Titel:
Nachbarklage, Gebietserhaltungsanspruch, Gebietsprägungsanspruch, Gebot der Rücksichtnahme
Normenketten:
BauGB § 34
BauNVO § 15
Schlagworte:
Nachbarklage, Gebietserhaltungsanspruch, Gebietsprägungsanspruch, Gebot der Rücksichtnahme
Fundstelle:
BeckRS 2022, 29455
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen eine der Beigeladenen durch die Beklagte mit Bescheid vom 8. Februar 2022 erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines Mehrfamilienhauses mit vier Wohneinheiten und drei Carports.
2
Der Kläger ist Eigentümer der Grundstücke FlNr. … und …, jeweils Gemarkung … Das Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, ist mit einem Zweifamilienhaus bebaut.
3
Die Beigeladene ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. …, Gemarkung … Die Grundstücke liegen nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans. Nach Einschätzung der Beklagten ist ein reines Wohngebiet anzunehmen.
4
Mit Antrag vom 3. Dezember 2021 beantragte die Beigeladene die Baugenehmigung für den Neubau eines Mehrfamilienhauses mit vier Wohneinheiten und drei Carports auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung … Mit Bescheid vom 8. Februar 2022 wurde der Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung erteilt. Dabei wurde eine Abweichung gem. Art. 63 Abs. 1 BayBO wegen Nichteinhaltung der Abstandsflächen zum Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, hin zugelassen.
5
Mit Schriftsatz vom 9. März 2022 ließ der Kläger Klage erheben und unter dem Aktenzeichen AN 9 S 22.00769 Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellen.
6
Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass es in der Umgebung zwar vereinzelt größere Bauten gebe, diese aber auf einem deutlich größeren eigenen Grundstück stünden und daher auf dem Grundstück selbst keine so massive Bebauung darstellten.
7
Die Erschließung sei nicht gesichert. Die Beigeladene müsse ein Flurstück vorhalten, um eine Zuwegung zu ermöglichen. Auf der W. … Straße sei ein Kanal verlegt, die Zuleitung führe über die Zuwegung. Dieser Kanal sei in der Baugenehmigung nicht bedacht.
8
Die Bebauung enthalte zu wenig Parkplätze. Auf der Zuwegung könne nicht geparkt werden und auf der W. Straße sei die Parkplatzsituation so problematisch, dass dort keine weiteren Fahrzeuge abgestellt werden könnten.
9
Der Wasserdruck in der gesamten Siedlung sei bereits jetzt sehr schwach und werde durch das streitgegenständliche Vorhaben weiter sinken.
10
Der Kläger fürchte um die nachbarschaftliche Ruhe, da vier Parteien mehr Lärm und Immissionen verursachen würden als bisher eine Partei. Es seien in der Baugenehmigung keine Lärmschutzauflagen getroffen worden.
11
Der Kläger fürchte auch einen nachteiligen Schattenwurf, mangelhafte Belichtung und nachteilige Veränderung der Belüftung und Änderungen der Windverhältnisse in Bodennähe.
12
Es komme zu einer Nachverdichtung, die über das übliche Maß hinausgehe.
13
Es komme zu einer Oberflächenversiegelung, die nicht zur geologischen Umgebung passe. Es habe schon mehrfach Überschwemmungen mit Hochwasser gegeben.
14
Die vorhandene Infrastruktur gebe eine so massive und wuchtige Bebauung nicht mehr her. Eine wirklich harmonische Einfügung in die Umgebungsbebauung sehe anders aus.
15
Weder die Frischwasserversorgung noch die Abwasserversorgung seien hier geeignet, um den Neubau ausreichend zu versorgen. Für die FlNr. …, Gemarkung …, komme es zu einer Abstandsflächenunterschreitung. Dies bedeute für den Kläger eine künftige Beschränkung einer weiteren Bebauung des Grundstücks, da er für Abstandsflächen auf seinem Grundstück und ggf. für seine Nachbarn sorgen müsse. Die Bebaubarkeit des eigenen Grundstücks des Klägers werde eingeschränkt.
16
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Bescheid der Beklagten vom 8. Juni 2022 mit dem Aktenzeichen … aufzuheben.
17
Die Beklagte beantragt,
18
Eine Verletzung drittschützender Rechte sei nicht erkennbar. Es sei nicht erkennbar, warum sich ein zusätzlicher Anwohner- und Lieferverkehr durch vier neue Wohneinheiten für den Kläger als rücksichtslos darstellen solle.
19
Eine erdrückende, abriegelnde Wirkung sei nicht zu erkennen. Der geringe Schattenwurf mit verringerter Belichtung sei hinzunehmen. Die Frage des Einfügens nach dem Maß sei nicht nachbarschützend. Auch das Erfordernis der gesicherten Erschließung sei nicht drittschützend.
20
Bezüglich der Versickerung von Regenwasser wäre eine Verletzung des Gebotes der Rücksichtnahme nur denkbar, wenn auf dem Baugrundstück anfallendes Niederschlagswasser auf das Grundstück des Klägers abgeleitet würde und es dort zu Überschwemmungen käme. Für einen derartigen Eingriff gebe es aber keine Anhaltspunkte.
21
Die Tatsache, dass das streitgegenständliche Gebäude im Osten an die FlNr. …, Gemarkung …, angebaut werde, sei für die künftige Bebaubarkeit ohne Bedeutung. Der Kläger könne ohnehin nicht an die Grundstücksgrenze bauen, da dies dem Prinzip der offenen Bauweise widerspreche.
22
Mit Schriftsatz vom 30. März 2022 verwies der Beigeladenenvertreter zunächst auf die Klageerwiderung der Beklagte.
23
Weiterhin habe der Kläger keinen Anspruch auf Bestandsschutz. Es sei irrelevant, dass bereits die Urgroßeltern des Klägers das Grundstück bewohnt hätten. Von Wohnen gehe per se keine Beeinträchtigung aus. Der Kläger habe auch bezüglich der Beeinträchtigungen durch Lärm oder Schattenwurf nicht substantiiert vorgetragen.
24
Das Bauvorhaben füge sich vollumfänglich in die Umgebung ein. Die geplanten Wohnungsgrößen entsprächen vollständig den in der Umgebung vorhandenen Wohnungen, so dass bereits keine über das übliche Maß hinausgehende Nutzung anstehe. Der Kläger bewohne selbst ein Zweifamilienhaus; er begehre also eine Privilegierung, die er der Beigeladenen nicht zugestehe.
25
Sämtliche Wohneinheiten des Bauvorhabens hätten Zugang zum Garten und dürften diesen nutzen; dem Siedlungscharakter werde vollumfänglich Rechnung getragen. Das Bauvorhaben entspreche dem gewachsenen Umgebungsbestand.
26
Die Erschließung entspreche 1:1 der des Grundstücks des Klägers. Für jede Wohnung sei ein Stellplatz geplant worden. Weitere Fahrzeuge könnten an der W. Straße auf den öffentlichen Parkplätzen abgestellt werden. Auch Fluchtwege und Zufahrtsmöglichkeiten im Brandfall seien gegeben. Die Beigeladene habe sogar die Zufahrt um ca. 1 m verbreitert.
27
Bezüglich des Wasserdrucks bleibe der Kläger einen Nachweis schuldig.
28
Durch die Entwässerungsplanung sei eine ausreichende Regenwasserversickerung und Entwässerung sichergestellt.
29
Die Abstandsflächen hin zum Grundstück des Klägers seien nicht berührt.
30
Die Beigeladene beantragt,
31
Mit Beschluss vom 6. April 2022 wurde der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt.
32
Mit Beschluss vom 2. Juni 2022 wurde das Verfahren auf die Einzelrichterin übertragen.
33
Im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenakten, hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Entscheidungsgründe
34
Klagegegenstand ist die mit Bescheid der Beklagten vom 8. Februar 2022 erteilte Baugenehmigung.
35
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die streitgegenständliche Baugenehmigung verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
36
Ein Rechtsanspruch auf Aufhebung einer Baugenehmigung besteht für den Nachbarn nicht schon dann, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr setzt die Aufhebung einer Baugenehmigung weiter voraus, dass der Nachbar durch sie auch in seinen Rechten verletzt ist, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Dies ist nur dann der Fall, wenn die zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung führende Norm zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dient, also drittschützende Wirkung hat (vgl. BVerwG, U.v. 6.10.1989 - 4 C 40.87 - juris). Weiterhin kann ein Nachbar eine Baugenehmigung nur dann erfolgreich angreifen, wenn die Rechtswidrigkeit der Genehmigung sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die Gegenstand der Prüfung im Baugenehmigungsverfahren waren (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris Rn. 20; VG Ansbach, B.v. 19.4.2018 - AN 3 S 18.00458 - juris Rn. 62).
37
Eine diesen Anforderungen entsprechende Rechtsverletzung ist vorliegend nicht ersichtlich.
38
1. Der Kläger kann sich nicht auf eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs berufen.
39
Der Gebietserhaltungsanspruch, auch Gebietsbewahrungsanspruch genannt, gibt den Eigentümern von Grundstücken in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet das Recht, sich gegen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht zulässige Vorhaben zur Wehr zu setzen (vgl. BayVGH, B.v. 27.12.2017 - 15 CS 17.2061 - juris Rn. 16). Dieser Anspruch gilt auch im faktischen Baugebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB (vgl. BVerwG, B.v. 27.8.2013 - 4 B 39.13 - juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 8.1.2019 - 9 CS 17.2482 - juris Rn. 15).
40
Der Gebietserhaltungsanspruch ist vorliegend nicht verletzt.
41
Das Vorhabensgrundstück sowie das Grundstück des Klägers sind im unbeplanten Innenbereich gelegen, wobei unter Heranziehung von Luftbildern und Google Maps für beide Grundstücke ein faktisches allgemeines oder sogar reines Wohngebiet anzunehmen ist. Eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs durch das streitgegenständliche Vorhaben, das ausschließlich wohngenutzt werden soll, scheidet damit aus.
42
2. Auch von einer Verletzung des Gebietsprägungserhaltungsanspruchs ist nicht auszugehen.
43
Das VG Ansbach führt mit Beschluss vom 14. Januar 2022 (AN 3 S 21.02157) diesbezüglich Folgendes aus:
„Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Aus den Ausführungen im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Mai 2002 (4 B 86.01 - NVwZ 2002, 1384 f.) zu § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO ist teilweise der Schluss gezogen worden, das Bauplanungsrecht beinhalte neben dem Gebietserhaltungsanspruch, dem Abwehranspruch wegen Verletzung einer (sonstigen) drittschützenden Festsetzung des Bebauungsplans und dem Abwehranspruch wegen Verletzung des Rücksichtnahmegebots auch einen hiervon unabhängigen „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“, wonach ein Vorhaben, das im konkreten Baugebiet hinsichtlich der Nutzungsart an sich entweder allgemein oder ausnahmsweise zulässig ist, gleichwohl als gebietsunverträglich vom Nachbarn im (auch faktischen) Plangebiet abgewehrt werden können soll, wenn es der allgemeinen Zweckbestimmung des maßgeblichen Baugebietstyps widerspreche, wenn es also - bezogen auf den Gebietscharakter des Baugebietes, in dem es verwirklicht werden soll - aufgrund seiner typischen Nutzungsweise störend wirke und deswegen gebietsunverträglich sei (BayVGH, B.v. 4.11.2009 - 9 CS 09.2422 - juris = juris Rn. 11 ff.; VG Neustadt a.d.W., U.v. 26.3.2019 - 5 K 1482/18.NW - Rn. 39, unter Verweis u.a. auf die Rechtsprechung des rheinland-pfälzischen OVG; Decker, JA 2007, 55 ff.; Stühler, BauR 2011, 1576/1579 f.; Kremer, jurisPR-ÖffBauR 8/2019 Anm. 5). Von anderer Seite wird demgegenüber die rechtliche Existenz eines eigenständigen bauplanungsrechtlichen „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“ angezweifelt und die vom Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2002 entwickelten Grundsätze als Maßgaben für die Anwendung des (nachbarschützenden) Rücksichtnahmegebots - etwa im Anwendungsbereich von § 31 Abs. 1 und Abs. 2 BauGB (vgl. z.B. VG Ansbach B.v. 4.5.2015 - AN 9 S 15.00693 - juris Rn. 98) - verstanden (vgl. OVG Schleswig-Holst., B.v. 08.1.2018 - 1 MB 23/17 - juris Rn. 6 f.; Hofmann, BauR 2010, 1859 ff.; ebenso zweifelnd, i.E. offenlassend BayVGH, B.v. 9.10.2012 - 2 ZB 11.2653 - juris Rn. 7 ff.; B.v. 3.2.2014 - 9 CS 13.1916 - juris Rn. 13; B.v. 8.1.2019 - 9 CS 17.2482 - BayVBl 2019, 349 - juris Rn. 16).
Unabhängig von dieser Streitfrage kann ein „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“ aus § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO (i. V. mit § 34 Abs. 2 BauGB) - sei es als eigenständiger Anspruch, sei es als Bestandteil des Rücksichtnahmegebots (mit dann zu fordernder „fühlbarer“ Beeinträchtigung des Nachbarn) - von vornherein nur einschlägig sein, wenn das den Vorgaben gemäß §§ 2 bis 14 BauNVO (hier i.V.m. § 34 Abs. 2 BauGB) an sich entsprechende Bauvorhaben bei typisierender Betrachtung gleichwohl als gebietsunverträglich zu bewerten ist, weil es der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets widerspricht. Für ein vom Antragsteller behauptetes (nachbar-) rechtswidriges Umschlagen von Quantität in Qualität in diesem Sinne müsste das Bauvorhaben die Art der baulichen Nutzung derart erfassen oder berühren, dass bei typisierender Betrachtung im Ergebnis ein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets angenommen werden müsste (vgl. BVerwG, U.v. 16.03.1995 - 4 C 3.94 - NVwZ 1995, 899 = juris Rn. 17). Da es sich bei § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO um eine Ausnahmevorschrift zur Art der baulichen Nutzung handelt, ist ein solcher Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets aber nur unter strengen Voraussetzungen anzunehmen. Der Widerspruch der hinzukommenden baulichen Anlage oder deren Nutzung muss sich daher bei objektiver Betrachtungsweise offensichtlich aufdrängen; dass das Neubauvorhaben oder die neue Nutzung nicht in jeder Hinsicht mit der vorhandenen Bebauung im Einklang steht, genügt dafür nicht (BayVGH, B.v. 15.10.2019 - 15 ZB 19.1221 - juris Rn. 10; Kremer, jurisPR-ÖffBauR 8/2019 Anm. 5; am Beispiel eines Asylbewerberheims vgl. auch OVG Rh-Pf, B.v. 08.12.2016 - 8 A 10680/16 - juris Rn. 11 f.).“
44
Selbst wenn man die Existenz eines Gebietsprägungserhaltungsanspruchs grundsätzlich bejahen würde, ist vorliegend nicht von einer Verletzung desselben auszugehen.
45
So ist bereits nicht erkennbar, wie eine Wohnnutzung aufgrund ihrer typischen Nutzungsweise im Rahmen einer typisierenden Betrachtungsweise störend wirken könnte. Die Zahl der Wohnungen ist jedenfalls im Anwendungsbereich des § 34 BauGB kein Kriterium, das die Art der baulichen Nutzung prägt (siehe BayVGH, B.v. 15.10.2019 - 15 ZB 19.1221 - juris Rn. 13). Das Baugesetzbuch und die Baunutzungsverordnung kennen keine Unterscheidung zwischen Wohnen in Einfamilienhäusern und Wohnen in Mehrfamilienhäusern. Es ist auch kein Grund ersichtlich, warum das Wohnen in Mehrfamilienhäusern gegenüber einem Wohnen in Einfamilienhäusern negativ zu beurteilen sein könnte (vgl. BayVGH, B.v. 4.3.2021 - 15 ZB 20.3151).
46
Von einem Umschlagen „Quantität in Qualität“ kann angesichts der Dimensionierung von vier Wohneinheiten nicht ausgegangen werden; das streitgegenständliche Vorhaben weist keine Merkmale auf, die es rechtfertigen würden, allein aufgrund der Anzahl der Wohneinheiten und der hiermit verbundenen Folgebelastungen gegenüber Einfamilienhäusern von einer qualitativ anderen Nutzungsart auszugehen. Die Ausmaße des Gebäudes sind hierbei von vornherein nicht zu berücksichtigten, da § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO gerade nicht das Maß der baulichen Nutzung betrifft (siehe hierzu BayVGH, B.v. 8.1.2019 - 9 CS 17.2483 - BayVBl. 2019, 349 - juris m.w.N.; B.v. 22.6.2021 - 9 ZB 21.466 - juris Rn. 8 m.w.N.). Ein Widerspruch zur Zweckbestimmung ist somit nicht erkennbar; das streitgegenständliche Vorhaben, das in einem Wohngebiet allgemein zulässig ist, wahrt vielmehr gerade die Zweckbestimmung des Baugebietes, womit ein Gebietsprägungserhaltungsanspruch zwangsläufig ausscheidet (siehe BayVGH, B.v. 15.10.2019 - 15 ZB 19.1221 - juris Rn. 13).
47
3. Das Vorhaben erweist sich auch nicht als rücksichtslos (§ 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO).
48
Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt nach der Rechtsprechung wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, welcher das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen (siehe BVerwG, U.v. 28.10.1993 - 4 C 5/93 - juris). Entscheidend ist die Abwägung, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BayVGH, B.v. 25.10.2010 - 2 CS 10.2137 - juris).
49
Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes ist nach Einschätzung des Gerichts nicht gegeben.
50
3.1 Es sind keinerlei Anhaltspunkte erkennbar, dass durch das streitgegenständliche Vorhaben unzumutbare Lärmimmissionen verursacht werden könnten, da es sich um eine reine Wohnnutzung mit nur vier Parteien handelt. Es bestand somit auch für die Beklagte keine Veranlassung, entsprechende Auflagen in die Baugenehmigung aufzunehmen.
51
3.2 Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme ergibt sich auch nicht hinsichtlich der Erschließungssituation. Grundsätzlich kommt weder dem bauplanungsrechtlichen Erfordernis der gesicherten Erschließung noch den bauordnungsrechtlichen Anforderungen an eine gesicherte Erschließung nachbarschützende Wirkung zu (siehe hierzu BayVGH, B.v. 29.8.2014 - 15 CS 14.615 - juris Rn. 16 ff. m.w.N.).
52
Dies kann lediglich ausnahmsweise in besonderen Fallkonstellationen anders zu beurteilen sein, in denen eine unzumutbare Verschlechterung, beispielsweise durch eine vorhabensbedingte Überlastung einer das Grundstück des Betroffenen erschließenden Straße oder durch unkontrollierten Parksuchverkehr, substantiiert dargelegt wird (siehe hierzu BayVGH, B.v. 22.6.2021 - 9 ZB 21.466 - juris Rn. 13; B.v. 21.2.2022 - 9 CS 22.81 - juris Rn. 13). Derartige Darlegungen sind dem klägerischen Vorbringen nicht zu entnehmen.
53
Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass die Grundstücke von Kläger und Beigeladener über keine gemeinsame Zuwegung verfügen. Es handelt sich vielmehr um zwei unterschiedliche Abzweigungen von der W. Straße.
54
Es ist somit auch nicht ersichtlich, dass aufgrund unzureichender Erschließung eine für den Kläger unmittelbare Rechtsverschlechterung durch das Entstehen eines N.weg- oder Notleitungsrechts nach § 917 Abs. 1 BGB bewirkt werden könnte (siehe hierzu BayVGH, B.v. 23.8.2010 - 2 ZB 10.1216 - juris Rn. 3).
55
Auch bezüglich der gerügten Oberflächenversiegelung, infolge derer das Regenwasser nicht mehr ausreichend versickern soll, ist keine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes gegeben. Zwar gehört zu einer gesicherten Erschließung grundsätzlich auch eine ordnungsgemäße Niederschlagswasserbeseitigung (siehe hierzu BayVGH, B.v. 29.11.2006 - 1 CS 06.2717 - juris Rn. 20), die Anforderungen an die gesicherte Erschließung bestehen aber grundsätzlich nur im öffentlichen Interesse und haben keine drittschützende Wirkung. Ausnahmsweise kann das Rücksichtnahmegebot verletzt sein, wenn infolge einer unzureichenden Erschließung unmittelbar Nachbargrundstücke betroffen sind; eine solche Betroffenheit kann sich beispielsweise ergeben, wenn Niederschlagswasser auf das Nachbargrundstück abgeleitet wird und es dadurch zu Überschwemmungen auf dem Nachbargrundstück kommt (siehe hierzu VG München, U.v. 20.4.2021 - M 1 K 18.3846 - juris Rn. 31). Diesbezüglich ist kein hinreichend konkreter Vortrag erfolgt und es sind auch keine entsprechenden Anhaltspunkte erkennbar.
56
3.3 Auch bezüglich der Belange der Belichtung, Belüftung und Besonnung ist kein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot ersichtlich. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots scheidet nämlich in der Regel aus, wenn - wie hier zum Grundstück des Klägers hin - die gesetzlichen Abstandsflächen eingehalten werden. In diesem Fall ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Landesgesetzgeber die entsprechenden nachbarlichen Belange und das damit verbundene Konfliktpotenzial zu einem vernünftigen und verträglichen Ausgleich gebracht hat (siehe hierzu BVerwG, B.v. 11.1.1999 - 4 B 128.98 - juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 5.9.2016 - 15 CS 16.1536 - juris Rn. 29).
57
Es fehlt zudem an substantiierten Einwendungen bezüglich einer für den Kläger erdrückenden, einmauernden oder abriegelnden Wirkung.
58
4. Soweit der Kläger allgemein rügt, dass sich das streitgegenständliche Vorhaben hinsichtlich des Maßes der Bebauung nicht in die Umgebung einfügt, ist darauf hinzuweisen, dass das Maß der Bebauung im Rahmen des § 34 BauGB grundsätzlich nicht drittschützend ist (vgl. BVerwG, B.v. 23.6.1995 - 4 B 52.95 - juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 4.7.2016 - 15 ZB 14.891 - juris Rn. 8 m.w.N.).
59
Auch dem Vorbringen des Klägers bezüglich der Frischwasserversorgung, insbesondere des schwachen Wasserdrucks, sowie bezüglich der Abwasserversorgung kann kein Drittschutz entnommen werden.
60
Weiterhin ist auch dem Erfordernis einer ausreichenden Anzahl der Parkplätze keine drittschützende Funktion innewohnend; die Pflicht zur Herstellung einer hinreichenden Zahl an Stellplätzen dient vielmehr dem öffentlichen Interesse an der Entlastung der öffentlichen Verkehrsfläche vom ruhenden Verkehr. Nachbarliche Rechte könnten allenfalls dann verletzt sein, wenn die Genehmigung eines Vorhabens ohne die erforderlichen Stellplätze zu für den Nachbarn unzumutbaren Beeinträchtigungen führt (siehe z.B. BayVGH, B.v. 26.4.2012 - 2 ZB 10.3147 - juris Rn. 15). Dies kann sich - wie bereits bezüglich der Erschließungssituation ausgeführt - insbesondere durch einen unkontrollierten Parksuchverkehr ergeben. Für eine derartige unzumutbare Beeinträchtigung ist vorliegend nicht ersichtlich; für das Vorhaben wurde auch Stellplätze entsprechend der Vorgaben der Stellplatzsatzung der Antragsgegnerin nachgewiesen.
61
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
62
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO; nachdem die Beigeladene einen Antrag gestellt hat und sich somit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass der Kläger ihre außergerichtlichen Kosten trägt.
63
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 167 VwGO i.V.m.§§ 708 ff. ZPO.