Inhalt

VG München, Beschluss v. 28.09.2022 – M 24 S 21.6691
Titel:

Teilweise erfolgreicher vorläufiger Rechtsschutzantrag eines ukrainischen Staatsangehörigen gegen Abschiebungsandrohung betreffend die Ukraine

Normenketten:
AufenthG § 5, § 59, § 60 Abs. 5, § 72, § 81
EMRK Art. 3
Leitsätze:
1. Voraussetzung für die Statthaftigkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO im Falle der Erhebung einer Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist, dass durch die Ablehnung des begehrten Aufenthaltstitels die zugunsten des Antragstellers bestehende Fiktionswirkung entfallen ist, die bei Erfolg eines Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz wieder aufleben könnte. Hat der Antrag bei der Ausländerbehörde keine Fiktionswirkung ausgelöst, ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO eine Aussetzung der Abschiebung allein aus verfahrensrechtlichen Gründen zu erstreben (VGH Mannheim BeckRS 2018, 23535). (Rn. 24) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Die Prognose, dass der Lebensunterhalte eines Ausländers auf Dauer ohne die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert ist, erfordert einen Vergleich der zur Verfügung stehenden Mittel mit dem voraussichtlichen Unterhaltsbedarf (einschließlich Krankenversicherung). Es muss unter Berücksichtigung der Berufschancen und der bisherigen Erwerbsbiographie eine gewissen Verlässlichkeit des Mittelzuflusses gewährleistet sein, die unter dem Gesichtspunkt der Dauerhaftigkeit eine positive Prognose zulässt (VGH München BeckRS 2017, 102468). (Rn. 36) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Liegt ein Abschiebungsverbot vor, so ist der Staat, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf, gem. § 59 Abs. 3 S. 2 AufenthG ausdrücklich im Bescheid zu bezeichnen. Erfolgt eine derartige Bezeichnung nicht, ist die Abschiebungsandrohung insoweit rechtswidrig; im Übrigen bleibt sie jedoch grundsätzlich wirksam, da sie auch ohne Zielstaatsbestimmung Verwaltungsaktcharakter besitzt (BVerwG BeckRS 2013, 54007). (Rn. 43) (red. LS Clemens Kurzidem)
4. Mit Blick auf die aktuelle Sicherheitslage in der Ukraine liegt bei wertender Betrachtung der Gesamtumstände für einen ukrainischen Staatsangehörigen ein Abschiebungsverbot dorthin nach § 60 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK vor. Aufgrund er allgemeinen Sicherheitslage in der Ukraine ist eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Betroffenen infolge des Einmarsches der russischen Truppen am 24. Februar 2022 und des sich hieran anschließenden internationalen bewaffneten Konflikts anzunehmen. (Rn. 49) (red. LS Clemens Kurzidem)
Schlagworte:
Eilantrag, Aufenthaltserlaubnis (abgelehnt), Fehlender Nachweis der Lebensunterhaltssicherung, Abschiebungsverbot hinsichtlich Ukraine, Abschiebungsandrohung, Beteiligung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, ukrainischer Staatsangehöriger, Aufenthaltserlaubnis, Beschäftigung, Arbeitssuche, Niederlassungserlaubnis, Fiktionswirkung, Lebensunterhaltssicherung, vorläufiger Rechtsschutz
Fundstelle:
BeckRS 2022, 27679

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid vom 6. Juli 2021 wird hinsichtlich der in Ziffer 4 des Bescheides ausgesprochenen Abschiebungsandrohung angeordnet, soweit darin dem Antragsteller die Abschiebung in die Ukraine angedroht worden ist. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat ¾, die Antragsgegnerin ¼ der Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
1. Der Antragsteller ist ukrainischer Staatsangehöriger, geboren am ... in der Ukraine. Er reiste erstmals am 3. November 2001 zum Zweck des Studiums an der Technischen Universität … im Fach Elektrotechnik in das Bundesgebiet ein. Ab dem 12. November 2001 erhielt er hierfür einen Aufenthaltstitel, der später als Aufenthaltserlaubnis für Studienzwecke fortlaufend verlängert wurde. Nach zwischenzeitlichem Studienwechsel schloss er am 21. Februar 2011 das Studium mit dem akademischen Grad M.A. in den Fächern Deutsch als Fremdsprache, Computerlinguistik und Slawische Philologie erfolgreich ab (Bl. 194 der vorgelegten Behördenakte - BA).
2
Im Anschluss erteilte die Antragsgegnerin auf Antrag am 29. März 2011 zunächst eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Arbeitsplatzsuche nach § 16 Abs. 4 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) a.F., ab 22. Juli 2011 eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Beschäftigung nach § 18 Abs. 4 Satz 1 AufenthG a.F. für eine Tätigkeit als Prüffeld-Techniker bei der … … GmbH in … (Bl. 206, 217 BA), die in der Folge aufgrund des weiteren Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses stets verlängert wurde, zuletzt am 8. Dezember 2014 bis zum 7. Dezember 2017 (Bl. 295 BA). Das Arbeitsverhältnis wurde - was der Ausländerbehörde erst später bekannt wurde - vom Arbeitgeber zum 31. März 2016 gekündigt.
3
Am 22. November 2017 stellte der Bevollmächtigte des Antragstellers einen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis (Bl. 362 BA). Der Antragsteller sei erkrankt und könne derzeit die Ausländerbehörde nicht aufsuchen. Anlässlich persönlicher Vorsprachen des Antragstellers im Dezember 2017 wurde er aufgefordert, sich - nachzwischenzeitlicher Abmeldung nach unbekannt - erneut in … anzumelden und die erforderlichen Nachweise, u.a. zur Sicherung des Lebensunterhalts vorzulegen (Bl. 373 BA). Dieser Aufforderung kam der Antragsteller in der Folge nicht nach. Der Bevollmächtigte des Antragstellers nahm am 20. April 2018 erneut Bezug auf den Verlängerungsantrag des Antragstellers, bat um eine Fiktionsbescheinigung und verwies auf gesundheitliche Probleme des Antragstellers, die es diesem erschwerten, sich zu artikulieren, ohne diese Probleme genauer zu benennen (Bl. 367 BA). Am 12. Oktober 2018 meldete sich der Antragsteller erneut in … an, in der städtischen Unterkunft für Männer in der … Straße (Bl. 372 BA).
4
Am 25. Oktober 2018 beantragte der Antragsteller die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis oder Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Beschäftigung, selbständigen Erwerbstätigkeit oder Arbeitsplatzsuche und gab dabei an, derzeit nicht erwerbstätig zu sein und zur Sicherung des Lebensunterhalts Arbeitslosengeld II beantragen zu wollen. Der Antragsteller erhielt daraufhin eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 AufenthG, gültig bis 31. Januar 2019. Diese wurde in der Folge jeweils verlängert, zuletzt bis zum 30. Juli 2021.
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Laut einer mit einem weiteren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis (Bl. 307 BA) am 22. Januar 2019 bei der Ausländerbehörde eingereichten, am 20. Dezember 2018 mit dem Jobcenter … geschlossenen Eingliederungsvereinbarung nach § 15 SGB II bezog der Kläger Leistungen nach dem SGB II und war wohnungslos (Bl. 311 BA).
6
Am 28. Januar 2019 wurde daraufhin der Antragsteller von der Antragsgegnerin zur beabsichtigten Ablehnung seiner Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels angehört (Bl. 315 BA).
7
Der Antragsteller legte daraufhin eine Rentenversicherungsübersicht (Bl. 334 BA) und Nachweise über den Bezug von Arbeitslosengeld II seit dem 1. Februar 2019 vor, sowie Unterlagen, die das Ende seines früheren Arbeitsverhältnisses nach Kündigung durch den Arbeitgeber zum 31. März 2016 nachwiesen (Bl. 330 BA).
8
Am 11. März 2019 zog der Antragsteller in ein Wohnheim des Katholischen Männerfürsorgevereins … (Bl. 372 BA). Am 17. September 2019 beantragte er nochmals die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit. Ein Unternehmenskonzept und sonstige Unterlagen zur Begründung des Antrags reichte der Antragsteller bei der Ausländerbehörde nicht ein. Am 8. April 2021 reichte der Antragsteller einen Bewilligungsbescheid des Jobcenters … vom 31. März 2021 ein, wonach er Leistungen nach dem SGB II erhalte.
9
Daraufhin hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller am 6. Mai 2021 erneut zur beabsichtigten Ablehnung seiner Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels an (Bl. 358 BA). Weitere Unterlagen wurden vom Antragsteller nicht eingereicht.
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2. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 6. Juli 2021 (Bl. 388ff. BA), dem Antragsteller zugestellt am 8. Juli 2021 (Bl. 411 BA), lehnte die Antragsgegnerin die Anträge des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bzw. einer Niederlassungserlaubnis vom 22. November 2017, 20. April 2018, 25. Oktober 2018, 22. Januar 2019 und 17. September 2019 ab (Ziffer 1 des Bescheids), setzte eine Ausreisefrist bis zum 15. August 2021 (Ziffer 2), wies auf die Möglichkeit der Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots bei Nichteinhaltung der Ausreisefrist hin (Ziffer 3) und drohte für den Fall des Unterbleibens der Ausreise die Abschiebung in die Ukraine oder einen anderen aufnahmebereiten oder zur Aufnahme verpflichteten Staat an (Ziffer 4). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die besonderen Voraussetzungen der denkbaren Grundlagen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder einer Niederlassungserlaubnis nicht vorlägen. Auch sei die allgemeine Erteilungsvoraussetzung der Lebensunterhaltssicherung nicht nachgewiesen, weil der Antragsteller auf den Bezug von Sozialleistungen angewiesen sei. Ein atypischer Fall liege nicht vor. Auf die Begründung des Bescheids wird im Übrigen Bezug genommen.
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3. Mit undatiertem Schreiben eingegangen bei Gericht am 6. August 2021 erhob der Antragsteller gegen den streitgegenständlichen Bescheid Klage (M 24 K 21.6691), auf deren Begründung Bezug genommen wird. Zudem ließ er im hier vorliegenden Verfahren mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 28. Dezember 2021 beantragen,
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die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
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Der Antragsteller habe zwischenzeitlich einen Job gefunden, mit dem er seinen Lebensunterhalt bestreiten könne und der seinem abgeschlossenen Hochschulstudium entspreche. Hierzu wurde die Kopie eines Arbeitsvertrags mit der Firma … in … mit einem Bruttolohn von 2.500 EUR, gültig ab 1. Oktober 2021 und befristet bis 30. September 2022, vorgelegt. Zudem wurde eine Lohnabrechnung für Oktober 2021 mit Nettoeinkommen von 1.721,29 EUR vorgelegt. Aufgrund der Pandemie seien die Möglichkeiten des Klägers, einen Job zu finden, erheblich erschwert gewesen. Eilbedürftigkeit bestehe, weil der Antragsteller nur eine Grenzübertrittsbescheinigung bis zum 15. Januar 2022 besitze und eine Abschiebung zu befürchten sei.
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Die Antragsgegnerin erwiderte bereits mit Schriftsatz vom 9. September 2021 im Klageverfahren auf einen möglichen Eilantrag. Sie beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Auf die Klage- und Antragserwiderung, in der inhaltlich auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen wurde, wird verwiesen.
17
Die Antragsgegnerin erklärte mit weiterem Schreiben vom 13. Januar 2022, dass die neu vorgelegten Unterlagen geprüft würden und der Antragsteller aufgefordert werde, weitere Unterlagen, insbesondere zur Lebensunterhaltssicherung vorzulegen. Mit Schreiben vom 29. März 2022 und nochmals 25. April 2022 teilte die Antragsgegnerin mit, dass zwischenzeitlich eine Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zu der vom Antragsteller aufgenommenen Tätigkeit vorliege und sie grundsätzlich bereit sei, gegen Klage- und Antragsrücknahme eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Es liege aber noch immer keine Bestätigung vor, dass der Kläger in der von ihm bewohnten Unterkunft als Selbstzahler wohne und somit keine Sozialleistungen mehr beziehe.
18
Mit weiterem Schreiben vom 20. Juli 2022 teilte die Antragsgegnerin schließlich mit, dass das aktuelle Arbeitsverhältnis inzwischen seitens des Arbeitgebers gekündigt worden sei.
19
Am 7. September 2022 bestellte sich Herr … … unter Vorlage einer Vollmacht als Vertreter des Antragstellers. Mit Beschluss der Kammer vom 28. September 2022 wurde dieser als Bevollmächtigter gemäß § 67 Abs. 3 VwGO zurückgewiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten in den Verfahren M 24 K 21.4179 und M 24 S 21.6691, sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Der Antrag bleibt ohne Erfolg.
22
1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig.
23
1.1. Die Versagungsgegenklage gegen die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis durch die Antragsgegnerin in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids vom 6. Juli 2021 hat keine aufschiebende Wirkung (§ 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG).
24
Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 AufenthG kann in diesen Fällen statthaft sein, obwohl in der Hauptsache eine Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erhoben worden ist. Voraussetzung dafür ist aber, dass durch die Ablehnung der begehrten Aufenthaltserlaubnis eine Fiktionswirkung zugunsten des Antragstellers entfallen ist, die bei Erfolg des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz wieder aufleben könnte. Löste der Antrag bei der Ausländerbehörde eine solche Fiktionswirkung nicht aus, ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO eine Aussetzung der Abschiebung allein aus verfahrensrechtlichen Gründen zu erstreben (vgl. VGH Mannheim, B.v. 20.9.2018 - 11 S 1973/ 18 - beckonline, Rn. 13).
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1.2. Dies zu Grunde gelegt ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO vorliegend hinsichtlich der Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids statthaft. Die Versagung der von ihm mehrfach beantragten Aufenthaltserlaubnis durch den streitgegenständlichen Bescheid vom 6. Juli 2021 begründete für den Antragsteller seine vollziehbare Ausreisepflicht (§ 50 Abs. 1, § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG), weil er sich bei Antragstellung aufgrund der ihm erteilten Fiktionsbescheinigung rechtmäßig im Inland aufgehalten hat. Seine frühere Aufenthaltserlaubnis galt mit dieser Bescheinigung als fortbestehend (§ 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG). Die Fiktionswirkung ist mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 6. Juli 2021 entfallen. Mit einem erfolgreichen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO würde sie wieder aufleben.
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1.3. Der Antrag ist weiter statthaft und zulässig hinsichtlich der Ausreisefrist, verbunden mit der Abschiebungsandrohung (Ziffern 2 und 4 des streitgegenständlichen Bescheids). Bei diesen Verfügungen auf der Grundlage von § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG handelt es sich um Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung, so dass die insoweit erhobene Anfechtungsklage nach Art. 21a Satz 1 Verwaltungszustellungs- und -vollstreckungsgesetz (VwZVG) keine aufschiebende Wirkung hat.
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2. Der Antrag ist jedoch nur teilweise begründet.
28
2.1. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall eines gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) ganz oder teilweise anordnen. Hierbei hat das Gericht selbst abzuwägen, ob diejenigen Interessen, die für einen gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts streiten, oder diejenigen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sprechen, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht als alleiniges Indiz zu berücksichtigen. Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, weil er zulässig und begründet ist, so wird im Regelfall nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, besteht ein öffentliches Interesse an seiner sofortigen Vollziehung und der Antrag bleibt erfolglos. Sind die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen zu beurteilen, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
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2.2. Dies zu Grunde gelegt, hat der Antrag nur im tenorierten Umfang Erfolg.
30
Die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erweist sich vorliegend als voraussichtlich rechtmäßig und die vom Antragsteller erhobene Klage wird insoweit voraussichtlich erfolglos bleiben. Das staatliche Vollzugsinteresse überwiegt folglich die privaten Aussetzungsinteressen. Soweit allerdings in Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheids vom 6. Juli 2022 die Abschiebung in die Ukraine angedroht wurde, war die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
31
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der vorliegenden gerichtlichen Entscheidung (BVerwG, U.v. 1.12.2009 - 1 C 32/08 - juris Rn. 12).
32
2.2.1. Der Antragsteller hat im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Das Gericht folgt zunächst der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids vom 6. Juli 2021 und sieht - mit Ausnahme der nachfolgenden Ergänzungen - von der weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
33
2.2.1.1. Nach § 8 Abs. 1 AufenthG finden auf für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis die gleichen Vorschriften Anwendung, wie auf die Erteilung, somit unter anderem auch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG.
34
2.2.1.2. Der Antragsteller besitzt schon deshalb keinen Anspruch auf Erteilung eines von ihm beantragten Aufenthaltstitels, weil er keine Nachweise vorgelegt hat, dass sein Lebensunterhalt gesichert ist.
35
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Dies gilt insbesondere auch für die vom Antragsteller beantragten Aufenthaltstitel zum Zweck der Beschäftigung nach § 18ff. AufenthG und für die beantragte Niederlassungserlaubnis nach § 9 AufenthG (vgl. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG).
36
Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG genannten öffentlichen Leistungen, hier insbesondere das Kindergeld, außer Betracht. Gefordert ist eine in die Zukunft gerichtete Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers auf Dauer ohne Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen gesichert ist (vgl. BVerwG, U.v. 18.4.2013, Az. 10 C 10.12, juris Rn. 13). Dies erfordert einen Vergleich der zur Verfügung stehenden Mittel mit dem voraussichtlichen Unterhaltsbedarf (einschließlich einer Krankenversicherung). Es muss unter Berücksichtigung der Berufschancen und der bisherigen Erwerbsbiografie eine gewisse Verlässlichkeit des Mittelzuflusses gewährleistet sein, die unter dem Gesichtspunkt der Dauerhaftigkeit eine positive Prognose zulässt (BayVGH, B.v. 8.2.2017, 10 ZB 16.1850 - juris Rn. 13; B.v. 24.4.2014 - 10 ZB 14.524 - juris Rn. 6). Erforderlich ist bei der Prognose eine Abschätzung aufgrund rückschauender Betrachtung, ob ohne unvorhergesehene Ereignisse in Zukunft gewährleistet erscheint, dass der Lebensunterhalt dauerhaft und ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel aufgebracht werden kann. Unerheblich ist, ob tatsächlich Sozialleistungen in Anspruch genommen werden, da es nur auf das Bestehen eines entsprechenden Anspruchs ankommt. Von einer Sicherung des Lebensunterhalts kann zudem nur ausgegangen werden, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel eine gewisse Nachhaltigkeit aufweisen (vgl. zusammenfassend Bergmann/Dienelt/Samel, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 5 Rn. 25, 27, 28 m.w.N.).
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Dies zu Grunde gelegt, ist die Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts des Antragstellers vorliegend im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht gegeben. Der Antragsteller ist derzeit nach Kündigung des letzten von ihm vorgelegten Arbeitsvertrags arbeitslos und lebt von Sozialleistungen. Er hat zudem entgegen der ihn treffenden materiellrechtlichen Mitwirkungspflicht (§ 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) und entgegen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht aus § 86 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 VwGO weder gegenüber der Ausländerbehörde noch dem Gericht die zur Prognose der Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne des Antragstellers maßgeblichen Unterlagen, wie Nachweise der Einkünfte, Nachweise zu seinen Mietkosten etc. vorgelegt.
38
2.2.1.3. Der Kläger kann im vorliegenden Verfahren zudem keinen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis zu anderen als den bereits im behördlichen Verfahren geltend gemachten Aufenthaltszwecken, etwa eine solche aus humanitären Gründen nach § 22ff. AufenthG geltend machen.
39
Das Ziel eines Antrags auf Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis wird durch die Aufenthaltszwecke und den Lebenssachverhalt, aus denen der Ausländer seinen Anspruch herleitet, bestimmt und begrenzt, weil das Aufenthaltsgesetz strikt zwischen den in den Abschnitten 3 bis 7 seines Kapitels 2 genannten Aufenthaltszwecken trennt. Die Entscheidung der Ausländerbehörde über diesen Antrag i. S. der § 81 Abs. 3 und 4, § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ist entsprechend beschränkt. Es ist dem Ausländer grundsätzlich verwehrt, mit einem Rechtsbehelf gegen die Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis einen neuen Aufenthaltszweck geltend zu machen, der bis zum Erlass der Ablehnungsentscheidung noch nicht Gegenstand seines Antragsbegehrens war. Bei der Auslegung eines - nicht formbedürftigen - Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels (§ 81 Abs. 1 AufenthG) sind die für die Auslegung von empfangsbedürftigen Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts geltenden Rechtsgrundsätze (§§ 133, 157 BGB) anzuwenden. Maßgeblich ist, wie die Ausländerbehörde den Antrag unter Berücksichtigung aller ihr erkennbaren Umstände und der Mitwirkungspflicht des Ausländers (§ 82 Abs. 1 AufenthG) nach Treu und Glauben zu verstehen hat. Dabei muss sich die Auslegung auf die schriftlichen und mündlichen Erklärungen des Ausländers in ihrer Gesamtheit und das mit ihnen erkennbar verfolgte Ziel beziehen (vgl. zum Ganzen VGH Mannheim, B.v. 16.7.2020 - 12 S 1432/20 - juris Rn 7).
40
Der Antragsteller hat vorliegend seine Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stets auf Erwerbstätigkeitsgesichtspunkte (Beschäftigung, selbständige Erwerbstätigkeit, Arbeitsplatzsuche) gestützt, sowie daneben eine Niederlassungserlaubnis beantragt. Aufenthaltstitel zu anderen, etwa humanitären, Zwecken wurden bei der Behörde hingegen nicht beantragt und waren auch nicht von dem zur Begründung des Anspruchs vorgetragenen Lebenssachverhalt erfasst. Soll insofern, insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Situation in der Ukraine, ein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis zu einem anderen Zweck geltend gemacht werden, ist der Antragsteller auf einen Antrag bei der Ausländerbehörde der Antragsgegnerin zu verweisen.
41
2.2. Auch die in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids vom 6. Juli 2021 festgesetzte Ausreisefrist von mehr als einem Monat entspricht den gesetzlichen Vorgaben (vgl. § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) und erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig. Auch insoweit wird mithin die vom Antragsteller erhobene Klage voraussichtlich erfolglos bleiben und hat auch der vorliegenden Eilantrag keinen Erfolg.
42
2.3. Die in Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheids vom 6. Juli 2021 enthaltene Abschiebungsandrohung erweist sich hingegen bei summarischer Prüfung im maßgeblichen Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung als voraussichtlich rechtswidrig, weil vorliegend ein Abschiebungsverbot hinsichtlich der Ukraine besteht und entgegen § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG die Ukraine nicht aus der Abschiebungsandrohung ausgenommen wurde.
43
2.3.1. Nach § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist in der Abschiebungsandrohung der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Das Vorhandensein von Abschiebungsverboten steht dabei gemäß § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG dem Erlass der Abschiebungsandrohung nicht entgegen. Liegt jedoch ein Abschiebungsverbot vor, so ist der Staat, in den der Ausländer aufgrund des Abschiebungshindernisses nicht abgeschoben werden darf, gemäß § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ausdrücklich im Bescheid zu bezeichnen. Wenn dies nicht erfolgt ist, ist die Abschiebungsandrohung insoweit rechtswidrig. Im Übrigen bleibt die Abschiebungsandrohung grundsätzlich wirksam, da sie auch ohne Zielstaatsbestimmung Verwaltungsaktcharakter hat (BVerwG, U.v. 17.6.2014 - 10 C 7/13 - juris Rn 35; BeckOK MigR/Zimmerer, 12. Ed. 15.7.2022, AufenthG § 59 Rn. 20).
44
Wird das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit einem Asylantrag befasst, so ist gemäß § 24 Abs. 2 AsylG dieses mit der Bindungswirkung des § 42 Satz 1 AsylG auch zur Entscheidung über Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG berufen. Fehlt es an einer Einbindung des Bundesamts, so entscheidet die Ausländerbehörde über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG, allerdings gemäß § 72 Abs. 2 AufenthG nach vorheriger Beteiligung des Bundesamts. Bei der Beteiligung nach § 72 Abs. 2 AufenthG handelt es sich um ein bloßes Verwaltungsinternum. Die Auffassung des Bundesamts bindet die Ausländerbehörde nicht. Für das Gericht besteht kein Beteiligungserfordernis entsprechend § 72 Abs. 2 AufenthG. Es kann unmittelbar über Abschiebungsverbote befinden (vgl. etwa VG Cottbus, B.v. 29.7.2021 - Az 9 L 181/21 - juris Rn 8).
45
2.3.2. Vorliegend besteht ein Abschiebungsverbot hinsichtlich des Klägers in Bezug auf die Ukraine nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK.
46
2.3.2.1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685; Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen; erforderlich aber auch ausreichend ist daher die tatsächliche Gefahr („real risk“) einer unmenschlichen Behandlung (BayVGH, U.v.1.10.2020 - 13a B 20.31004 - juris - Rn. 23; U. v. 8.11.2018 - 13a B 17.31960 - juris Rn. 41; BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 = NVwZ 2011, 51 - juris Rn. 22).
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Bei der Prüfung einer Verletzung von Art. 3 EMRK ist grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung an dem Ort droht, an dem die Abschiebung endet (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 = NVwZ 2013, 1167 - juris Rn. 26). Eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung kann sich aus einer allgemeinen Situation der Gewalt im Zielstaat ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 = NVwZ 2013, 1167 - juris Rn. 25). Soweit ein für die Verhältnisse eindeutig maßgeblich verantwortlicher Akteur fehlt, können in ganz außergewöhnlichen Fällen auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse im Zielstaat Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung zwingend sind (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 45.18 - Asylmagazin 2019, 311 - juris Rn. 12; B.v. 23.8.2018 - 1 B 42.18 - juris Rn. 9: „nur in besonderen Ausnahmefällen“; U.v. 13.6.2013 - 10 C 13.12 - BVerwGE 147, 8 - NVwZ 2013, 1489 - juris Rn. 25; U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 - NVwZ 2013, 1167 - juris Rn. 25 unter Bezugnahme auf EGMR, U.v. 28.6.2011 - Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681 Rn. 278 ff.; BayVGH, U.v. 8.11.2018 - 13a B 17.31918 - juris Rn. 19; U.v. 21.11.2014 - 13a B 14.30284 - Asylmagazin 2015, 197 - juris Rn. 17; OVG NW, U.v. 18.6.2019 - 13 A 3930/18 - juris Rn. 104 ff. m.w.N.; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 - 9 LB 93/18 - juris Rn. 45 ff. m.w.N.; VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 176 f.).
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Im Rahmen der Prüfung der allgemeinen Situation der Gewalt kann auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur erheblichen individuellen Gefahr im Rahmen eines bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) zurückgegriffen werden, soweit sie sich auf die Gefahrendichte bezieht. Der EuGH (U.v. 10.6.2021 - C-901/19 - CF, DN / Deutschland) hat zu Art. 15 Buchst. c RL 2011/95/EU, im nationalen Recht umgesetzt in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG, entschieden, dass dieser dahin auszulegen ist, dass zur Feststellung, ob eine „ernsthafte individuelle Bedrohung“ im Sinne dieser Vorschrift gegeben ist, eine umfassende Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der die Situation des Herkunftslands des Antragstellers kennzeichnenden Umstände, erforderlich ist. Quantitative Erwägungen sind danach nicht zwingend für die Annahme der „individuellen Bedrohung“ anzustellen (vgl. EuGH, aaO., juris Rn 33). Insbesondere kann das Fehlen von quantitativen Erwägungen für sich genommen nicht ausreichen, um systematisch und unter allen Umständen die Gefahr einer solchen Bedrohung im Sinne dieser Bestimmung auszuschließen und um damit automatisch und ausnahmslos zu einem Ausschluss des subsidiären Schutzes zu führen.
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2.3.2.2. Dies zu Grunde gelegt, liegt mit Blick auf die aktuelle Sicherheitslage in der Ukraine bei wertender Betrachtung der Gesamtumstände vorliegend im maßgeblichen Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung für den Antragsteller ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK hinsichtlich der Ukraine vor. In Übereinstimmung mit der aktuellen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts München in Asylsachen (vgl. zuletzt U.v. 7.9.2022 - Az. M 29 K 21.32522; U.v. 31.8.2022 - Az. M 29 K 22.30468; U.v. 3.8.2022 - Az. M 29 K 22.30377; jeweils zu § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) ist aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage in der Ukraine eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Antragstellers dort infolge des Einmarschs der russischen Truppen am 24. Februar 2022 und des sich hieran anschließenden internationalen bewaffneten Konflikts anzunehmen.
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Folgende Umstände sind insoweit maßgeblich: Zwar hat sich Russland aus dem Norden und dem Umfeld der Hautstadt Kiew bereits zurückgezogen und die Ukraine mit einer Gegenoffensive erhebliche Teile im Umfang von mehr als 3.000 km² des ursprünglich von den russischen Truppen besetzten Gebiets im Osten der Ukraine zurückerobert (vgl. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ukraine-stromausfall-isjum-101.html, abgerufen am 27. September 2022). Zum Stand 27. September 2022 führt aber zum einen das Auswärtige Amt in seinem Internetangebot aus: „Der russische Angriff mit Landtruppen konzentriert sich derzeit auf den Osten und den Süden der Ukraine. Auch im Westen der Ukraine gibt es Kämpfe. Im ganzen Land finden Raketen- und Luftangriffe statt, bei denen auch zivile Ziele betroffen sein können. Die russische Marine greift Ziele an der Küste mit Artillerie und Raketen an. In vielen Landesteilen ist die Versorgung mit Lebensmitteln, Medikamenten, Elektrizität und Gas ganz oder teilweise zusammengebrochen, einige Städte und Dörfer sind vollständig eingeschlossen. Überall im Land besteht die Gefahr von nicht explodierter Munition, im Küstenbereich zudem von Seeminen. Nach dem Rückzug der russischen Truppen aus dem Norden des Landes ist dort die Gefahr von Minen und Sprengfallen hoch.“ Darüber hinaus hat der russische Präsident Putin vor dem Hintergrund der erfolgreichen ukrainischen Gegenoffensive eine Teilmobilmachung angeordnet, mit der in Russland zunächst 300.000 zusätzliche Soldaten eingezogen werden sollen. Zugleich wurden Referenden in den russisch besetzten ukrainischen Gebieten abgehalten, um deren Anschluss an Russland vorzubereiten und so weitere ukrainische Gegenoffensiven als Angriff auf russisches Territorium betrachten zu können. Schließlich drohte Präsident Putin mit dem Einsatz von Atomwaffen (vgl. hierzu insgesamt: https://www.rnd.de/politik/ukraine-krieg-putin-ordnet-teilmobilmachung-der-russischen-streitkraefte-an-DWOXIDNMMS3M5SIKD6GQ52D3UY.html, abgerufen am 27. September 2022).
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Es ist daher zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung davon auszugehen, dass sich der Konflikt in naher Zukunft weiter erheblich ausdehnen wird und für den aus der Ostukraine stammenden Antragsteller letztlich im gesamten Land selbst bei Ausbleiben des Einsatzes von Atomwaffen qualitativ individuelle Gefahren für sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit drohen, die einer Abschiebung rechtlich nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK entgegenstehen.
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2.4. Hinsichtlich der Abschiebungsandrohung in Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheids vom 6. Juli 2022 im Übrigen, also soweit dem Antragsteller die Abschiebung in einen anderen Staat angedroht worden ist, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, bleibt der vorliegende Antrag hingegen ohne Erfolg. Insoweit erweist sich die Abschiebungsandrohung als rechtmäßig (§ 59 Abs. 2 Satz 1 HS 2 AufenthG). Abschiebungsverbote in Bezug auf die Ukraine stehen lediglich einer Abschiebungsandrohung in Bezug auf diesen Staat entgegen (vgl. § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Im Übrigen steht dem Erlass der Androhung das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht entgegen.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Antragsteller obsiegte nur teilweise mit Blick auf die Abschiebungsandrohung, hinsichtlich des streitgegenständlichen Bescheids im Übrigen blieb der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung aber erfolglos. Die Kostenaufteilung war daher wie tenoriert zu bemessen.
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, Abs. 2 GKG i.V.m. Nrn.1.5 und 8.1 des Streitwertkatalogs.