Titel:
Keine sittenwidrige Schädigung des Erwerbers eines Opel-Diesel-Fahrzeugs (hier: Opel Cascada Innovation 2.0 CDTI Automatik)
Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826, § 831
ZPO § 522 Abs. 2
AEUV Art. 288
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 5 Abs. 2
RL 2007/46/EG Art. 3 Nr. 29, Art. 4 Abs. 2, Abs. 4
VwVfG § 24 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Vgl. zu Diesel-Fahrzeugen von Opel: OLG München BeckRS 2021, 52557; BeckRS 2021, 52562; BeckRS 2022, 20001; BeckRS 2022, 29314; OLG Bamberg BeckRS 2021, 52538; BeckRS 2022, 19980; BeckRS 2023, 3040; BeckRS 2023, 3006; OLG Schleswig BeckRS 2022, 8917; OLG Frankfurt BeckRS 2022, 10556; OLG Koblenz BeckRS 2022, 10605; OLG Köln BeckRS 2022, 12858; OLG Nürnberg BeckRS 2022, 29322; LG Landshut BeckRS 2021, 53844; BeckRS 2022, 20735; BeckRS 2022, 22852; LG Memmingen BeckRS 2022, 12853; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2022, 29316; BeckRS 2022, 29310; LG Kempten BeckRS 2022, 29315. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Tatsache, dass eine Manipulationssoftware ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung verstärkt aktiviert, indiziert eine arglistige Täuschung der Genehmigungsbehörden. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es ist nicht Aufgabe des OBD-Systems, konstante Messungen der Schadstoffemissionen vorzunehmen, bei Überschreitung bestimmter Schwellenwerte Signale zu setzen bzw. zu speichern oder zwischen einer rechtlich zulässigen und einer rechtlich unzulässigen Abschalteinrichtung zu unterscheiden. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die RL 2007/46/EG und die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bezwecken nicht den Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts eines Fahrzeugerwerbers. (Rn. 77) (redaktioneller Leitsatz)
5. Jedenfalls fehlt es an einem für § 823 Abs. 2 BGB erforderlichen Verschulden von Opel im Zeitpunkt der Herstellung des Fahrzeugs, des Typgenehmigungsverfahrens für das Fahrzeug und/oder der Entwicklung des im Fahrzeug verbauten Thermofensters. (Rn. 88) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Opel, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, KBA, Thermofenster, (kein) Rückruf, Typgenehmigungsverfahren, (keine) Täuschung, OBD, Schlussanträge des Generalanwaltes
Vorinstanz:
LG Augsburg, Urteil vom 12.05.2022 – 063 O 3555/21
Fundstelle:
BeckRS 2022, 29413
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 12.5.2022, Az. 063 O 3555/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist auch nicht aus anderen Gründen geboten.
Das klageabweisende Ersturteil des Landgerichts Augsburg vom 12.5.2022 entspricht der Sach- und Rechtslage.
Die hiergegen von der Berufung erhobenen Rügen verfangen nicht. Entscheidungserhebliche Rechtsfehler im Sinne von § 520 Abs. 3 ZPO sind nicht ersichtlich und werden von der Berufung auch nicht aufgezeigt.
Zu den Berufungsangriffen des Klägers im Schriftsatz vom 18.8.2022 (Bl. 191 ff. d. A.) ist im Einzelnen Folgendes zu bemerken:
Der Kläger schloss am 13.6.2016 mit der O. L. GmbH einen Leasingvertrag über ein Gebrauchtfahrzeug Opel Cascada Innovation 2.0 CDTI Automatik, Fahrzeugidentifikationsnummer ..., 121 kW, Motorentyp A20, Abgasnorm Euro 5, Erstzulassungsdatum ..., km-Stand 8.800 km. Der Kläger leistete in der Folgezeit vereinbarungsgemäß 36 monatliche Leasingraten zu je 349 Euro. Nach Ablauf der Leasingzeit erwarb er das Fahrzeug am 25.7.2019 bei einem Kilometerstand von 113.000 km zum Kaufpreis von 15.891,44 € von der Firma ...
Entscheidungsgründe
1. Vertragliche Ansprüche:
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2. Mangels vertraglicher Beziehungen zwischen den Parteien kommt allenfalls eine deliktische Haftung der Beklagten in Betracht.
2. §§ 311 Abs. 3, 280 Abs. 1 BGB:
2
Ein Anspruch des Klägers folgt auch nicht aus §§ 311 Abs. 3, 280 Abs. 1 BGB. Die Beklagte war an den Kaufvertragsverhandlungen des Klägers mit dem Verkäufer nicht selbst beteiligt. Zwar können nach den Grundsätzen der Sachwalterhaftung auch solche Personen, die nicht unmittelbar Vertragspartei geworden sind, einer Schadensersatzhaftung unterfallen, wenn sie in besonderem Maße persönliches Vertrauen in Anspruch genommen haben und dadurch einem Beteiligten eine zusätzliche, gerade von ihnen persönlich ausgehende Gewähr für Bestand und Erfüllung des in Aussicht genommenen Rechtsgeschäfts geboten haben (vgl. Urteil des BGH vom 29.1.1997, VIII ZR 356/95). Hier hat der Kläger indes nicht konkret dargelegt, dass die Beklagte in besonderem Maße persönliches Vertrauen in Anspruch genommen und dadurch den Gang der Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst hat
3. Deliktische Ansprüche: a. Zu § 826 BGB:
3
Zutreffend hat das Landgericht Augsburg eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB verneint.
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Auch der Senat vermag auf der Basis des gesamten klägerischen Vortrags in einer Zusammenschau aller Gesichtspunkte nicht darauf zu schließen, dass die Beklagte hinsichtlich des streitgegenständlichen Fahrzeugs in sittenwidriger Weise gehandelt hat. Nach Gesamtabwägung aller Umstände fehlt es vorliegend sowohl an der schlüssigen Darlegung der objektiven Sittenwidrigkeit als auch eines Schädigungsvorsatzes der Beklagten.
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Die Klagepartei, die einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, trägt grundsätzlich die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, das heißt sowohl für die Umstände, die die Schädigung und deren Sittenwidrigkeit in objektiver Hinsicht begründen, als auch für den zumindest bedingten Vorsatz des Schädigers hinsichtlich des Vorliegens dieser Umstände (vgl. Urteil des BGH vom 25.5.2020, VI ZR 252/19).
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Hierbei ist das Kriterium der Prüfstandbezogenheit grundsätzlich geeignet, um zwischen nur unzulässigen Abschalteinrichtungen und solchen, deren Implementierung die Kriterien einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung erfüllen können, zu unterscheiden. Die Tatsache, dass eine Manipulationssoftware ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung verstärkt aktiviert, indiziert eine arglistige Täuschung der Genehmigungsbehörden (vgl. Beschluss des BGH vom 29.9.2021, VII ZR 126/21, BeckRS 2021, 33038 Rn. 18).
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Zwar ist ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderung erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten. Diese Grundsätze gelten insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den ihrer Behauptung zugrunde liegenden Vorgängen hat. Eine Partei darf auch von ihr nur vermutete Tatsachen als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen, wenn sie mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen hat. Unbeachtlich ist der auf Vermutungen gestützte Sachvortrag einer Partei erst dann, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist allerdings Zurückhaltung geboten. In der Regel wird sie nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte vorliegen (ständige Rechtsprechung des BGH, so auch Urteile des BGH vom 18.5.2021, VI ZR 401/19, und vom 13.7.2021, VI ZR 128/20).
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Nach Gesamtbetrachtung aller Umstände, insbesondere unter Berücksichtigung der klägerseits vorgetragenen/vorgelegten Gutachten, Messergebnisse, Berichte, Bescheide/Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) und Medienberichterstattungen sowie der von ihm benannten Zeugen zeigt der Kläger indes keinen Vortrag auf, aus dem sich - über die bloße pauschale Behauptung hinaus - greifbare Anhaltspunkte für die Verwendung einer solchen Steuerungsstrategie in dem streitgegenständlichen Fahrzeug ergeben könnten (vgl. BGH, NJW 2021, 3721 Rn. 27 BGH, NZV 2021, 525 Rn. 23). Nach Gesamtabwägung aller Gesichtspunkte hat die Klagepartei hier weder schlüssig dargetan, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit einer Abschalteinrichtung ausgestattet ist, die an eine Prüfstanderkennung angeknüpft wäre bzw. an Bedingungen, die faktisch nahezu ausschließlich auf dem Prüfstand eintreten, noch Umstände substantiiert dargelegt, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen.
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(1) Hinsichtlich der temperaturbedingten Abgasrückführung fehlt es auch unter Berücksichtigung des gesamten klägerischen Vortrags bereits an einer Darlegung der objektiven Sittenwidrigkeit.
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Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, so auch Urteile des BGH vom 30.7.2020, VI ZR 5/20, und vom 25.5.2020, VI ZR 252/19). Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (ständige Rechtsprechung des BGH, so auch Urteil des BGH vom 13.7.2021, VI ZR 128/20, und Beschlüsse des BGH vom 9.3.2021, VI ZR 889/20, und 19.1.2021, VI ZR 433/19).
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Nach diesen Grundsätzen reicht der Umstand, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug des Klägers nach seinem Vortrag eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems enthalte, nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagten handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben.
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Soweit der Kläger behauptet, die Abgasrückführung werde bei Temperaturen unter 17° C bzw. über 30° C nicht unwesentlich heruntergefahren und später komplett abgeschaltet, liegt bereits keine (exakte) Prüfstanderkennung vor, da die Umgebungstemperatur in NEFZ-Prüfungen zwischen 20° C und 30° C beträgt.
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Dabei kann zugunsten des Klägers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass die temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren ist. Gleichwohl wäre der darin liegende Gesetzesverstoß für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ist nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie einen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. Dies gilt auch dann, wenn mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt wird. Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit ist nur gegeben, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (vgl. Beschluss des BGH vom 19.1.2021, VI ZR 433/19).
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Anders als eine Software zur Prüfstanderkennung zielt die temperaturgesteuerte Abgasrückführung auch nach klägerischem Vortrag darauf, dass die Abgasrückführung temperaturabhängig anbeziehungsweise abgeschaltet wird. Wenn diese temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung nicht zwischen Prüfstand und realem Betrieb unterscheidet, sondern sich nach der Temperatur richtet, ist sie nicht offensichtlich auf eine „Überlistung“ der Prüfungssituation ausgelegt (vgl. OLG Düsseldorf, BeckRS 2020, 9904 Rn. 30). Der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ist nicht von vornherein durch Arglist geprägt (vgl. Beschlüsse des BGH vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, und vom 9.3.2021, VI ZR 889/20).
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Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass die handelnden bzw. verantwortlichen Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (vgl. Urteil des BGH vom 13.7.2021, VI ZR 128/20, und Beschlüsse des BGH vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, und vom 9.3.2021, VI ZR 889/20).
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Bei einer die Abgasreinigung beeinflussenden Motorsteuerungssoftware, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand und bei der Gesichtspunkte des Motor- bzw. des Bauteilschutzes - jedenfalls bis zur Entscheidung des EuGH vom 17.12.2020 (C-693/18) - als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden konnten, kann bei Fehlen jedweder, konkreter Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden.
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Angesichts der allgemein bekannten Informationen und der Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführung war die Auslegung einer unbestimmten Norm, wonach diese eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, jedenfalls nicht unvertretbar. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes (vgl. zur Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) der VO 2007/715/EG auch die Einschätzung der vom Bundesverkehrsministerium eingesetzten Untersuchungskommission „V.“, Stand April 2016, S. 126, zitiert nach OLG Stuttgart, NZV 2019, 579, 585, demnach ein Gesetzesverstoß durch die von den Autoherstellern eingesetzten Thermofenster jedenfalls nicht eindeutig vorliege) und möglicherweise auch einer gewissen Kostensensibilität (vgl. OLG Düsseldorf, BeckRS 2020, 9904 Rn. 39) kann ohne weitere Anhaltspunkte nicht als besonders verwerfliches Verhalten angesehen werden (OLG Stuttgart, NZV 2019, 579, 585; OLG Koblenz, BeckRS 2020, 21725 Rn. 21).
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Nach Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klagepartei indes derartige weiteren Umstände nicht konkret dargetan. Insbesondere fehlt ein substantiierter Sachvortrag, dem für ein solches Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen sprechende Anhaltspunkte zu entnehmen wären.
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(a) Soweit der Kläger pauschal behauptet, die Beklagte habe den Einbau des „Thermofensters“ im Typgenehmigungsverfahren gegenüber dem KBA nicht offengelegt und das KBA langjährig und systematisch bewusst und gewollt getäuscht, hilft dies nicht weiter.
20
Hierbei handelt es sich um eine bloße unsubstantiierte Behauptung des Klägers, die nicht geeignet ist, das Bewusstsein der Beklagten über die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug zu begründen.
21
Die Beklagte hat hierzu erstinstanzlich erklärt, dass das Fahrzeug weder eine manipulative Prüfzykluserkennnung noch eine sonstige unzulässige Abschalteinrichtung enthalte. Das Emissionskontrollsystem des streitgegenständlichen Fahrzeugs werde aus Gründen des Motorschutzes und zur Gewährleistung des sicheren Fahrbetriebs in Abhängigkeit verschiedener Parameter (Umgebungstemperatur und Motordrehzahl) gesteuert. Die Beklagte sei der Überzeugung, dass die gewählte Parametrierung zulässig sei. Parametergesteuerte Emissionskontrollsysteme entsprächen seit jeher dem technischen Standard und seien branchenüblich. Eine Täuschung der Typgenehmigungsbehörde liege nicht vor. Das Typgenehmigungsverfahren sei vielmehr ordnungsgemäß durchgeführt, alle genehmigungsrelevanten Angaben gemacht und alle notwendigen Nachweise erbracht worden. Die Typgenehmigungsbehörde sehe hingegen in Kenntnis der Sach- und Rechtslage seit vielen Jahren keinen Handlungsbedarf.
22
Schließlich bleibt auch festzuhalten, dass, selbst wenn die Beklagte verwaltungsrechtlich weitere Angaben zum Abgasrückführungssystem hätte machen müssen, es zivilrechtlich nicht anginge, dies ohne weiteres mit konkreten Falschangaben gleichzusetzen (vgl. hierzu auch Hinweisbeschluss des OLG München vom 1.3.2021, 8 U 4122/20).
23
Selbst wenn die Beklagte erforderliche Angaben zu den Einzelheiten der temperaturabhängigen Steuerung unterlassen haben sollte, wäre die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 und 2 VwVfG gehalten gewesen, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug zu prüfen. Anhaltspunkte für wissentlich unterbliebene oder unrichtige Angaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren, die noch dazu auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des KBA und damit einen bewussten Gesetzesverstoß hindeuten würden, vermag der Senat nach einer Gesamtwürdigung hier nicht zu erkennen (vgl. hierzu Urteil des BGH vom 16.9.2021, VII ZR 286/20).
24
(b) Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang auf S. 62 ff. der Anlage BK 2 Bezug nimmt und meint, das Thermofenster sei technisch nicht notwendig gewesen, hilft dies ebenfalls nicht weiter. Auch dieser Vortrag ist nicht geeignet, das Bewusstsein der Beklagten über die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug zu begründen.
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Erstens bezieht sich S. 62 ff. dieser Anlage auf einen Opel Insignia 2.0 CDTI Dieselmotor mit SCR-Katalysator. Das streitgegenständliche Fahrzeug der Abgasnorm Euro 5 enthält indes bereits nach den eigenen Ausführungen des Klägers keinen SCR-Katalysator (vgl. S. 51 der Berufungsbegründung). Weshalb die Fahrzeuge vergleichbar sein sollen, ist weder substantiiert dargetan noch ersichtlich.
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Zweitens stützt sich diese gutachterliche Stellungnahme auf Vermutungen/Schätzungen. So wird z. B. ausgeführt: „Die am 2.0 CDTI Motor eingestellten Wassertemperaturen des AGR-Kühlers sind nicht bekannt. Es kann aber abgeschätzt werden, dass sie in einem Bereich von 80° C liegen“ sowie “Da detaillierte Auslegungsdaten und die konstruktive Gestaltung des Einlasstraktes nicht vorhanden sind, wird über eine sehr vereinfachte Betrachtung der Einfluss der Umgebungstemperatur abgeschätzt “.
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Drittens ist es unerheblich, ob es zum Zeitpunkt der Entwicklung des Fahrzeugs andere technische Möglichkeiten gab, mit denen das Risiko von Motorschäden vermieden und zugleich die weiteren Schadstoffgrenzen eingehalten werden konnten. Unabhängig davon, ob solche Möglichkeiten der Beklagten auch bekannt gewesen waren, kann es keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung darstellen, wenn ein Kfz-Hersteller nicht der Vorreiter der technischen Entwicklung ist (OLG Düsseldorf, BeckRS 2020, 9904 Rn. 42).
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(c) Soweit der Kläger vorträgt, es liege eine Manipulation des On-Board-Diagnosesystems (OBD-System) vor, hilft auch dies nicht weiter.
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Veranlassung des OBD-Systems für eine Messung von Schwellenwerten besteht nur im Fall des Ausfalls emissionsrelevanter Bauteile und Systemebereiche; hingegen ist es nicht Aufgabe des OBD-Systems, konstante Messungen der Schadstoffemissionen vorzunehmen, bei Überschreitung bestimmter Schwellenwerte Signale zu setzen bzw. zu speichern oder zwischen einer rechtlich zulässigen und einer rechtlich unzulässigen Abschalteinrichtung zu unterscheiden. Arbeitet eine Abschalteinrichtung - sei sie rechtlich zulässig oder unzulässig - mithin technisch so, wie sie programmiert ist, liegt eine Fehlfunktion nicht vor, so dass die Anzeige einer Fehlfunktion nicht veranlasst ist (vgl. Urteil des BGH vom 8.12.2021, VIII ZR 190/19). Vor diesem Hintergrund liegt bereits eine anzeigepflichtige Fehlfunktion bei Überschreitung der Emissionsgrenzwerte im realen Fahrbetrieb nicht vor. Durfte die Beklagte nämlich - wie hier - das Thermofenster zumindest vertretbar für eine zulässige Abschalteinrichtung halten, durfte sie auch das OBD-System so ausgestalten, dass es den Einsatz des Thermofensters nicht als Fehler anzeigt (vgl. hierzu Hinweisbeschluss des BGH vom 15.9.2021, VII ZR 2/21).
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(2) Ebenso fehlt es an dem erforderlichen Schädigungsvorsatz.
31
Der gemäß § 826 BGB erforderliche Vorsatz enthält ein Wissens- und ein Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen, jedenfalls aber für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben (vgl. Urteil des BGH vom 25.5.2020, VI ZR 252/19). Der Vorsatz muss sich auch auf den Schaden erstrecken. Eine nur allgemeine Vorstellung über eine etwa mögliche Schädigung genügt nicht. Er muss die Art des möglicherweise eintretenden Schadens vorausgesehen und mindestens billigend in Kauf genommen haben (vgl. hierzu auch Urteil des BGH vom 25.5.2020, VI ZR 252/19).
32
Ein Schädigungsvorsatz der Beklagten bzw. ihrer verfassungsmäßigen Vertreter (§ 31 BGB) oder Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB) lässt sich insbesondere nicht daraus ableiten, dass das streitgegenständliche Fahrzeug aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Strategieentscheidung mit einer temperaturbedingten Abgasrückführung ausgestattet ist. Allein aus der - unterstellten - objektiven Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung in Form der temperaturbedingten Abgasrückführung kann noch nicht auf einen Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer geschlossen werden.
33
Vorliegend hat der Kläger keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Kenntnis des Vorstands/des verfassungsmäßigen Vertreters der Beklagten von der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorgetragen. Im Hinblick auf die Rechtslage - hinsichtlich der in den Fahrzeugen der Beklagten verbauten Thermofenster fehlt es bis heute an einer behördlichen Stilllegung oder einem Zwang zu Umrüstmaßnahmen - ist auch nicht dargetan, dass sich den für die Beklagten tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung des Klägers hätte aufdrängen müssen (vgl. hierzu Urteil des BGH vom 16.9.2021, VII ZR 286/20).
34
bb. Soweit der Kläger vorträgt, das streitgegenständliche Fahrzeug sei mit Abschalteinrichtungen versehen, die von Umgebungsluftdruck (unterhalb 91,5 kPA) und Motorendrehzahl (oberhalb von 2.750 U/min bzw. ab 2400 U/min) abhängen, versehen, hilft dies nicht weiter. Auch insoweit hat die Klagepartei weder eine prüfstanderkennende Abschalteinrichtung substantiiert dargetan noch Umstände substantiiert dargelegt, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen.
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(1) Soweit der Kläger bereits erstinstanzlich unter Bezugnahme auf den Bericht der Untersuchungskommission „Volkswagen“ (Anlage K 2) und Prüfergebnisse der Deutschen Umwelthilfe (Anlage K 3) vorgetragen hat, der erlaubte NOx-Grenzwert sei nur unter Prüfbedingungen eingehalten, ist festzuhalten, dass sich diese Auswertungen nicht auf das streitgegenständliche Fahrzeug Opel Cascada Innovation 2.0 CDTI mit EG-Typgenehmigung ... und Erstzulassungsjahr 2015, sondern auf einen Opel Astra mit EG-Typgenehmigung ... und Erstzulassungsjahr 2014 sowie Euro-6-Norm-Fahrzeuge bezogen.
36
Eine Vergleichbarkeit der Fahrzeuge ist weder substantiiert dargetan noch ersichtlich.
37
Im Übrigen genügt der Hinweis auf Diskrepanzen zwischen Stickoxidemissionen unter Prüfstandbedingungen, die nach damaliger Rechtslage (Schadstoffklasse Euro 5) zur Erlangung der Typgenehmigung allein maßgeblich waren, und unter normalen Betriebsbedingungen auf der Straße nicht (vgl. Urteil des BGH vom 13.7.2021, VI ZR 128/20). Die Abweichung der Messwerte im Realbetrieb von den Messwerten nach NEFZ ist als Indiz für eine Abschalteinrichtung, und noch dazu für eine Manipulationssoftware, die die Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllen könnte, angesichts der unstreitigen gravierenden Unterschiede der Bedingungen, unter denen die Messung erfolgt, ungeeignet (vgl. Beschluss des BGH vom 15.9.2021, VII ZR 2/21).
38
(2) Soweit der Kläger behauptet, es liege ein Rückruf für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp vor, hilft dies in doppelter Hinsicht nicht weiter.
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Zum einen begründet allein der verpflichtende Rückruf eines PKW durch das KBA nach der mittlerweile gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung für sich noch keine deliktische Haftung des Motorenherstellers (vgl. Beschluss des BGH vom 29.9.2021, VII ZR 126/21, Urteil des OLG Celle vom 14.4.2021, 7 U 1955/19, Urteil des OLG Koblenz vom 18.1.2021, 12 U 1294/20). Ein verpflichtender Rückruf seitens des KBA kann das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung indizieren, indiziert aber nicht, dass über dieses das KBA bei Erteilung der Typ-Genehmigung getäuscht worden sein müsse (vgl. Beschluss des BGH vom 29.9.2021, VII ZR 126/21). Allein aus dem Umstand, dass für ein Fahrzeug ein Rückruf erfolgt ist, kann nicht der Schluss gezogen werden, es sei ein mitteilungspflichtiger Sachverhalt verheimlicht worden (vgl. OLG München, Endurteil vom 20.8.2021 - 20 U 3366/19, BeckRS 2021, 27271 Rn. 52). Denn es verbietet sich im Rahmen des § 826 BGB ein Verhalten aus der ex post-Perspektive zu bewerten, es also - unter Zugrundelegung heutiger Anschauungen und Verhältnisse - rückwirkend als sittenwidrig einzustufen (vgl. BGH, NJW 2020, 2798 Rn. 31).
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Zum anderen liegt - unstreitig - für das klägerische Fahrzeug kein Rückruf des KBA vor (vgl. unstreitiger Tatbestand auf S. 2 des Ersturteils).
41
Soweit der Kläger zu Rückrufen von Fahrzeugen, die der Abgasnorm Euro 6 unterliegen, ausführt, ist weder substantiiert dargetan noch ersichtlich, weshalb diese Fahrzeuge mit streitgegenständlichem Fahrzeug der Abgasnorm Euro 5 vergleichbar sein sollen. Der pauschale Hinweis, dass das zurückgerufene Opel Astra Euro-6-Modell ebenfalls über kein SCR-System verfügt, genügt hierfür nicht.
42
Soweit der Kläger schließlich erklärt, der Bundesgerichtshof billige einem unterbliebenen Rückruf keine Indizwirkung zu, hilft auch dies nicht weiter. Der Kläger hat greifbare Anhaltspunkte für die Verwendung von unzulässigen Steuerungsstrategien im streitgegenständlichen Fahrzeug vorzutragen und die objektive Sittenwidrigkeit und den Schädigungsvorsatz substantiiert darzulegen. Ein solcher Vortrag fehlt.
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(3) Soweit der Kläger auf ein Rechtsgutachten des vom 26.9.2016 (Anlage K 6) und eine Auswertung des vom 16.5.2016 (Anlage K 7) Bezug nimmt, hilft auch dies nicht weiter. Eine Prüfstanderkennung im streitgegenständlichen Fahrzeug ist hierdurch nicht substantiiert dargetan.
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Zum einen betreffen diese Gutachten die Fahrzeuge Opel Zafira Tourer 1.6 CDTi und Astra Tourer 1.6 CDTi der Abgasnorm Euro 6 mit SCR-Katalysator. Hingegen unterliegt das streitgegenständliche Fahrzeug der Abgasnorm Euro 5 und verfügt über keine Abgasnachbehandlung mittels SCR-Katalysator. Eine Vergleichbarkeit der Fahrzeuge ist weder substantiiert dargetan noch ersichtlich.
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Zum anderen beruhen diese Gutachten auf Messungen der Deutschen Umwelthilfe. Wie bereits ausgeführt, ist die Abweichung der Messwerte im Realbetrieb von den Messwerten nach NEFZ als Indiz für eine Abschalteinrichtung ungeeignet.
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Die Beklagte hat hierzu erstinstanzlich konkret Folgendes vorgetragen: „Ab einer gewissen Drehzahl treten auf der Einlassseite des AGR-Kühlers Abgastemperaturen auf, die die thermische Belastungsgrenze des AGR-Kühlers überschreiten und deshalb vermieden werden müssen. Daher sichert auch die Rücknahme der AGR-Rate in Abhängigkeit von der Drehzahl des Motors (unter Berücksichtigung des Lastpunkts) die Funktionsfähigkeit des Emissionskontrollsystems, schützt den Motor vor Beschädigung und gewährleistet den sicheren Fahrbetrieb Entgegen der Behauptung des Klägers wird das Emissionskontrollsystem nicht bei einer Motordrehzahl oberhalb von 2.750 U/min „in seiner Wirkungsweise verringert“. Vielmehr wird der Sauerstoffanteil im Brennraum und damit die AGR bis zur maximalen Drehzahl nach Betriebspunkt, also Drehzahl und Last, dynamisch angepasst - eine funktionelle Notwendigkeit jeder AGR-Regelung. Es erfolgt gerade keine Abschalteinrichtung anhand einer fixierten Drehzahl, sondern eine variable Ausgestaltung anhand technischer und physikalischer Erfordernisse.
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Solche technischen und physikalischen Erfordernisse bringt auch steigender Umgebungsluftdruck mit sich. Die mit dem Umgebungsluftdruck abnehmende Sauerstoffkonzentration führt zu einer schlechteren Effizienz der Verbrennung und damit zu vermehrter Bildung von Kohlenwasserstoff und Ruß, weil der Massenanteil des Kraftstoffs im Verhältnis zum Sauerstoff zunimmt (“fetteres Gemisch“) mit Gefahren von Motorschäden und für die Verkehrssicherheit durch Motoraussetzer.“
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Dem ist der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten.
49
Aber selbst wenn man zugunsten des Klägers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellen würde, dass die Abhängigkeit von Umgebungsluftdruck und Motorendrehzahl als unzulässige Abschalteinrichtungen zu werten sind, hilft dies nicht weiter, da das bloße Vorliegen einer solchen Software nicht geeignet ist, ein besonders verwerfliches Verhalten der durch die für die Beklagte handelnden Personen zu begründen. Eine derartige Steuerung der Abgasrückführung unterscheidet nicht zwischen Prüfstand und realem Betrieb und stellt keine Prüfstanderkennungssoftware dar. Damit setzt die Annahme von Sittenwidrigkeit jedenfalls voraus, dass die handelnden bzw. verantwortlichen Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung dieser Steuerung in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen.
50
Nach Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klagepartei indes derartige weiteren Umstände nicht konkret dargetan. Insbesondere fehlt ein substantiierter Sachvortrag, dem für ein solches Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen sprechende Anhaltspunkte zu entnehmen wären.
51
Soweit der Kläger pauschal behauptet, die Beklagte habe das KBA bei der Erteilung der Typgenehmigung getäuscht, genügt dies nicht (vgl. hierzu schon die Ausführungen unter 3 a. aa. (1) (a)). Anhaltspunkte für wissentlich unterbliebene oder unrichtige Angaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren, die noch dazu auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des KBA und damit einen bewussten Gesetzesverstoß hindeuten würden, vermag der Senat nach einer Gesamtwürdigung nicht zu erkennen (vgl. hierzu Urteil des BGH vom 16.9.2021, VII ZR 286/20).
52
Soweit er meint, die Kenntnis der Verantwortlichen der Beklagten sei durch Presseartikel (Anlage K 5) belegt, geht dies fehl. Aus pauschalen Medienberichten aus dem Jahr 2018 ohne konkreten Bezug zum streitgegenständlichen Fahrzeug Opel Cascada Innovation 2.0 CDTI der Abgasnorm Euro 5 mit Erstzulassungsjahr 2015 können keine Rückschlüsse gezogen werden, dass die Verantwortlichen der Beklagten im konkreten Fall bei der Entwicklung und/oder Verwendung der Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen.
53
Auch der vom Kläger pauschal behauptete Verbau minderwertiger Komponenten ist nicht geeignet, das Bewusstsein der Beklagten über die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug zu begründen cc. Auch die klägerischen Ausführungen zu einer 1180 Sekunden-Software/1200-Sekunden-Software begründen nach einer Gesamtschau kein verwerfliches Verhalten der Beklagten im Sinne des § 826 BGB. Nach Gesamtbetrachtung aller Umstände handelt es sich insoweit um unsubstantiierte Behauptungen ins Blaue hinein.
54
Nach Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls fehlen greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Prüfstanderkennungssoftware im streitgegenständlichen Fahrzeug. Weder eine objektive Sittenwidrigkeit noch ein Schädigungsvorsatz der Beklagten wurde substantiiert dargetan.
55
dd. Vor diesem Hintergrund gehen auch die klägerischen Ausführungen zur sekundären Darlegungslast der Beklagten und zum Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs ins Leere.
56
Soweit der Kläger das Vorliegen prüfstanderkennender Abschalteinrichtungen behauptet, ist dieser Vortrag unbeachtlich, da er diesbezüglich willkürliche Behauptungen ins Blaue hinein aufgestellt hat. Ein Sachverständigengutachten sowie weitere Beweiserhebungen sind vor diesem Hintergrund nicht angezeigt (unzulässiger Ausforschungsantrag). Entgegen der Auffassung des Klägers traf die Beklagte auch insoweit keine sekundäre Darlegungslast, der sie nicht nachgekommen wäre. Denn Anhaltspunkte zur Substantiierung des Vortrags, mit dem der darlegungsbelastete Kläger die Tatbestandsmerkmale der von ihr angezogenen Anspruchsgrundlage ausfüllen muss und die eine sekundäre Darlegungslast erst auslösen könnten, fehlen gerade. Der klägerische Vortrag erschöpft sich vielmehr in Spekulationen und Mutmaßungen (vgl. hierzu auch Beschluss des BGH vom 15.9.2021, VII ZR 2/21).
57
Im Übrigen fehlt es an der substantiierten Darlegung der objektiven Sittenwidrigkeit und des Schädigungsvorsatzes. Da der Kläger bereits seiner primären Darlegungslast nicht nachgekommen ist, greift auch nicht die sekundäre Darlegungslast der Beklagten.
58
ee. Lediglich ergänzend stellt der Senat klar, dass der Kläger keinen Schadensersatz für die auf den Leasingvertrag erbrachten Aufwendungen (Leasingraten) verlangen kann. Dies folgt jedenfalls daraus, dass der Wert der während der Leasingzeit vom Kläger gezogenen, im Wege des Vorteilsausgleichs auf die Leasingzahlungen anzurechnenden Nutzungen der Höhe nach den Zahlungen entspricht (vgl. Urteile des BGH vom 16.9.2021, VII ZR 192/20, und vom 21.4.2022, VII ZR 247/21 und VII ZR 783/21).
59
Nach den im Bereich des Schadensersatzrechts entwickelten, auf dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) beruhenden Grundsätzen der Vorteilsausgleichung sind dem Geschädigten in gewissem Umfang diejenigen Vorteile anzurechnen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zufließen. Es soll ein gerechter Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden. Der Geschädigte darf im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht besser gestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Allerdings sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, das heißt dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet. Vor- und Nachteile müssen bei wertender Betrachtungsweise gleichsam zu einer Rechnungseinheit verbunden sein (ständige Rechtsprechung des BGH, so auch Urteile vom 25.5.2020, VI ZR 252/19, vom 16.9.2021, VII ZR 192/20, und vom 21.4.2022, VII ZR 247/21 und VII ZR 783/21). Die Grundsätze der Vorteilsausgleichung gelten auch für einen Anspruch aus sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gem. § 826 BGB. Auch ein solcher Anspruch ist um die Nutzungsvorteile zu kürzen, die dem Geschädigten in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind (vgl. Urteile des BGH vom 25.5.2020, VI ZR 252/19, vom 16.9.2021, VII ZR 192/20, und vom 21.4.2022, VII ZR 247/21 und VII ZR 783/21).
60
Der im Rahmen der deliktischen Vorteilsausgleichung anzurechnende Wert der Nutzung eines geleasten Kraftfahrzeugs entspricht grundsätzlich den vertraglich vereinbarten Leasingzahlungen. Der Leasingnehmer trifft - jedenfalls im Regelfall - eine vom Kauf grundverschiedene Investitionsentscheidung, die eine Bewertung der Nutzungsvorteile nach der für den Fahrzeugkauf anerkannten Methode ausschließt. Anders als der Käufer erwirbt er die Möglichkeit, das Fahrzeug über einen konkreten Zeitraum zu bestimmten, mit dem Leasinggeber vereinbarten Bedingungen zu nutzen. Diese besondere Art der Fahrzeugnutzung hat einen eigenen, grundsätzlich zeitraumbezogenen Wert, der den Leasingzahlungen anrechenbar gegenübersteht und für den der vereinbarte Leasingpreis einen tauglichen Anhaltspunkt bildet. Kann der Leasingnehmer das Fahrzeug - wie die Kl. - über die gesamte Leasingzeit ohne wesentliche Einschränkung nutzen, hat er den Vorteil, auf den der Abschluss des Leasingvertrags gerichtet war, in vollem Umfang realisiert. Der Vorteil kompensiert in diesem Fall den gesamten mit den Leasingzahlungen verbundenen finanziellen Nachteil (vgl. Urteile des BGH vom 16.9.2021, VII ZR 192/20, und vom 21.4.2022, VII ZR 247/21 und VII ZR 783/21).
61
Ob eine andere Betrachtung dann angezeigt ist, wenn aufgrund der Vertragsgestaltung von vornherein feststeht, dass der Leasingnehmer das Fahrzeug nach Ablauf der Leasingzeit übernimmt (vgl. Urteil des BGH vom 16.9.2021, VII ZR 192/20), kann hier dahinstehen, da eine derartige Vertragsgestaltung im Streitfall weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich ist. Soweit der Kläger pauschal behauptet, nicht der Nutzungsgedanke, sondern der Erwerbsgedanke sei im Vordergrund gestanden, handelt es sich um eine bloße unbeachtliche Behauptung ins Blaue hinein. So sieht der Leasingvertrag selbst zum Vertragsende eine abschließende Fahrzeugverwertung durch die Leasinggeberin über den Kraftfahrzeughandel vor (vgl. Anlage K 1a, Seite 1 Ziffer IV des Leasingvertrages). Eine bereits bei Abschluss des Leasingvertrages getroffene Vereinbarung über den späteren Fahrzeugerwerb ist hierdurch nicht substantiiert dargetan.
62
Dass der objektive Leasingwert, auf den es nach dem Gesagten für die Vorteilsanrechnung ankommt (vgl. Urteil des BGH vom 16.9.2021, VII ZR 192/20), geringer gewesen wäre als der zwischen den Vertragsparteien vereinbarte Leasingpreis, ist weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich.
b. Zu § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB:
63
Der Schadensersatzanspruch setzt haftungsbegründend voraus, dass sämtliche objektiven und subjektiven Merkmale des Betrugstatbestands i. S. v. § 263 Abs. 1 StGB erfüllt sind. Hier fehlt es bereits an einer substantiierten Darlegung dieser Merkmale. Weder eine Täuschung noch ein entsprechender Vorsatz der Beklagten wurden von dem Kläger substantiiert dargelegt. Gleiches gilt auch für die Bereicherungsabsicht und die in diesem Zusammenhang erforderliche Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden. Allein im Abschluss eines Vertrages, den der Kläger ohne eine Täuschung nicht geschlossen hätte, liegt noch kein Vermögensschaden (vgl. hierzu Urteil des BGH vom 30.7.2020, VI ZR 5/20).
64
c. Ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte ergibt sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 31 BGB bzw. § 831 BGB, Art. 4, 5 Abs. 1, 2 i. V. m. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007, handelt es sich nicht um Schutzgesetze i.S. d. § 823 Abs. 2 BGB, die den 27 U 3563/22 - Seite 17 - Schutz des hier maßgeblichen wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts eines Fahrzeugerwerbers – also des Interesses, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden – bezwecken (ständige Rechtsprechung des BGH, so auch Urteile des BGH vom 25.5.2020, VI ZR 252/19, vom 20.7.2021, VI ZR 1154/20, vom 26.4.2022, VI ZR 435/20, und vom 24.3.2022, III ZR 270/20, Hervorhebung durch den Senat).
65
aa. Eine Rechtsnorm ist ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, wenn sie zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz zugunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mitgewollt hat. Es genügt, dass die Norm auch das Interesse des Einzelnen schützen soll, mag sie auch in erster Linie dasjenige der Allgemeinheit im Auge haben. Nicht ausreichend ist aber, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm nur als ihr Reflex objektiv erreicht wird. Der Schutz muss vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen. Außerdem muss die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheinen, wobei in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die Norm gestellt ist, zu prüfen ist, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen konnte, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zugunsten des Geschädigten gegebenen Haftungs- und Beweiserleichterungen zu knüpfen (ständige Rechtsprechung des BGH, so auch Urteile des BGH vom 23.7.2019, VI ZR 307/18 und vom 25.5.2020, VI ZR 252/19). Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB setzt schließlich weiter voraus, dass sich im konkreten Schaden die Gefahr verwirklicht hat, vor der die betreffende Norm schützen sollte. Der eingetretene Schaden muss also in den sachlichen Schutzbereich der Norm fallen. Weiter muss der konkret Geschädigte vom persönlichen Schutzbereich der verletzten Norm erfasst sein (vgl. Urteile des BGH vom 23.7.2019, VI ZR 307/18, und vom 25.5.2020, VI ZR 252/19).
66
Diese Voraussetzungen liegen im Hinblick auf den vom Kläger geltend gemachten Schaden nicht vor.
67
Zwar haben die RL 2007/46/EG und die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 insofern drittschützende Wirkung zugunsten der Fahrzeugerwerber, als deren Interesse betroffen ist, „dass ein erworbenes Fahrzeug zur Nutzung im Straßenverkehr zugelassen wird und dass diese Nutzung nicht aufgrund mangelnder Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ bzw. den für diesen Typ geltenden Rechtsvorschriften untersagt wird“ (vgl. Beschluss des BGH vom 10.2.2022, III ZR 87/21 in einem Verfahren, in welchem die Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit dem Erwerb eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung versehenen Kraftfahrzeugs auf Amtshaftung in Anspruch genommen wurde).
68
Unbeschadet des Umstands, dass den Bestimmungen in Richtlinien grundsätzlich keine unmittelbare Wirkung zukommt und eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen kann und deshalb ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist (vgl. hierzu Urteil des BGH vom 29.1.2020, VIII ZR 80/18, ständige Rechtsprechung des EuGH, vgl. nur EuGH, C-152/84, ECLI:ECLI:EU:C:1986:84 = Slg. 1986, 723 = NJW 1986, 2178 Rn. 48 - Marshall; C-91/92, ECLI:ECLI:EU:C:1994:292 = Slg. 1994, I-3325 = NJW 1994, 2473 Rn. 20 - Faccini Dori; C-397/01 bis C-403/01, ECLI:ECLI:EU:C:2004:584 = Slg. 2004, I-8835 = NJW 2004, 3547 Rn. 108 - Pfeiffer; C-441/14, ECLI:ECLI:EU:C:2016:278 = NZA 2016, 537 = ZIP 2016, 1085 Rn. 30 - Dansk Industri; C-122/17, ECLI:ECLI:EU:C:2018:631 = RIW 2018, 674 = BeckRS 2018, 17516 Rn. 42 - Smith), macht der Kläger hier bereits die Verletzung dieses Interesses nicht geltend.
69
Der Kläger - Käufer eines nach wie vor zugelassenen Gebrauchtfahrzeugs - verlangt von der Beklagten vielmehr die Erstattung des von ihm an den Verkäufer entrichteten Kaufpreises unter Abzug einer Nutzungsentschädigung. Inhalt seines Vorwurfs ist, dass der Schaden bereits im Abschluss des ungewollten Kaufvertrags liegt.
70
Der Kläger macht mithin als verletztes Schutzgut sein wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht und damit den Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags geltend. Diese Interessen werden vom Schutzzweck der in Rede stehenden Normen indes nicht erfasst (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, siehe oben).
71
bb. Auch die Schlussanträge des Generalanwalts R. vom 2.6.2022 (C-100/21) helfen - aus mehreren Gründen - nicht weiter.
72
Erstens hält bereits das bestehende deutsche Vertrags- und Deliktsrecht zahlreiche - abgestufte - Instrumente bereit, die hinreichend wirksam das Interesse eines Erwerbers schützen, nicht ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug zu erwerben und zugleich auch einen erheblichen Anreiz für die Hersteller von Motoren bedingen, unionsrechtliche Vorschriften einzuhalten. Vor diesem Hintergrund bedarf es in der deutschen Rechtsordnung über die bestehenden Institute des Vertrags- und Deliktsrechts hinaus nicht der Einordnung der Vorschriften der EG-FGV als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, um das Interesse der Käufer von Fahrzeugen, die mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet sind, angemessen zu schützen (vgl. hierzu Beschluss des OLG München vom 25.7.2022, 24 U 2890/22, und Urteil des OLG Stuttgart, Urteil vom 28.6.2022, 24 U 115/22, Seite 27 ff; dort auch eingehend zu entstehenden nicht hinnehmbaren Wertungswidersprüchen, wollte man den Bestimmungen der §§ 6 und 27 EG-FGV Schutzgesetzcharakter im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB beimessen).
73
Zweitens misst der Generalanwalt der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, die unmittelbar anwendbar ist, in seinen Schlussanträgen vom 2.6.2022 keine Wirkung zum Schutz der Interessen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, zu (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 11.7.2022 - 2 U 3838/21, BeckRS 2022, 16603 Rn. 17 unter Hinweis auf Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag vom 2.6.2022 - C-100/21, ECLI:ECLI:EU:C:2022:420, Rn. 41).
74
Drittens scheidet die RL 2007/46/EG selbst mangels unmittelbarer Geltung (vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV) als Schutzgesetz aus (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 11.7.2022 - 2 U 3838/21, BeckRS 2022, 16603 Rn. 18 ff.; Grüneberg/Sprau, BGB, 81. Auflage 2022, § 823 Rn. 57 m. w. N.).
75
Viertens ist - unabhängig von der Frage, ob die Vorschriften der RL 2007/46/EG bzw. die zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen §§ 6 und 27 EG-FGV auch drittschützend sind, - die Rückabwicklung eines angeblich ungewollten Vertrags nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedenfalls nicht vom Schutzzweck des Typgenehmigungsrechts erfasst.
76
Ein Widerspruch zur Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union besteht nicht. Der Senat hat die europarechtliche Rechtsprechung, insbesondere das Urteil des EuGH vom 17.12.2020 - C-693/18, NJW 2021, 1216 berücksichtigt. Auf dieser Grundlage hat der Senat unter Anwendung und Auslegung des materiellen Unionsrechts die Überzeugung gebildet, dass vorliegend die richtige Anwendung des Unionsrechts, insbesondere die Frage des Drittschutzes des Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 angesichts des Wortlauts, der Regelungssystematik und des Regelungszwecks des geltenden Unionsrechts derartig offenkundig zu beantworten ist, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bleibt (vgl. Beschluss des BGH vom 4.8.2021, VII ZR 280/20, sowie Urteil des BGH vom 30.7.2020, VI ZR 5/20.).
77
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bezwecken die RL 2007/46/EG und die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht den Schutz des hier maßgeblichen wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts eines Fahrzeugerwerbers. Der Bundesgerichtshof war auch berechtigt, diese Frage selbst zu entscheiden. Denn die Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs eines Schutzgesetzes obliegt den nationalen Gerichten (vgl. EuGH, NVwZ 2013, 565 Rn. 43ff., Beschluss des BGH vom 10.2.2022, III ZR 87/21, Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag vom 2.6.2022 - C-100/21, ECLI:ECLI:EU:C:2022:420, Rn. 55, 61). Der Bundesgerichtshof geht daher davon aus, dass bei Verfahren, in denen lediglich eine Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts geltend gemacht wird, sämtliche für den Fall relevanten europarechtlichen Fragestellungen geklärt sind (sog. „acte clair“, vgl. Urteil des BGH vom 25.5.2020, VI ZR 252/19).
78
Aus den Schlussanträgen des Generalanwalts R. vom 2.6.2022 ergeben sich auch keine Widersprüche zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Aus den Schlussanträgen ergibt sich gerade nicht, dass auch der Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts in Gestalt eines Vertragsabschlussschadens und damit der Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrages von einer etwaigen drittschützenden Wirkung der RL 200/46/EG oder der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 umfasst sein sollte. Der Generalanwalt hat vielmehr solche Schäden im Blick, die durch die Nichtzulassung / verzögerte (Erst-)Zulassung des Fahrzeugs oder ein (Weiter-)Veräußerungsverbot entstehen (vgl. Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag vom 2.6.2022 - C-100/21, ECLI:ECLI:EU:C:2022:420 Rn. 48; Beschluss des OLG Koblenz vom 20.6.2022,15 U 2169/21). Solche macht der Kläger, der den Schaden im Abschluss des ungewollten Kaufvertrages sieht, in hiesigem Verfahren jedoch gerade nicht substantiiert geltend.
79
cc. Unbeschadet hiervon fehlt es bezüglich des sog. Thermofensters auch am Verschulden der Beklagten. Das Verschulden bei § 823 Abs. 2 BGB bezieht sich allein auf die konkrete Schutzgesetzverletzung. Ein fahrlässiges Handeln ist ausreichend.
80
Maßstab für die Bestimmung der Fahrlässigkeit im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB ist § 276 Abs. 2 BGB (vgl. BGH, VersR 1968, 378, 379; MüKoBGB/Wagner, 8. Auflage 2020, BGB § 823 Rn. 611) . Gemäß dieser Vorschrift handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Welche Sorgfalt jeweils erfordert wird, ist ohne Rücksicht auf die individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des Betroffenen nach einem objektiven Maßstab zum Zeitpunkt der Verursachung des Schadens bzw. dem Zeitpunkt, zu dem eine Schadensabwendung in Betracht kam, zu beurteilen (vgl. BGH, NJW 2021, 1818 Rn. 32 m. w. N.; OLG Hamm, Beschluss vom 4.8.2022 - 21 U 106/21, BeckRS 2022, 19655 Rn. 10; Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 276 Rn. 15 f). Fahrlässigkeit setzt unter anderem die Erkennbarkeit der Rechtswidrigkeit voraus. Ein Rechtsirrtum ist nur ganz ausnahmsweise unvermeidbar, wenn der Schuldner nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage mit einem Unterliegen im Rechtsstreit nicht zu rechnen brauchte. Es genügt zum Beispiel, wenn die zuständige Aufsichtsbehörde die Rechtsfrage zugunsten des Schuldners beantwortet hätte. In diesem Fall sind auch die sonst zu fordernden Erkundigungen des Schuldners über Bestand und Umfang seiner Verpflichtung entbehrlich und scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Schutzgesetz aus (vgl. BGH, NJW-RR 2017, 1004, 1005; OLG Hamm, Urteil vom 24.6.2022 - 30 U 90/21, BeckRS 2022, 18539 Rn. 66; OLG Hamm, Beschluss vom 4.8.2022 - 21 U 106/21, BeckRS 2022, 19655 Rn. 10).
81
So liegt der Fall auch hier:
82
Das Kraftfahrt-Bundesamt ist und war gemäß § 2 Abs. 1 EG-FGV in Verbindung mit Art. 3 Nr. 29 und Art. 4 Abs. 4 und Abs. 2 der RL 2007/46/EG diejenige Behörde, die in Deutschland für die Einhaltung der unionsrechtlichen Vorgaben zu sorgen hat. Hätte die Beklagte das Kraftfahrt-Bundesamt um entsprechende Auskunft gebeten, hätte das Kraftfahrt-Bundesamt das von der Beklagten im Fahrzeug des Klägers verwendete Thermofenster jedoch nicht als unzulässig beurteilt (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 24.6.2022 - 30 U 90/21, BeckRS 2022, 18539 Rn. 65 ff., 69 f.).
83
Dieser Schluss ist im Hinblick auf das Thermofenster schon deshalb gerechtfertigt, weil dem Kraftfahrt-Bundesamt sowohl das Vorhandensein als auch die grundsätzliche Funktionsweise und die in diesem Zusammenhang geführte rechtliche Diskussion um den Motorschutz seit Jahren bekannt ist (vgl. BGH, VersR 2022, 1173 Rn. 25; OLG Hamm, Urteil vom 24.6.2022 - 30 U 90/21, BeckRS 2022, 18539 Rn. 70). Auch aus dem - klägerseits als Anlage K 2 vorgelegten und auch im Internet veröffentlichten - Bericht der vom Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur eingesetzten Untersuchungskommission „V.“ vom April 2016 ergibt sich, dass in dem hier fraglichen Zeitraum Thermofenster von allen Autoherstellern verwendet wurden. Begründet wurde dies mit dem Erfordernis des Motorschutzes, wobei diese Frage vor allem die Auslegung der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a VO (EG) Nr. 715/2007 betraf.
84
Dementsprechend haben sowohl das KBA als auch das zuständige Fachministerium den Einsatz eines Thermofensters, bei dem die Hersteller die Abgasreinigung temperaturabhängig zurückfahren, jedenfalls dann nicht grundsätzlich in Frage gestellt, wenn die Einrichtung notwendig sei, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen (vgl. Beschluss des BGH vom 25.11.2021, III ZR 202/20).
85
Die Beklagte hat hierzu auch konkret vorgetragen, dass das Thermofenster aus ihrer Sicht keine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle. Das Emissionskontrollsystem des streitgegenständlichen Fahrzeugs werde aus Gründen des Motorschutzes und zur Gewährleistung des sicheren Fahrbetriebs in Abhängigkeit verschiedener Parameter gesteuert. Die gewählte Parametrierung sei zulässig. Parametergesteuerte Emissionskontrollsysteme entsprächen seit jeher dem technischen Standard und seien branchenüblich. Auch die Typgenehmigungsbehörde sehe in Kenntnis der Sach- und Rechtslage seit vielen Jahren keinen Handlungsbedarf.
86
Für das streitgegenständliche Fahrzeug wurde die Typgenehmigung durch die Zulassungsbehörde erteilt. Auf der Grundlage dieser EG-Typgenehmigung wurde das klägerische Fahrzeug zum Straßenverkehr zugelassen. Es unterliegt bis heute keinem Rückruf durch das KBA wegen eines „unzulässigen Thermofensters“.
87
Bis zur Entscheidung des EuGH vom 17.12.2020 konnten auch Gesichtspunkte des Motor- bzw. des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden (siehe oben).
88
Vor diesem Hintergrund fehlt es auch am für § 823 Abs. 2 BGB erforderlichen Verschulden der Beklagten im Zeitpunkt der Herstellung/Entwicklung des Thermofensters im klägerischen Fahrzeug/ des Typgenehmigungsverfahrens.
89
4. Mangels eines Anspruchs in der Hauptsache steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Verzugszinsen zu.
90
5. Vor diesem Hintergrund geht auch der hilfsweise gestellte Antrag des Klägers auf Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das Landgericht Augsburg ins Leere.
91
6. Auch dem hilfsweise gestellten Antrag auf Zulassung der Revision ist nicht zu entsprechen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
92
Klärungsbedürftige Rechtsfragen stellen sich nicht. Gründe im Sinne des § 543 ZPO stehen dem Beschlussverfahren nicht entgegen. Die Voraussetzungen einer Haftung gemäß § 826 BGB sind höchstrichterlich abstrakt seit langem geklärt und durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.5.2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316, hinsichtlich der Entwicklung und des Einsatzes einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Rahmen der Abgasreinigung weiter konkretisiert worden. Ob die Voraussetzungen für eine Haftung der Beklagten gemäß § 826 BGB wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorliegen, hängt von den in tatrichterlicher Würdigung des jeweiligen Sachvortrags zu treffenden Feststellungen des Berufungsgerichts ab und kann nicht Gegenstand einer grundsätzlichen Klärung durch den Bundesgerichtshof sein (vgl. Beschluss des BGH vom 21.3.2022, VIa ZR 334/21, BeckRS 2022, 10201 Rn. 13; Beschluss des BGH vom 12.1.2022 - VII ZR 424/21, BeckRS 2022, 7010 Rn. 18).
93
Die Berufungsangriffe gehen daher insgesamt ins Leere. Das Ersturteil hat Bestand.
94
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat aus Kostengründen die Rücknahme des Rechtsmittels nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Ge richtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
95
Es besteht Gelegenheit zur Berufungsrücknahme sowie zur Stellungnahme zum Senatshinweis bis spätestens 2.11.2022.
96
Binnen gleicher Frist können beide Parteien zum Streitwert Stellung nehmen. Der Senat beabsichtigt, den Berufungsstreitwert auf bis zu 16.000 € festzusetzen.