Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 30.05.2022 – Au 9 K 22.30353
Titel:

kein Wiederaufgreifen des Verfahrens zu Abschiebungsverboten

Normenketten:
VwVfG § 51 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsatz:
Eine Änderung der Sachlage ist dann anzunehmen, wenn sich entweder die allgemeinen politischen Verhältnisse oder Lebensbedingungen im Heimatstaat oder aber die das persönliche Schicksal des Asylbewerbers bestimmenden Umstände so verändert haben, dass eine für den Asylbewerber günstigere Entscheidung möglich erscheint. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nigeria, erfolgloser Antrag auf Wiederaufgreifen eines rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens, keine relevante Änderung von Sach- und Rechtslage, Abschiebungsverbote (verneint), Wiederaufgreifensantrag, nationales Abschiebungsverbot, Existenzminimum
Fundstelle:
BeckRS 2022, 27998

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Kläger begehren mit ihrer Klage die Wiederaufnahme eines Asylverfahrens in Bezug auf die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten nach Nigeria bzw. in einen anderen aufnahmebereiten Staat.
2
Die am * in * (Nigeria) geborene Klägerin zu 1, die am * in * (Bundesrepublik Deutschland) geborene Klägerin zu 2 und der am * in * (Bundesrepublik Deutschland) geborene Kläger zu 3 sind nigerianische Staatsangehörige mit Volkszugehörigkeit der Edo (Bini) und christlichem Glauben.
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Die Klägerin zu 1 reiste am 23. Oktober 2015 erstmalig auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein.
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Der für die Klägerinnen zu 1 und 2 unter dem 21. Juli 2016 gestellte Asylerstantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgende: Bundesamt) vom 17. Mai 2017 (Gz.: *) abgelehnt. Den Klägerinnen wurde die Abschiebung nach Nigeria bzw. in einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht. Auf die Gründe des Bescheids vom 17. Mai 2017 wird ergänzend verwiesen.
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Die von den Klägerinnen gegen den vorbezeichneten Bescheid zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhobene Klage (Az.: Au 9 K 17.33316) wurde mit Urteil vom 25. Juni 2020 abgewiesen. Auf die Gründe der Entscheidung wird Bezug genommen. Das vorbezeichnete Urteil ist seit dem 15. August 2020 rechtskräftig.
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Für den Kläger zu 3 wurde unter dem 24. Oktober 2019 Asylantrag gestellt. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesamts vom 25. Ma 2020 (Gz.: *) abgelehnt und dem Kläger zu 3 ebenfalls die Abschiebung nach Nigeria bzw. in einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht. Auf die Gründe des Bescheids wird verwiesen. Die gegen den vorbezeichneten Bescheid zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhobene Klage (Az.: Au 9 K 20.30888) wurde mit Urteil des Verwaltungsgericht Augsburg vom 17. September 2020 abgewiesen. Auf die Gründe dieser Entscheidung wird Bezug genommen. Rechtskraft des vorbezeichneten Urteils besteht seit dem 26. Oktober 2020.
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Unter dem 3. Juni 2021 beantragten die Kläger beim Bundesamt die Wiederaufnahme des Verfahrens in Bezug auf die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten nach Nigeria bzw. in einen anderen aufnahmebereiten Staat. Die Klägerin zu 1 sei alleinerziehende Mutter zweier Kleinkinder im Alter von knapp 2 und 5 Jahren. Sie lebe mittlerweile vom Vater ihrer Kinder getrennt. Zudem seien ihre Kinder behandlungsbedürftig. Eine alleinerziehende Mutter mit Kleinkindern sei aufgrund der in Nigeria anzutreffenden Situation ohne Unterstützung durch Familie, Kirche o.ä. nicht in der Lage, das Existenzminimum für die Familie sicherzustellen. Staatliche Unterstützung sei nicht verfügbar. Die ohnehin prekären Verhältnisse hätten sich durch die COVID-19-Pandemie noch erheblich verschärft. Es sei daher davon ausgehen, dass für die Kläger aufgrund der derzeit harten Existenzbedingungen in Nigeria die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) gegeben seien.
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Mit Bescheid des Bundesamts vom 9. März 2022 (Gz.: *) wurde der Antrag auf Abänderung der Bescheide vom 17. Mai 2017 bzw. vom 25. Mai 2020 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG abgelehnt. Zur Begründung seiner Entscheidung führt das Bundesamt aus, dass die Voraussetzung für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht gegeben seien. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) lägen nicht vor. Zur Begründung für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens sei angegeben worden, dass die Klägerin zu 1 mittlerweile vom Vater ihrer Kinder getrennt lebe und als alleinerziehende Mutter im Falle einer Rückkehr nach Nigeria das Existenzminimum nicht erwirtschaften könne. Zudem seien die Kläger zu 2 und 3 behandlungsbedürftig. Dies stelle keine Sachlagenänderung dar, da sowohl der Gesundheitszustand der Kläger zu 2 und 3 bereits im Vorverfahren durch das Verwaltungsgericht Augsburg gewürdigt worden sei, als auch festgestellt worden sei, dass die Klägerin zu 1 auch ohne Unterstützung des Kindsvaters nach Nigeria zurückkehren könne. Der Arztbrief vom 8. April 2021 stelle kein neues Beweismittel dar, da er jedenfalls keine für die Kläger günstigere Entscheidung herbeiführen könne. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse könne nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu bewerten seien und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) erfüllen. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Nigeria führen nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung der Kläger eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Ein Ausnahmefall sei vorliegend nicht zu erkennen. Bei der Klägerin zu 1 handle es sich um eine gesunde, erwachsene Frau im erwerbsfähigen Alter. Sie habe nach ihren eigenen Angaben bis zu ihrer Ausreise als Friseurin gearbeitet. Die Klägerin zu 1 verfüge in Nigeria über einen großen Familienverband und stehe in regelmäßigem Kontakt zu ihrer Mutter. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände der Kläger sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch eine Abschiebung nicht beachtlich. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der Corona-Pandemie. Auch die Verletzung anderer Menschenrechte oder Grundfreiheiten der EMRK kommen nicht in Betracht. Es drohe den Klägern auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG führe. Einer erneuten Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung bedürfe es wegen der nach wie vor vollziehbaren Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohungen aus den vorangegangenen rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren nicht.
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Auf den weiteren Inhalt des Bescheids des Bundesamts vom 9. März 2022 wird ergänzend verwiesen.
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Für die Kläger wurde mit Schriftsatz vom 29. März 2022 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und beantragt,
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1. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 9. März 2022, Gz.:, zugestellt am 13. März 2022, wird aufgehoben.
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2. Die Beklagte wird verpflichtet, festzustellen, dass bei den Klägern Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen.
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Zur Begründung der Klage ist ausgeführt, dass die Kläger bei einer Rückkehr nach Nigeria einer existenzbedrohenden Situation ausgesetzt seien. Die Klägerin zu 1 sei alleinerziehende Mutter dreier minderjähriger Kinder. Schulbildung, Unterkunft und medizinische Versorgung in Nigeria koste Geld, das in der Familie nicht vorhanden sei. Sämtliche Kinder seien in Deutschland geboren. Beim Kläger zu 2 liege ein orthopädisches Leiden vor, welches im Juni 2022 operativ behandelt werde. Der Kläger zu 2 sei gehbehindert. Eine Operation in Nigeria sei der Klägerin zu 1 aus finanziellen und versorgungstechnischen Gründen nicht möglich. Die Voraussetzungen des §§ 60 Abs. 5 und 7 AufenthG lägen vor. Die Klägerin zu 1 sei nicht in der Lage das Existenzminimum für die Familie zu erwirtschaften. Die wirtschaftliche Lage habe sich infolge der Corona-Pandemie nochmals verschärft. Dies gelte insbesondere für alleinerziehende Frauen mit mehreren kleinen Kindern. Auf den weiteren Vortag im Klagebegründungsschriftsatz vom 13. Mai 2022 wird verwiesen. Mit Schriftsatz vom 23. Mai 2022 wurde für den Kläger zu 3 ein ärztliches Attest vom 19. Mai 2022 vorgelegt, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird.
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Das Bundesamt ist der Klage für die Beklagte mit Schriftsatz vom 6. April 2022 entgegengetreten und beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
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Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 6. April 2022 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Am 30. Mai 2022 fand die mündliche Verhandlung statt. Für den Hergang der Sitzung, in der die Klägerin zu 1 informatorisch angehört wurde, wird auf das hierüber gefertigte Protokoll verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und auf die von der Beklagten vorgelegte Verfahrensakten betreffend Asylerst- und Asylfolgeverfahren Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 Asylgesetz - AsylG) konnte über die Klage der Kläger aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30. Mai 2022 verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO). Die Beklagte ist zur mündlichen Verhandlung vom 30. Mai 2022 form- und fristgerecht geladen worden.
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Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.
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Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Wege der Wiederaufnahme des behördlichen Verfahrens bzw. auf Ermessensfehlerfreie Entscheidung diesbezüglich. Der diesen Anspruch versagende Bescheid des Bundesamts vom 9. März 2022 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Zur Begründung wird zunächst unter Absehen von der weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe auf die im Wesentlichen zutreffenden Ausführungen des Bundesamts im angefochtenen Bescheid Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist noch Folgendes auszuführen:
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Das Bundesamt ist im Ergebnis zurecht davon ausgegangen, dass die Kläger die Wiederaufnahmevoraussetzungen des § 51 VwVfG nicht erfüllen. Nach dem hier allein in Betracht kommenden Abs. 1 Nr. 1 und 2 dieser Vorschrift hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts zu entscheiden, wenn (1) sich die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat oder (2) neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden. Beides ist hier nicht der Fall.
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Selbst wenn man zu Gunsten der Kläger den ärztlichen Befundbericht des Klinikverbunds * vom 8. April 2021 (Verfahrensakte Bl. 12) als neue Tatsache werten würde, wäre diese jedenfalls nicht geeignet, für die Kläger eine günstigere Entscheidung in Bezug auf das Vorliegen von nationalen Abschiebungsverboten zu begründen.
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Eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG, die geeignet wäre, eine günstigere Entscheidung zu Gunsten der Kläger herbeizuführen, ist bereits nicht ersichtlich. Eine Änderung der Sachlage ist dann anzunehmen, wenn sich entweder die allgemeinen politischen Verhältnisse oder Lebensbedingungen im Heimatstaat oder aber die das persönliche Schicksal des Asylbewerbers bestimmenden Umstände so verändert haben, dass eine für den Asylbewerber günstigere Entscheidung möglich erscheint (vgl. Bergmann in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Auflage 2020, § 71 Rn. 24).
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In Bezug auf den vorgelegten Arztbericht des Klägers zu 3 ist darauf zu verweisen, dass die dem Kläger attestierten Erkrankungen bereits Gegenstand des rechtskräftig abgeschlossenen Asylerstverfahrens des Klägers zu 3 waren. Der Bericht vom 8. April 2021 des Klinikverbunds * führt aus, dass sich der Kläger zu 3 noch im Rahmen von routinemäßigen Kontrolluntersuchungen befindet. Der Kläger zu 3 zeige ausweislich des Attestes eine gute Entwicklung. Eine Schwitzneigung sei nicht zu erkennen. Dies gelte ebenfalls für Herzinsuffizienzzeichen. Die Untersuchung zeige einen unauffälligen Normalbefund und keinen Hinweis auf ein Vitium cordis (Herzklappenfehler). Dem Kläger zu 3 wurde lediglich eine weitere Verlaufskontrolle in ein bis zwei Jahren empfohlen. Damit ist auch der im Asylfolgeverfahren vorgelegte Befundbericht nicht geeignet, ein Abschiebeverbot zu Gunsten des Klägers zu 3 zu begründen.
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Gleiches gilt für das dem Kläger zu 3 attestierte orthopädische Leiden (O-Beine, die operativer Korrektur bedürfen). Auch hierbei handelt es sich keinesfalls um eine so schwerwiegende bzw. gar lebensbedrohliche Erkrankung, die geeignet wäre ein Abschiebungsverbot aus medizinischen Gründen zu begründen. Die erforderliche Bein-Operation mit Metallimplantat legt ein solches für das Gericht nicht nahe.
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Auch eine Änderung in Bezug auf das Vorliegen von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist nicht ersichtlich.
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Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die schlechte wirtschaftliche Situation in Nigeria - hier leben immer noch ca. 70% der Bevölkerung am Existenzminimum und sind von informellem Handel und Subsistenzwirtschaft abhängig (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria - Lagebericht - vom 16.1.2020, Stand: September 2019, Nr. I.2., S. 8) - ebenso wie die Situation hinsichtlich der verschiedenen gewalttätigen Auseinandersetzungen und Übergriffe, z.T. auch durch die Sicherheitskräfte, und die damit zusammenhängenden Gefahren (s.o. und Lagebericht AA a.a.O. Nr. II.2 und 3., S.15 f.) grundsätzlich nicht zu einer individuellen, gerade den Klägern drohenden Gefahr führt, sondern unter die allgemeinen Gefahren zu subsumieren ist, denen die Bevölkerung oder relevante Bevölkerungsgruppe allgemein ausgesetzt ist und die gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG durch Anordnungen gemäß § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen sind.
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Der Umstand, dass im Falle einer Aufenthaltsbeendigung die Lage eines Betroffenen erheblich beeinträchtigt würde, reicht allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen; anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen, wie zum Beispiel im Falle einer tödlichen Erkrankung in fortgeschrittenen Stadium, wenn im Zielstaat keine Unterstützung besteht (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - BVerwGE 146, 12-31, juris, Rn. 23 ff. m.w.N.). Im Hinblick auf die Bewertung eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK gelten dabei bei der Beurteilung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG die gleichen Voraussetzungen wie bei der Frage der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - a.a.O. - juris Rn. 22, 36).
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Auch eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben (§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) für einen Betroffenen aufgrund allgemein für die Bevölkerung bestehender Gefahren, die über diese allgemein bestehenden Gefahren hinausgeht ist, nur im Ausnahmefall im Sinne eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (BVerwG, U. v. 31.1.2013 - a.a.O., juris Rn. 38). Ein Ausländer kann im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser allgemein bestehenden Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für die Betroffenen die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Betroffenen daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (zum Ganzen BVerwG, U. v. 31.1.2013 a.a.O., juris Rn. 38).
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Für derartige besondere Gefahren aufgrund schlechter humanitärer oder wirtschaftlicher Verhältnisse ist hier nichts ersichtlich. Insbesondere kann im Falle der Kläger nicht davon ausgegangen werden, dass die schlechte wirtschaftliche Situation in Nigeria zu einem Abschiebungsverbot aufgrund schlechter humanitärer Verhältnisse führt, die im Ausnahmefall als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK qualifiziert werden könnten. Eine Änderung der Sach- und Rechtslage ist hier zugunsten der Kläger bereits nicht ersichtlich. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Klägerin zu 1 mit drei minderjährigen Kindern nach Nigeria zurückkehrt. Mit dem Bundesamt ist der Einzelrichter der Überzeugung (§ 108 Abs. 1 VwGO), dass es sich bei der Klägerin zu 1 um eine durchaus erwerbsfähige volljährige Frau handelt, von der Anstrengungen erwartet werden können, sich erneut in der nigerianischen Gesellschaft einzugliedern und auch einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Vor ihrer Ausreise aus Nigeria hat die Klägerin zu 1 bereits als Friseurin gearbeitet. Überdies kann die Klägerin zu 1 bei einer Rückkehr nach Nigeria die ortsübliche großfamiliäre Unterstützung erwarten. Nach ihrem eigenen Vorbringen steht die Klägerin zu 1 auch noch in Kontakt zu ihrer Mutter in Nigeria. Selbst wenn die Klägerin zu 1 mit ihren minderjährigen Kindern jedoch nicht an ihre vormaligen Aufenthaltsorte im Heimatland zurückkehren wollte, ist sie darauf zu verweisen, die Hilfe spezifischer Organisationen für Frauen in Anspruch zu nehmen. Das Gericht verweist insoweit auf die Aufstellung der Länderinformation der Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich - Nigeria - vom 3. September 2021 Nr. 19.2 Seite 44 f.. Damit gelten aber die rechtskräftigen Feststellungen aus dem bereits durchgeführten Asylerstverfahren im Ergebnis unterverändert fort.
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Gleiches gilt letztlich in Bezug auf das Vorliegen von gesundheitsbedingten zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der sich wohl auch in Afrika ausbreitenden Corona-Pandemie. Auch dieser Umstand ist nicht geeignet, zur Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu führen. Insoweit gilt es die Vorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG zu beachten. Danach sind Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nur bei einer Anordnung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Eine derartige allgemeine Entscheidung hinsichtlich des Zielstaats Nigeria i.S.d. § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG liegt derzeit nicht vor. Eine persönliche Betroffenheit von der Krankheit selbst haben die Kläger nicht aufgezeigt.
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Im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sind überdies in Nigeria lediglich 256.028 Corona-Fälle bestätigt, wovon 250.036 Personen genesen sind und es lediglich zu 3.143Todesfällen gekommen ist (Quelle: Covid19.ncdc.gov.ng, Stand: 30.05. 2022). Demnach handelt es sich um eine lediglich abstrakte Gefährdung, der im Rahmen des § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu begegnen ist. Der von den Klägern angeführte Umstand ist daher nicht geeignet, für diese ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu begründen.
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Damit haben die Kläger aber auch keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne gemäß § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48,49 VwVfG. Die Kläger haben diesbezüglich zwar einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Im gerichtlichen Verfahren beachtliche Ermessensfehler (§ 114 VwGO) sind vorliegend weder ersichtlich, noch vorgetragen.
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Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen haben die Kläger die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner gemäß § 159 Satz 2 VwGO zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.