Titel:
Abgewiesene Klage im Streit um Festsetzung von Aussetzungszinsen
Normenkette:
AO § 239 Abs. 1
Schlagworte:
Aussetzung der Vollziehung, Aussetzungszinsen, Einspruchsentscheidung, Solidaritätszuschlag, Steuerschuld, Vollverzinsung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 28561
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten über die Höhe der im Bescheid über die Festsetzung von Aussetzungszinsen ausgewiesenen Zinsen.
2
Der Kläger wurde im Jahr 2018 zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt. Er ist Diplom-Ingenieur und erzielte Einkünfte aus selbständiger Arbeit, nichtselbständiger Arbeit, Vermietung und Verpachtung sowie sonstige Einkünfte. Der Kläger reichte seine ESt-Erklärung am 20. August 2019 beim Beklagten (dem Finanzamt - FA -) ein.
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Bei der Durchführung der Veranlagung zur ESt wich das FA von den Angaben in der Steuererklärung u.a. dahingehend ab, dass es den Gewinn aus freiberuflicher Tätigkeit um 1.883 € auf 59.454 € erhöhte.
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Das FA setzte die ESt mit ESt-Bescheid vom 7. Januar 2020 mit 28.267 € fest. Es war eine ESt i.H.v. 21.259 € mit Fälligkeit 10. Februar 2020 zu wenig an das FA entrichtet. Zugleich setzte das FA nachträglich Vorauszahlungen zur ESt 2019 i.H.v. 23.930 € - mit Fälligkeit ebenso 10. Februar 2020 - fest. Der Kläger legte gegen den ESt-Bescheid fristgerecht Einspruch ein. Er wandte sich gegen die Erhöhung der Einkünfte aus selbständiger Arbeit und beantragte zugleich Aussetzung der Vollziehung der festgesetzten ESt i.H.v. 1.870 € zuzüglich Solidaritätszuschlag sowie der nachträglichen Anpassung der ESt-Vorauszahlungen 2019 i.H.v. 1.870 € zuzüglich Solidaritätszuschlag. Das FA gewährte mit Bescheid vom 28. Januar 2020 die vom Kläger beantragte Aussetzung der Vollziehung i.H.v. insgesamt 3.945,70 €.
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Das FA verminderte im Rahmen des Einspruchsverfahrens mit Einverständnis des Klägers die Einkünfte aus selbständiger Arbeit um 685 € auf 58.769 €. Es setzte die ESt mit nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) geändertem ESt-Bescheid vom 19. Juni 2020 mit 27.985 € fest. Der Einspruch des Klägers war damit erledigt.
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Nach dem Ende der gewährten Aussetzung der Vollziehung setzte das FA mit Bescheid über die Festsetzung von Aussetzungszinsen vom 10. August 2021 Aussetzungszinsen i.H.v. 35 € fest. Wegen der Berechnung der Zinsen wird auf Seite 2 des Bescheids über die Festsetzung von Aussetzungszinsen Bezug genommen. Der Bescheid erging betreffend die Festsetzung von Zinsen vorläufig gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO i.V.m. § 239 Abs. 1 Satz 1 AO hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Zinssatzes von 0,5% pro Monat (238 Abs. 1 Satz 1 AO). Dagegen legte der Kläger fristgerecht Einspruch ein. Die Höhe des Zinssatzes sei verfassungswidrig.
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Das FA wies den Einspruch des Klägers gegen den Bescheid über die Festsetzung von Aussetzungszinsen vom 10. August 2021 mit Einspruchsentscheidung vom 25. Januar 2022, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, als unbegründet zurück. Zugleich erklärte es die Festsetzung der Aussetzungszinsen zur ESt für 2018 gem. § 165 Abs. 2 Satz 4 AO für endgültig.
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Dagegen richtet sich die Klage. Zu deren Begründung trägt der Kläger vor, die Aussetzungszinsen seien auf einen noch vom Gesetzgeber festzulegenden Zinssatz herabzusetzen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe den Zinssatz von 6% für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach §§ 233a, 238 AO für Verzinsungszeiträume ab dem 01. Januar 2019 für verfassungswidrig erklärt und den Gesetzgeber zu einer Neuregelung bis zum 31. Juli 2022 aufgefordert. Das BVerfG sehe in dem Zinssatz einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), weil der Zinssatz über die Abschöpfung eines möglichen Zinsvorteils hinausgehe. Es sei kaum vorstellbar, dass das BVerfG bei einer Entscheidung zur Höhe der Aussetzungszinsen zu einer anderen Entscheidung kommen könne. Es werde vom Gesetzgeber ein Zinssatz i.H.v. 0,15% für jeden vollen Monat diskutiert.
unter Änderung des Bescheids über die Festsetzung von Aussetzungszinsen vom 10. August 2021 und der Einspruchsentscheidung vom 25. Januar 2022 Aussetzungszinsen i.H.v. 10,35 € (für den zu verzinsenden Betrag i.H.v. 613 € für volle vier Monate 3,60 € und für den zu verzinsenden Betrag i.H.v. 937 € für volle fünf Monate 6,75 €) festzusetzen.
hilfsweise die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt,
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Das FA trägt zur Klageerwiderung im Wesentlichen vor, das BVerfG habe mit Beschluss vom 8. Juli 2021 Az. 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17 entschieden, dass die Unvereinbarkeit des Zinssatzes aus § 238 Abs. 1 Satz 1 AO mit Art. 3 Abs. 1 GG betreffend alle von § 233a Abs. 1 Satz 1 AO erfassten Steuerarten sich nicht auf andere Verzinsungstatbestände, namentlich auf die Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen nach den §§ 234, 235 und 237 AO erstrecke.
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Im Gegensatz zur Vollverzinsung sei nach dem BVerfG den Teilverzinsungstatbeständen der Abgabenordnung nicht nur gemeinsam, dass sie lediglich Verzinsungen für bestimmte, konkret umschriebene Liquiditätsvorteile der Steuerpflichtigen vorsehen und eine Verzinsung in der Regel erst nach Fälligkeit erfolge, sondern vor allem auch, dass die Verwirklichung des Zinstatbestands und damit die Entstehung von Zinsen grundsätzlich auf einen Antrag der Steuerpflichtigen zurückzuführen sei oder - wie im Fall der Hinterziehungszinsen - jedenfalls von ihnen bewusst in Kauf genommen werde. Steuerpflichtige hätten daher - anders als bei der Vollverzinsung - grundsätzlich die Wahl, ob sie den Zinstatbestand verwirklichen und den in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO geregelten Zinssatz hinnehmen oder ob sie die Steuerschuld tilgen und sich im Bedarfsfall die erforderlichen Geldmittel zur Begleichung der Steuerschuld anderweitig zu zinsgünstigeren Konditionen beschaffen.
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Die Höhe der dem Kläger gegenüber festgesetzten Aussetzungszinsen sei daher aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
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Der Rechtsstreit wurde mit Beschluss des Senats vom 1. August 2022 dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (§ 6 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird gem. § 105 Abs. 3 Satz 2 FGO auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Akten des FA, die Gerichtsakte sowie das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 7. September 2022 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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I. Der angefochtene Bescheid über die Festsetzung von Aussetzungszinsen ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das FA hat zu Recht nach §§ 237 Abs. 1 und 2, 238 Abs. 1 Satz 1 AO Aussetzungszinsen i.H.v. 35 € festgesetzt. Die zwischen den Beteiligten allein streitige Höhe des Zinssatzes entspricht der gesetzlichen Regelung des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO.
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1. Nach § 237 Abs. 1 Satz 1 AO ist, soweit ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage gegen einen Steuerbescheid, eine Steueranmeldung oder einen Verwaltungsakt, der einen Steuervergütungsbescheid aufhebt oder ändert, oder gegen eine Einspruchsentscheidung über einen dieser Verwaltungsakte endgültig keinen Erfolg gehabt hat, der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt wurde, zu verzinsen. Zinsen werden erhoben vom Tag des Eingangs des außergerichtlichen Rechtsbehelfs bei der Behörde, deren Verwaltungsakt angefochten wird, oder vom Tag der Rechtshängigkeit beim Gericht an bis zum Tag, an dem die Aussetzung der Vollziehung endet (§ 237 Abs. 2 Satz 1 AO). Die Zinsen betragen für jeden Monat 0,5% (§ 238 Abs. 1 Satz 1 AO). Sie sind von dem Tag an, an dem der Zinslauf beginnt, nur für volle Monate zu zahlen; angefangene Monate bleiben außer Ansatz (§ 238 Abs. 1 Satz 2 AO).
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2. Dies zugrunde gelegt, entspricht der streitige Bescheid über die Festsetzung von Aussetzungszinsen der gesetzlichen Regelung. Das FA hat die Höhe der Zinsen betreffend den zu verzinsenden Betrag im Hinblick auf den Zinslauf zu Recht mit 0,5% pro vollen Monat gem. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO berechnet.
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Die aufgrund des Beschlusses des BVerfG vom 8. Juli 2021 Az. 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17 erforderlich gewordene gesetzliche Neuregelung der Höhe der Nachzahlungs- und Erstattungszinsen gem. § 233a Abs. 1 Satz 1 AO hat der Gesetzgeber mit Art. 1 Nr. 5 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der AO und des Einführungsgesetzes zur AO vom 12. Juli 2022 (BGBl I 2022, 1142) umgesetzt. Der Gesetzgeber wurde vom BVerfG verpflichtet, für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 bis zum 31. Juli 2022 eine rückwirkende Neuregelung der Höhe des Zinssatzes der Vollverzinsung zu treffen. Der Gesetzgeber hat deshalb nach § 238 Abs. 1 AO u.a. den Abs. 1a eingefügt. Gem. § 238 Abs. 1a AO beträgt der Zinssatz 0,15% für jeden Monat, jedoch - entsprechend dem Beschluss des BVerfG - nur für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen gem. § 233a Abs. 1 Satz 1 AO. Bei den vorliegend streitigen Aussetzungszinsen verbleibt es bei der bisherigen gesetzlichen Regelung mit einem Zinssatz von 0,5% für jeden Monat (vgl. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO).
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Nach Auffassung des Gerichts besteht auch keine verfassungsrechtlich problematische Ungleichbehandlung darin, dass der Gesetzgeber nur für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a Abs. 1 Satz 1 AO mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung der AO und des Einführungsgesetzes zur AO vom 12. Juli 2022 einen Zinssatz von 0,15% je vollen Monat geregelt hat.
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Zwar behandelt der Gesetzgeber dadurch die Sachverhalte Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO und andere Zinstatbestände nach der AO, namentlich Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen nach den §§ 234, 235 und 237 AO im Hinblick auf den Zinssatz nicht gleich. Diese Differenzierung ist jedoch im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG durch sachliche Gründe gerechtfertigt.
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Das Gericht bezieht sich dabei auf die Ausführungen des BVerfG in seinem Beschluss vom 8. Juli 2021. Darin führt das BVerfG in Rz. 243 aus, dass die Teilverzinsungstatbestände einer eigenständigen verfassungsrechtlichen Wertung bedürfen. Im Gegensatz zur Vollverzinsung ist den Teilverzinsungstatbeständen der Abgabenordnung nicht nur gemeinsam, dass sie lediglich Verzinsungen für bestimmte, konkret umschriebene Liquiditätsvorteile der Steuerpflichtigen vorsehen und eine Verzinsung in der Regel erst nach Fälligkeit erfolgt, sondern vor allem auch, dass die Verwirklichung des Zinstatbestands und damit die Entstehung von Zinsen grundsätzlich auf einen Antrag der Steuerpflichtigen zurückzuführen ist oder - wie im Fall der Hinterziehungszinsen - jedenfalls von ihnen bewusst in Kauf genommen wird. Steuerpflichtige haben daher - anders als bei der Vollverzinsung - grundsätzlich die Wahl, ob sie den Zinstatbestand verwirklichen und den in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO geregelten Zinssatz hinnehmen oder ob sie die Steuerschuld tilgen und sich im Bedarfsfall die erforderlichen Geldmittel zur Begleichung der Steuerschuld anderweitig zu zinsgünstigeren Konditionen beschaffen (vgl. BVerfG-Beschluss vom 8. Juli 2021 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BVerfGE 158, 282 Rz. 243).
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Im Übrigen erstreckt sich nach Ansicht des BVerfG die Unvereinbarkeitserklärung ausdrücklich nicht auf die anderen Verzinsungstatbestände nach der AO zulasten der Steuerpflichtigen, namentlich auf Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen nach den §§ 234, 235 und 237 AO (vgl. BVerfG-Beschluss vom 8. Juli 2021 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BVerfGE 158, 282 Rz. 242).
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II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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III. Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 FGO vorliegt.