Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 05.09.2022 – W 8 K 22.30139
Titel:

Erfolgreiche Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Iran)

Normenketten:
AsylG § 3
Anerkennungs-RL Art. 4 Abs. 4
Leitsatz:
Ein iranischer Kläger hat allgemein mit politischer Verfolgung zu rechnen, wenn er mit seinen oppositionellen und exilpolitischen Aktivitäten derart nach außen in Erscheinung getreten ist, dass er zum einen durch die iranischen Sicherheitsbehörden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit als ernsthafter Regimegegner, welcher auf die Verhältnisse im Iran einzuwirken vermag, identifiziert und qualifiziert worden ist, und dass zum anderen wegen der von ihm ausgehenden Gefahr ein Verfolgungsinteresse des iranischen Staats besteht. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Iran, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Kameramann, Vorwurf regimefeindlicher Aktivitäten sowie des Abfalls zum Islam, Inhaftierung und Verhör im Iran, Vermutung erneuter Verfolgung mangels stichhaltiger gegenteiliger Gründe, Sender Hellip-TV, Religion der Eckankar, gerichtliche Vorladungen und Dokumente, missglückter elektronischer Zugriff auf Dokumente über SANA, Abfall vom Islam infolge der Vergewaltigung durch Mullah im Kindesalter, Kontakt zum Eckankar im Iran, Konversion vom Islam zur Religion, Eckankar, insgesamt glaubhaftes Vorbringen im Einzelfall, Asylverfahren, Flüchtlingseigenschaft, Arbeit für Fernsehsender, Türkeiaufenthalt, Abfall vom Islam, Islamkritik, Haft, Glaubhaftmachung, beachtliche Wahrscheinlichkeit, oppositionelle Tätigkeiten, SANA, Systemabfrage, Vergewaltigung, Mullah
Fundstelle:
BeckRS 2022, 28402

Tenor

I. Die Nummern 1 und 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. Februar 2022 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

I.
1
Der Kläger, iranischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 29. Juli 2021 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 21. September 2021 einen Asylantrag. Zur Begründung seines Asylantrages gab er im Wesentlichen an: Er sei Kameramann und habe auch beim Sender …-TV in der Türkei gearbeitet. Er sei zur Religion der Eckankar konvertiert. Er habe Probleme bekommen. Er sei nach einer Inhaftierung auf Kaution freigelassen worden. Er habe eine Vorladung erhalten.
2
Mit Bescheid vom 17. Februar 2022 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Nr. 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Nr. 2) und erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 3). Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung, im Falle einer Klageerhebung innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens, zu verlassen. Die Abschiebung in den Iran oder einen anderen Staat wurde angedroht. Die Ausreisefrist wurde bis zum Ablauf der zweiwöchigen Klagefrist ausgesetzt (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Der Sachvortrag des Klägers genüge nicht den Kriterien einer glaubhaften Darstellung eines Verfolgungsschicksals. Die vorgelegten Kopien von Dokumenten, die im Zusammenhang mit seinem Strafverfahren stehen sollen, seien einer zuverlässigen Würdigung bereits nicht zugänglich. Der Kläger sehe sich nicht in der Lage, Originale vorzulegen, die allein einer erforderlichen Echtheitsprüfung zugänglich wären. Man könne den Fortgang eines Prozesses online verfolgen und Dokumente digital abrufen. Der Kläger habe wesentliche Inhalte und die Bedeutung seiner Mitgliedschaft in der Religion Eckankar nicht verdeutlichen können. Eckankar sei auch in Deutschland vertreten. Das Vorbringen sei unkonkret und beschränke sich auf das Kerngeschehen. Gänzlich fehle auch die Schilderung innerer Geschehensabläufe. Auch das Vorbringen zur Beteiligung des Ehemanns seiner Schwester sowie die Umstände der Kautionsleistung seien zweifelhaft.
II.
3
1. Am 28. Februar 2022 erhob der Kläger zu Protokoll des Urkundsbeamten in vollem Umfang Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid.
4
Mit Schriftsatz vom 22. Juli 2022 nahm der Klägerbevollmächtigte unter Modifizierung des Klageantrags im Übrigen den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter zurück.
5
Zur Klagebegründung ließ der Kläger mit Schriftsatz vom 13. August 2022 im Wesentlichen ausführen: Nicht die anhörende Person habe über das Asylbegehren des Klägers entschieden, sondern eine andere Person, und zwar allein aufgrund des Akteninhalts. Im Einzelnen hätten Nachfragen und Vorhalte gemacht werden müssen, soweit das Vorbringen nicht für glaubwürdig gehalten werde. Der Kläger sei Kameramann in der Filmbranche. Er habe 2015 (eventuell auch 2016, da er sich an das genaue Datum nicht mehr erinnern könne) den Iran verlassen und in der Türkei bei …-TV gearbeitet. Er sei etwa im Februar 2020 in den Iran zurückgekehrt. Dann hätten die Probleme mit den iranischen Behörden aufgrund dieser Tätigkeit in der Türkei begonnen. …-TV werde seitens des Iran als regimefeindlich angesehen. Der Betreiber des Medienkonzerns …-TV (S. K..) sei am 30. April 2017 in Istanbul in aller Öffentlichkeit in seinem Auto ermordet. Dieser Mord sei nachweislich im Auftrag der iranischen Machthaber erfolgt. Gegen den Kläger sei, wie bereits durch die nur in Kopie vorlegbaren Unterlagen belegt, ein Verfahren eröffnet worden. Er habe angesichts der drohenden Verurteilung, Inhaftierung und unmenschlichen Behandlung aufgrund vermuteter oppositioneller Gesinnung das Land verlassen müssen. Als der Kläger etwa 2015 den Iran verlassen habe, um in der Türkei zu arbeiten, habe er bereits über das Onlineportal einen Code erstellen lassen, da dieser für den Arbeitgeber und die Bankverbindung des Klägers erforderlich gewesen sei. Diesen Code habe er beim Arbeitgeber gelassen. Aufgrund des Bundesamtsbescheides hab der Kläger inzwischen versucht, sich neu zu registrieren. Er habe hierbei sämtliche Angaben gemacht, die gefordert worden seien, einschließlich einer Adresse im Iran und einer Festnetznummer im Iran. Eine Handynummer außerhalb des Irans sei hierbei nicht akzeptiert worden. Am Festnetztelefon der Eltern sei daraufhin ein Anruf erfolgt, worin bestätigt worden sei, dass alle erforderlichen Angaben gemacht worden seien und die Zugangsdaten in Kürze postalisch an die angegebene Adresse im Iran versandt würden. Zwei Tage später sei eine Erstürmung des Anwesens durch Sicherheitskräfte erfolgt, wobei den Eltern anlässlich der Hausdurchsuchung gesagt worden sei, man wüsste, dass der Sohn (Kläger) in Deutschland sei und dort Asyl beantragt habe. Am 12. August 2022 habe der Kläger mitgeteilt, dass diese Hausdurchsuchung in der vergangenen Woche stattgefunden habe. Ein Schreiben bezüglich der Registrierungsdaten bzw. Zugangsdaten sei bei den Eltern nicht eingegangen. Für die mündliche Verhandlung würden daher Beweisanträge angekündigt, dass es für den Kläger angesichts dieser Ereignisse nicht möglich sei, über das Onlineportal Informationen über den Fortgang des gegen ihn geführten Verfahrens zu erlangen.
6
Mit Schriftsatz vom 1. September 2022 ließ der Kläger im Wesentlichen weiter vorbringen: Die Erklärung des Klägers hinsichtlich der Originalunterlagen sei sehr wohl nachvollziehbar und plausibel. Der Kläger habe die Unterlagen in der Cloud über Telegram und zwar über die Nummer der Mutter gespeichert. Bei seiner Ausreise habe er kein internetfähiges Handy mit sich geführt gehabt. Im Übrigen hätten die Sicherheitsbehörden bei der bereits mitgeteilten Hausdurchsuchung alle den Kläger betreffenden Unterlagen aus dem Haus mitgenommen. Selbst seine Karte für das Fitnessstudio und auch alles über seine Arbeit, die Bankverbindung usw. Die Ausführung, der Kläger habe einen Code für das Onlineportal besessen, aber seinem Arbeitgeber überlassen, habe auf einem Missverständnis des Unterfertigten bei der Besprechung am 12. August 2022 beruht. Tatsächlich habe der Kläger zu dieser Zeit (2015) selbst keinen persönlichen Code gehabt, lediglich die Mitarbeiter. Es sei nicht behauptet worden, dass die Handynummer des Klägers nicht angenommen worden sei und er trotzdem den Registrierungsantrag haben versenden können. Er habe die Registrierung über die Daten seiner Eltern durchgeführt. Aber nicht nur die Hinterlegung einer Handynummer sei Bedingung, sondern auch die Hinterlegung einer Festnetznummer. Der Kläger habe per - als Anlage beigefügten - Screenshots den grundsätzlichen Registrierungsweg dokumentiert, woraus sich auch ergebe, dass die Angabe einer Festnetznummer erforderlich sei. Am Ende der Registrierung erscheine, dass das persönliche Erscheinen erforderlich sei. Daraufhin sei die Mutter des Klägers hingegangen. Sie sei jedoch mit der Aussage wieder weggeschickt worden, in zwei Tagen komme der Code per Post. Stattdessen seien nach zwei Tagen die Sicherheitsbehörden gekommen. Richtig sei, dass bei einer Hausdurchsuchung durch die Polizei ein Protokoll erstellt werde. Im vorliegenden Fall sei aber nicht die Polizei, sondern die Sepah gekommen; von diesen werde kein Protokoll ausgestellt. Abschließend werde noch mitgeteilt, dass der Kläger bereits seit einiger Zeit in psychologischer Behandlung sei.
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2. Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 4. März 2022,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung der Klageerwiderung führte die Beklagte mit Schriftsatz vom 18. August 2022 im Wesentlichen aus: Der Sachverhalt sei im Rahmen der 14-seitigen Anhörungsniederschrift ausreichend geklärt. Für eine Personengleichheit zwischen anhörender und entscheidender Person bestehe keine rechtliche Verpflichtung. Widersprüche seien im Rahmen der Anhörung hinreichend vorgehalten, Ungereimtheiten hinterfragt worden, insbesondere z.B. auch, warum der Kläger nicht in der Lage gewesen sei, die Originaldokumente vorzulegen. So sei nicht nur die Erklärung wenig nachvollziehbar, warum der Kläger die Originalunterlagen bei der illegalen Ausreise nicht gleich mit sich geführt habe, sondern auch, dass er diese auf seinem Handy „versteckt“ gehabt haben wolle. Bei einer Festnahme wären die iranischen Behörden mit Sicherheit in der Lage gewesen, die auf dem Handy versteckten Dokumente zu finden. Zudem hätte er sich die angeblich bei seiner Familie befindlichen Originaldokumente auch nachsenden lassen können, gegebenenfalls (in nicht unüblicher Weise) per Boten. Der Kläger habe bei der Anhörung angegeben, der Entlassungsschein sei das Letzte, was er über sein Strafverfahren habe. Die nunmehr in der Klagebegründung nachgeschobene Behauptung, er habe zwar einen Code für das Onlineportal besessen, diesen aber seinem Arbeitgeber belassen oder überlassen, sei völlig unglaubhaft, da es sich um einen persönlichen Zugangscode handele. Auch die Behauptung, dass bei einem neuen Registrierungsversuch in Deutschland seine Handynummer nicht angenommen worden sei, er trotzdem den Registrierungsantrag habe versenden können, woraufhin bei seinen Eltern eine Hausdurchsuchung stattgefunden habe, sei völlig unglaubhaft. Die Hinterlegung einer Handynummer sei Bedingung für eine erfolgreiche Registrierung (siehe Bescheidbegründung). Ein Versand des unvollständigen Antrages wäre wohl verweigert worden. Wenn eine Hausdurchsuchung bei den Eltern stattgefunden habe, so müsse es ein entsprechendes Protokoll geben. Dieses möge der Kläger im Original vorlegen. Die bloße Behauptung könne nicht genügen.
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3. Die Kammer übertrug den Rechtsstreit mit Beschluss vom 7. März 2022 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung.
10
Mit Beschluss vom 25. Juli 2022 trennte das Gericht den zunächst gestellten Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter infolge der zuvor erklärten Klagerücknahme ab, führte diesen Klageteil unter dem Aktenzeichen W 8 K 22.30536 fort und stellte ihn auf Kosten des Klägers ein.
11
In der mündlichen Verhandlung am 5. September 2022 beantragte der Klägerbevollmächtigte,
die Beklagte unter Aufhebung der Nummern 1 und 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. Februar 2022 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen;
hilfsweise dem Kläger den subsidiären Schutz zuzuerkennen;
hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
12
Das Gericht hörte den Kläger informatorisch an.
13
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte (samt der Akte des Verfahrens W 8 K 22.30536) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

14
Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.
15
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. Februar 2022 ist in seinen Nrn. 1 und 3 bis 6 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG). Aus diesem Grund war der streitgegenständliche Bescheid, wie zuletzt beantragt, insoweit aufzuheben. Über die hilfsweise gestellten Anträge zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) war nicht zu entscheiden.
16
Unter Berücksichtigung der aktuellen abschiebungsrelevanten Lage im Iran hat der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG.
17
Gemäß §§ 3 ff. AsylG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Bedrohung liegt dann vor, wenn anknüpfend an Verfolgungsgründe (vgl. dazu Art. 10 der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 - so genannte Anerkennungsrichtlinie oder Qualifikationsrichtlinie bzw. § 3b AsylG) Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (§ 3a AsylG).
18
Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 - 10 C 25/10 - BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 - 10 C 5/09 - BVerwGE 136, 377) liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 - 9 C 21/92 - BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 - 9 C 118/90 - BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 - 9 C 59/91 - Buchholz 402.25, § 7 AsylVfG Nr. 1).
19
Nach Artikel 4 Abs. 4 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU ist hierbei die Tatsache, dass ein Betroffener bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Betreffenden vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Betreffende erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr Begünstigten eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bedroht werden. Dadurch wird derjenige, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung (BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 5/09 - BVerwGE 136, 377 - juris Rn. 23).
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Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich - als wahr unterstellt - bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 - 9 C 106.84 - BVerwGE 71, 180).
21
Nach Überzeugung des Gerichts besteht für den Kläger aufgrund seiner Aktivitäten und seiner persönlichen Situation - Arbeit für verschiedene Fernsehsender, unter anderem für …-TV, Abfall vom Islam samt Hinwendung zu Eckankar sowie Vorwurf der Mobilisierung anderer, ebenfalls vom Islam abzufallen, bzw. Vorwurf, andere Leute auch im Sinne einer islamkritischen Information aufzuklären - eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran, weil aus der Sicht des iranischen Staates die Aktivitäten des Klägers als regimefeindlich angesehen wurden und auch noch werden und der Kläger selbst als Ungläubiger gilt und der iranische Staat bezogen auf den Kläger schon in der Vergangenheit sein Verfolgungsinteresse bekundet hat. Ins Gewicht fällt, dass der Kläger schon vor seiner Ausreise verfolgt wurde, sodass gemäß Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU die Vermutung dafürspricht, dass dem Kläger bei einer Rückkehr erneut Verfolgung droht, ohne dass stichhaltige Gründe dagegensprechen.
22
Dem Kläger ist es gelungen, die für seine Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen. Unter Zugrundelegung der glaubhaften Angaben des Klägers ist das Gericht davon überzeugt, dass eine begründete Gefahr politischer bzw. religiöser Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestand bzw. besteht. Das Gericht ist nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung, insbesondere aufgrund des persönlichen Eindrucks vom Kläger, davon überzeugt, dass das Vorbringen des Klägers sowohl zu seiner Vergewaltigung im Kindesalter als Grund für den Abfall vom Islam als auch zu seinen Aktivitäten als Kammermann sowohl in der Türkei als auch im Iran sowie zu seiner Beziehung zu der Weltanschauung der Eckankar und nicht zuletzt zu seinen deswegen erlittenen staatlichen Repressionen im Iran glaubhaft ist. Gerade in Bezug auf den Kläger spricht nicht nur der Inhalt seiner Angaben, einschließlich der Erwähnung nebensächlicher Details, in der mündlichen Verhandlung, sondern vor allem auch die dabei gebrauchte Wortwahl sowie die gezeigte Mimik und Gestik, auch verbunden mit einem Einblick in seine Gefühlslage und Gedankenwelt für die Glaubhaftigkeit seiner Angaben. Gerade diese Elemente bei der Aussage (Körpersprache, Gestik, Mimik usw.) sprechen gewichtig für die Ehrlichkeit des Klägers und für den wahren Inhalt seiner Angaben.
23
Nach der vorliegenden Erkenntnislage und der darauf fußenden Rechtsprechung ist beim Kläger wegen der von ihm vorgebrachten - vermeintlich bzw. tatsächlich - regimefeindlichen und islamkritischen Aktivitäten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erneut mit einer Verfolgung aus politischen bzw. religiösen Gründen bei einer Rückkehr in den Iran zu rechnen.
24
Denn nach der Rechtsprechung ist allgemein mit politischer Verfolgung zu rechnen, wenn ein Kläger mit seinen oppositionellen und exilpolitischen Aktivitäten derart nach außen in Erscheinung getreten ist, dass er zum einen durch die iranischen Sicherheitsbehörden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit als ernsthafter Regimegegner, welcher auf die Verhältnisse im Iran einzuwirken vermag, identifiziert und qualifiziert worden ist, und dass zum anderen wegen der von ihm ausgehenden Gefahr ein Verfolgungsinteresse des iranischen Staats besteht (vgl. VG Würzburg, U.v. 3.6.2022 - W 8 K 22.30034 - juris Rn. 24 ff.; U.v. 31.1.2022 - W 8 K 21.31264 - juris Rn. 66 ff.; VG Würzburg, U.v. 16.10.2017 - W 8 K 17.31567 - juris Rn. 23 und 35; U.v. 15.2.2017 - W 6 K 16.32201 - juris Rn. 31 und 42; jeweils mit weiteren Nachweisen zur Erkenntnislage und zur Rechtsprechung).
25
Im neuen Lagebericht 16. Februar 2022 (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Iran, Stand: 23.12.2021) ist ausgeführt, dass Teile der iranischen Bevölkerung aufgrund ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit, politischer, künstlerischer oder intellektueller Betätigung oder aufgrund ihrer sexuellen Orientierung starken Repressionen ausgesetzt sind. Jede Person, die öffentlich Kritik an Missständen übt oder sich für die Menschenrechte organisiert, setzt sich der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung aus (S. 4). Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden werden oder islamische Grundsätze in Frage stellen. Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden. Strafverfolgung erfolgt selbst bei niederschwelliger Kritik oftmals willkürlich und selektiv. Inhaftierten droht insbesondere bei politischer Strafverfolgung eine Verletzung der körperlichen und mentalen Unversehrtheit. Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen hat oftmals staatliche Zwangsmaßnahmen und Sanktionen zur Folge (S. 7). Das Regime verfolgt (vermeintlich und tatsächlich) militante separatistische Gruppierungen (vor allem die kurdisch-marxistischen Komalah-Partei sowie die DPIK usw.) (S. 9). Iraner, die im Ausland leben, sich dort öffentlich regimekritisch äußerten, sind von Repressionen bedroht, nicht nur, wenn sie in den Iran zurückkehren (S. 15). Willkürliche Festnahmen, Haft und unverhältnismäßige Strafen sind in politischen Fällen üblich (S. 18). Allein der Umstand, dass eine Person in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, löst bei Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus. Ausgenommen davon sind Personen, die seitens iranischer Sicherheitsbehörden als ernsthafte Regimegegner identifiziert werden und an denen ein Verfolgungsinteresse besteht. Bisher ist kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert worden sind. Der neue iranische Justiz-Chef hat Exil-Iraner und Iranerinnen explizit ermutigt, nach Iran zurückzukehren, und ihnen eine Rückkehr ohne Inhaftierung in Aussicht gestellt, sofern dies mit der iranischen Justiz koordiniert wird (S. 21).
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Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Iran vom 23.5.2022 m.w.N.) führt aus, dass die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen zu staatlichen Zwangsmaßnahmen und Sanktionen führen kann. Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die die islamischen Grundsätze in Frage stellt. Dies ist besonders ausgeprägt bei Gruppierungen, die Interessen religiöser oder ethnischer Minderheiten vertreten. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weitgefasste Straftatbestände. Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden. Gegen Personen, die ihre Meinungen oder Nachrichten online publizieren (Blogger), wird massiv vorgegangen. Der elektronische Medien- oder Internet-Verkehr steht unter staatlicher Kontrolle. Millionen Internetseiten und viele Plattformen sind gesperrt. Regimefeindliche oder islamfeindliche Äußerungen werden auch geahndet, wenn sie in den elektronischen Kommunikationsmedien, etwa auch in sozialen Netzwerken getätigt werden. Jede Person, die sich regimekritisch im Internet äußert, läuft Gefahr, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, einen „Cyber-Krieg“ gegen das Land führen zu wollen (S. 35).
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Nach ACCORD ist es des Weiteren den iranischen Behörden gelungen, die meisten oppositionellen Organisationen zu unterwandern. Den iranischen Behörden ist bewusst, dass iranische Auslandsstudenten und -studentinnen - in der Hoffnung, ein Asyl- oder Bleiberecht zu erhalten - sich Oppositionsgruppen anschließen oder zum Christentum konvertieren würden. Die Überwachung von Exil-Iranern ist bereits zur Zeit des Schahs Praxis gewesen. Sehr häufig kommt es vor, dass sich Exil-Iraner und Iranerinnen gegenseitig verraten und Personen auf diese Art in den Fokus iranischer Überwachsungstätigkeiten geraten würden (ACCORD, Anfragebeantwortung zum Iran: Überwachung von Aktivitäten im Ausland, Exilpolitische Aktivitäten, Konversion vom 5.7.2019).
28
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft die Geschehnisse nach seiner Rückkehr aus der Türkei im Jahr 2020 dargelegt. Der Kläger verwies auf drei Aspekte, die ihm der iranische Staat vorwerfe. Der erste Vorwurf sei gewesen, dass er für oppositionellen Fernsehsender aktiv gewesen sei, und zwar unter anderem …-TV. Zum Zweiten sei ihm vorgeworfen worden, dass er vom Islam abgefallen sei und sich der Religion bzw. Weltanschauung Eckankar zugewendet habe. Der dritte Vorwurf sei gewesen, dass er sich islamkritisch äußere und auch andere mobilisiere, ebenfalls vom Islam abzufallen.
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Der Kläger schilderte im Einzelnen und detailliert, dass er zunächst bei seiner Einreise aus der Türkei festgenommen worden sei. Sie hätten ihn aber wieder freigelassen und gesagt, sie würden sich nochmal bei ihm melden. Er habe einen Anruf bekommen, er möge sich bei einer Behörde im Iran melden, die über die öffentliche Kunst bzw. Kultur und dergleichen entscheide. Dort habe man ihn gefragt, was er vorhabe. Man habe ihm gesagt, er dürfe nicht mehr öffentlich im Iran tätig sein, keine Filme drehen, auch nicht für Fernsehsender arbeiten. Bei einem weiteren Termin sei es um seine Weltanschauung gegangen. Er habe eine schriftliche Erklärung unterschreiben müssen, nie mehr für die Opposition tätig zu sein und bei seinen Aktivitäten die iranischen Regeln einzuhalten. Gleichwohl habe er seinen Reisepass nicht zurückbekommen. Man habe ihm vielmehr verdeutlicht, dass er zunächst im Iran bleiben müsse, damit er unter Beobachtung bleiben könne.
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Der Kläger gab weiter glaubhaft an, dass er sechs Monate später festgenommen worden sei. Er erklärte, er wisse nicht warum, aber sie wüssten alles über ihn. Sie hätten ihn beleidigt und mit Schimpfwörtern unter Druck gesetzt. Sie hätten eh alles gewusst und er habe immer nur mit „ja“ antworten können. Der Kläger räumte ehrlich ein, er könne nur Vermutungen anstellen, was der Anlass gewesen sei. Vielleicht hänge es mit seiner geschiedenen Frau zusammen und, dass er das Kind mit in die Türkei habe nehmen wollen, vielleicht bestehe auch ein Zusammenhang damit, dass er sich mit Freunden über weitere Projekte unterhalten habe. Sie hätten ihm zudem immer vorgehalten, dass er kein Moslem sei, sondern ein Ungläubiger. Sie hätten Flugblätter und Unterlagen von Eckankar mitgenommen.
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Der Kläger schilderte des Weiteren detailliert die Einzelzelle, in der er eingesperrt gewesen sei. Er verglich sie glaubhaft - wie Gestik und Mimik unterstrichen - mit den Raum innerhalb des Tische des Gerichtssaals. In der einen Ecke sei eine Toilette gewesen, nicht abgetrennt in der Zelle. Gegenüber sei der Eingang gewesen. Ein Fenster habe es nicht gegeben. Künstliches Licht sei immer an gewesen, auch nachts. Es habe ein Bett gegeben mit Matratze und Zudecke, aber keinen Tisch und keinen Stuhl. Außerdem sei ein Waschbecken vorhanden gewesen. Gegessen habe er entweder auf dem Bett oder auf dem Boden.
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Der Kläger beschrieb weiter zu seiner Situation in der Haft, dass es eine Art Folter gewesen sei, in einer Einzelzelle eingesperrt gewesen zu sein. Zudem sei er psychisch unter Druck gesetzt worden. Er sei ca. 30 bis 35 Tage inhaftiert gewesen, davon sei er sechs bis sieben Tage verhört worden, jeweils für ein bis zwei Stunden. Dann sei er wieder in Einzelhaft gekommen. Der Kläger gab dazu weiter nachvollziehbar an, dass er das Zeitgefühl verloren gehabt habe. Er könne nicht sagen, zu welchen Zeiten er etwas zu essen bekommen habe. Man habe ihn etwa dreimal hintereinander Frühstück gebracht und auch dreimal hintereinander das Mittagessen. Der Kläger beschrieb weiter eindrucksvoll seine psychische Situation und seine Gefühlslage. Er habe gehofft, alles zu Ende zu bringen. Er würde auch jetzt alles zu Ende bringen und es klären wollen. Er habe kein normales Leben gehabt. Er sei immer unter Druck gesetzt worden. Er würde es auch akzeptieren, wenn er ums Leben komme. Wegen seiner Eltern habe er das Land verlassen und wegen seiner Eltern gehe er auch nicht zurück. Dies seien seine Gedanken auch schon in der Gefängniszelle, schon ab der ersten Woche, gewesen.
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Weiter beschrieb der Kläger anschaulich die Verhörsituation. Er sei immer durch eine Person verhört, diese sei allein im Verhörraum gewesen. Nur bei den letzten zwei Verhören sei etwas mitgeschrieben worden. Er sei gefragt worden, ob er es zu einem Happy End bringen wolle oder ob sie sich jede Woche einmal hier treffen wollten. Des Weiteren sei ihm vorgehalten worden, dass er nicht mehr an den Islam glaube. Dies habe der Kläger bejaht und die Verhörperson habe es aufgeschrieben. Er sei weiter gefragt worden, ob er jetzt regimefeindliche Projekte vorhabe. Ihm sei klargeworden, dass die Verhörperson alles wisse, was er mit seinen Freunden diskutiert und besprochen habe. Er sei vor einen Richter gestellt worden. Es sei eine Art „Showveranstaltung“ gewesen. Als er alles akzeptiert habe, sei er auf Kaution freigekommen. Die Verhörperson habe ihm gesagt, er komme für einige Tage frei, wenn er alles zugebe, dass er ungläubig sei und irgendwelche Pläne schmiede und dergleichen. Dazu beigetragen habe auch die Stellung seines Schwagers, dass dies mit der Kaution funktioniert habe. Man habe ihm gesagt, sie würden ihn informieren und dann wieder abholen. Er habe auch eine Vorladung bekommen. Die zunächst bei seinen Eltern gebliebene Vorladung sei bei der kürzlich erfolgten Durchsuchung des elterlichen Hauses mitgenommen worden.
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Demnach bestehen nach Überzeugung des Gerichts keine Zweifel, dass der Kläger aus politischen und religiösen im Iran in den Fokus des iranischen Regimes geraten ist und bereits ernsthafte Repressalien erlitten hat.
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Gegen die Glaubhaftigkeit des klägerischen Vorbringens spricht nicht der Umstand, dass er sich nicht von Deutschland aus über das neu eingeführte elektronische Justizsystem im Iran (SANA) hat registrieren und weitere Informationen über sein Strafverfahren hat erhalten können. Denn schon auf der Basis der eigenen Angaben der Beklagten, wie sie im streitgegenständlichen Bundesamtsbescheid auf Seite 6 dargelegt sind, war es dem Kläger nicht möglich, sich vom Ausland, konkret von Deutschland aus, registrieren zu lassen. Zum einen bedarf es dafür einer Vorregistrierung unter Eingabe persönlicher Daten. Nach der Vorregistrierung ist weiter ein persönliches Erscheinen bei einer bestimmten Stelle (Büro für digitale Justizservices) im Iran erforderlich, bei der der Betreffende seine Zugangsdaten erhält. Der Kläger gab dazu an, dass eine Registrierung vom Ausland her nicht möglich gewesen sei. Sein Versuch, sich nach Bescheidserlass bei der iranischen Plattform SANA online zu registrieren, sei gescheitert, weil man sich mit dem deutschen Netz nicht im iranischen System verbinden könne. In diesem Fall bekomme man den Hinweis, dass man sich persönlich zu einer Stelle im Iran wenden müsse. Des Weiteren erklärte der Kläger nachvollziehbar, er habe kein iranisches Handy, wie für die Registrierung erforderlich, sondern nur ein deutsches Handy gehabt.
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Nach den vorliegenden Erkenntnissen setzt eine Systemabfrage bei SANA eine vorherige Registrierung der betroffenen Person voraus, die durch persönliche Vorsprache oder eine Art Video-Identverfahren erfolgen könne. Ferner seien vor allem die Karte Melli-Nummer und eine erreichbare iranische Mobilfunknummer erforderlich, an die ein temporäres Passwort versendet werde (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Iran, Stand: 13.12.2021, vom 16.2.2022, S. 22 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Iran, vom 23.5.2022, S. 96 f.). Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vermerkt in seinem Länderreport Iran, Digitalisierung im Justizapparat, Stand: 12.2021, auf Seite 3, dass für Anmeldung zum System erforderlich sei, sich persönlich an das zuständige Büro für digitale Justizservices zu wenden. Dabei sollte man alle Unterlagen und Dokumente mitbringen oder es müsse eine Vorregistrierung über SANA erfolgen, dabei müsse man seine persönlichen Daten selbst im System eingeben. Des Weiteren führte die Schweizer Flüchtlingshilfe aus (vgl. Iran: SANA-System und Zugang zu Gerichtsakten aus dem Ausland, Auskunft der SFH-Länderanalyse vom 26.11.2021), dass die Eröffnung eines Kontos für das SANA-System aus dem Ausland theoretisch möglich sei, aber in der Praxis fast unmöglich sei. Denn es sei unter anderem eine iranische Handynummer zur Bestätigung erforderlich. Schließlich müsse die antragstellende Person eine Justizbehörde im Iran aufsuchen, um ihre Benutzer-ID und ihr Passwort zu erhalten. Selbst bei einer erfolgreichen Registrierung sei der Zugriff auf das SANA-System aus dem Ausland schwierig. Insofern sei eine iranische Telefonnummer erforderlich.
37
Unter diesen Voraussetzungen lässt sich der Vorwurf der Beklagten an den Kläger, sich nicht des SANA-Systems bedient zu haben, nicht aufrechterhalten, weil es dem bislang nicht vorregistrierten Kläger ohne iranische Handynummer, von Deutschland aus nicht möglich war und ist, sich weitere Informationen über sein Strafverfahren online zu besorgen. Eine Vertretung - wie vom Kläger über seine Mutter versucht - ist nach den vorliegenden Erkenntnissen ebenfalls nicht möglich, weil ein persönliches Erscheinen erforderlich ist.
38
Des Weiteren fällt nicht gravierend zu Lasten des Klägers ins Gewicht, dass sich in den vorliegenden Erkenntnissen zum Iran keine detaillierten Informationen über …-TV und mögliche repressive Reaktionen des iranischen Staates gegenüber dortige Mitarbeiter finden lassen. Zwar hat die Klägerseite unter Vorlage entsprechender Unterlagen in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass der Direktor der …-Gruppe in der Türkei ermordet worden sei und dafür auch Beteiligte des iranischen Geheimdienstes verantwortlich gemacht worden seien (vgl. über die von Klägerseite vorgelegten Unterlagen hinaus noch Home Office, Country Police and Information Note, März 2022, Nr. 6.1.1). Demgegenüber findet sich aber auch die Information im Internet, dass einige vermuteten, dass der Betreffende vom Corps der Islamischen Revolutionsgarde getötet worden sei, obwohl dies nicht glaubwürdig sei (vgl. Wikipedia zu „…-TV“). Darüber hinaus führt der Umstand, dass ein führender Kopf des Fernsehsenders getötet worden ist, nicht gleichermaßen zu der Annahme, dass jeder sonstige Mitarbeiter des Fernsehsenders gleichermaßen gefährdet wäre.
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Gleichwohl ist - wie auch angesichts der oben zitierten Auskünfte und Erkenntnisse zur Verfolgung von tatsächlichen oder vermeintlichen Regimegegnern dargelegt - nicht darauf abzustellen, dass der Betreffende tatsächlich bei einer oppositionellen Institution beteiligt war, sondern vielmehr darauf, was die iranischen Sicherheitskräfte annehmen und ob bei diesen ein mögliches Verfolgungsinteresse wegen des Hineinwirkens des Betreffenden in den Iran besteht. Letzteres ist beim Kläger aufgrund seiner glaubhaften Angaben zu bejahen. Der Vorwurf der iranischen Sicherheitskräfte bezog sich zum einen darauf, dass der Kläger bei einem aus iranischer Sicht oppositionellen Fernsehsender aktiv gewesen sei, zum anderen darauf, dass er auch iran- und islamkritische Filme gedreht habe bzw. habe drehen wollen. Die Vermutung des Klägers, der iranische Staat wisse über seine Aktivitäten und über das, was er mit seinen Freunden und Bekannten besprochen habe, Bescheid, deckt sich mit den vorliegenden Erkenntnissen, nach denen es auch im Iran eine weitreichende Bespitzelung sowie ein Denunziantentum gibt, wonach sich Iraner gegenseitig verraten und auf diese Art in den Fokus des iranischen Sicherheitsapparates gelangen (vgl. nur ACCORD, Anfragebeantwortung zum Iran: Überwachung von Aktivitäten im Ausland, Exilpolitische Aktivitäten, Konversion vom 5.7.2019). Besonders schwerwiegend und verbreitet sind dabei staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden werden oder islamische Grundsätze in Frage stellen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Iran, Stand: 23.12.202, vom 16. Februar 2022, S. 7). Solche Aktivitäten wurden und werden dem Kläger gerade vorgeworfen.
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Ein weiter gravierender Punkt, der dem Kläger seitens des iranischen Staates vorgeworfen worden ist, ist darüber hinaus sein Abfall vom Islam. Denn aus der Sicht des iranischen Staates kommt es bei einer Konversion vom Islam zu einer anderen Religionsgemeinschaft nicht auf förmliche Akte der neuen Religion an, sondern auf den nach außen getragenen Abfall vom Islam. Das Auswärtige Amt hat in einer Auskunft vom 5. Oktober 2021 an das VG Würzburg, S. 5, ausgeführt, dass der Abfall vom Islam in der islamischen Republik Iran mit dem Todesurteil bestraft werden kann. Hierbei ist dem Wortlaut entsprechend auf den bloßen Abfall vom Islam, unabhängig vom Wechsel zu einer anderen Religion, abzustellen. Folglich ist auch dann wegen Apostasie mit Repressionen oder strafrechtlicher Verfolgung zu rechnen, wenn keine Konversion erfolgt ist, sondern der Betreffende Atheist sei. Demnach ist es für das Maß der Verfolgungsgefahr maßgeblich, wie sich der Betreffende im Iran verhält und letztlich damit auffällt (vgl. VG Würzburg, U.v. 27.5.2022 - W 8 K 21.31219 - juris Rn. 23).
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Der Kläger hat dementsprechend gerade glaubhaft geschildert, dass ihm wiederholt der Vorwurf gemacht worden sei, vom Islam abgefallen und ein Ungläubiger zu sein. Dies habe er auch schriftlich bestätigen müssen. Der Kläger hat glaubhaft die Hintergründe für seien Abwendung vom Islam geschildert. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung ohne aufzubauschen eingeräumt, dass er kein Moslem mehr sei, und zwar seit seiner Kindheit, als er von einem Mullah vergewaltigt worden sei. Es habe sich über mehrere Jahre, bis zu vier Jahren, hingezogen. Der Mullah habe ihn als Kind vom Hof gezogen und mit zu sich genommen. Der Mullah habe ihm die Hose ausgezogen. Der Mullah habe sich selbst auch die Hose ausgezogen. Bei diesen Schilderungen rang der Kläger in der mündlichen Verhandlung nach Worten. Er schlug die Hände vors Gesicht und musste sich überwinden, über das Thema zu sprechen. Das Gericht hat nicht den persönlichen Eindruck, dass der Kläger insoweit ein Schauspiel abgelegt hat, sondern, dass es ihm sichtlich schwerfiel, dieses intime Thema, das nach seinem eigenen Bekunden sein ganzes Leben bestimmt und verändert hat, anzusprechen und Näheres darüber zu berichten. Der Kläger gab dazu weiter an, dass er daraufhin mit elf Jahren entschieden habe, nicht mehr zur Moschee zu gehen. Damit gelte er als ungläubig. Mit Bezug darauf erklärte der Kläger weiter, Dank des Islams sei er jetzt alles Mögliche, quasi Christ, LGBT, alle anderen Religionen usw., also er sei alles andere als ein Moslem. Ein Indiz für die Wahrheit der klägerischen Angaben ist die vorgelegte psychotherapeutische Bescheinigung vom 2. September 2022, wonach der Kläger täglich Triggersituationen seiner seit der Kindheit und Jugend erfahrenen traumatischen Ereignisse erlebe, die sich in schweren psychischen und körperlichen Symptomen sowie in Selbstverletzungen manifestierten. Auch wenn diese Bescheinigung von einem Diplom-Psychologen und nicht von einem Arzt stammten (vgl. zu letztem Erfordernis § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG), passt die Aussage in das Bild der vom Kläger gemachten Angaben zu seinem Schicksal.
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Des Weiteren gab der Kläger an, sich mit der religiösen Weltanschauung Eckankar befasst zu haben und zu befassen. Eckankar diene dazu, wieder zu sich selbst zu finden. Auch schon als Kind habe er immer auf sich selbst aufpassen müssen. Es sei so eine Art religiöse Resozialisierung.
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Gegen eine Verfolgungsgefahr spricht dabei nicht, dass Eckankar andere Religionen respektiert und nach eigener Aussage auch nicht missioniert mit dem Ziel, Gläubige zu bekehren, weil es nicht zum spirituellen Gesetz von Eckankar gehört, anderen den eigenen Glauben aufzuzwingen. Vielmehr werde Toleranz geübt (vgl. etwa Eckankar.de, Häufig gestellte Fragen, Wir begrüßen deine Fragen; wikipedia.de, Stichwort: „Eckankar“, Verhältnis zu anderen Religionen; EZW, Lexikon für Religion und Weltanschauung, Stichwort: „Eckankar“, 2015). Auch die vorliegenden älteren Auskünfte (siehe Auswärtiges Amt, Auskunft vom 14.11.2003 an das VG Würzburg; Deutsches Orientinstitut, Auskunft vom 23.9.2003 an das VG Würzburg) fallen nicht erheblich zu Lasten des Klägers ins Gewicht, auch wenn die Gruppe Eckankar danach nicht verboten (gewesen) sei und eine Mitgliedschaft keine politische Verfolgung auslösen würde (vgl. dazu auch schon VG Würzburg, U.v. 27.11.2003 - W 7 K 03.30327 - unveröffentlicht UA S. 7 ff.) und auch Mitglieder von Eckankar ihre bisherige Religion nicht verlassen und deshalb nicht automatisch beschuldigt werden müssen, vom moslemischen Glauben abgefallen zu sein (vgl. VG Oldenburg, U.v. 18.9.2014 - 3 A 4430/12 - juris UA S. 6). Denn demgegenüber ist mittlerweile nach aktuellen Erkenntnissen durchaus dokumentiert, dass die Mitgliedschaft bzw. Aktivitäten für die Eckankar im Iran zu staatlichen Maßnahmen führen können. So berichtet das niederländische Außenministerium, dass die spirituelle Bewegung Eckankar nicht mit dem Islam verbunden sei. Im Jahr 2015 sei eine Person verhaftet worden namens Marjan Davari, die Bücher übersetzt habe. Ihr Ehemann Karim Zargar (Zarger) sei wegen seiner Rolle bei Eckankar Anfang 2018 hingerichtet worden. Frau D. sei im Jahr 2019 zu 75 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Anhänger der Eckankar-Bewegung seien immer noch im Iran aktiv, wenn auch nicht öffentlich. Wenn sie entdeckt würden, würden sie Probleme bekommen (siehe Außenministerium Niederlande, Allgemeiner Amtsbericht [Asylländerbericht] Iran, Stand: Mai 2022, vom 31.5.2022, Nr. 3.2.2.15). Auch ACCORD berichtet über den Fall von Marjan Davari, die am 24. September 2015 von Agenten des Geheimdienstministeriums verhaftet worden sei, weil sie über Eckankar einen Kurs gehalten und ein Buch übersetzt habe. Sie sei deswegen zum Tode verurteilt worden. Der Vorwurf habe gelautet Apostasie, illegitime Beziehungen, Versammeln und Verschwörung gegen den Staat, Mitgliedschaft in Eckankar (ACCORD, Iran: Coi-Compilation, Juli 2018; ebenso Amnesty International, Report Iran, 2018; United States, Department of State, Iran 2017, International Religious Freedom Report 29.5.2018, S. 11).
44
Ausschlaggebend bleibt, dass dem Kläger nach seiner glaubhaften Darlegung gerade in seinem konkreten Fall vorgeworfen worden ist, auch wegen seiner - den Sicherheitskräften bekannt gewordenen - Beziehungen zur Eckankar vom islamischen Glauben abgefallen und ein Ungläubiger zu sein und sich islamkritisch geäußert zu haben.
45
Bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran müsste der Kläger unter Gesamtwürdigung aller Umstände erneut mit Verfolgungsmaßnahmen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit rechnen. Das Gericht hat keinen Zweifel, dass es schon in der Vergangenheit im Iran zu Verfolgungsmaßnahmen gegen den Kläger gekommen ist und dass seitens des iranischen Staates weiterhin ein Verfolgungsinteresse gegen den Kläger besteht. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in den Iran seitens staatlicher Stellen weiter zum einen eine regimefeindliche politische Gesinnung und zum anderen der Abfall vom islamischen Glauben unterstellt bzw. vorgeworfen würden, verbunden mit der Befürchtung, der Kläger werde sich weiter regime- und islamkritisch Verhalten, und dass sich entsprechende staatliche Verfolgungsmaßnahmen hieran anknüpfen würden.
46
Nach alledem ist dem Kläger unter Aufhebung der ihn betreffenden Antragsablehnung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen. Infolgedessen besteht kein Anlass für eine weitere Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, so dass die Nrn. 3 und 4 des Bescheides des Bundesamtes ebenfalls aufzuheben waren (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 1 AsylG „oder“ und § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylG). Über die hilfsweise gestellten Anträge, insbesondere zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG), war nicht zu entscheiden.
47
Des Weiteren sind auch die verfügte Abschiebungsandrohung und die Ausreiseaufforderung samt Ausreisefristbestimmung (Nr. 5 des Bundesamtsbescheids) rechtswidrig und daher aufzuheben. Denn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erlässt nach § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 und § 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebungsandrohung nur, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird. Umgekehrt darf im Fall der Flüchtlingszuerkennung eine Abschiebungsandrohung nicht ergehen. Letzteres ist im gerichtlichen Verfahren - wenn auch noch nicht rechtskräftig - festgestellt.
48
Schließlich war auch die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 bis 3 AufenthG (Nr. 6 des Bundesamtsbescheids) aufzuheben, weil mit der Aufhebung der Abschiebungsandrohung auch die Voraussetzungen für diese Entscheidung entfallen sind (vgl. § 75 Nr. 12 AufenthG).
49
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.