Titel:
Keine Rücküberstellungshaft bei Rücknahme des Haftantrages und Zugang des Asylantrages beim zuständigen Amt
Normenketten:
AsylG § 14 Abs. 3, § 55
FamFG § 425 Abs. 3, § 420 Abs. 1, § 426 Abs. 1
Leitsatz:
Der Betroffene hat ein aus §§ 14 Abs. 3, 55 AsylG abzuleitendes Aufenthaltsrecht, weil der Asylantrag dem BAMF zugegangen ist und sich der Betroffene für eine juristische Sekunde nicht in Haft befand, da die Bundespolizeiinspektion den Haftantrag zwischenzeitlich zurückgenommen hat. Somit lagen die Voraussetzungen zur Unbeachtlichkeit nach § 14 Abs. 3 AsylG für diese juristische Sekunde nicht (mehr) vor und der Asylantrag bewirkt daher die Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylG mit der Folge, dass weitere Haft nicht mehr angeordnet werden kann. (Rn. 10 – 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abschiebung, Abschiebehaft, Haftbefehl, Asylantrag, Aufenthaltsrecht, Unbeachtlichkeit, BAMF, Sicherungshaft, Aufenthaltsgestattung, Freilassung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 29191
Tenor
1. Der Beschluss des Amtsgerichts Hof vom 21.01.2022, mit welchem Rücküberstellungshaft bis zum Ablauf des 26.01.2022 angeordnet wurde, wird aufgehoben.
2. Der Antrag der Regierung von Oberfranken vom 20.01.2022 auf Anordnung von Rücküberstellungshaft bis 11.03.2022 wird zurückgewiesen.
Gründe
1
Der Betroffene wurde am 24.11. 2021 gegen 14:00 Uhr gegen 15:40 Uhr mit 5 weiteren Personen als Mitfahrer eines Pkw bulgarischer Zulassung im Bezirk H. einer Fahrzeugkontrolle unterzogen und händigte einen verfälschten moldawischen Pass aus. Die Ermittlungen haben ergeben, dass alle Fahrzeuginsassen über Polen nach Deutschland eingereist sind und entweder nach Frankreich wollten, um dort eine Arbeitstätigkeit nachzugehen oder, wie der Betroffene äußere, in Deutschland zu bleiben. Im Besitz eines gültigen Passes ist der Betroffene nicht.
2
Die BPolI Selb beabsichtigte zunächst, den Betroffenen, der die russische Staatsangehörigkeit besitzt, aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nach Russland abzuschieben und hat am 25.11.2021 beantragt, gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 17.02.2021 unter Anordnung der sofortigen Wirksamkeit anzuordnen. Daraufhin wurde mit Beschluss des erkennenden Gerichts vom 25.11.2021 Sicherungshaft bis 17.02.2022 angeordnet.
3
Über die hiergegen eingelegte Beschwerde zum Landgericht Hof ist noch nicht entschieden worden. Am 21.01.2022 wurde der Haftbefehl wegen Antragsrücknahme aufgehoben und dies dem Betroffenen im Anhörungstermin bekanntgegeben.
4
Aufgrund der Asylantragstellung des Betroffenen und der nunmehr beabsichtigten Rücküberstellung des Betroffenen nach Polen im Rahmen des Dublin-Verfahrens hat die nunmehr zuständige Ausländerbehörde, die Regierung von Oberfranken mit Schriftsatz vom 20.01.2022, eingegangen bei Gericht per Telefax am 21.01.2022, 10:56 Uhr beantragt, die Haft zur Sicherung der Überstellung bis 11.03.2022 anzuordnen. Auf den Schriftsatz wird Bezug genommen.
5
Nachdem der Verfahrensbevollmächtigte an der Teilnahme des Anhörungstermins vom 21.01.2022 verhindert war, hat das erkennende Gericht die Rücküberstellungshaft im Wege der einstweiligen Anordnung bis zum Ablauf des 26.01.2022 angeordnet.
6
Die Ausländerakte der Betroffenen lag dem Gericht vor Erlass dieses Beschlusses vor.
7
Im Rahmen der heutigen Anhörung wurde dem Betroffenen gemäß §§ 425 Abs. 3, 420 Abs. 1 FamFG in der gebotenen Weise vor der Entscheidung rechtliches Gehör gewährt und er persönlich angehört.
8
Der Verlängerungsantrag der Antragstellerin ist dem Betroffenen vor der Anhörung bereits vor Erlass der einstweiligen Anordnung übersetzt und damit der gesamte Antragsinhalt bekannt gegeben worden. Ein Abdruck des Antrags ist dem Betroffenen überlassen worden. Der Betroffene war in der Lage, sich zu sämtlichen Angaben der Antragstellerin zu äußern. Es handelt sich vorliegend um einen überschaubaren Sachverhalt, den der Betroffene vor der Anhörung ausreichend erfassen konnte. Zudem hatte er bereits aufgrund des Erstbeschlusses des Amtsgerichts Hof Kenntnis von den tatsächlichen Umständen, die die Ausländerbehörde dem Antrag zugrunde gelegt hat.
9
Der Antrag der Regierung von O. vom 20.01.2022 auf Anordnung von Rücküberstellungshaft bis 11.03.2022 war zurückgewiesen.
10
Der Betroffenen hat ein aus §§ 14 Abs. 3, 55 AsylG abzuleitendes Aufenthaltsrecht.
11
Zwar ist die ursprüngliche Haftanordnung am 25.11.2021 ergangen, weil der Betroffene in sein Heimatland abgeschoben werden sollte, so dass der am 29.12.2021 gestellte Asylantrag gem. § 14 Abs. 3 Nr. 5 AsylG die Haftanordnung nicht gehindert hat.
12
Allerdings ging der am 29.12.2021 gestellte Antrag mittlerweile dem BAMF zu (spätestens am 14.01.2022, wie die Anfrage des BAMF an Polen zeigt) und der Betroffenen befand sich für eine juristische Sekunde nicht in Haft, da die Bundespolizeiinspektion Selb den Haftantrag am 21.01.2022 zurückgenommen hat. Somit lagen die Voraussetzungen zur Unbeachtlichkeit nach § 14 Abs. 3 AsylG für diese juristische Sekunde nicht (mehr) vor und der Asylantrag bewirkt daher die Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylG mit der Folge, dass weitere Haft nicht mehr angeordnet werden kann.
13
Zudem wäre die Haftfortdauer in diesem Fall unverhältnismäßig.
14
Der Haftbefehl ist daher gem. § 426 Abs. 1 FamFG aufzuheben. Da der Vollzug der Ausländerbehörde obliegt, hat sie die Freilassung unverzüglich sicherzustellen.