Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 20.10.2022 – VERG 1.22 V
Titel:

Notwendige Beiziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Vergabestelle

Normenketten:
GWB § 171 Abs. 1, § 182 Abs. 4 S. 4
VwVfG § 80 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 S. 2
Leitsätze:
1. Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts sind erstattungsfähig, wenn die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Frage, ob die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts als notwendig anzusehen ist, kann nicht schematisch beantwortet werden. Über sie ist vielmehr unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Einzelfallentscheidung ist auf der Grundlage objektiv anzuerkennender Erfordernisse im Rahmen einer ex-ante Prognose zu treffen, wobei ergänzend auch der Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleichheit in die Prüfung einfließen kann. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch den öffentlichen Auftraggeber ist regelmäßig nicht notwendig, wenn in einer vergaberechtlichen Angelegenheit lediglich einfach gelagerte, auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen – auf der Grundlage geklärter Rechtsgrundsätze – in Rede stehen, deren Darlegung und Vertretung im Nachprüfungsverfahren von der Vergabestelle ohne Weiteres erwartet werden kann. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
5. Während tatsächliche auftragsbezogene Fragen aus Sicht der Vergabestelle eher als einfach anzusehen sind, spricht das Hinzutreten nicht einfacher, insbesondere rechtlich noch ungeklärter oder nicht dem klassischen Vergaberecht zuzurechnender Rechtsfragen tendenziell für die Notwendigkeit anwaltlicher Vertretung. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
6. Über die sofortige Beschwerde nach § 171 GWB gegen einen Beschluss zu Frage der Notwendigkeit der Heranziehung eines Verfahrensbevollmächtigten kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil sie eine Nebenentscheidung der Vergabekammer betrifft. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
7. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Vergabestelle ist notwendig, wenn das Nachprüfungsverfahren nicht nur einfache, der im Verfahren beteiligten Vergabestelle üblicherweise bekannte und geklärte Rechtsfragen zum Gegenstand hat, zu denen sie im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens auch ohne anwaltlichen Beistand ausreichend fundiert hätte Stellung beziehen können. (Rn. 18 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verfahrensbevollmächtigter, Notwendigkeit, Vergabekammer, Beschwerdeverfahren, mündliche Verhandlung
Vorinstanz:
Vergabekammer Ansbach, Beschluss vom 20.01.2022 – RMF-SG21-3194-6-43
Fundstellen:
LSK 2022, 28587
NZBau 2023, 347
BeckRS 2022, 28587
ZfBR 2023, 103

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen Ziffer 3 des Beschlusses der Vergabekammer Nordbayern vom 20. Januar 2022, Gz. RMF- SG21-3194-6-43, wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners.
3. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 13.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich gegen den Beschluss der Vergabekammer Nordbayern vom 20. Januar 2022, soweit dort die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Vergabestelle für notwendig erklärt worden ist.
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Der Antragsgegner schrieb mit europaweiter Bekanntmachung vom 8. September 2021 die „Verwertung von Biogut aus Biotonnen“ im Kreisgebiet ab Januar 2023 für einen Zeitraum von 10 Jahren (mit Verlängerungsoption) im offenen Verfahren aus. Neben dem Preis waren auch qualitative Kriterien für die Zuschlagserteilung maßgeblich. Die Antragstellerin und die Beigeladene, eine Anstalt des öffentlichen Rechts, beteiligten sich als Bieter an der Ausschreibung. Auf die Mitteilung des Antragsgegners, er wolle den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen erteilen, die nach der Auswertung die beste Punktzahl erzielt habe, während die Eignungsnachweise der Antragstellerin unvollständig gewesen seien, rügte sie - anwaltlich vertreten - die Nichtberücksichtigung ihres Angebots und die ihr erteilten Informationen zur Wertung als ungenügend. Außerdem beanstandete sie die beabsichtigte Beauftragung der Beigeladenen, die nach ihrer Marktkenntnis innerhalb des vorgegebenen Radius nicht über eine Behandlungsanlage mit ausreichenden Kapazitäten verfüge, und forderte Aufklärung des mutmaßlich ungewöhnlich niedrigen Preises. Der Antragsgegner präzisierte in seinem Antwortschreiben die Wirtschaftlichkeitsberechnung, weiter erläuterte er, dass das Angebot der Antragstellerin aus mehreren Gründen den Zuschlag nicht erhalten könne. Es fehle an geforderten Erklärungen und Nachweisen sowie an ausreichenden Referenzen, zudem werde der Unterauftragnehmer der Antragstellerin wegen Verstößen gegen umweltrechtliche Vorschriften nach § 124 Abs. 1 Nr. 1 GWB ausgeschlossen. Die gegen die Beauftragung der Beigeladenen erhobenen Rügen seien demgegenüber sachlich nicht begründet.
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Nachdem der Antragsgegner auf ein weiteres anwaltliches Schreiben der Antragstellerin nicht mehr geantwortet hatte, hat sie einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer gestellt.
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Im Nachprüfungsverfahren hat sie ihre vergaberechtlichen Beanstandungen in Bezug auf eine Auftragserteilung an die Beigeladene wiederholt und vertieft. Insbesondere sei die Eignungsprognose fehlerhaft, da ausgeschlossen sei, dass die Beigeladene rechtzeitig über eine genehmigte, betriebsbereite Anlage verfüge. Umgekehrt sei die Nichtberücksichtigung des Angebots der Antragstellerin rechtswidrig. Nach Akteneinsicht hat die Antragstellerin weitere Ausschlussgründe hinsichtlich der Beigeladenen vorgetragen sowie Dokumentationsmängel gerügt. Außerdem hat sie unter Bezugnahme auf die Regelungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes die Ansicht vertreten, die Beigeladene müsse zunächst ein förmliches Genehmigungsverfahren und zudem als öffentliche Auftraggeberin eine europaweite Ausschreibung durchführen, um die für die Durchführung des Auftrags nötige betriebliche Anlage errichten zu können. Es gebe zudem Anhaltspunkte für ein Näheverhältnis des Auftraggebers zur Beigeladenen, das die Neutralität der Vergabestelle ernsthaft in Zweifel ziehe. Schließlich sei die Eigentümerin der von der Beigeladenen betriebenen Anlagen - eine GmbH - als Nachunternehmerin anzusehen, deren Nichterwähnung in den Angebotsunterlagen zwingend zum Ausschluss des Angebots führen müsse.
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Die Antragstellerin hat beantragt:
Dem Antragsgegner wird untersagt, den Zuschlag auf ein Angebot der … KU, … zu erteilen. Der Antragsgegner und die Beigeladene haben beantragt,
den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
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Der im Nachprüfungsverfahren anwaltlich vertretene Antragsgegner hat sowohl die Nichtberücksichtigung des Angebots der Antragstellerin verteidigt als auch an der Absicht festgehalten, der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen. Die Antragstellerin habe u. a. keinen ausreichenden Nachweis zum geforderten Versicherungsschutz vorgelegt, damit könne ihr Angebot nicht berücksichtigt werden. Das Angebot der Beigeladenen sei dagegen wertbar und am wirtschaftlichsten. Nach den Vergabeunterlagen sei ausreichend, dass der Bieter zu Vertragsbeginn über die erforderliche Anlage zur Übernahme und Behandlung des Biogutes verfüge. Aufgrund der Darstellungen der Beigeladenen sei plausibel, dass sie die Anforderungen rechtzeitig erfülle, da keine vollständig neue Anlage errichtet werden müsse, sondern nur technische Anpassungs- und Anbaumaßnahmen bei der vorhandenen Anlage nötig seien, für die eine immissionsschutzrechtliche Änderungsgenehmigung genüge. Von einer rechtzeitigen Erteilung der Genehmigung und Zertifizierung sei auszugehen. Die technische Planung sei bereits abgeschlossen, die Kosten für die Umsetzung lägen weit unterhalb der Schwellenwerte für eine EUweite Ausschreibung. Anhaltspunkte für ein Unterkostenangebot der Beigeladenen lägen auch mit Blick auf die fristgerecht vorgelegte Urkalkulation nicht vor.
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Mit Beschluss vom 20. Januar 2022 hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag abgelehnt (Beschlusstenor Ziffer 1), der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Vergabestelle und der Beigeladenen auferlegt (Beschlusstenor Ziffer 2) und die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Vergabestelle für notwendig erklärt (Beschlusstenor Ziffer 3). Die von der Antragstellerin geltend gemachten Ausschlussgründe hinsichtlich des Angebots der Beigeladenen bestünden nicht; mit seiner positiven Eignungsprüfung bewege sich der Antragsgegner innerhalb seines Beurteilungsspielraums. Die Auskömmlichkeitsprüfung sei nicht zu beanstanden. Das Angebot der Beigeladenen sei korrekt gewertet worden. Dokumentationsmängel lägen nicht vor bzw. seien geheilt. Dagegen hätte das Angebot der Antragstellerin wegen einer ungenügenden Bescheinigung des Versicherungsschutzes ausgeschlossen werden müssen. Zur Begründung der Entscheidung unter Ziffer 3 hat die Vergabekammer ausgeführt, es habe sich um einen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht einfach gelagerten Fall gehandelt, so dass der Vergabestelle nicht zuzumuten gewesen sei, das Verfahren vor der Vergabekammer selbst zu führen. Im Übrigen sei auch die Antragstellerin anwaltlich vertreten gewesen.
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Mit ihrer fristgerecht eingereichten sofortigen Beschwerde wendet sich die Antragstellerin ausschließlich gegen die von der Vergabekammer angenommene Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die
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Vergabestelle. Der Antragsgegner sei ein vergleichsweise großer öffentlicher Auftraggeber, der regelmäßig Aufträge im Rahmen EU-weiter Vergabeverfahren vergebe. Er unterhalte in seiner Verwaltung ein Rechtsamt, in dem eine eigene Vergabestelle eingerichtet sei, die nicht nur Vergabeverfahren für den Antragsgegner durchführe, sondern darüber hinaus die Beratung „des SG Kommunales in vergaberechtlichen Fragen“ übernehme. Die dort beschäftigten Volljuristen seien daher befähigt und hierzu auch verpflichtet, die im Nachprüfungsverfahren thematisierten vergaberechtlichen Fragestellungen zu beantworten und den Antragsgegner im Nachprüfungsverfahren sachkundig zu vertreten. Die Aufgabe des Antragsgegners im Nachprüfungsverfahren habe sich im Übrigen darauf beschränkt, seine eigene Tätigkeit und bereits getroffene Entscheidungen im Nachprüfungsverfahren zu erläutern und darzustellen. Für immissionsschutzrechtliche Fragen habe dem Antragsgegner eine eigene Fachstelle zur Verfügung gestanden, die für die Zulassung genehmigungsbedürftiger Anlagen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz zuständig sei.
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Die Antragstellerin beantragt:
Der Beschluss der Vergabekammer Nordbayern vom 20. Januar 2022 wird zu Ziffer 3 des Beschlusstenors wie folgt geändert: Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner im Verfahren vor der Vergabekammer war nicht notwendig.
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Der Antragsgegner beantragt,
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
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Aus mehreren Gründen sei ihm nicht möglich gewesen, seine Interessen im Nachprüfungsverfahren ohne einen Rechtsanwalt angemessen geltend zu machen. Ein derart umfassendes und komplexes Vergabeverfahren wie das vorliegende schreibe sein Eigenbetrieb etwa alle zehn Jahre einmal aus. Das Verfahren habe sich durch besondere Komplexität ausgezeichnet, auch mit Blick auf die noch weitgehend unklaren Anforderungen der Bioabfallverordnung und die hohen Anforderungen an die spätere Leistungserbringung. Es sei jederzeit mit der Notwendigkeit weiterführender rechtlicher Vertiefungen zu rechnen gewesen, zu denen es auch gekommen sei. Zu den auftragsbezogenen Rechtsfragen seien weitere, nicht einfach gelagerte Rechtsprobleme hinzugetreten. Da im Nachprüfungsantrag zu einzelnen Aspekten vertieft vorgetragen worden sei, habe sich die Reaktion im Vergabeverfahren keineswegs auf die Wiedergabe von bereits durchgeführten Schritten beschränkt. Hinzu komme die wirtschaftliche und abfallwirtschaftliche Bedeutung des Vorhabens mit einer langen Vertragslaufzeit und einem dementsprechend hohen Auftragswert einschließlich des damit einhergehenden Prozessrisikos. Hinzu trete der hohe Zeitdruck.
II.
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Die sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg.
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1. Über die nach § 171 Abs. 1 GWB statthafte (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2005, X ZB 26/05, juris Rn. 7) sowie form- und fristgerecht erhobene sofortige Beschwerde kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil sie eine Nebenentscheidung der Vergabekammer betrifft (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 5. November 2020, 13 Verg 7/20, juris Rn. 4; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. März 2020, Verg 38/18, Rn. 24; Vavra/Willner in Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 4. Aufl. 2022, GWB § 175 Rn. 10; jeweils m. w. N.).
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2. In der Sache ist das Rechtsmittel nicht begründet. Die Vergabekammer hat zu Recht die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Vergabestelle für notwendig erklärt.
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a) Nach § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i. V. m. § 80 Abs. 1, 2 und 3 Satz 2 VwVfG sind Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts erstattungsfähig, wenn die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Frage, ob die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts als notwendig anzusehen ist, kann nicht schematisch beantwortet werden. Über sie ist vielmehr unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. Abzustellen ist darauf, ob der Beteiligte unter den Umständen des Falles auch selbst in der Lage gewesen wäre, auf Grund der bekannten oder erkennbaren Tatsachen den Sachverhalt zu erfassen, der im Hinblick auf eine (angebliche) Missachtung vergaberechtlicher Bestimmungen von Bedeutung ist, hieraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung oder Rechtsverteidigung nötigen Schlüsse zu ziehen und das danach Gebotene gegenüber der Vergabekammer vorzutragen. Hierfür können neben Gesichtspunkten wie der Einfachheit oder Komplexität des Sachverhalts, der Überschaubarkeit oder Schwierigkeit der zu beurteilenden Rechtsfragen auch rein persönliche Umstände in der Person des Beteiligten maßgeblich sein, wie etwa seine sachliche und personelle Ausstattung (BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06, BGHZ 169, 131 Rn. 61). Die Einzelfallentscheidung ist auf der Grundlage objektiv anzuerkennender Erfordernisse im Rahmen einer exante Prognose zu treffen (OLG Celle, Beschluss vom 5. November 2020, 13 Verg 7/20, juris Rn. 7), wobei ergänzend auch der Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleichheit in die Prüfung einfließen kann (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24. März 2021, Verg 10/20, juris Rn. 44; Beschluss vom 16. März 2020, Verg 38/18, juris Rn. 38 m. w. N.).
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Dementsprechend wird in der Rechtsprechung die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch den öffentlichen Auftraggeber regelmäßig nicht für notwendig erachtet, wenn in einer vergaberechtlichen Angelegenheit lediglich einfach gelagerte, auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen - auf der Grundlage geklärter Rechtsgrundsätze - in Rede stehen, deren Darlegung und Vertretung im Nachprüfungsverfahren von der Vergabestelle ohne Weiteres erwartet werden kann. Während tatsächliche auftragsbezogene Fragen aus Sicht der Vergabestelle eher als einfach angesehen werden, spricht das Hinzutreten nicht einfacher, insbesondere rechtlich noch ungeklärter oder nicht dem klassischen Vergaberecht zuzurechnender Rechtsfragen tendenziell für die Notwendigkeit anwaltlicher Vertretung. Weitere Faktoren, die im Rahmen der Einzelfallprüfung für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts sprechen können, sind der typische Zeitdruck im Nachprüfungsverfahren und eine besondere Bedeutung bzw. ein erhebliches Gewicht des zu vergebenden Auftrags (vgl. OLG München, Beschluss vom 2. September 2015, Verg 6/15, juris Rn. 22; Beschluss vom 31. Mai 2012, Verg 4/12, juris Rn. 19; Beschluss vom 24. Januar 2012, Verg 16/11, juris Rn. 31; Beschluss vom 11. Juni 2008, Verg 6/08, juris Rn. 13; auch Hans. OLG Bremen, Beschluss vom 1. April 2022, 2 Verg 1/21, NZBau 2022, 548 Rn. 114 [juris Rn. 123]; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. Mai 2021, Verg 7/21, juris Rn. 19; Beschluss vom 24. März 2021, Verg 10/20, juris Rn. 44; Beschluss vom 17. Juni 2020, Verg 43/18, juris Rn. 13; Beschluss vom 16. März 2020, Verg 38/18, juris Rn. 38; OLG Celle, Beschl v. 5. November 2020, 13 Verg 7/20, juris Rn. 7 ff.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 2. November 2017, 11 Verg 8/17, juris Rn. 19 ff.; Krohn in Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, GWB § 182 Rn. 64).
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b) Ausgehend von diesen Grundsätzen war die Hinzuziehung eines anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten durch die Vergabestelle notwendig.
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Die Antragstellerin hat mit ihrem Nachprüfungsantrag zahlreiche, tatsächlich und rechtlich nicht einfach zu beurteilende vergaberechtliche Verstöße geltend gemacht.
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Strittig war zum einen, ob das Angebot der Antragstellerin wertbar bzw. von der Vergabestelle zu Unrecht als nicht zuschlagsfähig beurteilt worden war. In diesem Zusammenhang stellten sich eine Reihe von Fragen, u. a. ob die Antragstellerin ihre Eignung anhand von Referenzen nachgewiesen hat, ob sie bzw. ein Unterauftragnehmer Ausschlussgründe verwirklicht hat und ob ihr die Möglichkeit der Benennung eines anderen Unternehmers hätte gegeben werden müssen. Umstritten war weiterhin, ob die seitens der Antragstellerin für die Behandlung und Verwertung des Bioabfalls vorgesehene Anlage über eine ausreichende Genehmigung verfügt. Hinzu kamen Fragen zur Auslegung und zum Verständnis der Vergabeunterlagen, die Bewertung von Nachweisen als vollständig oder unzureichend und die rechtlich nicht ganz einfache Problematik, ob der Antragstellerin die Möglichkeit zur Nachbesserung ihrer Erklärungen hätte gewährt werden müssen.
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Zum anderen hat die Antragstellerin mit ihrem Nachprüfungsantrag zahlreiche Einwände gegen die Beauftragung der Beigeladenen geltend gemacht. Auch insoweit waren Fragen der Eignung strittig, vor allem aber stellte sich das Problem, ob die Prognose der Vergabestelle, die Beigeladene werde rechtzeitig über eine genehmigte und zertifizierte Anlage zur Auftragsdurchführung verfügen, tragfähig war. Die von der Antragstellerin in diesem Zusammenhang angesprochenen Einzelaspekte waren untrennbar mit speziellen Rechtsfragen aus dem Bereich des Immissionsschutzrechts und der Frage verknüpft, ob die Vergabestelle bei der Prognose alle relevanten tatsächlichen und rechtlichen Vorgaben einschließlich damit verbundener europarechtlicher Aspekte zutreffend berücksichtigt hat.
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Das Nachprüfungsverfahren hatte damit von Anfang an nicht nur einfache, der im Verfahren beteiligten Vergabestelle üblicherweise bekannte und geklärte Rechtsfragen zum Gegenstand, zu denen sie im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens auch ohne anwaltlichen Beistand ausreichend fundiert hätte Stellung beziehen können, wobei sich die rechtlichen Diskussionen im Laufe des Verfahrens noch ausgeweitet haben. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass im Nachprüfungsverfahren ein hoher Zeitdruck herrscht, der eine möglichst rasche und fachlich fundierte Reaktion des Antragsgegners auf die im Nachprüfungsverfahren aufgeworfenen Fragen erfordert. Auch der Aspekt, dass der Antragsgegner andere öffentliche Stellen in vergaberechtlichen Fragen berät und eine eigene andere Fachabteilung zu immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsfragen hätte einbinden können, gibt keine Veranlassung zu einer anderen Beurteilung der Notwendigkeit anwaltlicher Vertretung. So hat der Antragsgegner nachvollziehbar geltend gemacht, dass seine personelle Ausstattung die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nicht entbehrlich gemacht habe. Er beschäftige lediglich drei Volljuristen, das streitgegenständliche Vergabeverfahren sei in seiner Komplexität und im Volumen außergewöhnlich gewesen und es sei gerade nicht um gängige, den Mitarbeitern geläufige Rechtsfragen gestritten worden. Eine Verpflichtung zur Vorhaltung von hinreichend geschultem Personal, das in der Lage ist, etwaige Streitpunkte in einem Nachprüfungsverfahren unter dem gegebenen Zeitdruck ohne anwaltlichen Beistand vertreten zu können, besteht nicht. In diesem Zusammenhang führt auch der Ansatz, die Vergabestelle habe keinen anwaltlichen Beistand benötigt, da es „nur“ darum gegangen sei, die im Vergabeverfahren getroffenen Entscheidungen zu verteidigen, nicht weiter, da dies Kernthema jedes Nachprüfungsverfahrens ist. Die Komplexität und die rechtlichen Schwierigkeiten des Verfahrens, auf die es vorrangig bei der Frage der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten ankommt, lässt sich hieran nicht beurteilen.
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Im vorliegenden Fall spricht die Vielzahl der Streitpunkte, die - jedenfalls teilweise - auch rechtlich eher schwierig zu beurteilen waren, für die Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung auf Seiten des Antragsgegners, hinzu kommen die erhebliche Bedeutung des Auftrags, dessen Volumen in einer Größenordnung von über 12 Mio € liegt, sowie ergänzend der Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleichheit.
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 175 Abs. 2 i. V. m. § 71 GWB.
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Die Entscheidung über die Festsetzung des Werts für das Beschwerdeverfahren beruht nicht auf § 50 Abs. 2 GKG, da sich die Beschwerde nur gegen eine selbständig anfechtbare Nebenentscheidung richtet (vgl. BayObLG, Beschluss vom 8. November 2021, Verg 10/21, juris Rn. 27 f.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. September 2018, Verg 35/17, juris Rn. 29), sondern auf einer entsprechenden Anwendung des § 3 ZPO. Der Wert für das Beschwerdeverfahren bemisst sich nach dem finanziellen Interesse der Antragstellerin an einer Abänderung der angefochtenen Entscheidung und orientiert sich Verg 1/22 - Seite 10 - an dem Betrag, den die Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners der Antragstellerin ausweislich des Schriftsatzes vom 30. August 2022 in Rechnung zu stellen beabsichtigen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. Mai 2021, Verg 7/21, juris Rn. 25; OLG Koblenz, Beschluss vom 16. Januar 2017, Verg 5/16, juris Rn. 26).