Titel:
Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten
Normenkette:
BayBauO Art. 6, Art. 76 S. 1
Leitsätze:
1. Ein Anspruch des Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten, etwa durch Erlass einer Beseitigungsanordnung, erfordert zum einen, dass er durch die bauliche Anlage in nachbarschützenden Rechten verletzt ist, zum anderen, dass das Ermessen der Bauaufsichtsbehörde auf Null reduziert ist; liegt eine Ermessensreduzierung auf Null nicht vor, hat der Kläger lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein bauaufsichtliches Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde sowie über Art und Weise des Einschreitens. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Umwehrung löst Abstandsflächen aus, weil von ihr Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Ermessensreduzierung auf null für einen Anspruch auf bauaufsichtsrechtliches Einschreiten ist regelmäßig nur anzunehmen, wenn die von der rechtswidrigen Anlage ausgehende Beeinträchtigung einen erheblichen Grad erreicht und die Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen ergibt. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abstandsflächen, Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten (bejaht), Ermessensreduzierung auf Null (bejaht), Grenzgarage, Nachbarklage, Terrassenumwehrung, bauaufsichtliches Einschreiten, Beseitigungsanordnung, Nachbarschutz, Umwehrung, Ermessensreduzierung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 28410
Tenor
I. Der Beklagte wird unter Abänderung und Ergänzung des Bescheids vom 5.12.2018, Az.: ..., verpflichtet, gegenüber der Beigeladenen bauaufsichtlich einzuschreiten und neben der ausgesprochenen Nutzungsuntersagung auch die Beseitigung der zu der Grenze der Kläger hin errichteten Dachterrassen-/Garagendachumwehrung aus Beton mit einer Länge von 2x11m bis zur Höhe der Oberkante des Garagendachs anzuordnen.
II. Der Beklagte und die Beigeladene haben die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vorher Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.
Tatbestand
1
Die Kläger begehren den Erlass einer Beseitigungsanordnung gegenüber der Beigeladenen betreffend eine auf einer Grenzgarage befindliche Umwehrung.
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Die Kläger sind Miteigentümer des Grundstücks FlNr. 231/59 Gem. … …, die Beigeladene ist Eigentümerin des unmittelbar westlich angrenzenden Grundstücks FlNr. 231/60 Gem. … … (Vorhabensgrundstück). Die genannten Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Am …bach“ der Gemeinde … …, der für das streitgegenständliche Gebiet ein allgemeines Wohngebiet festsetzt. Nach Ziffer 2.4 sind die Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO einzuhalten. Ferner sieht der Bebauungsplan an der östlichen Grenze des Vorhabensgrundstücks zum Grundstück der Kläger hin eine Flächenumgrenzung für Garagen vor.
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Unter dem 2. März 2015 legte die Beigeladene Eingabepläne für die Errichtung eines Einfamilienhauses mit Garage auf dem Vorhabensgrundstück im Genehmigungsfreistellungsverfahren vor und zeigte am 23. Mai 2016 den Baubeginn an. Im Rahmen einer Baukontrolle vom 12. Oktober 2016 wurde u.a. festgestellt, dass die 1,80 m hohe Garage an der östlichen Grundstücksgrenze um ca. 2,89 m länger als geplant ausgeführt wurde. Des Weiteren konnte die Errichtung einer Brüstung für eine geplante Terrassennutzung auf der Grenzgarage festgestellt werden. Mit Bescheid vom 13. Oktober 2016 wurden die Bauarbeiten an der Doppelgarage durch den Beklagten eingestellt.
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Daraufhin legte die Beigeladene unter dem 3. November 2016 geänderte Eingabepläne im Genehmigungsfreistellungsverfahren vor. Danach sollte nunmehr im nördlichen Teil des Grenzbereichs zum Grundstück der Kläger auf der Garage eine Terrasse von 8,12 m² errichtet werden. Im südlichen Teil des Grenzbereichs soll die Garage begrünt werden. Mit Schreiben vom 22. November 2016 erklärte die Gemeinde die Freistellung vom Genehmigungsverfahren. Die Kläger verweigerten ihre Unterschrift zu dem Vorhaben.
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Nachdem die Garage auf eine Gesamtlänge von 9,0 m zurückgebaut wurde, erklärte die Beigeladene, dass auf eine Terrassennutzung verzichtet werde und lediglich eine kleine Wegführung entlang der Gebäudekante vorgesehen sei.
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Unter dem ... Juli 2017 forderte der Bevollmächtigte der Kläger den Beklagten erstmals u.a. dazu auf, gegen die errichtete Terrasse mit Terrassenbrüstung bauaufsichtlich einzuschreiten und den Rückbau der Terrasse bzw. Terrassenbrüstung anzuordnen. Im Rahmen einer Ortseinsicht durch das Landratsamt am 20. Juli 2017 konnte das Vorhandensein der Umwehrung in Form einer Betonwand auf dem Garagendach festgestellt werden. Sie verläuft an der östlichen Grundstücksseite des Vorhabensgrundstücks auf einer Länge von 11 m und an der südlichen Grundstücksseite auf einer Länge von 7 m. Sie besteht aus einer äußeren Umwehrung mit einer Höhe von 1,10 m über der Garage und einer inneren Umwehrung mit einer Höhe von 0,70 m über der Garage.
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Mit Schreiben vom 4. August 2017 forderte das Landratsamt die Beigeladene dazu auf, die Umwehrung bis zum 6. Oktober 2017 zurückzubauen. Nachdem die Beigeladene dem nicht nachkam, wurde ihr erneut eine Frist, bis 15. April 2018, gesetzt, innerhalb derer sie die Dachterrasse zurückbauen und die Dachterrassenumwehrung- bzw. brüstung zu entfernen habe, weil ansonsten eine zwangsmittelbewehrte Anordnung gemäß Art. 76 BayBO erlassen würde.
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Mit Bescheid vom 5. Dezember 2018 untersagte der Beklagte der Beigeladenen, die auf dem Vorhabensgrundstück errichtete Dachterrasse auf der Garage spätestens nach zwei Wochen ab Bestandskraft des Bescheids zu nutzen bzw. durch Dritte nutzen zu lassen (Nr. 1) und drohte für den Fall, dass die Nr. 1 des Bescheids nicht befolgt werden sollte, ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 EUR an (Nr. 2). Die Voraussetzungen für den Erlass einer Nutzungsuntersagung lägen vor. Es sei ohne erforderliche Baugenehmigung die Möglichkeit einer Dachterrassennutzung auf der Garage geschaffen worden. Die Nutzung sei nicht verfahrensfrei oder genehmigungsfreigestellt. Sie sei zudem im 3m- Bereich zum Grundstück der Kläger nicht genehmigungsfähig. Die Nutzung des Garagendachs als Dachterrasse widerspreche der Vorschrift des Art. 6 BayBO. Von der mit einer Betonumwehrung eingefassten Dachterrasse gingen Wirkungen wie von Gebäuden aus. Die Anordnung entspreche auch pflichtgemäßem Ermessen. Die Beseitigung der Terrassenumwehrung- bzw. brüstung habe jedoch nicht angeordnet werden müssen. Gegenüber der Behörde bestehe grundsätzlich nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Eine Ermessensreduzierung auf Null, die einen Rechtsanspruch des Nachbarn auf Einschreiten der Behörde begründe, sei im Hinblick auf die begehrte Beseitigungsanordnung nicht ersichtlich. Die Garage überschreite einschließlich der Umwehrung nicht eine mittlere Wandhöhe von 3 m. Die entstandene tiefer liegende Garage mit Umwehrung habe eine niedrigere Wandhöhe als eine ebenerdige errichtete Garage.
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Die Kläger haben am ... Januar 2019 Klage erhoben und beantragen zuletzt,
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das Landratsamt E. unter Abänderung und Ergänzung des Bescheids des Landratsamtes Erding vom 05.12.2018, Az.: … … …, den Klägern zugestellt am 07.12.2018, zu verpflichten, gegenüber der Beigeladenen bauaufsichtlich einzuschreiten und neben der ausgesprochenen Nutzungsuntersagung auch die Beseitigung der auf der Garage auf dem Grundstück FlNr. 231/60 errichteten Dachterrassen-/Garagendachumwehrung aus Beton mit einer Länge von 2 x 11 m und einer Höhe von 1,10 m bzw. 0,70 m auf der Grenze zu den Klägern hin anzuordnen.
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Die errichtete Betonbrüstung verletze die nachbarschützende Vorschrift des Art. 6 BayBO. Durch die Nutzung des Daches der Garage als Terrasse sei die abstandsflächenrechtliche Privilegierung der Grenzgarage entfallen. Die Garage sei durch die Nutzung des Garagendachs als Terrasse insgesamt baurechtswidrig. Von der Brüstung sei der Mindestabstand von 3 m nicht eingehalten. Das Ermessen des Beklagten sei auf Null reduziert, sodass die Beseitigung der Betonbrüstung anzuordnen sei. Die Beseitigung sei notwendig, um die Dachterrassennutzung zu verhindern. Sie beeinträchtige die Kläger stark. Die 1,10 m hohe Brüstung erhöhe sich weiter bei Bepflanzung hinter der Brüstung, wodurch die Belichtung stark beeinträchtigt und das Grundstück der Kläger beschattet werde.
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Der Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 9. Mai 2019,
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Er verweist auf die Ausführungen im Bescheid vom 5. Dezember 2018.
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Die Beigeladene beantragt mit Schriftsatz vom 7. Juli 2022,
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Die Kläger hätten bei Bebauung ihres Grundstücks den natürlichen Geländeverlauf abgegraben, sodass das Grundstück der Kläger im Vergleich mit den umliegenden Grundstücken teilweise mehr als zwei Meter höhenversetzt sei. Die Garage der Beigeladenen sei deutlich unter dem natürlichen Geländeverlauf angelegt worden; der Fußboden der Garage liege im Mittel mehr als 1,50 m unter der Geländeoberfläche. Sie habe im Bereich des Garagentors eine maximale Höhe von 2,90 m. Eine Terrassennutzung sei nicht beabsichtigt. Die Umwehrung führe nicht zu einer Verschattung des Grundstücks der Kläger. Eine auf die Garagendachumwehrung zurückzuführende Beeinträchtigung der Belichtung sei allenfalls im Bereich des Hangs erkennbar. Eine Dachumwehrung auf dem Dach einer grenzständig errichteten Garage löse nur dann Abstandsflächen aus, wenn durch diese die Wohnnutzung erweitert und eine einem Aufenthaltsraum vergleichbare Wirkung eintreten würde. Die Dachfläche sei mit Rollkies/Schotter befüllt, sodass sie sich bereits objektiv nicht für einen nicht nur vorübergehenden Aufenthalt eigne. Das Garagendach sei auch subjektiv nicht dazu bestimmt, eine Fläche für einen nicht nur vorübergehenden Aufenthalt zu schaffen. Die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 BayBO lägen vor. Die natürliche Geländeoberfläche liege bei - 2,00 m, oberer Bezugspunkt sei die Oberkante der Dachumwehrung bei 0,90 m. Damit ergebe sich eine mittlere Wandhöhe der Garage von 2,90 m. Ferner weise die Garage eine Gesamtlänge von 8,99 m auf. Selbst bei unterstelltem Vorliegen eines Abstandsflächenverstoßes liege keine Ermessensreduzierung auf Null vor, weil die von der Rechtsprechung geforderte besondere Beeinträchtigung der nachbarlichen Rechtsstellung nicht gegeben sei. Eine Beseitigungsanordnung sei ihrerseits ermessensfehlerhaft, weil die Beigeladene ansonsten einem Absturzrisiko ausgesetzt sei.
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Am 27. September 2022 fand die mündliche Verhandlung statt. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf Niederschrift vom 27. September 2022, wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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I. Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg. Die Ablehnung bauaufsichtlichen Einschreitens im Wege der Beseitigungsanordnung gemäß Art. 76 Satz 1 BayBO mit Bescheid vom 5. Dezember 2018 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
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Ein Anspruch des Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten, etwa durch Erlass einer Beseitigungsanordnung nach Art. 76 Satz 1 BayBO, erfordert zum einen, dass er durch die bauliche Anlage in nachbarschützenden Rechten verletzt ist, zum anderen, dass das Ermessen der Bauaufsichtsbehörde auf Null reduziert ist. Liegt eine Ermessensreduzierung auf Null nicht vor, hat der Kläger lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein bauaufsichtliches Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde sowie über Art und Weise des Einschreitens (BayVGH, B.v. 4.7.2011 - 15 ZB 09.1237 - juris Rn. 11; B.v. 7.9.2018 - 9 ZB 16.1890 - juris Rn. 6).
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Die an der östlichen Grundstücksgrenze des Vorhabensgrundstücks auf der Grenzgarage der Beigeladenen befindliche äußere und innere Umwehrung (im Folgenden: Umwehrung) verletzt das Abstandsflächenrecht (1.), was im vorliegenden Fall auch zu einer Ermessensreduzierung auf Null führt (2.).
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1. Die Umwehrung verletzt die nachbarschützende Vorschrift des Art. 6 BayBO gegenüber den Klägern. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Sach- und Rechtslage im Rahmen der Verpflichtungsklage ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 113 Rn. 57), sodass Art. 6 BayBO in der Fassung durch Gesetz vom 23. Dezember 2020 mit Wirkung vom 1. Februar 2021 maßgeblich ist.
23
a) Die Umwehrung löst Abstandsflächen aus, weil von ihr Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen, Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO.
24
Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Dies gilt gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO entsprechend für andere Anlagen, von denen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen, gegenüber Gebäuden und Grundstücksgrenzen. So liegt es bei der streitgegenständlichen Umwehrung. Sie wirkt wie eine Mauer, weil sie aus Beton besteht und licht- und luftundurchlässig ist. Die Umwehrung ist damit geeignet, den Zweck des Abstandsflächenrechts, ausreichende Belichtung und Belüftung der Gebäude zu gewährleisten (Kraus in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 146. EL 2022, Art. 6 Rn. 4), zu tangieren. Die Umwehrung ist als selbständiges Bauteil einer isolierten Betrachtung zugänglich. Ferner haben die Kläger den Streitgegenstand auf die Umwehrung beschränkt.
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b) Die Umwehrung ist auch nicht in den Abstandsflächen oder ohne eigene Abstandsflächen zulässig.
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Gemäß Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO sind Garagen einschließlich ihrer Nebenräume, überdachte Tiefgaragenzufahrten, Aufzüge zu Tiefgaragen und Gebäude ohne Aufenthaltsräume und Feuerstätten mit einer mittleren Wandhöhe bis zu 3 m und einer Gesamtlänge je Grundstücksgrenze von 9 m in den Abstandsflächen sowie ohne eigene Abstandsflächen zulässig, auch wenn sie nicht an der Grundstücksgrenze errichtet werden.
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Die streitgegenständliche Umwehrung stellt schon kein derartiges „Gebäude“ dar. Gemäß Art. 2 Abs. 2 BayBO sind Gebäude selbständig benutzbare, überdeckte bauliche Anlagen, die von Menschen betreten werden können. Dies trifft auf die Umwehrung nicht zu. Sie ist schon nicht überdeckt und kann nicht von Menschen betreten werden. Von ihr geht allenfalls gebäudeähnliche Wirkung aus (s.o.).
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Sie ist ferner kein Teil der gemäß Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO grundsätzlich zulässigen Garage. Zwar befindet sich die Umwehrung auf der Grenzgarage auf dem Vorhabensgrundstück. Sie nimmt jedoch nicht an der Privilegierung der Grenzgarage teil, weil sie keinen funktionalen Zusammenhang mit ihr aufweist. Die Umwehrung soll nach dem Vorbringen der Beigeladenen lediglich der Bewirtschaftung von Blumen und der Verminderung des Absturzrisikos dienen.
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Die Umwehrung ist auch nicht als Stützmauer oder geschlossene Einfriedung gemäß Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO in den Abstandsflächen sowie ohne eigene Abstandsfläche zulässig. Stützmauern dienen der Sicherung des natürlichen Geländes, indem sie ein sonst aufgrund der Topographie bedingtes Abrutschen des Erdreichs verhindern. Einfriedungen sind Anlagen an oder auf einer Grundstücksgrenze, die dazu bestimmt sind, ein Grundstück ganz oder teilweise zu umschließen und nach außen abzuschirmen, um unbefugtes Betreten oder Verlassen oder sonstige störende Einwirkungen abzuwehren (Schönfeld in BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, Spannowsky/Manssen, 22. Edition 2022, Art. 6 Rn. 221 f.). Die Umwehrung erfüllt diese Zwecke nicht. Sie dient schon deshalb nicht der Sicherung des natürlichen Geländes, weil sie auf der Garage - und damit ca. 1,80 m über dem natürlichen Gelände - befindlich ist. Sie ist damit ebenfalls keine Einfriedung in o.g. Sinne, weil sie durch die erhöhte Lage auf der Garage nicht dazu bestimmt ist, ein Grundstück nach außen abzuschirmen.
30
Eine zulässige Kumulierung der Privilegierungen von Grenzgaragen und Einfriedungen dergestalt, dass eine Einfriedung auf einer Grenzgarage zulässig wäre, kann der Vorschrift ebenfalls nicht entnommen werden. Dies widerspräche der Wertung des Art. 6 Abs. 7 BayBO, wonach derartige Anlagen lediglich bis zu einer Höhe von 3 m - Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1, 2 BayBO - bzw. bis zu einer Höhe von 2 m - Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO - zulässig sind. Eine Kumulierung einer Einfriedung mit einer Grenzgarage führte zur Zulässigkeit einer Grenzbebauung von bis zu 5 m Höhe ohne Abstandsflächen, was den Zielen des Abstandsflächenrechts, eine ausreichende Belichtung, Belüftung und Besonnung sowie ausreichend Freiflächen auf den Grundstücken zu schaffen und zu sichern, nicht gerecht würde (vgl. auch BayVGH, U.v. 3.10.1983 - 15 CS 83 A.1783 - BayVBl. 1984, 115).
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c) Damit sind vor der Umwehrung Abstandsflächen freizuhalten. Gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO beträgt die Tiefe der Abstandsflächen 0,4 H, mindestens jedoch 3 m. Die unmittelbar an der Grenze zum Grundstück der Kläger hin errichtete Umwehrung hält diese 3 m erkennbar nicht ein; dies wurde auch vom Beklagten und der Beigeladenen nicht in Zweifel gezogen. Auf die in den Akten befindlichen Fotos, insbesondere die Anlagen zur Klagebegründung vom 4. April 2019 sowie zur Klageerwiderung durch den Beigeladenenbevollmächtigten vom 7. Juli 2022, wird Bezug genommen.
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2. Dieser Abstandsflächenverstoß führt auch zu einem Anspruch der Kläger auf bauaufsichtliches Einschreiten im Wege der Beseitigungsanordnung gemäß Art. 76 Satz 1 BayBO.
33
Bei der Entscheidung, ob die Behörde bauaufsichtlich tätig wird, handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Grundsätzlich hat der Nachbar keinen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten, sondern nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein solches Einschreiten und über die Art und Weise des Einschreitens. Eine Ausnahme kann nur gelten, wenn jede andere Entscheidung als der Erlass bauaufsichtlicher Maßnahmen mit Rücksicht auf die schutzwürdigen Interessen des Nachbarn ermessensfehlerhaft wäre, d.h. wenn das Ermessen der Behörde aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles auf Null reduziert wäre. Insoweit ist in der Rechtsprechung geklärt, dass allein eine Verletzung des Abstandsflächenrechts nach Art. 6 BayBO oder einer sonstigen nachbarschützenden Vorschrift durch den benachbarten Bauherrn nicht genügt, um eine Reduzierung des von Art. 76 Satz 1 BayBO eingeräumten Ermessens auf eine strikte Verpflichtung der Bauaufsichtsbehörden zum Einschreiten zu begründen. Eine solche Ermessensreduzierung ist regelmäßig nur anzunehmen, wenn die von der rechtswidrigen Anlage ausgehende Beeinträchtigung einen erheblichen Grad erreicht und die Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen ergibt (BayVGH, B.v. 15.1.2019 - 15 ZB 17.317 - juris Rn. 4 m.w.N.).
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Nach der Rechtsprechung können jedoch im Falle der Errichtung eines Bauvorhabens im Genehmigungsfreistellungsverfahren gemäß Art. 58 BayBO - wie vorliegend - jedenfalls im Rahmen des Eilrechtsschutzes keine hohen Anforderungen gestellt werden. Weder dem Wortlaut der Vorschrift noch der Begründung des Gesetzentwurfs zur Vereinfachung und Beschleunigung baurechtlicher und wasserrechtlicher Verfahren ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des Genehmigungsfreistellungsverfahrens die materielle Rechtslage verändern und die Nachbarn insoweit schlechter stellen wollte als im Genehmigungsverfahren. Der Nachbar wäre aber tatsächlich schlechter gestellt, wenn er sich gegen die Schaffung vollendeter Tatsachen, die seine öffentlich-rechtlich geschützten Nachbarrechte möglicherweise nachhaltig berühren und die später kaum mehr zu beseitigen wären, nicht in vergleichbarer Weise zur Wehr setzen könnte wie im Verfahren nach § 80a Abs. 3 VwGO nach Durchführung eines Genehmigungsverfahrens (BayVGH, B.v. 26.7.1996 - 1 CE 96.2081 - juris). Demnach genügt es für den Anordnungsanspruch nach § 123 VwGO, wenn ernstliche Zweifel an der Vereinbarkeit des Vorhabens mit nachbarschützenden Bestimmungen bestehen und der Nachbar hierdurch mehr als nur geringfügig berührt wird (Schenke in Kopp/Schenke, 24. Aufl. 2018, § 123 Rn. 28 m.w.N.). Diese Erwägungen lassen sich nach Ansicht des Gerichts auf das Hauptsacheverfahren übertragen. Es kann keinen Unterschied machen, ob der Kläger im Rahmen des Eilverfahrens oder in der Hauptsache nur unter den besonderen Voraussetzungen an ein bauaufsichtliches Einschreiten geltend machen kann. Denn auch im Hauptsacheverfahren bleibt eine ungerechtfertigte Benachteiligung des Nachbarn im Genehmigungsfreistellungsverfahren gegenüber dem Nachbarn im Baugenehmigungsverfahren, der bei Erteilung einer Baugenehmigung zur Überprüfung der Vereinbarkeit des Vorhabens mit Art. 6 BayBO ohne weitere Voraussetzungen eine Anfechtungsklage erheben könnte.
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Gemessen an diesen Voraussetzungen liegt eine Ermessensreduzierung auf Null vor. Die Umwehrung führt zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Kläger. Sie ist samt Grenzgarage vom Wohngebäude der Kläger aus, dies zudem vom Wohnbereich, deutlich sichtbar. An der Grundstücksgrenze verläuft sie über 11 m und damit über die Hälfte der gesamten Grenze. Sie befindet sich zudem auf Höhe des Wohnhauses der Kläger. Die Grenzgarage samt Umwehrung und das Wohngebäude der Kläger haben einen Abstand von lediglich ca. 7 m zueinander. Damit verfängt jeder Blick aus dem Wohnbereich der Kläger an der Umwehrung. Ihr kommt insoweit eine abriegelnde bzw. einmauernde Wirkung zu, denn die Umwehrung auf der 1,80 m hohen Garage führt dazu, dass vor dem Wohnbereich der Kläger eine 2,90 m hohe Betonmauer ragt. Es wird insoweit auf die eindrücklichen Lichtbilder (Anlage K 5 zum Schriftsatz vom 7. Januar 2019 sowie das in der mündlichen Verhandlung übergebene) Bezug genommen. Ferner führt die Umwehrung zu einer Zunahme an Verschattung des Klägergrundstücks; aufgrund der Lage östlich der Umwehrung insbesondere in den Abendstunden. Angesichts dessen ist der Schutzzweck des Abstandsflächenrechts, für ausreichende Belichtung zu sorgen, tangiert. Etwas anderes kann auch nicht deshalb gelten, weil die Kläger einen derartigen Anblick bei Errichtung einer - reinen - Grenzgarage hinnehmen müssten. Gemäß Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO sind derartige Garagen mit einer mittleren Wandhöhe bis zu 3 m zulässig. Dabei handelt es sich indes um eine rein hypothetische Erwägung, die den bestehenden baurechtswidrigen Zustand nicht zu rechtfertigen mag. Diesen vorhandenen Zustand haben die Kläger gerade nicht hinzunehmen. Diese Argumentation verfängt auch deshalb nicht, weil sie unberücksichtigt lässt, dass sich die Umwehrung auf einer Länge von 11 m erstreckt. Eine Grenzgarage wäre jedoch gemäß Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO nur bis zu einer Länge von maximal 9 m zulässig. Es bleibt damit bei einer massiven Verletzung der Abstandsflächen durch den vorhandenen Bestand, der auch einer Abweichung gemäß Art. 63 BayBO nicht zugänglich wäre. Zudem ist auch der Sozialfrieden erheblich beeinträchtigt, weil die Umwehrung hier das Betreten des Garagendachs zur gärtnerischen Nutzung möglich macht, die die Beklagte nicht als von der ausgesprochenen Nutzungsuntersagung umfasst sieht. Die Umwehrung ermöglicht eine gleichsam ansitzartige Einblickmöglichkeit auf das klägerische Grundstück, wie das in der mündlichen Verhandlung übergebene Foto eindrücklich zeigt.
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Demgegenüber besteht ein lediglich geringes Interesse der Beigeladenen am Fortbestand der Umwehrung. Nach ihren Angaben sei die Umwehrung zur Bewirtschaftung von Pflanzen gedacht und diene der Absturzsicherung. Insoweit ist gleichwohl ohnehin fraglich, ob die Beigeladene die Umwehrung überhaupt für diese Zwecke nutzen darf. Schließlich wurde der Beigeladenen mit streitgegenständlichem Bescheid vom 5. Dezember 2018 die Nutzung der errichteten Dachterrasse auf der Garage untersagt. Der Beklagte beschränkte die Nutzungsuntersagung nicht auf Aufenthaltszwecke o.ä. Damit dürfte durch den insoweit bestandskräftigen Bescheid die Pflanzenpflege ohnehin untersagt sein. Folglich ist kein Interesse an der Umwehrung als Absturzsicherung erkennbar. Das Interesse der Beigeladenen ist daher allenfalls als marginal anzusehen und hat hinter der täglichen Sichtbehinderung der Kläger zurückzustehen. Soweit Rückbaukosten anfallen, sind diese der Risikosphäre der Beigeladenen zuzurechnen, die bauliche Anlagen rechtswidrig errichtete.
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Nach alledem fällt die Interessenabwägung zu Gunsten der Kläger aus.
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II. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, Abs. 3 VwGO. Der Beigeladenen konnten ebenfalls Kosten auferlegt werden, weil sich diese durch Stellung eines Antrags einem Prozessrisiko aussetzte.
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III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.