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VG München, Urteil v. 24.08.2022 – M 19L DK 22.488
Titel:

Lehrerin nach Verletzung der Dienstleistungspflicht aus Beamtenverhältnis entfernt

Normenkette:
BayDG Art. 11, Art. 14
Leitsätze:
1. Eine schwangere Lehrerin war im Dezember 2020 ungeachtet des die Präsenztätigkeit in der Schule betreffenden Beschäftigungsverbots weiter zur Dienstleistung verpflichtet (hier etwa: Zuarbeit für die sie vertretenden Kolleginnen, Ausführung des virtuellen Startschusses zu Beginn des täglichen Distanzunterrichts, Korrektur von Klassenarbeiten). (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der vorsätzliche Verstoß gegen die Dienstleistungspflicht für die Dauer von gut vier Monaten rechtfertigt die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, wobei der Verstoß gegen die Dienstleistungspflicht im Home-Office dem Verstoß gegen die Dienstleistungspflicht in Präsenz gleichsteht. (Rn. 59 und 63) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Disziplinarklage, Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, Verletzung der Dienstleistungspflicht im Rahmen des betrieblichen Beschäftigungsverbots und des Distanzunterrichts durch Lehrerin im Realschuldienst, Dienstleistungspflicht, Lehrer, schwanger, Beschäftigungsverbot, Präsenz, Homeoffice
Fundstelle:
BeckRS 2022, 27678

Tenor

I. Gegen die Beklagte wird auf die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt mit seiner Disziplinarklage die Entfernung der Beklagten aus dem Beamtenverhältnis. Ihr wird vorgeworfen, ihrer Dienstleistungspflicht im Rahmen des betrieblichen Beschäftigungsverbots vom 2. bis 18. Dezember 2020 und im Rahmen des Distanzunterrichts vom 11. Januar bis zum Beginn des Mutterschutzes am 13. Juni 2021 nicht nachgekommen zu sein.
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1. Nach Abschluss der Allgemeinen Hochschulreife im Juni 2010 studierte die Beklagte an der Universität Bamberg Lehramt Realschule mit den Fächern Deutsch und Musik. Im Frühjahr 2014 bestand sie die Erste Prüfung, im September 2016 die Zweite Staatsprüfung für das Lehramt an Realschulen (Gesamtprüfungsnote 2,79).
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Nachdem sie von September 2017 bis September 2019 auf arbeitsvertraglicher Basis an einer Grundschule tätig war, wurde sie mit Wirkung vom 9. September 2019 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zur Studienrätin im Realschuldienst (Besoldungsgruppe A 13) ernannt und der J.F. Schule, Staatliche Realschule ... zugewiesen. Auf eigenen Antrag wurde sie mit Wirkung vom 1. August 2020 an die L.-F. Schule, Staatliche Realschule ... versetzt, wo sie mit voller Unterrichtszeit die Fächer Deutsch, Musik und Ethik unterrichtete. Mit Wirkung vom 22. September 2020 erfolgte die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit.
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Nach einer ärztlichen Bescheinigung vom 1. Dezember 2020 befand sich die Beklagte zum damaligen Zeitpunkt in der 6./7. Schwangerschaftswoche. Die Bescheinigung wurde am 14. Dezember 2020 präzisiert (9. Schwangerschaftswoche, voraussichtlicher Geburtstermin am 25.7.2021).
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Nach einer weiteren ärztlichen Bescheinigung vom 15. Oktober 2021 war sie zu diesem Zeitpunkt mit ihrem zweiten Kind in der 6. Schwangerschaftswoche mit voraussichtlichem Geburtstermin am 8. Juni 2022.
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Das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus stellte mit Bescheid vom 11. August 2021 in der Fassung des Bescheids vom 10. September 2021 wegen schuldhaften Fernbleibens vom Dienst für den Zeitraum vom 2. Dezember 2020 bis 12. Juni 2021 den Verlust der Besoldung fest.
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Die Beklagte ist ledig und Mutter von zwei Kindern. Sie ist straf- und disziplinarrechtlich nicht vorbelastet.
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2. Das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus informierte die Landesanwaltschaft Bayern - Disziplinarbehörde - mit Schreiben vom 20. Januar 2021 über die nicht erbrachte Dienstleistung der Beklagten und ersuchte um Einleitung eines Disziplinarverfahrens. Die Landesanwaltschaft Bayern leitete mit Verfügung vom 25. Januar 2021 ein Disziplinarverfahren gegen die Beklagte ein und setzte sie mit Schreiben vom selben Tag, adressiert an ihre Adresse in I., hiervon in Kenntnis. Auf Anforderung der Landesanwaltschaft Bayern übersandte das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus mehrfach weitere Informationen und Unterlagen zum Sachverhalt, unter anderem ein am 17. März 2021 erstelltes Persönlichkeitsbild. Mit Schreiben vom 9. November 2021 stellte die Landesanwaltschaft Bayern der Beklagten die Einleitungsverfügung vom 25. Januar 2021 vorsorglich nochmals an ihre Anschrift in B. zu. Mit Verfügung vom 27. Dezember 2021 dehnte sie das Disziplinarverfahren auf weitere Vorwürfe aus und vermerkte das vorläufige Ergebnis der Ermittlungen. Mit Schreiben vom selben Tag setzte sie die Beklagte hiervon in Kenntnis.
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Die Beklagte erhielt in allen Verfahrensabschnitten die Gelegenheit zur Äußerung, von der sie mit Schreiben vom 24. Januar 2022 Gebrauch machte.
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3. Dem Disziplinarverfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
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Das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus erließ angesichts der Corona-Pandemie mit Schreiben vom 15. Juni 2020 für alle schwangeren Beschäftigten des Geschäftsbereichs ein (mehrfach verlängertes) betriebliches Beschäftigungsverbot für eine Tätigkeit in der Schule bzw. Behörde. Schwangere, die über einen Tele- bzw. H.platz verfügten, waren danach weiterhin zur Dienstleistung verpflichtet. Entsprechendes galt bei Lehrerinnen für die Wahrnehmung außerunterrichtlicher Dienstpflichten von zu Hause aus. Diese durften ihren Dienst ausschließlich im Wege von Telearbeit bzw. Home-Office leisten, eine Tätigkeit vor Ort in der Schule bzw. Behörde war untersagt. An der L.-F. Schule waren Lehrerinnen mit Beschäftigungsverbot verpflichtet, während des Distanzunterrichts bzw. Wechselunterrichts den sie vertretenden Kolleginnen und Kollegen zuzuarbeiten, den virtuellen Startschuss zu Beginn des täglichen Distanzunterrichts auszuführen, die Korrekturen von Klassenarbeiten zu übernehmen oder sich in das Fördersystem der Schule einzubringen.
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Die Beklagte legte der Schule am 1. Dezember 2020 eine Bescheinigung über eine bestehende Schwangerschaft vor (6./7. Woche), die an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus weitergeleitet wurde. Das Ministerium beanstandete die Bescheinigung, weil der voraussichtliche Geburtstermin und der letzte Arbeitstag nicht eingetragen waren.
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Am 3. Dezember 2020 informierte die Schulleiterin die Beklagte über die Schulplattform FRIintern über die Kolleginnen, die ihre Deutschklassen übernehmen sollten; sie möge sich mit diesen in Verbindung setzen. Eine Kurzarbeit im Fach Ethik, die sie im Vorfeld angesetzt habe, liege für die Korrektur zur Abholung im Sekretariat bereit. Zudem erfolgte der Hinweis, dass das Ministerium die Schwangerschaftsbescheinigung in der vorliegenden Form nicht akzeptiere.
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Die Beklagte setzte sich in der Folgezeit sporadisch über FRIintern mit den Kolleginnen in Verbindung. Die Kurzarbeit im Fach Ethik holte sie nicht ab. Eine Kontaktaufnahme mit der Schulleitung erfolgte nicht, auch auf deren Anrufe auf ihrem Handy mit der Bitte um Rückruf reagierte sie nicht.
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Nachdem über das Wochenende vom 5./6. Dezember 2020 die Schulaufgabennoten all ihrer Deutschklassen im Notenmanager eingetragen wurden, forderte die Schulleitung sie am 9. Dezember 2020 über FRIintern auf, die drei bereits geschriebenen Schulaufgaben ihrer Deutschklassen in korrigierter Form an die Schule zurückzubringen, damit die Kolleginnen diese mit den Schülern besprechen konnten. Eine Reaktion der Beklagten erfolgte nicht.
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Am 10. Dezember 2020 wurde sie mit Einschreiben an ihre Meldeadresse an ihre Dienstpflichten erinnert. Das Einschreiben konnte nicht zugestellt werden. Bei der Post wurde es nicht abgeholt, weshalb es an die Schule zurückgesandt wurde.
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Auch auf eine Sprachnachricht der Schulleitung am 8. Januar 2021 auf dem Handy mit der Bitte um Rückruf reagierte die Beklagte nicht.
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Auch nach Beginn des Distanzunterrichts am 11. Januar 2021 kam die Beklagte ihren Dienstpflichten nicht nach (Begrüßung der Schüler ihrer Klassen online als virtueller Startschuss, Unterricht zweimal wöchentlich). Die explizite Aufforderung hierzu erfolgte durch den Zweiten Konrektor über FRIintern.
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Am 19. Januar 2021 nahm die Schulleitung mit der frauenärztlichen Praxis der Beklagten Kontakt auf. Die Sprechstundenhilfe versprach, ihr auszurichten, dass sie sich dringend bei der Schule melden solle, da sie ohnehin an diesem Tag einen Untersuchungstermin habe. Am selben Tag traf eine E-Mail der Beklagten mit der inzwischen vollständig ausgefüllten Schwangerschaftsbescheinigung bei der Schule ein. Ein persönliches Gespräch kam jedoch erneut nicht zustande.
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Mit E-Mail vom 22. Februar 2021 ersuchte die Beklagte die Schulleitung, ihr ein Passwort für einen Antrag auf Versetzung zu übermitteln, da sie sich nicht in I. befinde. Mit E-Mail vom selben Tag übersandte die Schulleitung ihr das gewünschte Passwort, fragte, warum sie sich nicht melde und wies sie darauf hin, dass sie momentan schwerste Dienstvergehen begehe.
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Mit Schreiben vom 31. Mai 2021 hörte das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus die Beklagte im Rahmen des Verfahrens auf Verlustfeststellung an, forderte sie auf, ihren Dienst umgehend wieder anzutreten und wies sie darauf hin, dass ihr Verhalten auch disziplinarisch verfolgt werde.
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Im Mai 2021 stellte die Beklagte bei der L.-F. -Realschule einen vorzeitigen Antrag auf Elternzeit. Mit E-Mail vom 1. September 2021 bat sie um Bestätigung hinsichtlich ihrer bereits im Mai beantragten Elternzeit. Die Geburtsurkunde im Original legte sie erst nach weiteren Aufforderungen des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 2. September und 14. Dezember 2021 vor, das daraufhin mit Schreiben vom 22. Februar 2022 die Elternzeit vom 20. September 2021 bis 6. Juli 2024 gewährte.
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4. Die Landesanwaltschaft Bayern erhob am 31. Januar 2022 Disziplinarklage zum Verwaltungsgericht München mit dem Antrag,
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die Beklagte aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.
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Zur Begründung trug sie vor, die Beklagte sei ihrer Dienstleistungspflicht vom 2. bis 18. Dezember 2020 im Rahmen des betrieblichen Beschäftigungsverbots und vom 11. Januar bis zum Beginn des Mutterschutzes am 13. Juni 2021 im Rahmen des Distanzunterrichts nicht nachgekommen. Hierdurch habe sie folgende Dienstpflichtverletzungen begangen:
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1. Durch die unterlassene Dienstleistung habe sie gegen Art. 95 Abs. 1 Satz 1 Bayerisches Beamtengesetz (BayBG), ihre Pflicht zur ordnungsgemäßen Dienstausübung nach § 34 Satz 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG in der bis 6.7.2021 geltenden Fassung) und ihre Pflicht zur Ausführung dienstlicher Anordnungen nach § 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG verstoßen. Die Dienstleistungspflicht schwangerer Beschäftigter sei durch das KMS vom 15. Juni 2020 klar geregelt und an der L.-F. Schule hinreichend konkretisiert gewesen; außerdem habe die Beklagte insoweit konkrete Weisungen erhalten. Im Falle einer möglichen Dienstunfähigkeit hätte sie sich krank melden müssen.
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2. Dadurch, dass die Beklagte sämtliche Rückrufbitten der Schulleitung ignoriert habe und unter ihrer Meldeadresse nicht erreichbar gewesen sei, habe sie gegen ihre Pflicht zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten nach § 34 Satz 3 BeamtStG und ihre Pflicht zur Ausführung dienstlicher Anordnungen verstoßen. Auch wenn sie eine von der Schulleiterin erhaltene E-Mail als schroff empfunden habe, hätte sie den Kontakt nicht einfach einstellen dürfen.
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3. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Ausführung dienstlicher Anordnungen sei auch darin zu sehen, dass die Beklagte der Aufforderung der Schulleitung, die drei bereits geschriebenen Schulaufgaben ihrer Deutschklassen korrigiert an die Schule zurückzubringen, ignoriert habe.
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4. Indem die Beklagte der mehrfachen Aufforderung, einen Elternzeitantrag mit den zugehörigen Unterlagen, insbesondere der Geburtsurkunde im Original, zu stellen, nicht bzw. verspätet nachgekommen sei und die Elternzeit am 20. September 2021 ohne Genehmigung angetreten habe, habe sie gegen ihre Pflicht zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten und ihre Pflicht zur Ausführung dienstlicher Anordnungen verstoßen.
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Sie habe bei allen Verstößen vorsätzlich gehandelt.
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Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme sei dem Verstoß gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Dienstausübung das größte Gewicht beizumessen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei das Gebot, überhaupt zum Dienst zu erscheinen, Grundpflicht jedes Beamten. Wenn ein Beamter vier Monate oder länger unerlaubt dem Dienst fernbleibe, sei danach die Höchstmaßnahme auszusprechen. Dieser Zeitraum werde hier überschritten, auch wenn man die Osterferien und die Pfingstferien außer Acht lasse und als wahr unterstelle, dass die Beklagte ab 6. Juni 2021 aufgrund eines vorzeitigen Blasensprungs im Krankenhaus gewesen sei. Als zusätzliche Verfehlungen mit disziplinarischer Relevanz träten die unter Nr. 2 bis 4 dargestellten Dienstpflichtverletzungen hinzu. Zu Gunsten der Beklagten seien ihr Bedauern und die unangenehmen Begleiterscheinungen der Schwangerschaft zu berücksichtigen. Das Persönlichkeitsbild vom 17. März 2021 sei überwiegend zu ihren Lasten zu werten. In der Gesamtschau sei ein endgültiger Vertrauensverlust eingetreten und deshalb die Höchstmaßnahme angezeigt und auch nicht unverhältnismäßig.
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Die Beklagte bat - ohne konkrete Antragstellung - um eine milde Disziplinarmaßnahme. Sie trug vor, sie bereue ihr Verhalten sehr. Im Dezember 2020 sei sie ob der Schwangerschaft von unterschiedlichen Gefühlen überwältigt gewesen. Ihr sei nicht klar gewesen, wie sie sich hinsichtlich des Beschäftigungsverbots zu verhalten habe. Sie habe dann eine sehr schroffe E-Mail ihrer Chefin erhalten und danach nicht mehr den Mut aufgebracht, mit dieser in Kontakt zu treten. Wegen der mit der Übelkeit verbundenen Schwangerschaft und Differenzen in der Beziehung sei die Schule schließlich in den Hintergrund getreten. Aufgrund eines vorzeitigen Blasensprungs habe sie die Zeit vom 6. Juni bis 11. Juli 2021 im Krankenhaus verbringen müssen. Bei der Entbindung am 7. Juli 2021 seien Komplikationen aufgetreten.
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Sie habe nicht gewusst, welche Unterlagen zu ihrem Antrag auf Elternzeit sie vorlegen müsse. Vielleicht hätte sie auch telefonisch nachfragen können.
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Sie habe Anfang Dezember 2020 die Übergabe der Klassen koordiniert und die Eltern ihrer Klasse per E-Mail informiert Die meisten Lehrkräfte hätten keine zusätzlichen Materialien erhalten wollen.
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Sie habe vorgehabt, die Schulaufgaben zurückzubringen, habe dies jedoch nicht organisieren können.
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Ein Zugriff auf die Plattform FRIintern sei ihr später aus unerklärlichen Gründen nicht mehr möglich gewesen. Sie hätte natürlich Kontakt mit dem Konrektor aufnehmen können.
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Da sie die meiste Zeit nicht zu Hause in I. gewesen sei und niemand den Briefkasten geleert habe, weil sie nicht damit gerechnet habe, dass wichtige Post dorthin geschickt werde, habe sie länger nichts von den Briefen der Schule oder des Ministeriums gewusst.
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Aus heutiger Sicht würde sie vieles anders machen und sich aktiver zeigen. Sie bitte darum, von der Höchstmaßnahme abzusehen. Sie müsse den Lebensunterhalt ihrer Familie mit zwei Kindern finanzieren. Der Beruf der Lehrerin sei ihr Traumberuf.
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Auf Bitte des Gerichts präzisierte die Landesanwaltschaft Bayern mit Schreiben vom 12. August 2022 die Abwesenheitszeiten der Beklagten.
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Zur mündlichen Verhandlung am 24. August 2022 erschien die Beklagte nicht. Die Landesanwaltschaft Bayern wiederholte ihren Antrag.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Disziplinarakte, die Personalakte der Beklagten und die Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

42
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (Art. 3 Bayerisches Disziplinargesetz - BayDG, § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).
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Gegen die Beklagte wird auf die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt (Art. 11 BayDG).
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1. Das Disziplinarverfahren weist in formeller Hinsicht keine Mängel auf. Insbesondere wurde der Beklagten in allen Verfahrensabschnitten die Gelegenheit zur Äußerung eingeräumt. Es ist - trotz gelegentlich aufgetretener Zustellungsschwierigkeiten - nicht ersichtlich und wurde von ihr auch nicht vorgetragen, dass sie eines der Anhörungsschreiben nicht erhalten hat.
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2. Das Gericht legt der Beklagten - wie in der Disziplinarklage zugrunde gelegt - einen Verstoß gegen ihre Dienstleistungspflicht vom 2. bis 18. Dezember 2020 im Rahmen des betrieblichen Beschäftigungsverbots und vom 11. Januar bis 12. Juni 2021 im Rahmen des Distanzunterrichts zur Last. Am 13. Juni 2021 begann ihr Mutterschutz.
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Bis 18. Dezember 2020 wurde an den allgemeinbildenden Schulen jedenfalls für die Abschlussklassen Präsenzunterricht veranstaltet. Vom 21. Dezember 2020 bis 10. Januar 2021 waren (vorgezogene) Weihnachtsferien. Vom 11. Januar bis 12. Juni 2021 fand - mit wenigen Ausnahmen - aufgrund der coronabedingt geltenden Infektionsschutzregelungen an den Schulen in I. Distanzunterricht statt. Näheres ergibt sich aus dem Schreiben der Landesanwaltschaft Bayern vom 12. August 2022.
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Die Beklagte war aufgrund des KMS vom 15. Juni 2020, das ein betrieblichen Beschäftigungsverbot für schwangere Beschäftigte vorsah, infolge ihrer seit 1. Dezember 2020 nachgewiesenen Schwangerschaft von der Abhaltung von Präsenzunterricht befreit. Ungeachtet des die Tätigkeit in der Schule betreffenden Beschäftigungsverbots war sie jedoch weiter zur Dienstleistung verpflichtet, unabhängig davon, ob an der Schule als Reaktion auf die Corona-Pandemie Distanzunterricht oder Wechselunterricht stattfand. Konkret an der L.-F. Schule waren Lehrerinnen mit Beschäftigungsverbot verpflichtet, während des Distanzunterrichts und des Wechselunterrichts den sie vertretenden Kolleginnen zuzuarbeiten, den virtuellen Startschuss zu Beginn des täglichen Distanzunterrichts auszuführen, die Korrekturen von Klassenarbeiten zu übernehmen oder sich in das Fördersystem der Schule einzubringen.
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Diese Aufgaben hat die Beklagte nicht wahrgenommen, was sich aus den Unterlagen in der Disziplinarakte und der Personalakte hinreichend nachvollziehen lässt und von ihr selbst auch nicht in Abrede gestellt wird. Sie ist ihrer Verpflichtung zur Dienstleistung vom 2. bis 18. Dezember 2020 (gut 2 Wochen) und vom 11. Januar bis 12. Juni 2021 (5 Monate) und damit über eine Zeit von rund 5,5 Monaten nicht nachgekommen. Selbst wenn man von dieser Zeit die Osterferien 2021 (2 Wochen) und die Pfingstferien 2021 (2 Wochen) abzieht - die Faschingsferien 2021 fielen coronabedingt aus - und Dienstunfähigkeit während des Krankenhausaufenthalts ab 6. Juni 2021 bis zum Beginn des Mutterschutzes am 13. Juni 2021 (1 Woche) unterstellt, liegt ein Verstoß gegen die Dienstleistungspflicht für eine Dauer von mehr als vier Monaten vor.
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Im Rahmen dieses Verstoßes hat die Beklagte auf mehrfache Schreiben, E-Mails und Rückrufbitten der Schulleitung nicht reagiert, eine Kurzarbeit im Fach Ethik nicht zur Korrektur abgeholt und drei bereits geschriebene Schulaufgaben ihrer Deutschklasse nicht korrigiert an die Schule zurückgebracht.
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Hinzu kommt, dass sie den Elternzeitantrag für ihr erstes Kind mangels Vorlage der Geburtsurkunde im Original nicht ordnungsgemäß gestellt und die Elternzeit am 20. September 2021 ohne Genehmigung angetreten hat. Diesen Verstoß klammert das Gericht jedoch aus dem Verfahren aus, weil er für die auszusprechende Disziplinarmaßnahme nicht maßgeblich ins Gewicht fällt (Art. 54 Satz 1 BayDG).
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3. Mit ihrem Verhalten hat die Beklagte gegen ihre Pflicht zur ordnungsgemäßen Dienstausübung nach § 34 Satz 1 BeamtStG, ihre Pflicht zur Ausführung dienstlicher Anordnungen nach § 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG und ihre Pflicht zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten nach § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen. Auf die detaillierten Ausführungen in der Disziplinarklage (S. 10 bis 12) wird verwiesen.
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Hinsichtlich der Dienstleistungspflicht eines Beamten stehen die Dienstleistung in Präsenz am Dienstort und die Dienstleistung im Home-Office am Wohnort oder an einem anderen zulässigen und geeigneten Ort gleichwertig nebeneinander. Angestoßen durch die Corona-Pandemie und möglich durch eine Weiterentwicklung der Digitalisierung nimmt die Arbeit aus dem Home-Office einen immer größeren Stellenwert in der Arbeitswelt ein, auch im Öffentlichen Dienst. Im Hinblick darauf muss sich der Dienstherr darauf verlassen können, dass der Beamte auch bei der Arbeitsform des Home-Office jederzeit erreichbar ist und seine Aufgaben zuverlässig, rechtzeitig, eigenständig und in unverminderter Qualität erledigt. Der für den Beamten durch das Home-Office gewonnenen Individualität, Flexibilität und Zeitersparnis durch Wegfall des Arbeitsweges steht das Interesse des Dienstherrn an uneingeschränkter Aufgabenerfüllung gegenüber. Damit geht es einher, dass ein Verstoß gegen die Dienstleistungspflicht im Home-Office nicht anders zu ahnden ist als ein Verstoß gegen die Dienstleistungspflicht in der Schule oder im Büroalltag. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Arbeit aus dem Home-Office aus freien Stücken gewählt wurde oder - wie hier - aufgrund eines betrieblichen Beschäftigungsverbots besteht.
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Gegen die Dienstleistungspflicht hat die Beklagte verstoßen, indem sie einerseits „abgetaucht ist“ und für sämtliche Kontaktversuche der Schule nicht mehr erreichbar war, andererseits aber auch online keinen Beitrag zum Distanzunterricht oder Wechselunterricht geleistet hat. Eine ausreichende Rechtfertigung für ihr Verhalten kann weder in einer möglicherweise als schroff empfundenen E-Mail der Schulleiterin noch in der Unkenntnis ihrer konkreten Verpflichtungen oder in organisatorischen oder technischen Schwierigkeiten der Beklagten gesehen werden. Als Lehrerin in der Besoldungsgruppe A 13 war von ihr zu erwarten, dass sie eine möglicherweise angespannte Stimmung mit der Schulleiterin bereinigt, sich über ihre Pflichten erkundigt und auch sonstige Schwierigkeiten aus dem Weg räumt.
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4. Der Verstoß gegen die Dienstleistungspflicht und sämtliche anderen genannten Pflichten begründet eine innerdienstliche Dienstpflichtverletzung, weil das pflichtwidrige Verhalten in das Amt der Beklagten und in ihre dienstlichen Pflichten eingebunden war (BVerwG, U.v. 10.12.2015 - 2 C 6.14 - juris Rn. 11).
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5. Der Beklagten ist Vorsatz anzulasten. Die Schulleitung hat sie mehrfach konkret zur Dienstleistung oder jedenfalls zur Kontaktaufnahme aufgefordert, so bereits am 3. Dezember 2020 über FRIintern, mit Einschreiben vom 10. Dezember 2020, das ihr aufgrund von in ihrer Sphäre liegenden Umständen nicht zugestellt werden konnte, mit Sprachnachricht auf ihrem Handy am 8. Januar 2021 und selbst über einen Anruf in ihrer Frauenarztpraxis am 19. Januar 2021. Mit E-Mail der Schulleitung vom 22. Februar 2021 und Anhörungsschreiben vom 31. Mai 2021 im Verfahren der Verlustfeststellung wurde sie explizit auf die Schwere der Dienstpflichtverletzung hingewiesen. Es ist daher davon auszugehen, dass die Beklagte hinsichtlich sämtlicher Tatumstände mit Wissen und Wollen gehandelt hat.
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6. Ihr Fehlverhalten wiegt schwer i.S.v. Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG. Es hat zur Folge, dass sie das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren hat. Deshalb ist nach Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG auf die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme zu erkennen.
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6.1. Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens, der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, dem Persönlichkeitsbild des Beamten und dem bisherigen dienstlichen Verhalten zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerwG, U.v. 10.12.2015 - 2 C 6.14 - juris Rn. 12; U.v. 18.6.2015 - 2 C 9.14 - juris Rn. 25; BayVGH, U.v. 5.10.2016 - 16a D 14.2285 - juris Rn. 55). Gegenstand der disziplinarrechtlichen Bewertung ist die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrecht zu erhalten (BayVGH, U.v. 29.6.2016 - 16b D 13.993 - juris Rn. 36).
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Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis setzt voraus, dass der Beamte durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat (Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG). Ein endgültiger Vertrauensverlust ist eingetreten, wenn aufgrund der Gesamtwürdigung der bedeutsamen Umstände der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig seinen Dienstpflichten nicht ordnungsgemäß nachkommen oder aufgrund seines Fehlverhaltens sei eine erhebliche, nicht wieder gutzumachende Ansehensbeeinträchtigung eingetreten (BayVGH, U.v. 11.5.2016 - 16a D 13.1540 - juris Rn. 67).
59
6.2. Der vorsätzliche Verstoß gegen die Dienstleistungspflicht für die Dauer von gut vier Monaten rechtfertigt die Entfernung der Beklagten aus dem Beamtenverhältnis.
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Das Bundesverwaltungsgericht (U.v. 6.5.2003 - 1 D 26.02 - juris Rn. 54 f.) führt insoweit aus:
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„Das Gebot, überhaupt zum Dienst zu erscheinen, ist, wie der Senat in ständiger Rechtsprechung betont, Grundpflicht eines jeden Beamten … Ohne die pflichtgemäß, d.h. im verbindlich festgelegten Umfang und nach Maßgabe der Dienstpläne zu erbringende Dienstleistung ihrer Mitarbeiter wäre die Verwaltung nicht imstande, die ihr gegenüber der Allgemeinheit obliegenden Aufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen. Deshalb kann einem Beamten, der ohne triftigen Grund nicht zum vorgeschriebenen Dienst erscheint, nicht mehr das Vertrauen entgegengebracht werden, das für eine gedeihliche Zusammenarbeit unerlässlich ist. Verweigert ein Beamter den Dienst für einen längeren Zeitraum oder wiederholt - auch für kürzere Zeitspannen -, so ergibt sich die Notwendigkeit, das Beamtenverhältnis einseitig zu lösen, regelmäßig schon aus der Dauer der Dienstverweigerung selbst sowie aus dem Umstand, dass das Erfordernis der Dienstleistung und damit die Bedeutung ihrer Unterlassung für jedermann leicht zu erkennen ist. Setzt sich der Beamte gleichwohl über diese Erkenntnis hinweg, offenbart er ein so hohes Maß an Verantwortungslosigkeit, Pflichtvergessenheit und Mangel an Einsicht in die Notwendigkeit einer geordneten Verwaltung, dass in aller Regel seine Entfernung aus dem Dienst die Folge sein muss.
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Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Senat die Höchstmaßnahme stets in den Fällen ausgesprochen, in denen der Beamte ununterbrochen vier Monate oder länger unerlaubt vorsätzlich dem Dienst ferngeblieben war.“
63
Hier hat die Beklagte über gut vier Monate keine Dienstleistung erbracht. Der Verstoß gegen die Dienstleistungspflicht im Home-Office steht dem Verstoß gegen die Dienstleistungspflicht in Präsenz gleich. Aufgrund der Bedeutung und der leichten Einsehbarkeit der Pflicht, überhaupt zum Dienst zu erscheinen - bzw. überhaupt Dienst zu leisten -, offenbart ein Verstoß über einen derart langen Zeitraum ein besonders hohes Maß an Verantwortungslosigkeit und Pflichtvergessenheit. Daher ist in diesen Fällen die Entfernung aus dem Dienst grundsätzlich Ausgangspunkt der Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme (BVerwG, U.v. 12.11.2020 - 2 C 6.19 - juris Rn. 22).
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Hier belastet die Beklagte insbesondere, dass sie ihr Fehlverhalten fortgesetzt hat, obwohl ihr durch wiederholte konkrete Aufforderungen, Hinweise und Warnungen ihre Verpflichtung zur Kontaktaufnahme und zur Dienstleistung klar vor Augen geführt wurde. Selbst die Einleitung des Disziplinarverfahrens mit Verfügung vom 25. Januar 2021 und die Mitteilung hiervon mit Schreiben vom selben Tag, dessen Erhalt sie bislang nicht dementiert hat, haben sie nicht zum Einlenken bewogen.
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7. Anhaltspunkte für das Vorliegen von durchgreifenden Milderungsgründen sind nicht erkennbar.
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Angesichts der Schwere des Dienstvergehens kann die Tatsache, dass die Beklagte straf- und disziplinarrechtlich nicht vorbelastet ist, nicht zum Ausspruch einer milderen Disziplinarmaßnahme führen. Ein solches Verhalten stellt lediglich den Regelfall dar, führt bei einem derart gravierenden Fehlverhalten aber nicht zum Absehen von der angemessenen Maßnahme. Gleiches würde auch für sehr gute dienstliche Leistungen gelten (BayVGH, U.v. 18.3.2015 - 16a D 09.3029 - juris Rn. 96), die hier jedoch nicht vorliegen, wie sich aus dem Persönlichkeitsbild vom 17. März 2021 ergibt, dem sich allenfalls durchschnittliche Leistung der Beklagten entnehmen lassen.
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8. Die Entfernung der Beklagten aus dem Beamtenverhältnis ist auch nicht unverhältnismäßig. Die Entfernung eines aktiven Beamten aus dem Beamtenverhältnis als disziplinare Höchstmaßnahme verfolgt neben der Wahrung des Vertrauens in die pflichtgemäße Aufgabenerfüllung durch die öffentliche Verwaltung auch die Zwecke der Generalprävention, der Gleichbehandlung und der Wahrung des Ansehens des öffentlichen Dienstes. Ist durch das Gewicht des Dienstvergehens und mangels durchgreifender Milderungsgründe das Vertrauen endgültig zerstört und kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, der Beamte werde dem Gebot, seine Aufgaben pflichtgemäß zu erfüllen, Rechnung tragen, erweist sich die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als erforderliche und geeignete Maßnahme, den aufgezeigten Zwecken der Disziplinarmaßnahme Geltung zu verschaffen (ausführlich BayVGH, U.v. 11.10.2017 - 16a D 15.2758 - juris Rn. 56).
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Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG. Die Beklagte, gegen die im Verfahren der Disziplinarklage auf eine Disziplinarmaßnahme erkannt wurde, trägt die Kosten des Verfahrens.