Titel:
Ungültige Vorsorgevollmacht wegen Erkrankung
Normenkette:
BGB § 1896 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Eine erteilte Vorsorgevollmacht ist ungültig, wenn das Betreuungsgericht davon überzeugt ist, dass der Betreute wegen schwerer Erkrankung zum Zeitpunkt der Unterzeichnung nicht mehr geschäftsfähig und damit auch nicht mehr in der Lage war, seinen freien Willen zu bestimmen. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
ICD-Code F10.21, ICD-Code F10.6, ICD-Code F10.71, Vorsorgenvollmacht, Krankheitseinsicht, Betreuerbestellung, Vollmachtsunterzeichnung
Rechtsmittelinstanzen:
LG München II, Beschluss vom 19.05.2022 – 6 T 1564/22 BET, 6 T 1599/22 BET
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 21.09.2022 – XII ZB 264/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 29759
Tenor
Die Betreuung wird angeordnet.
Die Betreuung umfasst folgende Aufgabenkreise:
- Abschluss, Änderung und Kontrolle der Einhaltung eines Heim-Pflegevertrages
- Entscheidung über Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen
- Wohnungsangelegenheiten
- Organisation der ambulanten Versorgung
- Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern
- Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise
Zum Betreuer wird bestellt:
Das Gericht wird spätestens bis zum 01.02.2026 über die Aufhebung oder Verlängerung der Betreuung entscheiden.
Bis zu einer erneuten Entscheidung gelten die getroffenen Regelungen fort.
Gründe
1
Die Voraussetzungen für die Bestellung des Betreuers sind gegeben.
2
Der Betreute kann aufgrund einer Krankheit bzw. Behinderung im Sinne des § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB, nämlich einer Alkoholabhängigkeit, derzeit in beschützender Umgebung abstinent sowie ein amnestisches Syndrom und eine durch Alkohol bedingte hirnorganische Persönlichkeitsstörung, Diagnose nach ICD10-Nr. F10.21, F10.6 und F10.71, diejenigen Angelegenheiten nicht ausreichend besorgen, die zu den im Tenor genannten Aufgabenkreisen gehören.
3
Dies folgt aus dem Ergebnis der gerichtlichen Ermittlungen, insbesondere aus
- dem ärztlichen Gutachten des Sachverständigen Herrn ... vom 02.02.2022, des Sachverständigen ... vom 19.07.2021 und der Sachverständigen …vom 19.09.2021 - dem Bericht der Betreuungsbehörde Landratsamt M. vom 17.03.2022 und
- dem unmittelbaren Eindruck des Gerichts, den sich dieses bei der Anhörung des Betreuten in dessen üblicher Umgebung am 16.03.2022 verschafft hat.
4
Die Betreuerbestellung ist erforderlich, weil die Regelung der Angelegenheiten des Betreuten anderweitig nicht erfolgen kann. Insbesondere kann der Betreute krankheitsbedingt keine Vorsorgevollmacht mehr erteilen, die eine Betreuung entbehrlich machen würde.
5
Die am 27.05.2021 an die Lebensgefährtin Frau ... erteilte Vollmacht ist ungültig. Nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Herrn ..., insbesondere noch detaillierter durch die Sachverständige Frau ..., ist aufgrund der schweren Erkrankung des Betreuten, die sich nicht innerhalb weniger Tage, sondern über Monate, wahrscheinlich sogar Jahre entwickelt hat, aus medizinischer Sicht keinesfalls vorstellbar, dass sich der Betreute im Zeitpunkt der Vollmachtsunterzeichnung am 27.05.2021 in einem so guten und stabilen Zustand befunden haben könnte, dass er auch nur ansatzweise hätte verstehen können, welche Ausmaße und Konsequenzen die Unterzeichnung einer Vollmacht für ihn hat. Er war zum Zeitpunkt der Vollmachtsunterzeichnung nicht mehr geschäftsfähig und damit auch nicht mehr in der Lage, seinen freien Willen zu bestimmen.
6
Bei der Auswahl des Betreuers ist das Gericht dem bedenkenfreien Vorschlag der Betreuungsbehörde gefolgt. Der bisherige vorläufige Betreuer war auch weiter als Betreuer zu bestellen. Ein Betreuerwechsel ist nicht veranlasst. Es wird insoweit auf die nach wie vor zutreffenden Gründe im Beschluss vom 21.12.2021 Bezug genommen. Der Betreuer kommt seinen Verpflichtungen nach, ist auch für die Einrichtung gut zu erreichen. Der Betreute hat im Rahmen der gerichtlichen Anhörung am 16.03.2022 keinen Betreuerwechsel beantragt.
7
Die Betreuerbestellung erfolgt gegen den Willen des Betreuten. Der Betreute ist jedoch krankheitsbedingt nicht zu einer freien Willensbildung im Hinblick auf die Entscheidung über die Betreuerbestellung in der Lage. Er verfügt über keine ausreichende Krankheitseinsicht und vermag auch die Erforderlichkeit der Betreuung nicht zu erkennen.
8
In Hinblick die künftige Reform des Betreuungsrechts war bereits jetzt die bislang in den Aufgabenkreisen Aufenthaltsbestimmung und Gesundheitsfürsorge enthaltende Befugnis des Betreuers zur Entscheidung über Unterbringung / freiheitsentziehende Maßnahmen nun auch explizit und ausdrücklich in die Aufgabenkreise aufzunehmen.
9
Bei der Festsetzung der Überprüfungsfrist hat das Gericht die Ausführungen des Sachverständigen berücksichtigt.
10
Von der Bestellung eines Verfahrenspflegers wird abgesehen, weil der Betreute von einem Rechtsanwalt vertreten wird.