Inhalt

VG Würzburg, Beschluss v. 24.08.2022 – W 7 S 22.1250
Titel:

Anforderungen an ein humanitäres Aufenthaltsrecht nach langjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet

Normenketten:
AufenthG § 19c Abs. 1, § 25 Abs. 4 S. 2, Abs. 5
EMRK Art. 8 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Regelung des § 19c Abs. 1 AufenthG richtet sich an Neuzuwanderer und ist deshalb grundsätzlich nicht auf Ausländer anwendbar, welche bereits eine Aufenthaltserlaubnis für einen anderen Aufenthaltszweck besitzen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 25 Abs. 4 S. 2 AufenthG beschränkt sich auf Notlagen, die der Gesetzgeber nicht voraussehen und nicht regeln konnte. (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anordnung der aufschiebenden Wirkung, abgelehnt, Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen, Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Erwerbstätigkeit, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, Chancen-Aufenthaltsrecht, Abschiebungsandrohung, Einreise- und Aufenthaltsverbot, faktischer Inländer, inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, Aufenthaltserlaubnis für eine Beschäftigung, Leiharbeit, außergewöhnliche Härte, volljähriger Sohn
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 11.10.2022 – 19 CS 22.1999
Fundstelle:
BeckRS 2022, 29776

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
IV. Die Anträge auf Prozesskostenhilfebewilligung und Rechtsanwaltsbeiordnung im vorliegenden Verfahren sowie im Verfahren der Hauptsache (W 7 K 22.1249) werden abgelehnt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Aufenthaltserlaubnis sowie die damit verbundene Abschiebungsandrohung und Anordnung eines befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots.
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1. Die Antragstellerin ist eine am … … 1970 geborene kenianische Staatsangehörige. Am … … 1997 hat sie in Kenia den deutschen Staatsangehörigen T.G. geheiratet. Am … … 1997 reiste sie mit einem Visum zur Familienzusammenführung, das ihr für den Zeitraum vom 21. Februar bis 21. Mai 1997 erteilt worden war, in das Bundesgebiet ein und meldete sich bei ihrem deutschen Ehemann an. Nach Einreise beantragte sie am 12. März 1997 eine Aufenthaltserlaubnis, die ihr am 23. April 1997 aus familiären Gründen erstmals erteilt wurde. Am 31. Mai 1998 hat die Antragstellerin den gemeinsamen deutschen Sohn S.G. geboren. Sie ist während ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik strafrechtlich in Erscheinung getreten, insbesondere wurde sie wegen vorsätzlicher Körperverletzung zum Nachteil ihres damaligen Ehemanns mit Urteil des Amtsgerichts A* … vom … … 1999 (* … … … …*) rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 10 DM verurteilt. Von der Verfolgung einer weiteren Körperverletzung hat die Staatsanwaltschaft A* … mit Verfügung vom 19. Mai 1999 nach § 154 StPO abgesehen, Ermittlungsverfahren gegen den früheren Ehemann wurden aus tatsächlichen Erwägungen eingestellt. Die Antragstellerin war zuletzt im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 AufenthG, die bis 13. Dezember 2021 gültig war.
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Mit Schreiben vom 22. April 1999 teilte der Bevollmächtigte des früheren Ehemanns der Antragsgegnerin mit, dass die Antragstellerin aufgrund von Gewaltausbrüchen gegenüber dem Ehemann in das Bezirkskrankenhaus in L* … a* M* … eingeliefert worden sei. Dieser habe sich entschlossen, sich von der Ehefrau zu trennen und sich scheiden zu lassen. Der Scheidungsantrag sei am selben Tag beim Amtsgericht A* … eingereicht worden, er werde seine Ehefrau nach der Entlassung aus dem Krankenhaus auch nicht mehr in der Wohnung aufnehmen. Mit Schreiben vom 1. August 2022 teilte der frühere Ehemann weiter mit, dass die Antragstellerin sich bereits seit Anfang Februar 1999 nicht mehr in der gemeinsamen Ehewohnung befinde. Die Ehe wurde mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts A* … vom … … 1999 geschieden und das Sorgerecht für den deutschen Sohn auf die Antragstellerin übertragen, die Aufenthaltserlaubnis wurde trotz Sozialhilfebezugs der Antragstellerin verlängert.
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Vom 26. November 2001 bis 27. November 2001 befand sich die Antragstellerin zur stationären Behandlung im Krankenhaus E* … Das Sorgerecht wurde deshalb auf das Jugendamt übertragen und der Sohn in einer Pflegeeinrichtung untergebracht, mit Beschluss des Amtsgerichts A* … vom … … 2002 wurde der Antragstellerin die elterliche Sorge entzogen und ihr ein Umgangsrecht eingeräumt. Ausweislich einer Stellungnahme des Kreisjugendamts vom 3. April 2003 habe der Sohn regelmäßigen Kontakt zu seiner Mutter und brauche diesen auch, eine dauerhafte Trennung von ihr würde seiner Entwicklung schaden. Die Antragsgegnerin erteilte der Antragstellerin in der Folge fortlaufend bis 8. November 2011 Aufenthaltserlaubnisse aus familiären Gründen aufgrund der angenommenen Erziehungsgemeinschaft zwischen der Antragstellerin und ihrem deutschen Sohn.
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Am 28. November 2011 wurde der Antragsgegnerin bekannt, dass die Antragstellerin seit längerer Zeit keinen regelmäßigen Kontakt mehr zu ihrem Sohn pflegte. Die Aufenthaltserlaubnis wurde in der Folge nicht mehr aus familiären Gründen verlängert. Da die Antragsgegnerin wegen des minderjährigen Sohnes aber eine außergewöhnliche Härte annahm, wurde die Aufenthaltserlaubnis ab diesem Zeitpunkt fortlaufend bis zum 13. Dezember 2021 nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG verlängert, obwohl die Antragstellerin auch in diesem Zeitraum zeitweise Sozialleistungen bezog.
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Mit Anträgen vom 10. bzw. 25. November 2021 beantragte die Antragstellerin die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis unter Beifügung eines Jobcenter-Bescheids.
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Mit Anhörungsschreiben vom 28. Juni 2022 wurde der Antragstellerin die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben, zu einem Erörterungstermin am 13. Juli 2022 erschien die Antragstellerin nicht. Am 30. Juni 2022 stellte die Antragsgegnerin der Antragstellerin eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 AufenthG für die Zeit bis zur Entscheidung über den gestellten Antrag aus.
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2. Mit Bescheid vom 27. Juli 2022 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 1) und forderte die Antragstellerin auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Anderenfalls wurde ihr die Abschiebung nach Kenia oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen darf oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Ziffer 2). Gegen die Antragstellerin wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet, welches auf die Dauer von zwei Jahren, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Abschiebung, befristet wurde (Ziffer 3).
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Zur Begründung wurde ausgeführt, die Voraussetzungen für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis lägen nicht vor. Die Voraussetzungen der Verlängerung richteten sich wie die der Erteilung nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG. Auch bei Anwendung von § 8 AufenthG sei die Ausländerbehörde nicht gehindert, die bisherige Verwaltungspraxis zu ändern. Selbst wenn die Ausländerbehörde bei einer vorangegangenen Ersterteilung oder Verlängerung irrtümlich oder rechtswidrig einen Umstand übergangen habe, der die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis ermöglicht hätte, sei der entsprechende Sachverhalt nicht verbraucht. Er könne vielmehr einer Verlängerung entgegengesetzt werden, sofern dies allgemein nach den Vorschriften möglich sei, die für die Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis gälten. Das Gesetz erkenne ein Vertrauen auf eine Verlängerung nicht an, andernfalls wäre die Ausländerbehörde gezwungen, eine als rechtswidrig erkannte bzw. rechtswidrig gewordene Verwaltungspraxis zu perpetuieren. Dies lasse sich weder mit dem Wortlaut von § 8 Abs. 1 AufenthG noch mit dem differenzierten System von Sonderregelungen vereinbaren, was auch einer analogen Heranziehung von Art. 48 und 49 BayVwVfG entgegenstehe. Gleichwohl könnten je nach den Umständen des Einzelfalls die zwischenzeitliche Dauer des Aufenthalts, die erreichte Integration sowie sonstige persönliche Belange bei der Prüfung des Abweichens von Regelerteilungsvoraussetzungen bzw. im Rahmen einer etwaigen Ermessensausübung zu berücksichtigen sein. Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sei nur nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG möglich. Besondere Umstände des Einzelfalles oder eine außergewöhnliche Härte lägen jedoch nicht mehr vor. Der Sohn der Antragstellerin sei mittlerweile 24 Jahre alt. Ihm sei aufgrund der eigenen Wohnung eine gewisse Eigen- und Selbstständigkeit zu unterstellen, sodass er nicht mehr auf seine Mutter angewiesen sei, der zudem vor Jahren das Sorgerecht entzogen worden sei. Der Antragstellerin sei es trotz ihres relativ langen Aufenthalts im Bundesgebiet zumutbar, nach Kenia zurückzukehren. Es sei auch zweifelhaft, ob sich der Sohn überhaupt noch in A* … bzw. in Deutschland befinde und Kontakt zur Mutter pflege. Er sei am 30. April 2022 von Amts wegen nach unbekannt abgemeldet worden.
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Darüber hinaus läge auch die allgemeine Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts nicht vor. Trotz Erwerbsfähigkeit gehe die Antragstellerin keiner Tätigkeit nach. Es falle negativ ins Gewicht, dass sie sich seit Jahren nicht mehr wirtschaftlich in die Arbeitswelt Deutschlands integriere. Auch das Anhörungsschreiben sei nicht zum Anlass genommen worden, eine Arbeitsstelle zu suchen und einer Beschäftigung nachzugehen. Ein atypischer Fall liege nicht vor, die Antragstellerin sei mit 51 Jahren im erwerbsfähigen Alter. Es seien keine Krankheiten nachgewiesen, die die fehlende Arbeitstätigkeit rechtfertigen würden. Da die Voraussetzungen für die beantragte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht vorlägen und im Übrigen auch kein anderweitiges Aufenthaltsrecht ersichtlich sei, sei der Antrag abzulehnen.
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Mit Bekanntgabe dieser Entscheidung ende die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts, da mit Antragsablehnung die nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG eingetretene Fiktionswirkung ende. Da die Antragstellerin nicht mehr über den für die Einreise bzw. den Aufenthalt in Deutschland erforderlichen Aufenthaltstitel verfüge, sei sie ab diesem Zeitpunkt ausreisepflichtig (§§ 51 Abs. 1 Nr. 1, 50 Abs. 1 AufenthG). Die Ausreisepflicht sei gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1  AufenthG vollziehbar. Die Abschiebung sei nach § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Werde die Frist auf 30 Tage festgesetzt, bedürfe es keiner gesonderten Begründung, da es sich hierbei im Allgemeinen, auch bei Beendigung eines längerfristigen Aufenthalts, um eine angemessene Frist handele. Auch unter Berücksichtigung der aktuellen Pandemiesituation bestehe kein Anlass, eine längere Frist zu bestimmen. Kenia werde von Deutschland aus regelmäßig angeflogen.
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Abschiebungshindernisse oder Duldungsgründe seien weder ersichtlich noch geltend gemacht. Die Antragstellerin sei im Erwachsenenalter nach Deutschland eingereist und außerhalb Deutschlands sozialisiert worden. Der ursprüngliche Aufenthaltszweck als Familienangehörige eines Deutschen liege seit 2011 nicht mehr vor. Die Antragstellerin sei geschieden und habe keinerlei soziale Bindungen im Bundesgebiet. Es sei nichts dafür ersichtlich, dass eine Rückkehr nach Kenia unzumutbar sei. Besonders sei darauf hinzuweisen, dass der Kontakt zum Sohn auch über moderne Kommunikationsmittel oder durch Besuche des Sohns in Kenia aufrechterhalten werden könne, sollte dies von ihm überhaupt gewollt sein. Schützenswerte Bindungen, die von Art. 8 EMRK getragen seien, seien weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. In der Zeit des Aufenthalts geschlossene Freund- oder Bekanntschaften könnten zumutbarer Weise mittels moderner Kommunikationsmittel weitergeführt bzw. aufrechterhalten werden.
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Gegen die Antragstellerin werde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet, welches auf die Dauer von zwei Jahren ab dem Zeitpunkt der Abschiebung befristet sei. Zu ihren Gunsten werde bei der Bemessung der Frist gewürdigt, dass sie während ihres Aufenthalts nicht gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen verstoßen habe und sich seit dem 9. März 1997 im Bundesgebiet aufhalte. Zudem werde berücksichtigt, dass sie einen volljährigen Sohn in Deutschland habe. Auf der anderen Seite habe sie das Bundesgebiet nicht freiwillig verlassen. Eine Integration in die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse Deutschlands habe trotz des langen Aufenthalts nicht stattgefunden. Es seien weder Sprachprüfungen abgelegt worden, noch habe sie sich nachhaltig in die Arbeitswelt der Bundesrepublik Deutschland integriert. Auch die teilweise Gewaltbereitschaft in der Vergangenheit besonders gegen den Exmann zeige das Unverständnis für die Menschenwürde und die deutsche Rechtsordnung. Die Dauer von zwei Jahren für das Einreise- und Aufenthaltsverbot sei geeignet, erforderlich und angemessen, um das vom Gesetzgeber vorgesehene Ziel zu erreichen.
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3. Gegen diesen Bescheid ließ die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten am 4. August 2022 Klage erheben (Az.: W 7 K 22.1249), über die noch nicht entschieden ist. Zugleich ließ sie im vorliegenden Verfahren beantragen,
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Stadt Aschaffenburg vom 27. Juli 2022 anzuordnen.
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Weiter ließ die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren und im Verfahren der Hauptsache beantragen, ihr Prozesskostenhilfe unter Rechtsanwaltsbeiordnung zu bewilligen.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, die Ablehnung des rechtzeitig gestellten Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sei rechtswidrig. Für die Antragstellerin komme durchaus eine Verlängerung nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG in Betracht. Die besonderen Umstände des Einzelfalls bzw. eine außergewöhnliche Härte ergäben sich daraus, dass die Antragstellerin nach ihrer Trennung und Scheidung vom deutschen Ehemann offenkundig die Voraussetzungen einer selbständigen Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG erfüllt habe. Die Gewalttätigkeit in der Ehe werde im Tatbestand des Ablehnungsbescheids ausdrücklich dargestellt. Zwar sei nur die Antragstellerin wegen Körperverletzung in der Ehe zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Die Gewalt in der Ehe habe jedoch auf Gegenseitigkeit beruht. Die Antragstellerin habe deshalb in das Bezirkskrankenhaus in L* … a* M* … eingeliefert werden müssen, woraufhin sich der Ehemann von ihr getrennt habe. Die Ehe sei zuletzt von Alkohol und Gewalt geprägt gewesen, sodass sie wiederholt das Frauenhaus aufgesucht und dort monatelang Schutz gesucht habe. Im Scheidungs- und Sorgerechtsverfahren habe sich der Familienrichter an die Ausländerbehörde gewandt, um die Antragstellerin vor ausländerrechtlichen Nachteilen zu schützen. Schon die Geburt des gemeinsamen Kindes sei für die Antragstellerin ein Trauma gewesen. Sie habe sich einem Kaiserschnitt unterziehen müssen, habe nach einer Fehloperation ihre Gebärmutter verloren und sei an der Blase verletzt worden, worunter sie bis heute zu leiden habe. Infolge einer Tablettenüberdosis sei die Antragstellerin wegen Suizidgefährdung mehr als zwölf Monate lang im Bezirkskrankenhaus in L* … a* M* … behandelt worden. Auch wenn der Antragstellerin kein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 AufenthG zuerkannt worden sei, sei schon aufgrund ihrer ehebedingten Leidensgeschichte eine außergewöhnliche Härte gegeben.
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Aufgrund des Anhörungsschreibens habe sich die Antragstellerin im Rahmen einer Eingliederungsmaßnahme des Jobcenters auch erfolgreich um einen Arbeitsplatz bemüht. Sie werde ausweislich des Arbeitsvertrags am 5. August 2022 ein zunächst bis 30. September 2022 befristetes, jedoch verlängerbares (Leih-)Arbeitsverhältnis als Lagerhelferin in einer Niederlassung einer Spedition antreten.
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Zwar sei das von der Bundesregierung durch Kabinettsbeschluss vom 6. Juli 2022 auf den Weg gebrachte Chancen-Aufenthaltsrecht nach § 104c AufenthG-E noch nicht in Kraft getreten. Es liege jedoch ein fertiger Referenten-Entwurf vom 27. Mai 2022 mit Gesetzestext und ausführlicher Begründung vor, der voraussichtlich nach redaktionellen Änderungen im Bundestag mit der erforderlichen Mehrheit als Gesetz beschlossen werden und in Kraft treten könne. Die Antragstellerin erfülle die zeitlichen Voraussetzungen der neuen Altfallregelung und bleibe unterhalb der Bagatellgrenze von 50 Tagessätzen.
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Eine außergewöhnliche Härte ergebe sich zudem aus ihrem langjährigen Aufenthalt. Sie halte sich seit 25 Jahren in Deutschland auf und sei hier verwurzelt. Ihr Aufenthalt übersteige die zeitlichen Voraussetzungen der geplanten Altfallregelung nach § 104c AufenthG-E um das Fünffache.
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Sie sei auch bereit, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu bestreiten. Allerdings sei die Einsatzfähigkeit etwa als Reinigungskraft dadurch eingeschränkt, dass sie seit ihrer Gebärmutterentfernung unter Rückenschmerzen leide und in ihrer Beweglichkeit stark eingeschränkt sei. Ihre neue Stelle als Lagerhelferin habe sie mit großem Eifer begonnen, sie leiste Sonderschichten am Wochenende, um ein ausreichendes Monatseinkommen zu erzielen. Die Befristung des Arbeitsvertrags ergebe sich aus der Befristung ihrer Fiktionsbescheinigung.
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4. Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids verwiesen. Aus der Aktenlage ergebe sich, dass die Antragstellerin eine gewisse Gewalttätigkeit in der Ehe gepflegt habe. Es gebe keine Anzeichen, dass die Gewalt auf Gegenseitigkeit beruht habe. Der Ehemann sei nicht als gewaltbereit aufgefallen, geschweige denn Tatverdächtiger in einem Ermittlungsverfahren gewesen. Die Antragstellerin habe nicht wegen häuslicher Gewalt des Ehemanns, sondern aufgrund ihrer psychischen Angeschlagenheit bzw. Krankheit im Bezirkskrankenhaus behandelt werden müssen. Als Folge sei ihr auch das Sorgerecht für ihr Kind entzogen worden. Ein hypothetischer Anspruch aus § 31 AufenthG sei mangels Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen auszuschließen.
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Eine außergewöhnliche Härte im Sinne des § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG sei nicht ersichtlich. Der bei Bescheiderlass noch nicht eingereichte Arbeitsvertrag werde als positiv gewertet. Jedoch sei aufgrund der kurzen Befristung der Vertragsdauer bis 30. September 2022 nicht festgestellt, ob der Lebensunterhalt nachhaltig und vollständig gesichert sei. Er täusche auch nicht darüber hinweg, dass es an einer außergewöhnlichen Härte fehle.
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Die aktuelle Rechtslage sehe ein Chancen-Aufenthaltsrecht nicht vor. Die Rechtsgrundlage solle eingerichtet werden, um Dauergeduldeten eine Chance zu geben, dauerhaft im Bundesgebiet zu verbleiben. Die Antragstellerin habe jahrelang die Chance gehabt, sich im Bundesgebiet zu integrieren, Fuß zu fassen und einen unbefristeten Aufenthaltstitel zu erlangen. Dies sei ihr nicht gelungen, sodass ein Chancen-Aufenthaltsrecht nicht einschlägig sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtssowie der beigezogenen Behördenakten, auch im Verfahren W 7 K 22.1249, verwiesen.
II.
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Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.
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1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist zulässig, er ist insbesondere statthaft gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO.
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Da der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG Fiktionswirkung entfaltet, welche infolge der Ablehnung unter Ziffer 1 des Bescheids vom 27. Juli 2022 erlischt, handelt es sich bei dieser um einen belastenden Verwaltungsakt (vgl. VGH BW, B.v. 11.5.2021 - 11 S 2891/20 - juris Rn. 10; Fleuß in Dörig, Handbuch Migrations- und Integrationsrecht, 2. Aufl. 2020, § 5 Rn. 137). Deshalb ist gemäß § 123 Abs. 5 VwGO das Antragsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vorrangig. Des Weiteren kommt der Klage gegen die Ablehnung gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO keine aufschiebende Wirkung zu. Letzteres gilt auch hinsichtlich der Abschiebungsandrohung einschließlich der Ausreisefristsetzung unter Ziffer 2 (Art. 21a VwZVG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) sowie der Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots unter Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheides (§ 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO). Nach den zuletzt genannten Vorschriften hat eine Klage gegen die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG keine aufschiebende Wirkung. Ein solches Einreise- und Aufenthaltsverbot ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu erlassen und bei seinem Erlass gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG von Amts wegen zu befristen. Da also schon nach dem Gesetz die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots ohne gleichzeitige Befristung nicht möglich ist, stellen Anordnung und Befristung eine untrennbare Einheit dar, sodass die Frage der aufschiebenden Wirkung einer Klage auch nur einheitlich beurteilt werden kann (vgl. VGH BW, B.v. 13.11.2019 - 11 S 2996/19 - juris). Aufgrund der rechtzeitigen Klageerhebung sind die angefochtenen Verwaltungsakte auch noch nicht in Bestandskraft erwachsen.
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2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
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Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigene, originäre Entscheidung über die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs in der Hauptsache aufgrund der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darbietenden Sach- und Rechtslage. Das Gericht hat dabei das Aussetzungsinteresse des Antragstellers und das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der angegriffenen Verwaltungsakte des Antragsgegners unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache - hier der Anfechtungsklage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Stadt Aschaffenburg vom 27. Juli 2022 - gegeneinander abzuwägen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 80 Rn. 152; Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 89). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist in der Regel abzulehnen, wenn der Rechtsbehelf in der Hauptsache nach summarischer Prüfung voraussichtlich erfolglos bleiben wird und zudem ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit besteht. Ergibt dagegen eine vorläufige Überprüfung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, dass dieser offensichtlich zulässig und begründet ist, so überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Sind schließlich die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache offen, so ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl. Hoppe in Eyermann a.a.O. Rn. 90 ff.).
31
In Anwendung dieser Grundsätze wird die Klage nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich keinen Erfolg haben. Vor diesem Hintergrund überwiegt das - durch die gesetzliche Anordnung des Sofortvollzugs indizierte - besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Verwaltungsakte das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin.
32
a) Die Antragstellerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keinen Anspruch auf Verlängerung ihrer bzw. Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
33
aa) Sowohl unter Berücksichtigung der aktuellen wie auch der nach dem AuslG 1990 geltenden Rechtslage ist im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ein Aufenthaltserlaubnisanspruch aus familiären Gründen nicht ersichtlich, zumal die Antragstellerin bereits auch während der Geltung des AuslG 1990 Sozialhilfe in Anspruch nahm und - insbesondere gegenüber ihrem früheren Ehemann - nicht nur geringfügig und wiederholt strafrechtlich in Erscheinung trat (vgl. § 46 Abs. 1 Nr. 2 und 6 AuslG 1990). Insbesondere bestand und besteht entgegen der Auffassung der Antragstellerin kein eigenständiges Aufenthaltsrecht aufgrund einer besonderen Härte (vgl. § 19 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1990 bzw. § 31 Abs. 2 AufenthG), da es sich vorliegend um den hiervon nicht erfassten Fall der Unmöglichkeit der Fortführung der ehelichen Lebensgemeinschaft handelt, weil jedenfalls der Ehemann der Antragstellerin nicht mehr gewillt war, an dieser festzuhalten (vgl. Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 31 AufenthG, Rn. 50). Des Weiteren ist auch nach dem Vortrag der Antragstellerin nur diese wegen vorsätzlicher Körperverletzung des früheren Ehemanns rechtskräftig verurteilt worden. Hinweise darauf, dass die Gewalt maßgeblich vom Ehemann ausgegangen wäre und deshalb auf Seiten der Antragstellerin eine besondere Härte vorgelegen hätte, bestehen nicht.
34
bb) Der Antragstellerin steht auch kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Erwerbstätigkeit zu.
35
Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus § 19c Abs. 1 AufenthG. Diese Vorschrift verleiht dem Antragsteller keinen Rechtsanspruch, sondern eröffnet der Ausländerbehörde einen Ermessensspielraum (vgl. BayVGH, B.v. 15.9.2021 - 10 C 21.2212 - juris Rn. 16). Überdies richtet sich die Regelung des § 19c Abs. 1 AufenthG an Neuzuwanderer und ist deshalb grundsätzlich nicht auf Ausländer anwendbar, welche - wie die Antragstellerin - bereits eine Aufenthaltserlaubnis für einen anderen Aufenthaltszweck besitzen (vgl. Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, AufenthG, § 19c Rn. 5).
36
Auch die gemäß § 39 AufenthG erforderliche Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit kann nicht erteilt werden, da die Antragstellerin ausweislich des vorgelegten befristeten Arbeitsvertrags als Leiharbeiterin arbeitet, § 40 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Sie kann sich auch nicht auf die Zustimmungsfreiheit gemäß § 9 Abs. 1 BeschV berufen, da für die dort vorgesehene Privilegierung allein der Besitz eines kraft Gesetzes zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigenden Aufenthaltstitels nicht ausreichend ist, wie hier die zuletzt erteilte Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG. Vielmehr geht es bei dieser Vorschrift allein um die Verfestigung eines durch behördliche Zulassung eröffneten Arbeitsmarktzugangs, der hier nicht vorliegt (vgl. BVerwG, U.v. 21.8.2018 - 1 C 22.17 - juris; BayVGH, B.v. 5.8.2021 - 19 ZB 21.1143 - juris).
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Der Antragstellerin steht auch kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 19c Abs. 3 AufenthG zu.
38
Danach kann im begründeten Einzelfall eine Aufenthaltserlaubnis für eine Beschäftigung erteilt werden, wenn an der Beschäftigung ein öffentliches, insbesondere ein regionales, wirtschaftliches oder arbeitsmarktpolitisches Interesse besteht. Es handelt sich um eine Ausnahmeregelung, die Norm ist nach ihrem Sinn und Zweck in engen Grenzen für Sonderfälle gedacht und restriktiv auszulegen, um eine Umgehung des Anwerbestopps zu vermeiden (vgl. Breidenbach in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, Stand: 1.7.2021, § 19c AufenthG Rn. 16). Dass im Fall der als Leiharbeitnehmer beschäftigten Antragstellerin ein solcher Ausnahmefall vorliegen würde, ist jedoch weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
39
cc) Die Antragstellerin kann auch nicht die Erteilung eines Aufenthaltsrechts nach § 25 Abs. 5 AufenthG beanspruchen. Abgesehen davon, dass dem möglicherweise schon das Trennungsprinzip des Aufenthaltsrechts (§ 7 Abs. 1 Satz 2, § 8 AufenthG) entgegensteht (vgl. dazu VG Augsburg, U.v. 11.8.2021 - Au 6 K 20.2837 - juris Rn. 39 ff.), fehlt es an der besonderen Erteilungsvoraussetzung der tatsächlichen oder rechtlichen Unmöglichkeit der Ausreise. Insbesondere ist der Antragstellerin die Ausreise auch mit Blick auf höherrangiges Recht - Art. 6 GG, Art. 8 EMRK - zumutbar.
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In Bezug auf die Antragstellerin besteht kein aus Art. 6 Abs. 1 GG folgendes inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis. Insbesondere hat die Antragstellerin in Deutschland keine minderjährigen Kinder. Es ist auch weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich, dass der mittlerweile 24 Jahre alte Sohn auf die Antragstellerin angewiesen wäre bzw. mit ihr derzeit überhaupt (regelmäßig) in Kontakt stehen würde. Von ihrem früheren Ehemann ist sie bereits seit dem Jahr 1999 rechtskräftig geschieden. Es bestehen demnach keine engen familiären Bindungen der Antragstellerin zu Personen im Bundesgebiet.
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Des Weiteren kann sie auch keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK wegen entsprechender Verwurzelung im Bundesgebiet als sog. „faktischer Inländer“ beanspruchen. Die Tatsache, dass sich ein Ausländer bereits eine gewisse Zeit in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat, rechtfertigt für sich genommen noch nicht die Annahme, dass der Schutzbereich des Art. 8 EMRK verletzt ist. Ein Eingriff in das von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Privatleben ist dann zu bejahen, wenn der Ausländer aufgrund seiner gesamten Entwicklung faktisch zu einem Inländer geworden und ihm wegen der Besonderheiten des Falls ein Leben im Staat seiner Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug mehr hat, nicht zuzumuten ist (st.Rspr., vgl. BayVGH, B.v. 7.10.2021 - 19 CE 21.2020 - juris Rn. 15 f.; SächsOVG, B.v. 23.3.2020 - 3 B 48/20 - juris Rn. 7; B.v. 6.9.2021 - 3 A 419/18 - juris Rn. 12, jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Antragstellerin ist weder aufgrund ihrer Entwicklung faktisch zu einem Inländer geworden, noch liegen Besonderheiten vor, derentwegen ihr ein Leben im Land ihrer Staatsangehörigkeit nicht mehr zuzumuten wäre.
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In wirtschaftlicher Hinsicht ist die Antragstellerin zwar seit dem 5. August 2022 bei ihrem derzeitigen Arbeitgeber befristet beschäftigt, zuvor war sie jedoch - wie während längerer Zeiträume des Aufenthalts in der Bundesrepublik - nicht erwerbstätig und hat zulasten der Allgemeinheit von Sozialleistungen gelebt.
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Besondere familiäre oder soziale Bindungen sind nicht ersichtlich, die relativ kurze Ehe mit einem deutschen Staatsangehörigen liegt bereits über 20 Jahre zurück. Es gibt auch keine Hinweise darauf, dass die Antragstellerin derzeit (regelmäßig) in Kontakt zu ihrem volljährigen Sohn steht; Anhaltspunkte für die Annahme einer Beistandsgemeinschaft liegen nicht vor. Auch sonst sind keine besonderen Integrationsleistungen der Antragstellerin vorgetragen oder ersichtlich, auch wenn sie ausweislich der Akte in den Jahren 2007 bis 2009 einen Integrationskurs besucht hat. Die Antragstellerin ist als Volljährige eingereist und wurde mithin in Kenia sozialisiert. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, warum es ihr nicht zumutbar sein sollte, in ihr Heimatland zurückzukehren, auch wenn sie sich dort schon viele Jahre nicht mehr aufgehalten haben mag.
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dd) Die Antragstellerin hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG.
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Danach kann einem nicht vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
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Die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Wie bereits aus dem seit 1997 bestehenden Aufenthalt der Antragstellerin in der Bundesrepublik ersichtlich wird, ist der Aufenthalt der Antragstellerin auf Dauer angelegt und nicht nur vorübergehend, zumal sie dies auch wiederholt in Anträgen auf Verlängerung der ihr erteilten Aufenthaltserlaubnis angegeben hat. Ein Umstand, der als dringender humanitärer oder persönlicher Grund ihre weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern würde, liegt zudem nicht vor. Mit diesem Tatbestandsmerkmal soll den individuell-konkreten Umständen des Einzelfalls Rechnung getragen werden können. Dass und weshalb dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen den weiteren Aufenthalt der Antragstellerin im Bundesgebiet erfordern würden, ist nicht ersichtlich. Die relativ kurze Ehe der Antragstellerin mit ihrem früheren deutschen Ehemann liegt bereits sehr lange zurück, aus dieser Ehe kann sie nach einem derart langen Zeitraum - währenddessen ihr Aufenthaltserlaubnisse auch nur auf der Grundlage der Beziehung zu ihrem deutschen Sohn gewährt wurden - keinen Aufenthaltserlaubnisanspruch herleiten. Wie bereits ausgeführt bestehen auch keine Anhaltspunkte für die Annahme einer Beistandsgemeinschaft mit ihrem inzwischen volljährigen deutschen Sohn bzw. Hinweise darauf, dass sie derzeit mit diesem überhaupt noch (regelmäßig) in Kontakt steht. Atteste für die antragstellerseits vorgetragenen gesundheitlichen Probleme liegen nicht vor. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, weshalb die Antragstellerin deshalb nicht nach Kenia zurückkehren könnte, zumal die vorgetragenen gesundheitlichen Einschränkungen bereits seit über 20 Jahren bestehen.
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ee) Auch aus § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG ergibt sich kein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, selbst wenn eine Verlängerung grundsätzlich möglich sein sollte.
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Gemäß § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG kann eine Aufenthaltserlaubnis abweichend von § 8 Abs. 1 und 2 verlängert werden, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Zu beachten ist, dass es sich nicht um einen allgemeinen Auffangtatbestand, sondern um eine Ausnahmefallgestaltung handelt (vgl. Maaßen/Kluth in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, Stand: 1.7.2022, § 25 AufenthG Rn. 78).
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§ 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG beschränkt sich auf Notlagen, die der Gesetzgeber nicht voraussehen und nicht regeln konnte (vgl. Maaßen/Kluth in Kluth/ Heusch, Ausländerrecht, Stand: 1.7.2022, § 25 AufenthG Rn. 78, 85). Eine außergewöhnliche Härte kann erst dann angenommen werden, wenn die Aufenthaltsbeendigung als regelmäßige Folge des Ablaufs bisheriger Aufenthaltstitel schlechthin unvertretbar wäre und hierdurch konkret-individuelle Belange des Ausländers in erheblicher Weise beeinträchtigt würden, was erst bei einer exzeptionellen Ausnahmesituation der Fall ist. Eine außergewöhnliche Härte scheidet aus, wenn sich die Beendigung eines Aufenthalts als Folge einer vom Gesetzgeber geregelten Normallage ergibt, auch wenn die Rechtsfolge im Einzelfall als hart erscheinen mag (vgl. Maaßen/Kluth in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, Stand: 1.7.2022, § 25 AufenthG Rn. 85 f.).
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Eine derartige Notlage kann in der vorliegenden Situation der Antragstellerin im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung nicht gesehen werden. Es fehlt bereits an den erforderlichen besonderen Umständen des Einzelfalls, wobei auf die individuell-persönliche Situation des Ausländers abzustellen ist.
51
Soweit zur Begründung eine körperliche Beeinträchtigung der Antragstellerin aufgrund eines bei der Geburt des Sohnes erfolgten Kaiserschnitts sowie psychische Probleme vorgetragen wurden, sind diese bereits nicht substantiiert durch Vorlage ärztlicher Atteste dargelegt worden. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, weshalb die Aufenthaltsbeendigung aus gesundheitlichen Gründen schlechthin unvertretbar sein sollte, zumal die Beeinträchtigungen bereits vor über 20 Jahren erstmals aufgetreten sind und die Antragstellerin damit bis heute umzugehen imstande ist.
52
Zwar wurden der Antragstellerin zunächst wiederholt Aufenthaltserlaubnisse auf familiärer Grundlage (zunächst nach §§ 19, 23 AuslG 1990, dann nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG), seit 2011 auf der Grundlage des § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG erteilt, was zuletzt mit dem im Bundesgebiet lebenden minderjährigen deutschen Sohn begründet wurde. Für Aufenthaltserlaubnisse aufgrund familiärer Verbindungen existieren jedoch ausreichende gesetzliche Sonderregelungen (vgl. §§ 27 ff. AufenthG), sodass ein Rückgriff auf § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG vorliegend nicht erforderlich ist. Es handelt sich hierbei nicht um eine Auffangregelung, es sollen nur exzeptionelle Sonderfälle erfasst werden. Weshalb die Antragstellerin aufgrund ihrer familiären Situation jedoch von einer Aufenthaltsbeendigung im Vergleich zu anderen Ausländern derzeit deutlich härter betroffen sein sollte, erschließt sich dem Gericht nicht. Wie bereits aufgezeigt bestehen nicht einmal Anhaltspunkte dafür, dass zwischen der Antragstellerin und dem volljährigen Sohn eine Beistandsgemeinschaft besteht bzw. diese derzeit überhaupt (regelmäßig) miteinander in Kontakt stehen. Auch aus der seit über 20 Jahren zurückliegenden Ehe kann die Antragstellerin im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung keine unzumutbare Härte im vorgenannten Sinne ableiten, zumal auch nur sie aufgrund von vorsätzlicher Körperverletzung in der Ehe rechtskräftig verurteilt wurde. Hinweise darauf, dass die Gewalt maßgeblich vom Ehemann ausgegangen wäre, bestehen nicht.
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Darüber hinaus fehlt es in jedem Fall jeweils auch an der Voraussetzung der fehlenden Vorhersehbarkeit und Regelungsfähigkeit der besonderen Lage für den Gesetzgeber (vgl. insb. § 31 Abs. 2 AufenthG). Letztlich ist die Beendigung des Aufenthalts der Antragstellerin lediglich Folge eines fehlenden gesetzlich vorgesehenen Aufenthaltszwecks.
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Auch sonst sind keine Umstände ersichtlich, die die Anwendung des § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG rechtfertigen könnten. Insbesondere lässt sich hierfür nichts aus dem Ausmaß der Verwurzelung bzw. den für die Antragstellerin mit einer „Entwurzelung“ verbundenen Folgen auch unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG sowie des Art. 8 EMRK herleiten (vgl. hierzu Maaßen/Kluth in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, Stand: 1.7.2022, § 25 AufenthG Rn. 86.1). Vor allem kann sich die Antragstellerin, wie aufgezeigt, nicht darauf berufen, ein sog. faktischer Inländer zu sein, dem die Rückkehr in das Herkunftsland aufgrund seiner Verwurzelung in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr zumutbar wäre. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen.
55
Auch das bislang noch nicht beschlossene und in Kraft getretene Chancen-Aufenthaltsrecht gemäß § 104c AufenthG-E stellt keinen Umstand dar, der zu einem Anspruch der Antragstellerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis führt. Das Gesetzgebungsverfahren ist keineswegs schon so weit fortgeschritten, dass ausreichend sicher wäre, welchen Inhalt das Gesetz letztendlich haben wird.
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Darüber hinaus stellt dieser Gesetzesentwurf schon deshalb keinen besonderen Umstand des Einzelfalls gemäß § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG dar, da er auf eine Vielzahl von Fällen abzielt. Ausweislich der Gesetzesbegründung werden mehr als 100.000 Menschen in den Blick genommen (vgl. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/gesetzgebungsverfahren/DE/Downloads/referentenentwuerfe/ChAR-Gesetz/referentenentwurf-ChAR-Gesetz. Pdf; jsessinid=6854F31246611263971C95787ACF2E44.2_cid350? blob=publicationFile& v=2; https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/erstes-migrationspaket-2059774; jeweils abgerufen am 24.8.2022).
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b) Die Abschiebungsandrohung mit Ausreisefristsetzung unter Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids erweist sich bei summarischer Prüfung ebenfalls als rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin schon aus diesem Grund nicht in ihren Rechten.
58
Die Abschiebungsandrohung beruht auf § 59 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Infolge der sofort vollziehbaren Versagung des Aufenthaltstitels ist die Antragstellerin gemäß §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig. Gegen die gesetzte Ausreisefrist bestehen im Hinblick auf § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG keine Bedenken. Zwar hat die Antragsgegnerin für den Fall der Anordnung der aufschiebenden Wirkung keine Ersatzregelung getroffen. Die Setzung einer Ausreisefrist von 14 Tagen ab Bekanntgabe begegnet jedoch auch angesichts der Regelung in § 59 Abs. 1 Satz 6 und 7 AufenthG keinen rechtlichen Bedenken. Soweit man die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. U.v. 16.6. 2018 - C-181/16, Gnandi - juris Rn. 62) in der vorliegenden ausländerrechtlichen Konstellation überhaupt für anwendbar hält (dies verneinend: BayVGH, B.v. 6.12.2018 - 10 CS 18.2271 - BeckRS 2018, 35627 Rn. 7; VG Freiburg, U.v. 29.10.2021 - 4 K 6622/18 - juris Rn. 29 ff.), werden die dort aufgestellten Voraussetzungen jedoch jedenfalls eingehalten. Danach darf die in Art. 7 der RL 2008/115/EG vorgesehene Frist für die freiwillige Ausreise zwar nicht zu laufen beginnen, solange der Betroffene ein Bleiberecht hat. Im vorliegenden Fall hatte die Antragstellerin jedoch nur bis zur Bekanntgabe der Ablehnung ihres Verlängerungsantrags ein entsprechendes Bleiberecht. Ab diesem Zeitpunkt ist sie unabhängig von der Einlegung eines hiergegen gerichteten Rechtsbehelfs vollziehbar ausreisepflichtig (vgl. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG), sodass die Ausreisefrist vorliegend jedenfalls nicht zu laufen begann, solange der Antragstellerin noch ein Bleiberecht zustand. Die gesetzte Frist bewegt sich auch innerhalb des gesetzlich vorgesehenen Rahmens von sieben bis 30 Tagen. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes oder inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisses liegen nicht vor (vgl. § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG).
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c) Schließlich ist auch das im Einklang mit § 11 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 AufenthG angeordnete befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot für den Fall der Abschiebung rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten. Die unter der Ziffer 3 des Bescheids vorgenommene Befristung auf zwei Jahre ab dem Zeitpunkt der Abschiebung steht im Einklang mit § 11 Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 Satz 1 und 2 AufenthG. Gegen die Angemessenheit der gesetzten Frist bestehen bei summarischer Prüfung keine Bedenken.
60
d) Da somit die Erfolgsaussichten der Hauptsache als gering einzuschätzen sind, überwiegt das - durch die gesetzliche Anordnung des Sofortvollzugs gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 1 und 7 AufenthG, Art. 21a VwZVG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO indizierte - öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit gegenüber dem privaten Aussetzungsinteresse der Antragstellerin, weshalb der Antrag abzulehnen ist.
61
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
62
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 2 Satz 1 GKG i.V.m. Ziffer 8.1 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
63
5. Die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung im vorliegenden Verfahren sowie im Verfahren der Hauptsache (W 7 K 22.1249) sind ebenfalls abzulehnen, da es unter Verweis auf die vorstehenden Ausführungen jeweils an der hinreichenden Erfolgsaussicht im Zeitpunkt der Bewilligungsreife fehlt. Auf das Tatbestandsmerkmal der Mutwilligkeit und auf die subjektiven Bewilligungsvoraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe kommt es damit nicht mehr an.