Titel:
Restschadensersatzanspruch wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung
Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826, § 831, § 852
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Hinsichtlich der Verjährung von Schadenersatzansprüchen aus § 826 BGB wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Fahrzeugen mit dem Motortyp EA 189 war es dem Käufer bei Kenntnis der Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs bereits im Jahr 2015 zumutbar, Klage zu erheben, so dass die Verjährung dann schon Ende 2015 zu laufen begann. In gleicher Weise war es dem Käufer, der Kenntnis vom sog. Dieselskandal im Allgemeinen hatte und der hinsichtlich der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs grob fahrlässige Unkenntnis anzulasten ist, jedenfalls im Jahr 2016 zumutbar, Klage zu erheben und seinen Anspruch gegen den Hersteller aus §§ 826, 31 BGB gerichtlich geltend zu machen. (Rn. 49 – 50) (redaktioneller Leitsatz)
2. Selbst wenn unterstellt wird, dass eine temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren ist, reicht der darin liegende - unterstellte - Gesetzesverstoß nicht aus, um das Gesamtverhalten des Herstellers als sittenwidrig zu qualifizieren. Der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ist nicht von vornherein durch Arglist geprägt. (Rn. 56) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Regelungen der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO 715/2007/EG) sind keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB; das Interesse der Klagepartei, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, ist von den genannten Vorschriften nicht geschützt. Daran ändern auch die Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 19.12.2019 in der Rechtssache C-663/19 und die Schlussanträge des Generalanwalts vom 23.09.2021 in den Rechtssachen C-128/20, C-134/20 und C-145/20 BeckRS 2021, 27755 nichts. (Rn. 66 – 80) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei der Berechnung des Restschadensersatzanspruchs nach § 852 S. 1 BGB ist zu Gunsten des Herstellers der Wert der von dem Käufer gezogenen Nutzungen von dem Erlangten in Abzug zu bringen; zudem ist das von dem Hersteller Erlangte unter Berücksichtigung der Händlermarge des Fahrzeughändlers, von welchem der Käufer das Fahrzeug erworben hat, zu bemessen. (Rn. 86) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
EA 189, Dieselabgasskandal, Abschalteinrichtung, Verjährung, Restschadensersatzanspruch, Thermofenster
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Endurteil vom 24.03.2021 – 9 O 8425/20
Fundstelle:
BeckRS 2022, 28223
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 24.03.2021 (Az. 9 O 8425/20) teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 1.843,06 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30.01.2021 sowie weitere Zinsen in Höhe von 58,98 € zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Beetle, FIN …
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
III. Die Anschlussberufung der Klagepartei wird als unzulässig verworfen.
IV. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen
- im ersten Rechtszug die Klagepartei 87% und die Beklagte 13%
- im zweiten Rechtszug die Klagepartei 79% und die Beklagte 21%.
V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 24.03.2021 ist, soweit die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen wird, ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 8.601,12 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Klagepartei nimmt den verklagten Fahrzeug- und Motorenhersteller auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Anspruch.
2
Die Klagepartei hatte am 02.06.2014 unmittelbar bei einem Autohaus einen VW Beetle bestellt, der ihr nachfolgend mit einem Kilometerstand von 0 km übergeben und mit einem Kaufpreis von 18.938,94 € in Rechnung gestellt wurde (Anlage K1).
3
Die Beklagte ist Herstellerin dieses Fahrzeugs und des hierin verbauten Dieselmotors des Typs EA189.
4
Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Die Motorsteuerung des Fahrzeugs war mit einer das Abgasrückführungsventil steuernden Software ausgestattet, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wurde, und in diesem Falle in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxidoptimierten Modus, schaltete. In diesem Modus fand eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltete der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.
5
Nach Abschluss des Kaufvertrags, am 22.09.2015, hatte die Beklagte eine Adhoc-Mitteilung nach § 15 WpHG a.F. veröffentlicht, wonach bei weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA189 eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt worden sei, sie mit Hochdruck daran arbeite, die Abweichungen mit technischen Maßnahmen zu beseitigen und dazu in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) stehe. Das KBA sah die genannte Software als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 an und verpflichtete die Beklagte mit Bescheid vom 15.10.2015, die Abschalteinrichtung zu „entfernen“ und „geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftmäßigkeit zu ergreifen“. Die Beklagte entwickelte daraufhin ein Software-Update, das das KBA als geeignet zur Herstellung der Vorschriftsmäßigkeit auch des hier streitgegenständlichen Fahrzeugtyps ansah.
6
Die Klagepartei ließ das Software-Update durchführen.
7
Die Klagepartei hat unter Behauptung der Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs und einer Täuschung seitens der Beklagten über das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung der Abgassteuerungssoftware Schadensersatz geltend gemacht. Sie begehrt im Wesentlichen die (Rück-)Zahlung des Kaufpreises unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs. Sie macht weiter geltend, mit dem Software-Update sei eine neue unzulässige Abschaltvorrichtung in Form eines Thermofensters implementiert worden; dieses Update führe zudem zu Leistungseinbußen des Motors, einem höheren Kraftstoffverbrauch sowie erhöhtem Verschleiß.
8
Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz am 17.03.2021 wies das Fahrzeug eine Fahrleistung von 163.755 km auf.
9
Gerichtsbekannt wurde der sog. Diesel-Abgas-Skandal unmittelbar nach seinem Bekanntwerden im Herbst 2015 sowohl durch die Medien als auch aufgrund der öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen der Beklagten umfassend medial aufgearbeitet. Insoweit kam es zu einer Vielzahl von Presseberichten, Rundfunkbeiträgen und Online-Berichterstattungen; die diesbezüglichen Darlegungen der Beklagten (Seiten 17 ff. der Klageerwiderung vom 11.02.2021) wurden seitens der Klagepartei in der Sache nicht bestritten, sind deshalb als unstreitig zugrunde zu legen. Auf diese Ausführungen wird Bezug genommen.
10
Die Klageschrift ist am 10.12.2020 bei Gericht eingegangen und wurde der Beklagten am 29.12.2020 zugestellt.
11
Die Beklagte hat die Verjährungseinrede erhoben.
12
Am Musterfeststellungsverfahren hat sich die Klagepartei nicht beteiligt.
13
Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat mit dem angefochtenen Ersturteil der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an die Klagepartei 8.601,12 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.01.2021 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs VW Beetle sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.072,77 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.01.2021 zu zahlen.
14
Auf die tatsächlichen Feststellungen dieser Entscheidung wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
15
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der diese ihr erstinstanzliches Klageabweisungsbegehren weiterverfolgt folgt.
16
Im Berufungsrechtszug beantragt die Beklagte,
das am 24.03.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth, Az. 9 O 8425/20 im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
17
Die Klagepartei beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
18
Mit Schriftsatz vom 04.08.2022 hat die Klagepartei Anschlussberufung eingelegt und stellt insoweit folgenden Antrag:
Auf die Anschlussberufung der Klagepartei wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 24.03.2021 wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei einen in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Schadensersatz in Höhe von mindestens 25% des Kaufpreises des Fahrzeugs (18.938,94 €), mindestens somit 2.840,84 €, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
19
Die Beklagte beantragt,
die Anschlussberufung der Klagepartei zurückzuweisen.
20
Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 17.08.2022 wies das von der Klagepartei erworbene Fahrzeug einen Kilometerstand von 188.171 km auf.
21
Hinsichtlich des Vortrags der Parteien in beiden Rechtszügen wird auf die gewechselten Schriftsätze und die gerichtlichen Sitzungsprotokolle verwiesen.
22
Die zulässige Berufung der Beklagten ist teilweise begründet. Der Klagepartei steht ein - nicht verjährter - Restschadensersatzanspruch nach § 852 Satz 1 BGB zu, jedoch nicht in Höhe des erstinstanzlich ausgeurteilten Betrags.
23
Die Anschlussberufung der Klagepartei ist unzulässig, da sie nicht fristgemäß eingelegt wurde; im Hinblick darauf kann die auf „kleinen“ Schadensersatz gerichtete geänderte Antragstellung der Klagepartei vom 04.08.2022 auch nicht im Rahmen der Entscheidung über die Berufung der Beklagten berücksichtigt werden.
24
1. Die Klagepartei hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 826 BGB (vorsätzliche sittenwidrige Schädigung), gerichtet auf Erstattung des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises (unter Anrechnung des gezogenen Nutzungsvorteils und Zurverfügungstellung des Fahrzeugs an die Beklagte).
25
a) Der Senat folgt der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.
26
Danach steht es wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung des Fahrzeugkäufers gleich, wenn ein Fahrzeughersteller - wie hier - im Rahmen einer von ihm bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung die Typgenehmigungen der Fahrzeuge durch arglistige Täuschung des Kraftfahrtbundesamts erschleicht und die derart bemakelten Fahrzeuge alsdann in Verkehr bringt und dadurch die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt ausnutzt (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19).
27
Im vorliegenden Fall bestehen zudem hinreichende Anhaltspunkte für die Kenntnis zumindest eines vormaligen Mitglieds des Vorstands von einer so getroffenen strategischen Entscheidung. Deshalb trägt die Beklagte als Herstellerin des Motors die sekundäre Darlegungslast für die Behauptung, eine solche Kenntnis habe nicht vorgelegen.
28
Dieser Darlegungslast ist die Beklagte nicht nachgekommen.
29
b) Der der Klagepartei aus dieser Täuschung kausal entstandene Schaden liegt im Abschluss eines Kaufvertrags über ein infolge der erschlichenen Typgenehmigung bemakeltes Fahrzeug, den sie bei Kenntnis der Fakten nicht geschlossen hätte. Denn bei einem Kaufvertrag über einen Pkw ist nach allgemeiner Lebenserfahrung davon auszugehen, dass ein Käufer kein Fahrzeug erwerben würde, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem zum Zeitpunkt des Erwerbs nicht absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19).
30
c) Zur Rückgängigmachung der Folgen des Abschlusses des Kaufvertrags hat die Beklagte an die Klagepartei, die den „großen“ Schadensersatz geltend macht, eine Zahlung in Höhe des von dieser geleisteten Kaufpreises zu erbringen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die Klagepartei.
31
2. Die Klagepartei hat sich allerdings die von ihr durch die Nutzung des Fahrzeugs gezogenen Vorteile anrechnen zu lassen.
32
Denn die Grundsätze der Vorteilsausgleichung gelten auch für einen Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB.
33
a) Die Höhe des anzurechnenden Nutzungsvorteils hat der Senat nach folgender Formel ermittelt:
Nutzungsvorteil = [von Klagepartei bezahlter Bruttokaufpreis x gefahrene Strecke (seit Erwerb) ] / erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt.
34
b) Dabei geht der Senat von einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung des mit einem 4-Zylinder-Motor ausgestatteten klägerischen Fahrzeugs von 250.000 km aus (§ 287 ZPO); der Senat orientiert sich hierbei an den in der Gerichtspraxis anzutreffenden Schätzwerten bei Mittelklassewagen neueren Datums.
35
Insoweit ist nicht die mögliche Laufleistung des Motors an sich, sondern die Lebensdauer des (gesamten) Fahrzeugs maßgebend; dies kann nicht losgelöst von der Motorisierung, der Qualität und der Preisklasse des Fahrzeugs beurteilt werden. Da Fahrzeuge aus verschiedenen Teilen mit unterschiedlicher Lebensdauer bestehen und bei zunehmender Nutzungsdauer die Reparaturanfälligkeit steigt, werden in aller Regel bereits wirtschaftliche Erwägungen dazu führen, dass eine mögliche Lebensdauer des Motors nicht ausgeschöpft wird und daher nicht mit der maßgeblichen Gesamtnutzungsdauer des Fahrzeugs gleichzusetzen ist. Zudem kommt es auf die unter gewöhnlichen Umständen zu erzielende (durchschnittliche) Gesamtfahrleistung des Fahrzeugs an und nicht darauf, welche Gesamtlaufleistung das Fahrzeug unter günstigen Bedingungen im äußersten Fall erreichen kann oder in bestimmten Einzelfällen erreicht hat. Dementsprechend sind gezogene Gebrauchsvorteile pro gefahrenem Kilometer der Höhe nach unabhängig davon zu bemessen, ob der konkrete Nutzer eine schonende oder eine beanspruchende Fahrweise an den Tag gelegt hat. Der analog § 287 Abs. 1 ZPO vorzunehmenden Schätzung der in die Bemessung der gezogenen Gebrauchsvorteile einfließenden durchschnittlichen Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs haftet angesichts dieser Prämissen naturgemäß eine typisierte und pauschalisierende Betrachtung an, die je nach Fahrverhalten von den im konkreten Fall grundsätzlich zu erwartenden Werten abweichen kann. Bei einer Schätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO wird in der Regel in Kauf genommen, dass das Ergebnis unter Umständen nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt (BGH, Urteil vom 29.09.2021 - VIII ZR 111/20, Rn. 58 ff.; Urteil vom 27.07.2021 - VI ZR 480/19, Rn. 23 ff.; jeweils m.w.N.).
36
Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu dieser Frage wäre nicht mit einem weiteren oder jedenfalls einem signifikanten Erkenntnisgewinn bezüglich der Anknüpfungstatsachen für eine Schätzung verbunden. Da - soweit ersichtlich - ein markengebundener Händlermarkt jenseits einer Laufleistung von 200.000 Kilometern nicht existiert, wäre vorliegend auch ein Sachverständiger letztlich darauf angewiesen, von ihm für bestimmte Fälle in Erfahrung gebrachte Laufleistungen dahin zu bewerten, ob dies für die entsprechende Fahrzeugqualität der - nach den beschriebenen Vorgaben zu bestimmenden - üblichen (durchschnittlichen) Erwartung entspricht (BGH, Urteil vom 29.09.2021 - VIII ZR 111/20, Rn. 61).
37
c) Die Klagepartei hat das streitgegenständliche Fahrzeug zu einem Kaufpreis von 18.938,94 € bei einem Kilometerstand von 0 km erworben.
38
Zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung wies dieses Fahrzeug eine Fahrleistung von 188.171 km auf. Damit ist die bei Fahrzeugerwerb zu erwartende Gesamtlaufleistung des klägerischen Fahrzeugs von 250.000 km bereits teilweise ausgeschöpft.
39
Bei Ansatz des genannten Kilometerstandes ergibt sich eine anzurechnende Nutzungsentschädigung von 14.255,04 € und ein verbleibender Schadensersatzanspruch von noch 4.683,90 €. Weitergehende Ansprüche stehen der Klagepartei schon unter diesem Gesichtspunkt nicht zu.
40
3. Die Beklagte ist indes berechtigt, die Erfüllung der Forderungen der Klagepartei wegen Verjährung gemäß § 214 Abs. 1 BGB zu verweigern.
41
Die regelmäßige Verjährungsfrist von 3 Jahren (§ 195 BGB) beginnt grundsätzlich mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 BGB).
42
In Fällen der vorliegenden Art genügt es für den Beginn der Verjährung gemäß § 199 Abs. 1 BGB, dass der geschädigte Fahrzeugkäufer Kenntnis vom sog. Diesel-Abgas-Skandal im Allgemeinen, von der konkreten Betroffenheit seiner Fahrzeugs und von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung hat, wobei letztere Kenntnis nicht gesondert festgestellt werden muss, sondern naturgemäß beim Geschädigten vorhanden ist (vgl. BGH, Urteil vom 10.02.2022 - VII ZR 365/21, Rn. 17 m.w.N.).
43
a) Die Klagepartei hatte jedenfalls 2016 allgemeine Kenntnis vom sog. Diesel-Abgas-Skandal. Dies folgt zur Überzeugung des Senats aus der umfangreichen medialen Berichterstattung hierüber und wird von der Klagepartei auch nicht abgestritten.
44
b) Es kann dahinstehen, ob die Klagepartei bereits 2016 auch positive Kenntnis von der konkreten Betroffenheit des erworbenen Fahrzeugs erlangt hatte.
45
c) Jedenfalls steht der positiven Kenntnis gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB eine grob fahrlässige Unkenntnis der Klagepartei von der konkreten Betroffenheit ihres Fahrzeugs gleich.
46
aa) Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB liegt dann vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder dasjenige nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können. Dabei bezieht sich die grob fahrlässige Unkenntnis ebenso wie die Kenntnis auf Tatsachen, auf alle Merkmale der Anspruchsgrundlage und bei der Verschuldenshaftung auf das Vertretenmüssen des Schuldners. Dagegen ist grundsätzlich nicht vorausgesetzt, dass der Gläubiger hieraus die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht. Ausreichend ist, wenn dem Gläubiger aufgrund der ihm grob fahrlässig unbekannt gebliebenen Tatsachen hätte zugemutet werden können, zur Durchsetzung seiner Ansprüche gegen eine bestimmte Person aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos Klage - sei es auch nur in Form einer Feststellungsklage - zu erheben. Den Geschädigten trifft dabei im Allgemeinen weder eine Informationspflicht noch besteht für ihn eine generelle Obliegenheit, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist die Initiative zur Klärung vom Schadenshergang oder Person des Schädigers zu entfalten. Inwieweit der Gläubiger zur Vermeidung der groben Fahrlässigkeit zu einer aktiven Ermittlung gehalten ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Das Unterlassen einer solchen Ermittlung ist nur dann als grob fahrlässig einzustufen, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Unterlassen aus der Sicht eines verständigen und auf seine Interessen bedachten Gläubigers als unverständlich erscheinen lassen. Für den Gläubiger müssen konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein, so dass er aus verständiger Sicht gehalten ist, die Voraussetzungen des Anspruchs aufzuklären, soweit sie ihm nicht ohnehin bekannt sind (vgl. BGH, Urteil vom 10.02.2022 - VII ZR 396/21, Rn. 23-25 m.w.N.).
47
bb) Nach diesen Maßstäben war die Klagepartei zwar nicht bereits im Jahr 2015 zur Vermeidung des Vorwurfs grober Fahrlässigkeit gehalten zu ermitteln, ob ihr Fahrzeug von dem sog. Dieselskandal betroffen war; in einem diesbezüglichen Unterlassen bis Ende 2015 liegt noch kein schwerwiegender Obliegenheitsverstoß in eigenen Angelegenheiten, zumal die Beklagte seit September 2015 mit zahlreichen Informationen an die Öffentlichkeit getreten war und auch weitere Erklärungen angekündigt hatte. Im Hinblick hierauf war ein Zuwarten der Klagepartei bis Ende 2015 nicht schlechterdings unverständlich (BGH, Urteil vom 10.02.2022 - VII ZR 396/21, Rn. 26-27).
48
cc) Demgegenüber hatte die Klagepartei - ausgehend von ihrer allgemeinen Kenntnis vom sog. Dieselskandal - unter Berücksichtigung des erheblichen Zeitablaufs jedenfalls bis Ende 2016 Veranlassung, die Betroffenheit ihres eigenen Fahrzeugs zu ermitteln, zumal die entsprechenden Informationsquellen öffentlich kommuniziert und im Internet leicht zugänglich waren. Das Unterbleiben einer Halterinformation mittels Kundenanschreibens begründete kein berechtigtes Vertrauen darauf, dass ihr Fahrzeug nicht betroffen sei. Angesichts der Länge des seit Bekanntwerden des sog. Dieselskandals verstrichenen Zeitraums bestand für die Klagepartei Anlass, diese Betroffenheit selbst zu recherchieren. Dies nicht getan zu haben, war grob fahrlässig (vgl. BGH, Urteile vom 10.02.2022 - VII ZR 679/21 und VII ZR 692/21, jeweils Rn. 30-32).
49
d) Einer Klagepartei, die - auch schon im Jahr 2015, erst recht zu einem späteren Zeitpunkt - sowohl positive Kenntnis vom sog. Dieselskandal im Allgemeinen als auch von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs erlangt hat, war bereits zu diesem Zeitpunkt zumutbar, Klage zu erheben und seinen Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB gerichtlich geltend zu machen (vgl. BGH, Urteil vom 10.02.2022 - VII ZR 365/21, Rn. 24 m.w.N.).
50
In gleicher Weise war es einer Klagepartei, die Kenntnis vom sog. Dieselskandal im Allgemeinen hatte und der hinsichtlich der konkreten Betroffenheit ihres Fahrzeugs grob fahrlässige Unkenntnis anzulasten ist, jedenfalls im Jahr 2016 auch zumutbar, Klage zu erheben und ihren Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB gerichtlich geltend zu machen (vgl. BGH, Urteile vom 10.02.2022 - VII ZR 679/21 und VII ZR 692/21, jeweils Rn. 33-36).
51
e) Soweit demnach - unter Berücksichtigung des Abzugs für Nutzungsentschädigung - noch Ansprüche in Betracht kommen, sind diese verjährt. Die erst am 10.12.2020 bei Gericht eingereichte Klage konnte die bereits abgelaufene Verjährungsfrist nicht mehr hemmen.
52
4. Die Verjährung des Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB begann auch weder nach § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB noch nach § 212 Abs. 1 Nr. 2 BGB mit der Installation des Software-Updates neu. Unabhängig davon, dass die Beklagte den Schadensersatzanspruch weiterhin nicht anerkennt und der im ungewollten Vertragsschluss liegende Schaden mit dem Software-Update gerade nicht beseitigt wird, liegt darin schon deshalb kein Anerkenntnis, weil die Beklagte das Update - wie die Klagepartei selbst vorträgt - nicht aus eigenem Antrieb, sondern nach dem verpflichtenden Rückruf auf Anordnung des KBA installieren ließ.
53
Ein Neubeginn der Verjährung ist aber auch nicht in der Anordnung des KBA zu sehen. Denn diese bezog sich nicht auf den geltend gemachten Schadensersatzanspruch. Überdies erfolgte die Anordnung bereits im September 2015 bzw. spätestens mit Freigabe des Updates im Jahr 2016. Die dreijährige Verjährung wäre selbst dann ebenfalls Ende 2019 abgelaufen, wenn auf die Anordnung des KBA abzustellen wäre (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 26.01.2022 - 4 U 92/21, Rn. 49-50; OLG Hamm, Urteil vom 19.11.2021 - I-30 U 149/19, Rn. 62; OLG Stuttgart, Urteil vom 19.11.2021 - 3 U 350/20, Rn. 73; OLG München, Urteil vom 15.11.2021 - 17 U 3123/21, Rn. 27).
54
5. Ein nicht verjährter Anspruch aus § 826 BGB steht der Klagepartei auch im Hinblick auf das Software-Update nicht zu.
55
a) Nach dem Vortrag der Klagepartei hat die Beklagte mit dem zur Beseitigung der unzulässigen Prüfstandserkennungssoftware entwickelten Software-Update eine außentemperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) implementiert.
56
b) Selbst wenn zugunsten der Klagepartei unterstellt wird, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist (vgl. EuGH, Urteil vom 17.12.2020 - C-693/18, Celex-Nr. 62018CJ0693), reicht der darin liegende - unterstellte - Gesetzesverstoß nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. Der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ist nicht von vornherein durch Arglist geprägt. Sie führt nicht dazu, dass bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und der Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert wird, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand etc.) entspricht die Rate der Abgasrückführung im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand. Bei dieser Sachlage hätte sich die Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten durch die Implementation des Thermofensters nur dann fortgesetzt, wenn zu dem - hier unterstellten - Verstoß gegen Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung des Software-Updates „weitere Umstände“ hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Applikation der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine (weitere) unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (BGH, Beschluss vom 09.03.2021 - VI ZR 889/20, Rn. 23ff.).
57
c) Die Berufung zeigt aber keinen Sachvortrag der insoweit darlegungsbelasteten Klagepartei (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, Rn. 35; Beschluss vom 19.01.2021 - VI ZR 433/19, Rn. 19) auf, dem Anhaltspunkte zu entnehmen wären für ein solches Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen.
58
aa) Eine Täuschung gegenüber dem KBA - auch durch Unterlassen - vermag der Senat nicht zu erkennen.
59
Soweit die Klagepartei hierzu unter Bezugnahme auf einen KBA-Rückruf vom 14.09.2020 vorträgt, handelt es sich auch unter Berücksichtigung der vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätze (Beschluss vom 28.01.2020 - VIII ZR 57/19) um eine prozessrechtlich unbeachtliche Behauptung ins Blaue hinein. Der in Bezug genommene Rückruf hat für das vorliegende Verfahren keine hinreichende Aussagekraft. Denn er bezog sich ausschließlich auf Fahrzeuge des Typs VW EOS. Betroffen waren nach den dort gemachten Angaben weltweit 5771 und in Deutschland „vermutlich“ 2607 Fahrzeuge. Dabei ist nicht einmal gesichert, dass alle Fahrzeuge des Typs VW EOS betroffen sind - ausweislich einer gerichtsbekannten Anmerkung des KBA am Ende der Veröffentlichung ist „in der Regel“ das Gegenteil der Fall. Für die Verhältnisse beim streitgegenständlichen Fahrzeugtyp VW Caddy 1.6 TDI lässt der Rückruf erst recht keine belastbaren Rückschlüsse zu. Obwohl in beiden Fahrzeugmodellen jeweils der Motortyp EA 189 verbaut ist, liegen zu einer vergleichbaren Rückrufaktion für das Modell VW Caddy 1.6 TDI keine Erkenntnisse vor, obwohl der EOS-Rückruf schon deutlich mehr als eineinhalb Jahre zurück liegt. Darüber hinaus ist die Beschreibung der Rückrufaktion („Entfernung der unzulässigen Abschalteinrichtung bzw. erhöhte Emissionswerte auch nach Durchführung der Aktion 23R7“) nicht eindeutig. Unklar bleibt, ob als „unzulässige Abschalteinrichtung“ die beim Motortyp EA 189 vor dem ersten Rückruf verwendete Umschaltlogik oder das im Rahmen des Software-Updates implementierte Thermofenster gemeint sind. Damit verbleiben auf der Grundlage der KBA-Veröffentlichung „erhöhte Emissionswerte“ als gesicherter Grund für die zweite Rückrufaktion, ohne dass hierzu weitere Erkenntnisse mitgeteilt würden.
60
Greifbare Anhaltspunkte ergeben sich insbesondere nicht aus den von der Klagepartei vorgetragenen Überschreitungen der NOx-Abgaswerte im realen Fahrbetrieb. Der Vergleich von Prüfstandswerten mit Werten des realen Fahrbetriebs hat keine Aussagekraft für die Frage, ob das Emissionskontrollsystem des Motortyps EA 189 auch nach dem Software-Update zwischen Prüfstand und realem Fahrbetrieb unterscheidet oder nach Außentemperaturen differenziert und darauf mit unterschiedlichen Verfahrensabläufen bei der Abgasemission reagiert (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 07.10.2020 - 4 U 171/18, Rn. 44 bei juris; OLG Bamberg, Urteil vom 26.11.2020 - 1 U 368/19, Rn. 41 bei juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 19.01.2021 - 16a U 196/19, Rn. 60 ff. bei juris; a.A. OLG Köln, Urteil vom 12.03.2020 - 3 U 55/19, Rn. 40 bei juris). Es ist gerichtsbekannt, dass Emissionswerte regelmäßig im normalen Fahrbetrieb höher sind als unter Prüfbedingungen. In diesem Sinne stellte auch der Bundesgerichtshof (Beschluss vom 19.01.2021 - VI ZR 433/19, Rn. 18) klar, dass die Rate der Abgasrückführung im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand nur „unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand etc.)“ entsprechen kann. Da der europäische Gesetzgeber für die Schadstoffnormen EU 5 und EU 6 im Jahr 2013 die Messung allein im Prüfstandbetrieb festgelegt hatte und erst zwischenzeitlich für Neufahrzeuge Messungen im Normalbetrieb nach WLTP-Standard vorschreibt, kommt es nicht darauf an, dass das Fahrzeug im Normalbetrieb die der Zulassung zugrunde liegenden Werte im NEFZ nicht einhält (OLG Frankfurt, Urteil vom 07.10.2020 - 4 U 171/18, Rn. 44 bei juris). Dem Senat ist auch kein bestimmter Faktor bekannt, ab dem eine GrenzwertÜberschreitung im Realbetrieb sich nicht mehr allein mit oben genannten Umständen erklären lässt (ebenso OLG Stuttgart, Urteil vom 19.01.2021 - 16a U 196/19, Rn. 63 bei juris).
61
bb) Zudem setzt das Sittenwidrigkeitsverdikt einen rechtswidrigen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 voraus. Nach dieser Vorschrift ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten (Art. 5 Abs. 2 Satz 1 lit. a der genannten Verordnung).
62
Dabei ist eine Auslegung dahin, dass Abschalteinrichtungen zum Motorschutz nur dann „notwendig“ sein können, wenn keine andere konstruktive Lösung möglich ist, selbst wenn diese erheblich teurer sein sollte, nicht überzeugend. Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. a der VO (EG) 715/2007 will nicht die Entwicklung aufwändigerer Konstruktionen eines Motors vorgeben, sondern für Motoren, die grundsätzlich den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 dieser Verordnung genügen, zum Schutz vor Beschädigungen oder Unfall und für den sicheren Betrieb des Fahrzeugs einen Handlungsspielraum in Form einer ansonsten verbotenen Abschalteinrichtung einräumen. Diesem Ziel der Norm, den Fahrzeugherstellern ausnahmsweise eine konstruktive Freiheit einzuräumen, würde es widersprechen, dem Wort „notwendig“ in Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. a einen eigenen, unter Umständen sogar über die Anforderung des Art. 5 Abs. 1 der genannten VO hinausgehenden Konstruktionsauftrag der Verordnung zu entnehmen. Mit dem Wort „notwendig“ wird lediglich klargestellt, dass die Abschalteinrichtung dem Schutz des Motors vor Beschädigung oder Unfall und dem sicheren Betrieb dienen muss und eine reine Zweckmäßigkeit nicht genügt, sondern sie dafür erforderlich sein muss (vgl. OLG Stuttgart, NJW-RR 2019, 1489, Rn. 72ff. bei juris).
63
Dann kommt indes die Argumentation, dass bei zusätzlichen technischen Änderungen am Motor, also einer anderen konstruktiven Lösung, eine weitergehende Abgasreinigung möglich wäre, nicht zum Tragen.
64
cc) Eine abweichende Beurteilung ist auch nicht deshalb geboten, weil das von der Beklagten im Anschluss an ihre Adhoc-Mitteilung vom 22.09.2015 entwickelte Software-Update nach Vortrag der Klagepartei negative Auswirkungen auf den Kraftstoffverbrauch und den Verschleiß der betroffenen Fahrzeuge hat. Dies rechtfertigt den Vorwurf besonderer Verwerflichkeit in der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht. Der Umstand, dass mit dem Update nicht nur die unzulässige Manipulationssoftware entfernt wird, sondern auch eine - unterstellt nachteilige - Veränderung des Kraftstoffverbrauchs oder sonstiger Parameter verbunden ist, reicht nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren (BGH, Beschluss vom 09.03.2021 - VI ZR 889/20, Rn. 30).
65
dd) Auch etwaige sonstige Nachteile infolge des Software-Updates führen zu keiner anderen Beurteilung. Gleiches gilt für den Hinweis auf eine trotz des erfolgten Software-Updates verbleibende Wertminderung des erworbenen Fahrzeugs; auch eine etwaige Wertminderung vermag schließlich ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten nicht zu begründen.
66
6. Der Klagepartei steht auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO 715/2007/EG) kein Schadensersatzanspruch zu. Die vorgenannten Normen sind keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB; das Interesse der Klagepartei, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, ist von den genannten Vorschriften nicht geschützt (BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 5/20, Rn. 10ff.; Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, Rn. 74). Die RL 2007/46/EG selbst scheidet mangels unmittelbarer Geltung (vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV) als Schutzgesetz im Sinn von § 823 Abs. 2 BGB aus (vgl. Sprau in Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022, § 823 Rn. 57 m.w.N.).
67
a) Dafür, dass der EU-Verordnungsgeber durch die VO (EG) Nr. 715/2007 (Grundverordnung) oder die RL 2007/46/EG sowie der nationale Gesetzgeber in Umsetzung der RL 2007/46/EG durch die EG-FGV auch die wirtschaftlichen Interessen individueller Erwerber von Kraftfahrzeugen schützen wollen, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich.
68
Die Grundverordnung soll dem Umweltschutz (vgl. Erwägungsgrund Nr. 1), insbesondere der Verbesserung der Luftqualität (vgl. Erwägungsgründe 4, 5, 6 und 13) - und damit auch der Gesundheit der EU-Bürger - sowie der Harmonisierung des Binnenmarktes (vgl. Erwägungsgründe Nr. 1, 17) dienen, nicht aber dem Schutz der Vermögensinteressen einzelner EU-Bürger. Auch die Rahmenrichtlinie 2007/46/EG, die durch die EG-FGV in deutsches Recht umgesetzt worden ist, dient nicht dem Schutz der Vermögensinteressen der einzelnen EU-Bürger. Durch sie soll vielmehr eine vollständige Harmonisierung der Zulassungsvorschriften für Fahrzeuge erreicht werden. Daneben wird in den Erwägungsgründen neben dem Ziel einheitlicher Vorgaben für die Hersteller die Verkehrssicherheit, der Gesundheits- und Umweltschutz, eine rationelle Energienutzung und ein wirksamer Schutz gegen unbefugte Benutzung genannt (vgl. Erwägungsgrund Nr. 3 Satz 2 der Rahmenrichtlinie), aber eben nicht der Schutz der Vermögensinteressen der einzelnen EU-Bürger (vgl. auch BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 5/20, juris Rn. 11; Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 74).
69
Daran ändern auch die Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 19.12.2019 in der Rechtssache C-663/19 und die Schlussanträge des Generalanwalts vom 23.09.2021 in den Rechtssachen C-128/20, C-134/20 und C-145/20 nichts (vgl. BGH, Beschluss vom 14.02.2022 - VIa ZR 204/21 m.w.N.). Gleiches gilt für die Stellungnahme der EU-Kommission vom 05.07.2021 in der Rechtssache C-100/21. Diese deckt sich inhaltlich mit der Stellungnahme der EU-Kommission zum bereits aus dem Register des Gerichtshofs der Europäischen Union gestrichenen Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Gera, in der sie zur RL 2007/46/EG und zur Grundverordnung ausführt, dass diese „den Schutz aller Käufer eines Fahrzeugs einschließlich des Endkunden vor Verstößen des Herstellers gegen seine Verpflichtung, neue Fahrzeuge in Übereinstimmung mit ihren genehmigten Typen beziehungsweise den für ihren Typ geltenden Rechtsvorschriften nach Anhang IV zur RL 2007/46 … in den Verkehr bringen“ (bezwecke). Dies besagt aber für die hier allein interessierende Frage, ob damit auch der Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts und damit der Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrages erfasst sein soll, nichts (vgl. BGH, Beschluss vom 10.11.2021 - VII ZR 280/21, juris Rn. 27).
70
b) Auch die Schlussanträge des Generalanwalts Rantos vom 02.06.2022 in der Rechtssache C-100/21 führen zu keiner anderen Bewertung. Selbst wenn entsprechend der in diesen Schlussanträgen (dort Rn. 50 und Rn. 78 Nr. 1) vertretenen Auffassung zu Argumentationszwecken unterstellt würde, die RL 2007/46/EG solle (auch) das Interesse des individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs schützen, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, handelt es sich bei den zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen §§ 6 und 27 EG-FGV nicht um Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB. Der VO (EG) Nr. 715/2007, die unmittelbar anwendbar ist, misst der Generalanwalt selbst keine Schutzwirkung zugunsten von Vermögensinteressen von Fahrzeugerwerbern zu.
71
aa) Eine Rechtsnorm ist ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, wenn sie zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zu Gunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mitgewollt hat. Es genügt, dass die Norm auch das Interesse des Einzelnen schützen soll, mag sie auch in erster Linie dasjenige der Allgemeinheit im Auge haben. Nicht ausreichend ist aber, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm nur als ihr Reflex objektiv erreicht wird; er muss vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen. Außerdem muss die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheinen, wobei in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die Norm gestellt ist, zu prüfen ist, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen konnte, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zugunsten des Geschädigten gegebenen Haftungs- und Beweiserleichterungen zu knüpfen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 Rn. 73 m.w.N.).
72
bb) Diese Voraussetzungen sind bezogen auf §§ 6, 27 EG-FGV nicht gegeben. Denn mit diesen Vorschriften bezweckte der nationale Normgeber nicht den Schutz des Interesses eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, und die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs erschiene im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die Normen gestellt sind, weder sinnvoll noch tragbar.
73
Mit der Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbstständige technische Einheiten für die Fahrzeuge (EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung - EG-FGV) - einer gemeinsamen Verordnung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und des Bundesministeriums des Innern - bezweckte der nationale Normgeber in Umsetzung der RL 2007/46/EG in nationales Recht die Harmonisierung des öffentlichrechtlichen Zulassungsrechts von Kraftfahrzeugen, nicht jedoch den Schutz der Interessen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist. Die letztgenannte Zielrichtung ergibt sich weder aus dem Wortlaut der nationalen Normen noch aus sonstigen Umständen. Vielmehr ist den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 02.06.2022 (dort Rn. 42) im Gegenteil zu entnehmen, die Bundesregierung habe - in Übereinstimmung mit der allgemeinen Ansicht (vgl. dazu oben aa) - die Auffassung zum Ausdruck gebracht, die RL 2007/46/EG diene nicht dem Zweck, auch die Interessen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, zu schützen.
74
Auch in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die §§ 6, 27 EG-FGV gestellt sind, erschiene es weder sinnvoll noch tragbar, dem individuellen Erwerber eines Kraftfahrzeugs gestützt auf die genannten Normen einen Schadensersatzanspruch bereits dann einzuräumen, wenn ein Hersteller - gegebenenfalls bloß fahrlässig - ein Kraftfahrzeug mit einer gemäß Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 715/2007 unzulässigen 24 U 115/22 - 26 - Abschalteinrichtung ausgestattet hat.
75
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die nationalen Gerichte gehalten sind, das Gemeinschaftsrecht möglichst wirksam anzuwenden (effet utile), und nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aufgrund des Umsetzungsgebots gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV und des Grundsatzes der Gemeinschaftstreue gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtet sind, die Auslegung des nationalen Rechts unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihnen das nationale Recht einräumt, soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (richtlinien- bzw. unionsrechtskonforme Auslegung, vgl. EuGH, Urteil vom 10.12.2020 - C-735/19 Rn. 75; BGH, Urteil vom 18.11.2020 - VIII ZR 78/20 Rn. 25; jeweils m.w.N.). Einer Umsetzung von Richtlinien bedarf es allerdings nur insoweit, wie der bestehende Rechtszustand nicht bereits den Vorgaben der Richtlinie entspricht. Im Falle der Übereinstimmung von Richtlinienauftrag und nationalem Rechtszustand bedarf es weder einer Umsetzung noch eines Hinweises, dass die bestehenden nationalen Rechtsnormen nunmehr durch eine Richtlinienbestimmung festgeschrieben und in deren Licht zu interpretieren sind.
76
Nach diesen Maßstäben bedarf es in der deutschen Rechtsordnung über die bestehenden Institute des Vertrags- und Deliktsrechts hinaus nicht der Einordnung der §§ 6, 27 EG-FGV als Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB, um das Interesse, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, angemessen zu schützen. Bereits das bestehende Recht hält zahlreiche - abgestufte - Instrumente bereit, die das Interesse des Erwerbers schützen, nicht ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug zu erwerben bzw. nutzen zu müssen, und auch einen erheblichen Anreiz für die Hersteller von Motoren bieten, unionsrechtliche Vorschriften einzuhalten. So ist ein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher unerlaubter Handlung gemäß § 826 BGB (i.V.m. § 31 BGB bzw. § 831 BGB) gegen den Hersteller eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Motors zwar von strengen Voraussetzungen abhängig; diese wurden allerdings bereits in vielen tausenden Fällen mit der Folge einer Haftung des Motorenherstellers bejaht. Überdies stehen dem Erwerber eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs in aller Regel - verschuldensunabhängig - vertragliche Ansprüche zu, die insbesondere auf Nacherfüllung gerichtet sind und gegebenenfalls - falls es sich bei dem Verkäufer des Fahrzeugs nicht um den Motorenhersteller handeln sollte - zu Regressansprüchen gegen den Hersteller des Motors führen. Schließlich sind auch die nach deutschem Recht vorgesehenen Strafen und Bußgelder (u.a. § 37 Abs. 1 EG-FGV) und die hoheitlichen Befugnisse der Aufsichtsbehörden (vgl. § 25 EG-FGV) zu berücksichtigen. Die in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 02.06.2022 (dort Rn. 58) wiedergegebene Auffassung des vorlegenden Gerichts, Hersteller hätten „nach derzeitigem Rechtsstand keine Inanspruchnahme zu befürchten“, trifft nach alledem erkennbar nicht zu.
77
Das auf verschiedenen Anspruchsgrundlagen mit unterschiedlichen Voraussetzungen basierende bestehende System zeichnet sich dadurch aus, dass die den Hersteller treffenden Sanktionen und die dem Erwerber zustehenden Ansprüche erheblich davon abhängen, welcher Verschuldensvorwurf dem Hersteller zu machen ist. So ist beispielsweise ein Hersteller, der im Sinne von § 826 BGB vorsätzlich sittenwidrig geschädigt hat, nicht nur inhaltlich, sondern - aufgrund differenzierter Verjährungsvorschriften - auch zeitlich deutlich weitergehenden Rechtsfolgen ausgesetzt als ein solcher, den lediglich der Vorwurf leichter Fahrlässigkeit trifft.
78
Dieses abgestufte und interessengerechte System würde im Ergebnis zerstört, wenn die §§ 6, 27 EG-FGV in der Weise als Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB ausgelegt würden, dass beispielsweise schon ein auf leichter Fahrlässigkeit beruhender Verstoß gegen sich aus der VO (EG) Nr. 715/2007 ergebende Verpflichtungen einen auf Rückabwicklung des Kaufvertrages gerichteten deliktischen Schadensersatzanspruch eines Fahrzeugerwerbers zur Folge hätte, der noch viele Jahre nach Herstellung des Motors geltend gemacht werden könnte. Eine derartig weitgehende, den Grad des Verschuldens nicht ausreichend berücksichtigende Haftung von Motorenherstellern stellte einen durch nichts gerechtfertigten Fremdkörper in der deutschen Rechtsordnung dar, der den - unter anderem in Art. 5 Abs. 4 EUV verankerten - Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die Grundsätze des Vertrauensschutzes verletzte und in Hinblick auf Regelungen des Kaufrechts und die Haftung für sonstige Konstruktionsfehler Wertungswidersprüche mit sich brächte. So ergäben sich auch für weit zurückliegende Produktionszeiträume erhebliche Haftungsrisiken, mit denen Fahrzeug- und Motorenhersteller bislang nicht rechnen mussten und für die sie keine Rückstellungen bilden konnten. Es wäre auch nicht einzusehen, weshalb unzulässige Abschalteinrichtungen anders als alle anderen Konstruktionsfehler von Fahrzeugen behandelt werden sollten (z.B. vorzeitig alternde Bremsschläuche), die im Rahmen des Zulassungsverfahrens nicht auffallen, die Zulassungsfähigkeit der Fahrzeuge aber gleichwohl gefährden, so dass der weitere Betrieb des Fahrzeuges untersagt werden müsste, falls sich der Erwerber der Nachrüstung widersetzt. Schließlich ist auch kein Grund erkennbar, weshalb ein Fahrzeughersteller gegenüber einem Erwerber, mit dem er keinen Vertrag geschlossen hat, bereits bei leichter Fahrlässigkeit umfassender haften müsste als nach den Regelungen des Kaufrechts, das einerseits die Möglichkeit der Nacherfüllung und andererseits eine kenntnisunabhängige zweijährige Verjährung von Mängelansprüchen ab Ablieferung vorsieht (§ 438 BGB), während Ansprüche aufgrund Schutzgesetzverletzungen gegebenenfalls erst in zehn Jahren von ihrer Entstehung an verjähren (vgl. § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB).
79
Solche Wertungswidersprüche und die Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips und der Grundsätze des Vertrauensschutzes werden mit der RL 2007/46/EG nicht angestrebt und sind zu ihrer Umsetzung nicht erforderlich. Das gilt auch dann, wenn man - entsprechend den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 02.06.2022 (dort Rn. 50 und Rn. 78 Nr. 1) - unterstellte, die Richtlinie diene (auch) dem Interesse, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist. Denn jedenfalls ist nicht ersichtlich - und auch aufgrund der weiteren Ausführungen des Generalanwalts in den Schlussanträgen vom 02.06.2022 nicht anzunehmen -, dass die Richtlinie bezogen auf das genannte Interesse des Fahrzeugerwerbers ein bestimmtes Rechtsschutzniveau vorgäbe, das in Deutschland unterschritten wäre, falls die §§ 6 und 27 EG-FGV nicht als Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB angesehen würden. Soweit der Generalanwalt in den Schlussanträgen vom 02.06.2022 (dort Rn. 65 und Rn. 78 Nr. 2) die Ansicht vertritt, die Mitgliedstaaten müssten vorsehen, dass „ein Erwerber eines Fahrzeugs einen Ersatzanspruch gegen den Fahrzeughersteller hat, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 12 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist“, kann damit sinnvollerweise nicht gemeint sein, ein solcher Ersatzanspruch müsse unabhängig von weiteren Voraussetzungen eingeräumt werden. Vielmehr ergibt sich die Notwendigkeit weiterer Voraussetzungen schon aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, und sie wird auch in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 02.06.2022 dadurch angedeutet, dass dort (Rn. 59) die Auffassung des vorlegenden Gerichts wiedergegeben wird, „auch fahrlässige Verstöße“ sollten einen Anspruch begründen - was nahelegt, dass Ansprüche von einem Verschulden des Herstellers abhängig gemacht werden dürfen. Soweit in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 02.06.2022 (dort Rn. 58 und 59) zum Ausdruck kommt, die dem Erwerber eines Fahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung derzeit nach deutschem Recht zustehenden Ansprüche seien unzureichend, handelt es sich nicht um eine eigene Bewertung des Generalanwalts, sondern um eine Wiedergabe der „Auffassung des vorlegenden Gerichts“, die ihrerseits auf falschen Annahmen beruht (vgl. dazu oben).
80
Da die Einschätzung des Generalanwalts in seinen Schlussanträgen vom 02.06.2022 zum Schutzzweck der RL 2007/46 selbst dann, wenn sie als richtig unterstellt würde, nichts an dem Ergebnis ändern würde, die §§ 6, 27 EG-FGV nicht als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB einzustufen, bedarf es insoweit mangels Entscheidungserheblichkeit keines Vorabentscheidungsersuchens des Senats gemäß Art. 267 AEUV.
81
c) Noch aus einem weiteren Grund besteht eine Haftung der Beklagten gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO 715/2007/EG selbst dann nicht, wenn man zu Gunsten der Klagepartei einmal unterstellt, dass das sog. Thermofenster rechtswidrig ist und mit dessen Installation im Zuge des Software-Updates gegen ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB verstoßen wurde: Das Software-Update samt Thermofenster wurde nach dem Bekanntwerden des Diesel-Skandals installiert. Der Abschluss des streitgegenständlichen Kaufvertrags - nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Zeitpunkt der Schadensentstehung - erfolgte hingegen bereits vor dem Bekanntwerden des Diesel-Skandals. Die Verletzungshandlung (Installation des Thermofensters im Rahmen des Updates) kann somit für den bereits am 02.06.20141 eingetretenen Schaden (Eingehen einer ungewollten Kaufverbindlichkeit) nicht ursächlich gewesen sein.
82
d) Eine Haftung der Beklagten besteht im Übrigen auch dann nicht, wenn man zu Gunsten der Klagepartei unterstellt, dass die Installation der sog. Umschaltlogik, die durch das Software-Update beseitigt werden sollte, den Tatbestand von § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO 715/2007/EG erfüllt. Denn auch ein solcher Anspruch wäre aus den bereits zu § 826 BGB ausgeführten Gründen (siehe oben) verjährt:
83
Der Verjährung gemäß §§ 194 ff. BGB unterliegt der materiellrechtliche Anspruch nach § 194 Abs. 1 BGB. Dies ist der auf Schadensersatz gerichtete Anspruch der Klagepartei aus unerlaubter Handlung. Die unerlaubte Handlung liegt hier darin, dass die Beklagte durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch Fahrzeuge in Verkehr gebracht hat, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden, und sich insoweit die Arglosigkeit sowie das Vertrauen der Klagepartei in Bezug auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben gezielt zunutze gemacht hat. An dieses Verhalten knüpft sowohl die Haftung aus § 826 BGB als auch die von der Klagepartei in den Raum gestellte Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV und den Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 an. Für die Verjährung des darauf beruhenden einheitlichen materiellrechtlichen Anspruchs gälten, selbst wenn dieser auch aus § 823 Abs. 2 BGB unter dem Gesichtspunkt einer Schutzgesetzverletzung hergeleitet werden könnte, mithin keine anderen Voraussetzungen als die, die auf der Grundlage des § 826 BGB gelten und hier erfüllt sind. Dies zeigt sich auch darin, dass das Anlaufen der Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht voraussetzt, dass der Gläubiger innerhalb eines einheitlichen materiellrechtlichen Anspruchs die einschlägige Anspruchsgrundlage ermittelt (BGH, Urteil vom 13.06.2022 - VIa ZR 680/21, Rn. 25 f. m.w.N.).
84
e) In Hinblick auf die dargestellte Rechtslage sieht der Senat auch keinen Anlass, das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die Vorlagefragen in den Vorabentscheidungsverfahren Az. C-663/19 - 1 und C-100/21 auszusetzen.
85
7. Auch ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB, § 31 BGB besteht nicht. Ein solcher Schadensersatzanspruch würde haftungsbegründend voraussetzen, dass sämtliche objektiven und subjektiven Merkmale des Betrugstatbestands im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB (als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB) erfüllt sind. Es kann hier dahinstehen, ob und gegebenenfalls durch welches Verhalten im Zusammenhang mit der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung in strafrechtlich relevanter Weise getäuscht worden ist und ob die Täuschung fortgewirkt und auch noch im Zeitpunkt des Fahrzeugerwerbs bei der Klagepartei einen strafrechtlich relevanten Irrtum erregt hat. Denn jedenfalls fehlt es an der Bereicherungsabsicht und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden (BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, Rn. 17ff.).
86
8. Nicht verjährt ist demgegenüber ein auf Herausgabe des Erlangten gerichtete Restschadensersatzanspruch der Klagepartei nach § 852 Satz 1 BGB. Bei dessen Berechnung ist allerdings zu Gunsten der Beklagten ebenfalls der Wert der von der Klagepartei gezogenen Nutzungen von dem Erlangten in Abzug zu bringen ist; zudem ist das von der Beklagte Erlangte unter Berücksichtigung der Händlermarge des Fahrzeughändlers, von welchem die Klagepartei das Fahrzeug erworben hat, zu bemessen. Im Hinblick darauf ist ein Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB lediglich in Höhe von 1.843,06 € gegeben.
87
a) Beim Erwerb eines Neuwagens hat der Bundesgerichtshof in seinen Entscheidungen vom 21.03.2022 - VIa ZR 275/21 -, vom 21.02.2022 - ZR 57/21 - und vom 10.02.2022 - VII ZR 692/21 - einen Restschadensersatzanspruch grundsätzlich für möglich erachtet.
88
Allerdings ist ein solcher Anspruch nur dann gegeben, wenn das streitgegenständliche Fahrzeug als Neuwagen beim Hersteller aufgrund einer Bestellung des Geschädigten erworben wurde. Denn dann beruhen der schadensauslösende Vertragsschluss zwischen dem Geschädigten und dem Händler einerseits und der Erwerb des Anspruchs auf Zahlung des Händlereinkaufspreises bzw. der Erwerb des Händlereinkaufspreises durch den Fahrzeughersteller andererseits auf derselben, wenn auch mittelbaren Vermögensverschiebung. Ein Restschadensersatzanspruch ist dagegen auch beim Neuwagenkauf nicht gegeben, wenn das Fahrzeug durch den Händler unabhängig von einer Bestellung des Geschädigten vor dem Weiterverkauf auf eigenes (Absatz-) Risiko erworben worden war, wie es beispielsweise bei einem bereits hergestellten Ausstellungsfahrzeug der Fall ist; in diesem Falle fehlt der oben geschilderte Zurechnungszusammenhang.
89
Vorliegend hat die Klagepartei das streitgegenständliche Fahrzeug unstreitig am 02.06.2014 bestellt, wobei als unverbindlicher Liefertermin ausweislich der „Verbindlichen Volkswagen-Bestellung“ das „Quartal 3.2014“ angegeben wurde. Hieraus schließt der Senat, dass das Fahrzeug erst aufgrund des Kaufvertragsschlusses mit der Klagepartei bei der Beklagten bestellt wurde. Entsprechend geht der Senat davon aus, dass das streitgegenständliche Fahrzeug als Neuwagen beim Hersteller aufgrund einer Bestellung der Geschädigten erworben wurde, mithin ein Restschadensersatzanspruch besteht.
90
b) Der danach gegebene Restschadensersatzanspruch der Klagepartei ist indes nicht auf Erstattung des gesamten vom Klagepartei bezahlten Kaufpreises gerichtet, da die Beklagte diesen nicht erlangt hat. Im Zuge des Inverkehrbringens des von der Klagepartei erworbenen Fahrzeugs hat die Beklagte zunächst lediglich einen Anspruch gegen den Händler (der das gefertigte Fahrzeug von der Beklagten gekauft und an die Klagepartei verkauft hat) auf Zahlung des Händlereinkaufspreises erlangt. Nach Erfüllung dieser Forderung durch den Händler setzt sich die Bereicherung der Beklagten gemäß § 818 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB an dem vom Händler erlangten Entgelt fort (vgl. BGH, Urteil vom 21.02.2022 - VIa ZR 57/21, Rn. 13).
91
Der Klagepartei hat die dem Fahrzeughändler (Jacobs Gruppe-Volkswagen Z. A. GmbH) zugeflossene Händlermarge mit 15% des berechneten Kaufpreises von 18.938,94 € - mithin mit 2.840,84 € - beziffert. Die Beklagte ist diesem Vortrag nicht entgegengetreten.
92
Damit ist davon auszugehen, dass die Beklagte aus dem Verkauf des Fahrzeugs an den genannten Fahrzeughändler einen Betrag von (18.938,94 € - 2.840,84 € =) 16.098,10 € erlangt hat.
93
c) Die Beklagte hat den von der Klagepartei erlangten Kaufpreis allerdings nur insoweit herauszugeben, als diese sich darauf nicht Vorteile anrechnen lassen muss. Der Klagepartei kann als Restschadensersatz nach § 852 Satz 1 BGB nicht mehr zugesprochen werden, als sie vor der Verjährung ihres Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB verlangen konnte. Wegen der Rechtsnatur des § 852 Satz 1 BGB als im Umfang beschränkter Schadensersatzanspruch wird die herauszugebende Bereicherung des Ersatzpflichtigen durch den Schaden des Verletzten begrenzt. Auf den von der Beklagten erlangten Kaufpreis sind daher die von der Klagepartei gezogenen Nutzungen anzurechnen. Dies gilt wegen des schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbots auch für diejenigen Nutzungen, die die Klagepartei nach Eintritt der Verjährung gezogen hat. Die Vorteilsanrechnung basiert darauf, dass die Klagepartei mit der fortgesetzten Nutzung des Fahrzeugs einen geldwerten Vorteil erzielt hat. Die Verjährung ihres Schadensersatzanspruchs ändert hieran nichts. Die Beklagte schuldet die Zahlung des danach verbleibenden Betrags nur Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs (BGH, Urteil vom 21.02.2022 - VIa ZR 8/21, Rn. 83-84, juris).
94
Ausgehend von den von der Klagepartei zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bereits gefahrenen 188.171 km und bei Ansatz einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung des klägerischen Fahrzeugs von 250.000 km (siehe oben) ist auf den von der Beklagten erlangten Betrag von 16.098,10 € eine Nutzungsentschädigung von 14.255,04 € anzurechnen. Die Klagepartei kann somit nur 1.843,06 € beanspruchen.
95
d) Eine Reduzierung dieses von der Beklagten zu erstattenden Betrags um von ihr getätigte Aufwendungen (Kosten für die Herstellung des Fahrzeugs sowie für die Entfernung der Steuerungssoftware und die diesbezügliche Information der Öffentlichkeit) über die nach schadensersatzrechtlichen Grundsätzen zu gewährende Vorteilsausgleichung hinaus kommt nicht in Betracht. Solche Aufwendungen bestimmen das nach § 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB Erlangte nicht mit; sie sind auch nicht nach § 818 Abs. 3 BGB berücksichtigungsfähig, weil der Beklagten die Berufung auf eine mögliche Minderung ihrer Bereicherung nach § 818 Abs. 4, § 819 Abs. 1 BGB verwehrt ist (BGH, Urteil vom 21.02.2022 - VIa ZR 8/21, Rn. 83-86, juris).
96
9. Die Klagepartei kann gemäß § 291, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB Prozesszinsen seit Rechtshängigkeit der Klage geltend machen.
97
Die Rechtshängigkeit ist mit Zustellung der Klage am 29.01.2021 eingetreten (§ 261 Abs. 1 ZPO). Deshalb sind der Klagepartei Zinsen aus der zuzuerkennenden Schadensersatzforderung in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem auf die Zustellung folgenden Tag zuzusprechen (vgl. BGH, Urteil vom 04.07.2017 - XI ZR 562/15, BGHZ 215, 172, Rn. 103).
98
Unter dem Gesichtspunkt einer bei Eintritt der Rechtshängigkeit noch höheren Forderung, die durch den Ausgleich für die nachfolgende Fahrzeugnutzung teilweise aufgezehrt wurde, schuldet die Beklagte noch weitere Zinsen (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 397/19, Rn. 38). Diese schätzt der Senat gemäß § 287 ZPO auf 58,98 €.
99
10. Soweit die Klagepartei Ersatz von Anwaltskosten für außergerichtliches Vorgehen beansprucht, steht ihr ein Anspruch nicht zu.
100
Der Restschadensersatzanspruch gemäß § 852 Satz 1 BGB umfasst nicht die geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Nach § 852 BGB muss der Schädiger nicht mehr für einen Schaden einstehen, dem auf seiner Seite kein eigener wirtschaftlicher Vorteil entspricht. Die Vermögensnachteile, die der Klagepartei durch die Beauftragung der Rechtsanwälte mit der vorgerichtlichen Geltendmachung ihres Schadensersatzanspruchs entstanden sind, haben nicht zu einer Vermögensmehrung bei der Beklagten geführt (BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21, Rn. 21).
101
11. Die mit Schriftsatz vom 04.08.2022 eingelegte Anschlussberufung der Klagepartei ist unzulässig, weil sie nicht bis zum Ablauf der der Klagepartei als Berufungsbeklagter durch den Senatsvorsitzenden mit Verfügung vom 31.05.2021 - unter Erteilung der in §§ 521 Abs. 2 Satz 2, 277 Abs. 2 ZPO vorgeschriebenen Belehrung - gesetzten Frist von 2 Monaten zur Berufungserwiderung eingelegt wurde (§ 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
102
12. Da die Anschlussberufung der Klagepartei unzulässig ist, kann deren geänderte Antragstellung vom 04.08.2022 auch nicht im Rahmen der Entscheidung über die Berufung der Beklagten berücksichtigt werden, so dass sich auch Ausführungen zu dem von der Klagepartei zuletzt geltend gemachten Anspruchs auf „kleinen“ Schadensersatz erübrigen.
103
Dies gilt unabhängig davon, ob die geänderte Antragstellung, mit der die Klagepartei statt des erstinstanzlich von ihr geforderten und vom Erstgericht zugesprochenen „großen“ Schadensersatzes Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs „kleinen“ Schadensersatz ohne Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs fordert, als nach § 264 Nr. 2 ZPO privilegiert zulässige qualitative Klageänderung oder als nur mit Zustimmung des Gegners oder bei Sachdienlichkeit zulässige Klageänderung im Sinne der §§ 533, 263 ZPO anzusehen ist.
104
In beiden Fällen ist es erforderlich, dass die mit ihrem ursprünglichen Klagebegehren teilweise erfolgreiche Klagepartei entweder selbst Berufung eingelegt (und ihren Rechtsmittelangriff noch erweitern kann) oder jedenfalls zulässig Anschlussberufung eingelegt hat (vgl. hierzu etwa BGH, Urteil vom 03.07.2018, IX ZR 572/16 Rn. 17 m.w.N.). Der Anschluss an die fremde Berufung im Wege der Anschlussberufung ist stets erforderlich, wenn der Berufungsbeklagte das erstinstanzliche Urteil nicht nur verteidigen, sondern die von ihm im ersten Rechtszug gestellten Anträge erweitern oder einen neuen im ersten Rechtszug nicht vorgebrachten Anspruch im Wege der Klageänderung geltend machen will (so auch OLG Rostock, Urteil vom 10.01.2013 - 3 U 133/09).
105
13. Vor dem Hintergrund der Unzulässigkeit der Anschlussberufung ist auch die Antragstellung der Klagepartei im Termin vor dem Senat am 17.08.2022 auszulegen.
106
Zwar hat Klagepartei (ausdrücklich) nur den Antrag aus dem Schriftsatz vom 04.08.2022 zur Anschlussberufung und nicht auch denjenigen aus der Berufungserwiderung vom 29.07.2021 gestellt, in dem sie angekündigt hatte, die Zurückweisung der Berufung der Beklagten zu beantragen.
107
Nachdem die Klagepartei auch zuletzt ihren Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte - wenn auch in geänderter Form - weiterverfolgt hat, ist diese Antragstellung jedoch nicht dahin auszulegen, dass die Klagepartei das Ersturteil, durch das ihr der von ihr zunächst geforderte Schadensersatz Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs teilweise zugesprochen und der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits teilweise auferlegt wurden, nicht mehr verteidigen will, sondern dahin, dass sie jedenfalls hilfsweise - wie in der Berufungserwiderung angekündigt - die Zurückweisung der Berufung der Beklagten beantragt.
108
1. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO. Ausgehend von einem Streitwert in Höhe von 8.601,12 € errechnet sich für den zweiten Rechtszug für die in Höhe von 1.843,06 € obsiegende Klagepartei ein Kostenanteil von 79% und für die Beklagte von 21%.
109
Für den ersten Rechtszug ist von einem Streitwert von 14.286,93 € (18.938,94 € - 4.652,01 €).
110
Von dem geforderten Betrag von 18.938,94 € ist im Hinblick auf die von der Klagepartei grundsätzlich zugestandene Erstattung einer Nutzungsentschädigung ein Betrag in Höhe von 4.652,01 Abzug zu bringen. Die Klagepartei hat die zur Schätzung der Höhe der Nutzungsentschädigung anzuwendende Formel und die zugehörigen Parameter angegeben. Hinsichtlich der Gesamtlaufleistung sind dabei 500.000 km in Ansatz zu bringen, nachdem die Klagepartei ausdrücklich erklärt hat, dass aus ihrer Sicht eine Gesamtlaufleistung in dieser Höhe zu erwarten sei (Klageschrift vom 10.12.2020 - Seite 41). Damit hat die Klagepartei hinreichend klargestellt, dass sie sich auf jeden Fall einen Mindestbetrag in Höhe von 4.652,01 € anrechnen lässt, der sich auf dieser Grundlage ergibt (14.204,20 € [= 75% des Brutto-Kaufpreises von 18.938,94 €] x 163.755 gefahrene Kilometer [zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug] / 500.000 km Gesamtlaufleistung). Danach errechnet sich für das erstinstanzliche Verfahren ein Kostenanteil der Klagepartei von 87% und der Beklagten von 13%.
111
2. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.
112
3. Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegen.
113
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Eine solche wäre lediglich dann anzunehmen, wenn die Rechtssache eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwerfen würde, die über den Einzelfall hinaus Bedeutung für die Allgemeinheit hat. Dies ist nicht der Fall.
114
Die Fortbildung des Rechts erfordert keine höchstrichterliche Entscheidung. Auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht geboten; widersprüchliche Entscheidungen zu den maßgeblichen Rechtsfragen liegen nicht vor.
115
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 48 GKG, § 3 ZPO. Die Anschlussberufung der Klagepartei hat den Streitwert nicht erhöht, da sie dasselbe wirtschaftliche Interesse betrifft wie die Berufung der Beklagten (§ 45 Abs. 1 Satz 3 GKG).