Titel:
Erfolglose Asylklage wegen subsidiärem Schutzstatus in Italien
Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2
RL 2013/32/EU (AsylverfahrensRL) Art. 33
GrCh Art. 4
EMRK Art. 3
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1
Leitsatz:
Für die Widerlegung der die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat der EU in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta, mit der GK und der EMRK steht, genügt nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder jeder Verstoß gegen die Aufnahmerichtlinie, die Qualifikationsrichtlinie oder die Verfahrensrichtlinie, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu hindern sondern es bedarf einer besonders hohen Schwelle der Erheblichkeit. (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
unzulässiger Asylantrag bei vorheriger Schutzzuerkennung in Italien, keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in Italien bei arbeitsfähigem, alleinstehendem Mann, Asylverfahren, somalischer Staatsangehöriger, unzulässiger Asylantrag, subsidiärer Schutzstatus, Italien, Rücküberstellung, Mindeststandard, Lebensumstände, Aufenthaltstitel, normative Vergewisserung, Vermutung, Abschiebungsverbot
Fundstelle:
BeckRS 2022, 29357
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
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1. Der Kläger, somalischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben im Februar 2021 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier am 10. März 2021 einen Asylantrag. Seine persönliche Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) erfolgte am 24. März 2021. Auf die dabei gemachten Angaben des Klägers wird Bezug genommen.
2
Ausweislich einer Eurodac-Datenbank-Abfrage hatte der Kläger am 17. Oktober 2019 bereits in Italien einen Asylantrag gestellt. Auf ein entsprechendes Übernahmeersuchen des Bundesamts teilte das Innenministerium Italiens mit Schreiben vom 7. April 2021 mit, dass dem Kläger in Italien bereits subsidiärer Schutz zuerkannt und ihm eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis, gültig bis 29. Dezember 2024, erteilt worden sei.
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Mit Bescheid vom 24. Januar 2022 lehnte das Bundesamt in der Folge den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab (Ziffer 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Ziffer 2). Gemäß Ziffer 3 wurde der Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Sollte der Kläger die Ausreisefrist nicht einhalten, werde er nach Italien abgeschoben. Der Kläger könne auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen dürfe und der zu seiner Rücknahme verpflichtet sei. Der Kläger dürfe nicht nach Somalia abgeschoben werden (Ziffer 3, Satz 4). Das Einreise und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4). Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung wurde ausgesetzt (Ziffer 5). Wegen der Begründung wird auf den vorgenannten Bescheid Bezug genommen. In der dem Bescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrungwar angegeben, dass gegen den Bescheid innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung Klage beim Verwaltungsgericht Würzburg erhoben werden könne. Der Bescheid wurde dem Kläger ausweislich der bei den Behördenakten befindlichen Postzustellungsurkunde am 4. Februar 2022 zugestellt.
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2. Mit Schriftsatz vom 14. Februar 2022, eingegangen bei Gericht am 17. Februar 2022, erhob der Kläger Klage gegen den vorgenannten Bescheid des Bundesamts und beantragt sinngemäß:
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 24. Januar 2022 wird aufgehoben;
hilfsweise wird die Beklagte verpflichtet, Abschiebungsverbote bezüglich Italien festzustellen.
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Begründet wurde die Klage im Rahmen der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen damit, dass der Kläger Italien verlassen habe, da er dort keine Arbeit finden konnte und zuletzt obdachlos gewesen sei. Dieses Schicksal würde ihn im Fall einer Rückkehr nach Italien erneut erwarten.
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3. Mit Schriftsatz des Bundesamts vom 22. Februar 2022 beantragte die Beklagte,
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Wegen der Begründung wurde auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
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4. Mit Beschluss vom 5. Mai 2022 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Das Gericht konnte im vorliegenden Fall über die Klage entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten bei der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Die Klage hat zum hier maßgeblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) keinen Erfolg.
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1. Die Klage ist ganz überwiegend zulässig.
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Statthafte Klageart hinsichtlich der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung und unter Berücksichtigung der gesetzlichen Regelungssystematik, wie sie beispielsweise in § 37 Abs. 1 AsylG zum Ausdruck kommt, die (isolierte) Anfechtungsklage (vgl. hierzu etwa BVerwG, U.v. 14.12.2016 - 1 C 4.16 - juris Rn. 16 ff.).
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Unzulässig ist die Klage allerdings hinsichtlich des klägerischen Hauptantrags, soweit er sich auch auf Ziffer 3, Satz 4 des streitgegenständlichen Bescheids („Der Antragsteller darf nicht nach Somalia abgeschoben werden.“) bezieht, da diese Feststellung für den Kläger lediglich rechtlich vorteilhaft ist und damit eine Klagebefugnis des Klägers mangels Rechtsverletzung nicht gegeben ist.
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Die Klage ist im Übrigen unter Berücksichtigung der im angefochtenen Bescheid angegebenen Rechtsbehelfsbelehrungauch fristgerecht erhoben worden (vgl. hierzu auch § 58 Abs. 2 VwGO).
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2. Soweit die Klage zulässig ist, ist sie jedoch nicht begründet.
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Der Bescheid des Bundesamts vom 24. Januar 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger schon deswegen nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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2.1. Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides ist rechtmäßig, denn der Asylantrag des Klägers in Deutschland ist gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig.
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Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Hiermit wird Art. 33 der RL 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes - Asylverfahrensrichtlinie - (RL 2013/32/EU) umgesetzt, welcher in seinem Absatz 2 abschließend regelt, unter welchen Voraussetzungen die Mitgliedstaaten einen Asylantrag als unzulässig betrachten dürfen (vgl. OVG NRW, U.v. 24.8.2016 - 13 A 63/16.A - juris Rn. 30). Dies ist nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. a) Asylverfahrensrichtlinie dann der Fall, wenn ein anderer Mitgliedstaat bereits internationalen Schutz gewährt hat.
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Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Ausweislich des Schreibens des italienischen Innenministeriums vom 7. April 2021 wurde dem Kläger in Italien bereits subsidiärer Schutz zuerkannt und ein entsprechender Aufenthaltstitel, gültig bis 29. Dezember 2024, erteilt. Diese Umstände decken sich mit den eigenen Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung (vgl. Seite 2 f. des Sitzungsprotokolls).
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2.2. Der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG steht auch nicht Art. 4 der Grundrechtscharta (GrCh) i.V.m Art. 3 EMRK (vgl. Art. 52 Abs. 3 GrCh) entgegen (vgl. hierzu EuGH, B.v. 13.11.2019 - C-540/17 u.a. - juris). Eine ernsthafte Gefahr, eine gegen Art. 4 GrCh verstoßende, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in Italien zu erfahren, besteht für den Kläger als jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann zur Überzeugung des Gerichts unter Berücksichtigung aktueller Erkenntnismittel nicht.
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Bei der Prüfung, ob Italien hinsichtlich der Behandlung von rücküberstellten Schutzberechtigten gegen Art. 4 GrCh i.V.m. Art. 3 EMRK verstößt, ist ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 - C-297/17 - juris; OVG Lüneburg, B.v. 21.12.2018 - 10 LB 201/18 - BeckRS 2018, 33662; U.v. 29.1.2018 - 10 LB 82/17 - juris Rn. 28). Denn Italien unterliegt als Mitgliedstaat der Europäischen Union deren Recht und ist den Grundsätzen einer gemeinsamen Asylpolitik sowie den Mindeststandards des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems verpflichtet. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem gründet sich auf das Prinzip gegenseitigen Vertrauens, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und in der EMRK finden. Daraus hat der Europäische Gerichtshof die Vermutung abgeleitet, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (vgl. hierzu aus jüngerer Zeit etwa EuGH, U.v. 19.3.2019 - C-297/17 u.a. juris Rn. 83 f.).
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Diese Vermutung ist zwar nicht unwiderleglich. Eine Widerlegung dieser Vermutung hat der Europäische Gerichtshof aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft. Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder jeder Verstoß gegen die Aufnahmerichtlinie (RL 2013/33/EU), die Qualifikationsrichtlinie (RL 2011/95/EU) oder die Verfahrensrichtlinie (RL 2013/32/EU) genügt, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu hindern. Denn Mängel des Asylsystems können nur dann gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verstoßen, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen.
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Diese Schwelle ist nach der Rechtsprechung des EuGH im Anschluss an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK (vgl. Art. 6 Abs. 3 EUV und Art. 52 Abs. 3 GrCh) erst dann erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 - C-297/17 u.a. - juris Rn.89 ff.; aus der Rechtsprechung des EGMR siehe etwa EGMR, U.v. 4.11.2014 - 29217/12 - NVwZ 2015, 127 ff.).
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Selbst große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse erreichen diese Schwelle nicht, wenn sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund derer diese Person sich in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (EuGH, U.v. 19.3.2019 - C-297/17 u.a. - juris Rn. 89 ff.). Verstöße gegen Bestimmungen des Kapitels VII der Anerkennungsrichtlinie genügen hierfür - wie bereits erwähnt - nicht (EuGH, U.v. 19.3.2019 - C-297/17 u.a. - juris Rn. 92). Auch der Umstand, dass der Schutzberechtigte in dem Mitgliedstaat, der dem Asylantragsteller diesen Schutz gewährt hat, keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen erhält, ohne jedoch anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden, kann nur dann zu der Feststellung führen, dass dieser dort tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wäre, eine gegen Art. 4 GrCh verstoßende Behandlung zu erfahren, wenn dieser Umstand zur Folge hat, dass sich dieser Schutzberechtigte aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände (EuGH, U.v. 19.3.2019 - C-297/17 u.a. - juris Rn. 93).
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Ist dagegen ernsthaft zu befürchten, dass die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber bzw. anerkannte Schutzberechtigte im zuständigen Mitgliedstaat derartige Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Personen im Sinne von Art. 4 GrCh bzw. Art. 3 EMRK zur Folge haben, ist eine Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 - C-297/17 u.a. - juris Rn. 87; BVerwG, B.v. 19.3.2014 -10 B 6.14 - juris Rn. 6).
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Hinsichtlich der Gefahrenprognose ist im Rahmen des Art. 4 GrCh bzw. Art. 3 EMRK auf den Maßstab des „real risk“ der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte abzustellen (vgl. EGMR, Große Kammer, U.v. 28.2.2008 - Nr. 37201/06, Saadi - NVwZ 2008, S. 1330 Rn. 129; BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - juris Rn. 32); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 - BVerwGE 136, S. 377 Rn. 22 m.w.N. stRspr).
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Der Tatrichter muss sich unter Berücksichtigung des Untersuchungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) somit zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der GrCh sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylsystems oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 - BVerwGE 136, S. 377 Rn. 22 m.w.N.) einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird.
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Das erfordert eine aktuelle Gesamtwürdigung der zur jeweiligen Situation vorliegenden Berichte und Stellungnahmen, wobei regelmäßigen und übereinstimmenden Berichten von internationalen Nichtregierungsorganisationen besondere Bedeutung zukommt (BVerfG, B.v. 21.4.2016 - 2 BvR 273/16 - juris Rn. 11; vgl. auch EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 - juris Rn. 90 f.). Das gilt insbesondere für die Stellungnahmen des UNHCR angesichts der Rolle, die diesem in Hinblick auf die Überwachung der Einhaltung der GFK (vgl. dort Art. 35) übertragen worden ist (vgl. EuGH, U.v. 30.5.2013 - C-528/11 - juris Rn. 44).
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2.3. Nach diesen strengen Maßstäben bestehen zur Überzeugung des Gerichts in Italien im Hinblick auf die Aufnahmebedingungen für anerkannte Schutzberechtigte keine derartigen Mängel, die die Annahme rechtfertigen würden, dass gesunden, arbeitsfähigen anerkannten Schutzberechtigten - wie dem Kläger - bei einer Abschiebung nach Italien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Situation extremer materieller Not und damit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GrCh i.V.m. Art. 3 EMRK droht (in diesem Sinne aus jüngerer Zeit auch VGH BW, U.v. 7.7.2022 - A 4 S 3696/21 - juris Rn. 28 f.; SächsOVG, U.v. 15.3.2022 - 4 A 506/19.A - juris; OVG Saarl, U.v. 15.2.2022, 2 A 46/21 - juris; OVG MV, U.v. 19.1.2022 - 4 LB 135/17 - juris; VG Würzburg, U.v. 5.10.2021 - W 4 K 20.30192 - juris; a.A. OVG Münster, U.v. 20.7.2021 - 11 A 1674/20.A - juris, jedenfalls sofern keine Möglichkeit der Unterbringung in einem SAI-Zentrum mehr besteht; noch weitergehend VG Oldenburg, U.v. 2.7.2021 - 6 A 2745/19 - juris).
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Die Aufnahmebedingungen in Italien stellen sich dabei unter Berücksichtigung aktueller Erkenntnismittel wie folgt dar:
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2.3.1. Anerkannte Schutzberechtigte erhalten in Italien eine Aufenthaltserlaubnis, die für fünf Jahre gültig ist und die in der Folge erneuert bzw. verlängert werden kann (vgl. hierzu AIDA, Country Report: Italy, Update 5/2022, S. 192; BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 1.7.2022, S. 19). Die Erneuerung - oder im Falle des Verlusts die Ausstellung einer Kopie - beantragt man durch das Ausfüllen entsprechender Formulare und deren Versand per Post an die zuständige Questura (AIDA, Country Report: Italy, Stand: 31.12.2020, S. 192). Für den Verlängerungs- bzw. Erneuerungsantrag benötigt man zudem einen eingetragenen Wohnsitz oder eine sogenannte „Erklärung der Gastfreundschaft“ („dichiarazione di ospitalita“, vgl. hierzu ACCORD, Anfragenbeantwortung zu Italien: 18.9.2020, S. 5). Eine solche Erklärung der Gastfreundschaft kann dabei insbesondere auch von Privatpersonen abgegeben werden (vgl. ACCORD, 18.9.2020, S. 5). Darüber hinaus müssen die zuständige Questura hierfür auch die Adresse einer Hilfsorganisation akzeptieren (AIDA, Country Report: Italy, Update 5/2022, S. 192; BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 1.7.2022, S. 19). Bei der Erneuerung einer Aufenthaltserlaubnis kommt es nach vorliegenden Erkenntnismitteln jedenfalls in einigen Provinzen zu ganz erheblichen Zeitverzögerungen. Dies stellt im Alltag aber in aller Regel deswegen kein Problem dar, weil Antragsteller nach der Beantragung eine Bestätigung (sog. „cedolino“) erhalten, die in allen Fällen, in denen eine Aufenthaltserlaubnis benötigt wird, vorgezeigt werden kann und allgemein akzeptiert wird (vgl. hierzu ACCORD, Anfragenbeantwortung zu Italien, 18.9.2020, S. 5).
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2.3.2. Was die Unterkunftssituation anbelangt, so können anerkannte Flüchtlinge bzw. Schutzberechtigte in Italien für einen Zeitraum von sechs Monaten in einem sog. SAI-Zentrum (vorher SIPROIMI-Zentren) untergebracht werden, sofern es dort freie Plätze gibt und die Person nicht bereits zuvor in einem System der Zweitaufnahme untergebracht war.
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Dieses Unterbringungssystem bestand zuletzt (Stand: April 2022) aus 848 kleineren, dezentralisierten Projekten mit insgesamt 35.898 Unterkunftsplätzen (AIDA, Country Report: Italy, Update 5/2022, S. 214). Damit hat Italien die SAI-Unterbringungsmöglichkeiten im Vergleich zum Januar 2021 (30.049 Unterkunftsplätze in 706 Unterkunftszentren) deutlich aufgestockt (AIDA, Country Report: Italy, Update 5/2022, S. 214). Grund für diese Erhöhung waren die gestiegene Zahl an Asylbewerbern aus Afghanistan sowie Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine (vgl. AIDA, Country Report: Italy, Update 5/2022, S. 216). Gleichwohl decken die nunmehr vorhandenen Plätze im SAI-Unterbringungssystem den entsprechenden Bedarf nicht immer vollständig ab (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 1.7.2022, S. 20).
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Auch Rückkehrern mit einem abgelaufenen Aufenthaltstitel kann dabei eine Unterkunft in einem SAI-Zentrum zugeteilt werden (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 1.7.2022, S. 20 f.). Jeder Fall eines internationalen Schutztitelinhabers, der sich in einen anderen EU-Staat begeben hatte und dort nochmal Asyl beantragt hat und in der Folge nach Italien rücküberstellt wird, wird vom sog. „Servizio Centrale“ geprüft. Bei der Prüfung durch den Servizio Centrale ist es aber nicht unbedingt nötig, im Besitz eines gültigen Aufenthaltspapiers zu sein; wichtig ist vielmehr, dass das Aufenthaltspapier ohne rechtliche Probleme verlängerbar ist. Rückkehrerinnen und Rückkehrer können dabei auch bereits im Vorfeld vor ihrer Rückkehr nach Italien einen Antrag beim Servizio Centrale stellen (vgl. hierzu VG Berlin, U.v. 19.5.2021 - 28 K 84.18 A - juris Rn. 29; ACCORD, Anfragenbeantwortung zu Italien, 18.9.2020, S. 7 f).
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Die gesetzlich vorgesehene Aufenthaltsdauer von sechs Monaten in einem SAI-Zentrum kann um weitere sechs Monate verlängert werden (AIDA, Country Report: Italy, Update 5/2022, S. 212, 215), beispielsweise um Integrationsmaßnahmen abzuschließen oder wenn besondere Umstände, wie z.B. gesundheitliche Probleme, vorliegen. Gleiches gilt für vulnerable Personen, zu denen unter anderem unbegleitete Minderjährige, Behinderte, ältere Menschen, schwangere Frauen, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, Opfer von Menschenhandel sowie Menschen mit ernsthaften Krankheiten oder psychischen Störungen zählen. Bei schwerwiegenden gesundheitlichen Einschränkungen kann der Aufenthalt im SAI-Zentrum sogar ein zweites Mal um sechs Monate verlängert werden (AIDA, Country Report: Italy, Update 5/2022, S. 212, 215).
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In den SAI-Zentren stehen anerkannten Schutzberechtigten spezielle Integrationsmaßnahmen zur Verfügung, bestehend aus Sprachtraining, Vermittlung von Grundkenntnissen zu in der Verfassung der Italienischen Republik verankerten Rechten und Pflichten, Orientierung bezüglich wesentlicher öffentlicher Dienstleistungen sowie Orientierung bezüglich der Arbeitssuche (vgl. AIDA, Country Report: Italy, Update 5/2022, S. 214; SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, 10.6.2021, S. 12).
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Die Möglichkeit über ein SAI-Zentrum Unterstützung zu erhalten hängt dabei vor allem davon ab, ob und in welchem Umfang ein Schutzberechtigter bereits Leistungen der Sekundärunterbringung in Anspruch genommen hat. Das Recht auf Unterbringung in einem SAI-Zentrum besteht insbesondere dann nicht mehr, wenn einer Person bereits dort untergebracht war oder aber wenn eine Person die ihr vom Servizio-Centrale zugewiesene Unterkunft trotz entsprechender Zuteilung nicht genutzt hat und ihr daher der entsprechende Anspruch entzogen wurde (vgl. hierzu SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 56; zu den Entzugsgründen im Einzelnen vgl. AIDA, Country Report: Italy, Update 5/2022, S. 215 f.).
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Neben den staatlich finanzierten SAI-Projekten gibt es für anerkannte Schutzberechtigte auch die Möglichkeit eine Sozialwohnung zu beantragen. Ein solcher Antrag ist direkt in der jeweiligen Stadt bzw. Gemeinde zu stellen, wobei die Zugangsvoraussetzungen unterschiedlich geregelt sind. Dabei hat jede Provinz in Italien ein Netzwerk von Sozialdiensten (ACCORD, Anfragenbeantwortung zu Italien, 18.9.2020, S. 9).
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Anerkannte Flüchtlinge und Schutzberechtigte haben dabei das selbe Recht auf Zugang zu sozialen Wohnraum wie italienische Staatsbürger (vgl. hierzu BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 1.7.2022, S. 20; AIDA, Country Report: Italy, Update 5/2022, S. 217; ACCORD, Anfragenbeantwortung zu Italien, 18.9.2020, S. 9 f.). In einigen Regionen Italiens erfordert der Zugang zu Sozialwohnungen jedoch einen Mindestaufenthalt im Land, wie z.B. in der Lombardei, wo man ununterbrochen fünf Jahre in der Region gewohnt haben muss (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 1.7.2022, S. 20). Allerdings wurde diese Regelung vom italienischen Verfassungsgericht für gesetzeswidrig erklärt (AIDA, Country Report: Italy, Update 5/2022, S. 218). Darüber hinaus ist die Warteliste für derartige Sozialwohnungen vielerorts lang und die entsprechende Wartezeit beträgt häufig mehrere Jahre (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 1.7.2022, S. 20). Zudem muss regelmäßig nachgewiesen werden, dass bereits ein Wohnsitz in der Gemeinde besteht, in der eine Sozialwohnung beantragt wird. Das bedeutet, dass es Personen mit internationalem Schutzstatus in der Praxis regelmäßig sehr schwer fällt, Zugang zu öffentlichem Wohnraum bzw. Sozialwohnungen zu erhalten (vgl. hierzu BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 1.7.2022, S. 20; ACCORD, Anfragenbeantwortung zu Italien, 18.9.2020, S. 9 f.).
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Darüber hinaus bieten NGOs und Wohltätigkeitsorganisationen auch Schlafplätze an, deren Kapazitäten jedoch beschränkt sind. Nicht selten leben Menschen mit internationalem Schutzstatus jedenfalls vorübergehend auch in Notunterkünften, die lediglich einen Platz zum Schlafen anbieten und die nicht speziell für Flüchtlinge gewidmet sind, sondern auch italienischen Staatsbürgern in Notsituationen offenstehen (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 1.7.2022, S. 20).
42
Unter Berücksichtigung der vorstehenden Angaben ist festzuhalten, dass Schutzberechtigte in Italien häufig Probleme haben, eine Wohnung bzw. Unterkunft zu finden (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 1.7.2022, S. 20), und für diesen Personenkreis auch die Gefahr der (vorübergehenden) Obdachlosigkeit besteht (vgl. SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, 10.6.2021, S. 12 f.). Es liegen jedoch keine Erkenntnismittel vor, wonach tatsächlich ein größerer Teil der anerkannten Schutzberechtigten obdachlos ist. Vielmehr ist ein im Verhältnis zu ihrer Gesamtzahl ein eher kleiner Teil der Migranten tatsächlich obdachlos bzw. lebt in besetzten Häusern. Nach Schätzungen der MÈDECINS SANS FRONTIÈRES (= Ärzte ohne Grenzen) gibt es in Italien ungefähr 10.000 obdachlose Menschen (MSF, „OUT of sight“ - Second edition, Stand: 8.2.2018), unter denen sich auch anerkannte Schutzberechtigte befinden. Dass anerkannt Schutzberechtigte damit regelhaft bzw. systematisch der Obdachlosigkeit anheimfallen würden, lässt sich den aktuellen Erkenntnismitteln aber gerade nicht entnehmen.
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2.3.3. Durch die anerkannten Schutzberechtigten erteilte Aufenthaltserlaubnis haben diese Zugang zum italienischen Arbeitsmarkt bzw. zu einer Berufsausübung wie italienische Staatsangehörige (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 1.7.2022, S. 21). Das italienische Asylsystem geht dabei davon aus, dass anerkannte Schutzberechtigte ihren Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit selbst besorgen. Besondere Bedeutung für die Integration von anerkannten Flüchtlingen bzw. subsidiär Schutzberechtigten in den Arbeitsmarkt kommt dabei den örtlichen Arbeitsämtern sowie den SAI-Zentren zu. Anerkannte Personen können sich bei den örtlichen Arbeitsämtern anmelden und werden nach einer entsprechenden Registrierung über Stellenangebote informiert (ACCORD, Anfragenbeantwortung zu Italien, 18.9.2020, S. 10).
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Anerkannte Schutzberechtigte haben somit rein rechtlich den gleichen Zugang zum Arbeitsmarkt wie italienische Staatsangehörige. Die Situation für Arbeitssuchende stellt sich in Italien aufgrund der höheren Arbeitslosenzahl jedoch generell als schwierig dar (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 1.7.2022, S. 22). Weitere tatsächliche Zugangshindernisse zum Arbeitsmarkt stellen häufig fehlende Sprachkenntnisse und eine fehlende Berufsqualifikation bzw. die fehlende Anerkennung von solchen Qualifikationen dar (vgl. ACCORD, Anfragenbeantwortung zu Italien, 18.9.2020, S. 10). Nicht selten finden Schutzberechtigte nur Arbeit auf dem „informellen Arbeitsmarkt“ bzw. in der „Schattenwirtschaft“, wo sie häufig ausgebeutet werden (vgl. hierzu etwa BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 1.7.2022, S. 22; SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, 10.6.2021, S. 13). Darüber hinaus arbeiten viele Zuwanderer in der Landwirtschaft, oft unter prekären Bedingungen (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 1.7.2022, S. 21).
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Unabhängig von der insbesondere im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland deutlich schwierigeren Arbeitsmarktsituation in Italien, die sich durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie zunächst deutlich verschlechtert hatte, ging die Erwerbslosenquote in Italien im Jahr 2020 auf 9, 3 Prozent zurück, lag im Jahr 2021 bei 9,5 Prozent und im August 2022 bei 7,8 Prozent (vgl. Eurostat, Arbeitslosenquote im Euroraum; Istat, Employment and unemployment - August 2022). Damit liegt die Arbeitslosenquote Italiens aktuell deutlich unter dem Niveau der Jahre 2019 und früher, als die Arbeitslosigkeit in Italien durchgängig (und teilweise deutlich) über 10,0 Prozent lag (vgl. Eurostat, Arbeitslosenquote - insgesamt, zuletzt abgerufen am 26.9.2022). Das BIP Italiens wuchs im Jahr 2021 um 6,7 Prozent, was deutlich über dem Durchschnitt aller EU-Länder lag (vgl. Eurostat, Wachstumsrate des realen BIP-Volumen, zuletzt abgerufen am 26.9.2022). Auch die Beschäftigungslage in Italien hat sich im Zuge dessen kontinuierlich verbessert.
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Seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine hat sich die Dynamik der italienischen Wirtschaft aufgrund der unsicheren Aussichten und der Energie- und Rohstoffversorgungskrise allerdings wieder etwas abgeschwächt. Der stärkste Wirtschaftssektor ist derzeit der Dienstleistungssektor, der im Mai 2022 ein kräftiges Wachstum verzeichnete. Aus den jüngeren Prognosen geht hervor, dass im Jahr 2022 ein Bedarf an 1.531.450 Arbeitskräften besteht, von denen die meisten (1.209.060) im Dienstleistungssektor (insbesondere Dienstleistungen für Unternehmen, im Tourismus und in der Gastronomie) benötigt werden, gefolgt von der Industrie mit 322.400 vorgesehenen Neueinstellungen, vor allem im verarbeitenden Gewerbe und im öffentlichen Versorgungssektor. Die Provinzen mit den meisten Neueinstellungen sind Rom, Mailand und Neapel, während Triest, Reggio Emilia und Cuneo die meisten Stellen für junge Menschen bieten (vgl. hierzu Eures, Arbeitsmarktinformationen Italien, https://eures.ec.europa.eu/living-and-working/labour-market-information/labour-market-information-italy_de, zuletzt abgerufen am 26.9.2022).
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Landesweit blieben zuletzt 38,3% der angebotenen Stellen in Italien unbesetzt. Bei den Berufsgruppen, für die es große Personalfindungsschwierigkeiten gibt, handelt es sich in absteigender Reihenfolge um: Apotheker, Biologen und andere Biowissenschaftler, Ärzte und andere Gesundheitsfachkräfte, Führungskräfte und leitende Angestellte, Informatiker, Physiker und Chemiker, Arbeiter für Maschinenbau und Mechatronik, Kosmetik-Fachkräfte, Facharbeiter in der Holz- und Papierindustrie, Sozialarbeiter, Facharbeiter und Anlagenführer in der Textil-, Bekleidungs- und Schuhindustrie, aber auch Köche, Kellner und weitere Dienstleistungsberufe im Tourismus sowie Personal für Empfang und Kundeninformation. Besonders schwierig ist dabei die Suche nach Bewerbern für Unternehmen in den Regionen des Nordostens, gefolgt von Unternehmen im Nordwesten, in Mittelitalien und im Süden und auf den Inseln (vgl. hierzu Eures, Arbeitsmarktinformationen Italien, https://eures.ec.europa.eu/living-and-working/labour-market-information/labour-market-information-italy_de, zuletzt abgerufen am 26.9.2022).
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In Italien bestehen somit unter Berücksichtigung der genannten wirtschaftlichen Gesamtumstände zur Überzeugung des Gerichts durchaus realistische Beschäftigungsmöglichkeiten für rückkehrende Schutzberechtigte, auch wenn diese aufgrund fehlender Berufsqualifikationen und schlechter Sprachkenntnisse häufig auf schlecht bezahlte Jobs in der Landwirtschaft und im Dienstleistungssektor beschränkt sein werden.
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Darüber hinaus haben anerkannte Schutzberechtigte in Italien zwar keinen Anspruch auf staatliche Sozialhilfe, die mit der in Deutschland gewährten Sozialhilfe vergleichbar wäre (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, 8/2016, S. 52). Einen solchen Anspruch haben aber auch italienische Staatsangehörige nicht. Das italienische Sozialsystem ist insgesamt sehr schwach ausgebildet, was daran liegt, dass es auf die in Italien traditionell starken Familienstrukturen aufsetzt und daher insbesondere keinerlei Nothilfen garantiert (vgl. hierzu BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 1.7.2022, S. 22).
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Gleichwohl gibt es seit März 2019 eine Art Grundeinkommen, ein sog. Bürgergeld. Voraussetzung für dessen Bezug ist jedoch, dass man mindestens die letzten zehn Jahre in Italien gewohnt hat, so dass anerkannt Schutzberechtigte diese Voraussetzungen in aller Regel nicht erfüllen (vgl. AIDA, Country Report: Italy, Update 5/2022, S. 221; BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 1.7.2022, S. 21).
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Darüber hinaus gibt es in Italien einzelne, in den Zuständigkeitsbereich der Regionen oder Kommunen fallende Fürsorgeleistungen, die hinsichtlich ihrer Voraussetzungen, des Empfängerkreises und der Leistungshöhe jedoch stark variieren (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 1.7.2022, S. 22; Raphaelswerk, 6/2020, S. 14 f.; ACCORD, Anfragenbeantwortung zu Italien, 18.9.2020 S. 11 f.).
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2.3.4. Hinsichtlich der medizinischen Versorgung haben Anerkannte in Italien die gleichen Rechte und Pflichten wie italienische Staatsbürger, sobald sie beim Nationalen Gesundheitsdienst registriert sind. Die Registrierung gilt für die Dauer der Aufenthaltsberechtigung und erlischt auch nicht in der Verlängerungsphase (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 1.7.2022, S. 22). Für die Registrierung ist dabei eine gültige Aufenthaltserlaubnis oder ein Nachweis, dass die Verlängerung bzw. Ausstellung angefordert wurde, ein Wohnnachweis oder bei Nichtvorhandensein eine Erklärung zum aktuellen Wohnort sowie eine Steuernummer notwendig (ACCORD, Anfragenbeantwortung zu Italien, 18.9.2020 S. 11). Nach der neueren Rechtslage ist die Einschreibung beim Nationalen Gesundheitsdienst jedoch bereits auf Basis des sog. „domicilio“ garantiert, der üblicherweise im Aufnahmezentrum liegt (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 11.11.2020, S. 20).
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Unabhängig davon besteht auch für anerkannte Schutzberechtigte bis zur Registrierung im Gesundheitssystem ein Zugang zu medizinischen Basisleistungen und insbesondere einer medizinischen Notfallversorgung (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 1.7.2022, S. 16).
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2.3.5. Unter Berücksichtigung der dargestellten Aufnahmebedingungen in Italien und der persönlichen Umstände des Klägers ist zur Überzeugung des Gerichts nicht davon auszugehen, dass dieser im Falle seiner Rückkehr nach Italien dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GrCh i.V.m. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden.
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Beim Kläger handelt es sich um einen jungen, gesunden, arbeitsfähigen Mann ohne Unterhaltsverpflichtungen. In Somalia hat der Kläger nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung sein Abitur gemacht, so dass er über eine ordentliche Schulbildung verfügt. Der Kläger spricht neben Somalisch zwar nach eigenen Angaben nur einige Worte Italienisch, kann dafür aber auch etwas Englisch sprechen, was ihm in Italien zu einem gewissen Maße von Vorteil sein wird. Der Kläger hat in Libyen bereits in der Landwirtschaft gearbeitet, so dass er auch auf eine gewisse Berufserfahrung - jedenfalls in diesem Arbeitssektor - zurückgreifen kann.
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Schließlich geht das Gericht davon aus, dass der Kläger in Italien jedenfalls für die Anfangszeit auch noch auf einen Freundeskreis zurückgreifen kann. Denn bei seiner Anhörung beim Bundesamt (vgl. Seite 2 der Niederschrift zur Zulässigkeit des Asylantrags) hatte er angegeben, zuletzt bei Freunden in Rom gelebt zu haben. Zwar hat der Kläger diese Angaben in der mündlichen Verhandlung pauschal bestritten und vorgetragen, keinerlei Freunde und Bekannte in Italien zu haben. Die Aussagen des Klägers in der mündlichen Verhandlung erachtet das Gericht aber aufgrund der insoweit eindeutigen Angaben beim Bundesamt als asyltaktisch motiviert und daher unglaubhaft. Dies umso mehr, als der Kläger beim Bundesamt weiter angab, seine Unterkunft verlassen zu haben, weil er nicht in Italien bleiben wollte, da es dort schwierig sei, sein Leben zu meistern und er dort keine Perspektive für sich sah (vgl. Seite 3 der Niederschrift zur Zulässigkeit des Asylantrags). Dementsprechend war die Eigeninitiative des Klägers, sich selbst um Arbeit zu kümmern, nicht sehr ausgeprägt; außer auf Rückmeldung durch die entsprechende Stelle in seiner Aufnahmeeinrichtung zu warten hat der Kläger nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung keine weiteren eigenständigen Versuche unternommen, Arbeit zu finden.
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Schließlich handelt es sich beim Kläger nicht um eine Person, die losgelöst von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen vollständig von öffentlicher Unterstützung abhinge. Dem Kläger droht daher zur Überzeugung des Gerichts in Italien keine unmenschliche oder entwürdigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GrCh i.V.m. Art. 3 EMRK. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass dem Kläger ein Fußfassen in Italien ein hohes Maß an Eigeninitiative und einiges an Anstrengungen abverlangen wird. Dass der Kläger hierzu als junger, gesunder Mann nicht in der Lage wäre bzw. ihm dies nicht zumutbar wäre, ist allerdings nicht ersichtlich.
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Aufgrund der vorstehenden Feststellungen steht somit unter Berücksichtigung des hier maßgeblichen Zeitpunkts (§ 77 Abs. 1 Satz 1) Art. 4 GrCh i.V.m. Art. 3 EMRK der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nicht entgegen.
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3. Auch einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hat der Kläger nicht.
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3.1. Die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG hat das Bundesamt zu Recht verneint. Einen entsprechenden Anspruch hat der Kläger zum hier maßgeblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) nicht.
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Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
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Da dem Kläger als gesundem, arbeitsfähigem Mann in Italien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GrCh i.V.m. Art. 3 EMRK droht, scheidet auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu seinen Gunsten aus. Insoweit wird auf die Ausführungen unter 2.3. Bezug genommen. Die Verletzung sonstiger Konventionsrechte ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Das Bundesamt hat die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG somit zu Recht verneint.
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3.2. Auch die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG sind nicht gegeben. Nach Satz 1 dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG allerdings nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, vor. Für eine derart schwerwiegende Erkrankung fehlen im Falle des Klägers jegliche Anhaltspunkte. Insbesondere ist es auch nicht ausreichend wahrscheinlich, dass der Kläger als junger, gesunder Mann ernsthaft an Covid-19 erkranken wird (vgl. hierzu etwa Report of the WHO-China Joint Mission on Coronavirus Disease 2019 (COVID-19), 24.2.2020, S. 12).
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4. Hinsichtlich der Abschiebungsandrohung und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots hat der Kläger keine Rechtsfehler geltend gemacht. Solche sind auch nicht ersichtlich.
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Die Klage war somit vollumfänglich abzuweisen.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.