Titel:
Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bei Gewaltexzess eines einzelnen Polizisten – Kuba
Normenketten:
AsylG § 3, § 4, § 26a Abs. 1, Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsätze:
1. Der einzelne Gewaltexzess eines Polizisten stellt keine staatliche Verfolgung dar, sondern „nur“ individuell erfahrenes, kriminelles Unrecht, das die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht rechtfertigt. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Gesellschaftlich zu befürchtende Diskriminierung wegen homosexueller Orientierung genügt für eine Verfolgungsgefahr im asylrechtlichen Sinne in aller Regel nicht. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylbewerber aus Kuba (homosexueller Mann, glaubhafter Vortrag von Gewaltanwendung durch kubanischen Polizisten), Keine Verfolgung bei Exzesshandlung von Amtswalter, Keine Vermutung erneuter Gewaltanwendung nach einer Abwesenheit von rund 17 Jahren, langjähriger Aufenthalt in anderen europäischen Staaten ohne Asylantragstellung vor Asyl- antragstellung in Deutschland spricht gegen ernsthafte Verfolgungsbefürchtungen, Verlust der Rückkehrberechtigung aufgrund langer Abwesenheit kein Asylgrund, Kuba, homosexuell, Rückkehrberechtigung, Verfolgungsprognose, Gewalt durch kubanischen Polizisten, Gewaltexzess, Flüchtlingseigenschaft, subsidiärer Schutzstatus, Abschiebungsverbot, Vorverfolgung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 29453
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
1
Der 1975 geborene Kläger ist kubanischer Staatsangehöriger. Er reiste nach seinen Angaben am 17. Juni 2006 aus seinem Heimatland aus, reiste zunächst nach Dänemark, verbrachte jeweils mehrere Jahre in Spanien (ca. 3 Jahre) und Italien (ca. 9 Jahre) und reiste am 11. März 2020 in die Bundesrepublik Deutschland ein.
2
Nach Dänemark möchte er nicht zurück, weil er negative Auswirkungen für die Person befürchte, die ihn eingeladen habe. Nach Italien könne er nicht, weil er im Jahr 2010 eine sexuelle Beziehung zu einer transsexuellen Person gehabt habe und mit einem weiteren Mann, der einer Roma-Familie angehört habe, die die Mafia in … unter Kontrolle gehabt habe. Er habe deshalb … verlassen und sich in anderen Städten aufgehalten. Er leide an Schlafstörungen, Alpträumen, Migräne- und Panik-Attacken und sei Asthmatiker, sei aber noch nicht beim Arzt gewesen.
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Zu seinem Leben in Kuba gab der Kläger bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 26. Juni 2020 an, zuletzt mit seinem Intimfreund zusammengelebt und als Tänzer, Tanzlehrer und Animateur schwarz gearbeitet zu haben. Wegen seiner sexuellen Orientierung sei er 1999 entlassen worden. Er habe bisher in keinem anderen Land einen Asylantrag gestellt, weil er Angst gehabt habe, dass einer Familie etwas zustoße. Er habe einen erwachsenen Sohn in Kuba (28 Jahre alt), der ebenfalls Tänzer sei. Als er in Italien 2012 Papiere ausgestellt bekommen habe, habe das dazu geführt, dass dieser von der Arbeit entlassen worden sei. Als sein Vater 2002 verhaftet worden sei, sei er selbst gesucht worden. Jetzt könne er einen Asylantrag stellen, weil sein Sohn seit letztem Jahr in … lebe. In Spanien hätten seine Anwälte gesagt, dass er nach seinem dreijährigen Aufenthalt dort keinen Asylantrag mehr stellen könne. In Spanien habe er auch auf der Straße leben müssen, weil seine Staatenlosigkeit nicht anerkannt worden sei.
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Er sei in Kuba ein heimlicher Aktivist gegen die Diktatur gewesen. Er habe nachts Plakate aufgehängt und Propaganda betrieben. Er habe ein politisches Problem wegen seines Vaters und wegen seiner sexuellen Orientierung gehabt. Er sei viermal verhaftet gewesen, das erste Mal nach der Verhaftung seines Vaters. Im letzten Jahr seines Aufenthalts in Kuba sei er für sieben Tage in Gewahrsam genommen und dort vulgär beschimpft und malträtiert worden. Ein Polizist habe ihn hochgehalten und fallenlassen, so dass er auf den Kopf gefallen sei und erst im Krankenhaus wieder zu sich gekommen sei. Beim Aufwachen habe er Nähte an seinem Auge gehabt, gebrochene Zähne und sei ans Bett gefesselt gewesen. Seine Wirbelsäule sei verletzt worden.
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Seine Mutter sei nach seiner Ausreise mehrmals nach ihm gefragt worden. Er erinnere sich an einmal im Jahr 2018. Sein Vater habe nach seiner Entlassung keinen Arbeitsvertrag mehr abschließen dürfen. Er glaube, dass die späte Nachfrage nach ihm mit einer Anfrage von Italien an Kuba zusammenhänge. Italien habe sich über den Verlust seiner Rechte in Kuba informieren wollen. Er habe von der kubanischen Botschaft in Italien ein Dokument erhalten, dass er nicht nach Kuba zurückreisen dürfe ohne eine Erlaubnis. Ihm sei das Recht entzogen worden, ein Gehalt zu beziehen ebenso das Wahlrecht und Erbrecht. Es seien Güter beschlagnahmt worden. Er sei für staatenlos erklärt worden und sein Sohn sei entlassen worden.
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In Italien habe er ein Aufenthaltsdokument gehabt, dass alle zwei Jahre zu verlängern gewesen sei. Zuletzt sei es bis 2016 gültig gewesen. Als es zu verlängern gewesen sei, habe er sich in Spanien befunden. In Italien habe er 2011 ein Dokument bekommen - dieses übergab der Kläger -, das ihn als staatenlos deklariert habe. Dies sei sehr selten in Italien, es gebe dort nur sechs Fälle von Kubanern, die staatenlos erklärt worden seien, weshalb dies die Aufmerksamkeit der kubanischen Behörden erregt habe.
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Offizielle Anklagen gegen ihn habe es in Kuba nicht gegeben, weil er im letzten Jahr seines Aufenthaltes nur noch nachts auf der Straße gewesen sei. Er habe auch keine Dokumente bekommen. Der Reisepass sei ihm problemlos erteilt worden. Man habe ihm vertraut, weil er bereits 2001 ausgereist und wiedergekehrt sei. Er sei aber kontrolliert worden und ihm seien sämtliche Dokumente (zur Hausdurchsuchung und ärztliche Dokumente) abgenommen worden. Das Schreiben seines Vaters zur Revision seines Falles habe er in seiner Hose vorne versteckt, so dass es unentdeckt geblieben sei. Vor einer Rückkehr habe er Angst, weil er in Europa berichtet habe, was ihm in Kuba zugestoßen sei. Für den kubanischen Staat sei er ein Verräter. Daraus, dass seine Mutter nach seiner Rückkehr befragt worden sei, folgere er, dass man ihn bereits erwarte. Sein Vater sage jedes Mal, dass er nicht zurückkehren solle. Homosexuelle würden in Kuba diskriminiert. Die Staatenloserklärung zeige die Diffamierung durch Kuba. Von der Homosexualität hätten die staatlichen Stellen gewusst, weil er mit seinem Partner zusammengelebt habe.
8
Exilpolitisch aktiv sei er eigentlich schon. Er stehe in Kontakt mit einem Repräsentanten von Somos Mas. Mitglied sei er nicht. Wegen Corona und wegen seiner Unterbringung in einer Asylunterkunft, habe er keine Aufgaben für Somos Mas übernommen. Er werde demnächst an einer Demonstration in … teilnehmen.
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Mit Bescheid vom 24. November 2021 erkannte das Bundesamt die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Ziffer 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Ziffer 2), erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Ziffer 3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 4), drohte dem Kläger die Abschiebung - in erster Linie - nach Kuba an, wenn er die Bundesrepublik Deutschland nicht innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens verlasse (Ziffer 5) und ordnete ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristete dieses auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6).
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Den vorgetragenen Erlebnissen fehle es an der asylrelevanten Intensität. Beim letzten Ereignis handele es sich um einen persönlich motivierten Exzess. Da er Kuba auf legalem Weg verlasen habe, sei von einer fehlenden staatlichen Verfolgungsabsicht auszugehen. Die Entziehung von staatbürgerlichen Rechten aufgrund langen Auslandsaufenthalts stelle keine politische Verfolgung dar.
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Der Kläger erhob zur Niederschrift der Rechtsantragsteller des Verwaltungsgerichts Ansbach am 7. Dezember 2021 Klage und beantragte,
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 24. November 2021 aufzuheben,
die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen,
die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bis Abs. 7 AufenthG vorliegen.
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Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2021,
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Mit Schriftsatz vom 7. März 2022 legte der Kläger ein Dokument in spanischer Sprache mit Übersetzung auf Deutsch vor. Nach dieser Erklärung des Konsularbeamten vom 21. Januar 2022 dürfe der Kläger, der einen kubanischen Pass und den Migrationsstatus „ausgewandert“ habe, nur 90 Tage nach Kuba reisen.
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Die Beklagte legte mit Schriftsatz vom 23. Mai 2022 eine Kopie des kubanischen Passes des Klägers, ausgestellt am 21. April 2016 und gültig bis 21. April 2022 vor.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen. Für den Verlauf der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet und deshalb abzuweisen. Der streitgegenständliche Bescheid vom 24. November 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Asylanerkennung, noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG oder auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG, noch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu. Auch im Übrigen stößt der angegriffene Bescheid auf keine rechtlichen Bedenken.
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1. Einer Anerkennung als Asylberechtigter steht bereits die Einreise über einen sicheren Drittstaat entgegen, § 26a Abs. 1, Abs. 2 AsylG.
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2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Ergänzende Regelungen ergeben sich aus § 3a AsylG für die Verfolgungshandlungen, aus § 3b AsylG für die Verfolgungsgründe, aus § 3c AsylG zu den Akteuren, von denen Verfolgung ausgehen kann, aus § 3d AsylG zu den Akteuren, die Schutz bieten können, und nach § 3e AsylG zu einem möglichen internen Schutz.
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Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet ist im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, gilt dabei einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“). Erforderlich ist eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass der Betroffene bei einer Rückkehr verfolgt werden wird. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 - 10 C 25/10 - NVwZ 2011, 1463; U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - NVwZ 2013, 936). Dabei ist die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie in Form einer widerlegbaren Vermutung zu beachten, wenn der Asylbewerber bereits Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgungscharakter erlebt hat und sich seine Furcht hinsichtlich einer Rückkehr in sein Heimatland aus einer Wiederholung bzw. Fortsetzung der erlittenen Verfolgung ergibt.
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Mit Rücksicht darauf, dass sich der Schutzsuchende hinsichtlich asylbegründender Vorgänge außerhalb des Gastlandes in einem gewissen, sachtypischen Beweisnotstand befindet, genügt bezüglich der Vorgänge im Herkunftsland für die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotene richterliche Überzeugungsgewissheit in der Regel die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller und darf das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen. Es hat sich vielmehr mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit zu begnügen (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.1977 - 1 C 33/71 - NJW 1978, 2463). Andererseits muss der Asylbewerber von sich aus unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen, widerspruchsfreien Sachverhalt schildern. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann ihm in der Regel nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden (vgl. BVerwG B.v. 21.7.1989 - 9 B 239/89 - NVwZ 1990, 171).
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Dies zu Grunde gelegt und unter Berücksichtigung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Kuba mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine dem Schutzbereich des § 3 Abs. 1 AsylG unterfallende Gefährdung droht.
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Es kann letztlich dahinstehen, ob der Kläger vor seiner Ausreise aus Kuba im Jahr 2006 eine als Vorverfolgung einzustufende Behandlung erfahren hat. Das Gericht glaubt dem Kläger, dass er - jedenfalls einmal, nämlich nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung, im Jahr 2005 bei einer polizeilichen Vernehmung Herabwürdigungen und erhebliche Gewalt erfahren hat. Der Kläger schilderte das Erlebte glaubhaft, klar und offen, unter erkennbarer emotionaler Anteilnahme, aber ohne Dramatisierung und ohne den Fragen des Gerichts auszuweichen. Dass er Details des Geschehen nicht von vorneherein offenbart bzw. die Schilderung in der mündlichen Verhandlung um ein bislang nicht zur Sprache gekommenes Teilgeschehen erweitert, steht der Glaubhaftigkeit seiner Angaben nach Einschätzung des Gerichts nicht entgegen. Dies ist ohne Weiteres zum einen mit der verstrichenen Zeitdauer von 17 Jahren, zum anderen mit der Schambehaftetheit dieser Angabe zu erklären. Was die weiteren polizeilichen Maßnahmen betrifft, bleiben diese jedoch unkonkret und oberflächlich, beruhen damit entweder nicht auf real Erlebtem oder stehen in einen asylrechtlich irrelevanten Zusammenhang.
24
Aufgrund der Gewalterfahrung 2005 durch einen kubanischen Polizisten besteht nach Ansicht des Gerichts bei einer Rückkehr nach Kuba heute nicht mehr die Gefahr, in ähnlicher Art und Weise bzw. in Fortsetzung des Erlebten erneut Opfer von staatlicher Gewalt wegen seiner Homosexualität oder aufgrund der Geschichte seines Vaters zu werden. Zum einen dürfte es sich bei der Gewaltanwendung 2005 durch einen Polizisten um einen Exzess eines einzelnen Amtswalters gehandelt haben. Die Einschätzung des Bundesamtes wird insoweit geteilt. Ein solcher einzelner Exzess stellt aber keine staatliche Verfolgung dar, sondern „nur“ individuell erfahrenes, kriminelles Unrecht, das die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht rechtfertigt (vgl. dazu BVerfG, B.v. 5.3.2003 - 2 BvR 134/01 - juris Rn. 17.). Selbst bei Annahme einer damaligen staatlichen Verfolgung aufgrund von Homosexualität oder einer Art von „Sippenhaft“ besteht aufgrund des langen Zeitablaufs von 17 Jahren seit dem Vorfall und nach rund 16 Jahren Abwesenheit aus Kuba die Vermutung, dass eine erlebte Verfolgung die Gefahr einer erneuten Verfolgung bei einer Rückkehr begründet, nicht mehr. Nach einer derart langen Zeitspanne existieren die Amtswalter von damals voraussichtlich nicht mehr auf der Stelle, ist ein Verfolgungsinteresse regelmäßig erloschen und dürfte ein solches Verfolgungsinteresse im Falle des Klägers, dem ein politisches Engagement zu keinem Zeitpunkt nachgewiesen worden ist und der nach eigenen Angaben nur heimlich z.B. Plakate geklebt hat, aber niemals bei politischen Tätigkeiten erwischt worden ist und der auch in Europa nicht exilpolitisch tätig war, ohnehin eher gering gewesen sein. Die staatlichen Abschreckungs- und Unterdrückungsmaßnahmen für Regimegegner beruhen in Kuba überdies stark auf Willkür und Unberechenbarkeit und weniger auf konsequenter und langfristiger Verfolgung von Einzelpersonen. Schließlich hat der Kläger auch im Hinblick auf seinen Vater, der in der Vergangenheit als Dissident im Gefängnis saß und heute weiter in Kuba lebt, keine Fortsetzung staatlicher Gewalt berichtet. Dem Kläger wäre es erforderlichenfalls auch möglich und zumutbar, bei einer Rückkehr nach Kuba den Bereich seiner Heimatstadt zu meiden und in einem anderen Landesteil zu leben. Dafür, dass dem Kläger dort staatliche Verfolgung drohen würde, ist nichts wirklich ersichtlich.
25
Hätte der Kläger ernsthaft eine politische Verfolgung wegen seiner Homosexualität bzw. aufgrund von Umständen und Zuschreibungen im Zusammenhang mit seinem Vater befürchtet, wäre zu erwarten gewesen, dass er bereits vor Jahren in Italien oder Spanien einen Asylantrag gestellt hätte und nicht erst ca, 16 Jahre nach seiner Ausreise in Deutschland. Auch die innereuropäischen Reisebewegungen des Klägers und die von ihm benannten Gründe, die jeweiligen europäischen Länder wieder zu verlassen, zeigen, dass der Kläger einen anderem Maßstab an seine Schutzbedürftigkeit und Fluchtnotwendigkeit anlegt als das AsylG und das europäische Asylrecht.
26
Aufgrund seiner Homosexualtät droht dem Kläger heutzutage in Kuba jedenfalls voraussichtlich nichts. Homosexualität steht in Kuba nicht unter Strafe. Die Zeiten von Umerziehungslagern gehören in Kuba der Vergangenheit an. Gesellschaftlich zu befürchtende Diskriminierung genügt für eine Verfolgungsgefahr im asylrechtlichen Sinne in aller Regel nicht, sie erreicht im nicht religiös geprägten Kuba voraussichtlich keine asylrechtlich relevante Schwelle (vgl. auch VG Ansbach, U.v. 3.6.2020 - AN 17 K 20.30062; U.v. 9.1.2019 - AN 17 K 18.31340 - jeweils juris).
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Aufgrund seiner langen Abwesenheit hat der Kläger sein Rückkehrrecht nach Kuba und wohl auch bürgerschaftliche Rechte in Kuba zwar verloren und wäre eine dauerhafte Rückkehr nur mit einer individuellen Rückkehrgenehmigung möglich, die er möglicherweise nicht erreichen wird, dies stellt jedoch keinen Nachfluchtgrund dar. Diese staatliche Maßnahme knüpft nämlich nicht an ein asylrelevantes Merkmal nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG (Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) an, sondern allein an die Dauer der Abwesenheit einer Person vom Staatsgebiet (derzeit 24 Monate, vgl. Amnesty International, Auskunft an das VG Würzburg vom 25.8.2018, Schweizer Flüchtlingshilfe, Kuba: Ablauf des Permiso de Residencia en el Exterior vom 15.12.2011).
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Ebenso wenig zieht die Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland als solches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung von legal aus Kuba eingereisten kubanischer Staatsangehöriger nach sich (BVerwG, B.v. 7.12.1999 - 9 B 474.99; BayVGH, U.v. 29.7.2002 - 7 B 01.31054; B.v. 5.6.2008 - 15 ZB 07.30102; VG Ansbach, U.v. 24.9.2015 - AN 3 K 14.30542; alle juris). Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass Personen, die im Ausland einen Asylantrag stellen, von der kubanischen Regierung als Regimekritiker eingestuft werden und in diesem Fall bei ihrer Rückkehr nach Kuba von willkürlichen staatlichen Repressalien bedroht sind. Für den Kläger besteht hierfür aber nach Auffassung des Gerichts keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, da er in Europa trotz sehr langer Aufenhaltsdauer bislang nicht politisch tätig war. Dass die Asylantragstellung in Deutschland - nach ca. 16 Jahren Abwesenheit von Kuba - dort überhaupt wahrgenommen worden ist, ist zudem unwahrscheinlich. Ebenso wenig kann angenommen werden, dass das Verfahren in Italien zur Staatenloserklärung des Klägers aufgrund der Aberkennung von staatsbürgerlichen Rechten durch den kubanischen Staat eine staatliche Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nach sich zieht. Anhaltspunkte für ein Verfolgungsinteresse des kubanischen Staates bestehen nicht. Der Kläger hat insbesondere nichts von Vorladungen, verstärkten Nachfragen nach ihm bei seiner Familie oder ähnlichen Maßnahmen berichtet. Vereinzelte Erkundigungen bei der Familie, die ansonsten ohne Konsequenzen blieben, belegen noch kein Gefährdungsrisiko.
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Ein Nachfluchtgrund ergibt sich auch nicht aufgrund einer (geänderten) allgemeinen Lage in Kuba nach Protesten der Bevölkerung ab Juli 2021 und in diesem Zusammenhang erfolgten Verhaftungen. Dass Unbeteiligte und Personen, die sich wie der Kläger in dieser Zeit nicht in Kuba befunden haben, deshalb mit Schwierigkeiten zu rechnen haben, ist nicht anzunehmen und auch für den Kläger konkret nicht zu befürchten.
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3. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG zu.
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Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG).
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Mit den obigen Darlegungen sind auch keine Gründe ersichtlich, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in ihr Heimatland ein ernsthafter Schaden in diesem Sinne droht.
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4. Auch nationale Abschiebungsverbote sind nicht gegeben. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 - EMRK - ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach § 60 Abs. 7 AufenthG ist eine Abschiebung unzulässig, wenn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Asylantragstellers bei einer Rückkehr nach Kuba vorliegt. Hierfür ist nichts erkennbar. Insbesondere ist der Kläger nicht ernsthaft krank bzw. behandlungsbedürftig.
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5. Auch die im angefochtenen Bescheid enthaltene Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Die Voraussetzungen der §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylG liegen vor.
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6. Ergänzend zu alledem wird auch auf die Ausführungen im Bescheid des Bundesamts vom 24. November 2021 Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
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7. Rechtmäßig ist auch die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots mit Befristung in Ziffer 6 des Bescheids gemäß §§ 11 Abs. 1, Abs. 2, 75 Nr. 12 AufenthG. Die Befristung steht dabei im Ermessen der Behörde, vgl. § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, womit das Gericht die Festsetzung in zeitlicher Hinsicht nur auf - im vorliegenden nicht vorgetragene und erkennbare - Ermessensfehler hin überprüft (§ 114 Satz 1 VwGO).
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8. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen, wobei Gerichtskosten gemäß § 83b AsylG nicht erhoben werden.