Titel:
weder Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis noch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis
Normenkette:
AufenthG § 25 Abs. 4 S. 1, § 26 Abs. 4 S. 1
Leitsätze:
1. Ein anhängiges Strafverfahren stellt kein öffentliches Interesse iSd § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG dar, denn der Ausländer kann sein Rechte in dem Strafverfahren auch aus dem Ausland heraus und über visumsfreie Einreisen ausreichend geltend machen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Sonderregelung in § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AufenthG verdrängt, soweit es um Ausweisungsinteressen geht, die sich auf Straftaten beziehen, die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufenthaltserlaubnis wegen öffentlichen Interesse am Verbleib, Niederlassungserlaubnis, Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis, Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, Ausweisungsinteresse, prognostischen Sicherheitsgefährdung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 27684
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis oder die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis.
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Der am ... in ... geborene Kläger ist Staatsangehöriger von Bosnien-Herzegowina. Er war längere Zeit als Autohändler in Deutschland erwerbstätig. Aktuell arbeitet er als freier beratender Experte einer Sicherheitsfirma in Österreich. Sein Vater lebt in Bosnien-Herzegowina und eine Schwester in … Erstmalig ist er im April 2001 in das Bundesgebiet eingereist.
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Mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlingen vom 27. August 2002 wurde er als Asylberechtigter anerkannt. Am 19. September 2006 wurde ihm nach § 26 Abs. 3 AufenthG eine Niederlassungserlaubnis erteilt. Mit Bescheid vom 6. Februar 2008 wurde die Anerkennung als Asylberechtigter widerrufen. Der Bescheid wurde am 24. November 2012 bestandskräftig.
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Der Kläger ist diverse Male strafrechtlich in Erscheinung getreten. Unter anderem wurde er zwei Mal wegen fahrlässigen Fahren ohne Fahrerlaubnis und viermal wegen vorsätzlichen Fahren ohne Fahrerlaubnis bestraft. Mit rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 13. März 2016 wurde gegen ihn wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung verhängt.
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Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgericht München vom 22. Juni 2016 wurde er wegen 19 Fällen des Missbrauchs von Wegstreckenzählern in Tatmehrheit mit 18 Fällen des Betrugs in Tatmehrheit mit 12 Fällen der Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Freiheitsstrafe aus dem Strafbefehl vom 13. März 2016 wurde miteinbezogen. Die Vollstreckung wurde zur Bewährung ausgesetzt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Kläger Wegstreckenzähler hinsichtlich der Gesamtlaufleistung manipulierte und die Fahrzeuge an ahnungslose Käufer veräußerte. Dazugehörige Servicehefte manipulierte er ebenfalls. Der Kläger handelte, um sich durch die wiederholte Tatbegehung eine Einnahmequelle von nicht unerheblichem Umfang und Dauer zu erschließen. Im Rahmen der Strafzumessung und der Aussetzung zur Bewährung wurde dabei jeweils zu Gunsten des Klägers berücksichtigt, dass er sich gegenüber der Polizei kooperativ gezeigt habe.
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Spätere Verfahren gegen den Kläger wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis wurden nach § 153 Abs. 1 StPO und § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Der Kläger ist nach den Ermittlungsberichten inzwischen im Besitz einer österreichischen Fahrerlaubnis.
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Derzeit ist vor dem Amtsgericht München ein Strafverfahren gegen den Kläger anhängig. Der Kläger ist zusammen mit dem Polizeibeamten Alexander H. angeklagt wegen gemeinschaftlichen Erschleichen eines Aufenthaltstitels in Tatmehrheit mit Anstiftung zum Verwahrungsbruch in zwei tatmehrheitlichen Fällen. Nach der Anklageschrift soll der Polizeibeamte Alexander H. am 19. Dezember 2016 ein Telefax an die Beklagte gesendet haben, in dem er bewusst der Wahrheit zu wider mitgeteilt haben soll, dass der Kläger für diesen als Vertrauensperson in mehreren Verfahren tätig sei.
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Mit Bescheid vom 20. Februar 2017 wurde die Niederlassungserlaubnis widerrufen (Ziffer 1) und mitgeteilt, dass nach Bestandskraft des Bescheides auf Antrag eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt wird (Ziffer 2). Der Aufenthaltstitel könne nach § 52 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG widerrufen werden, da die Anerkennung als Asylberechtigter widerrufen worden sei. Eine Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG stehe entgegen, dass aufgrund der wiederholten Straffälligkeit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung i.S.d. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG bestehe. Hiergegen erhob der Kläger mit Schriftsatz vom 20. März 2017 Klage. Das Verfahren (M 9 K 17.1168) wurde mit Beschluss vom 9. Mai 2017 eingestellt, da der Kläger die Klage mit Fax vom 8. Mai 2017 zurückgenommen hatte. Am 11. Juli 2017 wurde dem Kläger eine bis zum 10. Juli 2019 gültige befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erteilt. Mit Schriftsatz vom 12. April 2019 erklärt der Kläger gegenüber dem Gericht, die Klagerücknahme anzufechten. Der Kläger habe die Klage auf Anraten durch das Polizeipräsidium und das KVR zurückgenommen. Hintergrund sei gewesen, dass dem Kläger in Aussicht gestellt worden sei, dass er zunächst einen befristeten Aufenthalt für zwei Jahre erhalte und danach über die Niederlassungserlaubnis neu verhandelt werde. Am 26. März 2019 sei der Kläger aber nun zu einer Rücknahme seines Aufenthaltstitels angehört worden. Es sei eine arglistige Täuschung zu prüfen. Der Kläger habe freiwillig auf einen sehr starken Aufenthaltstitel verzichtet und der Verfahrensausgang sei trotz diverser strafrechtlicher Vorahndungen für die Beklagte offen gewesen. Auf den Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens (M 9 K 19.1786) wurde mit Urteil vom heutigen Tag festgestellt, dass das Klageverfahren mit dem Az. M 9 K 17.1168 durch wirksame Klagerücknahme beendet wurde.
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Am 24. Juni 2019 stellte der Kläger zudem einen Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis (Bl. 1197 ff. d. BA)
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Mit streitgegenständlichen Bescheid vom 8. August 2019 wurde der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt (Ziffer 1) und dem Kläger eine Frist zur Ausreise bis zum 16. September 2019 erteilt (Ziffer 2). Des Weiteren wurde dem Kläger mitgeteilt, dass bei einer schuldhaften und erheblichen Überschreitung der Ausreisefrist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden könne (Ziffer 3) und die für den Fall, der nicht fristgerechten Ausreise, die Abschiebung nach Bosnien-Herzegowina bzw. einen anderen Staat, in den der Kläger einreisen darf oder der zur Rücknahme verpflichtet ist, angedroht (Ziffer 4). Eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG sei im Hinblick auf die wiederholte Straffälligkeit und die damit entgegenstehenden Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht möglich. Andere Anspruchsgrundlagen für eine unbefristetes Aufenthaltsrecht seien nicht ersichtlich. Für eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG seien die Voraussetzungen zwischenzeitlich entfallen. Ein behördliches Interesse an der weiteren Anwesenheit im Bundesgebiet bestehe nicht mehr. Das Landeskriminalamt habe bestätigt, dass der Kläger nicht als Vertrauensperson der Polizei gearbeitet habe. Jedenfalls sei er aber aktuell kein Unterstützer der Polizei mehr. Die Gründe für ein Entfallen der Voraussetzungen seien unbeachtlich. Das anhängige Ermittlungsverfahren wegen Bestechung begründe auch keine erheblichen öffentlichen Interessen am Verbleib im Bundesgebiet, da im frühen Stadium des Verfahrens die Notwendigkeit einer Mitwirkung des Klägers nicht feststehe. Bei Bedarf könne der Kläger auch visumsfrei im Wege eines Touristenaufenthalts ins Bundesgebiet einreisen. Im Falle eine Abschiebung sei des Weiteren nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft einzuholen, sodass insoweit eine Beendigung trotz entgegenstehender öffentlicher Interessen ausgeschlossen sei.
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Mit Schriftsatz vom 28. August 2019 hat der Kläger Klage gegen den Bescheid vom 8. August 2019 erhoben.
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Den vom Kläger gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage lehnte das Gericht mit Beschluss vom 27. April 2020 ab (Az.: M 9 S 19.4435). Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 15. Juni 2020 zurück (Az.: 10 CS 20.1220). Am 7. Juli 2020 übersandter der Kläger der Beklagten eine Grenzübertrittsbescheinigung, wonach er am 6. Juli 2020 das Gebiet der Schengen-Staaten verlassen haben soll. Gestempelt wurde die Grenzübertrittsbescheinigung allerdings nach dem Stempel erst in …, Bosnien-Herzegowina (Bl. 1145 ff. d. BA).
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Im Klageverfahren beantragt der Kläger:
I. Der Bescheid vom 8. August 2019 wird kostenpflichtig aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Antrag des Klägers vom 17. Juni 2019 stattzugeben.
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Die Beklagte gehe zu Unrecht davon aus, dass der Kläger aufgrund der begangenen Straftaten die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG nicht erfülle. Es werde verkannt, dass es sich bei der Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von zwei Jahren um die erste Bewährungsstrafe handele und eine zweite nur mit einbezogen worden sei. Ansonsten seien im Bundeszentralregister lediglich Geldstrafen vornehmlich aus dem Bereich der Verkehrsdelikte zu verzeichnen. Im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz werde darauf hingewiesen, dass im Zuständigkeitsbereich der Beklagten zahlreiche Probanden zu finden seien, welche trotz langjähriger Vollzugsstrafen nicht das Bundesgebiet verlassen müssten. Außerdem habe die Beklagte ursprünglich den Kläger nur ausweisen wollen, wenn eine langjährige Freiheitsstrafe verhängt werde. Dies ergäbe sich aus dem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts München vom 4. März 2019, welcher im Rahmen der Ermittlungen gegen den Kläger wegen Bestechung gemäß § 334 Abs. 1 StGB ergangen sei. Seit der letzten Verurteilung habe er sich rechtstreu verhalten und mit den Ermittlungsbehörden kooperiert. Er sei als Informant bzw. Vertrauensperson vom Polizeipräsidium … angeworben worden und auch für diese tätig geworden. Dies könne belegt werden und der Missbrauch von Kompetenzen der beteiligten Beamten in diesem Zusammenhang könnte nicht zu Lasten des Klägers gehen. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass sich die zuständige Sachbearbeiterin von einem Polizisten so leicht habe täuschen lassen. Er gehe davon aus, dass die laufenden Strafverfahren allesamt eingestellt werden. Zwei Verfahren wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis seien von der Staatsanwaltschaft … II und … I inzwischen eingestellt worden. Nach derzeitigen Verfahrensstand gehe der Klägervertreter davon aus, dass das letzte Verfahren im Frühjahr 2022 ebenfalls eingestellt wird. Dem Bescheid fehle es deswegen an einer Entscheidungsgrundlage. Insgesamt fühle sich der Kläger von den Behörden getäuscht als er auf einen starken Aufenthaltstitel verzichtet habe und nunmehr versucht werde ihm sämtliche Bleiberechte abzuerkennen. Eine neue Verurteilung wegen Fahren ohne Fahrerlaubnis läge nicht vor. Es gelte der Grundsatz der Unschuldsvermutung. Der Kläger habe zahlreiche laufende Verträge in … Seinen Vater in Bosnien-Herzegowina habe er nur aufgrund dessen angeschlagenen Gesundheitszustands öfter besucht. Eine Abschiebung sei unverhältnismäßig.
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Die Beklagte beantragt,
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Nach ihrer Ansicht könne die Aufenthaltserlaubnis inzwischen schon nicht mehr verlängert werden, da diese durch die Ausreise des Klägers erloschen sei. Es würde sich vielmehr nun um eine Neuerteilung handeln. Der Ausgang des Strafverfahrens gegen den Kläger müsse nicht abgewartet werden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Behördenakte und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14. Januar 2022 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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1. Die zulässige Klage hat keinen Erfolg, da sie unbegründet ist.
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a) Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis oder Erteilung einer Niederlassungserlaubnis (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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aa) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis aus § 8 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG.
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Der Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis scheidet aber nicht bereits deswegen aus, weil sein Aufenthaltstitel aufgrund einer Ausreise am 6. Juli 2020 kraft Gesetzes erloschen ist. Nach § 51 Abs. 1 Halbsatz 1 Nr. 6 bzw. Nr. 7 AufenthG erlischt ein Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer nicht nur vorübergehend ausreist bzw. ausreist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder innerhalb einer ihm gesetzten Frist wieder einreist. Unter den Begriff der Ausreise i.S.d. § 51 Abs. 1 Halbsatz 1 Nr. 6 oder Nr. 7 AufenthG unterfällt aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes aber nicht der Fall, dass ein Ausländer seiner Ausreisepflicht im Hinblick auf die fehlende aufschiebende Wirkung einer Klage nachkommt und vom Ausland seine Klage auf Verlängerung des Aufenthaltstitels weiterbetreibt. Es fehlt insoweit an der Freiwilligkeit der Ausreise (Fleuß in: BeckOK AuslR, 32. Ed. 1.1.2022, AufenthG § 51 Rn. 40). So liegt der Fall wohl hier. Der Kläger ist nachdem sein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt wurde und seine Beschwerde zurückgewiesen wurde, seiner Ausreisepflicht nach seinen eigenen Angaben nachgekommen. Am 7. Juli 2020 hat er der Beklagten eine Grenzübertrittsbescheinigung zukommen lassen und auf Anforderung durch das Gericht hat der Kläger dem Gericht eine Meldebescheinigung aus Bosnien-Herzegowina eingereicht. Der Kläger hat damit das Klageverfahren nach Aktenlage ausreichend weiterbetrieben, sodass es nicht mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar wäre, ihm allein aufgrund seiner Ausreise einen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis abzusprechen.
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Der Anspruch scheidet aber deswegen aus, da die Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt sind.
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Nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG kann einem nicht vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, solange erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern.
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Der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG steht aber schon entgegen, dass der Kläger ein Daueraufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland anstrebt. Die Aufenthaltserlaubnis § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG kann nur für einen vorübergehenden Aufenthalt erteilt werden (BayVGH, B.v. 15.6.2020 - 10 CS 20.1220 - Rn. 4).
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Des Weiteren fehlt für einen Anspruch auf eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 8 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ein öffentliches Interesse am Verbleib des Klägers im Bundesgebiet. Hierfür ist unbeachtlich, ob der Kläger jemals als Vertrauensperson der Polizei eingesetzt war und ob dies eine öffentliches Interesse nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG begründet hat. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung. Der Kläger ist unstreitig inzwischen keine Vertrauensperson der Polizei mehr. Die Gründe aus denen der Kläger keine Vertrauensperson mehr ist (sollte er jemals eine gewesen seien) sind nicht entscheidungserheblich. Alleine maßgeblich ist, ob die Tatbestandsvoraussetzungen für die Verlängerung vorliegen. Ein Verschulden für das Wegfallen der Voraussetzungen ist nicht maßgeblich. Damit erschließt sich dem Gericht nicht, worauf der Prozessbevollmächtige des Klägers mit seinem Vortrag, es könne nicht zum Lasten des Klägers gehen, wenn seine Einsetzung als Vertrauensperson unter Verletzung von Dienstvorschriften erfolgt sei und nur deswegen beendet worden sei, abzielt. Ein ausländerrechtlicher Anknüpfungspunkt ist nicht ersichtlich. Der Vortrag ist allenfalls für die strafrechtliche Beurteilung das Tatgeschehens von Bedeutung. Auf das anhängige Strafverfahren gegen den Kläger in diesem Zusammenhang wird die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nicht gestützt. Das anhängige Strafverfahren selbst stellt nur kein öffentliches Interesse i.S.d. § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG dar. Der Kläger kann sein Rechte in dem Strafverfahren auch aus dem Ausland heraus und über visumsfreie Einreisen ausreichend geltend machen (vgl. BayVGH, B.v. 15.6.2020 - 10 CS 20.1220 - Rn. 4).
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bb) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis aus § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG.
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Einem Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach Abschnitt 5 des AufenthG besitzt, kann nach § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden, wenn die in § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG bezeichneten Voraussetzungen vorliegen. Zum für das Vorliegen einer Aufenthaltserlaubnis maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung war der Kläger noch im Besitz der befristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG (vgl. Maaßen/Kluth in: BeckOK AuslR, 24. Ed. 1.8.2019, AufenthG § 26 Rn. 25).
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Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ist eine der Voraussetzungen für eine Niederlassungserlaubnis, dass Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung unter Berücksichtigung der Schwere oder der Art des Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder der vom Ausländers ausgehenden Gefahr unter Berücksichtigung der Dauer des bisherigen Aufenthalts und dem Bestehen von Bindungen im Bundesgebiet nicht entgegenstehen.
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Die Sonderregelung in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG verdrängt, soweit es um Ausweisungsinteressen geht, die sich auf Straftaten beziehen, die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (BVerwG, U.v. 16.11.2010 - 1 C 21.09 - juris Rn. 12 f.).
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Das Ausweisungsinteresse bzw. die Gefahr für die öffentliche Sicherheit resultiert vorliegend aus den Straftaten des Klägers, insbesondere aus der Verurteilung vom 22. Juni 2016 wegen 19 Fällen des Missbrauchs von Wegstreckenzählern in Tatmehrheit mit 18 Fällen des Betrugs in Tatmehrheit mit 12 Fällen der Urkundenfälschung. Der Kläger wurde zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.
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Hinsichtlich der prognostischen Sicherheitsgefährdung durch den Ausländer im Rahmen von § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG kann nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, soweit besondere Umstände - wie beispielsweise eine besonders hohe Wiederholungsgefahr - nicht vorliegen, bereits die Strafbarkeitsgrenze der Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Jugend- oder Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten oder einer Geldstrafe von mindestens 90 Tagessätzen als Anhaltspunkt herangezogen werden (BayVGH, B.v. 11.2.2013 - 19 AS 12.2476 - BeckRS 2013, 47552 Rn. 20).
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Vorliegend ist die prognostische Wiederholungsgefahr besonders hoch, da der Kläger mit hoher krimineller Energie die Straftaten aus der Verurteilung vom 22. Juni 2016 begangen hat. Außerdem zeigen die wiederholten Straftaten wegen fahrlässigen und vorsätzlichen Fahren ohne Fahrerlaubnis, dass der Kläger sich Verurteilungen nicht zur Warnung dienen lässt. Die letzte rechtskräftige Strafe für vorsätzlichen Fahren ohne Fahrerlaubnis war auch deswegen eine relativ hohe Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung. Die vielen fahrlässigen und vorsätzlichen Straftaten stellen deswegen auch einen besonderen Umstand dar, welche für eine besonders hohe Wiederholungsgefahr spricht. Die Einstellung der neueren Einstellungen der Verfahren wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis ändert an dieser Prognose des Gerichts nichts. Ob der Kläger diese Straftaten verwirklicht hat, kann offenbleiben. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht Zweifel hat, ob der Besitz der österreichischen Fahrerlaubnis einer Verwirklichung der Straftaten entgegenstand. Von einer eigenständigen Prüfung durch das Gericht wurde aber abgesehen, da auch bei einer fehlenden Strafbarkeit der neueren Taten eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegt. Die fehlende Strafbarkeit wurde deswegen zugunsten des Klägers unterstellt.
Abzuwägen sind das durch den Ausweisungsgrund berührte öffentliche Interesse auf der einen Seite und das private Interesse des Ausländers an der Gewährung eines nationalen Daueraufenthaltsrechts auf der anderen Seite. Das Gewicht dieser Interessen wird dabei insbesondere durch die in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG bezeichneten Gesichtspunkte bestimmt, aber auch gegenseitig relativiert. Ausweisungsgründe stehen der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis danach nicht entgegen, wenn sie unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG bezeichneten Gesichtspunkte das private Interesse des Ausländers an der Gewährung eines nationalen Daueraufenthaltsrechts nicht überwiegen (VGH BW, U.v. 22.7.2009 - 11 S 2289/08 - BeckRS 2009, 38006, beck-online).
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Die relative lange Aufenthaltszeit seit 2001 in Deutschland stellt zwar ein zu berücksichtigendes privates Interesse dar, wird aber relativiert durch die diversen Straftaten während dieser Zeit. Eine Integration in die deutsche Rechtsordnung hat nicht stattgefunden. Der ledige Kläger verfügt in Deutschland nach derzeitigen Kenntnisstand nur über eine Schwester. Zu einem besonderes engen Kontakt zu dieser ist nichts vorgetragen wurden. In Bosnien-Herzegowina lebt noch sein Vater. Nach den Angaben des Klägers wohnt der Kläger inzwischen auch wieder in Bosnien-Herzegowina und arbeitet für eine österreichische Firma mit Tätigkeiten in ganz Europa. Besondere Gründe weshalb er wieder in Deutschland wohnen müsste, sind nicht vorgetragen worden. Auch ein Arbeitsangebot eine deutsche Firma oder ähnliches wurde nicht vorgelegt. Seiner bisherigen Tätigkeit kann er auch ohne Niederlassungserlaubnis nachgehen.
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Im Ergebnis sind keine gewichtigen Aufenthaltsinteressen gegeben, sodass die prognostische Gefahr von weiteren Straftaten ausreicht für ein Überwiegen des Ausweisungsgrundes.
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Zudem erfüllt der Kläger nicht die Voraussetzung nach § 26 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Danach hätte er seit fünf Jahren im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis seien müssen. Die Tatbestandsvoraussetzung des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis für fünf Jahre setzt grundsätzlich einen ununterbrochenen Titelbesitz während dieses Zeitraums voraus (BVerwG, U.v 10.11.2009 - 1 C 24/08 -, BVerwGE 135, 225-237, Rn. 15). Allenfalls Bagatellunterbrechungen für wenige Tage können unberücksichtigt bleiben. Vorliegend ist der Titelbesitz im Zeitraum zwischen dem Widerruf der Niederlassungserlaubnis mit Bescheid vom 20. Februar 2017 bis zur Erteilung der befristeten Aufenthaltserlaubnis am 11. Juli 2018 aber unterbrochen gewesen, sodass bei Antragstellung am 17. Juni 2019 noch kein ununterbrochener Besitz für die Dauer von fünf Jahren vorlag. Die damalige Klage hatte auf die Wirksamkeit des Widerrufs keine Auswirkung (§ 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG).
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Zuletzt hat der Kläger auch keine Unterlagen zum Nachweis der Sicherung des Lebensunterhalts (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG) und über ausreichenden Wohnraum (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 AufenthG) vorgelegt.
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cc) Andere Anspruchsgrundlagen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels, deren tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind, sind nicht erkennbar.
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b) Die Ausreisefrist Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides) und die Abschiebungsandrohung (Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheides) nach § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der bloße Hinweis auf eine ggf. zukünftige Möglichkeit ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 6 AufenthG zu erlassen (Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheides) stellt mangels Regelungswirkung keinen Verwaltungsakt dar und ist nicht anfechtbar.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit fußt auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.