Inhalt

OLG München, Beschluss v. 07.09.2022 – 24 U 2745/22
Titel:

Keine Aussetzung des Verfahrens in einem Dieselfall im Hinblick auf anderweitige Vorlage an den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren

Normenketten:
AEUV Art. 267 Abs. 1
ZPO § 148
BGB § 823 Abs. 2
EG-FGV § 6, § 27
Leitsätze:
1. Der Senat ist nicht bereits deshalb zur Anrufung des EuGH verpflichtet, weil einzelstaatliche Gerichte in Rechtssachen aus dem Bereich der sogenannten Abgasthematik, die der beim Senat anhängigen ähneln und die gleiche Problematik betreffen, dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung nach Art. 267 Abs. 1 bis Abs. 3 AEUV vorgelegt haben. Ebenso wenig ist der Senat verpflichtet, die Antwort auf diese Frage abzuwarten und das bei ihm rechtshängige Verfahren analog § 148 ZPO auszusetzen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bereits das bestehende deutsche Vertrags- und Deliktsrecht hält zahlreiche - abgestufte - Instrumente bereit, die hinreichend wirksam das Interesse eines Erwerbers schützen, nicht ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug zu erwerben. Es darf in der deutschen Rechtsordnung nicht der Einordnung der Vorschriften der EG-FGV als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, um das Interesse der Käufer von Fahrzeugen, die mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet sind, angemessen zu schützen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zivilverfahren, Aussetzung, anderweitige Vorlage an den EuGH, Vorabentscheidungsverfahren, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, Schutzgesetz
Vorinstanz:
LG Memmingen, Urteil vom 21.04.2022 – 24 O 1938/21
Fundstelle:
BeckRS 2022, 29311

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 21.04.2022, Aktenzeichen 24 O 1938/21, wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag des Klägers, das Verfahren gemäß § 148 ZPO bis zu der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in den Verfahren C-100/21 auszusetzen, wird zurückgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Memmingen ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 14.024,41 € festgesetzt.

Gründe

1
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 21.04.2022, Aktenzeichen 24 O 1938/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 27.07.2022 (Bl. 217/225) Bezug genommen.
3
Die Gegenerklärung des Klägers vom 26.08.2022 (Bl. 231/236 d. A.) rechtfertigt keine andere Beurteilung als im Hinweis dargelegt.
4
1. Der Kläger trägt, wie bereits mit der Berufungsbegründung und in den vorausgegangenen Schriftsätzen, weiterhin seine von den rechtlichen Beurteilungen des Landgerichts und des Senats abweichenden Auffassungen vor. Der Senat hält jedoch auch in Ansehung der neuerlichen Ausführungen des Klägers insbesondere zum Thermofenster und zu einer Verringerung der Abgasrückführung an den im Hinweisbeschluss dargelegten rechtlichen Beurteilungen fest.
5
Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Kläger auch weiterhin keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung seitens der Beklagten vorgetragen und belegt.
6
Daran ändert auch der erstmals mit der Gegenerklärung vorgelegte Auszug aus der Rückrufdatenbank des KBA (Anlage BK 5) nichts. Der Kläger hat zum einen weiterhin nicht belegt, dass sein Fahrzeug von einem Rückruf betroffen ist und zum anderen auch keine Hinweise für eine sittenwidrige Täuschung des KBA durch die Beklagte dargelegt.
7
2. Der (hilfsweise gestellte) Antrag des Klägers auf Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO war zurückzuweisen.
8
Zur Begründung seines Aussetzungsantrags stützt sich der Kläger auf (die Absetzung eines für den 30.06.2022 geplanten Verhandlungstermins durch den VII. Zivilsenat des BGH und) die Pressemitteilung des VIa. Zivilsenats des BGH vom 01.07.2022 im Verfahren VIa ZR 335/21.
9
Weder aus den Schlussanträgen noch der Pressemitteilung vom 01.07.2022 folgt eine Verpflichtung der Instanzgerichte, Verfahren aus dem Bereich der sogenannten Abgasthematik bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs auszusetzen. Eine solche Verpflichtung besteht nach gefestigter Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofs als auch des Bundesgerichtshofs im Falle von Vorabentscheidungsersuchen anderer nationaler Gerichte gerade nicht. Demzufolge hat der Senat auch aufgrund der Formulierung keinen Anlass anzunehmen, dass der Bundesgerichtshof mit seiner Presseerklärung vom 01.07.2022 im Verfahren VIa ZR 335/21 hiervon abweichen und eine Wartepflicht der Instanzgerichte statuieren wollte.
10
Der Senat ist nach gefestigter Rechtsprechung nicht bereits deshalb zur Anrufung des EuGH verpflichtet, weil einzelstaatliche Gerichte in Rechtssachen, die der beim Senat anhängigen ähneln und die gleiche Problematik betreffen, dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung nach Art. 267 Abs. 1 - 3 AEUV vorgelegt haben (vgl. EuGH, Urteil vom 09.09.2015 - C-72/14, C-197/14, BeckRS 2015, 81095; BGH, NVwZ-RR 2020, 436 Rn. 51). Ebenso wenig ist der Senat verpflichtet, die Antwort auf diese Frage abzuwarten und das bei ihm rechtshängige Verfahren analog § 148 ZPO auszusetzen (vgl. EuGH, Urteil vom 09.09.2015 - C-72/14, C-197/14, BeckRS 2015, 81095; BGH, NVwZ-RR 2020, 436 Rn. 51). Der Bundesgerichtshof hat dies jüngst mit Beschluss vom 14.06.2022, VIII ZR 409/21 für eine Vorlage zum Europäischen Gerichtshof (wiederum durch das Landgericht Ravensburg) zum Verhältnis zwischen Verbraucherkreditlinie und Kilometerleasingverträgen nochmals ausdrücklich bestätigt.
11
In Anwendung seines richterlichen Ermessens hält der Senat weiterhin eine Aussetzung des Verfahrens nicht für sachgerecht.
12
Die Schlussanträge des Generalanwalts R. vom 02.06.2022 erfordern ein Abwarten durch den Senat nicht. Selbst wenn entsprechend der in den Schlussanträgen (dort Rn. 50 und Rn. 78 Ziff.1) vertretenen Auffassung davon ausgegangen würde, die RL 2007/46/EG solle (auch) das Interesse des individuellen Erwerber seines Kraftfahrzeugs schützen, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, handelt es sich bei den zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen §§ 6 und 27 EG-FGV nicht um Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB. Der VO (EG) Nummer 715/2007, die unmittelbar anwendbar ist, misst selbst der Generalanwalt keine Schutzwirkung zugunsten von Vermögensinteressen von Fahrzeugerwerbern zu.
13
Bereits das bestehende deutsche Vertrags- und Deliktsrecht hält zahlreiche - abgestufte - Instrumente bereit, die hinreichend wirksam das Interesse eines Erwerbers schützen, nicht ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug zu erwerben und zugleich auch einen erheblichen Anreiz für die Hersteller von Motoren bedingen, unionsrechtliche Vorschriften einzuhalten. Vor diesem Hintergrund bedarf es in der deutschen Rechtsordnung über die bestehenden Institute des Vertrags- und Deliktsrechts hinaus nicht der Einordnung der Vorschriften der EG-FGV als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, um das Interesse der Käufer von Fahrzeugen, die mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet sind, angemessen zu schützen (im gleichen Sinne OLG Stuttgart, Urteil vom 28.06.2022, 24 U 115/22, Seite 27 ff; dort auch eingehend zu entstehenden nicht hinnehmbaren Wertungswidersprüchen, wollte man den Bestimmungen der §§ 6 und 27 EG-FGV Schutzgesetzcharakter im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB beimessen).
14
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
15
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.
16
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.