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VG Würzburg, Urteil v. 09.02.2022 – W 6 K 21.30843
Titel:

Unzulässige Asylklage wegen fehlender ladungsfähiger Anschrift

Normenketten:
VwGO § 82 Abs. 1, § 173
ZPO § 130 Nr. 1
GG Art. 19 Abs. 4
Leitsätze:
1. Die Zulässigkeit der Klage setzt zur Individualisierung des Klägers und zu seiner Erreichbarkeit für das Gericht regelmäßig die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift voraus, unter der der Kläger tatsächlich zu erreichen ist. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. ie Pflicht zur Angabe der ladungsfähigen Anschrift des Klägers kann zwar im Hinblick auf den aus Art. 19 Abs. 4 GG fließenden Anspruch auf effektiven Rechtsschutz ausnahmsweise entfallen, etwa bei fehlendem Wohnort wegen Obdachlosigkeit oder wegen eines schutzwürdigen Geheimhaltungsinteresses, wenn dem Gericht die Gründe hierfür mitgeteilt werden. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Armenien, Folgeantrag, Verpflichtungsklage auf Feststellung von Abschiebungsverboten, Bezugnahme auf Bescheidsgründe, Kläger in Haft bei unbekannter JVA, trotz Aufforderung keine Angabe einer ladungsfähigen Anschrift, keine Ausnahme vom Erfordernis einer ladungsfähigen Anschrift, Asylverfahren, Klage, Unzulässigkeit, ladungsfähige Anschrift, Erreichbarkeit, Individualisierung, Geheimhaltungsinteresse
Fundstelle:
BeckRS 2022, 2936

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

1
1. Der 1994 geborene Kläger ist armenischer Staatsangehöriger und hat in der Vergangenheit Asylanträge in der Bundesrepublik Deutschland gestellt.
2
Seinen ersten Asylantrag vom 28. November 2012, der noch vom Heimatland Russische Föderation ausging, lehnte das Bundesamt für ... (Bundesamt) zunächst vollumfänglich ab (Bescheid vom 20.6.2014 - Bundesamt Az.: … ), um nach entsprechender Verurteilung (VG Ansbach, U.v. 29.9.2015 - AN 10 K 14.30674) ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Russischen Föderation festzustellen. Ein Folgeantrag (Antrag vom 14.2.2017 - Bundesamt Az.: … ) wurde mit Bescheid vom 2. Mai 2017 als unzulässig abgelehnt; im Rahmen des Folgeverfahrens wurde die armenische Staatsangehörigkeit des Klägers bekannt. Im Widerrufsverfahren zum Asylantrag vom 28. November 2012 wurde durch Bescheid vom 21. Oktober 2019 das Abschiebungsverbot hinsichtlich der Russischen Föderation aufgehoben und festgestellt, dass Abschiebungsverbote hinsichtlich Armenien nicht vorliegen. Mit Urteil vom 16. Januar 2020 (Az.: AN 6 K 19.31151) stellte das VG Ansbach u.a. fest, dass Abschiebungsverbote hinsichtlich Armenien nicht bestehen.
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Mit Bescheid vom 7. Mai 2020 stellte das Bundesamt fest, dass Abschiebungsverbote hinsichtlich Armeniens nicht vorliegen (Nr. 1) und forderte unter Androhung der Abschiebung nach Armenien den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen (Nr. 2). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 3). Die Bestandskraft trat am 26. Mai 2020 ein.
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Am 13. Juli 2021 stellte der Kläger persönlich einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag), welche er schriftlich mit Schreiben vom 13. Juli 2021 begründete. Auf die Begründung wird Bezug genommen.
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Mit Bescheid vom 21. Juli 2021 lehnte das Bundesamt seinen Antrag als unzulässig ab (Nr.1) und lehnte den Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 7. Mai 2020 bezüglich der Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG ab (Nr. 2). Auf die Begründung des am 26. Juli 2021 zugestellten Bescheides wird verwiesen.
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Hiergegen ließ der Kläger am 9. August 2021 Klage erheben und beantragen,
unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 21. Juli 2021 die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass beim Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Armeniens vorliegt.
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Eine Klagebegründung wurde zwar angekündigt, aber trotz Aufforderung des Gerichts nicht vorgelegt.
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Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
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2. Mit Beschluss vom 14. Januar 2022 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Mit weiterem Beschluss vom 14. Januar 2022 wurde der zugleich mit Klageerhebung gestellte Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Bevollmächtigten abgelehnt.
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Zur mündlichen Verhandlung am 9. Februar 2022 ist niemand erschienen. Auf das Protokoll wird verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

12
Über die Klage konnte entschieden werden, obwohl in der mündlichen Verhandlung niemand erschienen ist. Denn die Beteiligten wurden ordnungsgemäß mit Schreiben vom jeweils 18. Januar 2022 geladen, die Klägerbevollmächtigte gegen elektronisches Empfangsbekenntnis vom 18. Januar 2022 und die Beklagte formlos, und auf diese Folge hingewiesen, § 102 Abs. 2 VwGO.
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Die Klage hat keinen Erfolg, da sie bereits unzulässig ist.
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1. Die Klage ist unzulässig, da der Kläger seiner Pflicht zur Mitteilung einer aktuellen ladungsfähigen Anschrift nicht nachgekommen ist.
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In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass die Zulässigkeit der Klage regelmäßig die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift voraussetzt, § 82 Abs. 1 VwGO, § 173 VwGO i.V.m. § 130 Nr. 1 ZPO (st.Rspr., vgl. BVerwG, B.v. 14.2.2012 - 9 B 79/11 - NJW 2012, 1527 Rn. 11; BayVGH, B.v. 29.10.2019 - 10 ZB 19.1652 - BeckRS 2019, 27457 Rn. 4). Die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift, unter der der Kläger tatsächlich zu erreichen ist, ist erforderlich, um den Kläger zu individualisieren und seine Erreichbarkeit für das Gericht sicherzustellen. Es soll dadurch darüber hinaus auch gewährleistet werden, dass der Kläger nach entscheidungserheblichen Tatsachen befragt wird und sich im Fall des Unterliegens der Kostentragungspflicht nicht entziehen kann. Dies gilt auch für ein verwaltungsgerichtliches Verfahren unter Mitwirkung eines Prozessbevollmächtigten (BVerwG, B.v. 14.2.2012 - 9 B 79.11 - NJW 2012, 1527 Rn. 11) oder wenn sich - wie hier - während des Verfahrens die ladungsfähige Anschrift ändert.
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Anlässlich der Mitteilung des Bundesamts vom 20. August 2021 wurde dem Gericht bekannt, dass der Kläger seinen vormaligen, bei Klageerhebung benannten Wohnsitz in S … offenbar aufgegeben hat und sich ausweislich dieser Mitteilung in der Justizvollzugsanstalt (JVA) B … befand. Seine Bevollmächtigte teilte am 26. August 2021 mit, dass ihr derzeit die aktuelle Anschrift des Klägers nicht bekannt sei. Mit weiterem Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 1. September 2021 ließ der Kläger mitteilen, dass er sich derzeit in der JVA W … befinde, wobei noch zu eruieren sei, ob die scheinbar beabsichtigte Verlegung des Klägers in die JVA A … bereits staatgefunden habe. Aus der mitgeschickten Haftzeitübersicht (Anlage K1) ergibt sich, dass eine „Verlegung in die zuständige JVA N “ geplant sei, wobei „N “ durchgestrichen und handschriftlich „A …“ darunter geschrieben ist. Folglich befindet sich der Kläger offenbar in einer Justizvollzugsanstalt, aber es ist unklar, in welcher. Trotz wiederholter Aufforderung des Gerichts mit Schreiben vom 27. August 2021 und 17. Februar 2022 sowie einem Hinweis in der Entscheidung über den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (B.v. 14.1.2022) wurde dem Gericht bis zur mündlichen Verhandlung keine gültige ladungsfähige Anschrift des Klägers mitgeteilt.
17
Gründe, die ausnahmsweise die Nennung einer ladungsfähigen Anschrift entbehrlich machen, liegen nicht vor. Die Pflicht zur Angabe der ladungsfähigen Anschrift des Klägers kann zwar im Hinblick auf den aus Art. 19 Abs. 4 GG fließenden Anspruch auf effektiven Rechtsschutz ausnahmsweise entfallen, etwa bei fehlendem Wohnort wegen Obdachlosigkeit oder wegen eines schutzwürdigen Geheimhaltungsinteresses, wenn dem Gericht die Gründe hierfür mitgeteilt werden (BVerwG, B.v. 14.2.2012 − 9 B 79/11 - NJW 2012, 1527 Rn. 11). Weder wurden jedoch solche Gründe seitens des Klägers oder seiner Bevollmächtigten mitgeteilt, noch zeigen sich sonst derartige Gegebenheiten, insbesondere ist kein anerkennenswertes Geheimhaltungsinteresse erkennbar.
18
Die Klage entsprach deshalb nicht den zwingenden Formanforderungen des § 82 Abs. 1 VwGO, § 173 VwGO i.V.m. § 130 Nr. 1 ZPO und war deshalb als unzulässig mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.
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2. Ohne dass es darauf noch tragend ankommt, wäre die Klage auch unbegründet gewesen. Der angefochtene Bescheid ist in seiner verfahrensgegenständlichen Ziffer 2 rechtmäßig und verletzt den Kläger schon deshalb nicht in seinen Rechten. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines zielstaatlichen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Das Gericht folgt den Feststellungen und der Begründung im angegriffenen Bescheid vom 21. Juli 2021 und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen on einer nochmaligen Darstellung ab, § 77 Abs. 2 AsylG.
21
Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass beim Kläger ein Abschiebungsverbot bestehen könnte. Die angekündigte Klagebegründung wurde trotz wiederholter Aufforderung bis zuletzt nicht vorgelegt, ebenso keine Unterlagen zur behaupteten Erkrankung des Klägers.