Titel:
Zulässigkeit einer Kindertagesstätte
Normenketten:
BauGB § 34
BauNVO § 3 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2, § 4 Abs. 2 Nr. 3, § 6 Abs. 2 Nr. 5, § 15
BImSchG § 22 Abs. 1a
Leitsätze:
1. Der Gebietserhaltungsanspruch des Nachbarn setzt voraus, dass das Grundstück in einem festgesetzten oder in einem faktischen Baugebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB) liegt, und ist im Ergebnis darauf gerichtet, Vorhaben zu verhindern, die nach Art der baulichen Nutzung weder regelmäßig noch ausnahmsweise in diesem Gebiet zulässig sind. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ob ein faktisches Baugebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB iVm §§ 2 ff. BauNVO) vorliegt, ist anhand der Eigenart der maßstabsbildenden näheren Umgebung iSd § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilen. Maßstabsbildend ist die Umgebung, insoweit sich die Ausführung eines Vorhabens auf sie auswirken kann und insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der mit dem Betrieb eines Kindergartens einhergehende Lärm ist in Gebieten, in denen eine solche Einrichtung nach den Regelungen der BauNVO zur Art der baulichen Nutzung regelmäßig oder ausnahmsweise zulässig ist – so auch in (faktischen) reinen und allgemeinen Wohngebieten und in Mischgebieten gem. § 3 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2, § 4 Abs. 2 Nr. 3, § 6 Abs. 2 Nr. 5 BauNVO (ggf. iVm § 34 Abs. 2 BauGB) bzw. in unbeplanten Gemengelagen mit tatsächlich vorhandener Wohnnutzung gem. § 34 Abs. 1 BauGB – grundsätzlich von den Nachbarn hinzunehmen. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der mit dem Bringen und Holen der in einer Kindertagesstätte betreuten Kinder verbundene Verkehrslärm ist von den Nachbarn regelmäßig hinzunehmen; dies gilt sowohl in Baugebieten nach der BauNVO, in denen Kindertageseinrichtungen allgemein oder ausnahmsweise zulässig sind, als auch in Gemengelagen, in denen Wohnnutzung vorhanden ist. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
5. Das Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme beurteilt sich nach den städtebaulichen Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls; privatrechtliche Vereinbarungen, egal welcher Art, haben hierauf keinen Einfluss. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zulässigkeit einer Kindertagesstätte (mit 2 Kindergartengruppen je 25 Kinder und 3 Krippengruppen je 12 Kinder), Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme (verneint), Kindergeräusche, Verkehrslärm, Kindertagesstätte, Nutzungsänderung, Nachbarklage, Nachbarschutz, Gebietserhaltungsanspruch, faktisches Baugebiet, Rücksichtnahmegebot
Fundstelle:
BeckRS 2022, 29409
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist für die Beklagte ohne, für die Beigeladene gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Kläger begehren die Aufhebung einer der Beigeladenen erteilten bauaufsichtlichen Genehmigung zur Nutzungsänderung von Büroräumen in eine Kindertagesstätte.
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Die Kläger sind Eigentümer des Anwesens H. Str. 9, 9a und 9b, Fl.Nr. …, Gem. …, welches gegenwärtig im südlichen Bereich mit drei Wohnhäusern bebaut ist (im Folgenden: Nachbargrundstück).
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Das Baugrundstück, … Straße 13, Fl.Nr. …, Gem. … grenzt im Nord-Osten an das L-förmige Nachbargrundstück. Es ist gegenwärtig mit einem dreigeschossigen Wohn- und Geschäftshaus bebaut.
4
Entlang der … Straße finden sich Baulinienfestsetzungen, im Übrigen ist der Bereich nicht überplant.
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Gegenüber dem Baugrundstück befindet sich eine Bus- und Trambahnhaltestelle.
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Vgl. zur Lage der Grundstücke und ihrer Bebauung anliegenden Lageplan im Maßstab 1 : 1000, der eine Darstellung des Vorhabens enthält (möglicherweise nicht mehr maßstabsgerecht):
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Mit Bauantrag vom 21. Januar 2021 nach PlanNr. … mit Handeintragungen vom 3. März 2021 beantragte die Beigeladene die bauaufsichtliche Erlaubnis zur Nutzungsänderung von Büroräumen (1.UG bis 2.OG) auf dem Baugrundstück zu einer Kindertagesstätte mit zwei Kindergartengruppen je 25 Kinder und drei Krippengruppen mit jeweils 12 Kindern (insgesamt 86 Betreuungsplätze). Im Untergeschoss waren in den zur Genehmigung gestellten Plänen im Bestand 14 Stellplätze (sieben Duplex-Stellplätze) in der Tiefgarage dargestellt. Die Rampe zur Tiefgarage verfügt laut Eingabeplan (Erdgeschoss) über eine Breite von ca. 3,90 m. Nach den Eingabeplänen und dem dem Bauantrag beigefügten Mobilitätskonzept sollten von den versenkbaren sieben Duplexstellplätzen insgesamt fünf dem Vorhaben als Personalstellplätze zugeordnet werden. Der Hol- und Bringverkehr sollte über die sieben oberirdischen Duplexstellplätze sowie einen weiteren, neu zu errichtenden, barrierefreien Stellplatz in der Tiefgarage erfolgen. Weiterhin waren dem Vorhaben zugeordnete Fahrradabstellplätze vor dem Gebäude und in der Tiefgarage geplant. Dem Mobilitätskonzept lag die Annahme zugrunde, dass die Angestellten in der Regel nicht mit dem Auto zur Arbeit kämen, da ihnen die Kosten für den öffentlichen Nahverkehr erstattet würden. In der Einrichtung würden ferner voraussichtlich viele Geschwisterkinder betreut, die gemeinsam gebracht würden. Die Hol- und Bringzeiten seien entzerrt, da es keine festen Betreuungszeiten gebe. Ferner gebe es keine „Schließtage“, sodass sich die Urlaubszeit über das ganze Jahr verteile und selten alle Kinder anwesend seien. Viele Eltern nützten überdies die öffentlichen Verkehrsmittel oder das Fahrrad. Dem Bauantrag war ferner eine Betriebsbeschreibung beigefügt, wonach die Kindertagesstätte werktags außer an Wochenenden und gesetzlichen Feiertagen von 7:00 Uhr bis 18:30 Uhr geöffnet sei.
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Mit Stellungnahme vom 2. März 2021 führte das Kreisverwaltungsreferat (der Beklagten) aus, dass mit dem Bauvorhaben Einverständnis bestehe, wenn das Mobilitätskonzept eingehalten werde. Das Anordnen von Halteverboten für das Holen und Bringen in der vielbefahrenen … Straße sei nicht möglich; der Hol- und Bringverkehr könne auf öffentlichem Grund nicht verkehrssicher abgewickelt werden.
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Mit Baugenehmigung vom 17. Mai 2021, den Klägern zugestellt am 19. Mai 2021, genehmigte die Beklagte den Bauantrag nach Art. 60 und 68 Bayerische Bauordnung als Sonderbau u.a. mit der Auflage, dass das Mobilitätskonzept und die Betriebsbeschreibung Bestandteil der Baugenehmigung und umzusetzen seien. Die Eltern seien auf das Mobilitätskonzept in geeigneter Weise hinzuweisen. Der Brandschutz werde gemäß Bauantrag durch Prüfsachverständigen geprüft und sei daher nicht Gegenstand der Baugenehmigung.
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Mit Schriftsatz vom 21. Juni 2021, bei Gericht eingegangen am selben Tag, ließen die Kläger durch ihren Bevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben. Sie beantragen,
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Die Baugenehmigung „… Straße 13“ vom 17. Mai 2021 (Fl.Nr. …, Az. ...) wird aufgehoben.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Baugenehmigung gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoße. Das Vorhaben sei ferner von der Nutzung her nicht zulässig. Sämtliche Nachbargrundstücke seien reine Wohnhäuser. Bau- und Nachbargrundstück hätten früher im Eigentum der Familie der Kläger gestanden. Im Jahr 1960 seien die Grundstücke geteilt worden. Zum Erhalt der Wohnruhe seien Dienstbarkeiten im Grundbuch eingetragen worden, wonach auf dem Baugrundstück u.a. kein lärmerregender Betrieb errichtet werden dürfe. Die Einrichtung treibe „einen Keil“ in die bisher vorhandene Ruhezone. Der Kinderlärm werde die Grenze für ein gesundheitsschädliches Lärmniveau erreichen, zumal die zu erwartende Lärmentwicklung durch keinerlei Vorkehrungen abgemildert werde. Aufgrund dem der Baugenehmigung zugrundeliegenden Mobilitätskonzept bestünden massive Belästigungen und Gefährdungen nicht nur für den allgemeinen Straßenverkehr, sondern auch für die Kläger. Die bestehende Tiefgarage sei insbesondere wegen der absolut beengten Verhältnisse und der Einfahrtsituation nicht geeignet für das, was im Mobilitätskonzept vorgestellt werde, insbesondere, wenn täglich 86 Bring- und Abholvorgänge abzuwickeln seien. Ein Pkw-Anteil von nur 50% entspreche nicht der Realität einer Kindertageseinrichtung. Gleichzeitiges Ein- und Ausfahren aus der Tiefgarage sei nicht möglich. Insbesondere der Bringvorgang sei nicht entzerrt, sondern würde sich im Wesentlichen auf 7:00 Uhr bis 8:00 Uhr beschränken. Die Grundstücke lägen an einer der vielbefahrensten Straßen der Beklagten. Es sei zu befürchten, dass die Eltern insbesondere aufgrund des zu erwartenden Verkehrschaos und des Rückstaus auf die … Straße den Fahrbahnrand, den Geh- und Radweg und die Einfahrt der Kläger zuparken und die Hofeinfahrt der Kläger widerrechtlich für den Hol- und Bringverkehr nutzen würden. Aufgrund der Umstände des Einzelfalls könne von den Eltern keine Rechtstreue erwartet werden. In der Realität würde die Tiefgarage nicht genutzt werden.
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Die Beklagte trat dem entgegen. Sie beantragt,
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Weder sei die Art der Nutzung als Kindertagesstätte unzulässig, noch sei ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot gegeben. Privatrechtliche Rechte Dritter seien hierfür nicht entscheidend. Diese Rechte seien vielmehr vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen. Eine unzumutbare Beeinträchtigung der Kläger sei nicht gegeben. In der Tiefgarage stünden auf dem Baugrundstück ausreichende Parkmöglichkeiten zur Verfügung. Gerade im Hinblick auf die verkehrlich gute Anbindung sei überdies nicht davon auszugehen, dass ein erhöhter Parkplatzsuchverkehr auftrete.
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Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Baugenehmigung nicht gegen das Rücksichtnahmegebot verstoße. Hinsichtlich des zu erwartenden Kinderlärms sei auf § 22 Abs. 1a Bundesimmissionsschutzgesetz abzustellen. Der Abstand der Wohnbebauung der Kläger zum Außenbereich der Beigeladenen betrage überdies mindestens 30 m. An den Wochenenden und an Feiertagen finde zudem keinerlei Aktivität auf dem Grundstück statt, die abendliche Ruhe- und Erholungszeit bleibe aufgrund der Betriebszeiten lärmfrei. Auch die weiteren Auswirkungen des Betriebs, insbesondere das zu erwartende Verkehrsaufkommen des Bring- und Abholverkehrs begründeten keine Rücksichtslosigkeit gegenüber den Klägern. Vorgänge in der Tiefgarage seien für die Kläger nicht von Belang. Die Einrichtung werde ferner vom Norden her angefahren, das klägerische Grundstück liege jedoch weiter südlich und sei mithin vom Bring- und Abholverkehr nicht betroffen. Die … Straße könne überdies den durch die Kindertagesstätte ausgelösten Verkehr problemlos aufnehmen. Die Annahme, dass alle 86 Kinder mit dem Kraftfahrzeug gebracht und abgeholt würden, sei unrealistisch. Die Bring- und Abholvorgänge könnten problemlos über die vorhandene Tiefgarage abgewickelt werden. Sollte es dazu kommen, dass die Hofeinfahrt der Kläger rechtswidrig benutzt oder behindert werde, würde dadurch die Baugenehmigung nicht rechtswidrig. Vielmehr könnte die Beklagte dann gehalten sein, weitere Maßnahmen zu treffen. Überdies werde die Baugenehmigung unbeschadet Rechte Dritter erteilt.
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Das Gericht hat am 1. August 2022 Beweis durch Augenscheinseinnahme erhoben. Auf das Protokoll dieses Augenscheins wird ebenso Bezug genommen wie auf die Niederschrift der am selben Tag durchgeführten mündlichen Verhandlung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des schriftsätzlichen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Baugenehmigung vom 17. Mai 2021 verletzt keine nachbarschützenden Vorschriften, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind und auf die sich die Kläger berufen können, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Art. 60 BayBO.
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1. Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden Normen beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris Rn. 20, 22). Für den Erfolg eines Nachbarrechtsbehelfs genügt es daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht - auch nicht teilweise - dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im gerichtlichen Verfahren auch keine umfassende Rechtskontrolle statt, vielmehr hat sich die gerichtliche Prüfung darauf zu beschränken, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch vermitteln, verletzt werden. Die Baugenehmigung muss dabei gegen eine im Baugenehmigungsverfahren zu prüfende Vorschrift verstoßen.
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2. Die Baugenehmigung verstößt nicht gegen im Baugenehmigungsverfahren zu prüfende Vorschriften des Bauplanungsrechts, die auch dem Schutz der Kläger zu dienen bestimmt sind, §§ 29 ff. BauGB i.V.m. Art. 60 Satz 1 Nr. 1 BayBO.
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2.1. Ein Nachbar, der sich auf der Grundlage des § 34 Abs. 1 BauGB gegen ein Vorhaben im Innenbereich wendet, kann mit seiner Klage nur durchdringen, wenn die angefochtene Baugenehmigung gegen das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens enthaltene Gebot der Rücksichtnahme verstößt (stRspr, BVerwG, U.v. 5.12. 2013 - 4 C 5.12 - ZfBR 2014, 257, m.w.N.). Das Gebot der Rücksichtnahme ist bei faktischen Baugebieten im Sinne der BauNVO (§ 34 Abs. 2 BauGB) zudem in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verankert. Nachbarschutz wird daneben auch nach dem Rechtsinstitut des Gebietsbewahrungs- bzw. Gebietserhaltungsanspruchs gewährt. Darauf, ob sich das Bauvorhaben objektiv in die maßgebliche Umgebung i.S.d. § 34 BauGB einfügt, kommt es darüber hinaus nicht an.
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2.2. Ein Verstoß gegen einen etwaigen Gebietserhaltungsanspruch ist nicht ersichtlich.
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Der Gebietserhaltungsanspruch des Nachbarn setzt voraus, dass das Grundstück in einem festgesetzten oder in einem faktischen Baugebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB) liegt, und ist im Ergebnis darauf gerichtet, Vorhaben zu verhindern, die nach Art der baulichen Nutzung weder regelmäßig noch ausnahmsweise in diesem Gebiet zulässig sind (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993 - 4 C 28/91 - juris Rn. 13). Dieser bauplanungsrechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Im Rahmen dieses nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses kann daher das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des (faktischen) Baugebiets unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung verhindert werden (BVerwG, B.v. 22.12.2011 - 4 B 32.11 - ZfBR 2012, 378).
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Ob ein faktisches Baugebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. §§ 2 ff. BauNVO) vorliegt, ist anhand der Eigenart der maßstabsbildenden näheren Umgebung i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilen. Maßstabsbildend ist die Umgebung, insoweit sich die Ausführung eines Vorhabens auf sie auswirken kann und insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst. Bei der Anwendung des § 34 Abs. 2 BauGB ist die nähere Umgebung dabei der Umgriff, der hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB maßgeblich ist (BVerwG, B.v. 14.10.2019 - 4 B 27.19 - juris Rn. 7). Wie weit diese wechselseitige Prägung reicht, ist eine Frage des Einzelfalls. Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.2003 - 4 B 74.03 - juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 27.9.2010 - 2 ZB 08.2775 - juris Rn. 4).
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Dieses berücksichtigend ist die nähere Umgebung hinsichtlich des Zulässigkeitsmerkmals der Art der baulichen Nutzung - hiervon konnte sich das Gericht bei Einnahme des Augenscheins sowie unter Heranziehung von Lageplänen und im Internet allgemein zugänglichen Luftbildern überzeugen - die Bebauung auf der Westseite der … Straße, im Norden bis zur … Straße 21/23 und im Süden bis zur … Straße 3. Das Baugrundstück liegt im Kurvenbereich der … Straße; zwischen der vorgenannten Bebauung und dem Baugrundstück besteht im Wesentlichen Sichtbeziehung. Der … Straße selbst kommt aufgrund ihrer Breite (ca. 35 m) trennende Wirkung zu. Sie ist im maßgeblichen Bereich vierspurig mit jeweils zwei Fahrspuren in beide Richtungen zuzüglich Geh- und Radweg. Zwischen den Richtungsfahrbahnen befinden sich Trambahngleise sowie Verkehrsinseln mit Busund Trambahnhaltestellen. Die Bebauung auf der Ostseite der … Straße zählt aufgrund dessen nicht mehr zur maßgeblichen Umgebung.
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In der maßgeblichen Umgebung finden sich neben Wohngebäuden auch gewerbliche Nutzungen, nämlich in der … Straße 17 ein „Catering-Gastronomie-Event-Büro“ und auf der Fl.Nr. … die „…manufaktur …“ sowie mit dem … Generalkonsulat … (* … Straße 3) eine Anlage für Verwaltungen. Insbesondere der …manufaktur und dem Generalkonsulat kommt aufgrund ihrer Größe ein deutliches, die Umgebung prägendes Gewicht zu. Die Häufung dieser im reinen bzw. allgemeinen Wohngebiet nicht regelmäßig bzw. nur ausnahmsweise zulässigen Nutzungen verbietet die Einstufung der maßgeblichen Umgebung als reines oder allgemeines Wohngebiet, §§ 3 und 4 BauNVO.
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Offenbleiben kann indes, ob die maßgebliche Umgebung als Mischgebiet, § 6 BauNVO, oder als Gemengelage einzustufen ist. Bei einer Gemengelage (also wenn die maßgebliche Umgebung kein faktisches Baugebiet im Sinne des § 34 Abs. 2 BauGB darstellt) scheidet ein Anspruch auf Gebietserhaltung schon dem Grunde nach aus (s.o.). Im Mischgebiet ist die Kindertagesstätte als Anlage für soziale Zwecke allgemein zulässig, § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 Abs. 2 Nr. 5 BauNVO, so dass ein Verstoß gegen einen Gebietserhaltungsanspruch schon deswegen ausgeschlossen ist.
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Nur ergänzend sei daher erwähnt, dass die streitgegenständliche Kindertagesstätte auch im allgemeinen Wohngebiet ohne Weiteres zulässig wäre, § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO. Selbst in einem (hier fernliegenden) reinen Wohngebiet wäre das Vorhaben ausnahmsweise zulässig, § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO (vgl. zur Zulässigkeit von Kindertagesstätten in reinen Wohngebieten: OVG SH, B.v. 1.2.2019 - 1 MB 1/19 - juris Ls 1 u. Rn. 6 ff.). Kindertagesstätten sind auch in einem reinen Wohngebiet grundsätzlich als gebietsverträgliche, das Wohnen ergänzende Nutzung zu werten (VG München, U.v. 11.3.2013 - M 8 K 12.794 - juris Rn. 49 ff m.w.N.: Kindertagesstätte mit 98 Betreuungsplätzen im WR; VG München, U.v. 20.6.2016 - M 8 K 15.4999 - juris: Kindertagesstätte mit 74 Betreuungsplätzen im WR).
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2.3. Das Vorhaben verstößt nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme.
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2.3.1. Es kann dahinstehen, ob sich dieses im vorliegenden Fall aus dem Begriff des „Einfügens“ des § 34 Abs. 1 BauGB oder aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V. m. § 15 Abs. 1 BauNVO ableitet, da im Ergebnis dieselbe Prüfung stattzufinden hat (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2012 - 2 CS 12.2290 - juris Rn. 3). Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist, an (BVerwG, U.v. 18.11.2004 - 4 C 1.04 - juris Rn. 22; U.v. 29.11.2012 - 4 C 8.11 - juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 - 2 CS 13.1351 - juris Rn. 4). Bedeutsam ist ferner, inwieweit derjenige, der sich gegen das Vorhaben wendet, eine rechtlich geschützte wehrfähige Position innehat (BVerwG, B.v. 6.12.1996 - 4 B 215.96 - juris Rn. 9). Eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (BayVGH, B.v. 22.6.2011 - 15 CS 11.1101 - juris Rn. 17).
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Eine unzumutbare Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks durch die Kindertagesstätte ist nicht zu erwarten. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die durch die bestimmungsgemäße Nutzung der Kindertagesstätte verursachten Geräuscheinwirkungen sowie den durch den An- und Abfahrtsverkehr verursachten Lärm.
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2.3.2. Hinsichtlich der durch die Kinder verursachten Geräusche - insbesondere bei Nutzung des rückwärtigen Gartenbereichs des Vorhabengrundstücks als Außenspielfläche - folgt dies schon aus § 22 Abs. 1a BImSchG. Nach dieser Regelung sind Geräuscheinwirkungen, die unter anderem von Kindertageseinrichtungen durch Kinder hervorgerufen werden, im Regelfall keine schädliche Umwelteinwirkung (vgl. hierzu ausführlich: VG München, U.v. 20.6.2016 - M 8 K 15.4999 - juris Rn. 55f., m.w.N.). Bei der Beurteilung der Geräuscheinwirkungen dürfen Immissionsgrenz- und -richtwerte nicht herangezogen werden. Ziel dieser Regelung ist es, das Lärmschutzrecht dahingehend weiter zu entwickeln, um den von Kindertageseinrichtungen ausgehenden „Kinderlärm“ zu privilegieren und um ein klares gesetzgeberisches Signal für eine kinderfreundliche Gesellschaft zu setzen (BT-Drs. 17/4836; vgl. auch Art. 2 BayKJG, wonach die natürlichen Lebensäußerungen von Kindern, die Ausdruck natürlichen Spielens oder anderer kindlicher Verhaltensweisen sind, als sozialadäquat hinzunehmen sind). Die Privilegierung betrifft grundsätzlich „Geräuscheinwirkungen“ durch Kinder sowie das Rufen und Sprechen von Betreuungspersonen und das Nutzen kindgerechter Spielgeräte (BVerwG, B.v. 5.6.2013 - 7 B 1/13 - juris Rn. 6; Enders in: BeckOK Umweltrecht, Giesberts/Reinhardt, Stand: 1.4.2022, § 22 BImSchG Rn. 24b).
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Der mit dem Betrieb eines Kindergartens einhergehende Lärm ist in Gebieten, in denen eine solche Einrichtung nach den Regelungen der BauNVO zur Art der baulichen Nutzung regelmäßig oder ausnahmsweise zulässig ist - so auch in (faktischen) reinen und allgemeinen Wohngebieten und in Mischgebieten gem. § 3 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2, § 4 Abs. 2 Nr. 3, § 6 Abs. 2 Nr. 5 BauNVO (ggf. i.V. mit § 34 Abs. 2 BauGB) bzw. in unbeplanten Gemengelagen mit tatsächlich vorhandener Wohnnutzung gem. § 34 Abs. 1 BauGB - grundsätzlich von den Nachbarn hinzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 12.02.2020 - 15 CS 20.45 - juris Rn. 17).
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Besondere Umstände, die zu einer anderen Betrachtung führen würden, sind vorliegend nicht ersichtlich. Insbesondere liegt kein Sonderfall vor (vgl. zu den sogenannten „sensiblen Nutzungen“ wie Krankenhäusern oder Pflegeheimen: Enders in: BeckOK Umweltrecht, Giesberts/Reinhardt, Stand: 1.4.2022, § 22 BImSchG Rn. 24b). Die vorgesehene Kindertagesstätte erreicht mit nur 86 Betreuungsplätzen - also als Einrichtung mittlerer Größe - keinen für die vorgefundene Nachbarschaft unzumutbaren Umfang. Überdies liegt die Wohnbebauung auf dem Nachbargrundstück über 30 m von der Einrichtung entfernt.
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Eine äußerste, auch für den Bundesgesetzgeber aufgrund des verfassungsrechtlichen Schutzes der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu beachtende Grenze für die Zumutbarkeit ist ein gesundheitsschädliches Lärmniveau, das für die hier relevante Tagzeit bei einem Beurteilungspegel von mindestens 70 dB(A) liegt (vgl. BVerwG, B.v. 19.4.2011 - 4 BN 4/11 - juris Rn. 18; VG München, U.v. 26.7.2011 - M 1 K 11.2366 - juris Rn. 26). Von einer derart hohen Belastung, die einen Beurteilungspegel von mindestens 70 dB(A) als mittlere Geräuschbelastung während der 16-stündigen Tagzeit voraussetzen würde, kann bei einer Kindertageseinrichtung mittlerer Größe mit nur fünf Gruppen und 86 Betreuungsplätzen nicht ausgegangen werden. Die Kindertagesstätte wird ausschließlich an Werktagen betrieben und erst um 7:00 Uhr geöffnet sowie um 18:30 Uhr wieder geschlossen, sodass die Tagzeiten mit erhöhter Empfindlichkeit (an Werktagen von 6:00 Uhr bis 7:00 Uhr und von 20:00 bis 22:00 Uhr) gar nicht betroffen sind. Bei einer Größe der bespielbaren Außenfläche von insgesamt nur ca. 430 m² ist überdies davon auszugehen, dass sich kaum jemals alle fünf Gruppen gleichzeitig im Garten aufhalten werden, zumal aufgrund unterschiedlicher Bedürfnisse und Mobilität eine Trennung von Kindergarten- und Krippenkindern erforderlich sein dürfte. Die Kindertagesstätte verfügt insoweit über angemessene Innenspiel- und Nutzflächen.
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2.3.3. Unzumutbare Auswirkungen auf das Nachbargrundstück durch den der Einrichtung zuzurechnenden Verkehr und die damit verbundenen Auswirkungen sind ebenfalls nicht zu erwarten. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die Lärmbelästigung als auch im Hinblick auf den Park- und Parkplatzsuchverkehr.
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Die TA Lärm als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift findet für die Abgrenzung zwischen zumutbarem und unzumutbarem Lärm wegen ihrer Nr. 1 Satz 2 Buchst. h auf Kindergärten als Anlagen für soziale Zwecke keine Anwendung (BayVGH, B.v. 12.02.2020 - 15 CS 20.45 - juris Rn. 17).
41
Offenbleiben kann, ob § 22 Abs. 1a BImSchG auch auf die durch die bestimmungsgemäße Nutzung entstehenden Verkehrsgeräusche anwendbar ist (verneinend: VG München, U.v. 12.7.2012 - M 8 K 11.2932 - juris Rn. 91; Enders in: BeckOK Umweltrecht, Giesberts/Reinhardt, Stand: 1.4.2022, § 22 BImSchG Rn. 24b; offen gelassen: BayVGH, B.v. 12.02.2020 - 15 CS 20.45 - juris Rn. 18; Überblick über den Streitstand: OVG SH, B.v. 1.2.2019 - 1 MB 1/19 - juris Rn. 17).
42
Denn der mit dem Bringen und Holen der in der Einrichtung betreuten Kinder verbundene Verkehrslärm ist von den Nachbarn regelmäßig hinzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 12.2.2020 - 15 CS 20.45 - juris Rn. 18 m.w.N.; B.v. 27.11.2019 - 9 ZB 15.442 - juris Rn. 17; B.v. 30.11.2009 - 2 CS 09.1979 - juris Rn. 31; OVG SH, B.v. 1.2.2019 - 1 MB 1/19 - juris, Ls. 4 und Rn. 17). Dies gilt sowohl in Baugebieten nach der BauNVO, in denen Kindertageseinrichtungen allgemein oder ausnahmsweise zulässig sind, als auch in Gemengelagen, in denen Wohnnutzung vorhanden ist. Dass die Umstände des Einzelfalls vorliegend aufgrund einer besonderen Belastungswirkung zu einer anderen Bewertung führen könnten, ist nicht ersichtlich.
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Gleiches gilt für den dem Vorhaben zuzurechnen Park- oder Parksuchverkehr. Der durch ein Vorhaben verursachte und diesem zuzurechnende Fahrzeugverkehr kann nur in Ausnahmefällen, wenn insbesondere mangels ausreichender Parkmöglichkeiten (im Bereich der öffentlichen Verkehrsflächen oder auf dem Vorhabengrundstück) der hierdurch bewirkte Park- oder Parksuchverkehr den Nachbarn unzumutbar beeinträchtigt oder wenn die bestimmungsgemäße Nutzung des Nachbargrundstücks nicht mehr oder nur noch eingeschränkt möglich ist, zu einer Unzumutbarkeit für die betroffenen Nachbarn führen (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2009 - 1 CS 09.287 - juris Rn. 39). Hierbei muss es aufgrund der örtlichen Verhältnisse zu chaotischen Verkehrsverhältnissen im unmittelbaren Umgriff des Nachbargrundstücks kommen (BayVGH, B.v. 12.2.2020 - 15 CS 20.45 - juris Rn. 18).
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Die der Einrichtung zuzurechnenden Stellplätze befinden sich in einer Tiefgarage, sodass unzumutbare Lärmentwicklungen hinsichtlich des Nachbargrundstücks - das am weitesten südlich gelegene Wohnhaus befindet sich in einem Abstand von ca. 30 m zur Tiefgarageneinfahrt, die südwestlich gelegenen Anwesen in noch größerem Abstand - insbesondere aufgrund der abschottenden Wirkung der Tiefgarage nicht zu befürchten sind.
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Zwar dürften vorliegend im öffentlichen Verkehrsraum nur wenige Parkgelegenheiten (etwa in den Wohngebieten auf der Ostseite der … Straße) zur Verfügung stehen. Allerdings verfügt die Einrichtung mit insgesamt acht Stellplätzen allein für den Bring- und Abholverkehr sowie weiteren fünf Stellplätzen für die Mitarbeitenden über ausreichende Stellflächen auf dem eigenen Grundstück. Die Befürchtung, dass Eltern die Zufahrt zum Nachbargrundstück zum (illegalen) Parken benutzen könnten, teilt das Gericht insbesondere aufgrund dessen nicht. Dass die Einrichtung über ausreichend Parkmöglichkeiten verfügt, zeigt sich insbesondere bei einem Abgleich der dem Vorhaben zugeordneten 13 Stellplätze mit den Vorgaben der Stellplatzsatzung der Beklagten (Stellplatzsatzung - StPlS v. 19.12.2007, MüABl. Sondernummer 1, S. 1). Danach wären für die Einrichtung lediglich ein Stellplatz je 30 Kinder, hier aufgerundet also nur drei Stellplätze erforderlich (Anlage 1, Nr. 8.3.).
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Das Gericht teilt auch nicht die Einschätzung der Klagepartei, dass die Tiefgarage, in der die Stellplätze untergebracht sind, zum vorgesehenen Zweck nicht geeignet sei und daher durch die Eltern nicht genutzt werde. Dass die Nutzbarkeit der Stellplätze aufgrund ihrer Größe und Abmessungen (sie verfügen über eine jeweilige Breite von 2,62 m bis 2,40 m) eingeschränkt sein könnte, ist nicht ersichtlich. In Tiefgaragen und auch bei Wohnanlagen sind keine breiteren Stellplätze üblich, so dass Eltern hier ebenfalls mit dem vorhandenen Platz beim Ein- und Ausladen der Kinder - insbesondere mit einer Babyschale - auskommen müssen und dies gewohnt sind (vgl. BayVGH, B.v. 19.10.2015 - 2 CS 15.1866 - juris Rn. 6). Die Fahrgasse verfügt zudem über eine Breite von ca. 7 m (abgegriffen) und eine Länge von 17,72 m, sodass eine ausreichende Rangierfläche vorhanden und Begegnungsverkehr ohne weiteres möglich ist. Auch, dass die Rampe zur Tiefgarage nur einspurig befahrbar ist, führt zu keiner anderen Einschätzung. Gleiches gilt für die Absenkung des Bordsteins vor der Einfahrt, die die Klagepartei für unzureichend hält. Die Rampe verläuft gerade und ist übersichtlich gestaltet. Aufgrund ihrer Länge von nur ca. 12,50 m (abgegriffen) ist sowohl für den Ein- als auch den Ausfahrenden ohne Weiteres erkennbar, ob sie frei befahrbar ist oder gerade durch ein anderes Fahrzeug genutzt wird. Die Ein- und Ausfahrsituation ist keineswegs ungewöhnlich und kann von einem durchschnittlichen Fahrer zweifelsohne bewältigt werden.
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Es handelt sich um eine typische Erschließungssituation an einer viel befahrenen Straße. Eine übliche Situation für Verkehrsanlagen kann jedoch nur in einem - hier nicht erkennbaren - besonderen Ausnahmefall (etwa bei einer Sackgasse oder einen Wendehammer) aufgrund ganz ungewöhnlicher Umstände als ungeeignet angesehen werden, den von einer Kindertageseinrichtung ausgelösten Verkehr aufzunehmen (VG München, U.v. 2.7.2012 - M 8 K 11.2932 - juris Rn. 95). Die … Straße ist hier allerdings aufgrund ihrer Größe zweifellos geeignet, den durch das Vorhaben ausgelösten Verkehr aufzunehmen. Aufgrund der an der Grundstücksgrenze befindlichen Ein- und Ausfahrt findet eine sofortige Verflechtung mit dem fließenden Verkehr statt. Überdies ist nicht ersichtlich, wie ein befürchteter Rückstau (der dem Vorhaben aufgrund der Verflechtung mit dem fließenden Verkehr wohl ohnehin nicht zugerechnet werden könnte) auf die … Straße das klägerische Grundstück beeinflussen sollte. Dieses liegt in Fahrtrichtung weiter südlich. Die Kindertageseinrichtung kann aufgrund der Ausgestaltung der … Straße jedoch nur in Fahrtrichtung von Norden nach Süden angefahren werden kann.
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Weiterhin ist aufgrund der Größe der Einrichtung nicht mit einer unzumutbaren Anzahl an Fahrten und damit verbundenen unzumutbaren Lärmentwicklungen zu rechnen. Das der Baugenehmigung zugrundeliegende Mobilitätskonzept ist insoweit nicht zu beanstanden. Selbst für den (völlig unwahrscheinlichen) Fall, dass alle 86 Kinder einzeln mit dem Fahrzeug gebracht und abgeholt werden würden, ergäben sich daraus lediglich 172 zusätzliche Fahrten im Umfeld der Kindertagesstätte. Diese Anzahl fällt bei einer Verkehrsbelastung der … Straße als einer der viel befahrensten Straßen … (34.000 Kfz / 24h, vgl. die Stellungnahme des Kreisverwaltungsreferats) nicht ansatzweise ins Gewicht, selbst wenn man mit der Klagepartei von einer Hauptzusatzbelastung von 7:00 Uhr bis 8:00 Uhr ausgehen wollte (regelmäßig wird jedoch von einer Bringzeit bis 9:00 Uhr auszugehen sein, vgl. VG München, U.v. 11.3.2013 - M 8 K 12.794 - juris Rn. 58).
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Aufgrund der außerordentlich guten Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln (Bus- und Trambahnhaltestelle befinden sich direkt gegenüber) und ebenso guten Erreichbarkeit der Einrichtung mit dem Fahrrad (die Westseite der … Straße verfügt über eine eigene Fahrradspur, zudem sind auf dem Baugrundstück ausreichend Fahrradabstellplätze vorhanden) oder zu Fuß ist jedoch realistischerweise davon auszugehen, dass weniger als 50% der Eltern (vgl. zu diesem Wert: BayVGH, B.v. 7.11.2011 - 2 CS 11.2149 - juris Rn. 6) ihre Kinder mit dem Pkw zur Einrichtung bringen werden, zumal gerade junge Familien in … oft aufgrund eines sich wandelnden Bewusstseins und eines geänderten Mobilitätsverhaltens über kein eigenes Kraftfahrzeug verfügen. Ferner sind Synergieeffekte zu berücksichtigen, da in einer kombinierten Einrichtung aus Kindergarten und Kinderkrippe regelmäßig viele Geschwisterkinder untergebracht sind, welche gemeinsam zur Einrichtung gebracht und abgeholt werden. Überdies sind die Bring- und Abholzeiten durch das Konzept der Einrichtung entzerrt. Laut Betriebsbeschreibung ist diese von 7:00 Uhr bis 18:30 Uhr geöffnet. Feste Bring- oder Abholzeiten sind der Betriebsbeschreibung nicht zu entnehmen. Auch aufgrund dieser zeitlichen Streuung ist eine unzumutbare Situation nicht zu erwarten.
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Bei einer durchschnittlichen Dauer des Bring- oder Abholvorgangs von etwa zehn Minuten können ferner über die vorhandenen sieben Duplex-Stellplätze 42 Bring- und Abholvorgänge in der Stunde abgewickelt werden, sogar ohne Berücksichtigung des für Eltern oder Kinder mit Mobilitätseinschränkung vorbehaltenen achten Stellplatzes, so dass ohne Weiteres 50% der Kinder mit dem Auto gebracht werden können, selbst wenn sich die Bringzeit - wie die Kläger meinen - auf nur eine Stunde eingrenzen sollte. Diese Kapazität ist bei weitem ausreichend, dürfte aber aufgrund des Vorgenannten (Synergieeffekte, außerordentlich gute Verkehrsanbindung) regelmäßig nicht ausgeschöpft werden.
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Soweit die Kläger Straßenverkehrsverstöße der Eltern beim Bringen- und Abholen der Kinder befürchten, ist dies für das Gebot der Rücksichtnahme ohne Belang. Solche Verkehrsverstöße können der Beigeladenen nicht unmittelbar zugerechnet werden. Ihnen wäre vor allem mit Mitteln des Straßenverkehrs- und des Ordnungswidrigkeitenrechts zu begegnen (VG München, B.v. 17.2.2012 - M 8 SN 11.6183 - juris Rn. 66). Im Zweifel muss die Beklagte, welche auch die zuständige Straßenverkehrsbehörde ist, durch entsprechende Information der Eltern und ggfs. durch entsprechende verkehrsrechtliche Überwachung dafür sorgen, dass die Belästigungen für die übrigen Anwohner möglichst gering bleiben (vgl. BayVGH, B.v. 19.10.2015 - 2 CS 15.1866 - juris Rn. 8).
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2.3.4. Das Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme beurteilt sich nach den städtebaulichen Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls. Privatrechtliche Vereinbarungen, egal welcher Art, haben hierauf keinen Einfluss. Auf die zwischen den Beteiligten geschlossenen Verträge und die im Grundbuch eingetragenen Dienstbarkeiten kommt es somit nicht an. Ferner wird die Baugenehmigung unbeschadet privater Rechte Dritter erteilt, Art. 68 Abs. 5 BayBO. Diese Rechte sind vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen.
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3. Die Verletzung bauordnungsrechtlicher Vorschriften, welche Gegenstand des Baugenehmigungsverfahrens sind, Art. 60 Satz 1 Nr. 2 BayBO, ist nicht gerügt und nicht ersichtlich.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 159 VwGO.
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Es entspricht billigem Ermessen im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO, den Klägern die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese einen Sachantrag gestellt und sich damit entsprechend § 154 Abs. 3 VwGO auch einem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.