Inhalt

VG München, Urteil v. 11.10.2022 – M 10 K 17.41229
Titel:

kein Abschiebungsverbot nach Flutkatastrophe (Pakistan)

Normenketten:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3
Leitsatz:
Die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfen ist geeignet, nach einer Rückkehr nach Pakistan für einen vorübergehenden Zeitraum extreme materielle Not abzuwenden. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylrecht Pakistan, Abschiebungsverbot wegen schlechter humanitärer Lage (im konkreten Fall verneint), Überschwemmungskatastrophe ab Ende, August 2022 in Pakistan, Sicherung elementarer menschlicher Bedürfnisse bei Rückkehr (im konkreten Fall bejaht), Rückkehrhilfen zur Überbrückung bis Arbeitsaufnahme zur Abwendung extremer materieller Not ausreichend, Pakistan, Abschiebungsverbot, Flutkatastrophe, Rückkehrhilfe
Fundstellen:
InfAuslR 2023, 58
LSK 2022, 28404
BeckRS 2022, 28404

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Der Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger und wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrags durch Bescheid der Beklagten vom 16. Mai 2017.
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Mit Gerichtsbescheid vom 28. Januar 2019, dem Kläger zugestellt am 6. Februar 2019, wurde die Klage abgewiesen. Am 20. Februar 2019 hat der Kläger mündliche Verhandlung beantragt. Hinsichtlich des Sachverhalts nimmt das Gericht gem. § 84 Abs. 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Darstellung des Tatbestandes im Gerichtsbescheid Bezug.
3
In der mündlichen Verhandlung vom 29. September 2022 hat der Klägern die Nummern 2 und 3 seiner Klage vom 24. Mai 2017 zurückgenommen. Er beantragt zuletzt,
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1. den Bescheid des Bundesamts vom 16. Mai 2017 in den Ziffern 4-6 aufzuheben,
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2. die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestehen.
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Die Beklagte hat sich im gerichtlichen Verfahren nicht geäußert und stellte keinen Antrag.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Der Gerichtsbescheid vom 28. Januar 2019 gilt infolge fristgerechten Antrags des Klägers auf mündliche Verhandlung (§ 78 Abs. 7 AsylG, § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) als nicht ergangen, § 84 Abs. 3 Halbs. 2 VwGO.
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Soweit noch über die Klage zu entscheiden ist, ist die zulässige Klage unbegründet.
I.
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Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung die in der Klage vom 24. Mai 2017 in den Nummern 2 und 3 gestellten Anträge zurückgenommen hat, war das Verfahren insoweit gem. § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Die Entscheidung darüber ist unanfechtbar (§ 92 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
II.
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Im Übrigen ist der Bescheid vom 16. Mai 2017 im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, da im Ergebnis weder ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1. Die für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erforderlichen Voraussetzungen sind im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt in der Person des Klägers hinsichtlich Pakistan nicht gegeben.
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a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist die Abschiebung eines Ausländers unzulässig, wenn ihm im Abschiebungszielstaat die ernsthafte Gefahr der Folter oder einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung droht. Abzustellen ist dabei grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat und zunächst zu prüfen, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 26 m.w.N.). Für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse im Zielstaat ist keine Extremgefahr wie im Rahmen der verfassungskonformen Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderlich (BVerwG, B.v. 23.8.2018 - 1 B 42.18 - juris Rn. 13). Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen vielmehr ein gewisses „Mindestmaß an Schwere“ erreichen. Diese Voraussetzung kann erfüllt sein, wenn der Ausländer nach Würdigung aller Umstände des Einzelfalls im Zielstaat der Abschiebung seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten kann, also seine elementarsten Bedürfnisse in einer Situation extremer materieller Not nicht befriedigen kann (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 - C-163/17, Rs. „Jawo“ - juris Rn. 92 ff.; BVerwG, B.v. 23.8.2018 - 1 B 42.18 - juris Rn. 11). Im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen; erforderlich, aber auch ausreichend ist daher die tatsächliche Gefahr („real risk“) einer unmenschlichen Behandlung (BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 - juris Rn. 22) bzw. dem Bestehen einer Situation, in der Verhältnisse und Umstände herrschen, unter denen der Betreffende einer im Ergebnis unmenschlichen Situation ausgesetzt ist. Dies kann entweder wegen einer allgemein so schlechten Lage im Herkunftsstaat als solcher oder wegen dem Bestehen einer solchen und dem Hinzutreten besonderer, individuell begründeter Umstände, welche eine allgemein schlechte Lage im Einzelfall über die Schwelle dessen heben, was der Einzelne für den Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat (noch) hinzunehmen hat, der Fall sein.
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Diese rechtlichen Maßstäbe, nach denen die Prüfung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses in der Regel von den individuellen Umständen des Einzelfalls geprägt sein wird, gelten in der Regel auch bei Naturkatastrophen bzw. deren Auswirkungen auf die Umwelt und Infrastruktur; etwas Anderes kann nur dann gelten, wenn z.B. buchstäblich das ganze Land unter Wasser steht (vgl. NdsOVG, B.v. 28.1.2022 - 4 LA 250/20 - juris Rn. 10; überholt insoweit wohl mittlerweile BVerwG, U.v. 17.10.1995 - 9 C 15.95 - juris Rn. 15; vgl. etwa bezüglich der Flutkatastrophe im Sudan 2020, die den Großteil des Staatsgebiets betraf: Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG bejahend VG Hannover, U.v. 30.9.2020 - 5 A 2783/17 - juris Rn. 52, 66-68; a.A. etwa VG Braunschweig, U.v. 25.2.2021 - 3 A 261/20 - juris Rn. 30 ff.; vgl. andererseits bezüglich der Flutkatastrophe in Bosnien-Herzegowina 2014, die etwa ein Drittel des Landes betraf: Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG verneinend VG München, B.v. 19.1.2015 - M 2 E 15.30005 - juris Rn. 14; VG Würzburg, B.v. 6.11.2014 - W 1 S 14.30584 - juris Rn. 20).
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In Bezug auf Sicherung elementarer Grundbedürfnisse im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 4 GRCh gelten - gerade bei nicht vulnerablen Personen - nur an dem Erfordernis der Wahrung der Menschenwürde orientierte Mindestanforderungen. Das wirtschaftliche Existenzminimum ist immer dann gesichert, wenn erwerbsfähige Personen durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können. Zu den im vorstehenden Sinne zumutbaren Arbeiten zählen auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, selbst wenn diese im Bereich der sogenannten „Schatten- oder Nischenwirtschaft“ angesiedelt sind. Können extrem schlechte materielle Lebensverhältnisse, welche die Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK begründen, somit durch eigene Handlungen (z.B. den Einsatz der eigenen Arbeitskraft) oder die Inanspruchnahme der Hilfe- oder Unterstützungsleistungen Dritter (seien es private Dritte, seien es nichtstaatliche Hilfs- oder Unterstützungsorganisationen) abgewendet werden, besteht schon nicht mehr die ernsthafte Gefahr einer Situation extremer materieller Not, die unter Umständen eine staatliche Schutzpflicht zu (ergänzenden) staatlichen Leistungen auslösen kann (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.2022 - 1 C 10.21 - juris Rn. 17 m.w.N.).
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In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist ferner geklärt, dass die Gefahr eines ernsthaften Schadenseintritts nicht schon dann gegeben ist, wenn zu einem beliebigen Zeitpunkt nach der Rückkehr in das Heimatland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Maßstab für die im Rahmen der Prüfung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK anzustellende Gefahrenprognose ist vielmehr grundsätzlich, ob der vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer nach seiner Rückkehr, gegebenenfalls durch ihm gewährte Rückkehrhilfen, in der Lage ist, seine elementarsten Bedürfnisse über einen absehbaren Zeitraum zu befriedigen. Nicht entscheidend ist hingegen, ob das Existenzminimum eines Ausländers in dessen Herkunftsland nachhaltig oder gar auf Dauer sichergestellt ist. Kann der Rückkehrer Hilfeleistungen in Anspruch nehmen, die eine Verelendung innerhalb eines absehbaren Zeitraums ausschließen, so kann Abschiebungsschutz ausnahmsweise nur dann gewährt werden, wenn bereits zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der letzten behördlichen oder gerichtlichen Tatsachenentscheidung davon auszugehen ist, dass dem Ausländer nach dem Verbrauch der Rückkehrhilfen in einem engen zeitlichen Zusammenhang eine Verelendung mit hoher Wahrscheinlichkeit droht. Je länger der Zeitraum der durch Rückkehrhilfen abgedeckten Existenzsicherung ist, desto höher muss die Wahrscheinlichkeit einer Verelendung nach diesem Zeitraum sein (BVerwG, U.v. 21.4.2022 - 1 C 10.21 - juris Rn. 25).
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Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt wiederum voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Art. 3 EMRKwidrige Behandlung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Ein gewisser Grad an Mutmaßung ist dem präventiven Schutzzweck des Art. 3 EMRK immanent, sodass ein eindeutiger, über alle Zweifel erhabener Beweis dafür, dass der Betroffene im Falle seiner Rückkehr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre, nicht verlangt werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.2022 - 1 C 10.21 - juris Rn. 14 m.w.N.).
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b) Gemessen an diesen Anforderungen sind im vorliegenden Fall die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht erreicht.
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aa) Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln, die zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden, hat die Überschwemmungskatastrophe in Pakistan seit Ende August 2022 das Land schwer getroffen. Zwischenzeitlich stand etwa ein Drittel des Landes unter Wasser. Nach den Briefing Notes der Beklagten vom 26. September 2022 waren im maßgeblichen Zeitpunkt 84 Bezirke von der Katastrophe betroffen. Geschätzte 7,6 Millionen Menschen sind vorrübergehend vertrieben worden. Generell lässt sich konstatieren, dass die Infrastruktur und die Versorgungslage nicht nur in den am schlimmsten von den Fluten betroffenen Gebieten belastet ist, sondern, wenn auch wohl in unterschiedlichem Ausmaß, ebenso in Provinzen, die nur teilweise von den Überschwemmungen getroffen wurden. So haben etwa zwei von drei intern Vertriebenen in den Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa keinen Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen. Weniger betroffen von der Überschwemmungskatastrophe bzw. ihren Auswirkungen scheint im Umkehrschluss zu den Briefing Notes der Beklagten vom 26. September 2022 sowie ausweislich einer Übersicht des Amts der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) vom 22. September 2022 die Hauptstadt Islamabad im Norden der Region Punjab zu sein. Insgesamt ist das Land im Hinblick auf die Verfügbarkeit grundlegender Versorgungsgüter stark auf internationale Hilfe angewiesen, die zunächst nur schleppend angelaufen ist. Nach Angaben des National Flood Response Coordination Centre reichen die Vorräte an Weizen jedoch aus, um den Jahresbedarf an 30,5 Millionen Tonnen im Jahr 2022 zu decken.
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Infolge des Hochwassers kam es zu einem Anstieg von Moskitos übertragener Krankheiten wie Malaria und Denguefieber. In den von den Überschwemmungen betroffenen Gebieten wurden 2,7 Millionen Menschen wegen dieser Krankheiten behandelt. Dort ist die Lage für das Gesundheitssystem besonders angespannt. In der Provinz Sindh sind Gastroenteritis und Malaria Haupterkrankungen bei Binnenvertriebenen.
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bb) Unter Berücksichtigung der Erkenntnismittellage sowie den in der Person des Klägers liegenden Umständen konnte das Gericht im Ergebnis nicht zur der Überzeugung gelangen (§ 108 Abs. 1 VwGO), dass ihm im Falle einer (freiwilligen) Rückkehr nach Pakistan die ernsthafte Gefahr einer mit Art. 3 EMRK unvereinbaren Situation droht, in der elementare Bedürfnisse aufgrund extremer materieller Not nicht befriedigt werden können.
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(1.) Im Ausgangspunkt ist zunächst klarzustellen, dass die infolge der Überflutungen entstandene humanitäre Situation in Pakistan nicht dermaßen außergewöhnlich schlecht ist, dass diese bereits für sich genommen ohne Berücksichtigung individueller Umstände des Klägers zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK führen würde. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass nicht das gesamte Staatsgebiet von den Überflutungen betroffen ist, sondern „nur“ ein Drittel des Landes. Da bei der Prüfung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK auf das gesamte Zielstaatsgebiet abzustellen ist (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 26 m.w.N.), kann die Flutkatastrophe für sich genommen nicht als Argument für die Annahme eines Abschiebungsverbotes losgelöst von den individuellen Umständen des Klägers herangezogen werden (vgl. NdsOVG, B.v. 28.1.2022 - 4 LA 250/20 - juris Rn. 10). Insofern kommt es für die Frage des Bestehens eines Abschiebungsverbotes aufgrund der derzeitigen humanitären Situation in Pakistan maßgeblich auf die individuellen Umstände des Klägers an.
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(2.) Der Kläger gehört nicht zum Kreis sog. vulnerabler Personen, auch wenn er im Falle einer Rückkehr nach Pakistan voraussichtlich nicht auf ein familiäres Netzwerk zu seiner Unterstützung zurückgreifen kann. Beim Kläger handelt es sich aber um einen gesunden und arbeitsfähigen Mann, der nach Einschätzung des Gerichts nicht auf die Unterstützung durch seine Familie (zu der er nach eigenen Angaben keinen Kontakt mehr hat, weil Familienkonflikte u.a. ein Grund für seine Ausreise waren) angewiesen ist. Vor diesem Hintergrund ist bei ihm als Maßstab die an der Menschenwürde orientierte Sicherung elementarer menschlicher Bedürfnisse zu messen. Dazu gehört nach der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts insbesondere auch, ob der Kläger den Eintritt einer Situation extremer materieller Not durch den Einsatz eigener Arbeitskraft sowie die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfen abwenden kann (BVerwG, U.v. 21.4.2022 - 1 C 10.21 - juris Rn. 25). Hieran gemessen ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger eine solche Situation mithilfe von Rückkehrhilfen und eigener Arbeit abwenden kann. So hat der Kläger in seiner Anhörung vom 28. Oktober 2016 angegeben, insgesamt 6.000 Euro für seine Flucht nach Deutschland bezahlt zu haben, die er zum Teil durch eigene Arbeit selbst erwirtschaftet habe. Die gegenteilige Angabe des Klägers in der mündlichen Verhandlung, er wäre nicht aus Pakistan ausgereist, wenn er dort eine Arbeit gefunden hätte, steht in unauflösbarem Widerspruch zu seinen Angaben im Anhörungsgespräch bei der Beklagten und ist daher nicht nachvollziehbar. Das Gericht geht anhand der Schilderungen im Anhörungsgespräch bei der Beklagten vielmehr davon aus, dass es dem Kläger möglich und zumutbar ist, sich nach einer Rückkehr nach Pakistan sein Existenzminimum durch eigene Arbeit zu erwirtschaften.
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Dabei wird nicht verkannt, dass sich dies angesichts der derzeitigen humanitären Situationen Pakistan als herausfordernd und schwierig gestalten kann. Zu berücksichtigen ist indes, dass die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfen zur (finanziellen) Überbrückung der Anfangszeit im Falle einer Rückkehr nach Pakistan dienen kann. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, dass die Rückkehrhilfen für einen wirtschaftlichen Neuanfang nicht ausreichen würden, ist dies nicht überzeugend. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt es gerade nicht darauf an, dass mit der Inanspruchnahme von Rückkehrhilfen nachhaltig oder dauerhaft eine finanzielle Notlage abgewendet werden können muss. Schon gar nicht kann es darauf ankommen, dass Rückkehrhilfen dem Ausländer zur längerfristigen Begegnung einer allgemeinen wirtschaftlich schlechten Situation, die von Arbeitslosigkeit geprägt ist (wie es der Kläger in der mündlichen Verhandlung dargestellt hat), helfen sollen. Anhand der öffentlich zugänglichen Informationen zu Rückkehr- und Reintegrationsprogrammen für Pakistan (s. dazu https://www.returningfromgermany.de/de/countries/pakistan) geht das Gericht davon aus, dass diese ausreichend sind, um den Kläger für einen vorübergehenden, absehbaren Zeitraum eine finanzielle Überbrückung bis zur Aufnahme einer Arbeitstätigkeit zu ermöglichen. Bei prognostischer Würdigung geht das Gericht davon aus, dass die Inanspruchnahme der unter der genannten Quelle aufgeführten Rückkehrhilfen geeignet ist, nach einer Rückkehr des Klägers für einen vorübergehenden Zeitraum extreme materielle Not abzuwenden. Das Gericht ist im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt auch nicht davon überzeugt, dass der Kläger nach Verbrauch der finanziellen Starthilfe mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem engen zeitlichen Zusammenhang absehbar in Verelendung enden würde, sondern dass er in der Lage ist, in Anschluss an diese Überbrückungszeit eine Situation extremer materieller Not durch eigene Arbeit abwenden zu können.
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Soweit die Bevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung angeführt hat, dass es aufgrund der derzeit geschätzt 7,6 Millionen Binnenvertriebenen (sowie Migrationsdruck von außen) noch nicht einmal sichergestellt sei, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Pakistan eine Unterkunft finden würde, hat diese Behauptung im Ergebnis spekulativen Charakter, da sie sich - auch nach einer umfassenden Auswertung der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel - nicht ansatzweise validieren lässt. Richtig ist zwar, dass es aufgrund der Zahl von 7,6 Millionen Binnenvertriebenen und Fluchtbewegungen aus Drittstaaten zu einer Verschärfung der Gesamtsituation kommen kann (was das Gericht so als zusammenfassende Bewertung bezüglich der Binnenvertriebenen in der mündlichen Verhandlung auch ausgeführt hat). Dass es aber zugespitzt formuliert zu einer Situation kommt, in welcher der Kläger trotz Inanspruchnahme von Rückkehrhilfen in einem engen zeitlichen Zusammenhang in Obdachlosigkeit und Verelendung endet, erscheint für das Gericht nicht beachtlich wahrscheinlich (vgl. dazu BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 37.18 - juris Rn. 19). Das Gericht hat insofern in der mündlichen Verhandlung bereits ausgeführt, dass die Zahl der Binnenvertriebenen auch in Relation zur Gesamteinwohnerzahl Pakistans und der Größe dieses Landes betrachtet werden müsse. Auch wenn die (allgemeine) Gesamtbewertung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel zu einer Verschärfung der Situation nach den Überschwemmungen infolge der 7,6 Millionen Binnenvertriebenen kommt, ermöglichen die Erkenntnismittel nicht die zugespitzte Schlussfolgerung der Klägerbevollmächtigten, dass der Kläger im Falle der Rückkehr nach Pakistan trotz Inanspruchnahme von Rückkehrhilfen in Obdachlosigkeit und Verelendung endet. Verbleibende Prognoseunsicherheiten sind hierbei als unvermeidlich hinzunehmen (BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 37.18 - juris Rn. 19). Das Gericht ist insofern auch gehindert, bezüglich dieser Restunsicherheit den Zweifelsatz zugunsten des Klägers anzuwenden (BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 37.18 - juris Rn. 16). Eine weitere Aufklärung der Tatsachenbehauptung von Amts wegen, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Pakistan keine Unterkunft zur Verfügung stehen würde, hat sich daher dem Gericht vor diesem rechtlichen Hintergrund auch nicht aufgedrängt.
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Im Ergebnis gelten die obigen Überlegungen zum Wahrscheinlichkeitsmaßstab auch für die Anregung der Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung, ein befristetes Abschiebungsverbot festzustellen. Auch wenn dies in besonderen Einzelfällen in Betracht kommen mag (vgl. etwa VG München, U.v. 17.6.2021 - M 23 K 20.33012 - Rn. 23, n.v. - dort ging es allerdings um eine nachgewiesene schwere psychische Erkrankung des Klägers), kann dies jedenfalls vorliegend nicht ein Mittel zum Zweck sein, bei Bestehen (verbleibender) Prognoseunsicherheiten in indirekter Weise den Zweifelssatz zum Gegenstand der Überzeugungsbildung i.S.v. § 108 Abs. 1 VwGO zu machen, indem sozusagen „vorsorglich“ Abschiebungsschutz gewährt wird. Vorliegend dürfte die Anordnung eines solchen befristeten Abschiebungsverbots, wie es sich die Klägerbevollmächtigte mit Blick auf die derzeitigen humanitären Bedingungen in Pakistan vorstellt, jedenfalls mit der sich aus § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG ergebenden Wertung und Aufgabenverteilung im Konflikt stehen.
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(3.) Im Ergebnis kann der Kläger daher nicht die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK beanspruchen, insbesondere, wenn man eine Rückkehr nach Pakistan über den Flughafen Islamabad berücksichtigt. Da das Gericht unter Berücksichtigung der Erkenntnismittellage nicht zu der Überzeugung gelangt ist, dass dem Kläger dort die Gefahr einer Situation droht, die gleichbedeutend mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ist, kommt es insofern nicht entscheidungstragend darauf an, dass ihm eine solche Situation in anderen Landesteilen drohen könnte (vgl. nochmals BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 26).
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2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Der Kläger ist weder krank noch konkret von einer schweren Krankheit bedroht.
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Der infolge des Hochwassers ausgelöste Anstieg übertragbarer Krankheiten wie Malaria und Denguefieber, aber auch weiterer Krankheiten, die insbesondere in den unmittelbar von den Fluten betroffenen Gebieten aufgrund der dortigen schlechten Versorgungslage herrschen, führt nicht zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Hierbei handelt es sich nämlich um allgemeine Gefahren, die von der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG erfasst sind. Solche Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind (lediglich) bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (vgl. Zimmerer in BeckOK MigR, Stand 15.7.2022, § 60 AufenthG Rn. 37). Nur ausnahmsweise kann in verfassungskonformer Auslegung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz beansprucht werden, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr aufgrund der Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren (BVerwG, U.v. 29.9.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 19). Eine solche (extreme) Gefahrenlage liegt aber nur vor, wenn die Abschiebung den Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde (BVerwG, U.v. 29.9.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20).
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Eine solche Extremgefahr ist vorliegend nicht erkennbar. Auch wenn es vor allem in den unmittelbar von den Fluten betroffenen Gebieten zu einem starken Anstieg übertragbarer Infektionskrankheiten wie Malaria und Denguefieber gekommen ist, handelt es sich um eine allgemeine Gefahr, der grundsätzlich vom Kläger wirksam mit Mitteln sorgfältiger Expositionsprophylaxe und Repellentien begegnet werden kann (vgl. auch VG Braunschweig, U.v. 25.2.2021 - 3 A 261/20 - juris Rn. 42). Es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass sich der Kläger mit diesen Krankheiten gar nicht infiziert, insbesondere, wenn er sich in einen Landesteil aufhält, der nicht unmittelbar von der Flut betroffen ist. Dass der Kläger im Falle einer Abschiebung „sehenden Auges“ dem Tod oder schwersten Verletzungen oder Krankheiten ausgeliefert würde, ist insofern nicht erkennbar.
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3. Die abschließenden Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung, dass er sich während seines siebenjährigen (gestatteten) Aufenthaltszeitraums in Deutschland stets rechtstreu verhalten habe und hier arbeite, mag sich (in der Zukunft) zwar möglicherweise ausländerrechtlich zugunsten des Klägers auswirken; diese Ausführungen sind aber asylrechtlich ohne Bedeutung.
III.
32
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.