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AG Gemünden, Endurteil v. 19.08.2022 – (F) 14 C 72/21
Titel:

Krankenversicherung, Leistungen, Streitwertfestsetzung, Abrechnung, Zahlung, Gutachten, Leistung, Form, Behandlung, Anspruch, Operation, Kostenentscheidung, Verwendung, Klage, medizinische Indikation, analoge Anwendung, private Krankenversicherung

Schlagworte:
Krankenversicherung, Leistungen, Streitwertfestsetzung, Abrechnung, Zahlung, Gutachten, Leistung, Form, Behandlung, Anspruch, Operation, Kostenentscheidung, Verwendung, Klage, medizinische Indikation, analoge Anwendung, private Krankenversicherung
Rechtsmittelinstanz:
LG Würzburg, Hinweisbeschluss vom 22.12.2022 – 53 S 1296/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 29460

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.715,06 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25.02.2021 zu zahlen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen; die Streithelferin trägt die Kosten der Nebenintervention selbst.
3. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 1.715,06 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Zahlung des restlichen Honorars für eine augenchirurgische Behandlung. Der Beklagte litt an einer Katarakt-Erkrankung an beiden Augen (sog. Grauer Star). Er wurde am 17.07.2019 sowie am 24.07.2019 erfolgreich operiert. Die Klägerin liquidierte mit Rechnung vom 12.09.2019 (Anlage K 1) insgesamt 5.310,16 € einschließlich aller Sachkosten der Operation und der Kosten für die Kunstlinsenimplantate. Bestandteil dieser Abrechnung war die Ziffer 5855a GOÄ je Auge für den intraoperativen Einsatz des Femtosekundenlasers. Der Beklagte zahlte den Rechnungsbetrag bis auf einen Betrag von 1.715,06 €. Dieser setzt sich zusammen aus der Position 5855a GOÄ in Höhe von 925,02 € je Auge abzüglich eines Betrages von 67,49 € je Auge entsprechend Ziffer 441 GOÄ.
2
Die Klägerin trägt vor, dass bei dem Beklagten präoperativ eine deutlich reduzierte Endothelzellzahl der Hornhaut sowie ein makulärer Venenastverschluss am linken Auge als Laser-Indikation bestanden habe. Wegen dieser individuellen präoperativen Befundsituation wäre die Operation der Katarakt Erkrankung ohne Lasereinsatz im Falle des Beklagten an beiden Augen kontraindiziert gewesen.
3
Die Klägerin ist der Ansicht, dass bei einer eigenständigen medizinischen Indikation eine gebührenrechtliche Abrechnung wie erfolgt gerechtfertigt sei.
4
Die Klägerin beantragt:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.715,06 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
5
Der Beklagte und die Streithelferin beantragen:
Die Klage wird abgewiesen.
6
Der Beklagte sowie die Streithelferin sind der Ansicht, dass für die Abrechnung in Höhe der Klageforderung kein Rechtsgrund bestehe, da sie in dieser Höhe nicht den Vorgaben der Gebührenordnung für Ärzte entspreche. Es handle sich um keine selbständige Leistung, da sie nicht Bestandteil einer im Gebührenverzeichnis genannten umfassenderen Leistung sei. Im Bereich operativer Leistungen normiere § 4 Abs. 2a Satz 2 GOÄ klarstellend, dass auch medizinisch notwendige operative Einzelschritte zur Erbringung einer im Gebührenverzeichnis genannten operativen Zielleistung nicht neben der Gebühr der Zielleistung berechnet werden dürfen. Irrelevant sei dabei, ob es sich um einen standardmäßigen Teilschritt handele oder ob die Teilleistung wegen Besonderheiten des Einzelfalls erbracht werde.
7
Die Verwendung des Lasers stelle nur eine Form des von der GOÄ Ziffer 1375 erfassten und vom Beklagten bezahlten Operationsverfahrens dar. Der Laser diene hierbei lediglich als Werkzeug und ersetze dabei die Inzisionslanze und das Kapselmesser. Es werde ausdrücklich bestritten, dass für den Einsatz des Femtosekundenlasers im vorliegenden Fall eine eigenständige medizinische Indikation bestanden habe.
8
Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteivertreter Bezug genommen.
9
Auf die Streitverkündung des Beklagten hin ist dessen private Krankenversicherung, die …, am 24.03.2021 dem Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten als Streithelferin beigetreten.
10
Mit Beweisbeschluss vom 11.01.2022 hat das Gericht Beweis erhoben (Blatt 200 2f). Auf das Gutachten des medizinischen Sachverständigen Dr. med. … vom 12.04.2022, (Blatt 230 ff) sowie auf die Ergänzung vom 14.07.2022 (Blatt 268 ff) wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

11
I. Die Klägerin hat gegen den Beklagten Anspruch auf Zahlung des restlichen Honorars in Höhe von 1.715,06 € aus § 630 a Abs. 1 BGB.
12
1. Zwar hat der Bundesgerichtshof in den grundlegenden Entscheidungen vom 14.10.2021, Az. III ZR 350/20 sowie III ZR 353/20 (= Versicherungsrecht 2022, 301 und 307) ausgeführt, dass der Einsatz eines Femtosekundenlasers bei Durchführung einer Katarakt-Operation nach Nr. 1375 des Gebührenverzeichnisses der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), zu welcher der Zuschlag nach Nr. 441 GOÄ für die Anwendung eines Lasers bei ambulanten operativen Leistungen gegebenenfalls hinzukommt, zu honorieren und nicht zusätzlich nach den Nr. 5800 und 5855 GOÄ analog abrechenbar ist. Auf die ausführliche Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
13
2. Der Bundesgerichtshof hat jedoch gleichzeitig seine Rechtsprechung zur gesonderten Abrechnung durch die analoge Anwendung eines im Gebührenverzeichnis explizit enthaltenen Gebührentatbestands, insbesondere die analoge Anwendung der Nummer 5855 bestätigt, wobei die Selbstständigkeit einer ärztlichen Leistung danach zu beurteilen ist, ob für sie eine eigenständige medizinische Indikation besteht (BGH a.a.O. Rn. 11/13/24 mit Verweis auf BGH NJW-RR 2010, 1355). In den dort entschiedenen Fällen war - was den Einsatz eines Femtosekundenlasers anlangt - vom Bundesgerichtshof jedoch nicht in der Sache zu entscheiden, da dort eine eigenständige medizinische Indikation nicht vorgetragen war. Daher konnte der Bundesgerichtshof (a.a.O. Rn. 23) diese Frage dahinstehen lassen.
14
Im vorliegenden Rechtsstreit ist es unstreitig, dass beim Beklagten eine deutlich reduzierte Endothelzellzahl der Hornhaut sowie ein makulärer Venenastverschluss am linken Auge vorgelegen hat. Zur streitigen Frage, ob diese individuelle Situation aus medizinischer Sicht den Einsatz eines Femtosekundenlasers erforderlich macht, hat das Gericht Beweis erhoben.
15
Der Sachverständige Dr. med. …, auf den sich die Hauptparteien gemäß § 404 Abs. 5 ZPO für das Gericht bindend geeinigt haben, hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 12.04.2022 (Blatt 230 ff) auf der Grundlage der ihm übersandten Krankenunterlagen mit ausführlicher Begründung festgestellt, dass an beiden Augen eine eigenständige, patientenindividuelle Indikation zum Einsatz eines Femtosekundenlasers im Rahmen einer Staroperation vorliegt. Gleiches gilt jedoch nicht hinsichtlich des Venenastverschluss am linken Auge. Zusammenfassend hielt der Sachverständige fest, dass bei dem Beklagten eine eigenständige medizinische Indikation zur Abrechnung eines Femtosekundenlasereinsatzes im Rahmen einer Katarakt-Operation vorlag. Die Abrechnung dieser Leistungen sei zutreffend nach Ziffer 1375 und 5855 a GOÄ erfolgt.
16
In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14.07.2022 (Blatt 268) legte er auf die Einwendungen des Prozessbevollmächtigten der Streithelferin dar, dass es ausreichende Untersuchungen, insbesondere eine umfassende Metaanalyse der American Academy of Opfthalmology betreffend 15.000 Augen gebe, in der festgestellt worden sei, dass bei Verwendung des Femtoskundenlasers postoperativ die Anzahl der Endothelzellen signifikant höher gewesen sei als bei der Durchführung mittels Phakoemulsifikation. Insoweit betonte er nochmals, dass bei Patienten, die vor einer Staroperation eine Endothelzelldichte im unteren Grenzwert - wie hier der Beklagte - aufweise, eine medizinische Indikation zum Einsatz eines Femtosekundenlasers bestehe, wenn unstreitig ein höherer Endothelzellverlust bei konventioneller Operationstechnik zu erwarten sei als bei Verwendung eines Femtosekundenlasers.
17
Das Gericht schließt sich den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen nach eigener Prüfung in vollem Umfang an.
18
Im Hinblick darauf ist der Klage in vollem Umfang statt zu geben.
19
Die Nebenforderungen beruht auf § 291 BGB.
II. Nebenentscheidungen:
20
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1, § 101 ZPO.
21
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 ZPO.
22
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG.