Titel:
Corona, Klage gegen Verkürzung des Genesenenstatus, Aufrechterhaltung der Klage trotz Änderung der Rechtslage, keine Verfassungswidrigkeit der Verkürzung des Genesenenstatus auf 90 Tage, übereinstimmende Erledigterklärung, Kostentscheidung, voraussichtliches Unterliegen des Klägers, maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt, verschleierte Klagerücknahme
Normenketten:
VwGO § 92 Abs. 3
VwGO § 161 Abs. 2
IfSG § 22a
Schlagworte:
Corona, Klage gegen Verkürzung des Genesenenstatus, Aufrechterhaltung der Klage trotz Änderung der Rechtslage, keine Verfassungswidrigkeit der Verkürzung des Genesenenstatus auf 90 Tage, übereinstimmende Erledigterklärung, Kostentscheidung, voraussichtliches Unterliegen des Klägers, maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt, verschleierte Klagerücknahme
Fundstelle:
BeckRS 2022, 27815
Tenor
I. Das Verfahren wird eingestellt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Aufgrund der übereinstimmenden Erklärungen der Parteien ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Das Verfahren ist daher entsprechend § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO hat das Gericht nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands lediglich über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden.
2
Billigem Ermessen entspricht es in der Regel, die Kosten dem Beteiligten aufzuerlegen, der bei einer Entscheidung des Rechtsstreits voraussichtlich unterlegen und deshalb nach Maßgabe der §§ 154, 155 VwGO kostenpflichtig geworden wäre. Eine Verpflichtung des Gerichts, allein im Hinblick auf die noch offene Kostenentscheidung ansonsten erforderliche Feststellungen zu treffen, Beweise zu erheben oder schwierige Rechtsfragen zu klären, besteht nicht. Bei der Billigkeitsentscheidung kann auch berücksichtigt werden, inwieweit das erledigende Ereignis auf den Willensentschluss eines Beteiligten zurückzuführen ist (Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 28. Auflage 2022, § 161 Rn. 15 ff.).
3
Billigem Ermessen entspricht es hier, dem Kläger die Kosten aufzuerlegen, weil er bei streitiger Entscheidung voraussichtlich unterlegen wäre, ohne dass Billigkeitsgründe eine andere Entscheidung gebieten.
4
Der Beklagte hat hier nicht das erledigende Ereignis herbeigeführt. Vielmehr erfolgte eine Änderung der Rechtslage, weil der Bundesgesetzgeber den § 2 Nr. 5 SchAusnahmV a.F. aufgehoben und mit dem Erlass des neuen § 22a Abs. 2 Nr. 2 IfSG die Geltungsdauer des Genesenenstatus Ungeimpfter unmittelbar im Infektionsschutzgesetz geregelt hat. Durch diese Änderung der Rechtslage trat für sich indes noch nicht die Erledigung ein, weil die in der Sache angefochtene streitgegenständliche Verkürzung der Dauer des Genesenenstatus von 180 Tage auf 90 Tage - wenn auch aufgrund geänderter Rechtsgrundlage - weiter galt und auch weiter eine dem Kläger beschwerende, seinem Begehren zuwiderlaufende Regelungswirkung entfaltete. Dies belegt auch das weitere prozessuale Verhalten des Klägers, der trotz des richterlichen Hinweises vom 22. März 2022 auf die Rechtslage seine Klage aufrechterhielt und begehrte festzustellen, dass der Gültigkeitszeitraum des Genesenenstaus auch durch die Neuregelung des § 22a Abs. 2 Nr. 2 IfSG keine Änderung erfahren hat. Auch nach weiterem Hinweises des Gerichts vom 28. März 2022 auf seine geänderte Rechtsprechung (vgl. z.B. VG Würzburg, B.v. 25.3.2022 - W 8 E 22.456 - juris) hat der Kläger mit Schriftsatz vom 5. April 2022 ausdrücklich sein Klagebegehren aufrechterhalten und auf fortbestehende verfassungsrechtliche Bedenken hingewiesen.
5
Die Erledigung des Rechtsstreits trat erst durch Eingang der übereinstimmenden Erledigungserklärungen ein. Der Kläger wäre bei streitiger Entscheidung zu diesem maßgeblichen Zeitpunkt des Eingangs der Erledigungserklärungen voraussichtlich unterlegen.
6
Aber selbst wenn man auf einen anderen Zeitpunkt abstellen wollte, etwa die Änderung der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung durch Erlass der 16. BaylfSMV, hat der Kläger zum einen ebenso wenig darauf reagiert wie auf den Ablauf des in seinem Genesenen-Zertifikat genannten Zeitraums am 2. Juni 2022, sondern erst nach Erhalt der Ladung zur mündlichen Verhandlung. Zum anderen wäre der Kläger zu diesen Zeitpunkten ebenfalls zur Kostentragung verpflichtet gewesen, weil die Klage auch da schon keine Erfolgsaussichten mehr gehabt hatte.
7
Denn die Klage hatte nach Erlass des § 22a Abs. 2 Nr. 2 IfSG keine Erfolgsaussichten mehr. Nach Überzeugung des Gerichts bestehen insbesondere keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung, mit der der Bundesgesetzgeber gerade der bisherigen verfassungsrechtlichen Kritik durch die Regelung der Geltungsdauer des Genesenennachweises unmittelbar im Infektionsschutzgesetz begegnet ist. Denn auch wenn das Meinungsbild zur Dauer der Immunität eines Ungeimpften nach einer vorangegangenen Infektion nicht einheitlich war und ist, kommt dem Gesetzgeber ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu, der mit der Verkürzung des Genesenenstatus von 180 Tage auf 90 Tage nicht überschritten ist. Denn aufgrund der unterschiedlichen Aussagen zur Dauer des Immunschutzes bestehen dahingehend wissenschaftliche Unwägbarkeiten, weshalb die Möglichkeiten des Gesetzgebers begrenzt waren, sich ein hinreichend sicheres Bild zu machen. In diesen Fällen genügt es, wenn er sich an einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung der ihm verfügbaren Informationen und Erkenntnismöglichkeiten orientiert. Dieser Spielraum gründet auf der durch das Grundgesetz dem demokratisch in besonderer Weise legitimierten Gesetzgeber zugewiesenen Verantwortung dafür, Konflikte zwischen hoch- und höchstrangigen Interessen trotz ungewisser Lage zu entscheiden (BVerfG, B.v. 27.4.2021 - 1 BvR 2649/21 - juris Rn. 152; B.v. 19.11.2021 - 1 BvR 781/21 u.a. - juris Rn. 171 und 185 m.w.N.). Dieser Einschätzungsspielraum besteht auch aufgrund des nach wie vor anhaltenden Diskurses im fachwissenschaftlichen Bereich auch in tatsächlicher Hinsicht (vgl. auch BayVGH, B.v. 7.3.2022 - 20 N 21.1926 - juris Rn. 36).
8
Vorliegend bestehen weiterhin keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber seinen weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum überschritten haben könnte, wenn er der fachlichen Einschätzung des RKI folgt. Vielmehr hat auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, B.v. 27.4.2022 - 1 BvR 2649/21 - juris Rn. 201) festgestellt, dass es keine gesicherte Kenntnis gibt, wonach nach einer überstandenen Infektion die bestehende Immunität auch über einen Zeitraum von 90 Tagen nach der zugrundeliegenden Testung hinaus fortbesteht. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen insoweit weiterhin nicht (vgl. zum Ganzen VG Würzburg, U.v. 6.5.2022 - W 8 K 22.107 - juris Rn. 42 sowie NdsOVG, B.v. 8.9.2022 - 14 ME 297/22 - juris Rn. 13 ff.; B.v. 6.4.2022 - 14 ME 180/22 - juris Rn. 28 ff.; SächsOVG, B.v. 25.4.2022 - 3 B 162/22 - juris Rn. 17 ff.; B.v. 10.5.2022 - 3 B 100/22 - juris Rn. 15 ff.; OVG NRW, B.v. 10.5.2022 - 13 B 488/22 - juris Rn. 13 ff., 21 ff.; BayVGH, B.v. 20.4.2022 - 20 CE 22.646 - BeckRS 2022, 8047 Rn. 7).
9
Eine gegenteilige Kostenentscheidung war auch nicht sonst aus Billigkeitsgründen zu treffen, weil sich die Erfolgsaussichten eines zuvor aussichtsreichen Rechtsstreits infolge einer Rechtsänderung entscheidend geschmälert haben (vgl. Zimmermann-Kreher in BeckOK VwGO, Posser/Wolff, 62. Ed., Stand: 1.7.2022, § 161 Rn. 5). Denn der Kläger hat, wie bereits ausgeführt, seine Klage trotz entsprechender Hinweise des Gerichts auf die Änderung der Rechtslage nach dem Inkrafttreten des § 22a Abs. 2 Nr. 2 IfSG zum 19. März 2022 und der Aufhebung des § 2 Nr. 5 SchAusnahmV ausdrücklich aufrechterhalten. Er hat weder auf die Änderung der 16. BayIMSV noch auf den Ablauf des Gültigkeitszeitraums seines Genesenen-Zertifikats reagiert, sondern erst nach Erhalt der Ladung zur mündlichen Verhandlung. Diese späte Erledigungserklärung ohne Vorliegen eines (weiteren) erledigenden Ereignisses und bei zu erwartender Klageabweisung, auf die das Gericht schon mit seinen beiden Schreiben vom 22. und 28. März 2022 hingewiesen hatte, kommt einer „verschleierten“ Klagerücknahme gleich, bei der dem Kläger die Kostentragungspflicht nach § 155 Abs. 2 VwGO getroffen hätte (vgl. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 28. Auflage 2022, § 161 Rn. 17; Zimmermann-Kreher in BeckOK VwGO, Posser/Wolff, 62. Ed., Stand: 1.7.2022, § 161 Rn. 15 m.w.N.).
10
Abschließend ist noch anzumerken, dass keine Unbilligkeit aus der „langen Verfahrensdauer“ resultiert, wie der Kläger meint, weil nach dem üblichen Lauf der Dinge und wegen zahlreicher vorrangiger älterer Klageverfahren ohnehin nicht mit einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren vor Ablauf des Sechs-Monats-Zeitraums, dessen Feststellung der Kläger für seinen Genesenenstatus begehrte, zu rechnen war (vgl. ThürOVG, B.v. 2.5.2022 - 3 VO 198/22 - juris Rn. 9). Dem Kläger war es zudem unbenommen gewesen, einen weiteren Eilantrag zu stellen, nachdem die einstweilige Anordnung im Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 16. März 2022 im Eilverfahren W 8 E 22.419 infolge der Änderung der Rechtslage - wie dort ausdrücklich tenoriert - unwirksam geworden war.
11
Die Streitwertfestsetzung auf 5.000,00 EUR beruht auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Satz 1 GKG.