Titel:
Religiöse Eheschließung bedingt keine Zuständigkeit Deutschland nach der Dublin II-VO
Normenketten:
Dublin III-VO Art. 2 lit. g, Art. 3 Abs. 2, Art. 9, Art. 13 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1 lit. a
AsylG § 34a
Leitsätze:
1. Aus einer religiösen Eheschließung, der Verlobung und der Absicht einer standesamtlichen Eheschließung in Deutschland ergibt sich keine Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 9 Dublin III-VO. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Familienangehöriger ist nach Art. 2 lit. g) erster Gedankenstrich Dublin III-VO der Ehegatte; hierfür ist eine wirksame, standesamtliche Eheschließung erforderlich, eine rein religiöse Eheschließung genügt hingegen nicht. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das spanische Asylsystem weist keine systemischen Mängel auf. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abschiebungsanordnung nach Spanien, Aufnahmeverfahren nach Art.13 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1 Buchst. a) Dublin III-VO, Religiöse Eheschließung in Deutschland mit Landsmann, Vorlage von kopierten Unterlagen zur Anerkennung der Eheschließung in Syrien (nicht ausreichend), Abschiebungsanordnung, Spanien, religiöse Eheschließung in Deutschland, vorläufiger Rechtsschutz, Familienangehöriger, Ehegatte, systemische Mängel, Zuständigkeit, VO (EU) 604/2013
Fundstelle:
BeckRS 2022, 28090
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung wird abgelehnt.
Gründe
1
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine asylrechtliche Abschiebungsanordnung nach Spanien.
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Die im Januar 2004 geborene Antragstellerin ist syrische Staatsangehörige kurdischer Volkzugehörigkeit. Sie reiste nach eigenen Angaben 2013 aus Syrien aus und lebte ca. neun Jahre lang im Irak. Am 9. März 2022 reiste sie auf dem Landweg nach Deutschland ein, wo sie am 29. März 2022 ein Asylersuchen und am 6. April 2022 einen förmlichen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) stellte.
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Eine eingeholte Auskunft aus der EURODAC-Datenbank erbrachte einen Treffer der Kategorie 2 für Spanien für den 14. Februar 2022.
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Bei Befragungen vor dem Bundesamt am 6. April 2022 und 12. Mai 2022 gab die Antragstellerin an, in keinem anderen Staat einen Asylantrag gestellt zu haben, weil sie nach Deutschland gewollt habe. In einem Land, dass sie nicht benennen könne, seien ihr aber Fingerabdrücke abgenommen worden. In Deutschland lebe seit 2015 ihr Verlobter … …, den sie in Kurdistan kennengelernt habe, als dieser dorthin gekommen sei. Sie hätten sich nach einem Jahr verlobt. Sie wolle ich Deutschland arbeiten und studieren. Gesundheitliche Beschwerden habe sie nicht.
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Auf das Aufnahmeersuchen der Antragsgegnerin vom 7. April 2022 hin teilte das Königreich Spanien am 18. April 2022 mit, dass die Zuständigkeit Spaniens nach Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) anerkannt werde.
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Mit Bescheid vom 16. Mai 2022, der Antragsteller zugestellt am 20. Mai 2022, lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Spanien (Ziffer 3) und ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristete dieses auf 21 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4).
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Hiergegen erhob die Antragsteller am 24. Mai 2022 durch ihren Prozessbevollmächtigten Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach und beantragte gemäß § 80 Abs. 5 VwGO,
die aufschiebende Wirkung der Klage herzustellen.
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Zur Begründung wurde vorgetragen, dass die Antragstellerin durch die Verlobung nach dem syrischen Personenstandsgesetz i.V.m. Art. 2 Buchst. g) der Dublin III-VO Familienangehörige ihres Verlobten sei, das Verlöbnis jedenfalls nach Art. 17 Dublin III-VO Berücksichtigung finden müsse. Der Verlobte der Antragstellerin sei in Deutschland anerkannter Asylberechtigter und habe eine Niederlassungserlaubnis.
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Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 27. Mai 2022, den Antrag abzulehnen.
10
Mit Schriftsätzen vom 9. Juni 2022 legten die Antragsgegnerin und die Antragstellerseite eine Heiratsurkunde des Islamischen Familien Zentrums …, Islamisches Schiedsgericht ESB, Sachverständiger Gutachter für Islamwissenschaft Familienrecht vor. Danach haben die Antragstellerin, wohnhaft in der Aufnahmeeinrichtung in … und Herr … …, wohnhaft …, am 14. Mai 2022 nach „Islamischer Berechtigung“ im Islamischen Familien Zentrum … unter Vereinbarung einer Brautgabe religiös die Ehe geschlossen. Die Kopie der Heiratsurkunde mit Übersetzung sowie die Kopie einer notariellen Beglaubigung der Echtheit der Urkunde vom 30. Mai 2022 wurde vorgelegt. In der notariellen Beglaubigung ist aufgeführt, dass es sich bei dem Dokument um eine Heiratsurkunde über eine religiöse Eheschließung nach den Regeln des Islam handle und die religiöse Ehe nach deutschen Recht nicht die Rechtswirkung einer weltlichen Eheschließung entfalte.
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Die Antragsgegnerin führte mit Schriftsatz vom 20. Juni 2022 aus, dass eine solche traditionelle Ehe nach deutschem Recht unbeachtlich sei. Eine Vergleichbarkeit mit einer zivilrechtlichen Eheschließung i.S.v. Art. 2 Buchst. b) Dublin III-VO bestehe nicht. Dies sei in Deutschland nur für die Lebenspartnerschaft nach dem LPartG anerkannt. Mangels individueller und außergewöhnlicher Umstände werde auch von einer Ermessensentscheidung nach Art. 17 Dublin III-VO kein Gebrauch gemacht.
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Mit Schriftsatz vom 24. Juni 2022 legte die Antragstellerin einen Auszug aus einem Fragebogen zur Anmeldung einer Eheschließung beim Standesamt … vor. Mit weiterem Schriftsatz vom 19. August 2022 wurden kopierte Unterlagen aus Syrien vorgelegt, insbesondere die Kopie mit Übersetzung einer „Heiratsurkunde“ bzw. der Erklärung einer Eheschließung im Zentrum …, … am 19. Juli 2022 unter Nennung der Eheschließung vom 14. Mai 2022 und der Genehmigung durch das Scharia-Gericht.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.
14
Der als solcher auszulegende Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamtes vom 16. Mai 2022 ist zulässig, aber unbegründet und deshalb abzulehnen.
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1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsanordnung ist zulässig, insbesondere statthaft, weil die gleichzeitig erhobene Klage keine aufschiebende Wirkung hat, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG. Die Klage und der Eilantrag sind auch fristgerecht innerhalb der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG erhoben worden.
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2. Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil die Interessensabwägung des Gerichts ein Überwiegen des Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin gegenüber dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin ergibt. Im Rahmen der gerichtlichen Ermessensentscheidung spielen vor allem die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage eine maßgebliche Rolle. Die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechende summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage führt zu dem Ergebnis, dass die Hauptsacheklage aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird. Die in Ziffer 3 des Bescheids getroffene Abschiebungsanordnung erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG) nämlich weiter als rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Rechtsgrundlage für die Anordnung der Abschiebung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht, § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylG.
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a) Das Königreich Spanien ist zur Aufnahme der Antragstellerin nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. a) verpflichtet und der für die Durchführung des Asylverfahrens der Antragstellerin zuständige Staat, weil die Antragstellerin in den Dublin-Raum illegal über Spanien eingereist ist, Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO, und dieser Grenzübertritt bezogen auf die erste Asylantragstellung der Antragstellerin in Deutschland am 29. März 2022 bzw. 6. April 2022 (vgl. Art. 7 Abs. 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO) noch keine zwölf Monate her ist, Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO. Der Erstgrenzübertritt nach Spanien steht fest aufgrund des EURODAC-Treffers der Kategorie 2 für den 14. Februar 2022, der für einen Aufgriff in Spanien an diesem Tag, nicht aber für eine Asylantragstellung (dann Treffer der Kategorie 1) steht (vgl. Art. 24 Abs. 3 i.V.m. Art. 9 und Art. 14 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 vom 26.6.2013 - Eurodac-VO). Der EURODAC-Treffer ist notwendiges, aber auch ausreichendes Beweismittel i.S.v. Art. 13 Abs. 1 Satz 1, Art. 22 Abs. 3 Dublin III-VO, Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2.9.2003 (Dublin-Durchführungs-VO) und deren Anhang II Verzeichnis A II Nr. 7 erster Spiegelstrich.
19
Eine vorrangige Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland besteht nicht. Aus der religiösen Eheschließung, der Verlobung und der Absicht einer standesamtlichen Eheschließung in Deutschland ergibt sich keine Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland. Art. 9 Dublin III-VO greift, abgesehen davon, dass auch kein schriftlich kundgetaner Wunsch des Verlobten der Antragstellerin aktenkundig ist, was Art. 9 Dublin III-VO fordert, nicht ein, da die Antragstellerin und Herr … … keine Familienangehörigen zueinander sind.
20
Familienangehöriger ist nach Art. 2 Buchst. g) erster Spiegelstrich der Ehegatte. Hierfür ist eine wirksame, standesamtliche Eheschließung erforderlich, eine rein religiöse Eheschließung genügt hingegen nicht (OVG NRW, U.v. 18.7.2016 - 13 A1859.14.A - juris Rn. 36-40; VG Würzburg, B.v. 2.9.2019 - W 8 S 19.50664 - juris Rn. 16 m.w.N.). Für die Wirksamkeit der Eheschließung kommt es darauf an, ob diese nach dem Recht des Staates, dem die Verlobten angehören, hier also nach syrischem Recht als zivilrechtlich wirksam zu betrachten ist, Art. 13 Abs. 1 EGBGB (VG Ansbach, B.v. 22.2.2021 - AN 17 E 21.50020 - BeckRS 2021, 2471 Rn. 25). Das wäre dann der Fall, wenn eine durch den syrischen Staat anerkannte Eheschließung vorläge (HessVGH, U.v. 6.11.2018 - 3 A 247/17.A - juris Rn. 11 ff. m.w.N.; VG Würzburg, a.a.O). Dass dies der Fall ist, kann hier nicht festgestellt werden. Dies wurde von der Antragstellerseite nicht belegt bzw. glaubhaft gemacht, sondern im Schriftsatz vom 24. Mai 2022 zunächst lediglich pauschal behauptet. Auch die mit Schriftsatz vom 19. August 2022 vorgelegte „Heiratsurkunde“ der Arabischen Republik Syrien, Ministerium für Inneres mit der Auskunft „Die Eheschließung wurde im Zentrum … in der Provinz … am 19.07.2022 (…) registriert“ stellt keinen ausreichenden Beleg für eine in Syrien als standesamtlich gültig zu betrachtende Ehe dar. Eine zivile Eheschließung hat am 19. Juli 2022 in Syrien nicht stattgefunden, vielmehr nimmt die Urkunde lediglich Bezug auf die Eheschließung vom „14.05.2022“, also die religiöse Eheschließung in … Eine Anerkennungsentscheidung in dem Sinn, dass die religiöse Eheschließung mit allen Rechtswirkungen als zivilrechltiche Ehe anerkannt wird, wurde nicht vorgelegt. Die vorgelegte „Heiratsurkunde“ stellt keine originäre Anerkennungsentscheidung dar, sondern lediglich ein Dokument, das eine anderorts und -zeit vorgenommene Anerkennung belegen soll (Auszug aus dem Ehe- bzw. Heiratsregister). Vorgelegt wurde dem Gericht jedoch lediglich eine nicht beglaubigte Kopie, was den Beleg nach Auffassung des Gerichts nicht bringen kann, da Manipulationen anhand einer Kopie nicht überprüfbar sind. Für den vorliegenden Fall erbringt die Kopie einen - wenigstens für das gerichtliche Eilverfahren - ausreichenden Beleg einer staatlichen Anerkennung konkret auch deshalb nicht, weil das vorgelegte Dokument inhaltliche Fragen aufwirft. So soll der Ehevertrag durch ein „Schariagericht“ genehmigt worden sein, was wohl weder das Islamische Familien Zentrum in …, noch das Ministerium für Inneres selbst sein kann und damit Rätsel aufgibt. Zum anderen entspricht das Dokument auch äußerlich nicht in jeder Hinsicht entsprechendem Vergleichsmaterial (vgl. www.familienrecht-in-nahost.de/8928/Syrien-Dokumente-Eheurkunde bzw. www.familienrecht-in-nahost.de/25195/Syrien-Uebersetzung-Auszug-Eheregister, jeweils abgerufen am 6.10.2022). Dass eine Anerkennung der in Deutschland rein religiös geschlossenen Ehe durch den syrischen Staat vorliegt, widerspricht auch der zuvor vorgetragenen Absicht (vgl. Schriftsatz vom 27.6.20022), die zivilrechtliche Ehe im Standesamt … erst noch zu schließen. Da es sich bei der Eheschließung in Deutschland und die Anerkennung dieser Ehe im Heimatland um Vorgänge handelt, der im alleinigen Machtbereich bzw. der Sphäre der Antragstellerin liegen, trägt die Antragstellerin trotz grundsätzlicher Amtsermittlungspflicht des Gerichts, die bei Umständen wie Eheschließung an ihre Grenzen stößt, insoweit die materielle Beweislast. Von einer staatlich anerkannten Eheschließung ist derzeit im Ergebnis nicht auszugehen.
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Eine dauerhafte Beziehung nicht verheirateter Partner ist nach Art. 2 Buchst. g) Dublin III-VO dann ausreichend, wenn eine solche Beziehung nach dem Recht oder nach den Gepflogenheiten des betreffenden Mitgliedstaates (also Deutschland) ausländerrechtlich vergleichbar behandelt wird. Dies ist in Deutschland für die religiöse Eheschließung bzw. ein Verlöbnis jedoch nicht der Fall (vgl. VG Würzburg, a.a.O Rn. 16 m.w.N.; VG München, B.v. 16.3.2015 - M 12 15.50026 - juris Rn. 23).
22
Mangels Verwandtschaft und Familienbeziehung im Sinne der Dublin III-VO ist es auch nicht zu beanstanden, dass es die Antragsgegnerin ablehnt, vom Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch zu machen.
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b) Das, weil es zu einer Asylantragstellung in Spanien nicht gekommen ist, nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. a) Dublin III-VO einschlägige Aufnahmeverfahren ist vom Bundesamt am 7. April 2022 ordnungsgemäß und rechtzeitig innerhalb der Frist von zwei Monaten nach der EURODAC-Treffermeldung am 29. März 2022, Art. 21 Abs. 1 Unterabs.2 Dublin III-VO, eingeleitet worden. Zu einem Zuständigkeitsübergang nach Art. 21 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO auf die Bundesrepublik Deutschland ist es somit nicht gekommen. Spanien hat der Übernahme am 18. April 2022 innerhalb der Frist von zwei Monaten nach Art. 22 Abs. 1, Abs. 7 Dublin III-VO auch zugestimmt.
24
c) Es liegen auch keine Umstände nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO vor, die eine Rückkehr der Antragstellerin nach Spanien unzumutbar erscheinen ließ.
25
Nach dem System der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996, 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 31.12.2011, C-411/10 und C-433/10 - NVwZ 2012, 417) gilt die Vermutung, dass die Behandlung von Asylbewerbern in jedem Mitgliedsland der Europäischen Union (EU) den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der EU (GRCh) entspricht. Diese Vermutung ist jedoch dann widerlegt, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem Mitgliedsland systemische Mängel aufweisen, die zu der Gefahr für den Asylbewerber führen, bei Rückführung in den Mitgliedsstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein.
26
Derartige systemische Mängel sind für Spanien nicht erkennbar und wurden von Antragstellerseite auch nicht vorgetragen. Das Gericht schließt sich nach Auswertung der zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln, der - soweit ersichtlich - nahezu einhelligen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung an, die derartige systemische Mängel im spanischen Asylsystem - in der Regel selbst für vulnerable Personen - verneint (vgl. VG Chemnitz, B.v. 12.4.2022 - 5 L 122/22.A - juris Rn. 17 ff.; VG Gera, B.v. 22.2.2022 - 6 K 963/21Ge - juris Rn. 26 ff.; VG Würzburg, B.v. 9.12.2021 - W 2 S 21.50343 - juris Rn. 19 ff. und B.v. 11.1.2019 - W 2 S 19.500022; ständ. Rechtspr. der Kammer, vgl. VG Ansbach, B.v. 31.5.2022 - AN 17 S 20.50132 - juris; a.A. VG Düsseldorf, B.v. 1.2.2022 - 12 L 2264/21.A - juris Rn. 45 ff.).
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An die Annahme des Ausnahmefalls des Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO sind dabei strenge Anforderungen zu stellen. Es müsste die ernsthafte Gefahr grundlegender Verfahrensmängel oder erheblich defizitärer Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in dem Mitgliedsland erkennbar und für den Rechtschutzsuchenden im zu entscheidenden Einzelfall zu befürchten sein (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014, 10 B 6/14 - juris), was weder allgemein für Spanien der Fall ist, noch im Hinblick auf eine besonders schutzwürdige Personengruppe, der die Antragstellerin angehört, erkannt werden kann.
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d) Auch liegen keine Anhaltspunkte für ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach Art. 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG oder ein inlandsbezogenes Abschiebungsverbot vor, das der Abschiebungsanordnung entgegenstünde. Insbesondere stellt die beabsichtigte Eheschließung bzw. das Verlöbnis mit Herrn … … keinen solchen Umstand dar. Aufgrund der Verpflichtung der Antragstellerin zur Wohnsitznahme in der zugewiesenen Unterkunft liegt (und lag auch zu keinem Zeitpunkt) eine Lebensgemeinschaft nicht vor.
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3. Die Kostenentscheidung des damit erfolglosen Antrags beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG
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4. Mangels hinreichenden Erfolgsaussichten wird auch der Antrag auf Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung abgelehnt § 166, §§ 114 ff. ZPO, ohne dass es auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin kommt.
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5. Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.