich nicht erfolgreichen Drogenbehandlung beim Kläger weiterhin von den für eine Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts erforderlichen schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung auszugehen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren und die Fernhaltung des Klägers vom Bundesgebiet erfordern. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Beklagte ihre Entscheidung zu Recht auf §6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 FreizügG/EU gestützt habe, dessen Tatbestand erfüllt sei, wobei insbesondere von einer Wiederholungsgefahr auszugehen sei, ist im Ergebnis zutreffend. Dabei ist unstrittig, dass der Kläger schon aufgrund seiner italienischen Staatsangehörigkeit ein freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger ist und gemäß §4a FreizügG/EU ein Daueraufenthaltsrecht erworben hat, sodass die Verlustfeststellung ihre Rechtsgrundlage in §6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 FreizügG/EU, wonach der Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit festgestellt werden kann, findet.
29
Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU kann der Verlust des Rechts eines Unionsbürgers auf Einreise und Aufenthalt (§ 2 Abs. 1 FreizügG/EU) u.a. aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit festgestellt werden. Die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung genügt für sich allein nicht, um die in §6 Abs. 1 FreizügG/EU genannten Entscheidungen oder Maßnahmen zu begründen. Es dürfen nur im Bundeszentralregister noch nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen berücksichtigt werden, und diese nur insoweit, als die ihnen zu Grunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Es muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (§ 6 Abs. 2 FreizügG/EU; vgl. Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 1 der RL 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, v. 29.4.2004, ABl. EU L 158 S. 77: Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, wobei diese Feststellung im Allgemeinen bedeutet, dass in der Regel eine Neigung des Betroffenen bestehen muss, das Verhalten in Zukunft beizubehalten (EuGH, U.v. 22.5.2012 - C-348/09 - juris Rn. 33 f.; EuGH, U.v. 27.10.1999 - juris Rn. 29/30). Dieser Maßstab verweist - anders als der Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im deutschen Polizeirecht - nicht auf die Gesamtheit aller Rechtsnormen, sondern auf einen spezifischen Rechtsgüterschutz, nämlich ein Grundinteresse der Gesellschaft, das berührt sein muss (BVerwG, U.v. - 1 C 30.02 - juris Rn. 24).
30
Eine Feststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU darf nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden (§ 6 Abs. 4 FreizügG/EU). Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass das persönliche Verhalten des Klägers eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (§ 6 Abs. 2 Satz 2 und 3 FreizügG/EU); diese Gründe stellen sich als schwerwiegend im Sinne von §6 Abs. 4 FreizügG/EU dar (zu diesem Gefahrenbegriff vgl. Nr. 6.4.1 AVwV FreizügG/EU: „Ob schwerwiegende Gründe, die nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts gemäß §4a noch zum Verlust des Aufenthaltsrechts führen können, vorliegen (§ 6 Abs. 4), ist im Einzelfall zu entscheiden. Dies ist insbesondere bei drohender Wiederholung von Verbrechen und besonders schweren Vergehen anzunehmen, wenn der Betroffene wegen eines einzelnen Deliktes rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt und die Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist.“). Die vom Kläger ausgehende Gefahr für bedeutende Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ist besonders schwerwiegend. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Verurteilung des Klägers eine Verlustfeststellung eines zehn Jahre im Bundesgebiet sich aufhaltenden Unionsbürgers rechtfertigen könnte (§ 6 Abs. 5 Satz 2 FreizügG/EU). Darüber hinaus wird durch diese vom Kläger ausgehende Gefahr ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. §6 Abs. 2 S. 3 FreizügG/EU). Von einem solchen kann ausgegangen werden, wenn die von dem Unionsbürger ausgehende Gefahr allgemein anerkannte und gesetzlich festgelegte Werte und Normen in einem Maße beeinträchtigt, das ein Einschreiten seitens des Staates erforderlich macht. Dazu gehört - wie hier - auch die effektive Bekämpfung von Drogenhandel (Nr. 6.2.3 AVwV FreizügG/EU).
31
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungs-/Verlustfeststellungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 33 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 34; BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - Rn. 18). Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen. Für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr gilt mithin nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein differenzierender, mit zunehmenden Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10/12 - juris Rn. 15). Dies bedeutet nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern (wie Leben und Gesundheit, vgl. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit einer Wiederholungsgefahr begründet (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - a.a.O. Rn. 16, U.v. 4.10.2012 - a.a.O.).
32
Was die Prognose der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts im Hinblick auf Drogenstraftaten angeht, ist zudem festzuhalten, dass Betäubungsmitteldelikte zu den schweren, Grundinteressen der Gesellschaft berührenden und schwer zu bekämpfenden Straftaten gehören (vgl. Art. 83 Abs. 1 Unterabschnitt 2 AEUV). Die Folgen, insbesondere für junge Menschen, können äußerst gravierend sein. In ständiger Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, schwerwiegend sind und ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren (vgl. BVerwG, U.v. 14.5.2013 - 1 C 13.12 - juris Rn. 12 mit Nachweisen zur Rechtsprechung des EuGH und des EGMR; vgl. BayVGH, B.v. 7.3.2019 - 10 ZB 18.2272 - juris Rn. 7). Der Gerichtshof der Europäischen Union sieht in der Rauschgiftsucht ein „großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit“ (vgl. EuGH, U.v. 23.11.2010 -Rs. C-149/09, „Tsakouridis“ NVwZ 2011, 221 Rn. 47). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mehrfach klargestellt, dass er bei der Verurteilung eines Ausländers wegen eines Betäubungsmitteldelikts -wie hier vorliegend - in Anbetracht der verheerenden Auswirkungen von Drogen auf die Bevölkerung Verständnis dafür hat, dass die Vertragsstaaten in Bezug auf diejenigen, die zur Verbreitung dieser Plage beitragen, entschlossen durchgreifen (U.v. 30.11.1999 - Nr. 3437-97 „Baghli“ NVwZ 2000, 1401, U.v. 17.4.2013 - Nr. 52853/99‚ “Yilmaz“ - NJW 2004, 2147; vgl. OVG NRW, B.v. 17.3.2005 - 18 B 445.05 - juris). Die von unerlaubten Betäubungsmitteln ausgehenden Gefahren betreffen die Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit, welche in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Werteordnung einen hohen Rang einnehmen. Rauschgiftkonsum bedroht diese Schutzgüter der Abnehmer in hohem Maße und trägt dazu bei, dass deren soziale Beziehungen zerbrechen und ihre Einbindung in wirtschaftliche Strukturen zerstört wird. Die mit dem Drogenkonsum häufig einhergehende Beschaffungskriminalität schädigt zudem die Allgemeinheit, welche ferner auch für die medizinischen Folgekosten aufkommen muss (BayVGH, B.v. 14.3.2013 -19 ZB 12.1877 und B.v. 10.10.2017 - 19 ZB 16.2636 - juris Rn. 8).
33
Im Hinblick auf die Persönlichkeit des Klägers und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt ist festzuhalten, dass der im Jahr 2002 erneut in das Bundesgebiet eingereiste Kläger im Bundesgebiet kurz nach der Wiedereinreise und in erheblichem Maße strafrechtlich in Erscheinung getreten ist:
34
1. Amtsgericht N., 6. März 2003,
35
ein Jahr und drei Monate Freiheitsstrafe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln und unerlaubten Erwerb von Betäubungsmitteln in 20 Fällen, ausgesetzt zur Bewährung, Bewährungszeit drei Jahre, Widerruf der Bewährung am 18. April 2005;
36
2. Amtsgericht A., 16. Februar 2005,
37
zwei Jahre und sechs Monate Freiheitsstrafe wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge;
38
3. Amtsgericht N., 10. Oktober 2006,
39
sechs Wochen Freiheitsstrafe wegen Diebstahls;
40
4. Amtsgericht N., 31. Oktober 2007,
41
sechs Wochen Freiheitsstrafe wegen Erschleichens von Leistungen in drei Fällen;
42
5. Amtsgericht N., 24. Januar 2008,
43
drei Monate Freiheitsstrafe wegen Betrugs;
44
6. Amtsgericht N., 13. Dezember 2013,
45
Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 20 Euro wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis;
46
7. Landgericht N.-F., 4. September 2017, (Anlasstat),
47
fünf Jahre Freiheitsstrafe wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde angeordnet.
48
Dem Urteil des Landgerichts lag folgender Sachverhalt zugrunde: der Kläger und sein damals mitangeklagter Bruder kamen spätestens kurze Zeit vor dem oder am 15. Februar 2017 überein, gemeinsam und arbeitsteilig eine größere Menge Heroin von einem nicht identifizierten Lieferanten zu kaufen und im Raum N./S. gewinnbringend weiterzuverkaufen. Der Bruder des Klägers bestellte in Ausführung dieser gemeinsamen Absprache bei dem gemeinsamen Lieferanten am 15. Februar 2017 zunächst 120 g Heroin und erhöhte die Bestellung später auf ungefähr 170 g Heroin, woraufhin am darauffolgenden Morgen an ihn die Gesamtmenge von 180,93 g Heroin mit einer Wirkstoffmenge von 45,69 g Heroinhydrochlorid, die der Kläger und sein Bruder zumindest billigend in Kauf genommen hatten, übergeben wurde. Der Neffe des Klägers erhielt vom Bruder des Klägers am 16. Februar 2017 aus dieser Gesamtmenge insgesamt 14,73 g Heroin (Wirkstoffmenge von 3,69 g Heroinhydrochlorid), um dieses Betäubungsmittel in einem Brillenetui versteckt an einen Abnehmer zu übergeben. Der Neffe des Klägers wusste, dass es sich um Heroin handelte, nahm die enthaltene Wirkstoffmenge zumindest billigend in Kauf und wollte mit seinem Handeln auch die Drogengeschäfte seines Vaters, des Bruders des Klägers, unterstützen. Die 14,73 g Heroin wurden bei der Festnahme des Neffen des Klägers sichergestellt. Kurze Zeit später wurde der Bruder des Klägers auf dem Weg zu einem Betäubungsmittelgeschäft mit einem Abnehmer in der N.-Straße in S. bei N. festgenommen. Er führte 111,68 g Heroin mit einer Wirkstoffmenge von 26,8 g Heroinhydrochlorid bei sich, die daraufhin sichergestellt wurden. In der Wohnung des Klägers in der P.-Straße in N. wurden 54,52 g Heroin mit einer Wirkstoffmenge von 13,4 g Heroinhydrochlorid sichergestellt, die ihm aus der am 16. Februar 2017 gelieferten Gesamtmenge aufgrund des gemeinsamen Tatplans zum gewinnbringenden Weiterverkauf durch seinen Bruder übergeben worden waren. Der Kläger und die übrigen Beteiligten wussten, dass sie nicht die für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis besaßen. Nach den Feststellungen des Landgerichts beging der Kläger die Taten, um den für seine Betäubungsmittelabhängigkeit jeweils erforderlichen eigenen Betäubungsmittelkonsum zu finanzieren. In den letzten sechs bis sieben Monaten vor der Tat habe der Kläger neben dem täglichen Konsum seines Substitutionsmittels Methadon mit seiner Partnerin 25-30 g Heroin pro Monat und zudem in regelmäßigen Abständen Kokain und MDMA, seltener Metamphetamin sowie gelegentlich synthetische Cannabinoide konsumiert. Beim Kläger liege eine Abhängigkeit von multiplen psychotropen Substanzen mit dem Schwerpunkt der Opiatabhängigkeit vor. Das Landgericht war insbesondere in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen davon überzeugt, dass die Gefahr bestehe, dass der Kläger infolge seines Hanges zukünftig weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde, wenn die Suchtproblematik unbehandelt bleibe.
49
Wesentlicher Hintergrund der Delinquenz des Klägers (insbesondere im Hinblick auf die Anlasstat) war seine Suchtmittelabhängigkeit. Dem Urteil des Landgerichts N.-F. vom 4. September 2017 ist zu entnehmen, dass der Kläger bereits in Italien in Untersuchungshaft Drogenabhängige kennengelernt hatte und im Anschluss daher Betäubungsmittel zum Gelderwerb veräußerte. Als schließlich seine damalige Partnerin drogenabhängig war, kam der Kläger auch selbst im Alter von 21 Jahren zum Betäubungsmittelkonsum. Im Zeitraum 2005/2006 war der Kläger wegen einer Beschaffungsfahrt inhaftiert, wobei sich an die Haft eine Therapie gem. §35 BtMG anschloss. Der Kläger wurde jedoch wieder rückfällig und kam schließlich in ein Substitutionsprogramm. Bei dem Kläger besteht aufgrund des Betäubungsmittelkonsums eine bislang unbehandelte Hepatitis-C-Infektion. Das Landgericht stellte fest, dass der Kläger die Taten beging, um den für seine Betäubungsmittelabhängigkeit jeweils erforderlichen eigenen Betäubungsmittelkonsum zu finanzieren. Zudem wurde zulasten des Klägers gewertet, dass er mit Heroin handelte, einer harten Droge. Weiter stellte das Landgericht fest, dass bei dem Kläger allein schon aufgrund seiner Abhängigkeit von psychotropen Substanzen ein Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu konsumieren, naheliegt. Auch kam das Landgericht in Übereinstimmung mit der gutachterlichen Stellungnahme zu der Überzeugung, dass zwischen dem Hang und den abgeurteilten Straftaten ein symptomatischer Zusammenhang besteht. Der Kläger wollte durch den Verkaufserlös jeweils auch seinen erheblichen Eigenkonsum finanzieren. Die Rauschgiftabhängigkeit des Klägers war somit Auslöser und Anlass der Tat, die sich als Beschaffungskriminalität darstellt. Das Landgericht war in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen davon überzeugt, dass die Gefahr besteht, der Kläger werde infolge seines Hanges zukünftig weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen, wenn die Suchtproblematik unbehandelt bleibt. Das Landgericht führte aus, es sei zu erwarten, dass der Kläger auch zukünftig zumindest im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität auffällig werde, wenn die Sucht nicht therapiert wird; die erheblichen Geldmengen, die der Kläger zur Beschaffung des Rauschgifts benötige, könnten von ihm auf legalen Weg aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erworben werden, sodass er voraussichtlich auf die ihm bereits vertraute Variante des Betäubungsmittelhandels als Verdienstmöglichkeit zurückgreifen werde, wie es insbesondere auch sein Bundeszentralregisterauszug vermuten lasse.
50
Davon ausgehend (der Kläger hat die Feststellungen des Landgerichts im Zulassungsverfahren nicht bestritten) ist die durch die Delinquenz (deren wesentlicher Hintergrund die Suchtmittelabhängigkeit war) indizierte Gefährlichkeit des Klägers bislang nicht beseitigt.
51
Der Kläger hat zwar, nachdem er sich ab 16. Februar 2017 in Untersuchungshaft und anschließend bis 15. Februar 2018 in Strafhaft, daran anschließend bis zum 10. März 2020 - nachdem das Landgericht R. mit Beschluss vom 26. Februar 2020 die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt hatte - im Maßregelvollzug befunden hat, den Maßregelvollzug beendet, jedoch - wie noch auszuführen sein wird - nach Therapieende kein drogenfreies Verhalten gezeigt. Eine erfolgreiche Beendigung der Therapie kann daher nicht festgestellt werden und von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr kann offensichtlich nicht ausgegangen werden.
52
Bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (siehe z.B. BayVGH, B.v. 29.5.2018 - 10 ZB 17.1739 - juris Rn. 9; B.v. 16.2.2018 - 10 ZB 17.2063 - juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 7.2.2018 - 10 ZB 17.1386 - juris Rn. 10; BayVGH, U.v. 3.2.2015 - 10 B 14.1613 - juris Rn. 32 m.w.N.). In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Erfolgschancen einer Therapie im Allgemeinen bereits deutlich unter 50% liegen (vgl. Fabricius in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl. 2019, §35 Rn. 46 ff: nur 25% der beobachteten Personen blieben strafrechtlich unauffällig und dürften eine Chance der sozialen Reintegration und der gesundheitlichen Stabilisierung erreicht haben; „bescheidene Erfolge“; nach Klos/Görgen - Rückfallprophylaxe bei Drogenabhängigkeit, 2. Aufl. 2020, S. 18 ff. - sind Rückfälle - wie hier - eher die Regel als die Ausnahme; Jehle/Albrecht/Hohmann-Fricke/Tetal haben in der bundesweiten Rückfalluntersuchung „Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen“ für den Zeitraum 2004/2010 bis 2013 - www.bmjv.de - ermittelt, dass nach Delikten gemäß BtMG innerhalb des 1. bis 3. Jahres 45% der Straftäter erneut registriert wurden mit einer Zunahme von weiteren 11% auf 56% vom 4. bis 6. Jahr und weiteren 4% auf 60% innerhalb des 7. bis 9. Jahres des Beobachtungszeitraums; von der Gesamtpopulation der Straftäter wurden innerhalb von 3Jahren 36% erneut verurteilt). Solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit auf einen Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (BayVGH, B.v. 13.10.2017 - 10 ZB 17.1469 - juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 6.5.2015 - 10 ZB 15.231 - juris Rn. 11).
53
Der Senat verkennt zwar nicht, dass der Einschätzung des Bezirkskrankenhauses P. vom 18. Dezember 2019 (Stellungnahme gemäß § 67e StGB und Anregung auf bedingte Entlassung aus dem Maßregelvollzug: „Zusammenfassend ist festzustellen, dass von einer stationären Behandlung im Maßregelvollzug keine weiteren Fortschritte mehr zu erwarten sind und eine bedingte Entlassung in der legalprognostischen Abwägung aus hiesiger Sicht verantwortbar erscheint. Weitere Stabilität im Hinblick auf die Suchterkrankung sowie die konstruktive Beteiligung an einem ambulanten Behandlungsprozess vorausgesetzt, erscheint die Legalprognose nach hiesiger Einschätzung günstig mit einem deutlich verringerten Risiko für einen Rückfall in dem Anlassdelikt nahe Delinquenz.“), dem psychiatrischen Gutachten der Dr. W.-L. vom 30. Januar 2020 („Bei Gesamtwürdigung aller zur Verfügung stehenden Informationen ist davon auszugehen, dass er die Therapieziele erreicht hat. Herr G. vermittelte im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung den Eindruck, dass er sich mit seiner Drogenproblematik und den komplexen Wechselwirkungen zwischen seiner Abhängigkeitserkrankung, seiner Delinquenzentwicklung und seiner Primärpersönlichkeit ausreichend auseinandersetzen konnte.“), dem Beschluss der (von der Gutachterin Dr. W.-L. sachverständig beratenen) Strafvollstreckungskammer vom 26. Februar 2020 („Aufgrund der positiven Entwicklung des Verurteilten und der damit einhergehenden günstigen Legalprognose kann demzufolge die Unterbringung nunmehr zur Bewährung ausgesetzt werden. Nachdem aufgrund der erfolgreichen Therapie die Sozialprognose als positiv angesehen werden kann, kann auch die Vollstreckung des noch offenen Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt werden, da dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann.“) und auch dem ersten Bericht der Bewährungshilfe vom 15. Juni 2020 („Der Proband ist hier bereits aus früheren Bewährungen persönlich bekannt. Die Zusammenarbeit ist gut angelaufen, Herr G. hält sich zuverlässig an die Terminabsprachen, in den Gesprächen zeigt er sich mitteilsam und aufgeschlossen.“) zwar auch positive Gesichtspunkte im Hinblick auf die ausländerrechtlichen Gefahrenprognose entnommen werden können, es ist jedoch im Hinblick auf den maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch den Senat vor allem auf die aktuellen Berichte der Bewährungshilfe (dazu sogleich) abzustellen, die mehrfach Suchtmittelrückfälle des Klägers aufführen; diese aktuellen Entwicklungen konnten naturgemäß die oben genannten Institutionen bei ihren seinerzeitigen Aussagen hinsichtlich der Gefahrenprognose (die sich aus nunmehriger Sicht als unzutreffend darstellen) noch nicht berücksichtigen.
54
Der Senat verkennt auch nicht, dass der Kläger seit 4. Oktober 2021 in Vollzeit bei der Firma E.H. GmbH in L. (seit 10.1.2022 mit unbefristetem Arbeitsvertrag) beschäftigt ist und mit dieser Arbeit ausweislich der vorgelegten Lohnbescheinigungen zwischen 1.500 und 2.000 Euro netto verdient, allerdings kann dieser ersichtlich positive Aspekt für den Kläger vor dem Hintergrund der - wie nachfolgend ausgeführt - mehrfachen Rückfälligkeit in die Drogensucht insgesamt zu keiner positiven Sicherheitsprognose führen.
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Es fehlt jedoch an der Glaubhaftmachung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende: Wie sich bereits aus dem Urteil des Landgerichts N.-F. vom 4. September 2017 ergibt, hat der Kläger - bevor er mit der Anlassstraftat rückfällig wurde - eine Therapie gemäß §35 BtMG absolviert (allerdings erfolglos, da er später wieder rückfällig wurde). Er ist auch jetzt nach der Beendigung des Maßregelvollzugs ausweislich der Bewährungshilfeberichte mehrfach in den Rauschgiftkonsum zurückgefallen: So enthält die dem Bericht der Bewährungshilfe vom 19. Februar 2021 als Anlage beigefügte Verlaufsmitteilung für das 4. Quartal 2020 das Bezirkskrankenhauses P. vom 4. Januar 2021 die Mitteilung, dass der Kläger in der Speichelprobe vom 16. November 2020 einen positiven Befund auf Amphetamin und Metamphetamin gehabt habe. Einen Konsum habe der Kläger nicht eingeräumt. Er habe berichtet, dass ein Arbeitskollege konsumiere und er vermute, dadurch mit der Substanz in Berührung gekommen zu sein. Weiterhin berichtet die Bewährungshilfe unter dem 11. Juni 2021, dass der Kläger - mit den positiven Werten der Drogenscreenings konfrontiert - den Cannabiskonsum eingeräumt habe, einen Metamphetaminkonsum aber bestreite. Die in der Anlage beigefügte Verlaufsmitteilung für das 1. Quartal 2021 das Bezirkskrankenhauses P. vom 7. April 2021 enthält die Mitteilung, dass der Kläger Anfang März rückfällig mit Cannabis gewesen sei und dies eingeräumt habe. Eine Speichelprobe Ende März sei positiv auf Metamphetamin gewesen. Weiterhin berichtet die Bewährungshilfe unter dem 12. August 2021, dass aufgrund der Rückfälligkeit der Kontakt in der forensischen Ambulanz intensiviert worden sei. Die in der Anlage beigefügte Verlaufsmitteilung für das 2. Quartal 2021 des Bezirkskrankenhauses P. vom 9. Juli 2021 enthält die Mitteilung, dass die im Quartal durchgeführten Urinkontrollen vom 19. April 2021 und 31. Mai 2021 positiv auf Cannabis gewesen seien. Eine Speichelprobe vom 3. Mai 2021 sei positiv auf Amphetamin und Metamphetamin gewesen. Der Kläger sei Mitte April und Ende Mai rückfällig mit Cannabis gewesen, räume dies aber nicht ein. Eine Speichelprobe Anfang Mai sei positiv auf Amphetamin und Metamphetamin gewesen. Aufgrund der Rückfälligkeit würden die Kontakte in der forensischen Ambulanz nicht ausgeweitet, sondern vorerst intensiviert. Auch wolle der Kläger seinen ambulanten Substitutionsbehandler nicht von der Schweigepflicht entbinden. Die dem Bewährungshilfebericht vom 29. Oktober 2021 in der Anlage beigefügte Verlaufsmitteilung für das 3. Quartal 2021 des Bezirkskrankenhauses P. vom 7. Oktober 2021 führt aus, dass der Kläger Cannabiskonsum am Arbeitsplatz eingeräumt habe, er das Thema offenlegen, besprechen und bearbeiten sowie eine Abstinenz zu Cannabis wiederherstellen konnte. Die Bewährungshilfe berichtet unter dem 13. Mai 2022, dass es dem Kläger trotz der verschiedenen Unterstützungsmaßnahmen bisher noch nicht gelinge, eine anhaltende Abstinenz dauerhaft beizubehalten. Im Rahmen der Zusammenarbeit mit der forensischen Ambulanz würde die Entwicklung im Suchtbereich stets thematisiert und entsprechende Rückfälle therapeutisch bearbeitet. In der in der Anlage beigefügten Verlaufsmitteilung für das 4. Quartal 2021 des Bezirkskrankenhauses P. vom 7. Januar 2022 wird berichtet, „die positiven Befunde (25. Oktober 2021 Morphin; 6. und 21. Dezember 2021 Heroin etc.) zum Teil vom Patienten erklärt. Rückfallbearbeitung und Überarbeitung der Strategien noch ausstehend“.
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Die Drogentherapie des Klägers war damit zwar zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt beendet, jedoch offensichtlich nicht erfolgreich gewesen. Es trifft mithin nicht zu, dass der Kläger „erfolgreich die Maßregel abgeschlossen habe“ (Zulassungsbegründung S. 9) und „der Kläger neben dem Substitut kein Betäubungsmittel konsumiere und insoweit auch regelmäßig überwacht werde“ (Zulassungsbegründung S. 11). Die „sowohl von der Fachklinik als auch von der Gutachterin geprüfte klare Abstinenzentscheidung“ (Zulassungsbegründung S. 12) des Klägers trifft ebenfalls nicht zu. Aufgrund der langjährigen und tiefgreifenden ungelösten Drogenproblematik des Klägers liegen mithin keine durchgreifenden Anhaltspunkte vor, die mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung schließen lassen könnten, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würden. In Anbetracht der nun eingetretenen Entwicklung ist es dem Kläger nicht gelungen, tragfähige positive Schritte zur Überwindung seiner Drogensucht stabil zu erreichen, er hat sich nicht bewährt.
57
Soweit der Kläger rügt, dass das Verwaltungsgericht die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer nicht ausreichend berücksichtigt und deren Inhalt zudem verkannt habe, ist grundsätzlich festzuhalten: Einer Straf- und ggf. Maßregelaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer -und ggf. den dieser Entscheidung zugrundeliegenden Gutachten und sonstigen Stellungnahmen, etwa der Justizvollzugsanstalt oder der Therapieeinrichtung - kommt zwar eine erhebliche indizielle Bedeutung zu. Die Ausländerbehörde und die Verwaltungsgerichte sind für die Frage der Wiederholungsgefahr daran aber nicht gebunden; es bedarf jedoch einer substantiierten Begründung, wenn von der strafgerichtlichen Entscheidung abgewichen wird (BVerfG, B.v. 19.10.2016 -2 BvR 1943/16 -juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 14.1.2019 -10 ZB 18.1413 - juris Rn. 10 m.w.N.).
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In seinem Beschluss vom 2. Mai 2017 (19 CS 16.2466 - juris, insbesondere Rn. 8 ff.; KommunalPraxis BY 2017, 275 - Leitsatz, NVwZ 2017, 1637/1638 - Leitsatz - und ZAR 2017, 339 - Leitsatz) hat sich der Senat detailliert mit der Unterschiedlichkeit der Prognosen bei Strafrestaussetzungen und Ausweisungsentscheidungen befasst. Diese Ausführungen gelten gleichermaßen für die Unterschiedlichkeit der Prognosen bei Strafrestaussetzungen und Verlustfeststellungsentscheidungen, sodass auf sie Bezug genommen werden kann. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 2. Mai 2017 dargelegt, dass die Rechtsordnung insoweit (hinsichtlich des Prognoserahmens) aus guten Gründen nicht einheitlich ist. Nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen ist zu berücksichtigen, dass die in diesen beiden Rechtsbereichen zu erstellenden Prognosen auf unterschiedlichen Rechtsvorschriften in einem jeweils eigenen Regelungskontext gründen und deshalb an unterschiedlichen Maßstäben zu orientieren sind (systematische Auslegung, vgl. etwa Zippelius, Juristische Methodenlehre, JuS-Schriftenreihe 93, 11. Aufl. 2012, §8 S. 36). Ein Beschluss über die Aussetzung des Strafrests trifft zur ausweisungsrechtlichen Frage, ob der Ausländer (auch) in Zukunft eine Bedrohung der öffentlichen Sicherheit darstellt, keine unmittelbar verwertbare Aussage; ihm ist insbesondere nicht die Überzeugung zu entnehmen, dass der Ausländer nach der Beendigung strafvollstreckungsrechtlicher Einwirkungen keine Bedrohung der öffentlichen Sicherheit mehr darstellen wird. Der Ausländer kann eine solche Bedrohung darstellen und die Strafrestaussetzung dennoch rechtmäßig sein. Die dezidierte Feststellung des Bundesverwaltungsgerichts, die Annahme einer Wiederholungsgefahr im Ausweisungsverfahren stelle kein Abweichen von der strafgerichtlichen Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung dar (B.v. 16.11.1992 - 1 B 197/92 - InfAuslR 1993, 121, juris Rn. 4, vgl. auch die eingehende Erläuterung im U.v. 15.1.2013, a.a.O., Rn. 19), gibt die Rechtslage zutreffend wieder.
59
Strafvollstreckungsrechtliche Entscheidungen, durch die die Vollstreckung der weiteren Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zur Bewährung ausgesetzt wird, haben eine Bedeutung, die der im zitierten Senatsbeschluss vom 2. Mai 2017 dargestellten Bedeutung der Strafrestaussetzungsentscheidung vergleichbar ist. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat nicht das Ziel, Gefahren für die öffentliche Sicherheit längerfristig zu unterbinden. Für eine Anordnung dieser Maßregel genügt die hinreichend konkrete Aussicht (ein vertretbares Risiko ist einzugehen, vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, §67d Rn. 11), dass durch sie der Verurteilte über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang bewahrt wird (§ 64 Satz 2 StGB), wobei „eine erhebliche Zeit“ in der Regel bereits ab einem Jahr angenommen werden kann (Schöch in Leipziger Kommentar StGB, 12. Aufl. 2008, §64 Rn. 136 und in Festschrift für Klaus Volk, 2009, S. 705). Eine langfristige Bewahrung vor dem Rückfall kann bereits deshalb nicht als Ziel der Unterbringung festgelegt werden, weil dann entsprechend lange Unterbringungszeiten erforderlich wären. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt als freiheitsentziehende Maßnahme darf jedoch nach §67 Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich (vorbehaltlich des Satzes 3 der Bestimmung) zwei Jahre nicht übersteigen, muss in jedem Fall verhältnismäßig sein (§ 62 StGB) und insoweit umso strengeren Voraussetzungen genügen, je länger die Unterbringung dauert (BVerfG, B.v. 19.11.2012 -2 BvR 193/12 - StV 2014, 148 ff.). Die Beendigung der Unterbringung nach §67d Abs. 5 Satz 1 StGB, „wenn die Voraussetzungen des §64 Satz 2 nicht mehr vorliegen“, ist somit bereits dann vorzunehmen, wenn für eine -im Vergleich zum ausländerrechtlichen Prognosehorizont - relativ kurze Zeitspanne die konkrete Aussicht (unter Eingehung eines vertretbaren Risikos) auf das Unterbleiben rechtswidriger Taten besteht. Nichts Anderes gilt für die Beendigung der Unterbringung nach §67d Abs. 2 Satz 1 StGB, „wenn zu erwarten ist, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird“, denn auch bei dieser strafvollstreckungsrechtlichen Entscheidung sowie bei der Erstellung eines Prognosegutachtens hierfür sind die begrenzte Zielsetzung der Unterbringung und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Für eine Evaluierung der Unterbringung zur Suchtbehandlung stehen nur wenige Untersuchungen zur Verfügung. Diesen zufolge wird mehr als die Hälfte der Straftäter, die aus dem Maßregelvollzug wegen guter Prognose (vorläufig) entlassen werden, innerhalb von zwei bis drei Jahren erneut straffällig. Bei etwas weniger als der Hälfte kommt es in diesem Zeitraum erneut zu einer Freiheitsstrafe oder zu einem Widerruf der Aussetzung des Maßregelvollzugs (vgl. Dessecker, Recht & Psychiatrie, 2004, 192, 197 ff.). Insgesamt ist nach der dargestellten Rechtslage das erforderliche Maß an Erfolgswahrscheinlichkeit für eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung und für eine entsprechende vorläufige Beendigung der Maßregel wesentlich kleiner als dasjenige für eine positive ausländerrechtliche Gefahrenprognose, weil aus der Sicht des Strafrechts auch die kleinste Resozialisierungschance genutzt werden muss. Das Strafrecht unterscheidet nicht zwischen Deutschen und Ausländern und berücksichtigt daher regelmäßig (die Ausnahmebestimmungen in §67 Abs. 2 Satz 4 und Abs. 3 Satz 3 StGB haben vorliegend wegen des offenen Ausweisungsverfahrens keine Anwendung gefunden) nicht die Möglichkeit, die Sicherheit der Allgemeinheit durch eine Aufenthaltsbeendigung zu gewährleisten.
60
Gemessen hieran und zusätzlich vor allem unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung beim Kläger - da maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung/Verlustfeststellung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 - 1 C 3/16 - juris Rn. 18; U.v. 30.7.2013 - 1 C 9.12 - juris Rn. 8 m.w.N.) -, kann durch Vornahme einer notwendigen Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände auch nicht der Schluss gezogen werden, dass durch die Bewährungsaussetzung der jeweiligen Vollstreckungen die vom Kläger ausgehende Gefahr soweit entfallen ist, dass dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung bzw. sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr gefährdet. Es liegt zum maßgeblichen Zeitpunkt (wie dargelegt) mit den oben aufgeführten Berichten der Bewährungshilfe eine wesentlich breitere Tatsachengrundlage zur Beurteilung der Wiederholungsgefahr vor. Die im Antragsverfahren neu aufgetretenen Umstände hat der Senat aufgrund seiner (dargelegten) Pflicht, eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen, zu berücksichtigen. Die Bewährungshilfeberichte führen (wie dargelegt) mehrfach Rückfälle des Klägers in den Betäubungsmittelkonsum (auch „harte“ Drogen betreffend) auf (Bericht vom 19.2.2021, 11.6.2021 12.8.2021 und 13.5.2022).
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Im Übrigen ist auch die Strafvollstreckungskammer trotz der die Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe aussetzenden Entscheidung vom 26. Februar 2020 der Auffassung, dass beim Kläger die Gefahr der weiteren Begehung von Straftaten besteht und dieser Gefahr vorgebeugt werden muss. Dies lässt sich dem Umstand entnehmen, dass eine fünfjährige Bewährungszeit (die gesetzliche Maximaldauer) und Führungsaufsicht festgelegt worden ist. Auch hat die Strafvollstreckungskammer den Kläger der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt und ihn u.a. angewiesen, keine Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes zu konsumieren und sich auf Weisung des Bewährungshelfers regelmäßig Urinkontrollen zu unterziehen. Die strafgerichtliche Aussetzungsentscheidung versteht sich insoweit als Erprobung, die der Kläger nicht erfolgreich absolviert hat.
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Im Übrigen haben dem Kläger zuzurechnende positive Prognosegesichtspunkte grundsätzlich auch deshalb wenig Gewicht, weil es allgemeiner Erfahrung entspricht, dass das laufende Ausweisungs-/Verlustfeststellungsverfahren einen erheblichen Legalbewährungsdruck erzeugt, also zu erheblichen Auswirkungen in Richtung Selbstdisziplin und Lebensordnung führen kann. Ein Ausweisungs-/Verlustfeststellungsverfahren entwickelt mindestens denselben Legalbewährungsdruck wie eine Straf- bzw. Maßregelaussetzung zur Bewährung. Eine drohende Ausweisung/Verlustfeststellung erzeugt insbesondere bei Personen mit Hafterfahrung (Ausgewiesene besitzen diese regelmäßig, auch beim Kläger ist dies der Fall) häufig einen Legalbewährungsdruck, der über denjenigen einer drohenden Inhaftierung hinausgeht; erst recht gilt dies für einen erlassenen, aber noch nicht bestandskräftigen Ausweisungs-/Verlustfeststellungsbescheid. Zu diesem Legalbewährungsdruck trägt wesentlich der Umstand bei, dass im Ausweisungs/Verlustfeststellungsverfahren aktuelle Entwicklungen zu berücksichtigen sind. Im vorliegenden Fall konnte allerdings sogar der Legalbewährungsdruck den Kläger nicht davon abhalten, in den Suchtmittelkonsum und in als überwunden behauptete Strukturen zurückzufallen. Dies bestätigt deutlich die nicht überwundene langanhaltende und tiefgreifende Drogenproblematik des Klägers.
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Zu § 6 Abs. 3 FreizügG/EU ist auszuführen:
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Selbst berücksichtigend, dass der ledige Kläger mit seiner langjährigen Freundin, die in N. wohnt, und zu seiner Schwester und deren Familie, die im gleichen Haus wie der Kläger wohnen, Kontakt hält (zuletzt Bewährungshilfebericht vom 29. Oktober 2021) sowie einer unbefristeten Beschäftigung nachgeht, ist im Hinblick auf die Schwere der strafgerichtlichen Verurteilung, die zutage getretene Bereitschaft des Klägers, bereits kurz nach seiner erneuten Einreise in das Bundesgebiet und erneut im Jahr 2017 skrupellos im Zusammenhang mit dem unerlaubten Handel mit Betäubungsmitteln (Heroin) Gesundheit und Leben anderer (mithin höchste Rechtsgüter) zu gefährden, zudem im Hinblick auf die langjährig bestehende und nicht erfolgreich behandelte Drogenproblematik beim Kläger, die relativ kurze Zeit bis zum Rückfallgeschehen nach der Aussetzung der weiteren Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung, des Weiteren in den Blick nehmend, dass die Herkunftsfamilie den Kläger nicht vom Konsum von Drogen und der Begehung von Straftaten abhalten konnte, vielmehr der Kläger zusammen mit seinem Bruder und seinem Neffen die Anlasstat beging, zudem auch bei Begehung der Straftaten teilweise berufstätig war, dennoch aufgrund des damals wie heute mäßigen Beschäftigungsentgelts einen illegalen Weg suchte, seinen Drogenkonsum zu finanzieren, weiterhin davon auszugehen, dass das persönliche Verhalten des Klägers eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt. Der Kläger hat keine Berufsausbildung. Nach den Feststellungen des Strafgerichts fehlt ihm auch ein Schulabschluss („er besuchte nur 5Jahre die Schule“). Offensichtlich haben die (teilweisen) früheren Beschäftigungen des Klägers als Saisonarbeiter oder in der Bäckerei des Bruders zur Bestreitung seiner Drogensucht nicht ausgereicht, so dass auch deshalb von einer erheblichen Gefahr für die Begehung weiterer Straftaten bei einem Rückfall zur Beschaffung von Geld für Drogen trotz seiner vorgetragenen momentanen Beschäftigung auszugehen ist.
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Soweit der Kläger rügt, es bestünden deshalb ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts, weil dieses einen psychiatrischen Sachverständigen nicht hinzugezogen habe, ist auszuführen: Bei der Prognoseentscheidung zur Wiederholungsgefahr bewegt sich das Gericht regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die Gerichten allgemein zugänglich sind. Gerade die Frage der Wiederholungsgefahr nach strafrechtlichen Verurteilungen kann daher grundsätzlich von den Gerichten im Wege einer eigenständigen Prognose ohne Zuziehung eines Sachverständigen beurteilt werden. Denn die Frage, ob von einem Ausländer eine Wiederholungsgefahr ausgeht, ist keine Tatsache, sondern eine rechtliche Frage (stRspr, BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 1 C 20/11 - juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 10.10.2017 - 19 ZB 16.2636 - juris Rn. 36; B.v. 8.11.2017 -10 ZB 16.2199 - juris Rn. 7 m.w.N.). Eine Ausnahme kommt danach nur in Betracht, wenn die Prognose die Feststellung oder Bewertung von Umständen voraussetzt, für die eine dem Richter nicht zur Verfügung stehende Sachkunde erforderlich ist, wie es z.B. bezüglich der Frage des Vorliegens oder der Auswirkungen eines seelischen Leidens der Fall sein kann (BVerwG, B.v. 4.5.1990 - 1 B 82/89 - juris Rn. 7; U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris Rn. 5). Ein solcher Fall liegt hier schon deshalb nicht vor, weil im strafgerichtlichen Urteil vom 4. September 2017 eine Betäubungsmittelabhängigkeit des Klägers festgestellt worden ist und frühere Suchtbehandlungsversuche (u.a. drei Therapien gem. §35 BtMG; Substitutionsprogramm) nicht erfolgreich waren. Bis zum Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichts am 20. Juli 2020 wurde zwar zuletzt der Maßregelvollzug (Unterbringung in einer Entziehungsanstalt) bis zur Entscheidung der Strafvollstreckungskammer am 26. Februar 2020, diesen zur Bewährung auszusetzen, abgeschlossen. Jedoch gab es bereits in der Speichelprobe des Klägers vom 16. November 2020 einen positiven Befund auf Amphetamin und Methamphetamin, Anfang März 2021 war der Kläger rückfällig mit Cannabis und eine Speichelprobe Ende März 2021 war positiv auf Metamphetamin. Am 25. Oktober 2021 gab es beim Kläger einen positiven Befund auf Morphin und am 6. und 21. Dezember 2021 auf Heroin. In der Verlaufsmitteilung über den Kläger vom Bezirkskrankenhaus P. vom 7. Januar 2022 ist dazu vermerkt: „Rückfallbearbeitung und Überarbeitung der Strategien noch ausstehend.“ Der Bewährungshilfebericht vom 13. Mai 2022 führt in diesem Zusammenhang aus, dass der Kläger weiterhin in einer Allgemeinarztpraxis in F. substituiert werde. Trotz der verschiedenen Unterstützungsmaßnahmen gelinge es dem Kläger bisher noch nicht, eine anhaltende Abstinenz dauerhaft beizubehalten. Da der Kläger die Anlasstat (Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln) - auch - begangen hat, weil er „durch den Verkaufserlös jeweils auch seinen erheblichen Eigenkonsum finanzieren“ wollte (vgl. die Ausführungen im strafgerichtlichen Urteil vom 4. September 2017; einer beruflichen Tätigkeit ging der Kläger vor der strafgerichtlichen Verurteilung nicht nach; neben dem täglichen Konsum seines Substitutionsmittels Methadon konsumierte der Kläger in den letzten 6 - 7Monaten vor der Tat mit seiner Partnerin 25-30 g Heroin pro Monat und zudem in regelmäßigen Abständen Kokain und MDMA, seltener Metamphetamin sowie gelegentlich synthetische Cannabinoide), war für die Prognoseentscheidung eine besondere Sachkunde nicht erforderlich. Zwar hat der Kläger derzeit eine unbefristete Beschäftigung mit einem Nettoverdienst zwischen 1.500 und 2.000 €, es liegt jedoch auf der Hand, dass selbst dieser Verdienst nicht ausreichen würde, um einen Drogenkonsum, wie ihn der Kläger vor der strafgerichtlichen Verurteilung praktizierte, damit zu finanzieren. Im Übrigen hat der Senat im Hinblick auf den Werdegang und die Einschätzung des Klägers die vorliegenden fachlichen (auch psychiatrischen) Aussagen, zur Kenntnis genommen, bewertet und auch im hiesigen Verfahren berücksichtigt. Allerdings besteht (wie dargelegt) für die hier inmitten stehende ausländerrechtliche Prognoseentscheidung ein abweichender (nicht strafvollstreckungsrechtlich, sondern ausländerrechtlich zu beurteilender) Maßstab. Dennoch hat der Senat auch in den Blick genommen, dass sich die hinsichtlich der strafvollstreckungsrechtlichen Entscheidung des Landgerichts herangezogenen fachlichen (psychiatrischen) Prognosen (wegen des massiven Rückfallgeschehens) als unzutreffend herausgestellt haben. Dieser Umstand erlaubt im Übrigen zusätzlich ein Abweichen von der strafvollstreckungsrechtlichen Entscheidung des Landgerichts. Der Senat konnte mithin (ausgehend von einer umfassenden Berücksichtigung aller Umstände) nicht nur einen eigenständigen ausländerrechtlichen Maßstab im Hinblick auf die vom Kläger ausgehende Wiederholungsgefahr anwenden, sondern auch die Auswirkungen des (dem Landgericht bei seiner Entscheidung noch nicht bekannten) massiven Rückfallgeschehens des Klägers bewerten.
66
1.1.2 Soweit der Kläger rügt, dass das Verwaltungsgericht die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme nicht beachtet habe, diese seien nämlich durch das Abweichen von der Strafvollstreckungsentscheidung, ohne dass das Abweichen auf einer breiteren Tatsachengrundlage beruhen würde, nicht verhältnismäßig, kann dies keine ernstlichen Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit verwaltungsgerichtlichen Urteils begründen. Wie bereits oben ausgeführt, ist die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass beim Kläger eine Wiederholungsgefahr besteht, im Ergebnis zutreffend, wie insbesondere die aktuelle Entwicklung beim Kläger belegt (Rückfälle in den Betäubungsmittelkonsum).
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Soweit der Kläger rügt, dass das Abwägungsgebot im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung, insbesondere im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 6 GG und Art. 8 EMRK und dem langjährigen Inlandsaufenthalt des Klägers vom Verwaltungsgericht nicht beachtet worden sei, ist darauf hinzuweisen, dass sowohl die Beklagte in ihrem Bescheid vom 12. September 2018 (dort S. 8f.) und auch das Verwaltungsgericht in seinem Urteil (dort S. 21) zwar knapp, aber zutreffend diese Gesichtspunkte berücksichtigt hat.
68
1.1.3 Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Beklagte habe das ihr eingeräumte Ermessen bei Erlass der Verlustfeststellung pflichtgemäß ausgeübt, ist nicht zu beanstanden.
69
Soweit der Kläger rügt, dass die Ermessensausübung der Beklagten fehlerhaft gewesen sei, weil die Beklagte weder berücksichtigt habe, dass der Kläger die Behandlung im Maßregelvollzug erfolgreich abgeschlossen habe, noch dass er Vollzeit und unbefristet beschäftigt sei, ist darauf hinzuweisen, dass diese Gesichtspunkte von der Beklagten sowohl im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 20. Juli 2020 aufgenommen und in die Ermessenserwägungen einbezogen wurden als auch nochmals in der Antragserwiderung vom 10. Dezember 2020 schriftsätzlich wiederholt und ergänzt wurden. Durch diese Anpassung und Ergänzung ihrer Ermessenserwägungen nach §114 Satz 2 VwGO ist die Beklagte im Hinblick auf den maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt jedoch ihrer Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Entscheidung nachgekommen. Im Übrigen hat die Beklagte ermessensfehlerfrei festgestellt, dass das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung das private Interesse des Unionsbürgers an seinem Verbleib im Bundesgebiet deutlich überwiegt. Die Beklagte hat in ihrer Ermessensentscheidung zutreffend die Art und Schwere der vom Kläger begangenen Straftaten (insbesondere die Drogenstraftaten), die Dauer des Aufenthalts des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland (erste Einreise 1996 mit 24 Jahren, zweite Einreise 2002; damit kein deutliches zeitliches Überwiegen des Aufenthalts des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland), die familiäre Situation des Klägers (der Kläger ist ledig, hat einen volljährigen Sohn in Italien, zu dem nach seinem Vortrag kein Kontakt besteht und hält laut den Bewährungshilfeberichten vom 15.6.2020, 19.2.2021 und 29.10.2021 „Kontakt“ mit einer deutschen Freundin/Lebensgefährtin, die nicht mit dem Kläger zusammenwohnt, sondern in N. lebt), die soziale und kulturelle Integration in der Bundesrepublik Deutschland und das Ausmaß der Bindung zum Heimatstaat des Klägers berücksichtigt. Es war insoweit (andererseits in den Blick nehmen, dass der Kläger berufstätig ist) zu berücksichtigen, dass der Kläger im Bundesgebiet vielfach straffällig geworden und dafür teilweise erheblich belangt worden ist. Insbesondere seine im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen (u.a. Schwester, Bruder, Neffe) haben den Kläger nicht davon abgehalten, auch „harte“ Drogen zu konsumieren und (auch) erhebliche Straftaten zu begehen. Vielmehr hat er die Anlassstraftat zusammen mit seinem Bruder und seinem Neffen begangen. In Anbetracht der Schwere der vom Kläger begangenen Straftaten und der von ihm ausgehenden Wiederholungsgefahr ist es für diese Familienangehörigen zumutbar, den Kontakt auf andere Weise aufrechtzuerhalten. Der Senat teilt zudem die Auffassung der Beklagten und des Verwaltungsgerichts, es sei davon auszugehen, dass der Kläger mit der italienischen Sprache und der Kultur seines Heimatlandes vertraut sei, da er in Italien aufgewachsen sei und einen Großteil seines Lebens dort verbracht habe.
70
Soweit der Kläger (ohne nähere Begründung) rügt, dass sowohl von der Beklagten als auch dem Verwaltungsgericht nicht gesehen worden sei, dass es der deutschen Lebensgefährtin nicht zumutbar sei, nach Italien umzusiedeln, ist es in Anbetracht der Schwere der vom Kläger begangenen Straftaten und der von ihm ausgehenden Wiederholungsgefahr der mit dem Kläger nicht zusammenwohnenden Freundin/Lebensgefährtin jedenfalls ersichtlich möglich, den Kontakt auf andere Weise aufrecht zu erhalten.
71
Somit hat die Beklagte in rechtlich nicht zu beanstandender Weise das öffentliche Interesse an einer Beendigung des Aufenthalts des Klägers höher gewichtet als dessen Interesse, weiterhin im Bundesgebiet zu leben.
72
1.2 Soweit der Kläger rügt, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht die Befristungsentscheidung der Beklagten nicht beanstandet habe, insbesondere weil die Beklagte nicht berücksichtigt habe, dass der Kläger unter Bewährungs- und Führungsaufsicht stehe und sie die Arbeitsstelle unzutreffend gewürdigt habe, nicht ausreichend berücksichtigt worden sei, dass der Kläger nicht nur den Maßregelvollzug erfolgreich abgeschlossen habe, sondern auch weiterhin eine positive Prognose seitens des Bezirksklinikums ausgestellt worden sei, die Beklagte zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass die Behandlung nur geringen Wert habe, da der Kläger schon zuvor Behandlungen absolviert habe, das Verwaltungsgericht zu Unrecht nicht beanstandet habe, dass die Beklagte nicht gewürdigt habe, dass die Anlasstat erhebliche Zeit zurück liege und zwischenzeitlich Strafhaft bzw. die Maßregel vollzogen worden sei und die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Frist deshalb verhältnismäßig sei, weil sie später verkürzt werden könne, nicht tragfähig sei, ergeben sich daraus keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Hinblick auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach §7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU.
73
Die Wirkungen der Verlustfeststellung sind gem. § 7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU von Amts wegen zu befristen. Dabei ist jeweils auf die aktuelle Tatsachenlage im Zeitpunkt der Überprüfungsentscheidung abzustellen (EuGH, U.v. 17.6.1997 - C-65/95, C-111/95 - juris Rn. 39 ff.). Die Frist ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen und darf fünf Jahre nur in den Fällen des §6 Abs. 1 FreizügG/EU überschreiten (§ 7 Abs. 2 Satz 6 FreizügG/EU). Eine Höchstfrist für Verlustfeststellungen nach §6 Abs. 1 FreizügG/EU ist nicht vorgesehen (BVerwG, U.v. 25.3.2015 - 1 C 18/14 - juris Rn. 23).
74
Es ist in einem ersten Schritt eine an dem Gewicht des Grundes für die Verlustfeststellung sowie dem mit der Maßnahme verfolgten spezialpräventiven Zweck orientierte äußerste Frist zu bestimmen. Hierzu bedarf es der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Verlustfeststellung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr mit Blick auf die im vorliegenden Fall bedeutsame Gefahrenschwelle des §6 Abs. 1 FreizügG/EU zu tragen vermag. Im Fall einer langfristig fortbestehenden Rückfall- bzw. Gefährdungsprognose ist ein langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise nicht ausgeschlossen. In der Regel stellt ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont dar, für den eine Prognose realistischer Weise noch gestellt werden kann. Weiter in die Zukunft lässt sich die Persönlichkeitsentwicklung - insbesondere jüngerer Menschen - kaum abschätzen, ohne spekulativ zu werden (BVerwG, U.v. 25.3.2015 - 1 C 18/14 - juris Rn. 27).
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Die sich an der Erreichung des Zwecks der Verlustfeststellung orientierende äußerste Frist muss sich in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. unionsrechtlichen Vorgaben und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen messen, und gegebenenfalls relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet ein rechtsstaatliches Mittel dafür, fortwirkende einschneidende Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen. Dabei sind insbesondere die in §6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten schutzwürdigen Belange des Unionsbürgers in den Blick zu nehmen. Die Abwägung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, die auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls nach Gewichtung der jeweiligen Belange vorzunehmen ist, kann im Extremfall auch zu einer Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt führen (BVerwG, U.v. 25.3.2015 - 1 C 18/14 - juris Rn. 28).
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Die von der Beklagten getroffene Abwägung ist - auch und gerade unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklungen - nicht zu beanstanden. Bei der bereits festgestellten erheblichen Wiederholungsgefahr und den zu berücksichtigenden persönlichen und familiären Bindungen (vgl. die Ausführungen zu Nr. 1.1) lässt die durch die Beklagte vorgenommene Fristbemessung keinen Rechtsfehler zulasten des Klägers erkennen; insbesondere gebietet auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angesichts der dargelegten Umstände keine Festsetzung einer Frist von weniger als acht Jahren. Da auf die aktuelle Tatsachenlage im Zeitpunkt der Überprüfungsentscheidung abzustellen ist, sind vor allem die aktuell mehrfachen Rückfälle des Klägers in den Drogenmissbrauch trotz laufender Bewährung und Führungsaufsicht mit entsprechenden Weisungen zu berücksichtigen; daher kann gerade nicht - anders als dies der Kläger meint - von einem erfolgreichen Abschluss des Maßregelvollzugs ausgegangen werden. Vor diesem aktuellen Hintergrund ist - wie bereits ausgeführt - von einer langfristig fortbestehenden Rückfall- bzw. Gefährdungsprognose auszugehen, die die erhebliche Dauer der Wirkungen der Verlustfeststellung rechtfertigt; der zugunsten des Klägers sprechende positive Umstand einer unbefristeten Arbeitsstelle kann den erheblich negativen Umstand des Rückfalls in den Drogenmissbrauch bei der Abwägung jedoch nicht maßgeblich beeinflussen. Zukünftig eintretende Umstände wären im Rahmen eines Antrags nach §7 Abs. 2 Satz 8 FreizügG/EU zu berücksichtigen.
77
1.3 Soweit der Kläger rügt, dass entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts im Falle des Klägers ein Fall des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU vorläge und insoweit von dem Verwaltungsgericht nicht gesehen worden sei, dass der Kläger im Hinblick auf seine Beschäftigung, die in die Gesamtwürdigung mit einzubeziehen sei, bereits vor der Verurteilung bzw. dem Strafvollzug bzw. Maßregelvollzug integriert gewesen sei, zudem die Entscheidung der Beklagten erst ergangen sei, als sich der Kläger bereits nicht mehr in Strafhaft befunden habe (er habe sich bereits im Maßregelvollzug, an dem er erfolgreich mitgewirkt habe, befunden), sodass zu diesem Zeitpunkt bereits neue Integrationsleistungen erbracht worden seien und in der Vollstreckung von Strafhaft und Maßregelvollzug liege gerade kein Abbruch der Integrationsbande, begründet dieses Vorbringen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
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Wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, liegen im Falle des Klägers sowohl schwerwiegende Gründe (§ 6 Abs. 4 FreizügG/EU) als auch zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit (§ 6 Abs. 5 FreizügG/EU) für eine Verlustfeststellung vor.
79
Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit können nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe vom mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherheitsverwahrung angeordnet wurde, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn von Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht, §6 Abs. 5 Satz 2 FreizügG/EU. Der Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne des §6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU, der der Umsetzung des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der RL 2004/38/EG dient, setzt nicht nur das Vorliegen einer Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit voraus, sondern darüber hinaus, dass die Beeinträchtigung einen besonders hohen Schweregrad aufweist. Eine Ausweisungsmaßnahme ist hier auf außergewöhnliche Umstände begrenzt (EuGH, U.v. 23.11.2010 - C-145/09- juris Rn. 40 f.). Eine Beschränkung auf die äußere und innere Sicherheit des Mitgliedsstaats sowie den bandenmäßigen Betäubungsmittelhandel besteht nicht. Den Mitgliedstaaten steht es frei, Straftaten wie die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) angeführten als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, die geeignet ist, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen, und die damit unter den Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit fallen kann, mit denen eine Ausweisungsverfügung gerechtfertigt werden kann, sofern die Art und Weise der Begehung solcher Straftaten besonders schwerwiegende Merkmale aufweist (EUGH, U.v. 22.5.2012 - C-348/09 - juris Rn. 33).
80
Es ist daher zutreffend, wenn das Verwaltungsgericht auch das Vorliegen von zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit für eine Verlustfeststellung annimmt, da der Kläger zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden ist und es sich bei der Verhinderung von Drogenhandel nach der gebotenen Prüfung des vorliegenden Einzelfalls um einen zwingenden Grund der öffentlichen Sicherheit handelt (vgl. EuGH, U.v. 23.11.2010 - C-145/09 - juris Rn. 39 ff.). Die begangenen Drogenstraftaten sind als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, die geeignet sind, die Ruhe und die Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen. Der - auch vom Kläger betriebene - illegale Drogenhandel gehört zu den schweren, die Grundinteressen der Gesellschaft berührenden und schwer zu bekämpfenden Straftaten (Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV, vgl. bereits die Ausführungen zu 1.1). Wenn das Verwaltungsgericht insoweit berücksichtigt, dass der Kläger bei Begehung der Anlasstaten bereits mehrfach vorbestraft war und er seit mehreren Jahrzehnten selbst intensiv drogensüchtig war, ist dies nicht zu beanstanden, da diese Umstände bei Tatbegehung vorgelegen haben und die besondere vom Kläger ausgehende Gefahr verdeutlichen. Zudem macht die Art des Rauschgifts und seine Gefährlichkeit die Straftaten zu besonders schwerwiegenden. Der Kläger hat vorliegend nicht etwa mit einer weichen Droge, sondern vielmehr mit Heroin gehandelt (vgl. zum Stufenverhältnis BGH, B.v. 14.8.2018 - 1 StR 323/18 - juris Rn. 4), das eine der gefährlichsten harten Drogen darstellt und dessen Konsum sehr schnell zu einer starken körperlichen und seelischen Abhängigkeit führt (BVerwG, U.v. 14.5.1997 - 1 D 58/96 - juris Rn. 39).
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Zwar verkennt der Senat nicht - wie bereits mehrfach ausgeführt -, dass die (nunmehr auch unbefristete) Beschäftigung des Klägers einen positiven Aspekt bei der Feststellung von Integrationsbemühungen des Klägers darstellt; jedoch zeigt der zu Ungunsten des Klägers sprechende Umstand der mehrfachen Rückfälle in den Drogenmissbrauch während der Bewährungszeit und unter Führungsaufsicht einen fehlenden dauerhaften Einstellungswandel und eine fehlende innerlich gefestigte Verhaltensänderung beim Kläger.
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2. Der ebenfalls geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels gem. §124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Berufung, da die von dem Kläger geltend gemachten Verfahrensfehler (Beweisanträge seien zu Unrecht abgelehnt worden und es läge eine Aufklärungsmangel vor, da das Verwaltungsgericht die Strafvollstreckungsakte nicht beigezogen, aber aus dieser Rückschlüsse gezogen habe), nicht vorliegen.
83
2.1. Aus dem Zulassungsvorbringen ergibt sich nicht, dass die in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gestellten förmlichen Beweisanträge des Klägers durch das Verwaltungsgericht verfahrensfehlerhaft abgelehnt worden sind.
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Der Kläger rügt insoweit, dass die Ablehnungen der in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gestellten Beweisanträge gegen § 86 VwGO verstoßen würden. Hinsichtlich des Beweisantrages Nr. 2 [Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens zum Beweis der Tatsache, dass die Annahme der Beklagten, dass in einem Alter von 46 Jahren oder mehr sich der Charakter eines Menschen nicht mehr grundlegend verändert, auf keiner wissenschaftlichen Grundlage beruht und vielmehr kriminalprognostische ein höheres Alter einen günstigen Faktor darstellt] habe das Verwaltungsgericht verkannt, dass dieser nicht die Prognose des Gerichts betraf, sondern von der Beklagten unzulässig eingestellte Ermessensgesichtspunkte bzw. Prognosemerkmale, gerade auch im Rahmen der Einreisesperre. Das Ermessen der Beklagten habe das Verwaltungsgericht aber nicht etwa ersetzen können. Es hätte daher die unter Beweis gestellte Frage aufklären müssen. Denn wäre dem Antrag nachgekommen worden, wäre das Beweisergebnis gewesen, dass die Annahme der Beklagten, dass sich eine Person im Alter des Klägers nicht mehr grundlegend ändere, auf keiner wissenschaftlichen Grundlage beruhe und vielmehr kriminalprognostisch ein höheres Alter einen günstigen Faktor darstelle. Es hätte sodann den Bescheid aufgehoben, weil die Beklagte zu Unrecht ihr Ermessen auf diese Behauptung einer Unveränderlichkeit des Charakters gestützt habe und zudem auf dieser unzutreffenden Annahme die Befristungsentscheidung vorgenommen habe und die Wiederholungsgefahr bejaht habe.
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Auch dem Beweisantrag zu 1 [Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens zum Beweis der Tatsache, dass aufgrund von dem Kläger die Begehung von Straftaten, insbesondere auch im Betäubungsmittelbereich, nicht zu erwarten sei] hätte das Gericht aufgrund des Aufklärungsgrundsatzes nachgehen müssen bzw. habe ihn nicht mit dieser Begründung ablehnen dürfen. Wäre es dem Antrag nachgekommen, hätte es ein Sachverständigengutachten eingeholt, das zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass bei dem Kläger aus sachverständiger Sicht die Begehung von Straftaten, insbesondere auch im Betäubungsmittelbereich, nicht zu erwarten sei und hätte dies auch fachlich begründet, so dass das Verwaltungsgericht hieraus zu der Prognose gelangt wäre, dass keine hinreichende Gefahr der Begehung von Straftaten vorliege und somit keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung im tatbestandlichen Umfang vorhanden sei. Denn der Sachverständige hätte anhand forensisch anerkannter Begutachtungsmethoden die Gefahr der Begehung von Straftaten ermittelt und die wesentlichen Merkmale herausgearbeitet. Das Verwaltungsgericht wäre nicht etwa davon ausgegangen, dass der einmalige Alkoholkonsum ein wesentliches Kriterium gewesen sei. Es wäre weiter nicht davon ausgegangen, dass frühere Suchtbehandlungen den Erfolg der erstmaligen Behandlung im Maßregelvollzug in dem dort vorhandenen Umfang und Verlauf abschwächen würde und dennoch von einer konkreten Wiederholungsgefahr ausgegangen wäre. Ebenso hätte der Sachverständige dargelegt, dass das soziale Umfeld des Klägers und die Berufstätigkeit wesentliche, günstige Prognosemerkmale seien, sodass das Verwaltungsgericht diese auch entsprechend gewürdigt hätte und zu einer günstigen Prognose gelangt wäre. Das Verwaltungsgericht hätte den Beweis nicht ablehnen dürfen, weil nicht vorgetragen worden sei, dass bei dem Kläger keine psychische Erkrankung vorgelegen habe. Das Gegenteil sei richtig, der Kläger habe hierzu konkret in der Begründung des Beweisantrags vorgetragen. Außerdem gehe das Verwaltungsgericht ja selbst von einer Abhängigkeitserkrankung aus. Dabei handele es sich unzweifelhaft um eine psychische Störung, die in einem psychiatrischen Krankenhaus behandelt worden sei (UA S. 5). Die Entscheidung sei daher in sich widersprüchlich. Unbeschadet dessen wäre dem Antrag schon deshalb nachzugehen gewesen, da die Beklagte selbst kein Gutachten eingeholt habe, aber zwischenzeitlich eine Strafvollstreckungsentscheidung ergangen gewesen sei. Da aber weder die Beklagte noch das Verwaltungsgericht über eine breitere Tatsachengrundlage als die Strafvollstreckungskammer verfügen würden noch überhaupt die Stellungnahmen und Gutachten beigezogen habe, habe sie bereits aus Verfassungsgründen nicht ohne Einholung eines Gutachtens entscheiden dürfen, da im Falle des Klägers der Grund- und Menschenrechtseingriff im Hinblick auf die lange Dauer, die Verbindung zu seiner Familie und Lebensgefährtin, der drohende Arbeitsplatzverlust und das erfolgreiche Absolvieren des Maßregelvollzugs die strenge Prüfung einer abweichenden Prognose erfordern würden, für die es nicht ausreichend sei, sich auf allgemeine Erkenntnisse zu berufen, ohne ein kriminal-prognostisches Gutachten einzuholen. Dies gelte umso mehr, als auch noch eine Prognose über den Zeitraum von acht Jahren erstellt werden solle, die bereits ohnehin außerhalb des Erkenntnisbereichs liege.
86
Das Verwaltungsgericht hat die beiden vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge zu Recht abgelehnt.
87
Die Frage, ob das vorinstanzliche Verfahren an einem Mangel leidet, ist vom materiell-rechtlichen Standpunkt der Vorinstanz aus zu beurteilen, selbst wenn dieser Standpunkt verfehlt sein sollte (BVerwG, B.v. 30.12.2016 - 9 BN 3/16 - juris Rn. 4). Die Ablehnung eines förmlichen (unbedingt gestellten) Beweisantrags ist nur dann verfahrensfehlerhaft, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. §86 Abs. 2 VwGO, §244 StPO). Ein Beweisantrag ist unter anderem unzulässig und kann abgelehnt werden, wenn es sich um einen Ausforschungs- und Beweisermittlungsantrag handelt, wenn er also lediglich zum Ziel hat, Zugang zu einer bestimmten Informationsquelle zu erlangen, um auf diesem Wege Anhaltspunkte für neuen Sachvortrag zu gewinnen. Auch Beweisanträge, die so unbestimmt sind, dass im Grunde erst die Beweiserhebung selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen und Behauptungen aufdecken kann, müssen regelmäßig dem Gericht eine weitere Sachaufklärung nicht nahelegen und können als unsubstantiiert abgelehnt werden. So liegt es, wenn für den Wahrheitsgehalt der Beweistatsache nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, das heißt, wenn sie mit anderen Worten ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich „aus der Luft gegriffen“, „ins Blaue hinein“, also „erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage“ behauptet worden sind (BVerwG, B.v. 30.5.2014 - 10 B 34.14 - juris Rn. 9 m.w.N.).
88
Das Verwaltungsgericht hat den Beweisantrag Nr. 2 mit der Begründung abgelehnt, dass das Gericht eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr für die Person des Klägers treffe.
89
Davon ausgehend hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag Nr. 2 nicht zu Unrecht abgelehnt. Wie bereits oben ausgeführt, kann das Verwaltungsgericht grundsätzlich - wie auch hier - die Gefährdungsprognose selbst erstellen und muss dazu kein fachpsychiatrisches Gutachten einholen. Soweit der Kläger nunmehr in der Zulassungsbegründung ausführt, dass dieser Beweisantrag nicht die Prognose des Gerichts betroffen habe, sondern von der Beklagten unzulässig eingestellte Ermessensgesichtspunkte bzw. Prognosemerkmale, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Zum einen findet sich die Passage in dem Bescheid der Beklagten („Sie sind 46 Jahre alt und in einem Alter, in dem sich der Charakter eines Menschen nicht mehr grundlegend verändert.“) tatsächlich bei der Prognose über die Wiederholungsgefahr durch den Kläger und nicht bei den Ermessenserwägungen durch die Beklagte. Auch geht es im vorliegenden Fall bei der Prognose zu einer Wiederholungsgefahr nicht darum, ob höheres Alter generell kriminalprognostisch einen günstigen Faktor darstellt, sondern darum, ob es in der konkret vorliegenden Fallgestaltung insbesondere unter Berücksichtigung der bisherigen Straftaten des Klägers eine ausreichende Wahrscheinlichkeit für die Begehung weiterer Straftaten durch den Kläger gibt. Auch haben das Verwaltungsgericht und der Senat die vorliegenden sachverständigen Äußerungen (auf die sich auch die Strafvollstreckungskammer gestützt hat) zur Kenntnis genommen, berücksichtigt und bewertet. Allerdings weicht (wie dargelegt) der Maßstab der ausländerrechtlichen Prognose von demjenigen der strafvollstreckungsrechtlichen Prognose ab. Im Übrigen ist auch an dieser Stelle nochmals darauf hinzuweisen, dass die aktuelle Rückfälligkeit des Klägers in den Drogenmissbrauch gerade belegt, dass eine merkliche und nachhaltige Verhaltensänderung bei dem Kläger eben gerade nicht eingetreten ist.
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Das Verwaltungsgericht hat den Beweisantrag Nr. 1 mit der Begründung abgelehnt, dass die Kammer eine Prognose zur Wiederholungsgefahr selbst zu treffen vermöge. Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BVerwG, B.v. 11.9.2015 - 1 B 39/15 - juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 23.1.2020 - 10 ZB 19.2235 - juris Rn. 8) bewege sich die Kammer als Tatsachengericht bei der Gefahrenprognose im Fall der Freizügigkeitsaberkennung eines Ausländers, der strafgerichtlich verurteilt wurde, regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die dem Richter allgemein zugänglich seien. Der Hinzuziehung eines Sachverständigen bedürfe es nur ausnahmsweise, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände - etwa bei der Beurteilung psychischer Krankheiten - nicht ohne spezielle dem Gericht nicht zur Verfügung stehende fachliche Erkenntnisse erstellt werden könne. Solche Umstände seien nicht vorgetragen worden.
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Wie bereits dargelegt, ist die Frage, ob von einem Ausländer eine Wiederholungsgefahr ausgeht, rechtlicher Natur. Bei der Prognoseentscheidung zur Wiederholungsgefahr bewegt sich das Gericht regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die Gerichten allgemein zugänglich sind. Gerade die Frage der Wiederholungsgefahr nach strafrechtlichen Verurteilungen kann daher grundsätzlich von Gerichten im Wege einer eigenständigen Prognose ohne Zuziehung eines Sachverständigen beurteilt werden (stRspr, BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 1 C 20/11 - juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 10.10.2017 - 19 ZB 16.2636 - juris Rn. 36, B.v. 8.11.2017 - 10 ZB 16.2199 - juris Rn. 7 m.w.N.). Eine Ausnahme kommt danach nur in Betracht, wenn die Prognose die Feststellung oder Bewertung von Umständen voraussetzt, für die eine dem Richter nicht zur Verfügung stehende Sachkunde erforderlich ist, wie es z.B. bezüglich der Frage des Vorliegens oder der Auswirkungen eines seelischen Leidens der Fall sein kann (BVerwG, B.v. 4.5.1990 - 1 B 82/89 - juris Rn. 7).
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Ein solcher Fall, bei dem ein Sachverständigengutachten ausnahmsweise als Hilfestellung in Betracht kommt (ohne die Prognoseentscheidung des Tatrichters zu ersetzen, BVerwG, U.v. 13.3.2009 - 1 B 20.08 - juris Rn. 5), liegt hier - wie bereits ausgeführt - nicht vor. Im Übrigen hat der Senat wie das Verwaltungsgericht die sachverständigen Äußerungen (die auch der Strafvollstreckungskammer vorlagen) zur Kenntnis genommen, berücksichtigt und bewertet. Diese Bewertung weicht jedoch (wie dargelegt) für die ausländerrechtliche Prognose von der strafvollstreckungsrechtlichen Prognose ab.
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Davon ausgehend hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag Nr. 1 nicht zu Unrecht abgelehnt. Die vom Verwaltungsgericht für die Ablehnung des Beweisantrags gegebene Begründung ist zutreffend und daher nicht zu beanstanden.
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2.2. Das Verwaltungsgericht hat seine Sachaufklärungspflicht nach §86 Abs. 1 VwGO nicht verletzt, indem es die Strafvollstreckungsakte des Klägers nicht beigezogen hat.
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Der Kläger trägt vor, es liege ein Aufklärungsmangel vor, da das Verwaltungsgericht trotz des Gebots des Amtsaufklärungsgrundsatzes die Strafvollstreckungsakte nicht beigezogen habe, aber aus dieser Rückschlüsse gezogen habe. Das Verwaltungsgericht stütze sich darauf, dass das Landgericht R. einen Bericht eines Beraters zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht habe, ohne diesen Bericht überhaupt beizuziehen. Hätte das Verwaltungsgericht die Strafvollstreckungsakte beigezogen, hätte es zunächst festgestellt, dass die Strafvollstreckungskammer sich nicht auf einen Bericht eines Beraters vom 12.09.2019 gestützt habe, sondern auf eine umfassende Stellungnahme der Leitung der Forensischpsychiatrischen Klinik im Bezirksklinikum P. vom 18.12.2019. „Weiterhin hätte es festgestellt, dass der Akte auch das Urteil des Landgerichts N.-F. vom 04.09.2017“. Es hätte weiter festgestellt, dass vor der Aussetzungsentscheidung eine mündliche Anhörung stattgefunden habe, in der auch die Therapeutin des Bezirkskrankenhauses - u.a. zum einmaligen Vorfall mit Alkohol - angehört worden sei und zudem sämtliche weitere gutachterliche Stellungnahmen im Rahmen der Fortdauerentscheidungen Aktengegenstand gewesen seien. Das Verwaltungsgericht wäre sodann nicht zu der Annahme gelangt, dass es sich bei der gutachterlichen Stellungnahme vom 18.12.2019 lediglich um einen einseitigen Bericht eines Beraters, sondern eine differenzierte Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses im Rahmen seiner gesetzlichen Pflicht gehandelt habe, die Strafvollstreckungskammer sich zudem habe sachverständig beraten lassen und keineswegs davon ausgegangen werden könne, die Strafvollstreckungskammer habe nicht berücksichtigt, welche Straftaten der Kläger begangen habe, welche Therapien er durchlaufen habe und zu welchen Rückfällen es vormalig gekommen sei und welche Drogen er konsumiert habe. Das Verwaltungsgericht hätte in der Folge keine negative Prognose getroffen, sondern wäre ebenso wie die Strafvollstreckungskammer von einer günstigen Prognose ausgegangen und hätte den Bescheid aufgehoben. Das Verwaltungsgericht sei auch zur Sachaufklärung verpflichtet gewesen. Es habe nämlich von der Prognose des Landgerichts R. abzuweichen beabsichtigt und unterstelle eine defizitäre Prüfung. Dies habe es nicht gedurft, ohne die Grundlage der Entscheidung nicht zu kennen und den „Bericht“ des Bezirkskrankenhauses, der tatsächlich eine gutachterliche Stellungnahme sei, ohne Kenntnisnahme desselben als nicht berücksichtigungswürdig und einseitig abzuwerten.
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Eine Aufklärungsrüge nach § 86 Abs. 1 VwGO setzt die Darlegung voraus, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären, welche Beweismittel zur Verfügung gestanden hätten und welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der vermissten Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären (vgl. BVerwG, B.v. 8.7.2009 - 4 BM 12.09 - juris Rn. 7). Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter in der mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich beantragt hat. Die Aufklärungsrüge dient nicht dazu, Beweisanträge zu ersetzen, die ein Beteiligter zumutbarer Weise hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat. Dass ein solcher Beweisantrag nicht gestellt wurde, ist nur dann unerheblich, wenn sich dem Gericht auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag eine weitere Ermittlung des Sachverhalts hätte aufdrängen müssen. Die Aufklärungsrüge ist dabei nur dann erfolgreich, wenn das Gericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zu weiterer Sachaufklärung hätte sehen müssen. Außerdem müsste der Kläger darlegen, welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Aufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer für ihn günstigen Entscheidung geführt hätte (vgl. BVerwG, B.v. 16.3.2011 - 6 B 47.10 - juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 21.3.2012 - 10 ZB 10.100 - juris Rn. 22; B.v. 18.10.2013 - 10 ZB 11.618 - juris Rn. 25; B.v. 25.8.2014 - 10 ZB 12.2673 - juris Rn. 16; B.v. 8.10.2014 - 10 ZB 12.2742 - juris Rn. 52; B.v. 12.5.2015 - 10 ZB 13.629 - juris Rn. 23).
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Davon ausgehend musste sich dem Verwaltungsgericht eine weitere Ermittlung des Sachverhalts nicht aufdrängen. Der Kläger hat nicht dargelegt, welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der unterbliebenen Aufklärung voraussichtlich getroffen worden wären, sondern legt lediglich dar, dass das Verwaltungsgericht bei einer anderen Bewertung der Entscheidung des Landgerichts R. über die Bewährungsaussetzung und der Stellungnahme des Bezirksklinikums P vom 18. Dezember 2019, die beide dem Verwaltungsgericht vorlagen, keine negative Prognose getroffen hätte. Der Kläger hat damit gerade nicht dargelegt, dass sich zum damaligen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts aus dem Inhalt der Strafvollstreckungsakte neue Tatsachen ergeben würden, sondern der Kläger möchte vielmehr aus den bekannten Tatsachen andere (für ihn günstigere) Schlüsse ziehen als dies das Verwaltungsgericht getan hat.
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Da der Senat bei seiner Entscheidung auch noch die aktuellen Entwicklungen, die sich aus den Bewährungshilfeberichten aus der beigezogenen Strafvollstreckungsakte ergeben, zu berücksichtigen hat (hier vor allem die aktuellen mehrfachen Rückfälle des Klägers in den Drogenmissbrauch während offener Bewährung und unter Führungsaufsicht), wird die zutreffende Prognoseentscheidung der Beklagten und des Verwaltungsgerichts durch diese neuen Tatsachen zusätzlich entscheidend gestützt und bestätigt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §154 Abs. 2, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 3, Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).