Titel:
Keine Aussetzung von Diesel-Fällen im Hinblick auf die Schlussanträge des Generalanwaltes Rantos vom 02.06.2022
Normenketten:
BGB § 199 Abs. 3 Nr. 1, § 438, § 823 Abs. 2, § 826, § 831
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 5 Abs. 2
RL 2007/46/EG Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1, Art. 46
AEUV Art. 288 Abs. 3
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 252
Leitsätze:
1. Unabhängig von der Frage, ob davon auch der Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrages erfasst sein soll, scheidet die RL 2007/46/EG selbst schon mangels unmittelbarer Geltung (vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV) als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB aus. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Auffassung des Generalanwalts Rantos ändert nichts daran, dass es sich bei den §§ 6 und 27 EG-FGV um kein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB handelt, das wirtschaftliche Interessen individueller Erwerber von Kraftfahrzeugen schützen soll. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch ohne eine Einordnung der § 6, § 27 EG-FGV als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB stehen in der deutschen Rechtsordnung zahlreiche - abgestufte - Instrumente des Vertrags- und Deliktsrechts bereit, die nicht nur das Interesse des Erwerbers schützen, nicht ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug zu erwerben bzw. nutzen zu müssen, sondern zudem einen erheblichen Anreiz für die Hersteller von Motoren bieten, unionsrechtliche Vorschriften einzuhalten. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
4. Es ist kein Grund erkennbar, weshalb ein Fahrzeughersteller gegenüber einem Erwerber, mit dem er keinen Vertrag geschlossen hat, bereits bei leichter Fahrlässigkeit umfassender haften müsste als nach den Regelungen des Kaufrechts, das einerseits die Möglichkeit der Nacherfüllung und andererseits eine kenntnisunabhängige zweijährige Verjährung von Mängelansprüchen ab Ablieferung vorsieht, während Ansprüche aufgrund Schutzgesetzverletzungen gegebenenfalls erst in zehn Jahren von ihrer Entstehung an verjähren. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Schlussanträge, Generalanwalt, Unionsrecht, Schutz wirtschaftlicher Interessen, Schutzgesetz, Abschluss eines ungewollten Vertrages, leichte Fahrlässigkeit
Vorinstanz:
LG Ansbach, Beschluss vom 14.09.2022 – 2 O 15/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 29323
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Landgerichts Ansbach vom 14.09.2022, Az. 2 O 15/22, wird zurückgewiesen.
Gründe
1
I. Die sofortige Beschwerde ist statthaft, § 252 ZPO, da nicht eine Vorlage an den EuGH im vorliegenden Verfahren in Rede steht, sondern im Hinblick auf ein anderes vorgelegtes Verfahren ausgesetzt werden soll (vgl. Greger, in: Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 252 Rdnr. 2, m. w. N.).
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II. In der Sache bleibt die Beschwerde aber ohne Erfolg. Das Landgericht hat im angefochtenen Beschluss sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt.
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1. Die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mag insofern drittschützende Wirkung zugunsten der Fahrzeugerwerber haben, als deren Interesse betroffen ist, dass ein erworbenes Fahrzeug zur Nutzung im Straßenverkehr zugelassen wird und dass diese Nutzung nicht aufgrund mangelnder Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ bzw. den für diesen Typ geltenden Rechtsvorschriften untersagt wird. Eine Verletzung dieses Interesses macht die Klagepartei hier aber nicht geltend. Sie verlangt von der Beklagten nicht die Erstattung von Schäden, die ihr durch eine verzögerte (Erst-)Zulassung seines Fahrzeugs entstanden sind. Vielmehr macht die Klagepartei als verletztes Schutzgut ihr wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht und damit den Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags geltend. Diese Interessen werden vom Schutzzweck der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 indes nicht erfasst (BGH, Beschluss vom 10.02.2022 - III ZR 87/21, juris, Rdnr. 13 f.; Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 5/20, juris, Rdnr. 14 f., Beschluss vom 10.11.2021 - VII ZR 415/21, juris, Rdnr. 18; auch: OLG Koblenz, Beschluss vom 20.06.2022 - 15 U 2169/21, juris, Rdnr. 8). Entsprechendes gilt in Bezug auf § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, juris, Rdnr. 76). Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liegt nicht im Aufgabenbereich der Norm.
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Die Schlussanträge des Generalanwalts R. vom 02.06.2022 in der Rechtssache C-100/21 führen zu keiner anderen Bewertung.
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a) Der VO (EG) Nr. 715/2007, die unmittelbar anwendbar ist, misst der Generalanwalt selbst keine Wirkung zum Schutz der Interessen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs zu, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist (vgl. Nr. 41).
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b) Zwar vertritt er die Auffassung, die Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der RL 2007/46 seien dahingehend auszulegen, dass sie die Interessen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs schützen, insbesondere das Interesse, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 715/2007 ausgestattet ist (vgl. Nr. 50). Unabhängig von der Frage, ob davon auch der Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrages erfasst sein soll, scheidet die RL 2007/46/EG selbst aber schon mangels unmittelbarer Geltung (vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV) als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB aus (Hager, in: Staudinger [2021], BGB, § 823 Rdnr. G 9; Sprau, in: Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 823 Rdnr. 57 m. w. N.). Denn EU-Richtlinien entfalten grundsätzlich keine Direktwirkung im Verhältnis zwischen privaten Rechtssubjekten; eine sogenannte horizontale Drittwirkung von ihnen ist ausgeschlossen (EuGH, Urteil vom 18.01.2022 ‒ C-261/20, juris, Rdnr. 31 f.; Urteil vom 07.03.1996 ‒ C-192/94, juris, Nr. 10; Urteil vom 14.07.1994 ‒ C91/92, juris, Nr. 20 ff.).
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c) Die Auffassung des Generalanwalts R. ändert auch nichts daran, dass es sich jedenfalls bei den zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen §§ 6 und 27 EG-FGV um kein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB handelt, das wirtschaftliche Interessen individueller Erwerber von Kraftfahrzeugen schützen soll (BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 5/20, juris Rdnr. 11; Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, juris, Rdnr. 74).
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aa) Eine Rechtsnorm ist ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, wenn sie zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zugunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder zumindest mitgewollt hat. Es genügt, dass die Norm auch das Interesse des Einzelnen schützen soll, mag sie auch in erster Linie dasjenige der Allgemeinheit im Auge haben.
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Nicht ausreichend ist es indes, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm nur als ihr Reflex objektiv erreicht wird; er muss vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen. Außerdem muss die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheinen, wobei in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die Norm gestellt ist, zu prüfen ist, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen konnte, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zugunsten des Geschädigten gegebenen Haftungs- und Beweiserleichterungen zu knüpfen (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, Rdnr. 73 m. w. N.).
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bb) Diese Voraussetzungen sind bezogen auf §§ 6, 27 EG-FGV nicht gegeben.
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Auch ohne eine Einordnung der §§ 6, 27 EG-FGV als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB stehen in der deutschen Rechtsordnung zahlreiche - abgestufte - Instrumente des Vertrags- und Deliktsrechts bereit, die nicht nur das Interesse des Erwerbers schützen, nicht ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug zu erwerben bzw. nutzen zu müssen, sondern zudem einen erheblichen Anreiz für die Hersteller von Motoren bieten, unionsrechtliche Vorschriften einzuhalten. So ist ein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher unerlaubter Handlung gemäß § 826 BGB (in Verbindung mit § 31 BGB bzw. § 831 BGB) gegen den Hersteller eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Motors zwar von strengen Voraussetzungen abhängig; diese wurden allerdings bereits in vielen tausenden Fällen mit der Folge einer Haftung des Motorenherstellers bejaht. Überdies stehen dem Erwerber eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs in aller Regel - verschuldensunabhängig - vertragliche Ansprüche zu, die insbesondere auf Nacherfüllung gerichtet sind und gegebenenfalls - falls es sich bei dem Verkäufer des Fahrzeugs nicht um den Motorenhersteller handeln sollte - zu Regressansprüchen gegen den Hersteller des Motors führen. Schließlich sind auch die nach deutschem Recht vorgesehenen Strafen und Bußgelder (unter anderem § 37 Abs. 1 EG-FGV) und die hoheitlichen Befugnisse der Aufsichtsbehörden (vgl. § 25 EG-FGV) zu berücksichtigen. Die in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 02.06.2022 (dort Nr. 58) wiedergegebene Auffassung des vorlegenden Gerichts, Hersteller hätten „nach derzeitigem Rechtsstand keine Inanspruchnahme zu befürchten“, trifft nach alldem erkennbar nicht zu.
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Das auf verschiedenen Anspruchsgrundlagen mit unterschiedlichen Voraussetzungen basierende bestehende System zeichnet sich dadurch aus, dass die den Hersteller treffenden Sanktionen und die dem Erwerber zustehenden Ansprüche erheblich davon abhängen, welcher Verschuldensvorwurf dem Hersteller zu machen ist. So ist beispielsweise ein Hersteller, der im Sinne von § 826 BGB vorsätzlich sittenwidrig geschädigt hat, nicht nur inhaltlich, sondern - aufgrund differenzierter Verjährungsvorschriften - auch zeitlich deutlich weitergehenden Rechtsfolgen ausgesetzt als ein solcher, den lediglich der Vorwurf leichter Fahrlässigkeit trifft.
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(1) Mit der EG-FGV, der Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbstständige technische Einheiten für diese Fahrzeuge, - einer gemeinsamen Verordnung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und des Bundesministeriums des Innern - bezweckte der nationale Normgeber in Umsetzung der RL 2007/46/EG in nationales Recht die Harmonisierung des öffentlichrechtlichen Zulassungsrechts von Kraftfahrzeugen. Die Absicht, darüber hinaus die Interessen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs zu schützen, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, lässt sich weder dem Wortlaut der nationalen Normen entnehmen noch ergibt sie sich aus sonstigen Umständen. Vielmehr ist den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 02.06.2022 (dort Nr. 42) zu entnehmen, dass die Bundesregierung - in Übereinstimmung mit der allgemeinen Ansicht (vgl. dazu oben) - sogar ihre gegenteilige Auffassung explizit zum Ausdruck gebracht hat.
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(2) In umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die §§ 6, 27 EG-FGV gestellt sind, erscheint es zudem weder sinnvoll noch tragbar, dem individuellen Erwerber eines Kraftfahrzeugs gestützt auf die genannten Normen einen Schadensersatzanspruch bereits dann einzuräumen, wenn ein Hersteller - gegebenenfalls sogar bloß fahrlässig - ein Kraftfahrzeug mit einer gemäß Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet hat. Das gilt auch unter Berücksichtigung dessen, dass die nationalen Gerichte gehalten sind, das Gemeinschaftsrecht möglichst wirksam anzuwenden (Effet utile), und nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aufgrund des Umsetzungsgebots gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV und des Grundsatzes der Gemeinschaftstreue gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtet sind, die Auslegung des nationalen Rechts unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihnen das nationale Recht einräumt, soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (richtlinien- bzw. unionsrechtskonforme Auslegung, vgl. EuGH, Urteil vom 10.12.2020 - C-735/19, juris, Rdnr. 75; BGH, Urteil vom 18.11.2020 - VIII ZR 78/20, juris, Rdnr. 25; jeweils m. w. N.). Denn die Umsetzung von Richtlinien ist nur insoweit erforderlich, wie der bestehende Rechtszustand nicht bereits den Vorgaben der Richtlinie entspricht. Im Falle der Übereinstimmung von Richtlinienauftrag und nationalem Rechtszustand bedarf es daher weder einer Umsetzung noch eines Hinweises, dass die bestehenden nationalen Rechtsnormen nunmehr durch eine Richtlinienbestimmung festgeschrieben und in deren Licht zu interpretieren sind.
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Dieses abgestufte und interessengerechte System würde im Ergebnis zerstört, wenn die §§ 6, 27 EG-FGV in der Weise als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ausgelegt würden, dass beispielsweise schon ein auf leichter Fahrlässigkeit beruhender Verstoß gegen sich aus der VO (EG) Nr. 715/2007 ergebenden Verpflichtungen einen auf Rückabwicklung des Kaufvertrags gerichteten deliktischen Schadensersatzanspruch eines Fahrzeugerwerbers zur Folge hätte, der noch viele Jahre nach Herstellung des Motors geltend gemacht werden könnte. Eine derartig weitgehende, den Grad des Verschuldens nicht ausreichend berücksichtigende Haftung von Motorenherstellern würde einen durch nichts gerechtfertigten Fremdkörper in der deutschen Rechtsordnung darstellen, der den - unter anderem in Art. 5 Abs. 4 EUV verankerten - Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die Grundsätze des Vertrauensschutzes verletzen und in Hinblick auf Regelungen des Kaufrechts und die Haftung für sonstige Konstruktionsfehler Wertungswidersprüche mit sich bringen würde. So ergäben sich auch für weit zurückliegende Produktionszeiträume erhebliche Haftungsrisiken, mit denen Fahrzeug- und Motorenhersteller bislang nicht rechnen mussten und für die sie keine Rückstellungen bilden konnten.
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Es wäre auch nicht einzusehen, weshalb unzulässige Abschalteinrichtungen anders als alle anderen Konstruktionsfehler von Fahrzeugen behandelt werden sollten (z. B. vorzeitig alternde Bremsschläuche), die im Rahmen des Zulassungsverfahrens nicht auffallen, die Zulassungsfähigkeit der Fahrzeuge aber gleichwohl gefährden, so dass der weitere Betrieb des Fahrzeugs untersagt werden müsste, falls sich der Erwerber der Nachrüstung widersetzt.
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Schließlich ist auch kein Grund erkennbar, weshalb ein Fahrzeughersteller gegenüber einem Erwerber, mit dem er keinen Vertrag geschlossen hat, bereits bei leichter Fahrlässigkeit umfassender haften müsste als nach den Regelungen des Kaufrechts, das einerseits die Möglichkeit der Nacherfüllung und andererseits eine kenntnisunabhängige zweijährige Verjährung von Mängelansprüchen ab Ablieferung vorsieht (§ 438 BGB), während Ansprüche aufgrund Schutzgesetzverletzungen gegebenenfalls erst in zehn Jahren von ihrer Entstehung an verjähren (vgl. § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB).
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Solche Wertungswidersprüche und die Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips und der Grundsätze des Vertrauensschutzes werden mit der RL 2007/46/EG nicht angestrebt und sind zu ihrer Umsetzung nicht erforderlich. Das gilt auch dann, wenn man - entsprechend den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 02.06.2022 (dort Nr. 50 und Nr. 78) - unterstellt, die Richtlinie diene (auch) dem wirtschaftlichen Interesse, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist. Denn jedenfalls ist nicht ersichtlich - und auch aufgrund der weiteren Ausführungen des Generalanwalts in den Schlussanträgen vom 02.06.2022 nicht anzunehmen -, dass die Richtlinie bezogen auf das genannte Interesse des Fahrzeugerwerbers ein bestimmtes Rechtsschutzniveau vorgäbe, das in Deutschland unterschritten wäre, falls die §§ 6 und 27 EG-FGV nicht als Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB angesehen würden. Soweit der Generalanwalt in den Schlussanträgen vom 02.06.2022 (dort Nr. 65 und Nr. 78) die Ansicht vertritt, die Mitgliedstaaten müssten vorsehen, dass „ein Erwerber eines Fahrzeugs einen Ersatzanspruch gegen den Fahrzeughersteller hat, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 12 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist“, kann damit sinnvollerweise nicht gemeint sein, ein solcher Ersatzanspruch müsse unabhängig von weiteren Voraussetzungen eingeräumt werden. Vielmehr ergibt sich Gegenteiliges schon aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und wird auch in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 02.06.2022 dadurch angedeutet, dass dort (Nr. 59) die Auffassung des vorlegenden Gerichts wiedergegeben wird, „auch fahrlässige Verstöße“ sollten einen Anspruch begründen. Denn das legt nahe, dass Ansprüche von einem Verschulden des Herstellers abhängig gemacht werden dürfen. Soweit in den Schlussanträgen des Generalanwalts (dort Nr. 58 und Nr. 59) zum Ausdruck kommt, die dem Erwerber eines Fahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung derzeit nach deutschem Recht zustehenden Ansprüche seien unzureichend, handelt es sich nicht um eine eigene Bewertung des Generalanwalts, sondern um eine Wiedergabe der „Auffassung des vorlegenden Gerichts“, die ihrerseits ‒ wie ausgeführt ‒ auf falschen Annahmen beruht.
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2. Im Hinblick hierauf ist es nicht ermessensfehlerhaft, die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens zu verneinen.
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III. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. Greger, a. a. O., Rdnr. 5, m. w. N.