Inhalt

BayObLG, Urteil v. 18.07.2022 – 203 StRR 179/22
Titel:

Kein Gebrauch eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses zur Befreiung von der Mund-Nasen-Bedeckung

Normenketten:
StGB § 279
StPO § 244 Abs. 3 Nr. 2, Nr. 4 , § 344 Abs. 2 S. 2
Leitsätze:
1. Eine Strafbarkeit nach § 279 StGB setzt voraus, dass das Gesundheitszeugnis eine unwahre Aussage über den Gesundheitszustand als solchen enthält. (Rn. 7)
2. Die Feststellung, ob eine Aussage über den Gesundheitszustand unwahr ist, ist vom Gericht aufgrund einer - von § 244 StPO geleiteten - Beweiswürdigung zu treffen. (Rn. 11 – 20)
1. Bei § 279 StGB kommt es nicht darauf an, ob vor der Ausstellung des Attestes auch eine körperliche Untersuchung der betroffenen Person stattgefunden hat. (Rn. 7 – 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist ein Attest über das Internet bei einem für die betroffene Person unbekannten ausländischen Arzt beschafft worden, dann erweckt das zwar Misstrauen. Es genügt aber, wenn das Gericht dies im Einzelfall bei der Beweiswürdigung ausreichend würdigt. (Rn. 14 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Einholung eines ärztlichen Attestes zum Gesundheitszustand ist iSd § 244 Abs. 3 Nr. 4 StPO ungeeignet dafür, den Gesundheitszustand einer Person rückwirkend zum Tatzeitpunkt sicher festzustellen, um daraus den Schluss ziehen zu können, dass die vorgetragenen Beschwerden damals tatsächlich nicht bestanden haben sollen. Dies gilt insbesondere dann, wenn keine überdauernden körperlichen Einschränkungen geltend gemacht worden sind, deren Vorliegen auch jetzt noch unschwer überprüft werden könnten. (Rn. 18 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gesundheitszeugnis, Aufklärungsrüge, unwahre Aussage, Sars-CoV-2, Mund-Nasen-Bedeckung, BayIfSG, Beweiswürdigung, Beweisantrag, Gesundheitszustand, ärztliches Attest
Vorinstanzen:
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 05.10.2021 – 14 Ns 409 Js 50380/21
AG Neumarkt, Urteil vom 11.05.2021 – 20 Cs 409 Js 50380/21
Fundstellen:
NJW 2022, 3455
StV 2023, 28
BeckRS 2022, 28058
LSK 2022, 28058

Tenor

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 05.10.2021 wird als unbegründet verworfen.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Verfahrens zu tragen einschließlich der der Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Das Amtsgericht Neumarkt i.d.OPf. hat die Angeklagte am 11.05.2021 vom Vorwurf des Gebrauchs unrichtiger Gesundheitszeugnisse gemäß § 279 StGB freigesprochen.
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Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth mit Schriftsatz vom 12.05.2021 ein „Rechtsmittel“ eingelegt, das beim Amtsgericht am selben Tag eingegangen ist. Dieses Rechtsmittel wurde als Berufung weitergeführt und mit Schreiben vom 28.07.2021 begründet.
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Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat mit Urteil vom 05.10.2021 die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Neumarkt i.d.OPf. vom 11.05.2021 als unbegründet verworfen. Es hat es als nicht nachgewiesen angesehen, dass das von der Angeklagten vorgelegte Attest eine unwahre Aussage über deren Gesundheitszustand als solchen enthält. Den von der Staatsanwaltschaft in der Berufungshauptverhandlung gestellten Beweisantrag, ein Gutachten zum Beweis der Tatsache zu erholen, dass die Angeklagte unter keiner gesundheitlichen Beeinträchtigung leide, die die Befreiung von einer Maskenpflicht rechtfertigen könne, hat sie mit der Begründung zurückgewiesen, dass das Beweismittel völlig ungeeignet sei, da die Angeklagte zu einer amtsärztlichen Untersuchung weder bereit noch verpflichtet sei, und auch für die Entscheidung ohne Bedeutung sei, da es nicht auf den gegenwärtigen Gesundheitszustand ankomme, sondern auf den Gesundheitszustand zum Tatzeitpunkt und auf die subjektive Einschätzung der Angeklagten über ihren Gesundheitszustand zum damaligen Zeitpunkt.
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Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth mit Schreiben vom 06.10.2021, bei Gericht eingegangen am 07.10.2021, Revision eingelegt und diese nach Zustellung des Urteils am 19.10.2021 mit Schreiben vom 15.11.2021, bei Gericht eingegangen am 16.11.2021, begründet. Sie rügt die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Zum einen rügt sie, dass die Strafkammer bei der Beweiswürdigung nicht alle relevanten Umstände ausreichend abgewogen habe. Zum anderen hält sie die Zurückweisung des von ihr in der Berufungshauptverhandlung gestellten Beweisantrages für rechtswidrig. Sie beantragt, das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 05.10.2021 mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückzuverweisen.
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Die Generalstaatsanwaltschaft München vertritt mit Schreiben vom 16.03.2022 die Revision.
II.
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Die gemäß §§ 333, 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO zulässige Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg. Das angefochtene Urteil ist zutreffend. Die Angeklagte war aus rechtlichen wie aus tatsächlichen Gründen freizusprechen.
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1. Die Strafkammer ist rechtlich zutreffend davon ausgegangen, dass § 279 StGB schon vom Ansatz her nach alter wie nach neuer Fassung wegen der überschießenden Innentendenz des Tatbestandes nur vor Täuschungen bezüglich des Gesundheitszustands schützen soll, so dass es erforderlich ist, dass das Gesundheitszeugnis eine unwahre Aussage über den Gesundheitszustand als solchen enthält (h.M.; vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl., § 279 Rn. 2; MüKoStGB/Erb, 4. Aufl. 2022, StGB § 279 Rn. 2 m. zahlr. weit. Nachw.; Schönke/Schröder/Heine/Schuster, 30. Aufl., StGB § 279 Rn. 2). Entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft kommt es deshalb im Rahmen des § 279 StGB - anders als bei §§ 277 und 278 StGB - nicht darauf an, ob vor der Ausstellung des Attestes auch eine körperliche Untersuchung der Angeklagten stattgefunden hat. Festzustellen ist demnach die Unwahrheit der Aussage über den Gesundheitszustand als solchen.
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Die Strafkammer hat bereits das Vorliegen einer derartigen unwahren Aussage über den Gesundheitszustand als solchen zutreffend verneint, so dass es auf darüber hinausgehende Ausführungen zur subjektiven Tatseite gar nicht ankommt.
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a) Sie hat zum Sachverhalt festgestellt, dass die Angeklagte am 06.11.2020 im öffentlichen Verkehrsraum keine nach dem BayIfSG vorgeschriebene Mund-Nasen-Bedeckung getragen hat. Sie hat den sie kontrollierenden Polizeibeamten ein von einem in Österreich ansässigen Arzt ausgestelltes Attest vorgezeigt, das sie ohne vorangegangene Untersuchung über das Internet gegen Zahlung eines Betrages in Höhe von 20,00 Euro erworben hatte und das sie von der Pflicht, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, befreit. Dieses Attest hatte unter der Überschrift „Ärztliches Attest Sars-CoV-2-Eindämmungsverordnung“ folgenden Text: „Hiermit bestätige ich, dass das Tragen von einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung für die oben genannte Person aus gesundheitlichen Gründen kontraindiziert, wissenschaftlich belegbar gesundheitsschädlich und im Sinne der Psychohygiene traumatisierend und damit unzumutbar ist.“ Die Angeklagte hatte um die Ausstellung des Attestes zur Maskenbefreiung gebeten, da sie beim Tragen der Maske schnell kurzatmig werde und ihr Puls hochschnelle, so dass sie Kreislaufprobleme bekomme, hyperventiliere und Gefahr laufe, ohnmächtig zu werden
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b) Die Strafkammer konnte dagegen aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme weder feststellen, dass der das Attest ausstellende Arzt in Wahrheit kein Arzt ist, noch dass die von der Angeklagten gemachten Angaben dem Arzt gegenüber objektiv unrichtig waren und vom Arzt dann auch objektiv unrichtig attestiert wurden. Dazu führt die Strafkammer aus, dass das Attest lediglich pauschale allgemeine ärztliche Einschätzungen enthält, die dem weiten Ermessensspielraum eines Arztes und seiner hieraus folgenden Therapiefreiheit unterliegen und die ihre Grundlage in den von der Angeklagten geschilderten lediglich subjektiven Beschwerden finden, bei denen vorliegend eine erfolgversprechende Überprüfung nicht möglich ist.
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2. Unter diesen Vorgaben hat sich die Angeklagte nicht gemäß § 279 StGB strafbar gemacht, da das Gesundheitszeugnis keine unwahre Aussage über den Gesundheitszustand der Angeklagten als solchen enthält.
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a) Der Angriff gegen die Beweiswürdigung der Strafkammer geht aufgrund des festgestellten Sachverhalts fehl.
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(1) Nach allgemeiner Meinung ist die Würdigung der Beweise Sache des Tatrichters. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind. Das Revisionsgericht hat die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre. Die revisionsgerichtliche Überprüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder der Tatrichter zu Gunsten oder zu Ungunsten der Angeklagten sprechende Umstände nicht erkannt und in seine Überlegungen im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung nicht einbezogen hat.
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(2) Vorliegend sind solche Rechtsfehler nicht ersichtlich. Die Strafkammer hat gesehen, dass die Umstände der Attestbeschaffung (über das Internet bei einem ihr unbekannten ausländischen Arzt) Misstrauen erwecken, und hat dies bei der Beweiswürdigung ausreichend gewürdigt. Sie ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass sich die von der Angeklagten geschilderten körperlichen Beschwerden nur im Zusammenhang mit deren psychischer Verfassung bewerten lassen. Dabei hat die Strafkammer entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft zu Grunde gelegt, dass das Attest den damaligen Gesundheitszustand der Angeklagten bescheinigt, aber eben einen nicht nachweislich objektiv unrichtigen. Den Wortlaut von E-Mail und Attest, den die Strafkammer in der angefochtenen Entscheidung jeweils wörtlich zitiert hat, hatte sie dabei im Blick.
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Nicht richtig ist auch die Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft, dass sich die Strafkammer letztlich allein darauf gestützt habe, dass zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung ein weiteres Attest vom 08.06.2021 vorgelegen habe, welches ebenfalls die Unzumutbarkeit des Tragens einer Maske bestätige. Ausweislich des angefochtenen Urteils hat die Strafkammer diesen Umstand nämlich lediglich als ein über die bereits vorgenommene Beweiswürdigung hinausgehendes Indiz gewertet.
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Dass das Attest zeitlich vor der E-Mail-Anfrage der Angeklagten beim ausstellenden Arzt gefertigt worden sein soll, ist urteilsfremdes Vorbringen und damit unbeachtlich (vgl. nur Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 337 Rn. 22). Eine den formalen Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügende Aufklärungsrüge ist insoweit nicht erhoben.
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Die Strafkammer ist nach Würdigung des vorliegenden Einzelfalles zu dem Ergebnis gelangt, dass das Gesundheitszeugnis keine unwahre Aussage über den Gesundheitszustand der Angeklagten als solchen enthält. Gerade darin unterscheidet sich dieser Fall von der dem Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 05.05.2022 (Az.: 202 StRR 47/22) zugrunde liegenden Fallgestaltung, in der die Strafkammer aufgrund der dort vorgenommenen Beweiswürdigung zu der sicheren Überzeugung gelangt war, dass (auch) die Behauptung des dortigen Angeklagten, davon ausgegangen zu sein, bei ihm lägen tatsächlich ausreichende gesundheitliche Beeinträchtigungen vor, durch konkret belegte Umstände widerlegt ist.
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b) Die Strafkammer musste darüber hinaus aufgrund des von der Staatsanwaltschaft gestellten Beweisantrages keine weitere Sachaufklärung betreiben. Sie hat den Beweisantrag zu Recht sowohl als völlig ungeeignet, § 244 Abs. 3 Nr. 4 StPO, als auch als bedeutungslos, § 244 Abs. 3 Nr. 2 StPO, zurückgewiesen.
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Die von der Staatsanwaltschaft beantragte Erholung eines ärztlichen Attestes zum Gesundheitszustand der Angeklagten war von vorneherein nicht geeignet, den Gesundheitszustand der Angeklagten rückwirkend zum Tatzeitpunkt sicher festzustellen und daraus den Schluss zu ziehen, dass die Angeklagte die von ihr vorgetragenen Beschwerden damals tatsächlich nicht hatte. Die Angeklagte hat keine überdauernden körperlichen Einschränkungen geltend gemacht, deren Vorliegen auch jetzt noch unschwer überprüft werden könnte. Jetzt zu erhebende Werte wie Herzfrequenz, Blutdruck, Körpertemperatur und Atemfrequenz sind stets situations- und zeitbedingt und dabei auch von der jeweiligen psychischen Verfassung der Angeklagten abhängig. Aktuell zu erhebende objektive Befunde allein lassen keine sicheren Rückschlüsse auf die subjektiven Befindlichkeiten der Angeklagten zum Tatzeitpunkt und deren Einschätzung über ihren Gesundheitszustand zu, sondern setzen deren Bewertung im Zusammenhang mit der psychischen Konstitution der Angeklagten zum Tatzeitpunkt voraus. Die Ausführung der Revision, dass sich der Gesundheitszustand der Angeklagten seit der Tat bis heute nicht wesentlich verändert habe, stellt schon eine durch keine konkreten Umstände belegte bloße Behauptung dar. Zudem würde die erforderliche Exploration der Angeklagten hinsichtlich der geltend gemachten psychisch zumindest mitbedingten Beschwerden deren Mitwirkung voraussetzen. Zu einer solchen Mitwirkung hat sich die Angeklagte aber ausdrücklich nicht bereit erklärt hat und ist dazu auch nicht verpflichtet. Mangels ausreichender Anknüpfungstatsachen ist deshalb keine zuverlässige sachverständige Beurteilung zu erwarten, die eine Verurteilung der Angeklagten tragen könnte.
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Der Strafkammer stand bei der Frage, ob jetzt noch eine Rekonstruktion der damaligen Zustände möglich ist, eine Einschätzungsprärogative zu (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 07.12.2021, Az.: 5 StR 215/21, NStZ 2022, 247).
21
3. Die Strafkammer hat deshalb zu Recht eine Strafbarkeit der Angeklagten nach § 279 StGB aus rechtlichen wie aus tatsächlichen Gründen verneint.
III.
22
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.