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VG Würzburg, Urteil v. 12.09.2022 – W 8 K 22.30325
Titel:

Iran, jahrelange Inhaftierung in den achtziger Jahren, politische Verfolgung als angeblicher Monarchist und wegen Verdachts auf Teilnahme an Putsch, kein Erlöschen des internationalen Schutzes, Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter von 1994, Ungereimtheiten und Widersprüche, kein zweifelsfreies und in sich stimmiges Vorbringen, unglaubhaftes gesteigertes Vorbringen, zweimalige Ausstellung eines neuen iranischen Reisepasses, mindestens viermalige Reisen in den Iran, keine Probleme und Repressionen trotz Grenzkontrollen, keine Probleme mit iranischen Stellen im Iran, kein Verfolgungsinteresse des iranischen Staates aufgrund der Vorkommnisse vor über 30 Jahren, moralischer Zwang für Reisen aus familiären Gründen aufgrund sittlicher Verpflichtungen nicht glaubhaft, nicht nur kurzzeitige Reisen und Aufenthalte, Wegfall des Verfolgungsgrundes, Sicherung des Existenzminimums, Gewährleistung der Gesundheitsversorgung im Iran, keine andere Beurteilung durch COVID-19-Pandemie

Normenketten:
VwGO § 86 Abs. 1 Halbs. 2
AsylG § 25
AsylG § 72 Abs. 1 Nr. 1
AsylG § 72 Abs. 1 Nr. 1a
AsylG § 73 Abs. 1 S. 1
AsylG § 73 Abs. 1 S. 2
AsylG § 73 Abs. 2a S. 5
AuslG a. F. § 51
Schlagworte:
Iran, jahrelange Inhaftierung in den achtziger Jahren, politische Verfolgung als angeblicher Monarchist und wegen Verdachts auf Teilnahme an Putsch, kein Erlöschen des internationalen Schutzes, Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter von 1994, Ungereimtheiten und Widersprüche, kein zweifelsfreies und in sich stimmiges Vorbringen, unglaubhaftes gesteigertes Vorbringen, zweimalige Ausstellung eines neuen iranischen Reisepasses, mindestens viermalige Reisen in den Iran, keine Probleme und Repressionen trotz Grenzkontrollen, keine Probleme mit iranischen Stellen im Iran, kein Verfolgungsinteresse des iranischen Staates aufgrund der Vorkommnisse vor über 30 Jahren, moralischer Zwang für Reisen aus familiären Gründen aufgrund sittlicher Verpflichtungen nicht glaubhaft, nicht nur kurzzeitige Reisen und Aufenthalte, Wegfall des Verfolgungsgrundes, Sicherung des Existenzminimums, Gewährleistung der Gesundheitsversorgung im Iran, keine andere Beurteilung durch COVID-19-Pandemie
Fundstelle:
BeckRS 2022, 27813

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

1
Der Kläger ist iranischer Staatsangehöriger, der mit Bescheid der Beklagten vom 25. August 1994 als Asylberechtigter anerkannt worden war. Außerdem war festgestellt worden, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung - a. F.) vorliegen. Der Kläger war nach seinen damaligen Angaben aufgrund des Verdachts, am Noscheh-Putsch beteiligt gewesen zu sein, jahrelang im Iran inhaftiert gewesen. Er hatte in Verdacht gestanden, gegen das herrschende Regime tätig und für die Monarchisten aktiv gewesen zu sein.
2
Die Beklagte leitete am 22. Februar 2022 ein Widerrufsverfahren ein, weil sie eine Sachlagenänderung als begründet angesehen habe, da sich der Kläger mehrmals in seinem Herkunftsland Iran aufgehalten gehabt habe. Folgende Aufenthalte seien bekannt:
- 03.11.2019 bis 02.12.2019 - 03.06.2019 bis 29.06.2019 - 20.08.2018 bis 20.09.2018 - 08.08.2015 bis 08.09.2015
3
Der Kläger ließ dazu mit Schriftsatz seiner damaligen Bevollmächtigten vom 30. März 2022 im Wesentlichen vorbringen: Die Aufenthalte seien nicht aus freien Stücken erfolgt und beim Kläger sehr mit Angst besetzt gewesen. Anlass der Reisen seien schwere Erkrankungen des Vaters des Klägers gewesen. Dieser habe zwei Herzinfarkte erlitten sowie weitere gefährliche Operationen erdulden müssen. Der Kläger habe sich aus familiärer und moralischer Verpflichtung gezwungen gesehen, in den Iran zu reisen.
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Mit Bescheid vom 1. April 2022 widerrief das Bundesamt die Anerkennung als Asylberechtigter vom 25. August 1994 (Az.: ...) (Nr. 1) sowie die getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a. F. vorliegen (Nr. 2). Die Flüchtlingseigenschaft wurde nicht zuerkannt (Nr. 3). Der subsidiäre Schutz wurde nicht zuerkannt (Nr. 4). Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 5). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a. F. vorlägen, seien gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylG zu widerrufen, weil sich die erforderliche Prognose drohender politischer Verfolgung nicht mehr treffen lasse. Die Voraussetzungen für den ursprünglichen Bescheid lägen nicht mehr vor, wenn die Verfolgungsgefahr nachträglich entfallen sei. Vorliegend sei eine entscheidungserhebliche Sachlagenänderung in der Person des Klägers eingetreten. Der Kläger habe sich nachweislich von 2015 bis 2019 insgesamt viermal in seinem Heimatland aufgehalten. Die Reisen seien vollumfänglich eingeräumt worden. Der iranische Reisepass des Klägers enthalte türkische Ein- und Ausreisestempel, außerdem befinde sich ein Ausreisestempel der Polizei der Islamischen Republik Iran vom 29. Juni 2019 im Pass. Der Kläger habe sich nach eigenen Angaben im iranischen Konsulat in Deutschland einen Reisepass ausstellen lassen. Nach dessen Verlust habe er einen zweiten Reisepass ausstellen lassen. Darin sei das Land des Wohnsitzes mit Iran angegeben, ausgestellt am 4. September 2018, Ausstellungsort „Immigration and Passport Police“. Der Kläger habe angegeben, mit den iranischen Behörden keine Probleme gehabt zu haben. Die Ausländerbehörde sei nicht über die Reisen informiert gewesen. Sie seien auch nicht genehmigt gewesen. Es habe weitere Abwesenheiten im Jahr 2016/2017 geben. Der Kläger habe sich zudem nachweislich 2018 und dreimal 2019 im Iran aufgehalten. Eine Reise ins Herkunftsland stelle nicht automatisch in jedem Fall einen Widerrufsgrund dar. Erforderlich sei vielmehr die Prüfung der individuellen Umstände des Einzelfalles. Insoweit seien die Einreise ins Herkunftsland, eine Rückkehr ins Bundesgebiet, die Dauer des Aufenthalts, die Häufigkeit der Aufenthalte, die Gründe, die zur positiven Entscheidung geführt hätten, die Eigenheiten des Herkunftslands und insbesondere die individuellen Gründe für die Rückreise zu berücksichtigen. Der Kläger habe gezeigt, dass ihm eine staatliche Verfolgung nicht mehr drohe und er eine solche auch nicht mehr befürchte. Das klägerische Vorbringen sei nicht mit entsprechenden Attesten des kranken Vaters untermauert worden und die Angaben seien zudem als allgemein gehaltene, undetaillierte und emotional übertriebene Belanglosigkeiten zu werten. Den Erkenntnissen des Bundesamtes über Ein-/Ausreisen auf dem Landweg, geschweige denn über internationale iranische Flughäfen, entspreche nicht, dass dort so „lasche“ Ein- und Ausreisekontrollen an der Tagesordnung stehen sollten. Ein- und Ausreise bei zwei der vier Reisen seien jeweils auf dem offiziellen Luftweg erfolgt, somit mit Wissen der iranischen Behörden. Bemühungen, seinen Aufenthalt im Herkunftsland vor den dortigen Behörden zu verbergen, seien nicht ersichtlich. Der Kläger habe sich durch seine mehrmaligen Rückreisen, der Ausstellung und persönlichen Annahme seines Reisepasses freiwillig wieder dem Schutz seines Heimatstaates unterstellt. Es habe sich nicht um einmalige, kurzzeitige Reisen von wenigen Tagen gehandelt, sondern um mehrfache mehrwöchige Aufenthalte. Zudem sei die Schwester zur Pflege und Betreuung des Vaters vor Ort gewesen. Die mehrmaligen Besuche des erkrankten Vaters erschienen als Reisemotivation zwar verständlich, seien jedoch nicht als dringliche sittliche Verpflichtung zu bewerten. Interessant sei weiter, dass der Kläger nun eine vollkommen andere Verfolgungsgeschichte als im Anerkennungsverfahren vortrage und der Verdacht, er sei am Noscheh-Putsch 1980 beteiligt gewesen, von ihm überhaupt nicht erwähnt werde. Es hätte keine Probleme bei den Kontrollen und auch bei der Ausstellung und bei der Beantragung des Reisepasses im Iran gegeben. Der Kläger habe selbst angegeben, als er das erste Mal dort gewesen sei, dass er sich sicher gewesen sei, dass der iranische Staat wahrscheinlich nichts mehr von ihm wolle. Deshalb sei er noch ein paarmal in den Iran gegangen. Er glaube nicht, dass er wegen seiner damaligen Probleme noch Schwierigkeiten im Iran bekommen könne. Er habe in nach einer derartigen langen Abwesenheit keine Probleme bei der Einreise erwartet und diese seien auch nicht eingetreten. Das Vertrauen des Klägers in den Fortbestand der ursprünglich anerkennenden Entscheidung sei nicht besonders schutzwürdig. Der Stand des Schutzes sei abhängig vom Fortbestand der Voraussetzungen. Durch die Reisen habe der Kläger zudem deutlich gemacht, dass er eines Schutzes nicht bedürfe. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie des subsidiären Schutzes lägen nicht vor, auch Abschiebungsverbote lägen nicht vor.
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Am 26. April 2022 ließ der Kläger durch seine damalige Prozessbevollmächtigte Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben.
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Mit Schriftsatz vom 18. August 2022 ließ der Kläger durch seinen neuen Prozessbevollmächtigten zur Klagebegründung im Wesentlichen ausführen: Die Voraussetzungen für einen Widerruf der Asylberechtigung bei dem Kläger lägen nicht vor. Dem Kläger drohe immer noch eine Verfolgung aus politischen Gründen bei einer Rückkehr in den Iran. Der Kläger habe sich zwar zwischenzeitlich - aufgrund dringender persönlicher Gründe - vorübergehend im Iran aufgehalten und auch einen iranischen Reisepass ausgestellt bekommen. Allerdings sei die erste Reise im Jahr 2015 dadurch veranlasst gewesen, dass sich der Vater des Klägers aufgrund einer Herzattacke im Krankenhaus befunden haben. Die Ärzte hätten damals aufgrund der schlechten Gesundheitszustandes des Vaters eine 24-Stunden-Betreuung im Krankenhaus angeordnet. Der Kläger, der seinen Vater damals seit ca. 23 Jahren nicht mehr gesehen gehabt habe, sei genauso wie die Familie durch diese Situation sehr stark psychisch belastet worden. Ein enger Freund des Vaters habe dem Kläger unter Einhaltung genauer Anweisungen ermöglicht, seinen Vater nochmals zu sehen. Der Kläger habe den Freund über Verlauf und Zeitpunkt des Eintreffens an der Grenze, konkret am Ort B., informiert. Ein Grenzsoldat habe an der Grenze die Einreise des Klägers bewerkstelligt. Bei der Rückreise sei dem Kläger mitgeteilt worden, dass der Bekannte des Freundes des Vaters angeordnet habe, die Rückreise um eine Woche zu verschieben. Daher habe der Kläger ein vollkommen überteuertes neues Rückflugticket erwerben müssen. Die anderen Reisen des Klägers seien entsprechend verlaufen. Bei der Reise im Jahre 2018 habe der Kläger von seinem Vater zwei Formulare erhalten. Das eine Formular sei eine Verlustanzeige des Reisepasses gewesen, obwohl der Kläger seinen Reisepass nicht verloren gehabt habe. Das zweite Formular sei ein Antrag für einen neuen Reisepass gewesen. Der Kläger habe später nach Anweisung durch seinen Vater zu einer bestimmten Zeit in ein bestimmtes Zimmer in der Passbehörde gehen müssen. Dort sei ihm ein neuer Reisepass ausgehändigt worden. Im neuen Reisepass sei als Aufenthaltsort Iran angegeben worden und nicht mehr Deutschland, da bei einer Kontrolle an der Grenze nach dem Aufenthaltsort gesehen werde und ein Aufenthaltsort im Iran unauffälliger sei. Der neue Reisepass sei sehr teuer gewesen. Bei einer Reise habe der Kläger die Grenze erst drei Tage später als geplant passieren können, da zunächst strengere Kontrollen stattgefunden hätten. Der Kläger sei nicht „einfach“ in den Iran gereist, sondern es habe jeweils der Organisation bedurft, dass der Kläger nicht bei den Grenzkontrollen auffalle. Auch der neue Reisepass sei nur durch Beziehungen und aufgrund von „Sonderzahlungen“ ausgestellt worden. Solche Sicherheitsmaßnahmen könnten den Kläger nur jeweils kurzfristig, aber nicht dauerhaft schützen. Es sei nicht zu erkennen, inwiefern dem Kläger dauerhaft keine Gefahr mehr drohen sollte. Es sei auch immer noch dasselbe Regime im Iran an der Macht. Dem Kläger drohe weiterhin jederzeit eine Verhaftung im Iran aufgrund der fluchtauslösenden Ereignisse. Zumindest lägen beim Kläger aufgrund seiner Erkrankungen und seines Alters die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes vor, da er keine wirtschaftliche Existenzgrundlage im Iran habe und auch nicht erreichen könne. Auch eine Unterstützung durch seine Familie sei nicht möglich.
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Mit Schriftsatz vom 6. September 2022 ließ der Kläger ein fachärztliches Attest vom 30. August 2022 zu seiner psychischen Erkrankung, wonach die drohende Abschiebung zu einer Verschlechterung beitrage, sowie einen fachärztlichen Sammelbrief vom 29. August 2022 zu orthopädischen Beschwerden vorlegen.
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Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 29. April 2022,
die Klage abzuweisen.
9
Die Kammer übertrug den Rechtsstreit mit Beschluss vom 27. April 2022 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung.
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Mit Beschluss vom 17. Mai 2022 lehnte das Gericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und auf Beiordnung des (neuen) Prozessbevollmächtigten ab.
11
In der mündlichen Verhandlung am 12. September 2022 ließ der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten beantragen,
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 1. April 2022 aufzuheben;
hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen;
hilfsweise dem Kläger den subsidiären Schutz zuzuerkennen;
hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Das Gericht hörte den Kläger informatorisch an.
13
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Behördenakten (einschließlich der Ausländerakte) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.
15
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 1. April 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Voraussetzungen für einen Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter vom 25. August 2021 sowie die getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a.F. nicht vorliegen, sind gegeben. Der Kläger hat weiter keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
16
Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Ausführungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge decken sich mit den zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln sowie der einschlägigen Rechtsprechung.
17
Vorab ist festzustellen, dass die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter sowie die getroffenen Feststellungen zu § 51 Abs. 1 AuslG a. F. nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung nicht gemäß § 72 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 1a AsylG erloschen sind. Jedoch gaben die neuen Erkenntnisse (zweimalige Ausstellung eines iranischen Reisepasses, viermalige Reise in den Iran) Anlass, in einem Widerrufsverfahren gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 AsylG die Frage zu prüfen, ob die Voraussetzungen der Anerkennung als Asylberechtigter und des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 AsylG a. F. nicht mehr vorliegen, weil die verfolgungsbegründenden Umstände weggefallen sind.
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Die Voraussetzungen eines Erlöschens der Asylberechtigung sowie der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylG (freiwillige Erneuerung eines Nationalpasses) bzw. nach Nr. 1a AsylG (freiwillige Rückkehr in das Verfolgerland und dortige Niederlassung) sind nicht gegeben. Denn bei Auslegung der Vorschriften im Lichte des Art. 16a Abs. 1 GG und der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. im Einzelnen dazu VG Würzburg, U.v. 22.3.2021 - W 8 K 20.31270 - juris Rn. 19 m.w.N.) ist seitens des Klägers nicht von einer dauerhaften Unterschutzstellung unter den iranischen Staat auszugehen. Unter anderem ist nicht ersichtlich, dass der Kläger die Absicht gehabt hatte, abgesehen von jeweiligen Reisen aus persönlichen familiären Gründen, sich wieder dauerhaft im Iran niederzulassen. Die Beklagte ist dementsprechend selbst auch nicht von einem Erlöschen ausgegangen, sondern von einem Widerruf.
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Die Voraussetzungen eines Widerrufs nach § 73 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 AsylG liegen vor. Danach sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn es der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Anerkennung als Asylberechtigter oder zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.
20
Die zweifache Erneuerung des Reisepasses sowie die mehrmalige Rückreise in den Heimatstaat gab Anlass, ein Widerrufsverfahren einzuleiten. Bei der Beurteilung kommt es auf die näheren Umstände und Beweggründe für die Reisen im Einzelfall an (OVG LSA, U.v. 26.1.2000 - A 1 S 174/99 - EzAR 214 Nr. 12 - juris).
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Hat das Bundesamt die Anerkennung bzw. die Zuerkennung von sich aus ausgesprochen, so ist von den Verhältnissen im Zeitpunkt des Ergehens des bestandskräftigen An- bzw. Zuerkennungsbescheids auszugehen. Das Merkmal des Wegfalls der Umstände ist unionrechtskonform auszulegen. Voraussetzung ist, dass die Ursachen, die zur Anerkennung als Flüchtling geführt haben, durch eine erhebliche und nicht nur vorübergehende Änderung der Umstände beseitigt worden sind mit der Folge, dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung als unbegründet angesehen werden kann. Die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten, müssen als dauerhaft beseitigt angesehen werden können. Der Ausländer darf nicht mehr besorgen müssen, Verfolgungshandlungen ausgesetzt zu sein, die schwerwiegende Verletzungen der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Es ist zu prüfen, ob nach Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalles noch eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung besteht, so dass es ihm nicht zuzumuten ist, in den Heimatstaat zurückzukehren (Fleuß in BeckOK, AuslR, Kluth/Heusch, 34. Ed., Stand 1.7.2021, § 73 AsylG Rn. 10 ff.).
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Symmetrisch bzw. spiegelbildlich zur Wahrscheinlichkeitsprognose bei der Anerkennung ist eine qualifizierende Betrachtungsweise erforderlich. Sie verlangt eine Gewichtung und Abwägung aller Umstände und ihre Bedeutung aus der Sicht eines vernünftig denkenden, besonderen Menschen in der Lage des Betroffenen unter Einbeziehung der Schwere des befürchteten Eingriffs und unter Berücksichtigung des Gedankens der Zumutbarkeit (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 - 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 - juris Rn. 24).
23
Der nachträgliche Wegfall der Verfolgungsgefahr kann auch seine Ursache in der Person des Betroffenen haben. Auch individuelle Umstände können eine derartige Änderung herbeiführen. So kann auch das Verhalten des Flüchtlings den Wegfall der Verfolgungsfurcht und den gleichzeitigen Wegfall der Verfolgungsgefahr dokumentieren, etwa bei einer (dauerhaften) Rückkehr in den Heimatstaat. Anders ist es jedoch, wenn der Betroffene sich aus schwerwiegenden familiären Gründen (Besuch des todkranken Vaters) ungeachtet einer weiter bestehenden Verfolgungsgefahr in den Herkunftsstaat begibt. Eine nur vorübergehende Rückkehr, etwa zum Zweck kurzer Familienbesuche, stellt noch kein zwingendes Indiz dar, gerade wenn es um die Erfüllung einer sittlichen Pflicht geht. Zu betrachten sind die konkreten Umstände des Einzelfalles, etwa auch, ob Verfolgungsmaßnahmen nach der Einreise ausbleiben. So können etwa mehrwöchige Aufenthalte im Heimatstaat, ohne dass es dort zu Einschränkungen und Schikane oder Repressalien gekommen ist, die Annahme veranlassen, dass die Behörden kein Verfolgungsinteresse mehr besitzen (Hailbronner, AuslR, 124. Update Stand: Juni 2022, § 73 AsylG Rn. 33 ff.; Bergmann in Bergmann/Dienelt, AuslR, 14. Aufl. 2022, § 73 AsylG Rn. 6).
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Bei der vergleichenden Betrachtung der Umstände im Zeitpunkt der Flüchtlingsanerkennung einerseits und der für den Widerruf gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Sachlage andererseits muss sich durch neue Tatsachen eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte Grundlage für die Verfolgungsprognose ergeben. Bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat muss eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahme auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden können. Dabei ist von einem einheitlichen Prognosemaßstab auszugehen. Mögliche Widerrufsgründe können dabei aus der Person des Flüchtlings begründet sein, wenn er etwa seine politische Überzeugung wechselt; auch ein Glaubenswechsel kann in Betracht kommen (Funke-Kaiser/Fritz/Vormeier, GK-AsylG, 133. Lieferung 1.8.2021, § 73 AsylG Rn. 28 f., 45).
25
Die Ursache für den Wegfall der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. die Anerkennung als Asylberechtigter kann in der Person des Ausländers oder in den Verhältnissen im (ehemaligen) Verfolgerstaat begründet liegen. Eine Privilegierung eines vorverfolgten Flüchtlings erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU, wenn der Ausländer frühere Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit der Verfolgung als Anhaltspunkt für die Begründetheit seiner Flucht geltend macht, dass sich die Verfolgung im Falle der Rückkehr in das Heimatland wiederholen werde (vgl. VG Minden, U.v. 13.10.2021 - 8 K 2974/19.A, 7496378 - juris S. 6 und 7 mwN). Nach Artikel 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Betroffener bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Betreffenden vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Betreffende erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr Begünstigten eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bedroht werden. Dadurch wird derjenige, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung (BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 5/09 - BVerwGE 136, 377 - juris Rn. 23).
26
Da viele Flüchtlinge ungeachtet bestehender Sicherheitsrisiken in ihr Herkunftsland zurückkehren, ohne dass offiziell ein Wegfall der den Schutz rechtfertigenden Umstände erklärt worden ist, bestehen Bedenken gegen ein vorschnelles Einleiten staatlicher Widerrufsverfahren. Ein Flüchtlingsstatus darf nur dann beendet werden, wenn die Umstände, aufgrund deren der Flüchtling anerkannt worden ist, sich grundlegend und dauerhaft geändert haben. Die Änderung der Umstände muss erheblich und nicht nur vorübergehend sein und setzt das Fehlen einer begründeten Befürchtung voraus, Verfolgungen ausgesetzt zu sein, die schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen darstellen. Die Beweislast, dass tatsächlich eine grundlegende dauerhafte Änderung der Umstände, aufgrund derer der Flüchtling anerkannt wurde, eingetreten ist, liegt bei der Behörde. Bleiben Zweifel und können Fragen nicht eindeutig beantwortet werden, darf der Status der Asylberechtigung bzw. als Flüchtling nicht entzogen werden. Die Behörde hat nachzuweisen, dass der Flüchtling auf Dauer sicher zurückkehren kann (Marx, Kommentar zum AsylG, 11. Aufl. 2022, § 73 AsylG, Rn. 17 ff., 27, 46 ff.).
27
Die freiwillige, problemlose Rückkehr eines Ausländers in seinen Herkunftsstaat als angeblichen Verfolgerstaat für einen nicht völlig unbedeutenden Zeitraum wird oftmals die Annahme zulassen, dass ihm dort eine politische Verfolgung nicht mehr droht. Eine nur kurzfristige und/oder gegenüber den offiziellen Behörden geheimgehaltene Rückkehr wird dagegen einen solchen Schluss nicht rechtfertigen können. Einer nur vorübergehenden kurzzeitigen Rückkehr, insbesondere aus schwerwiegenden familiären Gründen - z.B. Besuch eines schwerkranken Familienangehörigen - oder Erfüllung einer sittlichen Pflicht - wie etwa um Verwandten oder Freunden bei der Flucht zu helfen - kann die Bedeutung einer freiwilligen Rückkehr nicht ohne Weiteres zugemessen werden (Hocks/Leuschner in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 73 AsylG Rn. 20 m.w.N.).
28
Ausgehend von dieser Rechtslage ist das Gericht nach den Umständen des vorliegenden Einzelfalls und auf der Basis des persönlichen Eindrucks des Klägers in der mündlichen Verhandlung davon überzeugt, dass sich die Umstände grundlegend geändert haben und die Umstände, die zur Anerkennung als Asylberechtigter und zur Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AsylG a. F. geführt haben, weggefallen sind, weil dem Kläger nicht mehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung bei einer (dauerhaften) Rückkehr in den Iran droht.
29
Das Gericht kommt aufgrund des klägerischen Vorbringens und der zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemachten Erkenntnismittel - ebenso wie das Bundesamt im angefochtenen Bescheid - zu dem Ergebnis, dass dem Kläger keine (politische) Verfolgung oder sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
30
Ein Ausländer darf gemäß § 3 ff. AsylG nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Verfolgungshandlungen müssen an diese Gründe anknüpfend mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 - 10 C 25/10 - BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 - 10 C 5/09 - BVerwGE 136, 377). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 - 9 C 21/92 - BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 - 9 C 118/90 - BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 - 9 C 59/91 - Buchholz 402.25, § 7 AsylVfG Nr. 1).
31
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich - als wahr unterstellt - bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 - 9 C 106.84 - BVerwGE 71, 180).
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Dem Kläger ist es nicht gelungen, die für seine Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen. Unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass eine begründete Gefahr (politischer) Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit besteht oder sonst eine ernsthafte Gefahr droht. Der Kläger konnte eine weiterhin drohende Gefahr nicht glaubhaft machen.
33
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat im streitgegenständlichen Bescheid schon zutreffend ausgeführt: Die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a. F. vorlägen, seien gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylG zu widerrufen, weil die erforderliche Prognose drohender politischer Verfolgung sich nicht mehr treffen lasse. Die Voraussetzungen für den ursprünglichen Bescheid lägen nicht mehr vor, wenn die Verfolgungsgefahr nachträglich entfallen sei. Vorliegend sei eine entscheidungserhebliche Sachlagenänderung in der Person des Klägers eingetreten. Der Kläger habe sich nachweislich von 2015 bis 2019 insgesamt viermal in seinem Heimatland aufgehalten. Die Reisen seien vollumfänglich eingeräumt worden. Der iranische Reisepass des Klägers enthalte türkische Ein- und Ausreisestempel, außerdem befinde sich ein Ausreisestempel der Polizei der Islamischen Republik Iran vom 29. Juni 2019 im Pass. Der Kläger habe sich nach eigenen Angaben im iranischen Konsulat in Deutschland einen Reisepass ausstellen lassen. Nach dessen Verlust habe er einen zweiten Reisepass ausstellen lassen. Darin sei das Land des Wohnsitzes mit Iran angegeben, ausgestellt am 4. September 2018, Ausstellungsort „Immigration and Passport Police“. Der Kläger habe angegeben, mit den iranischen Behörden keine Probleme gehabt zu haben. Die Ausländerbehörde sei nicht über die Reisen informiert gewesen. Sie seien auch nicht genehmigt gewesen. Es habe weitere Abwesenheiten im Jahr 2016/2017 geben. Der Kläger habe sich zudem nachweislich 2018 und dreimal 2019 im Iran aufgehalten. Eine Reise ins Herkunftsland stelle nicht automatisch in jedem Fall einen Widerrufsgrund dar. Erforderlich sei vielmehr die Prüfung der individuellen Umstände des Einzelfalles. Insoweit seien die Einreise ins Herkunftsland, eine Rückkehr ins Bundesgebiet, die Dauer des Aufenthalts, die Häufigkeit der Aufenthalte, die Gründe, die zur positiven Entscheidung geführt hätten, die Eigenheiten des Herkunftslands und insbesondere die individuellen Gründe für die Rückreise zu berücksichtigen. Der Kläger habe gezeigt, dass ihm eine staatliche Verfolgung nicht mehr drohe und er eine solche auch nicht mehr befürchte. Das klägerische Vorbringen sei nicht mit entsprechenden Attesten des kranken Vaters untermauert worden und die Angaben seien zudem als allgemein gehaltene, undetaillierte und emotional übertriebene Belanglosigkeiten zu werten. Den Erkenntnissen des Bundesamtes über Ein-/Ausreisen auf dem Landweg, geschweige denn über internationale iranische Flughäfen, entspreche nicht, dass dort so „lasche“ Ein- und Ausreisekontrollen an der Tagesordnung stehen sollten. Ein- und Ausreise bei zwei der vier Reisen seien jeweils auf dem offiziellen Luftweg, somit mit Wissen der iranischen Behörden erfolgt. Bemühungen, seinen Aufenthalt im Herkunftsland vor den dortigen Behörden zu verbergen, seien nicht ersichtlich. Der Kläger habe sich durch seine mehrmaligen Rückreisen, der Ausstellung und persönlichen Annahme seines Reisepasses freiwillig wieder dem Schutz seines Heimatstaates unterstellt. Es habe sich nicht um einmalige, kurzzeitige Reisen von wenigen Tagen gehandelt, sondern um mehrfache mehrwöchige Aufenthalte. Zudem sei die Schwester zur Pflege und Betreuung des Vaters vor Ort gewesen. Die mehrmaligen Besuche des erkrankten Vaters erschienen als Reisemotivation zwar verständlich, seien jedoch nicht als dringliche sittliche Verpflichtung zu bewerten. Interessant sei weiter, dass der Kläger nun eine vollkommen andere Verfolgungsgeschichte als im Anerkennungsverfahren vortrage und der Verdacht, er sei am Noscheh-Putsch 1980 beteiligt gewesen, von ihm überhaupt nicht erwähnt werde. Es hätte keine Probleme bei den Kontrollen und auch bei der Ausstellung und bei der Beantragung des Reisepasses im Iran gegeben. Der Kläger habe selbst angegeben, als er das erste Mal dort gewesen sei, dass er sich sicher gewesen sei, dass der iranische Staat wahrscheinlich nichts mehr von ihm wolle. Deshalb sei er noch ein paarmal in den Iran gegangen. Er glaube nicht, dass er wegen seiner damaligen Probleme noch Schwierigkeiten im Iran bekommen könne. Er habe in nach einer derartigen langen Abwesenheit keine Probleme bei der Einreise erwartet und diese seien auch nicht eingetreten. Das Vertrauen des Klägers in den Fortbestand der ursprünglich anerkennenden Entscheidung sei nicht besonders schutzwürdig. Der Stand des Schutzes sei abhängig vom Fortbestand der Voraussetzungen. Durch die Reisen habe der Kläger zudem deutlich gemacht, dass er eines Schutzes nicht bedürfe. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie des subsidiären Schutzes lägen nicht vor, auch Abschiebungsverbote lägen nicht vor.
34
Ergänzend ist anzumerken, dass das Vorbringen des Klägers im gerichtlichen Verfahren keine andere Beurteilung rechtfertigt. Der Kläger konnte die im streitgegenständlichen Bundesamtsbescheid aufgeführten Einwände nicht entkräften. Im gerichtlichen Verfahren, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, hat der Kläger die bestehenden Zweifel und Ungereimtheiten nicht ausräumen können, sondern eher noch vertieft, indem er gesteigerte, seinem Vorbringen im Bundesamtsverfahren bzw. gegenüber der Ausländerbehörde widersprechende und damit unglaubhafte Angaben machte.
35
Der Kläger hat bei seinen verschiedenen Anhörungen sowohl gegenüber der Ausländerbehörde als auch gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie durch seine frühere Prozessbevollmächtigte als auch seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten wiederholt erheblich widersprüchliche Angaben gemacht und Ungereimtheiten an den Tag gelegt, die trotz gerichtlicher Nachfrage und Vorhalte nicht aufgelöst werden konnten. Teilweise räumte er bestimmte Sachverhalte, wie erfolgte Flugreisen nur und erst auf Vorhalte ein.
36
Ganz gravierend fällt zu Lasten des Klägers ins Gewicht, dass er erstmals gut drei Wochen vor der mündlichen Verhandlung, und zwar im diametralen Gegensatz zu seinem bisherigen Vorbringen eine mögliche Verfolgungsgefahr bei einem Aufenthalt im Iran vorbrachte. Während er zunächst durchweg angegeben hatte, während des Aufenthalts im Iran sowie bei den Kontrollen habe es keine Probleme gegeben, weder bei den Einreisen über Land noch auf dem Luftweg, und nach der langen Zeit rechne er auch nicht mehr mit Verfolgung, machte er kurz vor der mündlichen Verhandlung und in der mündlichen Verhandlung nunmehr andere, und zwar gesteigerte Angaben. Insgesamt wirkt das gesamte Vorbringen des Klägers unglaubhaft. Das Gericht hat vielmehr den Eindruck, dass der Kläger in der Vergangenheit nach Belieben wiederholt in den Iran reisen konnte, ohne staatliche Verfolgung befürchten zu müssen, und es ist weiter davon überzeugt, dass auch bei einer dauerhaften Rückkehr in den Iran keine staatliche Verfolgung zu befürchten ist.
37
Schon die Angaben und Ausführungen des Klägers zur Ausstellung des ersten Reisepasses sind mit erheblichen Zweifeln behaftet. Bei seiner Bundesamtsanhörung am 24. Juni 2021 gab der Kläger an, in Deutschland einen Reisepass beantragt und vom iranischen Konsulat ausgestellt bekommen zu haben. Er habe den Reisepass beantragt, um seinen Vater im Iran zu besuchen und ihn pflegen zu können. Hierbei habe es keine Probleme mit den iranischen Behörden gegeben. Laut Vermerk in der Ausländerakte vom 22. Februar 2021 (Bl. 192 der Ausländerakte) wurde der erste Reisepass am 10. September 2013 ausgestellt. Weiter gab der Kläger wiederholt an, den Reisepass im Jahr 2018 bei einer weiteren Reise in den Iran verloren zu haben (vgl. etwa Schreiben des Klägers vom 1.7.2021 an die Ausländerbehörde, Bl. 225 der Ausländerakte, oder S. 2 der Bundesamtsanhörung vom 24.6.2021). Demgegenüber brachte der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 12. September 2022 vor, er habe den ersten Reisepass erhalten, bevor er in den Iran gegangen sei. Er sei gegangen, weil sein Vater im Jahr 2015 Herzprobleme bekommen habe. Weiter räumte er allerdings ein, er habe sich den Reisepass ein bis zwei Jahre vorher besorgt, weil er seine Eltern und Verwandten nicht habe einladen können und nicht mehr gesehen habe. Sein Vater sei zu diesem Zeitpunkt bei Ausstellung des Reisepasses noch nicht so schlimm erkrankt gewesen, so dass ein moralischer Zwang dafür nicht bestand. Er habe den Reisepass nicht verloren, sondern sein Vater habe ihm gesagt, er solle einen beantragen, weil in dem alten Reisepass noch eine deutsche Adresse stehe. Es sei besser bei einer Einreise, wenn eine iranische Adresse in dem Reisepass stehe. Den alten Reisepass habe er vernichtet und weggeworfen. Erstmalig hat der Kläger dazu kurz vor und in der mündlichen Verhandlung erklärt, er habe sich den Pass mit Hilfe eines Freundes des Vaters ausstellen lassen, welcher ihm gesagt habe, an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit er zu welchem Schalter beim Passamt gehen solle. Die Aussage ist abgesehen zu den widersprüchlichen Angaben zum Verlust weiter deshalb zweifelhaft, weil der neue Pass am 4. September 2018 im Iran ausgestellt wurde und eine Gültigkeitsdauer von fünf Jahren hat. Ausgehend von einer gleichen Gültigkeitsdauer des ersten Reisepasses vom 10. September 2013 wäre dieser im September 2018 abgelaufen gewesen. Dies spricht dafür, dass dies ein Grund war, sich einen neuen Reisepass ausstellen zu lassen, und nicht ein etwaiger Verlust oder nur die Eintragung eines anderen Wohnortes aus Sicherheitsaspekten.
38
Die zweimalige problemlose Ausstellung eines iranischen Reisepasses, einmal in Deutschland, einmal direkt im Iran, spricht zudem schon für sich für ein fehlendes Verfolgungsinteresse des iranischen Staates. Die erstmalig mit Anwaltsschriftsatz vom 18. August 2022 und in der mündlichen Verhandlung aufgestellte Behauptung, die Ausstellung des zweiten Reisepasses sei nur aufgrund von Beziehungen und von „Sonderzahlungen“ erfolgt, wirkt nachgeschoben und unglaubhaft, gerade in der Gesamtbetrachtung der weiteren Umstände, die nachfolgend noch dargelegt werden.
39
Der Kläger gab einerseits an, Hauptgrund für seine Reise in den Iran und für die Ausstellung des (ersten) Reisepasses sei die Erkrankung seines Vaters gewesen. Dabei konnte der Kläger von sich aus nicht sagen, wie oft er wirklich in den Iran gereist ist. Mindestens vier Reisen sind aufgrund von entsprechenden Einreise- bzw. Ausreisestempel dokumentiert. Der Kläger gab an verschiedenen Stellen wiederholt an, er sei das erste Mal nach 22 oder 23 Jahren nach seiner Flucht wieder in den Iran (vgl. etwa Bl. 225 der Ausländerakte oder Schreiben vom 20.11.2020 ans Bundesamt bzw. S. 4 der Niederschrift der Bundesamtsanhörung vom 24.6.2021). Das wäre dann von 1994 ab gerechnet im Jahr 2016 oder 2017 gewesen. Gleichwohl ließ sich der Kläger den ersten Reisepass schon im September 2013 ausstellen. Er hatte zudem schon laut Niederschrift vom 6. Juli 2021 gegenüber der Ausländerbehörde (vgl. Bl. 230 der Ausländerakte) angegeben, sein Vater und seine Mutter seien bereits alt und hätten altersbedingte Krankheiten. Sein Vater habe einen Herzinfarkt gehabt, dies sei jedoch bereits vor knapp neun bis zehn Jahren gewesen, also etwa 2011/2012. Diese Erklärung deutet darauf hin, dass der Kläger sich im Nachgang zum Herzinfarkt des Vaters den ersten Reisepass in Deutschland hat ausstellen lassen und dass er eventuell auch schon vor dem Jahr 2015 in den Iran reisen wollte oder sogar gereist ist. Infolge der Vernichtung des alten Reisepasses lassen sich Nachweise dazu, insbesondere durch betreffende Stempeleinträge, nicht mehr finden. Auch bei seiner Bundesamtsanhörung vom 24. Juni 2021 (S. 4 der Niederschrift) gab der Kläger an, er sei das erste Mal nach 23 Jahren in den Iran zurückgekehrt. Der Grund sei die Erkrankung seines Vaters gewesen. Er habe einen Herzinfarkt erlitten gehabt und habe ins Krankenhaus gemusst. In der mündlichen Verhandlung am 12. September 2021 erklärte der Kläger demgegenüber, dass sein Vater im Jahr 2015 Herzprobleme bekommen habe. Er habe einen Herzinfarkt gehabt. Dazu abermals widersprüchlich ließ der Kläger durch seine vormalige Prozessbevollmächtigte gegenüber dem Bundesamt mit Schriftsatz vom 30. März 2022 vorbringen, der Vater des Klägers habe zweimal einen Herzinfarkt erlitten und viele weitere gefährliche Operationen erdulden müssen. Infolge der Medikamente sei noch Wasser in der Lunge gewesen und es sei nachfolgend zu einem Leberschaden gekommen. Die letztgenannten Probleme erwähnte der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung, berichtete aber nichts von einem zweiten Herzinfarkt, sondern bestritt im Gegensatz zu seiner früheren Angabe (Bl. 230 der Ausländerakte), dass der Vater schon 2011/2012 einen Herzinfarkt erlitten hatte.
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Im Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 18. August 2022 sowie in der mündlichen Verhandlung brachte der Kläger im Widerspruch und gesteigert zu früheren Aussagen des Weiteren erstmalig vor, bei seiner Reise im Jahr 2015 nur mit Hilfe eines Freundes des Vaters unter Beachtung genauer Anweisungen in den Iran eingereist zu sein, um den Vater noch einmal sehen zu können. Er habe eine konkrete Grenze und einen konkreten Ort und Zeitpunkt wählen müssen. Die Rückreise habe er auf Anordnung des Fluchthelfers um eine Woche verschieben müssen, deshalb habe er seinen Anschlussflug (offenbar in der Türkei) verpasst habe und ein überteuertes Flugticket habe nehmen müssen. In der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger dazu, es habe geheißen, es seien Sonderbeamte, die die Pässe kontrollieren würden. Deshalb habe er auch an dem bestimmten Tag nicht ausreisen können mit der Folge, dass sein Anschlussflug verfallen sei. Demgegenüber hatte der Kläger vorab gegenüber der Ausländerbehörde erklärt, dass er 2015 nach seiner Ortsabwesenheit einige Tage später als geplant zurückgekommen sei, da es in der Grenzregion zu einem Zwischenfall/Schießerei gekommen sei, weswegen er nicht planmäßig habe weiterreisen können (siehe E-Mail der Ausländerbehörde vom 9.3.2021 ans Bundesamt in der Bundesamtsakte).
41
Zweifelhaft bleiben auch mögliche Aufenthalte im Iran in den Jahren 2016 und 2017 im Iran. Die Ausländerbehörde hat insofern mehrwöchige Ortsabwesenheit des Klägers dokumentiert (siehe E-Mail der Ausländerbehörde vom 9.3.2021 ans Bundesamt in der Bundesamtsakte). In der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger dazu ausdrücklich: Voraussichtlich sei er in diesem Zeitraum auch im Iran gewesen. Ganz sicher sei er sich nicht, aber er denke, er sei dort gewesen. Diese Aussage spricht dafür, dass der Kläger zwei weitere Male als die seitens des Bundesamtes dokumentierten Aufenthalte im Iran gewesen ist. Jedenfalls brachte der Kläger keine plausiblen anderen Erklärungen für seine mehrwöchigen Ortsabwesenheiten in diesen beiden Zeiträumen vor. Die Jahre 2016 und 2017 würden sich auch mit den sonstigen wiederholten Aussagen des Klägers decken, dass er seinen Vater nach 22 bzw. 23 Jahren wieder besucht habe (vgl. etwa Schreiben des Klägers vom 1.7.2021 an die Ausländerbehörde, Bl. 225 der Ausländerakte, oder Schreiben vom 20.11.2020 ans Bundesamt bzw. S. 4 der Niederschrift der Bundesamtsanhörung vom 24.6.2021). Infolge der Vernichtung des ersten Reisepasses lassen sich wie schon erwähnt einschlägige Belege nicht finden, weder für durchgeführte Reisen durch Stempel der Grenzposten, noch umgekehrt durch fehlende Stempel.
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Ein weiteres Mal ist der Kläger nachweislich vom 20. August 2018 bis 20. September 2018 im Iran gewesen, wie sich nicht zuletzt auch aus der während des Aufenthalts im Iran erfolgten Ausstellung des neuen Reisepasses und weiter aus dem betreffenden Einreisestempel auf der dritten Seite dieses Passes ergibt, der seine Einreise in die Türkei vom Iran kommend dokumentiert. Gegenüber der Ausländerbehörde hat der Kläger hatte indes nur angegeben, seine Familie in diesem Zeitraum in der Türkei treffen zu wollen (siehe E-Mail der Ausländerbehörde vom 9.3.2021 ans Bundesamt in der Bundesamtsakte).
43
Für das Jahr 2019 sind im Reisepass durch Stempel sowie weitere Reisedokumente zwei Reisen in den Iran dokumentiert, und zwar im Juni 2019 sowie von November bis Dezember 2019. Diese Reisen streitet der Kläger auch nicht ab. Er gab zur Begründung der Reisen in der mündlichen Verhandlung an, einerseits sei es um den Vater gegangen, andererseits um den Beinbruch seiner Mutter. Zudem trug der Kläger noch nach, dass sein älterer Bruder in dem Jahr gestorben sei. Eine weitere Reise mit Rückreise am 18. September 2019 lässt sich nicht belegen. Der Klägerbevollmächtigte hat insoweit in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar zum einen darauf hingewiesen, dass das Ein- bzw. Ausreisedatum mit dem Ausreisedatum von 2018 übereinstimme und zum anderen - wie auch der Dolmetscher bestätigte - wohl ein Übersetzungsfehler betreffend die Jahreszahl vorliege.
44
Beachtenswert ist jedoch in dem Zusammenhang, dass der eine Ausreisestempel auf Seite 5 des Passes offenkundig vom Internationalen Flughafen Teheran-Imam Khomeini stammt und belegt, dass der Kläger - entgegen seiner ausdrücklichen vorherigen Angaben in der mündlichen Verhandlung - nicht nur über den Landweg mit Hilfe eines Fluchthelfers gereist ist, sondern auch über den Luftweg. Darauf angesprochen erklärte der Kläger zunächst, er sei nie geflogen. Auch der Klägerbevollmächtigte gab dies so weiter. Der Kläger sei nie direkt in den Iran geflogen, sondern nur in die Türkei und von da aus über den Landweg in den Iran. Auf nochmaligen konkreten Vorhalt des Passeintrages räumte der Kläger jedoch ein, einmal geflogen zu sein. Obwohl sich der Kläger kurz zuvor nicht erinnern wollte, überhaupt geflogen zu sein, wusste er plötzlich auch, dass ihm auch hier der von ihm öfters erwähnte Fluchthelfer am Flughafen geholfen habe, durch die Passkontrolle zu kommen. Glaubhaft ist dieses Aussageverhalten nicht. Darüber hinaus ist die Aussage, nur ein einziges Mal direkt aus dem Iran geflogen zu sein, auch deshalb nicht überzeugend, weil seine vorherige Prozessbevollmächtigte im Schriftsatz vom 30. März 2022 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge noch ausdrücklich angegeben hatte, die dritte und vierte Reise sei mit dem Flugzeug erfolgt. Es sei pures Glück gewesen, dass es nicht zu erkennungsdienstlichen Maßnahmen gekommen sei. Dort ist widersprechend zu den übrigen Angaben des Klägers weiter ausgeführt, dass die ersten beiden Reisen auf dem Landweg über einen sehr stark frequentierten Grenzübergang in der Türkei durchgeführt worden seien, wo die Leute praktisch durchgewunken worden seien. Diese Aussage widerspricht den Aussagen des Klägers in der mündlichen Verhandlung über den Fluchthelfer und steht auch nicht im Einklang mit den Einträgen im Reisepass des Klägers über durchgeführte und im Pass abgestempelte Kontrollen.
45
Die frühere sowie der aktuelle Prozessbevollmächtigte verwiesen jeweils darauf, dass sich der Kläger allein aus familiärer und moralischer Verpflichtung gezwungen gesehen habe, in den Iran zu reisen. Auch dieser Umstand ist nicht glaubhaft gemacht, sondern angesichts des Vorbringens des Klägers mit durchgreifenden Zweifeln behaftet. Zum einen konnte der Kläger nicht plausibel erklären, dass den einzelnen Reisen überhaupt jeweils akute und gravierende Erkrankungen des Vaters zugrunde lagen. Wie schon ausgeführt, gab der Kläger gegenüber der Ausländerbehörde an, es habe einen Herzinfarkt gegeben, der schon neun bis zehn Jahre zurückgelegen habe (vgl. Niederschrift vom 6.7.2021, Bl. 230 der Ausländerakte). Auch die Aussage über einen Beinbruch der Mutter begründet keine sittliche moralische Verpflichtung, in den Iran zu reisen. Des Weiteren ist fraglich, ob die mindestens vier Reisen, davon mindestens dreimal einen Monat lang und einmal über drei Wochen lang erfolgen mussten, um jeweils eine unabweisbare sittliche Pflicht zu erfüllen. Das Ausmaß und den Umfang der Reisen konnte der Kläger nicht konkret und substanziiert mit moralischen sittlichen Gründen belegen. Er machte eher allgemeine Aussagen. An anderer Stelle (Bundesamtsanhörung vom 24.6.2021, Niederschrift S. 6) hingegen brachte der Kläger zum Ausdruck, dass er sich selbst einsam gefühlt habe bzw. - wie in der mündlichen Verhandlung vorgebracht - dass er seine Eltern habe sehen wollen, was dafürspricht, dass er nicht immer nur auf Drängen seiner Eltern oder seines Vaters, sondern auch aus Eigeninteresse, aber ohne moralischen Zwang aus familiären Gründen aufgrund sittlicher Verpflichtungen in den Iran gereist ist. Zudem verwies der Kläger gegenüber der Ausländerbehörde einmal darauf, dass es um die Erholung der Schwester gegangen sei (vgl. Vermerk vom 4.7.2019, Bl. 177 der Ausländerakte), die im Vordergrund stand und nicht eine akute Notlage der Eltern. Auch sein Hinweis in der mündlichen Verhandlung, dass die Pflegerin schwanger gewesen sei, leuchtet nicht als zwingender Grund ein. Abgesehen davon, dass die Schwangerschaft wohl einen längeren Zeitraum ausmacht als einige Wochen, ist es nicht einsichtig, warum nicht vertretungsweise eine andere Pflegeperson im Iran hätte bestellt werden können. Dem schon erwähnten Vermerk der Ausländerbehörde vom 4. Juli 2019 (Bl. 177 der Ausländerakte) ist außerdem zu entnehmen, dass der Kläger angegeben hat, sich die Hälfte der Reisezeit bei seinen Eltern im Iran aufgehalten und sich - wie auch in der mündlichen Verhandlung näher erläutert - um die Pflege seiner Eltern, insbesondere seines Vaters (Waschen, Rasieren, sonstige Pflege) gekümmert zu haben, damit die Schwester sich erholen könne. Was er in der anderen Hälfte der Zeit gemacht haben will, hat er nicht angegeben. Diese Erklärung gegenüber der Ausländerbehörde widerspricht auch der Aussage in der mündlichen Verhandlung, er sei die ganze Zeit nur bei seinen Eltern gewesen und habe diese versorgt.
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Laut Niederschrift vom 6. Juli 2021 (Bl. 230 der Ausländerakte) gab der Kläger gegenüber der Ausländerbehörde weiter an, im September 2018 in den Iran gereist zu sein, weil sein Vater krank gewesen sei. Er habe diesen besuchen wollen. Erneut sei er dann im Juni 2019 eingereist. Es sprach in diesem Zusammenhang nur von altersbedingten Krankheiten und von einem Herzinfarkt, der aber schon neun bis zehn Jahre zurückgelegen habe. Der Kläger räumte weiter ein, dass er weitere Verwandte im Iran habe, die sich um beide Eltern kümmerten, jedoch aufgrund eigener familiärer Bindungen nicht so oft, wie es sein sollte. Gegenüber dem Bundesamt gab er bei seiner Anhörung am 24. Juni 2021 (Niederschrift S. 5) an, er sei die ganze Zeit bei seinen Eltern gewesen. Manchmal habe er auch jemanden getroffen. Er habe aber im Iran keinen Urlaub gemacht, sondern er sei immer nur dort gewesen, um seine kranken Eltern zu pflegen. Sie würden sonst manchmal von seiner Schwester versorgt, die aber nicht alles schaffte. Außerdem gab er an, die Pflegerin habe auch mal Urlaub machen wollen und sie habe ihn gebeten, bei seinen Eltern zu bleiben. Von einer Schwangerschaft der Pflegerin erwähnte der Kläger gegenüber dem Bundesamt nichts, sondern brachte dies erstmals in der mündlichen Verhandlung vor.
47
Auffällig ist des Weiteren, dass der Kläger in keinem Fall bei der Ausländerbehörde einen Antrag auf Genehmigung für eine Reise in sein Heimatland aus sittlichen moralischen Gründen gestellt hat, sondern lediglich beim Jobcenter seine Abwesenheit beantragt hatte. Wenn tatsächlich eine erhebliche Drucksituation aus einer unabweisbaren sittlichen Pflicht bestanden hätte, hätte es nahegelegen, sich an die Ausländerbehörde zu wenden, wobei das - vorstehend dargelegte - ungereimte, sich widersprechende und teilweise gesteigerte Aussageverhalten weiter für ein Nichtbestehen einer sittlichen Pflicht spricht, die alle Reisen des Klägers rechtfertigen könnten (vgl. auch schon VG Würzburg, U.v. 17.3.2021 - W 1 K 21.30029 - juris Rn. 26).
48
Insgesamt ist nach dem Vorbringen des Klägers die Häufigkeit, das Ausmaß und die Dauer der Aufenthalte im Iran auch nach seinem Vorbringen nicht allein mit einer dringenden sittlich-moralischen Pflicht zu rechtfertigen (vgl. auch VG München, U.v. 13.10.2021 - 8 K 2974/19.A, 7496378 - juris S. 13; VG Augsburg, U.v. 31.5.2021 - Au 5 K 530945, 728445 - juris Rn. 32 ff.). Letztlich bleibt im Einzelnen im Dunkeln, bei welcher Reise des Klägers genau welche Erkrankung des Vaters zugrunde lag, wie gravierend diese war bzw. welche konkrete Pflegesituation jeweils vorlag, um eine unabweisbare sittlich-moralische Pflicht glaubhaft zu machen. An einer Stelle gab der Kläger in der mündlichen Verhandlung selbst an, nachdem er Probleme mit der Lunge des Vaters beschrieben hatte, er könne aber nicht genau sagen, wann dies gewesen sei. Auch bleibt bis zuletzt offen, wann konkret der Herzinfarkt des Vaters und wann konkret der Krankenhausaufenthalt gewesen war, die jeweils Hauptanlass der Reisen des Klägers in den Iran gewesen sein sollen. Nach Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung sei der Vater nur ein einziges Mal im Krankenhaus gewesen. Ansonsten sei der Kläger bei der Pflege zu Hause behilflich gewesen.
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Des Weiteren spricht gegen eine Verfolgungsgefahr des Klägers, dass er trotz der Kontrollen bei den verschiedenen Grenzüberschreitungen sowohl am Flughafen als auch auf dem Landweg jeweils unbehelligt geblieben ist. Erstmals mit Schriftsatz vom 18. August 2022 sowie in der mündlichen Verhandlung brachte der Kläger - gesteigert zum bisherigen Vorbringen - vor, dass es jeweils bestimmter Vorkehrungen unter Mithilfe eines mit seinem Vater befreundeten bzw. bekannten Fluchthelfers bedurft habe, damit der Kläger jeweils unbehelligt über die Grenze und wieder zurückgekommen sei. Die Begründung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, er habe auch seinem jetzigen Anwalt erst nicht sagen wollen, dass er Unterstützung erhalten habe, damit die betreffende Person keine Probleme bekomme, seine Familie habe von ihm verlangt, dass er nichts sage, wirkt auf das Gericht nicht plausibel, sondern nachgeschoben, um so Vorteile im Klageverfahren zu erlangen. Zudem ist nicht ersichtlich, warum es dem Schutz des vermeintlichen Fluchthelfers gedient haben sollte, dessen Aktivität nicht zu erwähnen. Denn auch jetzt gab der Kläger keine näheren Einzelheiten zur Person des Fluchthelfers an. Der Kläger wollte oder konnte nicht einmal sagen, ob es ein Freund, ein Bekannter oder ein Verwandter des Vaters sei und auch nicht, welche Position dieser gehabt habe. Demgegenüber hatte der Kläger vorher bei verschiedenen Stellen auf ausdrückliche Fragen zu Problemen bei Kontrollen das Gegenteil behauptet. Schon gegenüber der Ausländerbehörde gab der Kläger am 4. Juli 2019 an (Bl. 177 der Ausländerakte), er sei deshalb nicht direkt in den Iran gereist, weil dies doppelt so teuer gewesen sei. Deshalb sei er in die Türkei geflogen und mit dem Bus weitergereist. Er brachte damit finanzielle Gründe und nicht sicherheitsrechtliche Bedenken für die Wahl seines Reisewegs vor. Des Weiteren behauptete er, der Grenzübertritt werde nicht im Reisepass eingetragen. Der Pass sei aber durch türkisch-iranische Grenzposten kontrolliert worden (Bl. 177 der Ausländerakte). Bei der Bundesamtsanhörung am 24. Juni 2021 gab der Kläger an Niederschrift S. 4), er habe keine Probleme gehabt. Am Flughafen bei der Einreise werde der Pass kontrolliert. Wenn man Probleme habe, sei es im Computer, man werde gleich verhaftet. Bei ihm habe es jedoch keine Probleme gegeben. Weder bei den Kontrollen noch bei dem Antrag des Reisepasses habe es bei ihm Probleme gegeben. Die vormalige Bevollmächtigte des Klägers gab zudem im Schriftsatz vom 30. März 2022 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge an, die ersten beiden Reisen seien auf dem Landweg durchgeführt worden über den stark frequentierten Grenzübergang in der Türkei, wo die Leute praktisch durchgewunken würden. Die dritte und vierte Reise sei mit dem Flugzeug erfolgt. Hier sei es jedoch pures Glück gewesen, dass es nicht zu erkennungsdienstlichen Maßnahmen gekommen sei.
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Des Weiteren brachte der Kläger wiederholt vor, er befürchte keine Gefahr mehr im Iran. Bei seiner Anhörung am 24. Juni 2021 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erklärt er mit Bezug auf den Iran (Niederschrift S. 4), wenn man beispielsweise eine Strafe wegen der Politik bekommen habe, dann könne es sein, dass nach bestimmter Zeit diese Strafe aus dem Computer gelöscht werde bzw. man nicht mehr verfolgt werde. Als er das erste Mal im Iran gewesen sei, sei er sich sicher gewesen, dass der iranische Staat wahrscheinlich nichts mehr von ihm wolle. Deshalb sei er noch ein paar Mal in den Iran gegangen, als sein Vater wieder krank gewesen sei. Auch seine Verwandten hätten zu ihm damals schon gesagt, dass er selbst keine wichtige Person in der Sache (die seiner Vorverfolgung zugrunde lag) gewesen sei. Manche von den geflüchteten Personen, die große Strafen erhalten hätten, gingen schon nach 15 Jahren in den Iran zurück. Sie hätten keine Probleme gehabt. Bei ihm selbst sei es keine so große Sache gewesen. Nach 23 Jahren seien die Sachen von damals bestimmt im Computer gelöscht. Bei ihm habe es auch bei der Kontrolle bei der Einreise am Flughafen keine Probleme gegeben, ebenso wenig bei der Beantragung des Reisepasses. Weiter gab er an (Niederschrift S. 5), er glaube nicht, dass er gefährdet wäre, auch wenn er sich in der Öffentlichkeit bewegen würde. Sonst würden die Sicherheitskräfte, wenn sie ein Interesse hätten, zu seinen Eltern kommen und, wenn er dort wäre, ihn dort verhaften. Diese Erklärungen klingen mit Blick auf die Verhältnisse im Iran realitätsnah. Auf Frage, ob er trotzdem noch Schwierigkeiten wegen seiner damaligen Probleme bekommen könne, erklärte der Kläger selbst (Niederschrift S. 6): Ich glaube nicht. Ich denke, dann müsste dazu etwas im Computer sein. Man würde das bei einer Grenz- oder Passkontrolle im Computer sehen und ihn verhaften. Ob dies zu 100% sicher sei, könne er nicht sagen. Die nachgeschobene Erklärung in der mündlichen Verhandlung, er habe nichts von der notwendigen Unterstützung seitens eines Fluchthelfers gesagt, weil er den schützen wolle, der ihm geholfen habe, ist wie vorstehend ausgeführt nicht plausibel. Erst Recht unverständlich - in einem Verfahren in Deutschland, in dem es um den Widerruf seine Asylanerkennung geht - ist die weitere Begründung des Klägers, er habe die früheren Angaben auch gemacht, um die deutschen Behörden zu beruhigen, dass sie sich keine Sorgen machten. Vielmehr deutet alles darauf hin, dass die Befürchtung heute noch im Iran verfolgt zu werden, nicht mehr begründet hat, zumal der Kläger - abgesehen von der ihrerseits unglaubhaften Aussage, sich die ganze Zeit nur bei seinen Eltern aufgehalten zu haben - auch nichts von besonderen Sicherheitsvorkehrungen während seiner Aufenthalte im Iran berichtet hat.
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Gegen ein Verfolgungsinteresse spricht zudem, dass der Kläger nicht berichtet hat, seit seiner Flucht 1994 nach Deutschland bis heute irgendwelche regimekritischen Aktivitäten unternommen zu haben. Infolgedessen ist nicht auch nur ansatzweise ersichtlich, dass nach der langen Zeit ein irgendwie geartetes Verfolgungsinteresse des iranischen Staates fortbestehen könnte. Hinzu kommt, dass es dem Kläger im Jahr 1979/1980 angelastet worden sei, an einem Putschversuch teilgenommen zu haben, um die Monarchie wiederherzustellen. Der Kläger sei damals im Verdacht gewesen, gegen das herrschende Regime und für die Monarchisten aktiv gewesen zu sein. Deswegen wurde er auch bis März 1990 im Iran inhaftiert. Über 30 Jahre nach seiner Freilassung sowie 28 Jahre nach seiner Flucht nach Deutschland spricht alles dafür, dass keine Verfolgungsgefahr mehr besteht, nachdem - wie der Kläger selbst gesagt hat - selbst bei anderen Beteiligten, die größere Strafen als der Kläger erhalten hätten und schon nach 15 Jahren zurückgekehrt seien, seitens des iranischen Staates keine Probleme mehr entstanden seien.
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Diese Schlussfolgerung deckt sich auch mit den allgemeinen Erkenntnissen. Schon in den Auskünften aus dem Jahr 2006 (vgl. Deutsches Orientinstitut, Auskunft vom 4.1.2006 an das VG Münster und vom 30.2.2006 an das VG Wiesbaden) ist zur Verfolgung von Monarchisten (d.h. Schahtreuer) ausgeführt, dass nach Einschätzung der iranischen Behörden von betreffenden Organisationen ein geringes Bedrohungspotential ausgehe, da niemand im Iran ernsthaft eine Monarchie errichten möchte. Zudem sei festzuhalten, dass exilpolitische Organisationen nur wenige Einflussmöglichkeiten auf die politischen gesellschaftlichen Verhältnisse im Iran hätten. Auch das Auswärtige Amt stellte schon im Jahr 2008 fest (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, Stand Februar 2008, vom 18.3.2008, S. 13; ebenso vom 23.2.2009, S. 15), dass nicht bekannt geworden sei, dass Aktivitäten der monarchistischen Opposition zu Repressionen des Staates in den letzten Jahren geführt hätten. Gleichermaßen führt das Auswärtige Amt in der jüngeren Auskunft vom 7. Mai 2018 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aus, dass Aktivitäten der monarchistischen Opposition oder Repressionen des Staates gegen Angehörige dieser Gruppierung dem Auswärtigen Amt in den letzten Jahren nicht bekannt geworden sind. Exilpolitische Organisationen monarchistischer Prägung werden seitens der iranischen Machthaber nicht als Gefahr für einen Bestand des Regimes angesehen, da diese über keine erkennbaren politischen Bindungen in den Iran verfügen. Dem Auswärtigen Amt ist seit langem kein konkreter Fall der Bestrafung eines zurückgekehrten Mitglieds einer monarchistischen Exilorganisation bekannt. Deshalb droht auch nach der Rechtsprechung bei Monarchisten, selbst bei herausgehobener Stellung, keine Verfolgungsgefahr im Iran (vgl. VG Ansbach, U.v. 8.4.2022 - AN 1 K 16.32574, 6574864 - juris S. 16; OVG Bremen, B.v. 26.2.2020 - 1 LA 344/19 - juris Rn. 22; VG Würzburg, B.v. 14.9.2011 - W 6 K 10.30244 - juris Rn. 29 ff.; VG Düsseldorf, U.v. 6.4.2010 - 22 K 8514/08.A - juris Rn. 57; jeweils m.w.N.). Insofern bestätigen auch die geänderten Verhältnisse im Iran betreffend die Monarchisten, dass keine Verfolgungsgefahr für den Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mehr besteht.
53
Hinzu kommt schließlich, dass der Kläger mindestens einmal problemlos über den internationalen Flughafen Teheran-Imam Khomeini in den Iran mit seinem eigenen Pass, der auf seinen eigenen Namen auch ausgestellt war, aus dem Iran ausreisen konnte. Dies spricht schon allein dafür, dass seitens des iranischen Staates kein Verfolgungsinteresse an der Person des Klägers besteht, weil angesichts der vorhandenen Sicherheitssysteme am Flughafen Teheran-Imam Khomeini nahezu ausgeschlossen werden kann, dass eine von iranischen Sicherheitskräften gesuchte Person mit eigenen Papieren unbehelligt ausreist (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran, Stand: 23.12.2021, vom 16.2.2022, S. 24). Nach Aussage seiner vormaligen Prozessbevollmächtigten im Schreiben an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 30. März 2022 erfolgten sogar die dritte und vierte Reise mit dem Flugzeug. Hätte ein irgendwie geartetes Verfolgungsinteresse seitens der iranischen Behörden bestanden, hätten sie den Kläger verhaften können. Der Kläger hat nicht einmal von Befragungen seitens der iranischen Sicherheitsbehörden berichtet, so dass von keinerlei Gefährdung des Klägers im Iran (mehr) auszugehen ist (vgl. auch VG München, U.v. 31.5.2022 - M 28 K 21.31799, 7266223 - juris Rn. 38). Der Kläger hat bei seiner Bundesamtsanhörung am 14. Juni 2021 (Niederschrift S. 4 bzw. S. 5) wie schon ausgeführt selbst angegeben, dass man bei der Passkontrolle verhaftet würde, wenn man Probleme mit der iranischen Regierung habe, bzw. bei seinen Eltern. Der nachträgliche und erst auf Vorhalt des Gerichts erfolgte schlichte Erklärungsversuch, dass der vermeintliche Fluchthelfer nicht nur bei den Ein- und Ausreisen über Land, sondern auch am Flughafen in Teheran behilflich gewesen sein soll, ohne dass der Kläger nähere Einzelheiten dazu zu berichten wusste, taugt nicht als glaubhafte und plausible Begründung, zumal der Kläger kurz zuvor noch abgestritten hatte, überhaupt über den Flughafen ein- bzw. ausgereist zu sein.
54
Nach alledem spricht alles dafür, dass die Voraussetzungen für den Widerruf sowohl mit Blick auf die konkrete Situation des Klägers als auch mit Blick auf die Verhältnisse im ehemaligen Verfolgerstaat Iran vorliegen.
55
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylG sind zu bejahen, weil die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter nicht mehr gegeben sind. § 73 Abs. 1 AsylG regelt über den Wortlaut der Norm hinaus auch den Widerruf der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 51 Abs. 1 AuslG a. F. (vgl. Fleuß in BeckOK, AuslR, Kluth/Heusch, 34. Ed., Stand: 1.7.2022, § 73 AsylG Rn. 1), die nach dem vorstehend Gesagten ebenfalls nicht mehr gegeben sind.
56
Die nach § 73 Abs. 2a Satz 5 AsylG erforderliche Ermessensentscheidung hat die Beklagte fehlerfrei vorgenommen. Es hat im Bescheid die für und gegen einen Widerruf sprechenden Gründe aufgelistet und gegeneinander abgewogen. Ermessensfehler wurden von der Klägerseite nicht vorgebracht und sind auch sonst nicht ersichtlich.
57
Des Weiteren hat die Beklagte beanstandungsfrei gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 und § 73 Abs. 1 und 3 AsylG über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft das Vorliegen der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes sowie das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG entschieden.
58
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wurde zu Recht mit Bezug auf § 3 AsylG abgelehnt, da bei dem Kläger im Iran keine politische Verfolgung droht. Auf die vorstehenden Ausführungen kann insoweit Bezug genommen werden.
59
Ergänzend ist insoweit noch anzumerken, dass dem Kläger auch sonst bei einer Rückkehr keine politische Verfolgung droht, etwa wegen des Auslandsaufenthalts oder der Asylantragstellung in Deutschland. Auslandsaufenthalte sind nicht verboten. Allein der Umstand, dass eine Person in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, löst bei Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus; ausgenommen davon sind Personen, die - anders als hier - seitens der iranischen Sicherheitsbehörden als ernsthafte Regimegegner identifiziert wurden und an denen ein Verfolgungsinteresse besteht. In der Regel dürften die Umstände der Wiedereinreise den iranischen Behörden gar nicht bekannt werden. Nur in Einzelfällen ist es zu einer Befragung durch Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt gekommen. Insbesondere in Fällen, in denen Iran illegal verlassen worden ist, muss mit einer Befragung gerechnet werden. Bisher ist kein Fall bekannt geworden, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden. Exiliraner werden explizit ermutigt zurückzukehren; ihnen wird bei Koordinierung mit der iranischen Justiz eine Rückkehr ohne Inhaftierung in Aussicht gestellt. Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, können von iranischen Auslandsvertretungen ein Passersatzpapier bekommen und in den Iran zurückkehren. Abgesehen davon akzeptiert die iranische Regierung unter Verweis auf die Verfassung grundsätzlich ausschließlich freiwillige Rückkehr (Freizügigkeit). Nur bei unterstützter Rückkehr (also im weiteren Sinne auch Umwandlung von Abschiebung in „freiwillige“ Rückkehr durch finanzielle oder sonstige Anreize) ist eine Kooperation realistisch. Konsularkonsultationen über eine Zusammenarbeit bei der Rückführung sind, insbesondere hinsichtlich der Rücknahme schwerer Straftäter, waren noch nicht erfolgreich (siehe zum Ganzen Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran, Stand Dezember 2020, vom 5.2.2021, S. 25 f. und Stand 23.12.2021, vom 28.1.2022 bzw. 16.2.2022, S. 4 f. und 21 f.; SächsOVG, U.v. 30.11.2021 - 12 A 488/19.A - juris Rn. 52; OVG NRW, U.v. 6.9.2021 - 6 A 139/19.A - juris Rn. 74; vgl. im Übrigen VG Würzburg, U.v. 2.1.2020 - W 8 K 19.31960 - juris Rn. 36; U.v. 19.8.2019 - W 8 K 19.30846 - juris Rn. 42 jeweils m.w.N. zur Rspr.).
60
Der Kläger hat des Weiteren auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des Status als subsidiärer Schutzberechtigter gemäß § 4 AsylG, weil dem Kläger bei einer Rückkehr keine ernsthafte Gefahr droht.
61
Schließlich liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG vor, weil sowohl das Existenzminimum des Klägers bei einer Rückkehr in den Iran sichergestellt ist, als auch gesundheitliche Gründe nicht gegen eine Rückkehr sprechen. Insofern kann schon auf die betreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid auf Seite 12 ff. verwiesen werden.
62
Das Bundesamt hat zu Recht ausgeführt, dass die Grundversorgung im Iran gesichert ist und der Kläger sich gegebenenfalls mit Hilfe seiner Verwandten seine Existenz sichern könnte. Darüber hinaus gibt es Rückkehr- und Reintegrationsprojekte. Insbesondere IOM ist seit 2014 beteiligt. Auch über REAG/GARB gibt es Hilfen (vgl. dazu auch Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran, Stand Dezember 2020, vom 5.2.2020, S. 24 und Stand: 23.12.2021, vom 28.1.2022 bzw. 16.2.2022, S. 20; IOM, Länderinformationsblatt Islamische Republik Iran 2021; BfA, Bundesamt für Asyl- und Fremdenwesen der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Iran vom 22.12.2021, mit Aktualisierung vom 23.5.2022, S. 85 ff., 87 ff., 94 sowie VG Würzburg, U.v. 22.11.2021 - W 8 K 30944 - juris; U.v. 11.10.2021 - W 8 K 21.30533 - juris).
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Der Kläger kann so bei einer freiwilligen Rückkehr zusätzlich Start- bzw. auch Rückkehr- und Reintegrationshilfen in Anspruch nehmen und seine finanzielle Situation verbessern, um gerade auch Startschwierigkeiten bei einer Rückkehr zu überbrücken. Gegen diese Möglichkeit kann er nicht mit Erfolg einwenden, dass Start- bzw. Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehr, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückkehr, erfolgen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten - wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr - im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbotes verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 - 9 C 38.96 - BVerwGE 104, 265; VGH BW, U.v. 26.2.2014 - A 11 S 2519/19 - juris).
64
Nach alledem hat das Gericht auf der Basis der vorliegenden Erkenntnisse keine Bedenken, dass der Kläger sich bei einer Rückkehr in den Iran jedenfalls das wirtschaftliche Existenzminimum sichern kann. Erforderlich, aber auch ausreichend hierfür ist die Sicherung der Existenz auf einem Mindestniveau, das eine Verletzung des Art. 3 EMRK vermeidet (BVerwG, U.v. 18.2.2021 - 1 C 4.20 - BVerwGE 171, 300).
65
Die Einwände des Klägerbevollmächtigten verfangen nicht. Von Rechts wegen ist nicht erforderlich, dass das Existenzminimum eines Ausländers in dessen Herkunftsland nachhaltig oder gar auf Dauer sichergestellt ist. Es genügt, wenn gegebenenfalls unter Berücksichtigung der gewährten Rückkehrhilfe der Betreffende in der Lage ist, seine elementarsten Bedürfnisse über einen absehbaren Zeitraum zu befriedigen (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.2022 - 1 C 10/21 - juris mit Anmerkung Berlit, jurisPR-BVerwG 18/2022, Anm. 1). Danach ist die beachtliche Wahrscheinlichkeit der Nichtsicherung der Existenzgrundlage im Ergebnis entscheidend, nicht deren Sicherung durch (quasi) staatliche Unterstützungssysteme. Neben Eigenbemühungen zur Sicherung des wirtschaftlichen Existenzminimums durch auch unattraktive, aber noch zumutbare Arbeit sind auch Zuwendungen Dritter oder nichtstaatlicher Unterstützungsleistungen zu berücksichtigen (BVerwG, U.v.7.9.2021 - 1 C 3/21 - juris Rn. 25 f.), einschließlich Rückkehrhilfen (Berlit, jurisPR-BVerwG 18/2022, Anm. 1 unter Nr. C. mwN; vgl. auch BayVGH, U.v. 24.1.2022 - 10 B 20.30598 - juris Rn 36) Abgesehen von den Rückkehrhilfen gibt es im Iran zahlreiche religiöse Stiftungen mit ihren Unterstützungsmöglichkeiten sowie soziale Absicherungsmechanismen, wie z.B. Armenstiftungen, Altenheime, Hilfe an Bedürftige durch den Staat, die Moscheen, religiöse Stiftungen, Armenstiftungen und oft auch durch NGOs oder private Organisationen (vgl. nur BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Iran, 23.5.2022, S. 86 f und 87 ff.).
66
Hinzu kommt, dass der Kläger selbst angegeben hat, dass seine Verwandten, insbesondere seine Großfamilie, alle noch im Iran leben. Diese könnten ihn unterstützen. Der Kläger hat schon in der Vergangenheit, wie seine streitgegenständlichen Heimreisen belegen, jeweils für mehrere Wochen im Iran bei seinen Eltern gelebt. Der Kläger wäre bei einer Rückkehr in den Iran nicht auf sich alleine gestellt bzw. bliebe nicht allein und ohne Unterstützung. Der Kläger hat auch nicht plausibel vorgebracht, dass ihn seine zahlreichen Verwandten im Iran nicht unterstützen könnten oder wollten. Vielmehr scheint gegenseitige Hilfe eine Selbstverständlichkeit zu sein, genauso wie nach seinem Vorbringen im umgekehrten Fall selbstverständlich war, dass er - ebenso wie seine Geschwister - seinen Eltern geholfen hat. Zudem ist zu berücksichtigen, dass es dem Kläger möglich war, mindestens vier Reisen, teilweise auch Flugreisen von Deutschland in den Iran und zurück sowie mehrwöchige Aufenthalte dort finanzieren zu können.
67
Soweit der Kläger - auch in der mündlichen Verhandlung - auf seine gesundheitlichen Probleme verwiesen hat, insbesondere auf die Erkrankung seiner Knie sowie seiner psychischen Probleme, ist darauf hinzuweisen, dass gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG vermutet wird, dass gesundheitliche Gründe einer Abschiebung nicht entgegenstehen, sofern der betreffende Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung möglicherweise beeinträchtigen kann, nicht durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft macht. Solche qualifizierten Bescheinigungen hat der Kläger nicht vorgelegt. Abgesehen davon fehlen auch sonst hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen und/oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich bei einer Abschiebung alsbald nach der Rückkehr wesentlich verschlechtern würde (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).
68
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung auf seine Knieprobleme hingewiesen und angemerkt, dass er entsprechende Schmerzmittel nehme. Er hat aber auch betont, dass er eine in Zukunft irgendwann anstehende Knieoperation, also ein Implantat bzw. eine Knieprothese, zurzeit nicht durchführen lassen wolle, sodass es schon an der Schwere der Krankheit und Dringlichkeit einer entsprechenden Behandlung mangelt. Seine Frage, wie er bei einer Rückkehr in den Iran eine Knieprothese finanzieren solle, verfängt nicht, denn nach § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Aus den vorliegenden Unterlagen ist insoweit nicht ersichtlich, dass es sich um eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung handelt, die sich bei der Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Schmerzmittel sind auch im Iran finanzierbar und verfügbar. Im Übrigen könnten ihm für eine Übergangszeit entsprechende Medikamente mitgegeben werden.
69
Das Gleiche gilt für eventuell erforderliche Medikamente betreffend seine psychischen Probleme. Insofern ist anzumerken, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich angegeben hat, es gehe ihm besser, wenn er die Medikamente nicht mehr nehme. Er erklärte vorher schon, die Medikation (eigenmächtig) zu reduzieren, konkret die Tabletten zu vierteln. Nicht plausibel ist des Weiteren das - nicht gemäß § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG qualifizierte - ärztliche Attest vom 30. August 2022, wonach bei Ausbleiben der Behandlung und der Medikation eine depressive Dekompensation bis hin zur Suizidalität zu erwarten sei. Gerade bei einer Abschiebung oder Anwendung von Zwangsmaßnahmen sei danach mit einer depressiven Dekompensation zu rechnen, Dissoziationen und Suizidalität würden auftreten. Zur Verschlechterung trage die drohende Abschiebung bei. Denn abgesehen davon, dass der Kläger einer Abschiebung durch freiwillige Ausreise entgehen könnte, ist weiter anzumerken, dass die wiederholten Reisen in den Iran in der Vergangenheit nicht auch nur ansatzweise zu den hier beschriebenen Folgen geführt hatten. Im Gegenteil hob der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich hervor, dass er im Iran „natürlich besser drauf gewesen sei“, weil er bei seinen Eltern und seiner Familie gewesen sei. Insofern hatten die Reisen in den Iran keine negativen, sondern positive Auswirkungen auf die psychische Situation des Klägers, so dass auch insoweit keine durchgreifenden Anhaltspunkte für ein Abschiebungshindernis zu erkennen sind. Der Kläger gab zudem bei seiner Bundesamtsanhörung an, dass auch seine Situation in Deutschland, die Einsamkeit, die Langzeitarbeitslosigkeit und die finanziellen Probleme zusätzlich zu den damaligen Vorfällen im Iran sich negativ auf seine psychische Situation ausgewirkt hätten. Auch dieser Aspekt spricht eher für positive psychische Auswirkungen einer eventuellen Rückkehr in den Iran.
70
Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich schließlich auch nicht aus der weltweiten COVID-19-Pandemie, weil nach den aktuellen Fallzahlen im Iran - auch im Vergleich zu Deutschland -, wie sie das Gericht in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat (siehe S. 2 des Sitzungsprotokolls), keine hohe Wahrscheinlichkeit der Gefahr der Ansteckung oder sogar eines schweren oder lebensbedrohlichen Verlaufs besteht, so dass nicht ersichtlich ist, dass der Kläger bei einer Rückkehr in den Iran krankheitsbedingt einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben oder sonst einer extremen materiellen Not mit der Gefahr der Verelendung ausgesetzt wäre. Dies gilt erst recht, wenn der Kläger die vom iranischen Staat getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie sowie individuelle Schutzmaßnahmen (Einhaltung von Abstand, Hygieneregeln, Mund-Nasen-Schutz-Masken usw.) beachtet und die bestehenden Hilfemöglichkeiten in Anspruch nimmt, zumal der iranische Staat nicht tatenlos geblieben ist und Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sowie Hilfsmaßnahmen getroffen hat.
71
In dem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass der Iran etwa mit Ausgangssperren, örtlichen Lockdowns, Maskenpflicht, Reiseeinschränkungen, Verbot von Feierlichkeiten und dergleichen reagiert hat, später auch mit einer Impfkampagne. Weiter wurden Schulen und Universitäten geschlossen, Freitagsgebete sowie Kultur- und Sportveranstaltungen wurden abgesagt, Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen durchgeführt. Des Weiteren rufen die Behörden - situationsabhängig - dazu auf, möglichst soziale Kontakte zu meiden sowie persönliche Hygiene- und Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die öffentlichen Verkehrsmittel zu meiden bzw. bei deren Nutzung eine Gesichtsmaske zu tragen (vgl. BAMF, Briefing-Notes vom 7.2.2022, 3.1.2022, 11.10.2021, 13.9.2021, 6.9.2021, 16.8.2021, 9.8.2021, 2.8.2021, 26.7.2021, 5.7.2021, 7.6.2021, 10.5.2021, 19.4.2021, 12.4.2021, 22.3.2021, 1.3.2021, 22.2.2021, 15.2.2021, 8.2.2021, 1.2.2021, 18.1.2021, 11.1.2021, 16.11.2020, 26.10.2020, 5.10.2020, 28.9.2020, 17.8.2020, 27.7.2020, 20.7.2020, 13.7.2020 sowie Auswärtiges Amt, Iran: Reise- und Sicherheitshinweise, Aktuelles - COVID-19; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Iran vom 23.5.2022, S. 1 und 2 ff.; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderinformation - Iran, Gesundheitssystem und COVID-19-Pandemie, November 2021; Länderinformation - Iran, Gesundheitssystem und COVID-19-Pandemie, November 2020; Länderinformation COVID-19-Pandemie, Die Gesundheitssysteme in den Top-10-Herkunftsländern, Stand 06/2020, S. 30 ff.; Kurzinformation der Staatendokumentation, Zone Russische Föderation/Kaukasus und Iran, COVID-19-Informationen vom 9.6.2020, S. 2 f.).
72
Abgesehen davon hat der Kläger keinerlei Angaben gemacht, wie sich aktuell die Lage zur Ausbreitung von COVID-19 im Iran - vor allem in seiner Heimatregion - darstellt, insbesondere wie viele Menschen sich dort mit dem zugrundeliegenden Krankheitserreger SARS-CoV-2 infiziert haben, hierdurch schwer erkrankt oder gar verstorben sind, von wie vielen Ansteckungsverdächtigen derzeit auszugehen ist, welche Schutzmaßnahmen mit welcher Effektivität der iranische Staat zur Eindämmung der Pandemie ergriffen hat, um beurteilen zu können, ob und welche Wahrscheinlichkeit für eine möglicherweise befürchtete Ansteckung mit COVID-19 im Falle einer Rückkehr besteht. Denn für die Beurteilung ist auf die tatsächlichen Umstände des konkreten Einzelfalles abzustellen, zu der auch eine eventuelle - beim Kläger nicht substanziierte - Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe gehört (vgl. OVG NRW, B.v. 23.6.2020 - 6 A 844/20.A - juris konkret zum Iran).
73
Abgesehen davon käme hinsichtlich der Corona-Pandemie ein Abschiebeverbot nur bei einer extremen allgemeinen Gefahrenlage in Betracht, wenn die drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht wären, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Betreffenden die begründete Furcht ableiten ließe, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Die Gefahren müssten mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Eine Abschiebung müsste nur dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam den sicheren Tod oder schwerste Verletzungen ausgeliefert würde“, wobei sich diese Gefahren auch alsbald nach der Rückkehr realisieren würden. Dass der Kläger bei Rückkehr in den Iran eine derart extreme allgemeine Gefährdungslage ausgesetzt sein könnte, ist nicht vorgebracht und insbesondere mit Bezug auf die vorstehenden Ausführungen betreffend die Corona-Pandemie auch nicht ersichtlich (vgl. OVG NRW, U.v. 6.9.2021 - 6 A 139/19.A - juris Rn. 86 ff. m.w.N.; BayVGH, B.v. 26.3.2021 - 14 ZB 20.31824 - juris Rn. 6 f., 20 ff.).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.