Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 05.07.2022 – AN 17 K 22.30102
Titel:

Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft/des subsidiären Schutzes, kein Abschiebungsverbot – unglaubhaftes Vorbringen eines kubanischen Musikers/Künstlers

Normenketten:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsätze:
1. Eine Rückkehr nach Kuba ist für kubanische Staatsangehörige nur innerhalb von 24 Monaten rechtlich und tatsächlich ohne Schwierigkeiten möglich; nur innerhalb dieser Zeit ist eine Rückkehr ohne Rückkehrgenehmigung, die nur schwer zu schwer zu erlangen ist, erreichbar. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Verlust der Rückkehrberechtigung nach Ablauf der Frist stellt keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, da der Verlust an den Ablauf der Rückkehrfrist und nicht an die in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Merkmale anknüpft. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylantrag eines kubanischen Staatsangehörigen (Musiker), unglaubhaftes Vorbringen, Asylantrag, Kuba, Musiker, Flüchtlingseigenschaft, subsidiärer Schutz, Abschiebungsverbot, Künstler
Fundstelle:
BeckRS 2022, 28122

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

1
Der 1984 geborene Kläger ist k. Staatsangehöriger. Er verließ nach seinen Angaben sein Heimatland am 8. August 2018 und reiste über Russland und Tschechien am 20. bzw. 29. September 2018 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er ein Asylgesuch stellte.
2
Nach der Auskunft aus der E.-Datei hatte der Kläger bereits am 7. September 2018 in Tschechien einen Asylantrag gestellt. Dies bestätigte der Kläger am 27. März 2019 bei vorbereitenden Anhörungen zu Klärung der Zulässigkeit seines Asylantrags in Deutschland. Er sei zur Einreise in die Europäische Union am Flughafen … zur Stellung eines Asylantrags gezwungen gewesen. Sein Ziel sei aber von Anfang Deutschland gewesen. Bei diesen Anhörungen gab der Kläger auch an, zu seiner Tochter C. … … bzw. C. … … …, geb. am … 2018, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitze und zu deren Mutter, mit der er in einer Beziehung lebe, zu wollen.
3
Bei seiner Anhörung gem. § 25 AsylG, ebenfalls am 27. März 2019, gab der Kläger an, in Kuba ein Tonstudio gehabt zu haben, als Sänger unter dem Künstlername N. … gearbeitet zu haben und dort landesweit bekannt gewesen zu sein. Seine Auftritte seien aber illegal gewesen. Nach Art. 349 der kubanischen Verfassung seien u.a. die Musikrichtungen Reggaeton und Rap verboten gewesen bzw. hätten der Zensur und Unterdrückung unterlegen. Er habe auch gegen die damalige Regierung gesungen. An ihm habe ein Beispiel statuiert werden sollen. Es sei soweit gegangen, dass sein Tonstudio von der Polizei durchsucht worden sei und Inventar (Mikrofone, Lautsprecher, Piano usw.) beschlagnahmt worden sei. Ihm sei mit einer dreijährigen Haftstrafe und Beschlagnahme des Hauses gedroht worden. Das Ganze habe ca. im April 2018 stattgefunden. Er habe versucht, ein neues Tonstudio in anderen Stadtteilen zu eröffnen. Die Polizei habe aber wiederum alles beschlagnahmt. Es sei zu wiederkehrenden Vorfällen mit der Polizei gekommen und, ungefähr im Mai 2018, auch zu einer Schlägerei. Als Bestrafung hierfür sei er einen Monat in eine Zelle auf der Polizeistation gesperrt worden, wo ihm wiederum eine dreijährige Gefängnisstrafe angedroht worden sei. Die Polizisten hätten gesagt, dass die einzige Lösung für ihn wäre, das Land zu verlassen. Danach habe er keine Konzerte mehr veranstalten dürfen. Hauptgrund seiner Ausreise sei gewesen, dass die Behörden sein Tonstudio durchsucht und alle seine Sachen weggenommen hätten. Auch sein Motorrad sei ihm weggenommen worden. Durch seine Kontakte habe er die Sachen neu kaufen können. Es habe sich dann alles wiederholt und irgendwann habe man ihm gesagt, dass er ins Gefängnis kommen würde, wenn es noch einmal passiere. Er habe auch Ladungen bekommen, sich bei der Polizeistation zu melden. Ein sehr bekannter Sänger namens C. …, mit dem er einen Song produziert habe, sei von den kubanischen Behörden für ein Jahr bzw. ein Jahr acht Monate ins Gefängnis gesteckt worden. Bei den Vorladungen sei es oft darum gegangen, wo es andere Tonstudios gebe und welche Kontakte er dorthin. Er sei seit seinem 24. Lebensjahr, seit ca. 2008, Sänger. Die urbane Musik sei schon immer zensiert worden, jetzt sei es aber in die Verfassung geschrieben worden. Der neue Präsident habe zum Amtsantritt festgelegt, dass die urbane Musik eine zu provokante Sprache verwende und sie gegen die Regierung gerichtet sei. Vor April 2018 sei ihm auch schon Ähnliches (Verhaftungen und Durchsuchungen seines Tonstudios) passiert, aber nicht in der gleichen Intensität. Rapper hätten in Kuba kein gutes Ansehen, man sage ihnen illegale Dinge wie Prostitution und Drogen nach. Eine Anklage habe er nicht erhalten, weil er zuvor ausgereist sei. Wenn er seinen Beruf nicht aufgegeben hätte, wäre er sicherlich eingesperrt worden, wenn er noch ein oder zwei Wochen länger geblieben wäre. Er habe keinen anderen Ausweg als die Ausreise gesehen. Die Inhaftierung für einen Monat habe auf der Station in … im Zentrum … stattgefunden. Er sei mit drei weiteren Leuten in einer Zelle gewesen, die kein Fenster gehabt habe und sehr klein gewesen sei. Es habe keine Decken oder Matratzen gegeben, nur für diejenigen, die schon länger dort gewesen seien. An Namen Mithäftlingen könne er sich nicht erinnern. Um 6 Uhr, 12 Uhr und 18 Uhr habe es Essen gegeben, das aber sehr schlecht gewesen sei und gestunken habe. Die Hygiene sei sehr schlecht gewesen, die Toiletten verdreckt. Die Befragungen hätten manchmal dreimal am Tag, manchmal alle vier Tage stattgefunden. Es seien zwei bis drei Polizisten gewesen. Sie hätten nach Tonstudios gefragt, nach Drogen und wie er sich das Tonstudio leisten könne. Meldeauflagen habe es bei der Entlassung nicht gegeben, aber einmal eine Vorladung (zwei bis drei Wochen nach der Freilassung), der er nicht nachgekommen sei. Dies sei ohne Konsequenzen geblieben. Er sei auch Ende Oktober oder November 2017, damals für zwei bis drei Wochen, auf einer Polizeistation inhaftiert gewesen wegen Touristen-Belästigung. Er habe ein Video in der Altstadt von … gedreht und in der Nähe hätten sich Touristen befunden. Dort sei er mit einem Mann namens E. … … in der Zelle gewesen, mit dem er sich sehr gut verstanden habe. Er habe später einen Brief von ihm erhalten, in dem dieser ihm geraten habe, das Land zu verlassen, damit er nicht das gleiche Schicksal erleide wie er. Er habe sich später geweigert, etwas zu essen, sei ins Krankenhaus gekommen und sei gestorben.
4
Seine Lebensgefährtin habe er ca. drei Jahre vorher kennengelernt. Diese sei zuletzt im Februar 2018 und zuvor im November 2017 in Kuba gewesen. Einen Reisepass habe er schon 2014 beantragt wegen möglicher Job-Aufträge aus dem Ausland. Er habe 2013 oder 2014 bereits einmal ein Visum für M. beantragt, was aber abgelehnt worden sei. Seine Ausreiseentscheidung sei nach einem Gespräch mit seiner Lebensgefährtin gefallen. Probleme bei der Ausreise habe er nicht gehabt. Er habe auch familiäre Probleme in Kuba, die ihn bedrückten und eine Rolle gespielt hätten. Die familiären Probleme seien jedoch nicht ausreiseauslösend gewesen.
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Bei einer Rückkehr befürchte er, dass er ins Gefängnis müsse, man kenne ihn in Kuba.
6
Mit Bescheid des Bundesamts vom 21. Dezember 2018 wurde der Asylantrag des Klägers zunächst als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung nach Tschechien angeordnet. Mit Bescheid vom 29. März 2019 entschied das Bundesamt, den Bescheid vom 21. Dezember 2018 aufrecht zu erhalten. Am 15. Oktober 2019 wurde der zwischenzeitlich untergetauchte Kläger in die Tschechische Republik überstellt.
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Am 28. Oktober 2020 stellte der Kläger nach erneuter Einreise einen weiteren Asylantrag in Deutschland, der vom Bundesamt als Folgeantrag bezeichnet wurde. Mit schriftlicher Begründung vom 25. Oktober 2020 verwies der Kläger darauf, dass er in Kuba ein rebellierender Künstler gewesen sei. Zur Anhörung im Dublin-Verfahren am 3. Dezember 2020 erschien der Kläger nicht. Mit Bescheid vom 15. Dezember 2020 wurde der Antrag als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung in die tschechische Republik erneut angeordnet. Eine Abschiebung für den 3. Februar 2021 vorgesehene Überstellung nach Tschechien scheiterte daran, dass sich der Kläger dem erforderlichen Covid-Test nicht unterzog, sondern untertauchte.
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Am 15. September 2021 reichte der Kläger beim Bundesamt eine Geburtsanzeige für seinen am ... 2021 geborenen Sohn I.. … … …, dessen Mutter die kubanische Staatsangehörige M. … … … sei und mit der der Kläger in Lebensgemeinschaft lebe, ein. Mutter und Kind hätten Niederlassungserlaubnisse für Deutschland. Bereits am 25. August 2021 hatte der Kläger die Vaterschaft für das Kind anerkannt.
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Für den 27. September 2021 ist in der Bundesamtakte vermerkt, dass das Kläger zur Asylfolgeantragstellung beim Bundesamt erschienen sei und ihm die Dokumente für einen schriftlich zustellenden Folgeantrag ausgehändigt worden seien.
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Mit Bescheid vom 7. Februar 2022, der laut Aktenvermerk am 10. Februar 2022 zur Post gegeben wurde, erkannte das Bundesamt die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Ziffer 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Ziffer 2), erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Ziffer 3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 4), drohte dem Kläger die Abschiebung - in erster Linie - nach Kuba an, wenn er die Bundesrepublik Deutschland nicht innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens verlasse (Ziffer 5) und ordnete ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristete dieses auf drei Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6).
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Aufgrund der Geburt des Sohnes sei auf den Folgeantrag hin das Dublin-Verfahren abzubrechen und im nationalen Verfahren zu entscheiden gewesen. Es bestünden Zweifel an der Glaubhaftigkeit seines Asylvorbringens wegen oberflächlicher Angaben und wegen der Mitauslösung der Ausreise durch die Geburt seiner Tochter. Der Sachverhalt erreiche auch bei Wahrunterstellung kein asylrelevantes Maß.
12
Mit beim Verwaltungsgericht Ansbach 28. Februar 2022 eingegangenem Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten erhob der Kläger Klage und beantragte,
den Bescheid des Bundesamtes vom 7. Februar 2022 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutz zuzuerkennen,
hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 4. März 2022,
die Klage abzuweisen.
14
Mit Schriftsatz vom 10. März 2022 begründete die Klägerseite die Klage unter Darlegung der allgemeinen Menschenrechtslage, insbesondere mit der Einschränkung der Meinungs- und Informationsfreiheit in Kuba. Der Kläger beabsichtige die Eheschließung mit der Mutter seines zweiten Kindes. Mit dieser und dem Sohn lebe er in familiärer Lebensgemeinschaft. Der Kläger habe sich, nachdem er erneut eine Vorladung erhalten habe, entschieden, Kuba umgehend zu verlassen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Behördenakten und die Gerichtsakte verwiesen. Für den Verlauf der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet und deshalb abzuweisen. Der streitgegenständliche Bescheid vom 7. Februar 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
17
Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Asylanerkennung, noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG oder auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG, noch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu. Auch im Übrigen stößt der angegriffene Bescheid auf keine rechtlichen Bedenken.
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1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder Asylanerkennung. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Ergänzende Regelungen ergeben sich aus § 3a AsylG für die Verfolgungshandlungen, aus § 3b AsylG für die Verfolgungsgründe, aus § 3c AsylG zu den Akteuren, von denen Verfolgung ausgehen kann, aus § 3d AsylG zu den Akteuren, die Schutz bieten können, und nach § 3e AsylG zu einem möglichen internen Schutz.
19
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet ist im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, gilt dabei einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“). Erforderlich ist eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass der Betroffene bei einer Rückkehr verfolgt werden wird. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 - 10 C 25/10 - NVwZ 2011, 1463; U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - NVwZ 2013, 936). Dabei ist die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie in Form einer widerlegbaren Vermutung zu beachten, wenn der Asylbewerber bereits Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgungscharakter erlebt hat und sich seine Furcht hinsichtlich einer Rückkehr in sein Heimatland aus einer Wiederholung bzw. Fortsetzung der erlittenen Verfolgung ergibt.
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Mit Rücksicht darauf, dass sich der Schutzsuchende hinsichtlich asylbegründender Vorgänge außerhalb des Gastlandes in einem gewissen, sachtypischen Beweisnotstand befindet, genügt bezüglich der Vorgänge im Herkunftsland für die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotene richterliche Überzeugungsgewissheit in der Regel die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller und darf das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen. Es hat sich vielmehr mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit zu begnügen (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.1977 - 1 C 33/71 - NJW 1978, 2463). Andererseits muss der Asylbewerber von sich aus unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen, widerspruchsfreien Sachverhalt schildern. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann ihm in der Regel nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden (vgl. BVerwG B.v. 21.7.1989 - 9 B 239/89 - NVwZ 1990, 171).
21
Dies zu Grunde gelegt und unter Berücksichtigung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Kuba mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine dem Schutzbereich des § 3 Abs. 1 AsylG unterfallende Gefährdung droht.
22
a) Eine Vorverfolgung im o.g. Sinne hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht. Sein Vortrag in der mündlichen Verhandlung ist zu seinem Vorbringen beim Bundesamt zum Teil widersprüchlich. Er ist in den entscheidenden Punkten, insbesondere im Hinblick auf die vorgetragenen Inhaftierungen, zudem unsubstantiiert, farblos und detailarm. In der mündlichen Verhandlung relativierte der Kläger seinen bisherigen Vortrag teilweise auch bzw. stellte die Vorgänge in einen anderen Zusammenhang. Das erkennende Gericht geht zwar durchaus davon aus, dass der Kläger in Kuba als Sänger gearbeitet hat und auch zwei Musik-CDs, an denen der Kläger als Künstler beteiligt war, erschienen sind. Eine hieraus resultierende Verfolgung konnte der Kläger jedoch nicht nachvollziehbar und glaubhaft darlegen. Zu der 2017 produzierten CD „…“, auf der der Kläger unter dem Pseudonym bzw. mit dem Künstlernamen N. … singt, gibt er in der mündlichen Verhandlung selbst an, dass diese in Kuba nicht erschienen sei, sondern von einer amerikanischen Firma produziert worden sei. Der Kläger gibt außerdem an, zu dieser CD in Kuba nicht befragt oder auf diese angesprochen worden zu sein. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass diese CD bzw. der Künstlername N. … mit ihn nicht in Verbindung gebracht worden ist oder die staatlichen Behörden an dieser CD bzw. am Künstler keinen Anstoß genommen haben. Nach eigenem Bekunden durch den Kläger handelt es sich bei den Aufnahmen auch ganz überwiegend um Musik zum Tanzen und für den Verkauf in aller Welt und enthält nur zwei „kritische“ Lieder, so dass eine Verfolgung bzw. ein In-den-Fokus-Geraten durch die CD-Produktion auch wenig wahrscheinlich erscheint. Bei einer anderen CD, an der der Kläger nach seinen Angaben als Künstler beteiligt war, gibt er an, dass es sich dabei lediglich um „konventionelle“ und nicht um politische Musik gehandelt hat, die mit staatlicher Genehmigung oder sogar durch den Staat selbst produziert wurde. Schließlich ergibt sich auch aus Internetauftritten wie Y.-Videos kein Hinweis auf ein politisches Engagement des Künstlers „N. …“ oder eine größere Bekanntheit des Klägers. Dass es sich beim Kläger nicht um eine bekannte Persönlichkeit der Musikrichtung handelt, zeigt sich letztlich auch daran, dass er seit seiner Ausreise Mitte 2018 seine künstlerische Tätigkeit nicht vom Ausland wieder aufgenommen hat. Der kubanische R. (auch C. genannt) ist überdies eine in Kuba weit verbreitete und beliebte Musikrichtung und auch Aushängeschild Kubas (siehe etwa https://de.....). Eine Zuschreibung von politischen Inhalten oder eine herausgehobene kritische Beäugung der Musikrichtung durch den Staat kann nicht allgemein festgestellt werden, sondern ist allenfalls im Einzelfall zu befürchten und für den Kläger, der nicht zu den Großen und Bekannten der Branche gehört, damit unwahrscheinlich.
23
Dass der Kläger aufgrund eines betriebenen Tonstudios und/oder der Zusammenarbeit mit anderen Künstlern Schwierigkeiten bekommen hat, kann ebenfalls nicht angenommen werden. Insoweit gibt der Kläger zwar (Künstler-)Namen von Künstlern an, die nach seinem Bekunden Schwierigkeiten mit der kubanischen Staatsgewalt bekommen haben sollen, jedoch werden keine konkreten und nachprüfbaren Daten genannt und eine Verbindung zum Kläger nicht glaubhaft dargestellt. Was den Künstler „C. …“ betrifft, gibt der Kläger selbst an, dass er bei dem Auftritt, an dem dieser - angeblich - verhaftet worden sei, nicht anwesend gewesen sei. Im Übrigen macht der Kläger zu den Vorkommnissen rund um sein Tonstudio widersprüchliche und kaum nachvollziehbare Angaben. Beim Bundesamt gibt er an, dass Tonstudio nach der ersten Beschlagnahme durch die Polizei im April 2018 an neuer Stelle - innerhalb kürzester Zeit, nämlich im Mai 2018, was an sich schon unwahrscheinlich ist - wieder aufgebaut zu haben, erneut aufgefunden worden zu sein und Schwierigkeiten bekommen zu haben. In der mündlichen Verhandlung gibt er völlig neu und in sich ebenfalls schwer nachvollziehbar an, dass er sein Tonstudio selbst zerstört habe. Sein Vorbringen zu erlebten Inhaftierungen bleibt äußerst oberflächlich, lückenhaft (an Namen von Mithäftlingen erinnert sich der Kläger z.B. nicht), ohne Details, widersprüchlich (z.B. hinsichtlich der Anzahl der Mithäftlinge) und ausweichend bei Nachfragen (z.B. hinsichtlich der widersprüchlichen Angabe zu den Mithäftlingen).
24
Auch die Umstände seiner Ausreise aus Kuba (nach eigenen Angaben hatte er familiäre Probleme in Kuba), seiner Ersteinreise nach Deutschland (Nachzug zu damaliger Lebensgefährtin und Kind) sowie der Wiedereinreise 2020 mit Untertauchen und Wiederauftauchen erst nach einer neuer Lebensgemeinschaft und Geburt eines weiteren Kindes sprechen gegen eine erlebte Verfolgung, sondern für rein private Gründe für die Ausreise bzw. Verbleib.
25
b) Nachfluchtgründe sind für den Kläger ebenfalls nicht ersichtlich. Insbesondere zieht die Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland als solche nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung unverfolgt und legal aus Kuba eingereister kubanischer Staatsangehöriger nach sich (BVerwG, B.v. 7.12.1999 - 9 B 474.99; BayVGH, U.v. 29.7.2002 - 7 B 01.31054; B.v. 5.6.2008 - 15 ZB 07.30102; ständige Rechtsprechung des VG Ansbach, U.v. 24.9.2015 - AN 3 K 14.30542; B.v. 6.10.2020 - AN 17 K 20.30350 - alle juris).
26
Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass Personen, die im Ausland einen Asylantrag stellen, von der kubanischen Regierung als Regimekritiker eingestuft werden und in diesem Fall bei ihrer Rückkehr nach Kuba von willkürlichen staatlichen Repressalien bedroht sind (Schweizerische Flüchtlingshilfe „Kuba: Rückkehr, 16. Februar 2009“). Für den Kläger besteht hierfür aber nach Auffassung des Gerichts keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, da er in der Bundesrepublik Deutschland nicht politisch tätig ist und - wie oben dargelegt - man mit ihm auch in Kuba keine politische Aktivität verbindet. Im Übrigen ist nichts dafür ersichtlich, dass den kubanischen Behörden die Asylantragstellung des Klägers überhaupt bekannt geworden ist.
27
Eine Rückkehr nach Kuba ist für den Kläger nicht mehr ohne weiteres möglich. Eine Rückkehr nach Kuba ist für kubanische Staatsangehörige nur innerhalb von 24 Monaten rechtlich und tatsächlich ohne Schwierigkeiten möglich. Nur innerhalb dieser Zeit ist eine Rückkehr ohne Rückkehrgenehmigung, die nur schwer zu schwer zu erlangen ist, erreichbar. Der Verlust der Rückkehrberechtigung nach Ablauf dieser Frist, stellt aber keine Verfolgung dar, da der Verlust an den Ablauf der Rückkehrfrist und nicht an die in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Merkmale anknüpft (VG Ansbach, U.v. 6.10.2020 - AN 17 K 20.30350; U.v. 14.9.2015 - AN 3 K 14. 30542 - jeweils juris).
28
Ein Nachfluchtgrund ergibt sich auch nicht aufgrund einer (geänderten) allgemeinen Lage in Kuba nach Protesten der Bevölkerung im bzw. ab Juli 2021 und in diesem Zusammenhang erfolgten Verhaftungen. Dass Unbeteiligte und Personen, die sich wie der Kläger in dieser Zeit nicht in Kuba befunden haben, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit ernsthaften Schwierigkeiten zu rechnen haben, ist nicht anzunehmen und für den Kläger konkret nicht zu befürchten.
29
Ergänzend wird auch auf die Ausführungen im Bescheid des Bundesamts vom 7. Februar 2022 Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
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2. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG zu.
31
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG).Vorliegend sind keine Gründe ersichtlich, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland ein ernsthafter Schaden in diesem Sinne droht.
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3. Auch nationale Abschiebungsverbote sind nicht gegeben. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 - EMRK - ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach § 60 Abs. 7 AufenthG ist eine Abschiebung unzulässig, wenn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Asylantragstellers bei einer Rückkehr nach Kuba vorliegt. Hierfür ist nichts erkennbar. Insbesondere ist der Kläger nicht krank oder hilfebedürftig. Familiäre Bindungen in Deutschland begründen ein Abschiebungsverbot, das im Asylverfahren zu prüfen wäre, nach bisher ständiger Rechtsprechung nicht.
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4. Auch die im angefochtenen Bescheid enthaltene Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Die Voraussetzungen der §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylG liegen vor.
34
5. Gleiches gilt für die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots mit Befristung in Ziffer 6 des Bescheids gemäß §§ 11 Abs. 1, Abs. 2, 75 Nr. 12 AufenthG. Die Befristung steht dabei im Ermessen der Behörde, vgl. § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, womit das Gericht die Festsetzung in zeitlicher Hinsicht nur auf - im vorliegenden nicht vorgetragene und erkennbare - Ermessensfehler hin überprüft (§ 114 Satz 1 VwGO).
35
6. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen, wobei Gerichtskosten gemäß § 83b AsylG nicht erhoben werden.