Inhalt

VGH München, Beschluss v. 25.10.2022 – 19 CS 22.1755
Titel:

rechtmäßige Ausweisung wegen lang anhaltender Tätigkeit als Rauschgifthändler

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 3 S. 1
AufenthG § 53, § 54 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 1b , § 55 Abs. 1, Abs. 2
Leitsätze:
1. Bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat; im Übrigen führt selbst eine im Maßregelvollzug erfolgreich absolvierte Drogentherapie nicht automatisch zu einem Entfallen der Wiederholungsgefahr führt. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Ausländer hat keinen Anspruch darauf, vor Vollzug einer Ausweisung eine Therapie erfolgreich abzuschließen; er kann insbesondere nicht beanspruchen, so lange in einer Therapieeinrichtung oder einem institutionalisierten Nachsorgeprogramm zu verbleiben, bis seine Erkrankung (insbesondere Suchterkrankung) geheilt ist und keine negative Gefahrenprognose mehr besteht. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausweisung, Sofortvollzug, Betäubungsmittelabhängigkeit, Drogenhändler, Verlobung mit deutscher Staatsangehöriger, Deutsches Kind, Türkisches Kind in Deutschland, Türkei, Spielsucht, faktischer Inländer
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 12.07.2022 – AN 5 S 22.01221
Fundstelle:
BeckRS 2022, 29769

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

1
Der Antragsteller, ein am ... 1983 im Bundesgebiet geborener türkischer Staatsangehöriger, verfolgt mit seiner Beschwerde die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. März 2022 weiter. Mit diesem Bescheid wurde er unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziff. I, II des Bescheids), das ebenfalls für sofort vollziehbar erklärte Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von fünf Jahren ab Ausreise bzw. Abschiebung befristet (Ziff. III, IV), seine Abschiebung unmittelbar aus dem Maßregelvollzug heraus, ggf. im Rahmen eines Verfahrens gem. § 456a StPO, in die Türkei angeordnet (Ziff. V) und für den Fall, dass dies nicht möglich sein sollte, unter Fristsetzung die Abschiebung in die Türkei oder in einen anderen Staat angedroht, in den er einreisen darf bzw. der zu seiner Übernahme verpflichtet ist (Ziff. VI).
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Der betäubungsmittelabhängige und unter pathologischem Spielen leidende Antragsteller (gem. Urteil des Landgerichts N.-F. vom 27.9.2021 betreffend die Anlasstat regelmäßiger Konsum von Cannabis ab dem 15. Lebensjahr für etwa 10 Jahre von bis zu 3Gramm täglich; anschließend sporadischer Cannabiskonsum; Anfang 2019 erstmals Konsum von Methamphetamin; innerhalb kürzester Zeit Steigerung des Konsums auf bis zu 1,5 Gramm täglich; Rückgriff auf Amphetamin und Kokain als Ersatzdrogen bei fehlender Verfügbarkeit von Methamphetamin; durchschnittlicher Konsum in den letzten 6 Monaten vor der Inhaftierung 10 Gramm Methamphetamin, 5 Gramm Amphetamin und 13 Gramm Marihuana pro Woche; mit 17 Jahren Beginn mit dem Spielen an Geldspielautomaten, wobei er bis zu 5000 Euro monatlich verspielte; mit Ende 20 für den Kläger das Glückspiel an erster Stelle stehend, wiederholt den ganzen Lohn und die Ersparnisse der damaligen Ehefrau verspielend; ab ca. dem 30. Lebensjahr Verringerung des Spielverhaltens) ist im Bundesgebiet zeitnah nach Eintritt der Strafmündigkeit regelmäßig vielfach strafrechtlich (insbesondere im Bereich Gewaltdelikte und Betäubungsmitteldelikte) in Erscheinung getreten. Die Antragsgegnerin listet in ihrem streitgegenständlichen Bescheid (unter Hinweis, dass eine Vielzahl der „Taten“ nicht mehr im Bundeszentralregister aufgeführt sei) 26 Vorgänge auf. Zuletzt verurteilte das Landgericht N.-F. unter dem 27. September 2021 (rechtskräftig seit 27.9.2021) den Antragsteller wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in 213 Fällen, davon in 211 Fällen in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln und davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln (Anlage 1, Anlage 3 zum BtMG) zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 10 Monaten und ordnete die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an. Dem Urteil lag zugrunde, dass der Antragsteller im Zeitraum von Juni 2019 bis Dezember 2020 im Stadtgebiet N. einen gewinnbringenden Handel mit Methamphetamin und Marihuana betrieb. Im Rahmen seiner Drogenhändlertätigkeit bezog er von Juni 2019 bis März 2020 bei mindestens 100 Gelegenheiten jeweils mindestens 3 Gramm Methamphetamin, einmal 25 Gramm Marihuana und viermal mindestens 3 Gramm Marihuana. Am 18. Februar 2020 bewahrte er 28,4 Gramm Amphetamin in der Wohnung seiner Eltern auf. Von April 2020 bis 19. Juni 2020 erwarb er nahezu täglich, bei mindestens 106 Gelegenheiten, jeweils mindestens 5Gramm Methamphetamin. Am 2. August 2020 führte er 19,98 Gramm Methamphetamin und 2,32 Gramm Marihuana, am 7. Oktober 2020 13,01 Gramm Marihuana und 1,66 Gramm Methamphetamin und am 2. Dezember 2020 1Gramm Methamphetamin und 0,06 Gramm Marihuana mit sich. Bei den letzten beiden Gelegenheiten führte er zugriffsbereit ein 1-Hand-Messer mit sich. Bezüglich der Einzelheiten des Verkaufs bzw. der Bestimmung zum Verkauf der Drogen an Abnehmer (abzüglich eines Eigenkonsumanteils) wird im Einzelnen auf das Urteil des Landgerichts verwiesen. Ab 4. Dezember 2020 befand sich der Antragsteller in Untersuchungshaft, die vom 16. Dezember 2020 bis 4. Mai 2021 aufgrund der Vollstreckung zweier Ersatzfreiheitsstrafen unterbrochen war. Zum Zeitpunkt seiner Inhaftierung hatte er ca. 20.000,00 € Schulden aus Glücksspiel. Ab dem 1. Dezember 2021 war der Antragsteller aufgrund des genannten Urteils des Landgerichts im Bezirkskrankenhaus A. gemäß §64 StGB untergebracht. Unter dem 2. August 2022 beschloss das Landgericht A. (Strafvollstreckungskammer) gemäß §67 Abs. 3 Satz 2, Abs. 2 Satz 4 StGB, dass beim Antragsteller die Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts vor der Unterbringung in der Entziehungsanstalt zu vollziehen ist. Aufgrund dieser Abänderung der Vollstreckungsreihenfolge befindet sich der Antragsteller seit 20. September 2022 in Strafhaft. Die zuständige Staatsanwaltschaft stellte unter dem 10. Oktober 2022 fest, der 2/3-Prüftermin errechne sich bei ihm auf den 13. Januar 2024.
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Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen keine Änderung des angefochtenen Beschlusses, mit dem es das Verwaltungsgericht abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (AN 5 K 20.01219) gegen die für sofort vollziehbare Ausweisungsverfügung der Antragsgegnerin vom 28. März 2022 wiederherzustellen.
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Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ausweisung mit der Begründung abgelehnt, die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziff. I und III des Bescheides der Antragsgegnerin sei formell rechtmäßig. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung entspreche den zu stellenden formalen Anforderungen. Unter erkennbarer Berücksichtigung des Ausnahmecharakters einer derartigen Anordnung sei das Interesse am Sofortvollzug der Ausweisungsverfügung und des Einreise- und Aufenthaltsverbotes im Hinblick auf das öffentliche Interesse an einer Abwendung von Gefahren durch den Aufenthalt des Antragstellers dargelegt worden. Die Antragsgegnerin argumentiere - anders als vom Antragsteller dargestellt - einzelfallbezogen, insbesondere, wenn sie auf Seite 30 des Bescheides darstelle, dass aufgrund des Abbruchs der wirtschaftlichen Integrationsbeziehungen im Bundesgebiet keine irreparablen Schäden durch einen Sofortvollzug entstünden. Den Anforderungen des §80 Abs. 3 Satz 1 VwGO sei damit genüge getan. Es sei auch nicht zu beanstanden, dass auf eine zügige Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers und seine Fernhaltung aus dem Bundesgebiet abgestellt werde. Die Verhinderung von Gefahren, die auch bereits während eines Klageverfahrens drohten, sei bei der Anordnung des Sofortvollzugs eine legitime Zielrichtung. Im Rahmen der Interessenabwägung des Gerichts, bei der auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen seien, ergebe die gebotene, aber auch ausreichende summarische Überprüfung der Verfügung der Antragsgegnerin, dass gegen die Ausweisung keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken bestünden. Verwiesen werde auf die Ausführungen im Beschluss der Kammer im Prozesskostenhilfeverfahren vom 12. Juli 2022 (AN 5 K 22.01219). Ergänzend werde auf die Begründung des Bescheids vom 28. März 2022 verwiesen. Dem Beschluss der Kammer vom 12. Juli 2022 (Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren AN 5 K 22.01219) ist u.a. zu entnehmen, dass die Voraussetzungen des §53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG erfüllt seien. Ausgehend davon, dass gerade bei Fallgruppen besonders schwerer und schädlicher Delikte wie Betäubungsmitteldelikten und Gewaltdelikten an den Grad der Wiederholungswahrscheinlichkeit regelmäßig nur geringe Anforderungen zu stellen seien, gehe die Antragsgegnerin in dem streitgegenständlichen Bescheid nach summarischer Prüfung (des Gerichts) zutreffend davon aus, dass nach dem persönlichen Verhalten des Antragstellers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden müsse, dass von ihm auch künftig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehe, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Das Landgericht N.-F. habe in seiner Urteilsbegründung (Anlasstat) einen Zusammenhang der Begehung von Straftaten durch den Antragsteller mit seiner Abhängigkeit von Drogen festgestellt. Der Antragsteller habe zwar im Rahmen des Maßregelvollzugs ab dem 1. Dezember 2021 eine Therapie begonnen, diese aber nicht abgeschlossen, sodass jedenfalls bereits aufgrund der weiter bestehenden, nicht therapierten Drogenproblematik des Antragstellers weiterhin eine Wiederholungsgefahr vorliege. Die Gefährdung durch den Antragsteller berühre ein Grundinteresse der Gesellschaft. Dies ergebe sich insbesondere aus der Art und Schwere der künftig zu erwartenden Delikte. Es bestehe ein vertyptes, besonders schweres Ausweisungsinteresse. Demgegenüber liege beim Antragsteller ein vertyptes, besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse vor. Eine soziale und wirtschaftliche Integration sei dem Antragsteller nur bedingt gelungen. Dem Antragsteller sei wegen seiner Drogensucht seine langjährige Anstellung gekündigt worden. Eine abgeschlossene Berufsausbildung habe er nicht. Er habe erhebliche Mengen an Geld verspielt. Er sei wegen Gewalt- und Drogendelikten mehrfach vorbestraft und habe ca. 20.000,00 € Spielschulden sowie ca. 800,00 € Unterhaltsschulden. Im Hinblick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK sei in die Abwägung einzustellen, dass der Antragsteller nunmehr mit einer deutschen Staatsangehörigen verlobt sei. Auch lebten im Bundesgebiet zwei Kinder mit deutscher Staatsangehörigkeit, mit denen der Antragsteller Kontakt pflege bzw. pflegen wolle. Hinsichtlich des Kindes M.-M. sei festzustellen, dass der Antragsteller bislang rechtlich nicht als dessen Vater anzusehen sei. Bislang habe die Mutter des Kindes eine Beurkundung der Zustimmung zur Anerkennung der Vaterschaft nicht vorgenommen. Hinzu komme, dass mit der Anerkennung der Vaterschaft die Übernahme der elterlichen Sorge noch nicht automatisch verbunden sei. Auch sei zu berücksichtigen, dass sich der Antragsteller bei der Geburt des Kindes am 31. Mai 2021 in Haft befunden habe und das Kind noch nie gesehen habe. Es sei auch nicht zu beanstanden, wenn die Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Bescheid ausführe, dass seit wenigen Monaten stattfindende wöchentliche Videotelefon-Termine bei einem gerade 1-jährigen Kind nicht dazu geeignet seien, eine tragfähige Beziehung entstehen zu lassen. Im Übrigen wäre ein Kontakt per Telefon oder Videokonferenz auch von der Türkei aus möglich. Der Antragsteller sei zwar rechtlich der Vater des Kindes P.. Es sei aber nicht ersichtlich, dass er seine Elternrechte wahrnehme bzw. ein Kontakt des Antragstellers mit dem Kind in erheblichem Umfang stattfinde. Der Antragsteller habe die Reduktion des Kontaktes zu diesem Kind spätestens in der Haft und im Maßregelvollzug durch seine Drogensucht und seine strafbaren Handlungen verursacht. Es komme nicht darauf an, wann genau der Kontakt mit P. abgebrochen sei. Entscheidend sei, dass aktuell - wie insbesondere aus der Stellungnahme des Jugendamtes vom 23. März 2022 im familiengerichtlichen Verfahren ersichtlich sei - keine tragfähige Beziehung des Kindes zum Antragsteller vorhanden sei. Der (Wieder-) Aufbau einer tragfähigen Beziehung zu P. durch den Antragsteller sei ungewiss und liege nach Ansicht des Jugendamtes (Stellungnahme vom 23.3.2022) nicht unbedingt im Interesse des Kindes. Hierbei dürfte zwar nicht verkannt werden, dass der Erziehungsbeitrag eines Vaters nicht durch Betreuungsleistungen der Mutter oder Dritte ersetzt werden könnte. Es sei aber auch hinsichtlich des Kindes P. zu berücksichtigen, dass die derzeit faktisch allein möglichen Kontakte auch vom Ausland aus aufrechterhalten werden könnten. Insofern könnte diese Möglichkeit des in der Stellungnahme des Jugendamtes vom 23. März 2022 beschriebenen Kontaktaufbaus auch von der Türkei aus betrieben werden und - falls sich der Kontakt positiv entwickle - ggf. eine Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes beantragt werden. Die Ausweisung wäre angesichts der Gefährlichkeit des Antragstellers und im Hinblick auf die bedrohten Rechtsgüter im Übrigen auch dann nicht unverhältnismäßig, wenn eine tatsächliche Nähebeziehung zu den Kindern noch bzw. bereits bestünde. Dem Antragsteller sei es insofern jedenfalls zuzumuten, den Kontakt zu den Kindern, soweit ein solcher überhaupt bestehe, auf andere Weise als durch persönliche Begegnungen in der Bundesrepublik aufrecht zu erhalten. Es sei dem Antragsteller auch zumutbar, sich im Land, dessen Staatsangehörigkeit er habe, zu integrieren. Er sei in einem traditionellen türkischen Elternhaus aufgewachsen und habe eine türkische Staatsbürgerin geheiratet, die mit ihrem Sohn türkisch spreche, sodass davon auszugehen sei, dass er mit der Kultur des Landes vertraut sei. Ende 2021 habe er einen Brief an seine frühere Ehefrau mit immer wieder eingeschobenen Passagen in türkischer Sprache geschrieben, was nicht nur belege, dass er auch Kenntnisse der türkischen Schriftsprache habe, sondern dass er streckenweise die türkische Sprache der deutschen vorziehe. Dies ergebe sich im Übrigen auch aus dem Umstand, dass der mit der Klageschrift übersandte Auszug aus einem Online-Banking in türkischer Sprache gehalten sei. Nicht zu beanstanden seien auch die ausländerrechtlichen Annex-Entscheidungen sowie die Entscheidung, die Wirkung der Ausweisung und Abschiebung des Antragstellers auf 5Jahre ab Ausreise oder Abschiebung zu befristen. Ermessensfehler seien insoweit nicht ersichtlich.
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Demgegenüber macht der Antragsteller mit seiner Beschwerde geltend, es liege schon ein besonderes Vollzugsinteresse nicht vor. Es werde nicht gewürdigt, dass letztlich faktisches Verwaltungshandeln auf Seiten der Antragsgegnerin zu Ergebnissen führe, die nicht nur als unverhältnismäßig betrachtet würden, sondern regelrecht als Einflussnahmen in Bereiche zu werten seien, zu denen die Antragsgegnerin nicht befugt sei. Eine Auslieferung komme in Bayern in aller Regel erst nach Vollstreckung von 2/3 der Freiheitsstrafe in Betracht. Dies könne schlichtweg nicht unberücksichtigt bleiben. Mit der Anordnung des Sofortvollzugs werde so getan, als wäre die Ausweisung bereits sichere Sache. Die Antragsgegnerin verhindere die Vaterschaftsanerkennung und den Umgang mit einem Kind. Der Unterzeichner erlebe dies in 20-jähriger Praxis im Ausländerrecht das erste Mal in dieser Intensität. Im Einzelnen: es bestehe kein Vollziehungsinteresse, da frühestens am 14. Januar 2024 die Haft ende. Das Bezirkskrankenhaus habe zahlreiche positive Bewertungen über die Therapie des Antragstellers verfasst, dann aber aufgrund der vermeintlich nicht mehr gegebenen Perspektive des Verbleibs in Deutschland und einer vermeintlich nicht mehr vorliegenden Transparenz im Verhalten des Antragstellers von heute auf morgen die Meinung geändert. Nunmehr folge es den Feststellungen im Ausweisungsbescheid. Offenbar in der Meinung, dass die Ausweisung konkret bevorstehe, spreche sich das Bezirkskrankenhaus jetzt dafür aus, dass die Therapie unterbrochen werde, ohne natürlich die zeitlich erst in einem Jahr mögliche Auslieferung und den im Ausländerrecht bei türkischen Staatsangehörigen maßgebenden Zeitpunkt für die Beurteilung im Blick zu haben. Eine Unterbrechung der Therapie nach mehr als 6Monaten positiven Verlaufs wäre unverhältnismäßig. Der Gesetzgeber messe im Bereich des Maßregelrechts dem Therapie- und Heilungsgedanken ein gegenüber dem Strafaspekt höheres Gewicht bei. Der Antragsteller habe gerade in der Lockerungszeit gezeigt, dass er gerade nicht flüchtig geworden sei. Er zeige heute noch, dass er die Therapie wirklich wolle. Vor allem zeige er eines: er wolle in Deutschland bleiben! Es bestehe schon kein besonderes Vollziehungsinteresse im Sinne von §80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO. Bis Ende 2023/Anfang 2024 sei der Antragsteller sicher im Maßregelvollzug oder in Haft. Der Antragsteller befinde sich seit dem 1. Dezember 2021 in einer Entziehungsanstalt. Die 2/3 Strafe ende am 14. Januar 2024. Nach bayerischen Verhältnissen sei davon auszugehen, dass vorher eine Auslieferung, eine Aussetzung zur Bewährung und Entlassung aus dem Maßregelvollzug nicht stattfinden werde. Zwar sei die Erforderlichkeit einer Anordnung der sofortigen Vollziehung regelmäßig dann zu bejahen, wenn die Ausweisung von schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Bereich der Spezialprävention getragen werde, die nicht nur langfristig, sondern auch schon während des Klageverfahrens Geltung beanspruchen könne. Es bestehe vorliegend aber ausreichend Zeit für die Durchführung eines etwaigen Hauptsacheverfahrens. Soweit die Antragsgegnerin befürchte, dass der Antragsteller in der Zeit nach seiner Haftentlassung Straftaten begehen könnte, führe dies zu keiner anderen Beurteilung. Die Haftentlassung des Antragstellers stehe nicht unmittelbar bevor. Eine gerichtliche Hauptsacheentscheidung stehe nicht auf unbestimmte Zeit aus. Es ergäben sich trotz Inhaftierung keine konkreten Anhaltspunkte für Straftaten aus oder in der Haft/im Maßregelvollzug. Selbst wenn der Antragsteller etwa ab 2024 wieder auf freiem Fuß wäre, stünde der Antragsgegnerin ausreichend Zeit zur Verfügung, auf diese Situation zu reagieren. Der Sofortvollzug sei sicherlich rechtswidrig. Der Antragsteller habe sich bisher beanstandungsfrei in der Therapie verhalten. Die Antragsgegnerin vereitle die Anerkennung der Vaterschaft durch den Antragsteller und verkenne die Vater-Kind-Beziehung. Es fehle nur die Zustimmung der Frau V.R.. Termine würden durch die Antragsgegnerin immerzu abgesagt. Die Darstellung, das Kind sei ja nur ein Jahr alt, weshalb es mit ihm keine schützenswerte Vater-Kind-Beziehung geben könne, sei nicht nachvollziehbar. Gerade in den ersten Jahren nach der Geburt unterstütze die Präsenz des Vaters die Entwicklung des Kindes. M.-M. habe inzwischen über Wochen und Monate immer wieder Kontakt zum Antragsteller (zur Erinnerung: einmal wöchentlich Videochat mit Kind). Das Kind bezeichne den Antragsteller ausdrücklich als „Papa“, reagiere emotional, wenn es zu Videochats komme. Dies würden der Antragsteller und dessen Verlobte gegenüber dem Unterzeichner berichten, der das anwaltlich versichere. Auch die Umgangsvereinbarung hinsichtlich des Kindes P. sei von Belang. Der Antragsteller habe vorher keine Umgangskontakte mehr erhalten, nachdem die Mutter von der Antragsgegnerin ausdrücklich erfahren habe, dass der Antragsteller ausgewiesen werde. Die Mutter teile (nun) mit, dass nichts gegen eine Umgangsgewährung spreche. Aktuell schreibe der Antragsteller auch Briefe an den Sohn. Er sei am 31. Mai 2022 eine Umgangsvereinbarung zwischen dem Antragsteller und der Kindsmutter des Sohnes P. getroffen worden (Einigkeit darüber, dass der Vater dem Kind Briefe und Postkarten zusenden dürfe; Einigkeit darüber, dass der Vater dem Kind Geschenke schicken dürfe, Absicht, Gespräche über einen begleiteten Umgang zu führen, sobald der Vater die Lockerungsstufe C erreiche; Telefonkontakte des Vaters mit dem Kind in Anwesenheit eines Mitarbeiters des Jugendamtes einmal pro Monat, soweit das Jugendamt der Antragsgegnerin dies durchführe und soweit sich das Kind nach Einschätzung des Jugendamtes damit einverstanden erkläre). Der Antragsteller sei gerade hier in Deutschland darauf angewiesen, die Kontakte zum Kind zu intensivieren. Es könne nicht angehen, dass durch Verwaltungshandeln im Ausweisungsverfahren derart Einfluss in Beziehungen genommen werde, dass die Kindsmutter den Umfang verwehre. Im Hinblick auf die summarische Prüfung der Klage sei der Beschluss rechtswidrig. Die Ausweisungsverfügung der Antragsgegnerin sei voraussichtlich rechtswidrig. Die Anordnung des Sofortvollzugs sei vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht erforderlich. Die Antragsgegnerin habe das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht in einer den Anforderungen des §80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entsprechenden Weise dargetan. Die Klage werde nach derzeitigem Sachstand und aufgrund summarischer Prüfung erfolgreich sein (sodann Voranstellung „wesentlicher Punkte“, auf die verwiesen wird). Der Antragsteller stehe mit der deutschen Staatsangehörigen V.R. in einer Lebenspartnerschaft, aus der das gemeinsame deutsche Kind M.-M. hervorgegangen sei. Der Antragsteller habe die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin nun seit ca. sechs Monaten intensiviert. Sie seien seit über 2Monaten verlobt. Sie würden selbst nach wie vor an eine Eheschließung denken. Sie wolle den Antragsteller im BKH nach Möglichkeit jede Woche besuchen. Der Antragsteller habe nahezu jeden Tag telefonischen Kontakt zu Frau V.R. Es werde davon ausgegangen, dass der Antragsteller eine schützenswerte Beziehung sowohl zu Frau V.R. als auch zu dem gemeinsamen Kind habe (sodann Ausführungen zum nach Auffassung des Antragstellers rechtswidrigen Verhalten der Antragsgegnerin im Hinblick auf die Beziehungen des Antragstellers insbesondere zu den Kindern). Die nahe Zukunft werde belegen, dass beim Antragsteller weitere Straftaten nicht drohen. Der Antragsteller verbüße auch erstmals eine Haftstrafe, die gerade die Reifung fördere und die Gefahr eines neuen Straffälligwerdens mindern werde. Er konsumiere seit seiner Festnahme keinerlei Drogen. Die nahe Zukunft werde belegen, dass der Antragsteller zudem die Therapie zu einem erfolgreichen Abschluss bringen werde. Die Interessenabwägung sei fehlerhaft. Im Einzelnen: es bestehe eine schützenswerte Vater-Kind-Beziehung zum Kind P. Die Ehe des Antragstellers sei geschieden, allerdings nur nach deutschem Recht. Nach türkischem Recht seien die Eheleute immer noch verheiratet. Gerade in der Phase der Trennung der Eheleute habe sich der Antragsteller in vorbildlicher Weise um das Kind gekümmert, eine intensive Beziehung zum Kind aufgebaut. In der Trennungsphase habe der Antragsteller monatlich 300,00 € Kindesunterhalt an die Ehefrau gezahlt. Dies sei wirklich vorbildlich gewesen. Er nehme die Unterhaltspflicht ernst. In der Trennungsphase sei der Umgang mit dem Kind großzügig gehandhabt worden. Beinahe wöchentlich habe er das Kind auch über Nacht zu sich genommen. Das Kind habe auch eine enge Beziehung zu den Großeltern und zur Tante/Schwester des Antragstellers aufbauen können. Dies alles sei vor allem in den Jahren 2018 bis jedenfalls Ende 2019 geschehen. Bestätigt werde dies durch eine Erklärung der Schwester des Antragstellers. Der Antragsteller habe in der JVA noch brieflich Kontakt zu Frau und Kind gehabt. Auch hier habe er versucht, den Kontakt nicht zu unterbrechen, die Beziehung aufrecht zu erhalten. Vor allem aber habe der Antragsteller regelmäßig, so oft wie möglich Besuch von den Eltern und Geschwistern in der JVA erhalten. Immerzu habe der Antragsteller nach dem Wohl des Kindes gefragt. Der Antragsteller habe Briefe an die Ehefrau und das Kind versandt. Zu diesem Zeitpunkt habe der Antragsteller noch die Hoffnung gehabt, dass seine geschiedene Ex-Frau zu ihm zurückkehren würde. Die Ex-Frau habe dem Kind erzählt, dass der Antragsteller nur im Krankenhaus (nicht in der Türkei) sei. Bis heute gehe das Kind hiervon aus. Seit dem 1. Dezember 2021 sei der Antragsteller im Bezirkskrankenhaus. Im Dezember habe er mindestens viermal telefonischen Kontakt mit dem Kind gehabt. Bis vor Weihnachten sei bei der Ex-Frau noch alles in Ordnung gewesen. Zwischenzeitlich habe die Ex-Frau den Kontakt unterbrochen. Der Antragsteller wolle weiterhin ein Umgangsrecht. Die Beziehung zum Kind sei dem Antragsteller mehr als wichtig. Er zeige Elternverantwortung, die er auch in der Vergangenheit gezeigt habe und jetzt sogar im Bezirkskrankenhaus. Die Mutter zeige, dass sie bereit sei, notfalls das Kind vorzuenthalten. Man stelle sich vor, was wäre, wenn der Antragsteller in der Türkei wäre und sein Kind nicht erreichen könnte, weil die Mutter keinen Kontakt zum Vater wünsche. Die Ex-Frau gefährde aktuell die Vater-Kind-Beziehung, weswegen diese Gefährdung nicht auch noch durch eine Ausweisung vergrößert werden dürfe. Betreffend das Kind M.-M.: insoweit werde die Vater-Kind-Beziehung nun schon seit ca. 6 Monaten intensiviert. Schon in den nächsten Wochen und Monaten werde es so sein, dass der Antragsteller Elternverantwortung zu seinem Sohn im Sinne einer schützenswerten Vater-Kind-Beziehung aufgebaut habe und einen intensiven Umgang mit dem Kind pflegen werde. Frau V.R. habe am 27. April 2022 erklärt, sie und der Antragsteller wünschten auf jeden Fall bald als Familie zusammen zu sein. M.-M. brauche seinen Papa, so wie der Antragsteller M.-M. brauche. Ein Neuanfang als Familie sei gewollt. Sie würden sehr viel telefonieren. M.-M. freue sich, wenn der Antragsteller über Video anrufe und ihn sehen könne. Sie wollten als Familie auf jeden Fall zusammen sein. Rechtlich gelte insoweit Folgendes: zum Sohn P. liege bereits jetzt eine enge Beziehung vor, zum Sohn M.-M. zumindest in Kürze. Die Eltern des Antragstellers lebten seit den 1970er Jahren in Deutschland und hätten sich hier sozial und beruflich integriert. Der Antragsteller habe neben der älteren Schwester, die deutsche Staatsangehörige sei, einen jüngeren Bruder, der ebenfalls Inhaber einer Niederlassungserlaubnis sei. Mit beiden Geschwistern sei der Antragsteller aufgewachsen und heute noch fest verbunden. Der Antragsteller habe ab dem Jahr 2006 bei der Firma M.A.N. ca. 15 Jahre gearbeitet. Im Jahr 2018 sei er an der Wirbelsäule operiert worden. Anschließend sei er etwa ein Jahr krankgeschrieben gewesen. Die Wiedereingliederung im Jahr 2019 sei problematisch verlaufen. Aufgrund vermehrter Fehlzeiten sei dem Antragsteller von der Firma M.A.N. schließlich zum 31. August 2020 gekündigt worden. Zuletzt habe der Antragsteller bei der Firma M.A.N. 2.500,00 € netto monatlich verdient. Insoweit seien die Zahlungen des Unterhalts für den Sohn auch möglich gewesen. Er habe am 22. Dezember 2011 geheiratet. Aus der Ehe sei Sohn P. am 5. März 2015 hervorgegangen. Im Jahr 2016 sei es zur Trennung aufgrund finanzieller Probleme gekommen, Scheidung 2017. Sohn P. sei die wichtigste Person seines Lebens. Seine Karriere als Fußballspieler habe der Antragsteller aufgrund von diversen Bänderrissen aufgeben müssen. Hier schon habe der Antragsteller Pech im Leben gehabt. Es lägen erhebliche Integrationsleistungen vor. Sowohl die Scheidung als auch der Verlust seiner Beschäftigung infolge krankheitsbedingter Fehlzeiten (unverschuldetes Leiden an der Wirbelsäule mit langer Krankheits- und Rehazeit) hätten den Antragsteller zum Drogenkonsum verleitet, zumal eine Freundin, die er im Jahr 2018 kennengelernt habe, ihrerseits Drogen konsumierte. Dies sei alles keine Entschuldigung. Doch das sportliche Pech, der Verlust der Ehebeziehung und die Trennung vom Kind, dann auch das Wirbelsäulenleiden und der Verlust der Arbeit hätten bei dem Antragsteller zu depressiven Episoden geführt, die ebenso im Rahmen der Begutachtung im Strafprozess festgehalten würden. Diese Umstände seien im Rahmen des ausländerrechtlichen Verfahrens zu berücksichtigen, da sie doch vom Normalfall des Drogenkonsums abweichen würden. Im Übrigen liege keine lange Drogenkarriere - bezogen auf die schwere Btm-Kriminalität, die auch zur Verurteilung zur Haftstrafe geführt habe - vor, es sei damit zu rechnen, dass der Antragsteller nach erfolgreicher Therapie ein drogenfreies Leben führen könne. Der Umstand, dass ihm sofort die Therapie bewilligt worden sei, spreche für den Antragsteller. Weitere Argumente gegen eine Ausweisung: der Antragsteller sei faktischer Inländer. Er habe die Niederlassungserlaubnis und ein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 und 7 ARB 1/80. Zudem habe er eine schützenswerte Beziehung zu einem deutschen Kind, aber auch zu anderen Familienangehörigen. Hinzu komme nun eine Beziehung zur Verlobten V.R. Tatsächliches: der Antragsteller habe heute keinen Bezug zur Türkei. In der Türkei hätte der Antragsteller niemanden, an den er sich wenden könne. Hingegen sei das Verhältnis zu den in Deutschland lebenden Angehörigen, insbesondere zu seinen Eltern und seiner Schwester besonders eng. Eine Trennung dieses familiären Bundes wäre ein unverhältnismäßiger Eingriff. Eine Aufenthaltsbeendigung würde die hierdurch gewachsenen Bindungen vernichten und der Antragsteller würde in der Türkei gewissermaßen vor dem Nichts stehen, ohne dass er einen persönlichen oder familiären Anlaufpunkt dort hätte. Vor allem könnte der Antragsteller in der Türkei hinsichtlich Arbeitssuche und Existenzbegründung dort nicht Fuß fassen. Es gebe keinerlei Ersparnisse, kein Vermögen und keine Einkünfte. Er plane mit Frau V.R. eine gemeinsame Zukunft. Rechtliche Folgen: der Antragsteller sei im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Die Verurteilung (Urteil des Landgerichts N.F. vom 27. September 2021) sei die erste Verurteilung zu einer Haftstrafe; die Tat habe allein dem Eigenkonsum gedient; die persönliche Lebensgeschichte (Pech beim Leistungssport, Scheitern der Ehe, Wirbelsäulenleiden, Verlust der Arbeitsstellung) habe den Weg in den Drogenkonsum begünstigt. Es gehe keine Gefährdung von ihm aus. Er habe nur eine Drogenkarriere gehabt, die seinem Eigenkonsum gedient habe, in die er aufgrund schwerer Rückschläge im Leben zuletzt doch in erheblicher Form verfallen sei. Entscheidend sei die umfassende, einzelfallbezogene Abwägung. Im Falle einer Ausweisung wäre der Eingriff durch die Schranke des Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht gerechtfertigt. Die Ausweisung sei nicht verhältnismäßig. Der Antragsteller habe sich sein ganzes Leben lang in Deutschland aufgehalten. Sein Aufenthalt sei durchgehend rechtmäßig gewesen. Der Antragsteller habe ein Vertrauen darauf entwickeln dürfen, dass eine Beziehung in Deutschland dauerhaft gelebt werden könnte. Mit seiner Lebensgeschichte und dem Verlust seiner Bindung wäre er in der Türkei regelrecht verloren. Sämtliche Annex-Entscheidungen des Bescheids würden für rechtswidrig gehalten. Weitere rechtliche Ausführungen zum Beschluss des Verwaltungsgerichts: das Verwaltungsgericht beachte nicht das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen der aufschiebenden Wirkung der Klage und der Anordnung des Sofortvollzugs. Es habe keine eigenständige Prognoseentscheidung getroffen. Das Verwaltungsgericht habe nicht ergebnisoffen abgewogen. Das Verwaltungsgericht übersehe auch, dass eine Entlassung nach erfolgreichem Abschluss des Maßregelvollzuges nicht etwa in Freiheit, sondern in Strafhaft erfolge, also nach dem Maßregelvollzug die Strafe weiter zu vollstrecken sei, solange keine Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung erfolge.
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Vorgelegt wurden vom Antragsteller: Monatsberichte des Bezirksklinikums A. (Klinik für forensische Psychiatrie) vom Dezember 2021 bis Juni 2022. Dem Monatsbericht Januar 2022 ist u.a. zu entnehmen, dass sich der Antragsteller „soweit“ an die Stationsregeln halte („große Ausnahme: Ereignismeldung, als er bei Mitpat. in der Nasszelle war“). Er sei am 13. Januar 2022 im Zimmer von Herrn … erwischt worden, beide seien in der Nasszelle mit geschlossener Tür gewesen. Dem Monatsbericht Februar 2022 („sozialpädagogischer Verlauf“) ist u.a. zu entnehmen, dass gemäß einem Gespräch vom 2. Februar 2022 der Antragsteller vorhabe, über seinen Anwalt das Besuchsrecht bezüglich seines 6-jährigen Sohnes zu erzwingen, aus Sicht des Antragstellers habe sich im Herbst/Winter ein regelmäßiger Telefonkontakt zu seinem Sohn entwickelt, vorher sei lange Zeit kein Kontakt gewesen. Nun unterbinde seine Ex-Frau den Kontakt, er tue dem Sohn nicht gut. Zudem habe sie beim Ausländeramt wissen lassen, dass es keinen Kontakt gebe, dies, aus des Antragstellers Sicht, um die Abschiebung zu begünstigen. Der Antragsteller habe davon überzeugt werden können, nun zunächst über Briefe und über das Jugendamt zu agieren und nicht direkt mit dem Anwalt. Im Monatsbericht März 2022 ist u.a. ausgeführt, der Antragsteller mache sich viele Gedanken wegen seines Sohnes und der drohenden Ausweisung. Der Umgang mit seinem Sohn, der ihm aktuell verwehrt werde, sollte in einer Gerichtsverhandlung erwirkt werden. Diese sei ausgefallen. Eine Glücksspielanamnese sei durchgeführt worden, dabei habe der Antragsteller Angaben gemacht, die deutlich von Vorinformationen, u.a. aus Urteil und Eingangsgutachten abwichen. Dem Monatsbericht April 2022 („psychotherapeutischer Verlauf“) ist zu entnehmen, dass der Antragsteller im April berichtet habe, die Vaterschaft für den Sohn einer ehemaligen Partnerin, dessen Vaterschaft er sich nicht sicher gewesen sei, anerkannt zu haben. Im Monatsbericht Mai 2022 heißt es unter „psychotherapeutischer Verlauf“, im Mai sei der Antragsteller mit Diskrepanzen zwischen den Angaben in Einzeltherapie und Gutachten (bzw. Urteil) zum Thema Glücksspielvergangenheit konfrontiert worden. Der Antragsteller habe geäußert, einen Teil der Angaben im Gutachten nicht nachvollziehen zu können. Er vermute, dass der Gutachter seine Arbeit nicht gut gemacht habe und habe sich dahingehend anekdotisch geäußert. Unter „sozialpädagogischer Verlauf“ heißt es hinsichtlich Gespräch zum Thema der Schuldenregulierung vom 18. Mai 2022, der Antragsteller wolle nach Beratung in die Verbraucherinsolvenz. Dem Monatsbericht Juni 2022 ist („sozialpädagogischer Verlauf“) u.a. zu entnehmen, das Ausländeramt habe die Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge beantragt … „insgesamt undurchsichtiges Agieren des Anwalts und auch des Herrn A.. Der Anwalt habe in vorliegendem Schreiben z.B. erwähnt, Herr A. habe bereits die B-Stufe. Ebenso habe die Verlobte des Herrn A. an Eides statt versichert, dass sie sich am 19.4.2022 in der Klinik mit Herrn A. verlobt habe, ein Besuch hatte jedoch nicht stattgefunden“. Unter „psychotherapeutischer Verlauf“ ist ausgeführt, am 1. Juli 2022 habe eine Lockerungsrücknahme (auf Stufe Null) aufgrund von Ausländerrecht, Ausweisungsbescheid und drohender Fluchtgefahr stattgefunden. Des Weiteren legte der Antragsteller durchgehend negative Drogenbefunde, insbesondere der Bezirkskliniken M. vom 14. Dezember 2021 bis 27. Juni 2022 vor.
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Mit Schriftsatz vom 11. August 2022, eingegangen am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof am 15. August 2022, legte der Antragsteller eine Erklärung der Frau V.R. vom 11. August 2022 an die Stadt N. (Jugendamt) über die Zustimmung zur Vaterschaftsanerkennung vor. Darin heißt es, Frau V.R. stimme als Mutter des Kindes M.-M., geboren am ... 2021, der Vaterschaftsanerkennung zu dem Kind durch den Antragsteller zu. Vorgelegt wurde weiterhin eine E-Mail der Frau V.R. an den Vertreter des Antragstellers des Inhalts, dass der Antragsteller weiterhin täglichen Kontakt zu ihr und ihrem Sohn sowie auch zu den beiden anderen Söhnen der Frau V.R. habe. Sie würden mehrmals und mehrere Stunden telefonieren. Jeden Donnerstag sehe der Antragsteller seinen Sohn über Videochat. Weiter führte der Antragsteller aus, dass Frau V.R. „auch schon die Sorgeerklärung“ habe abgeben wollen. Dies sei abgelehnt worden. Es sei so, dass die Antragsgegnerin damit weiterhin die notwendigen Schritte bis hin zur Sorgeerklärung letztlich vereitele, man könne es nicht mehr anders sehen.
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Unter dem 16. September 2022 führte der Antragsteller sodann u.a. aus, die Begründung nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO bleibe formelhaft. Die Antragsgegnerin habe erreicht, dass es nun zur Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge gekommen sei. Die Staatsanwaltschaft habe die Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge beantragt. Hierzu sei es nun aufgrund der Entscheidung der Kleinen Strafkammer des Landgerichts A. -gerade erst rechtskräftig geworden durch Zurückweisung des OLG N. - gekommen. Der Antragsteller komme nun in Strafhaft, der Maßregelvollzug sei damit beendet. Damit greife aber vor allem die Ziffer IV der Ausweisungsverfügung nicht (mehr), da diese ausdrücklich die Abschiebung allein aus dem Maßregelvollzug vorsehe, selbst für den Fall des §456a StPO. Eine entsprechende Regelung für die Strafhaft fehle. Dies könne - Grundsatz der Bestimmtheit des Verwaltungsakts - auch nicht einfach durch Auslegung auf die Strafhaft übertragen werden. Die Antragsgegnerin hätte das schon ausdrücklich regeln müssen. Eine Vollziehung aus Strafhaft komme nach alledem außerdem ausländerrechtlich jedenfalls nicht mehr in Betracht. Eine Haftentlassung sei aber vor dem 24. Januar 2024 (2/3-Strafe) sicher nicht zu erwarten. Damit aber seien es noch über 1,5 Jahre. Es bestehe daher ausreichend Zeit für die Durchführung eines etwaigen Hauptverfahrens. Die Haftentlassung des Antragstellers stehe nicht unmittelbar bevor. Eine gerichtliche Hauptsacheentscheidung stehe nicht noch auf unbestimmte Zeit aus. Auch ergäben sich trotz Inhaftierung keine konkreten Anhaltspunkte für Straftaten aus oder in der Haft. Grundsätzliche Bedeutung habe im Hinblick auf faktische Inländer die Frage, ob bei faktischen Inländern, die wegen Straftaten ausgewiesen werden sollen, eine gerichtlich angeordnete Maßregel nach §64 StGB grundsätzlich vor einer Ausweisung abgewartet werden müsse, weil die aus Art. 2 und 6 GG sowie aus Art. 8 EMRK bestehenden besonderen verfassungsrechtlich und europarechtlich schützenswerten Interessen die Möglichkeiten eröffnen, eine von einem Strafgericht angeordnete Therapie, deren Zweck es sei, den Hang des Konsums von Betäubungsmitteln zu bekämpfen und damit die Gefahr einer Wiederholung von Straftaten zu minimieren. Weiter zur Beschwerdeerwiderung: natürlich habe die Antragsgegnerin bestimmend auf das Vorgehen der Staatsanwaltschaft als auch auf das Vorgehen des BKH eingewirkt. Aus Sicht des Antragstellers habe die Antragsgegnerin letztlich die Ursache dafür gesetzt, dass der Umgang mit dem Kind P. auch wegen der Hinweise der Antragsgegnerin gescheitert sei. Gerichtlich habe eine Umgangsregelung unter Mitwirkung der Stadt N. erreicht werden können. Doch aufgrund eines „Sachbearbeiterwechsels“ sei es bis heute zu keiner Vermittlung der Stadt N. gekommen. Hinsichtlich der Vereitelung der Sorgeerklärung sei bereits vorgetragen worden (Vorlage eines Schreibens des Rechtsanwaltes B. vom 21. März 2022 an das Amtsgericht N., in welchem sich dieser für die Bestellung zum Verfahrensbeistand des Kindes P. bedankt. Diesem Schreiben ist u.a. zu entnehmen, dass die Mutter des P. (Ex-Frau des Antragstellers) Kontakt aufgenommen habe mit der Sachbearbeiterin beim Ausländeramt. Diese habe gemeint, dass sicher die Abschiebung kommen werde und dass auch das Umgangsverfahren offensichtlich nicht mit einem Interesse an dem Kind begründet sei). Dem Schreiben des Antragstellers vom 16. September 2022 ist weiter zu entnehmen, dass die Antragsgegnerin nach dessen Auffassung die Beziehung zur Verlobten V.R. und zum gemeinsamen Kind M.-M. diskreditiere und missachte. Die Beziehung werde ernsthaft und den Umständen entsprechend intensiv geführt. Vorgelegt wurde eine E-Mailnachricht der V.R. an den Vertreter des Antragstellers, in der es heißt, der Antragsteller und sein Sohn hätten sich vor zwei Wochen gesehen, der Umgang sei sehr herzlich und liebevoll gewesen. Der Sohn sei sehr an seinen Papa gebunden gewesen und habe nur schwer von ihm gehen wollen. Der Sohn habe eine starke Bindung zu seinem Vater. Weiter führt der Antragsteller in dem genannten Schreiben aus, die Antragsgegnerin nehme die Verlobung nicht ernst. Frau V.R. erkläre in einer weiteren E-Mailnachricht, dass die Verlobung nach intensiven Telefonaten erfolgt sei, im Bezirkskrankenhaus. Vorgelegt wurde insoweit eine E-Mailnachricht der Frau V.R. vom 15. September 2022, in der es heißt, die Verlobung sei im Bezirkskrankenhaus verlaufen. Der Antragsteller habe sie nach sehr intensiven Telefonaten gefragt, ob sie sich verloben möchten, sie habe natürlich ja gesagt, die Verlobungsringe hätten die Eltern besorgt. Zudem weist der Antragsteller in dem genannten Schreiben darauf hin, in der Strafhaft werde es nun zu einer Intensivierung der Beziehung zur Verlobten und zum Kind kommen bis zum Körperkontakt. Rechtlich werde noch einmal auf folgende Gesichtspunkte hingewiesen: während der Strafhaft sei von einem aus der Strafvollstreckung resultierenden Wohlverhaltensdruck auszugehen. Eine Gefahrenrealisierung vor Entlassung sei daher nicht zu erwarten. Der Sofortvollzug könne nach alledem nicht darauf gestützt werden, dass ein Absehen von der Vollstreckung gemäß §456a StPO drohe. Eine Haftentlassung liege in erheblicher Ferne. Die Staatsanwaltschaft habe bis heute nicht mitgeteilt, ob und wann sie eine Verfahrensweise nach §456a StPO beabsichtige. Der Begründungspflicht gemäß §80 Abs. 3 Satz 1 VwGO komme „verfassungsrechtliche Bedeutung“ zu. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens müsse grundsätzlich eine Zustimmung der Staatsanwaltschaft zur Abschiebung vorliegen, was sich aus §72 Abs. 4 AufenthG ergebe. Ohne Zustimmung keine Anordnung der sofortigen Vollziehung! Durch den Sofortvollzug werde der Grundrechtseingriff intensiviert, das verlange größtmögliche Sicherheit bei den Prognosegrundlagen. An sich bedürfe es hier der Einholung eines Sachverständigengutachtens.
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Dieses Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine Abänderung der erstgerichtlichen Entscheidung.
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Das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Ausweisung (ebenso an der sofortigen Vollziehung der Ziff. III des streitgegenständlichen Bescheids) ist in einer der Formerfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise damit begründet worden, dass ein Eintreten der Wiederholungsgefahr bereits kurzfristig zu befürchten ist, welche sich im Übrigen ja auch bereits in der Vergangenheit mit enormer Geschwindigkeit realisiert hat. Eine Wiederholungsgefahr könnte sich ggf. im Rahmen eines evtl. längerfristigen Hauptsacheverfahrens realisieren. Es müssten ohne eine vollziehbare Ausweisungs- und Abschiebungsverfügung Gefahren in Kauf genommen werden, die die Grundinteressen der Gesellschaft berühren würden. Damit hat die Antragsgegnerin in hinreichender Weise einzelfallbezogen zum Ausdruck gebracht, dass sie das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Ausweisung damit begründet, dass eine erneute Straffälligkeit des Antragstellers und damit verbundene Gefahren für die Allgemeinheit noch vor Rechtskraft im Hauptsacheverfahren verhindert werden sollen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziff. III des Bescheids hat die Antragsgegnerin im Übrigen in hinreichender Weise den Vorgaben des § 80 Abs. 3 VwGO genügend mit dem Zweck der Fernhaltung des Antragstellers aus dem Bundesgebiet auch während eines länger anhaltenden Klageverfahrens begründet.
11
Ist mithin das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug (hier) der Ausweisung in einer den Formerfordernissen nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise begründet worden, setzt die gerichtliche Entscheidung nach §80 Abs. 5 VwGO über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage eine Abwägung des Interesses des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts bis zur endgültigen Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, gegen das öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung voraus. Da die Ausweisung eine schwerwiegende und mit schwer zu behebenden Folgen für den Ausländer verbundene Maßnahme darstellt, deren Gewicht durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung noch erheblich verschärft wird, setzt das Interesse an der sofortigen Vollziehung des Weiteren die aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls zu treffende Feststellung voraus, dass der Sofortvollzug schon vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr der mit der Ausweisungsverfügung zu bekämpfenden Gefahren erforderlich ist (vgl. BVerfG, B.v. 13.6.2005 - 2 BvR 485/05 - NJW 2005, 3275; BayVGH, B.v. 14.3.2019 - 19 CS 17.1784 - juris Rn. 7, B.v. 19.2.2009 - 19 CS 08.1175 - juris Rn. 49 jeweils m.w.N.). Bei der im Übrigen vorzunehmenden Folgenabwägung sind die konkreten Nachteile für die gefährdeten Rechtsgüter bei einem Aufschub des Vollzugs, wenn sich die Ausweisung nachträglich als rechtmäßig erweist, den konkreten Folgen des Sofortvollzugs für den Ausländer, wenn sich die Ausweisungsverfügung nachträglich als rechtswidrig erweisen sollte, gegenüberzustellen (vgl. BVerfG, B.v. 4.10.2006 - 1 BvR 2403/06 - juris). Für das Vorliegen des besonderen Vollziehungsinteresses im Sinne des §80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO kommt es auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung - hier des Beschwerdegerichts - an (vgl. OVG NW, B.v. 5.8.2009 - 18 B 331/09 - juris).
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Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass nach diesen Maßstäben das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes keinen Erfolg hat. Die Ausweisungsverfügung der Antragsgegnerin vom 28. März 2022 ist voraussichtlich rechtmäßig (1.), die Anordnung des Sofortvollzugs ist als Präventivmaßnahme zur Abwehr der mit der Ausweisungsverfügung zu bekämpfenden Gefahren schon vor dem Abschluss des Hauptsacheverfahrens erforderlich (2.) und die bei einem Aufschub des Vollzugs eintretenden konkreten Nachteile für die gefährdeten Rechtsgüter überwiegen die den Antragsteller treffenden Folgen der sofortigen Vollziehung (3.).
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1. Für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung der Ausweisungsverfügung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.2007 -1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20). Davon ausgehend ist die Ausweisungsentscheidung voraussichtlich rechtmäßig:
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1.1. Das Beschwerdevorbringen bezüglich der Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts rechtfertigt keine Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
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Bei der Feststellung der in § 53 Abs. 3 AufenthG genannten schwerwiegenden Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (zu diesem Maßstab vgl. EuGH, U.v. 8.12.2011 - C-371/08, „Ziebell“ - Rn. 82 ff.), handelt es sich um eine Prognose, die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eigenständig zu treffen haben (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Die Indizien, die für diese Prognose heranzuziehen sind, ergeben sich nicht nur aus dem Verhalten im Strafvollzug und danach. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BVerwG, U.v. 16.11.2000 - 9 C 6/00 - BVerwGE 112, 185, juris Rn. 14; vgl. auch BVerwG, B.v. 4.5.1990 - 1 B 82/89 - NVwZ-RR 1990, 649, juris Rn. 4). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 34; BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - Rn. 18).
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Nach diesen Maßgaben wiegt die Straffälligkeit des Antragsstellers schwer. Diese wird von ihm auch nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Soweit er durch seinen Vortrag, er habe nur eine Drogenkarriere gehabt, die seinem Eigenkonsum gedient habe, zum Ausdruck bringen will, er sei kein gewinnbringende Geschäfte betreibender Drogenhändler, trifft dies nicht zu.
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Soweit insbesondere hinsichtlich der Anlasstaten das Landgericht N.-F. als wesentlichen Hintergrund für die dort abgeurteilte Delinquenz des Antragstellers dessen Betäubungsmittelabhängigkeit sieht, ist die insoweit indizierte Gefährlichkeit des Antragstellers bislang nicht beseitigt. Festzuhalten ist insoweit:
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Bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (siehe z.B. BayVGH, B.v. 18.5.2021 - 19 ZB 20.65 - juris Rn. 27; B.v. 14.5.2021 - 19 ZB 20.2345 - juris Rn. 28; B.v. 11.3.2020 - 10 ZB 19.777 - juris Rn. 9; B.v. 29.5.2018 - 10 ZB 17.1739 - juris Rn. 9; B.v. 16.2.2018 - 10 ZB 17.2063 - juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 7.2.2018 - 10 ZB 17.1386 - juris Rn. 10; BayVGH, U.v. 3.2.2015 - 10 B 14.1613 - juris Rn. 32 m.w.N.; ebenso auch OVG Berlin-Bbg, B.v. 11.6.2020 - OVG 11 N 55-19 - juris Rn. 16-18;). In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Erfolgschancen einer Therapie im Allgemeinen bereits deutlich unter 50% liegen (vgl. Fabricius in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl. 2019, §35 Rn. 46 ff.: nur 25% der beobachteten Personen blieben strafrechtlich unauffällig und dürften eine Chance der sozialen Reintegration und der gesundheitlichen Stabilisierung erreicht haben; „bescheidene Erfolge“; nach Klos/Görgen - Rückfallprophylaxe bei Drogenabhängigkeit, 2. Aufl. 2020, S. 18 ff. - sind Rückfälle eher die Regel als die Ausnahme; Jehle/Albrecht/Hohmann-Fricke/Tetal haben in der bundesweiten Rückfalluntersuchung „Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen“ für den Zeitraum 2004/2010 bis 2013 - www.bmjv.de - ermittelt, dass nach Delikten gemäß BtMG innerhalb des 1. bis 3. Jahres 45% der Straftäter erneut registriert wurden mit einer Zunahme von weiteren 11% auf 56% vom 4. bis 6. Jahr und weiteren 4% auf 60% innerhalb des 7. bis 9. Jahres des Beobachtungszeitraums; von der Gesamtpopulation der Straftäter wurden innerhalb von 3 Jahren 36% erneut verurteilt; betreffend Cannabis spricht Thomasius, Ärztlicher Leiter am Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters Universitätsklinikum Hamburg, von bescheidenen Behandlungserfolgen; langfristig abstinent seien nach einer Therapie nur etwa 25% der Patienten, zit. nach aokGesundheitsmagazin, 31.5.2021, www.aok.de). Solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit auf einen Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (BayVGH, B.v. 13.10.2017 - 10 ZB 17.1469 - juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 6.5.2015 - 10 ZB 15.231 - juris Rn. 11). Dies bedeutet, dass somit selbst eine im Maßregelvollzug erfolgreich absolvierte Drogentherapie (an der es bislang bereits fehlt) nicht automatisch zu einem Entfallen der Wiederholungsgefahr führt.
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An diesen dargelegten Voraussetzungen fehlt es, denn der Antragsteller hat bislang eine Drogentherapie nicht erfolgreich abgeschlossen und die mit einem derartigen erfolgreichen Abschluss verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende nicht glaubhaft gemacht. Die Therapie wurde vielmehr abgebrochen, der Antragsteller befindet sich (wiederum) in Strafhaft. Da der Antragsteller sich mit mithin nicht nach erfolgreichem Therapieabschluss außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit auf einen Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (BayVGH, B.v. 13.10.2107 - 10 ZB 17.1469 - juris Rn. 12, BayVGH, B.v. 6.5.2015 -10 ZB 15.231 - juris Rn. 11).
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Was die Gefahren angeht, die vom Antragsteller ausgehen, wenn er in den Drogenkonsum und in die Beschaffungskriminalität (insbesondere im Zusammenhang mit dem Rauschgifthandel) zurückfällt, bleibt zu betonen, dass der Schutz der Bevölkerung vor Betäubungsmittel ein besonders gewichtiges Grundanliegen der Gesellschaft ist (vgl. EGMR, U.v. 30.11.1999 - 34374/97 (Baghli) - InfAuslR 2000, 53). Der Antragsteller wurde zuletzt wegen einer lang anhaltenden Tätigkeit als Rauschgifthändler (Methamphetamin und Marihuana) verurteilt. Bereits ein Handel mit Cannabis/Marihuana führt insbesondere bei einem anschließenden Konsum durch Kinder bzw. Jugendliche zu schwerwiegenden negativen Folgen. Neuere wissenschaftliche Untersuchungen belegen die dauerhafte Veränderung der Hirnstruktur und des Verhaltens bei Jugendlichen und die Erhöhung des Risikos u.a. für psychotische Störungen wie cannabisinduzierte Psychosen oder Schizophrenien sowie affektive Störungen wie Depressionen, Angststörungen, bipolare Störungen, Suizidalität (Studie Albaugh u.a. in JAMA psychiatry 2021; 78(9). 1031-1040; vgl. auch Horn/Friemel/Schneider, Abschlussbericht Cannabis. Potenzial und Risiko, Stand 11/2018, www.bundesgesundheitsministerium.de).
21
Wenngleich von der Begehung von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz nicht in jedem Fall ohne Weiteres auf die Gefährdung höchster Gemeinwohlgüter und auf eine kaum widerlegliche Rückfallgefahr geschlossen werden und ein allgemeines Erfahrungswissen nicht zu einer schematischen Gesetzesanwendung führen darf (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 - juris Rn. 19), sind aufgrund der jahrelangen, sich steigernden Delinquenz des Antragstellers, seines seit frühester Jugend (etwa zeitgleich mit der Delinquenz beginnend) bestehenden Betäubungsmittelkonsums und der ersichtlich jahrelang nicht bearbeiteten Suchtproblematik durchgreifende Anhaltspunkte für eine widerlegte Rückfall- bzw. Wiederholungsgefahr (trotz der zeitweisen negativen Drogentests, auch die erstmalige Hafterfahrung des sich allerdings nicht mehr in einem jungen Alter befindlichen Antragstellers und seinen - weitgehend - beanstandungsfreien Aufenthalt in der Entziehungsanstalt - wobei der auf ihm lastende sog. Legalbewährungsdruck zu berücksichtigen ist - hat der Senat in den Blick genommen) nicht ersichtlich. Das Landgericht N.-F. führte im Anlassurteil unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. T. aus, der Antragsteller sei mittelschwer betäubungsmittelabhängig, zudem leide er an pathologischem Spielen, es bestehe aufgrund seines Hanges im Sinne des §64 StGB die Gefahr, dass er auch künftig erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde, angesichts des erheblichen Betäubungsmittelkonsums und des Grads der Abhängigkeit sei beim Antragsteller - bleibe seine Betäubungsmittelabhängigkeit unbehandelt - mit weiteren Betäubungsmitteldelikten zu rechnen. Diese Ausführungen (auch das Landgericht A. - Strafvollstreckungskammer - hat in seinem Beschluss vom 25. Mai 2022 betreffend die Fortdauer der Unterbringung ausgeführt, der Antragsteller befinde sich in einer frühen Behandlungsphase, es sei nicht zu erwarten, dass er außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen werde) beanspruchen Geltung auch für die Annahme einer ausländerrechtlichen Wiederholungsgefahr, zumal der bislang nicht (ausreichend) behandelte und zuletzt beschäftigungslose Antragsteller überschuldet ist und aufgrund seiner prekären wirtschaftlichen Verhältnisse (zudem wegen seines Glückspielverhaltens) sich die Annahme aufdrängt, dass er zur Gewinnerzielung erhebliche Straftaten begehen wird. Die bestehende Wiederholungsgefahr wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass (bzw. wenn) für sog. faktische Inländer im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung der besonderen Härte, die eine Ausweisung für diese Personengruppe darstellt, in angemessenem Umfang Rechnung zu tragen ist.
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Soweit der Antragsteller eine von ihm ausgehende Wiederholungsgefahr mit dem Argument verneinen will, er werde frühestens Anfang 2024 aus der Haft entlassen (bzw. frühestens Anfang 2024 werde die Vollstreckungsbehörde eine von ihr beabsichtigte Entscheidung nach §456a StPO treffen), trifft dies nicht zu. Unabhängig davon, dass sich die Gefährlichkeit des Antragstellers auch innerhalb der Strafhaft oder des Maßregelvollzugs manifestieren kann, wird die von einer Person ausgehende Gefahr während der Dauer einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder während der Dauer der Strafhaft schon deshalb nicht ausgeschlossen, weil Grundlage einer aufenthalts- bzw. sicherheitsrechtlichen Gefahrenprognose naturgemäß nur das zu erwartende Verhalten der Person außerhalb freiheitsbeschränkender und -entziehender Maßnahme sein kann (vgl. z.B. Beschlüsse des Senats vom 21.1.2020, 19 ZB 19.1694, Rn. 15 und vom 23.11.2021, 19 ZB 20.3041). Dies bedeutet, dass insoweit die Frage der Gefährlichkeit des Antragstellers unabhängig von etwaigen schützenden Bedingungen aufgrund von Strafhaft oder Maßregelvollzug zu beurteilen ist. Davon ausgehend stellt der Antragsteller mit seinem Vortrag die von ihm (derzeit) ausgehende Gefahr der Wiederholung erheblicher Straftaten für überragend wichtige Güter nicht in Frage. Ebenso wenig trifft sein Vortrag zu, bis zur Entlassung aus der Strafhaft liege jedenfalls eine rechtskräftige Entscheidung über die Ausweisungsverfügung vor. Dies ist vielmehr schwerlich zu prognostizieren bzw. anzunehmen. Auch ist es wegen der zu bejahenden Gefährlichkeit des Antragstellers für diesen unbehelflich, zu welchem Zeitpunkt die Vollstreckungsbehörde (wie von ihr beabsichtigt) gemäß §456a StPO von der Vollstreckung im Hinblick auf die Ausweisung absieht.
23
Soweit der Antragsteller die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung sinngemäß damit in Frage stellen will, dass er (ggf. auch zum weiteren Beziehungsaufbau zu den Kindern) einen Anspruch auf weitere Behandlung seiner Sucht im Bundesgebiet behauptet, ist festzuhalten: Ein Ausländer hat keinen Anspruch darauf, vor Vollzug einer Ausweisung eine Therapie erfolgreich abzuschließen. Der Kläger kann nicht beanspruchen, so lange in einer Therapieeinrichtung oder einem institutionalisierten Nachsorgeprogramm zu verbleiben, bis seine Erkrankung (insbesondere Suchterkrankung) geheilt ist und keine negative Gefahrenprognose mehr besteht (z.B. BayVGH, B.v. 16.4.2020 - 10 ZB 20.536 - juris Rn. 9). Selbst ein etwaiger Anspruch auf eine Therapie steht dem Vollzug einer Ausweisung nicht entgegen (vgl. BVerwG, B.v. 15.4.2013 - 1 B 22/12 - juris). Ebenso wenig hat ein drogenabhängiger Straftäter einen Anspruch darauf im Rahmen des Strafvollzugs oder danach in einer Bewährungsphase so lange therapiert zu werden, bis im möglicherweise eine günstige Sozialprognose gestellt werden kann (z.B. OVG Saarland, B.v. 1.4.2021 - 2 A 279/20, FSt 18/2022, S. 710 - Nr. 224)
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1.2. Auch die Gesamtabwägung des Verwaltungsgerichts gemäß § 53 Abs. 1, 2 und 3 AufenthG ist ersichtlich nicht zu beanstanden. Die Ausweisung erweist sich für die Wahrung des Grundinteresses der Gesellschaft als unerlässlich (§ 53 Abs. 3 AufenthG).
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Ein Ausländer kann - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - nur dann ausgewiesen werden, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt (§ 53 Abs. 1 AufenthG). In die Abwägung sind somit die in §54 AufenthG und §55 AufenthG vorgesehenen Ausweisungs- und Bleibeinteressen mit der im Gesetz vorgenommenen grundsätzlichen Gewichtung einzubeziehen (BT-Drs. 18/4097, S. 49); durch diese Begriffe wird die Abwägung strukturiert. Besonders schwerwiegende Interessen stehen sich grundsätzlich gleichrangig gegenüber. Welches Interesse überwiegt, ist immer im Rahmen einer Interessenabwägung zu klären, schon allein deshalb, weil nach der Vorstellung des Gesetzgebers neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen auch noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar sind (vgl. BT-Drs. 18/4097 Seite 49). Selbst das Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses, bei dessen Vorliegen ein besonderes öffentliches Interesse an der Aufenthaltsbeendigung besteht und häufig von einem Übergewicht des öffentlichen Interesses an der Ausweisung auszugehen sein wird, entbindet nicht von der Notwendigkeit der in §53 Abs. 1 AufenthG vorgeschriebenen umfassenden Interessenabwägung mit eventuellen Bleibeinteressen des Betroffenen (BVerwG, U.v. 27.7.2017 - 1 C 28/16 - juris Rn. 39). Die gesetzliche Unterscheidung in besonders schwerwiegende und schwerwiegende Ausweisungs- und Bleibeinteressen ist für die Güterabwägung zwar regelmäßig prägend (BVerwG, U.v. 27.7.2017 - 1 C 28/16 - juris Rn. 39). Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkretem Gewicht, zuwiderlaufen würde, ist aber unzulässig (BVerfG, B.v. 10.5.2007 - 2 BvR 304/07 - juris Rn. 41 bereits zum früheren Ausweisungsrecht). Bei Vorliegen besonderer Umstände können die Ausweisungsinteressen auch weniger schwer zu gewichten sein (vgl. BT-Drs. 18/4097 Seite 50). Im Rahmen der Abwägung ist mithin nicht nur von Belang, wie der Gesetzgeber das Ausweisungsinteresse abstrakt einstuft. Vielmehr ist das dem Ausländer vorgeworfene Verhalten, das den Ausweisungsgrund bildet, im Einzelnen zu würdigen und weiter zu gewichten, da gerade bei prinzipiell gleichgewichtigem Ausweisungs- und Bleibeinteresse das gefahrbegründende Verhalten des Ausländers näherer Aufklärung und Feststellung bedarf (BVerwG, U.v. 27.7.2017 - 1 C 28/16 - juris Rn. 39). Es verbietet sich zudem aber auch eine „mathematische“ Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen (BayVGH, U.v. 21.11.2017 - 10 B 17.818 - juris Rn. 41; VGH BW, U.v. 13.1.2016 - 11 S 889/15 - juris Rn. 142).
26
Im Rahmen der Prüfung der Unerlässlichkeit der Ausweisung nach § 53 Abs. 3 AufenthG ist zu beachten, dass die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein müssen, wobei sämtliche konkreten Umstände, die für die Situation der Betroffenen kennzeichnend sind, zu berücksichtigen sind (vgl. BayVGH, U.v. 3.2.2015 - 10 BV 13.421 - juris Rn. 77 m.w.N.). Unerlässlichkeit ist dabei nicht im Sinne einer „ultima ratio“ zu verstehen, sondern bringt den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für die Ausweisung von Unionsbürgern und Assoziationsberechtigten entwickelten Grundsatz zum Ausdruck, dass das nationale Gericht eine sorgfältige und umfassende Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen hat (BayVGH, B.v. 27.9.2017 - 10 ZB 16.823 - juris Rn. 20). Auch im Rahmen des §53 Abs. 3 AufenthG ist unter Berücksichtigung des besonderen Gefährdungsmaßstabs für die darin bezeichneten Gruppen von Ausländern eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach §53 Abs. 1 (i.V.m. Abs. 2) durchzuführen.
27
In der Rechtsprechung des EGMR ist anerkannt, dass selbst schwerwiegende Beeinträchtigungen familiärer Beziehungen nicht stets das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung verdrängen. Vielmehr ist anhand der sogenannten „Boultif-Kriterien“ ein gerechter Ausgleich der gegenläufigen Interessen zu finden (vgl. z.B. U.v. 18.10.2006 - „Üner“ - juris Rn. 57 ff.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist zu berücksichtigen, dass der Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt gewährt und allein aufgrund formal-rechtlicher Bindungen ausländerrechtliche Schutzwirkungen nicht entfaltet (vgl. BVerfG, B.v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris). Wie der Gerichtshof betont auch das Bundesverfassungsgericht, dass selbst gewichtige familiäre Belange sich nicht stets gegenüber gegenläufigen öffentlichen Interessen durchsetzen (z.B. B.v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris Rn. 23).
28
Im Hinblick auf den lebenslangen Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet und seiner insoweit geltend gemachten Stellung als „faktischer Inländer“ ist zu berücksichtigen, dass die Bezeichnung eines Ausländers als „faktischer Inländer“ nicht davon entbindet, die im jeweiligen Einzelfall gegebenen Merkmale der Verwurzelung zu prüfen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht auch für so genannte „faktische Inländer“ kein generelles Ausweisungsverbot (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 - juris Rn .19; B.v. 25.8.2020 - 2 BvR 640/20 - juris Rn. 24). Bei der Ausweisung im Bundesgebiet geborener Ausländer ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung der besonderen Härte, die eine Ausweisung für diese Personengruppe darstellt, in angemessenem Umfang Rechnung zu tragen. Auch nach der Rechtsprechung des EGMR bietet Art. 8 EMRK bei sogenannten „Zuwanderern der zweiten Generation“ keinen absoluten Schutz vor einer Aufenthaltsbeendigung (vgl. EGMR [Große Kammer], U.v. 18.10.2006 - 46410/99 Rn. 54 - Üner, NVwZ 2007, 1279).
29
Im Rahmen der Ermittlung der privaten Belange ist in Rechnung zu stellen, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert ist. Als Gesichtspunkte für das Vorhandensein von anerkennenswerten Bindungen können Integrationsleistungen in persönlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht von Bedeutung sein, der rechtliche Status, die Beachtung gesetzlicher Pflichten und Verbote, der Grund für die Dauer des Aufenthalts und Kenntnisse der deutschen Sprache. Diese Bindungen des Ausländers im Inland sind in Beziehung zu setzen zu den (noch vorhandenen) Bindungen an seinen Heimatstaat. Hierzu gehört die Prüfung, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters, seiner persönlichen Befähigung und seiner familiären Anbindung im Heimatland von dem Land seiner Staatsangehörigkeit bzw. Herkunft entwurzelt ist.
30
All dies zugrunde gelegt kommt der Senat im Rahmen einer Gesamtabwägung (wie die Antraggegnerin und das Verwaltungsgericht) zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der Ausweisung und Ausreise die privaten Interessen des Klägers überwiegt:
31
Davon ausgehend, dass beim Antragsteller ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1b AufenthG besteht, dem ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG sowie ein schweres Bleibeinteresse nach §55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG gegenüberstehen, ist im Rahmen der umfassenden Interessenabwägung festzuhalten: zwar ist der Antragsteller im Bundesgebiet geboren. Zurecht weist das Verwaltungsgericht allerdings darauf hin, dass trotz des langen Aufenthalts im Bundesgebiet eine soziale und wirtschaftliche Integration allenfalls bedingt gelungen ist. Den Ausführungen des Verwaltungsgerichts hinsichtlich der vielfachen und regelmäßigen Delinquenz des Antragstellers, seines bereits im 15. Lebensjahr begonnenen illegalen Drogenkonsums und seiner hohen Schulden (insbesondere Spielschulden, sein Glückspielverhalten verharmlost der Antragsteller gemäß den vorgelegten Monatsberichten der Entziehungsanstalt) hat der Antragsteller nichts Durchgreifendes entgegengesetzt. Ein Leben in Einklang mit der Rechtsordnung ist dem Antragsteller nicht gelungen. Zuletzt lebte er von Drogengeschäften. Es trifft nicht zu, wenn er bagatellisierend behauptet, (erst) seine Scheidung und der Verlust der Beschäftigung hätten ihn zum Drogenkonsum verleitet. Die Scheidung fand 2017 statt, die Kündigung 2020 (Wirbelsäulen-OP 2018). Ebenso bagatellisiert der Antragsteller seine Delinquenz, wenn er meint, die Anlasstat habe allein dem Eigenkonsum gedient ohne die verheerenden Folgen seiner gewinnbringenden Drogenhändlertätigkeit auch für z.B. Jugendliche zu reflektieren. In den Blick zu nehmen ist insoweit zusätzlich, dass eine erneute Delinquenz des drogensüchtigen Antragstellers durch eine Drogenhändlertätigkeit zur Finanzierung seines Drogenkonsums auch aufgrund seiner prekären finanziellen Verhältnisse (er strebt die Privatinsolvenz an) zu erwarten ist. Zurecht gehen das Verwaltungsgericht (ebenso die Ausländerbehörde) auch davon aus, dass dem Antragsteller eine Ausreise in die Türkei zumutbar ist. Es ist weder nachvollziehbar vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass sich der Antragsteller in der Türkei keine Lebensgrundlage schaffen könnte. Dazu kann er ggf. auf die Hilfe seiner Eltern und Geschwister (der Antragsteller wurde ersichtlich in einer gemäß türkischen Maßstäben lebenden Familie sozialisiert; seine Herkunftsfamilie hat den Antragsteller nicht von seinem langjährigen Drogenverhalten und seiner langjährigen Delinquenz abhalten können) zurückgreifen. Als erwachsener Mann ist ihm auch die räumliche Trennung von der Herkunftsfamilie (Besuche oder mediale Kontakte sind möglich) zumutbar.
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Ein Überwiegen privater Interessen ergibt sich auch nicht aus dem geltend gemachten Verhältnis des Antragstellers zu den Kindern P. und M.-M. sowie zu Frau V.R., mit der er nach seinem Vortrag verlobt ist. Hinsichtlich Frau V.R. weist das Verwaltungsgericht zurecht darauf hin, dass sich aus den in § 55 AufenthG enthaltenen Wertungen ergibt, dass einer solchen Verbindung nicht der Stellenwert zukommt, der eine tatsächlich geschlossene Ehe hat. Zutreffend führt das Verwaltungsgericht auch aus, dass die Antragsgegnerin zu Recht darauf hingewiesen habe, dass die Verlobung in Kenntnis der ergangenen Ausweisungsverfügung erfolgt sei, woraus sich eine reduzierte Schutzwürdigkeit ergebe. Der Verlobten musste und muss klar sein, dass sie eine Beziehung mit einem vielfach delinquenten Ausländer führt, dessen weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet ferne liegt. Daher ist ihr eine auf Besuchsreisen und mediale Kontakte beschränkte Verlobung zumutbar. Auch ist insoweit in den Blick zu nehmen, dass der Antragsteller keine Lebenspartnerschaft mit V.R. (im Alltag, mit gegenseitiger Fürsorge) lebt, diese vielmehr eine Beziehung zum in Haft befindlichen Antragsteller (zuvor Entziehungsanstalt) mit den damit verbundenen Einschränkungen aufgebaut hat. Anhaltspunkte für eine unmittelbar bevorstehende Ehe (der Antragsteller gibt an, er sei weiter mit seiner geschiedenen Frau nach türkischem Recht verheiratet; ersichtlich würde zudem auch eine Eheschließung mit V.R. an der Abwägung nichts ändern) liegen zudem nicht vor. Im Übrigen ist festzuhalten (ohne, dass es entscheidungserheblich darauf ankommt), dass der Antragsteller gemäß Monatsbericht April 2022 des Bezirksklinikums Frau V.R. im April 2022 noch als „ehemalige Partnerin“ bezeichnete. Wie sich aus dem Monatsbericht Juni 2022 ergibt, war dem Antragsteller im April 2022 die Ausweisungsverfügung noch nicht bekannt. Es liegt nahe, dass der Antragsteller die Beziehung zu Frau V.R. sodann ausländerrechtlich motiviert intensivierte. In der JVA (also im Zeitraum vor dem 1. Dezember 2021) hatte der Antragsteller allerdings nach eigenen Angaben noch die Hoffnung auf eine Rückkehr der geschiedenen Frau gehabt (nachdem er allerdings nach eigenen Angaben 2018 eine drogenkonsumierende Freundin kennengelernt hatte). Die Dauerhaftigkeit der Verlobung mit V.R. mag mithin auch im Hinblick auf seine diesbezügliche Unstetigkeit fraglich sein.
33
Auch was die Beziehung zu den Kindern P. und M.-M. angeht, vermag der Antragsteller die Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht in Frage zu stellen. Festzuhalten ist:
34
Die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus Art. 6 GG entfalten sich nicht schon aufgrund formalrechtlicher familiärer Bindungen; entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern (vgl. BVerfG, B.v. 12.5.1987 - 2 BvR 1226/83 - juris Rn. 87; B.v. 8.12.2005 - 2 BvR 1001/04 - juris Rn. 17 ff. m.w.N; B.v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris Rn. 16.). Bei der vorzunehmenden Bewertung der familiären Beziehungen verbietet sich eine schematische Einordnung und Qualifizierung als entweder aufenthaltsrechtlich grundsätzlich schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft oder Beistandsgemeinschaft oder aber als bloße Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen, zumal auch der persönliche Kontakt mit dem Kind in Ausübung eines Umgangsrechts unabhängig vom Sorgerecht Ausdruck und Folge des natürlichen Elternrechts und der damit verbundenen Elternverantwortung ist und daher unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG steht. Nicht entscheidend ist, ob eine Hausgemeinschaft vorliegt und ob die von einem Familienmitglied erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte. Der Annahme einer familiären Lebensgemeinschaft steht nicht entgegen, dass ein Elternteil nur ausschnittsweise am Leben teilnimmt und keine alltäglichen Erziehungsentscheidungen trifft. Der spezifische Erziehungsbeitrag eines Elternteils wird durch die Betreuung des Kindes durch den anderen Elternteil nicht entbehrlich. Die Entwicklung eines Kindes wird nicht nur durch quantifizierbare Betreuungsbeiträge der Eltern, sondern auch durch die geistige und emotionale Auseinandersetzung geprägt. Es kommt jedoch darauf an, ob die vorhandenen Kontakte in ihrer Bedeutung für das Verhältnis zum Kind dem auch sonst Üblichen entsprechen und auf diese Weise die Vater-Kind-Beziehung gelebt wird. Erforderlich ist daher, dass der Sorgeberechtigte nach außen erkennbar in ausreichendem Maße Verantwortung für die Betreuung und Erziehung seines minderjährigen Kindes übernimmt (BayVGH, B.v. 17.12.2018 - 10 C 18.2177 - juris Rn. 19; B.v. 28.7.2015 - 10 ZB 15.858 - juris Rn. 5). Es kommt darauf an, ob zwischen dem Ausländer und seinem Kind auf Grund des gepflegten persönlichen Umgangs ein Eltern-Kind-Verhältnis besteht, das von der nach außen manifestierten Verantwortung für die leibliche und seelische Entwicklung des Kindes geprägt ist (VGH BW, U.v. 20.9.2018 - 11 S 240/17 - juris Rn. 80; U.v. 5.8.2002 - 1 S 1381/01 - juris, Rn. 19). Rechtliche Schutzwirkungen entfalten Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK nur dann, wenn im konkreten Einzelfall eine tatsächliche Verbundenheit zwischen dem Elternteil und seinem Kind besteht, die eine hinreichende Konstanz der Beziehung erwarten lässt und auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist (BVerfG, B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 14).
35
Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei ist grundsätzlich eine umfassende Betrachtung geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerfG, B.v. 9.12.2021 - 2 BvR 1333/21 - juris Rn. 48; B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris, Rn. 12). Dementsprechend ist im Einzelfall zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zu seinen Eltern und der damit verbundene Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in der Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienen (vgl. BVerfG, B.v. 9.12.2021, a.a.O. m.w.N.).
36
Dies zugrunde gelegt hat der Antragsteller (ggf. zunächst) wohl ausländerrechtlich motiviert versucht, Kontakte zu den beiden Kindern anzubahnen bzw. zu intensivieren. Allerdings kann derzeit nicht von einer tatsächlich gelebten schützenswerten Vater-Kind-Beziehung (betreffend beide Kinder) ausgegangen werden, vielmehr lediglich von einem intendierten Beziehungsaufbau. Der in Haft befindliche Antragsteller übernimmt ersichtlich keine Verantwortung für die Betreuung und Erziehung der Kinder. Es besteht jeweils ersichtlich kein Vater-Kind-Verhältnis, das von einer nach außen manifestierten Verantwortung für die leibliche und seelische Entwicklung der Kinder geprägt ist. Für einen durchgreifenden spezifischen Erziehungsbeitrag ist nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich. Es ist nicht ersichtlich, dass die Kinder zu ihrem Wohl auf die Aufrechterhaltung der Kontakte mit dem Antragsteller in Haft angewiesen wären. Im Gegenteil: Insbesondere ist insoweit auch in den Blick zu nehmen, dass der Antragsteller als vielfacher Straftäter (insbesondere im Bereich von Gewaltdelikten und Drogendelikten) als positives väterliches Vorbild, als positiver väterlicher Orientierungspunkt (jedenfalls derzeit) schwerlich in Betracht kommt. Eine Drogenhändlertätigkeit (mit den daraus resultierenden Gefahren für ggf. Kinder oder Jugendliche) offenbart durchgreifende Mängel im Hinblick auf die Übernahme von Elternverantwortung. Zurecht stellt das Verwaltungsgericht hinsichtlich des Kindes M.-M. (das der Antragsteller ersichtlich in Freiheit nie gesehen hat) im Übrigen fest, es sei nicht zu beanstanden, wenn die Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Bescheid ausführe, dass seit wenigen Monaten stattfindende wöchentliche Videotelefon-Termine bei einem gerade 1-jährigen Kind nicht dazu geeignet seien, eine tragfähige Beziehung entstehen zu lassen. Zurecht führt das Verwaltungsgericht auch aus, dass im Übrigen ein Kontakt per Telefonat oder Videokonferenz auch von der Türkei aus möglich wäre. Dies gilt auch unter der Voraussetzung, dass nunmehr ggf. der Antragsteller das Kind in der Haft unter den dortigen Bedingungen auch gesehen haben könnte. Auch ist bezüglich des Kindes P. zu berücksichtigen, dass zwar ggf. in früheren Jahren (ggf. zu Zeiten der Drogenhändlertätigkeit des Antragstellers, der sich davon nicht abhalten ließ) eine Nähebeziehung bestand, wegen der Vorbehalte der Mutter (bzw. des Maßregelvollzugs/der Haft) kam es aber zu keiner Umsetzung der Umgangsvereinbarung vom 31. Mai 2021. Ersichtlich beschränkt sich der Kontakt derzeit auf Briefe, die der Antragsteller schreibt und ggf. auf Telefonate, beides auch aus der Türkei realisierbar. Im Übrigen würden selbst bei Anerkennung von gewichtigen familiären Belangen (auch bei Bejahung der Voraussetzungen des §55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) diese sich nicht stets gegenüber schwerwiegenden öffentlichen Interessen (wie sie hier vorliegen) durchsetzen. In Anbetracht der erst in letzter Zeit (insbesondere seit Beginn des Ausweisungsverfahrens) initiierten/intensivierten Umgangskontakte wird es dem Antragsteller zuzumuten sein, diese Kontakte aus dem Ausland und/oder durch Besuchskontakte (ggf. im Wege der Betretungserlaubnis) fortzuführen.
37
2. Die Anordnung des Sofortvollzugs ist als Präventivmaßnahme zur Abwehr der mit der Ausweisungsverfügung zu bekämpfenden, akuten Gefahren auch schon vor dem Abschluss des Hauptsacheverfahrens erforderlich. Diese Erforderlichkeit ist regelmäßig dann zu bejahen, wenn - wie hier - die Ausweisung von schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Bereich der Spezialprävention getragen wird, die nicht nur langfristig, sondern auch schon während des Klageverfahrens Geltung beanspruchen (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 2.8.2016 - 19 CS 16.878; NdsOVG, B.v. 16.12.2011 - 8 ME 76/11 - juris Rn. 40; VGH BW, B.v. 25.6.1998 - 11 S 682/98 - juris Rn. 4f.; OVG NW, B.v. 24.2.1998 - 18 B 1466/96 - juris Rn. 30 f.). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
38
3. Schließlich überwiegen die bei einem Aufschub des Vollzugs eintretenden konkreten Nachteile für die gefährdeten Rechtsgüter die den Antragsteller betreffenden Folgen der sofortigen Vollziehung. Der Senat verkennt nicht, dass die sofortige Vollziehung der Ausweisung durch die Aufenthaltsbeendigung eine schwerwiegende Maßnahme darstellt, die erheblich in das Leben des Antragstellers eingreift. Er wird - jedenfalls bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens - gezwungen, das Bundesgebiet zu verlassen, hier bestehende Bindungen zu unterbrechen und sein Leben im Heimatland zu bestreiten. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass (wie ausgeführt) der Antragsteller zu seinen Beziehungen betreffend Personen im Bundesgebiet, insbesondere betreffend seine Kinder eine besondere schutzwürdige Bindung, eine tragfähige Vater-Kind-Beziehung derzeit (noch) nicht besteht. Es ist auch nichts dafür vorgetragen, dass die Kinder des Antragstellers durch die Aufenthaltsbeendigung (z.B. wegen des Wegfalls von Unterhaltszahlungen) in existentielle Notlagen geraten könnten. In Anbetracht der erst mit Beginn des Ausweisungsverfahrens sich anbahnenden/intensivierten Kontakte des Antragstellers zu seinen Kindern steht nicht zu befürchten, dass insbesondere M.-M. die Aufenthaltsbeendigung des Antragstellers als einen endgültigen Verlust erfahren könnte, zumal sich die Beziehung zum Kind erst in einer Anfangsphase einer evtl. Vertrauensbildung befindet. Auch ist der Antragsteller in wirtschaftlicher Hinsicht im Bundesgebiet nicht integriert. Ein unbefristetes Arbeitsverhältnis, dass er im Falle der Aufenthaltsbeendigung nicht weiterführen könnte, besteht nicht. Der Antragsteller hat beträchtliche Schulden. Zu berücksichtigen ist zudem, dass die früheren Berufstätigkeiten sein delinquentes Verhalten nicht verhindert haben. Der Sofortvollzug ist also nicht mit dem Verlust seiner wirtschaftlichen Existenz verbunden. Auch sind die Wirkungen des Sofortvollzugs im Falle eines Obsiegens im Hauptsacheverfahrens für den Antragsteller, dem eine soziale Wiedereingliederung im Bundesgebiet für diesen Fall möglich und zumutbar ist, weitgehend reparabel. Dies gilt für die von einem Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet gefährdeten Rechtsgüter nicht. Realisiert sich die beschriebene konkrete Gefahr, dass der Antragsteller im Bundesgebiet erneut erhebliche Straftaten begeht, insbesondere Betäubungsmitteldelikte (ebenso Gewaltdelikte), sind die dann eingetretenen Schädigungen regelmäßig nicht mehr wiedergutzumachen. Angesichts des hohen Rangs der Schutzgüter und der in Betracht zu ziehenden Irreparabilität ihrer Beeinträchtigung überwiegen diese im vorliegenden Einzelfall die den Antragsteller betreffenden Folgen der sofortigen Vollziehung.
39
4. Die aufgrund der Ausweisung erfolgte Abschiebungsandrohung ist (anders als der Antragsteller meint) nicht deswegen zu beanstanden, weil sie eine Abschiebung unmittelbar aus dem Maßregelvollzug benennt, der Antragsteller sich seit 20. September 2022 allerdings aufgrund der Abänderung der Vollstreckungsreihenfolge (Beschluss des Landgerichts A. vom 2.8.2022) in Strafhaft befindet. Das Vorliegen der Voraussetzungen des §58 AufenthG stellt der Antragsteller nicht in Frage. Aus § 58 AufenthG ergibt sich nicht die Notwendigkeit einer Abschiebungsanordnung (die aber dennoch zulässig ist, vgl. Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 58 AufenthG Rn. 43 m.w.N.). Es verletzt den Antragsteller mithin nicht in seinen Rechten, wenn er aus der Strafhalt und nicht aus dem Maßregelvollzug abgeschoben wird. Offen kann bleiben, ob bei der gerichtlichen Beurteilung einer Abschiebungsanordnung grundsätzlich auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung oder der letzten tatrichterlichen Entscheidung abzustellen ist (vgl. BVerwG, U. v. 29.3.1983 - 1 C 19.79 - juris Rn. 15).
40
5. Soweit sich der Antragsteller gegen die „Annexentscheidungen“ des streitgegenständlichen Bescheids wendet, fehlt es an einer Darlegung von Beschwerdegründen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Im Übrigen sind insoweit - im Falle einer Entscheidungserheblichkeit - rechtliche Bedenken nicht ersichtlich.
41
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG (Nrn. 8.1, 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013), wobei im vorläufigen Rechtsschutzverfahren der sogenannte Auffangstreitwert halbiert wird (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).