Inhalt

VG München, Urteil v. 25.08.2022 – M 17 K 19.2634
Titel:

Rechtswidrige Rückforderung von Beihilfeleistungen wegen gesetzlicher Krankenversicherung in Österreich

Normenketten:
BayVwVfG Art. 48
BayBG Art. 96 Abs. 2 S. 3, S. 5
BayBesG Art. 13, Art. 15 Abs. 2
BGB § 818
Leitsätze:
1. Der Beihilfeausschluss des Art. 96 Abs. 2 S. 3 und S. 5 BayBG erfasst nicht nur eine gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland, sondern grundsätzlich jede Art der gesetzlichen Krankenversicherung (hier: in Österreich). (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Tilgung der Honorarforderungen von Ärzten führt als Tilgung von Schulden nicht zur Entreicherung. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es liegt ein Ermessensfehlgebrauch im Rahmen der Billigkeitsentscheidung vor, wenn ausgezahlte Beihilfen von über 150.000 Euro mit einer Zahlungsfrist von gut zwei Monaten zurückgefordert werden, ohne dass sich die Behörde mit dem hohen Alter des Beihilfeberechtigten, seinen konkreten Einkommensverhältnissen und Lebensumständen sowie damit auseinandersetzt, wann und auf welche Weise der Beihilfeberechtigte von der Krankenversicherung seiner Frau erfahren hat. (Rn. 78 – 79) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beihilfe, Berechtigung, gesetzliche Krankenversicherung, Österreich, Rücknahme, Vertrauensschutz, Entreicherung, Rückforderung, Billigkeitsentscheidung, Ermessensfehlgebrauch
Fundstelle:
BeckRS 2022, 27661

Tenor

I. Der Bescheid des Beklagten vom 24. November 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. April 2019 wird in Ziff. 2 aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens trägt der Kläger 2/10 und der Beklagte 8/10.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich als Rechtsnachfolger seines am … 2017 verstorbenen beihilfeberechtigten Onkels gegen die Rücknahme von Beihilfebescheiden sowie die Rückforderung von Beihilfezahlungen, die diesem für Aufwendungen seiner Ehe … gewährt wurden. Zugleich begehrt er von dem Beklagten die Zahlung von 28.654,86 €.
2
Mit 62 Beihilfebescheiden im Zeitraum vom ... 2004 bis ... 2014 gewährte der Beklagte für Aufwendungen der Ehe ... des Beihilfeberechtigten Beihilfe in Höhe von insgesamt 153.663,17 €. Diese war seit 1. November 2003 als Mitglied der ... in Österreich krankenversichert.
3
Am 23. September 2014 erhielt der Beklagte in einem Telefongespräch erstmals Kenntnis von der Mitgliedschaft der Ehe ... in der ... Bis zu diesem Zeitpunkt war man von einer privaten Krankenversicherung der Ehe ... ausgegangen.
4
Mit Schreiben vom 13. November 2014 (Bl. 15 f. der Behördenakte - BA) wies der Beklagte den Beihilfeberechtigten darauf hin, dass die Beihilfe für die Ehe ... aufgrund deren Versicherung in der ... seit 1. November 2003 teilweise rechtswidrig festgesetzt worden sei. Der Anspruch sei gemäß Art. 96 Abs. 2 BayBG auf Leistungen für Zahnersatz, für Heilpraktiker und auf Wahlleistungen im Krankenhaus beschränkt gewesen. Die zu Unrecht erbrachten Leistungen müssten grundsätzlich zurückgefordert werden. Zur genauen Ermittlung der zu viel gezahlten Beihilfe wurde um die Vorlage der entsprechenden Rechnungsbelege gebeten. Der Beihilfeberechtigte wurde gebeten, sich bezüglich einer rückwirkenden Erstattung der Aufwendungen durch die ... mit dieser in Verbindung zu setzen. Dem Beihilfeberechtigten wurde Gelegenheit zur Äußerung gegeben.
5
Mit Schreiben vom 9. Dezember 2014 (Bl. 19 d. BA) wurden dem Beklagten Rechnungskopien für die Behandlungen der Ehe ... ab November 2003 übersandt.
6
Mit E-Mail vom 11. Dezember 2014 (Bl. 21 d. BA) bat der Beklagte den Beihilfeberechtigten erneut, sich mit der ... wegen etwaiger rückwirkender Erstattungen in Verbindung zu setzen. Mit Schreiben vom 2. Februar 2015 (Bl. 24 d. BA) teilte der Beihilfeberechtigte dem Beklagten mit, dass diese einen direkten Kontakt mit dem Beklagten wünsche. Mit Schreiben vom 12. März 2015 (Bl. 26 f. d. BA) wandte sich der Beklagte an die ... und ersuchte um die grundsätzliche Zusage der Erstattung der zu Unrecht gezahlten Leistungen in dem Umfang wie sie von der Krankenkasse für die Ehe … als Mitglied gewährt worden wären. Mit Schreiben vom 14. April 2015 (Bl. 35 d. BA) teilte die ... dem Beklagten mit, dass dem Ansuchen mangels tauglicher Rechtsgrundlage nicht entsprochen werden könne.
7
Dies wurde dem Beihilfeberechtigten mit Schreiben vom 1. Juli 2015 (Bl. 36 f. d. BA) mitgeteilt. Er wurde gebeten, Ansprüche gegenüber der Krankenkasse selbst geltend zu machen. Der Beihilfeberechtigte wurde darauf hingewiesen, dass der Beklagte die Rücknahme der rechtswidrigen Beihilfebescheide und die Rückforderung von nunmehr genau ermittelten 153.663,17 € beabsichtige. Es wurde erneut Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Beklagte setzte bis 15. September 2015 eine Frist für den Beihilfeberechtigten, die zur Ermessensabwägung hinsichtlich des Rückforderungsanspruches die wirtschaftlichen und Einkommensverhältnisse darzulegen.
8
Mit Schreiben vom 9. Oktober 2015 (Bl. 39 d. BA) bot der Beihilfeberechtigte die Vorlage der Steuerbescheide an. Er führte aus, dass er in der von seiner Ehe ... geerbten Wohnung lebe. Mit E-Mail vom 15. Oktober 2015 (Bl. 40 d. BA) erhob er die Einrede der Verjährung.
9
Aus einem Aktenvermerk des Beklagten vom 30. Oktober 2015 (Bl. 41 d. BA) geht hervor, dass der Beklagte es für die Billigkeitsprüfung für erforderlich hielt, den Beihilfeberechtigten nochmals aufzufordern, seine Einkommensverhältnisse genau darzulegen und Angaben darüber zu machen, in welchem Umfang er Rückzahlungen leisten könne.
10
Mit Schreiben vom 6. November 2015 (Bl. 42 d. BA) bat der Beklagte den Beihilfeberechtigten um detaillierte Darlegung der Einkommensverhältnisse und Übersendung der Einkommenssteuerbescheide für die Kalenderjahre 2012 bis 2014 sowie um Angabe, in welchem Umfang Rückzahlungen (z.B. Teilzahlungen, laufende monatliche Zahlungen) geleistet werden könnten.
11
Mit Schreiben vom 3. Dezember 2015 (Bl. 46 d. BA) übersandte der Beihilfeberechtigte die angeforderten Steuerbescheide. Hinsichtlich der Frage der Rückzahlungen könne er nicht konkret antworten, da er nicht wisse, von welchem Betrag er ausgehen solle.
12
Aus einer behördeninternen E-Mail vom … 2016 (Bl. 51 d. BA) geht hervor, dass der Beihilfeberechtigte angeschrieben werden solle und ihm die Auffassung der Rechtsabteilung dargelegt werden solle. Der E-Mail-Verkehr fand zwischen … und dem Abteilungsleiter ... statt.
13
Am 9. November 2016 (Bl. 52 d. BA) wurde ein Aktenvermerk angefertigt. Dieser stellt darauf ab, dass im Rahmen der Rückforderung eine Billigkeitsentscheidung zu treffen sei. Die Einräumung einer monatlichen Ratenzahlung von 400,00 € werde mit Blick auf das Alter des Beihilfeberechtigten und die gesamten Umstände des Einzelfalls als angemessen angesehen.
14
Mit behördeninterner E-Mail vom 18. November 2016 (Bl. 55 f. d. BA) wurde darauf hingewiesen, dass die letzte Mitteilung des Beihilfeberechtigte zur Darlegung seiner Vermögensverhältnisse am 7. Dezember 2015 beim Beklagten eingegangen sei. Es sei daher beabsichtigt, den Rückforderungsbescheid spätestens am 24. November 2016 zu versenden, um nicht die Entscheidungsfrist des Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG zu überschreiten. Es wurde weiterhin eine monatliche Ratenzahlung von 400,00 € angeregt.
15
Mit Bescheid vom 24. November 2016 (Bl. 67 ff. d. BA) nahm der Beklagte in Ziffer 1 62 Beihilfebescheide über die Gewährung einer Beihilfe in Höhe von insgesamt 153.663,17 € zurück. Gleichzeitig verpflichtete der Beklagte in Ziffer 2 den Beihilfeberechtigten, 153.663,17 € zu zahlen. Zur Begründung trug der Beklagte vor, dass im zurückgenommenen und zurückgeforderten Umfang im Zeitraum vom ... 2004 bis ... 2014 zu Unrecht Beihilfe für Aufwendungen der Ehe ... des Beihilfeberechtigten gewährt worden sei. Der Beihilfeanspruch der Ehe ... sei aufgrund deren Pflichtversicherung bei der … seit 2003 gemäß Art. 96 Abs. 2 Satz 5 BayBG auf Leistungen für Zahnersatz, für Heilpraktiker und auf Wahlleistungen im Krankenhaus beschränkt gewesen. Der Beklagte stellte den Umfang der Rücknahme differenziert nach Beihilfebescheid, Rechnungsdatum, Rechnungsbetrag, beihilfefähige Aufwendungen und überzahlter Beihilfe dar. Auf Vertrauensschutz könne sich nicht berufen werden, da die Verwaltungsakte durch Angaben erwirkt worden seien, die in wesentlicher Beziehung unvollständig gewesen seien. Mangels entsprechender Anzeige sei man bis September 2014 aufgrund des Vorliegens eines entsprechenden Versicherungsnachweises der privaten Krankenversicherung von einer rein privaten Krankenversicherung der Ehe ... ausgegangen. Auf einen Wegfall der Bereicherung könne sich der Beihilfeberechtigte nicht berufen, da der Mangel des rechtlichen Grundes so offensichtlich gewesen sei, dass er ihn hätte erkennen müssen. Die Mitgliedschaft in der ... sei bekannt gewesen. In den Beihilfeanträgen werde regelmäßig explizit nach anderen Ansprüchen auf Krankenhilfe bzw. Kostenerstattung gefragt. Der Rückforderungsanspruch sei nicht verjährt bzw. erloschen, da Art. 71 AGBGB bzw. Art. 13 BayBesG für den Fristbeginn auf das Entstehen des Anspruchs, also die Rücknahme der rechtswidrigen Bescheide, abstellen würden. Ein Absehen von der Rückforderung aus Billigkeitsgründen nach Art. 15 Abs. 2 Satz 3 BayBesG komme nicht in Betracht, da die Überzahlung aufgrund der Verletzung von Anzeigepflichten entstanden sei (Nr. 15.2.11.1 Satz 5 BayVwVBesG). Auch die offengelegten wirtschaftlichen Verhältnisse würden keine andere Entscheidung rechtfertigen.
16
Hiergegen legte der Bevollmächtigte des Beihilfeberechtigten mit Schreiben vom 16. Dezember 2016 Widerspruch ein (Bl. 85 d. BA). Dieser wurde mit Schreiben vom 26. Januar 2017 (Bl. 88 ff. d. BA) kurz begründet und sich auf Verfristung im Sinne von Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG berufen. Darüber hinaus könne die Versicherung der Ehe ... in der ... nicht mit einer deutschen Krankenversicherung gleichgesetzt werden. Bei der Inanspruchnahme von Wahlärzten werde nur ein Teil der Kosten erstattet. Es werde bestritten, dass die Leistungen durch wesentlich unrichtige Angaben erwirkt worden seien und Vertrauensschutz ausgeschlossen sei. Weiterhin werde die Einrede der Entreicherung erhoben. Die Verjährung beginne nicht erst mit Erlass des Rückforderungsbescheides.
17
Am … 2017 verstarb der Beihilfeberechtigte und wurde von seinem Neffen, dem Kläger im hiesigen Verfahren, als Alleinerben beerbt (Bl. 145 d. BA).
18
Mit Schreiben vom 28. Mai 2018 (Bl. 134 d. BA) teilte die ... dem Beklagten mit, dass nach den gesetzlichen und satzungsmäßigen Bestimmungen für den Krankenhausaufenthalt der Ehe ... des Beihilfeberechtigten vom ... 2013 bis ... 2014 ein Anspruch auf Pflegekostenzuschuss in Höhe von 28.654,86 € bestehe. Der Zuschuss decke alle in einer Krankenanstalt erbrachten Leistungen im Rahmen der Allgemeinen Gebührenklasse für diesen konkreten Zeitraum ab. Darüber hinaus bestünden keine weiteren Ansprüche gegenüber der ...Mit Schreiben vom 22. Mai 2018 (Bl. 139 f. d. BA) wandte sich der Klägerbevollmächtigte an den Beklagten und erhob die Einrede der Verjährung. Der Nachlass des Beihilfeberechtigten bestehe im Wesentlichen aus einer Eigentumswohnung in Villach. Der Wert der Wohnung sei begrenzt. Der Klägerbevollmächtigte gehe zwar davon aus, dass der Wert der Wohnung die bislang geltend gemachte Rückforderungshöhe übersteige, aber kein wesentlich darüber liegender Nachlasswert gegeben sei.
19
Am … 2018 gingen beim Beklagten die angekündigten 28.654,86 € von der … ein (Bl. 136 ff. d. BA).
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Mit Schreiben vom 21. Januar 2019 (Bl. 149 f. d. BA) erhob der Klägerbevollmächtigte die Einrede der Verwirkung. Im Rahmen der Billigkeitserwägungen solle berücksichtigt werden, dass der Beihilfeberechtigte selbst davon ausgegangen sei, dass keine Anzeigepflicht bestehe. Er habe in guten Glauben gehandelt. Es sei zu berücksichtigten, dass die Eheleute in Österreich gelebt und keinen direkten Rechtsbezug bzw. Informationsbezug zu den zugrundeliegenden deutschen Rechtsgrundlagen gehabt hätten. Ferner habe der Kläger unmittelbar mit dem Verfahrensgegenstand nichts zu tun gehabt. Für ihn würde die Rückzahlung eine besondere Härte bedeuten, zumal die Erbauseinandersetzung mit dem Miterben zu einer weiteren finanziellen Belastung des Nachlasses geführt habe.
21
Schließlich begründete der Klägerbevollmächtigte den erhobenen Widerspruch mit Schreiben vom 6. März 2019 (Bl. 154 ff. d. BA) weiter. Die Eheleute hätten sich im Jahr 2003 getrennt und getrennte Wohnungen gehabt. Die Ehe ... des Beihilfeberechtigten habe Ende der 90-er Jahre einen Minijob in Österreich angenommen, in dessen Zusammenhang wohl eine Krankenversicherung abgeschlossen worden sei. Das österreichische Krankenversicherungssystem sei differenziert zum deutschen Versicherungssystem zu sehen. Die für die Ehe ... abgeschlossene Krankenversicherung habe nur Kassenleistungen abgedeckt. Der Beihilfeberechtigte habe von den versicherungsvertraglichen Angelegenheiten seiner ab 2003 getrenntlebenden Ehe ... keine konkrete Kenntnis gehabt. Der Beihilfeberechtigte habe den Beklagten nicht arglistig getäuscht. Die von dem Beklagten zur Gewährung von Beihilfe vorgelegten Rechnungen seien der ... nicht vorgelegt bzw. von dieser erstattet worden. Es liege keine doppelte Bezahlung vor. Der Beklagte habe die Situation der Eheleute aus jahrelanger Sachbearbeitung gekannt. Ihm sei klar gewesen, dass die vorgelegten Rechnungen Wahlleistungsrechnungen betrafen, nicht hingegen Kassenleistungen. Hinsichtlich der Wahlleistungen habe insbesondere bezüglich stationärer Behandlungen in Deutschland von vorneherein keine Vergütungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse in Österreich bestanden. Die Sachbearbeitung bei der Beihilfestelle habe gewusst, dass die Ehe ... des Beihilfeberechtigten österreichische Staatsangehörige gewesen sei und dass dort eine Krankenversicherung für sie bestanden habe. Über die Jahre habe sich ein Vertrauensgrundsatz herausgebildet. Die erhobene Einrede der Entreicherung beruhe darauf, dass sich die Beihilfezahlungen nicht im Vermögen des Beihilfeberechtigten wiedergespiegelt hätten. Es seien Rechnungen an behandelnde Ärzte und Institutionen bezahlt worden. Der Beihilfeberechtigte wäre nicht in der Lage gewesen, Rückzahlungen zu leisten, da sein Jahreseinkommen bei ca. 35.000,00 € brutto gelegen habe. Hätte der Beihilfeberechtigte um die Situation gewusst, hätte er die Zahlungen steuerlich als Sonderausgaben absetzen können. Schließlich überwiege das öffentliche Interesse nicht, da auf Seiten des Beihilfeberechtigten keine Vermögensmehrung vorgelegen habe. Mit den Beihilfezahlungen seien nur Erstattungen vorgenommen worden, also Ausgleichszahlungen für tatsächlich erbrachte Geldabflüsse und Kosten.
22
Der Widerspruch gegen den Rücknahme- und Rückforderungsbescheid vom 24. November 2016 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 8. April 2019 zurückgewiesen (Bl. 160 ff. d. BA). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die gesetzliche Krankenversicherung in Österreich mit der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung vergleichbar sei. Art. 96 Abs. 2 Satz 5 BayBG i.V.m. § 6 BayBhV finde Anwendung. Ein Unterschied bestehe darin, dass in Österreich die Krankenkassen nicht frei gewählt werden könnten, sondern sich in erster Linie nach dem Wohnort und der zugehörigen Berufsgruppe richtete. Bezüglich der Leistungen bestünden für unselbstständige Erwerbstätigte Geldleistungen und für alle Versicherten ein breites Spektrum von Sachleistungen. Diese würden von ärztlicher Hilfe, Krankenhausbehandlung, Rehabilitationsmaßnahmen, Vorsorgeuntersuchungen bis Arzneimittel und Heilbehandlungen reichen. Bei verschreibungspflichtigen Medikamenten bestünde grundsätzlich eine Rezeptgebühr. Auch für Behandlungen im Ausland bestünde nach europäischen Vorschriften, die in Österreich Anwendung fänden, in bestimmten Fällen die Möglichkeit von Leistungsgewährung. Dies zeige schließlich im Fall der Ehe ... der Krankenhausaufenthalt im ... im Jahr 2013/2014, für den von Seiten der ... ein Pflegekostenzuschuss in Höhe von 28.654,76 € gezahlt worden sei. Unter Berücksichtigung dieser Leistung, die dem Beklagten am ... 2018 zugingen, bestünde nach wie vor eine Überzahlung von 125.008,31 €, die zurückgefordert würde. Im Rahmen des Vertrauensschutzes der Rücknahme sei es unerheblich, ob den Beihilfeberechtigten ein Verschulden treffe. Die Jahresfrist des Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG habe erst mit Eingang des Schreibens vom 3. Dezember 2015 zu laufen begonnen. Es genüge nicht, lediglich von der genauen Höhe der Überzahlung Kenntnis zu haben. Um einen Rückforderungsbescheid erlassen zu können, müsse auch im Vorfeld entschieden werden, ob aus Billigkeitsgründen ganz oder teilweise von der Rückforderung abgesehen werde. Ein Rückforderungsbescheid dürfe nach der Rechtsprechung des BVerwG, U. v. 15.12.1993 - 10 A 1.91 nicht ergehen, ohne dass eine Billigkeitsentscheidung getroffen worden sei. Die Rechtsfehlerhaftigkeit der Billigkeitsentscheidung habe die Rechtswidrigkeit der Rückforderungsentscheidung zur Folge. Der Beklagte habe erst im Dezember 2015 Auskunft über die Vermögensverhältnisse des Beihilfeberechtigen erhalten. Die Berufung auf den Wegfall der Bereicherung im Rahmen der Rückforderung komme nicht in Betracht, da der Beihilfeberechtigte durch die Zahlung der Beihilfe eigene Aufwendungen erspart habe, die er ansonsten aus seinem eigenen Vermögen hätte bestreiten müssen. Ein Fall von Verwirkung liege nicht vor. Der Beklagte habe weder gegenüber dem verstorbenen Beihilfeberechtigten noch gegenüber dem Kläger deutlich gemacht, dass er von der ihm zustehenden Rücknahmebefugnis keinen Gebrauch machen würde.
23
Hiergegen hat der Klägerbevollmächtigte am 8. Mai 2019 Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg erhoben. Mit Beschluss vom 27. Mai 2019 hat sich das angerufene Gericht für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Bayerische Verwaltungsgericht München verwiesen.
24
Der Klägerbevollmächtigte beantragte,
I. Der Bescheid des Landesamts für Finanzen vom 24. November 2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 8. April 2019 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger 28.654,86 € zu bezahlen nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit 6. März 2019.
25
Zur Begründung der Klage wiederholte der Klägerbevollmächtigte die im Widerspruchsverfahren vorgebrachten Erwägungen. Mit Klageantrag II werde die Rückzahlung des vom Beklagten vereinnahmten und verrechneten Betrages nebst Zinsen gefordert. Hinsichtlich der Frist des Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG führte der Klägerbevollmächtigte aus, dass der Beklagte mit Schreiben vom 1. Juli 2015 in Kenntnis sämtlicher Rechnungsbelege den exakten Rückforderungsbetrag von 153.663,17 € genannt habe. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sei die Jahresfrist ausgelöst worden. Mit Schreiben vom 15. Oktober 2015 habe der Beihilfeberechtigte noch die Einrede der Verjährung erhoben. Der Verweis des Beklagten auf die Notwendigkeit einer Billigkeitsprüfung vor Erlass des Rückforderungsbescheids sei nicht geeignet, die Jahresfrist des Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG zu beseitigen. Für die Jahresfrist komme es nicht auf die Kenntnis des finalen Sachbearbeiters an, insbesondere auch dann nicht, wenn innerhalb der Organisation bzw. Behörde eine Reihe von Beurteilungsmaßnahmen erfolgt seien bis hin zu Weisungen des Abteilungsleiters. Alle Vorüberlegungen und internen Organisationsmaßnahmen würden Sachverhaltskenntnis voraussetzen.
26
Der Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
27
Zur Begründung verwies der Beklagte auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Der streitgegenständliche Bescheid sei von … … auf Weisung der zuständigen Referats- bzw. Abteilungsleitung verfasst und vom zuständigen Abteilungsleiter Herr … unterschrieben worden. Aufgrund der Komplexität des Sachverhalts sei der Vorgang Ende Juli 2016 an … als zentraler Widerspruchssachbearbeiter und kommissarischer Vertreter der Referatsleitung abgeben worden. Die im Geschäftsverteilungsplan genannten „Sonderaufgaben“ für alle Arbeitsgruppen in der Zuständigkeit des … … hätten schwierige Sachverhalte wie z.B. den streitgegenständlichen umfasst. Aufgrund der QE 2 Qualifikation der Arbeitsgruppenleiter seien Vorgänge, die etwas tieferer rechtlicher Betrachtung oder verwaltungsrechtlicher Ausformulierung bedurft hätten, nach entsprechender Vorarbeit durch die Arbeitsgruppenleiter als „Sonderaufgaben“ an die Zentrale Widerspruchsstelle abgegeben worden. Die Vorarbeiten zu Sachverhaltsermittlung ab dem Jahr 2014 seien durch die zuständige Arbeitsgruppenleitung … … und Herr … in Zusammenarbeit mit der Referatsleitung Fr. … und … … durchgeführt worden.
28
Der Beklagte hat mit Schreiben vom 19. Mai 2021, der Vertreter des Klägers mit Schreiben vom 1. September 2021 auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung verzichtet.
29
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

Entscheidungsgründe

30
Über den Rechtsstreit konnte im schriftlichen Verfahren nach § 101 Abs. 2 VwGO entschieden werden, da die Parteien auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung verzichtet haben.
31
Die zulässige Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die Anfechtungsklage (Klageantrag I) und die allgemeine Leistungsklage (Klageantrag II) können von der Klagepartei in einer Klage verfolgt werden, § 44 VwGO.
32
Der angefochtene Bescheid vom 24. November 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. April 2019 ist in Ziffer I (Rücknahme) rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) (vgl. hierzu Textziffer I, Rn. 36 ff.)). Ziffer 2 (Rückforderung) des streitgegenständlichen Bescheids ist hingegen rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. hierzu Textziffer II, Rn. 66 ff.). Der Kläger hat allerdings keinen Anspruch auf Zahlung von 28.654,86 € nebst Zinsen (vgl. hierzu Textziffer III, Rn. 86 ff.).
33
I. Die teilweise Rücknahme der 62, im streitgegenständlichen Bescheid unter Ziffer 1 konkretisierten Beihilfebescheide des Zeitraums ... 2014 bis ... 2014 ist rechtmäßig.
34
Die Rücknahme aller Bescheide konnte auf Grundlage des Art. 48 BayVwVfG erfolgen. Gemäß Art. 48 Abs. 1 VwVfG, der ergänzend neben Art. 13, 5 Abs. 2 BayBG i.V.m. Art. 15 BayBesG anwendbar ist (VG München, U.v. 23.2.2017 - M 17 K 16.3883 - juris Rn. 13), kann ein begünstigender rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
35
1. Die durch den streitgegenständlichen Bescheid aufgehobenen Beihilfebescheide sind im zurückgenommenen Umfang rechtswidrig.
36
Nach Art. 86a Abs. 2 Satz 3, 5 Bayerisches Beamtengesetz (BayBG) vom 25. Mai 2018 in Fassung der Bekanntmachung vom ... 1998 sowie Art. 96 Abs. 2 Satz 3, 5 Bayerisches Beamtengesetz (BayBG) vom 2* ... 2008 erfolgt keine zusätzliche Gewährung von Beihilfeleistungen, wenn die finanziellen Folgen von Krankheit, Geburt, Pflege und Gesundheitsvorsorge durch Leistungen aus anderen Sicherungssystemen dem Grunde nach abgesichert sind; Sachleistungen sind vorrangig in Anspruch zu nehmen. Der Anspruch auf Beihilfeleistungen ist bei Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung beschränkt auf Leistungen für Zahnersatz, für Heilpraktiker und auf Wahlleistungen im Krankenhaus.
37
Im Fall des Beihilfeberechtigten waren die Leistungen der Beihilfe für seine Ehe ... im streitgegenständlichen Zeitraum auf Leistungen für Zahnersatz, für Heilpraktiker und auf Wahlleistungen im Krankenhaus beschränkt. In diesem Umfang wurden Beihilfebescheide auch nicht zurückgenommen.
38
Ein weitergehender Beihilfeanspruch bestand nicht. Aus Art. 86a Abs. 2 Satz 3 BayBG a.F. bzw. Art. 96 Abs. 2 Satz 3 BayBG wird deutlich, dass die Gewährung von Beihilfe grundsätzlich subsidiär ist. Eine Gewährung ist ausgeschlossen, wenn die finanziellen Folgen von Krankheit durch Leistungen aus anderen Sicherungssystemen dem Grunde nach abgesichert sind. Für Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung enthält Art. 86a Abs. 2 Satz 5 BayBG a.F. bzw. Art. 96 Abs. 2 Satz 5 BayBG eine Rückausnahme hinsichtlich von Leistungen für Zahnersatz, für Heilpraktiker und für Wahlleistungen im KrankenhausHintergrund der Regelung ist, dass Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung u.a. bei Krankheit Anspruch auf ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Leistungen haben, die das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (vgl. § 12 Abs. 1 SGB V). Der individuelle Status des Kassenmitglieds, d.h. ob es sich um ein Pflicht- oder freiwilliges Mitglied handelt, ist dabei unerheblich. Die Leistungen erbringen die Krankenkassen als Sach- und Dienstleistungen (vgl. § 2 Abs. 2 SGB V). Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung haben damit Anspruch auf eine nach den Regeln der ärztlichen Kunst und dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnissen ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche ärztliche, zahnärztliche bzw. psychotherapeutische Behandlung (vgl. §§ 72 ff. SGB V) einschließlich der Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln (vgl. §§ 31 bis 34 SGB V). Den Vertragsärzten kommt die Befugnis zu, Auswahl, Zusammenstellung und Häufigkeit der Verordnungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen nach pflichtgemäßem Ermessen innerhalb des durch das Gesetz und die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (vgl. § 92 SGB V) vorgegebenen Rahmens zu bestimmen. Damit werden auch Leistungen, die durch Festbeträge begrenzt sind, vom Bereich der Sachleistungen erfasst. Somit sind alle Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung umfassend abgesichert. Angesichts des lediglich ergänzenden Charakters der Beihilfe bleibt bei Beihilfeberechtigten und berücksichtigungsfähigen Angehörigen, die Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung sind, aufgrund einer umfassenden anderweitigen Absicherung des Kostenrisikos kaum noch Raum mehr für ergänzende Beihilfeleistungen (Mildenberger, Beihilferecht in Bund, Ländern und Kommunen, Stand: 1. April 2022, Bd. 2, Anm. 4(1) zu § 6 Abs. 1 BayBhV).
39
Entscheidungserheblich ist allein die Frage, ob im jeweiligen System - z.B. innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung - die Behandlung der jeweiligen Erkrankung als Sachleistung möglich ist (Mildenberger, Beihilferecht in Bund, Ländern und Kommunen, Stand: 1. April 2022, Bd. 2, Anm. 2(1) zu § 6 Abs. 1 BayBhV).
40
Zwar war die Ehe … des Beihilfeberechtigten nicht in Deutschland gesetzlich krankenversichert. Allerdings ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 86a Abs. 2 Satz 3, 5 BayBG a.F. bzw. Art. 96 Abs. 2 Satz 3, 5 BayBG nicht, dass nur eine gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland zum Beihilfeausschluss führt. Vielmehr erfasst der Wortlaut der Norm grundsätzlich jede Art der gesetzlichen Krankenversicherung. In Zusammenschau mit Satz 3 wird deutlich, dass die Gewährung von Beihilfe dann subsidiär ist, wenn eine Absicherung dem Grunde nach besteht.
41
Eine Absicherung der finanziellen Folgen von Krankheit durch Leistungen aus anderen Sicherungssystemen dem Grunde nach war im Fall der Ehe ... des Beihilfeberechtigten durch die gesetzliche Krankenversicherung in der ... gegeben.
42
Die gesetzliche Krankenversicherung in Österreich trifft vor allem Vorsorge für die drei zentralen Versicherungsfälle der Krankheit, der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit und der Mutterschaft. Darüber hinaus gewährt die Krankenversicherung Leistungen für Zahnbehandlungen und Zahnersatz sowie Hilfe bei körperlichen Gebrechen und trifft Vorsorge für medizinische Maßnahmen der Rehabilitation. Die Krankenversicherung gewährt ihre Leistungen entweder als Sachleistungen oder als Geldleistungen. Die Krankenbehandlung muss ausreichend und zweckmäßig sein, sie darf jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Die ärztliche Hilfe wird durch Vertragsärzte und Vertrags-Gruppen-Praxen, durch Wahlärzte und Wahl-Gruppenpraxen sowie durch Ärzte in eigenen Einrichtungen oder Vertragseinrichtungen des Krankenversicherungsträgers gewährt (Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Überblick über die gesetzliche Krankenversicherung in Österreich, 19.4.2017, S. 19, 20, 22, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/510386/0ca22d9e04d7f80653a5ec8a1fa3c2ef/wd-9-003-17-pdf-data.pdf, letzter Zugriff am 26.7.2022). Wahlärzte sind dabei solche, die keinen Einzelvertrag mit der Krankenversicherung des Versicherten abgeschlossen haben. Der Versicherte ist dem Wahlarzt aufgrund des Behandlungsvertrags selbst zur Zahlung des Honorars verpflichtet; ggf. besteht ein Kostenerstattungsanspruch gegen die Krankenversicherung (Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Überblick über die gesetzliche Krankenversicherung in Österreich, 19.4.2017, S. 33; https://www.gesundheitskasse.at/cdscontent/?contentid=10007.870516& portal=oegkportal, zuletzt abgerufen am 26.7.2022). Nahezu ein Drittel der frei praktizierenden Ärzte sind Allgemeinmediziner, knapp zwei Drittel davon mit Kassenvertrag. Die Hälfte sind Fachärzte, davon sind etwas mehr als ein Drittel Kassenärzte. Von den Zahnmedizinern, die knapp ein Fünftel der Ärzteschaft ausmachen, haben mehr als drei Viertel einen Kassenvertrag (Bundesministerium Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz, Das österreichische Gesundheitssystem, Aktualisierte Auflage 2019, S. 19, abrufbar unter: https://broschuerenservice.sozialministerium.at/Home/Download?publicationId=636, zuletzt abgerufen am 26.7.2022). Die Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen in Österreich zeichnet sich durch die freie Wahl der Dienstleister und den uneingeschränkten Zugang zu allen Versorgungsebenen (Allgemeinmediziner, Fachärzte und Krankenhäuser) aus. Österreich hat einen sehr großen stationären Sektor (Europäische Kommission, Österreich Länderprofil Gesundheit 2021, S. 10, abrufbar unter: https://health.ec.europa.eu/system/files/2021-12/2021_chp_at_german.pdf, zuletzt abgerufen am 26.7.2022). Die Krankenversicherung gewährt als Heilmittel die notwendigen Arzneien und die sonstigen Mittel, die zur Beseitigung oder Linderung der Krankheit oder zur Sicherung des Heilerfolgs dienen. Die Kosten der Heilmittel werden vom Träger der Krankenversicherung durch Abrechnung mit den Apotheken übernommen (Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Überblick über die gesetzliche Krankenversicherung in Österreich, 19.4.2017, S. 23).
43
Die Klagepartei tritt der „Vergleichbarkeit“ des deutschen und des österreichischen Systems der gesetzlichen Krankenversicherung vorrangig mit dem Argument entgegen, dass in Österreich bei der Inanspruchnahme von Wahlärzten nur ein Teil der Kosten erstattet werden würde und die gesetzliche Krankenversicherung nur Kassenleistungen abdecke. Ob und inwieweit darin mit Blick auf das (auch) in Deutschland praktizierte System von (von den Krankenkassen) zugelassenen Ärzten und reinen Privatärzten ohne Kassenzulassung überhaupt ein relevanter Unterschied zu sehen ist, kann dahinstehen. Art. 86a Abs. 2 Satz 3, 5 BayBG a.F. bzw. Art. 96 Abs. 2 Satz 3, 5 BayBG verlangen eine Absicherung der finanziellen Folgen von Krankheit dem Grunde nach. Dass Rechnungen von Wahlärzten nicht (voll) erstattet werden, steht angesichts der möglichen Versorgung durch Kassenärzten der Absicherung dem Grunde nach nicht entgegen. Die Behandlung der Erkrankung muss - wie oben ausgeführt - im jeweiligen Sicherungssystem als Sachleistung möglich sein. Dass dies im Falle der Ehe ... des Beihilfeberechtigten nicht möglich gewesen sein sollte, wurde weder vorgetragen noch ist dies aus gerichtlicher Sicht ersichtlich. Die Klagepartei führte im Widerspruchsverfahren aus, dass es sich bei den bei der Beihilfestelle eingereichten Rechnungen um Wahlleistungen im Sinne des österreichischen Krankenversicherungssystems gehandelt habe, da ansonsten keine Rechnungen ausgestellt worden wären. Aus dem pauschalen Vortrag, dass die Ehe ... „auf Grund des schweren Krankheitsbilds“ bestimmte spezielle Ärzte und Leistungen in Anspruch nehmen musste und sich in diesem Zusammenhang auch zur stationären Behandlung nach München begeben musste, ändert hieran nichts. Der Wunsch nach einer Behandlung durch einen Wahl- bzw. Privatarzt, möglicherweise verbunden mit der Hoffnung auf eine „bessere“ Behandlung, stellt die Absicherung „dem Grunde nach“ nicht in Frage. Auch erstattete die ... Kosten für die stationäre Krankenhausbehandlung in Deutschland, wie die Überweisung vom ... 2018 zeigt.
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Die Beihilfebeschränkung des Art. 96 Abs. 2 Satz 5 BayBG steht auch mit höherrangigem Recht in Einklang; insbesondere gebietet die Fürsorgepflicht des Dienst ... kein anderes Ergebnis. Angesichts des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers im Beihilferecht sind Beihilfeausschlüsse bzw. -beschränkungen, wie sie etwa Art. 96 Abs. 2 Satz 5 BayBG vorsieht, mit Bundes- und Landesverfassungsrecht - namentlich mit der Fürsorgepflicht des Dienst ... aus Art. 33 Abs. 5 GG bzw. Art. 95 Abs. 1 Satz 2 der Bayerischen Verfassung (BV), dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bzw. Art. 118 Abs. 1 BV und dem aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 3 Abs. 1 BV folgenden Grundsatz des Vertrauensschutzes - vereinbar (stRspr; vgl. BayVerfGH, E.v. 8.10.2012 - Vf. 14-VII-07 - juris Rn. 26 ff.; BVerwG, U.v. 15.12.2005 - 2 C 35.04 - juris Rn. 27 ff.; BVerfG-K, B.v. 13.2.2008 - 2 BvR 613/06 - juris Rn. 13 ff.; BayVGH, B.v. 3.8.2015 - 14 ZB 14.1178 - juris Rn. 7 ff.; BayVGH, B.v. 26.5.2011 - 14 BV 09.3028 - juris Rn. 19 ff.).
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2. Der Kläger kann der Rücknahme der rechtswidrigen Beihilfebescheide auch kein schutzwürdiges Vertrauen entgegenhalten.
46
Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der wie die zugrundeliegende Beihilfebescheide eine einmalige Geldleistung gewährt, darf gemäß Art. 48 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstige auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (Art. 48 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG).
47
a) Zwar ist die Berufung auf schutzwürdiges Vertrauen nicht gemäß Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG ausgeschlossen. Ob die vom Beihilfeberechtigten gemachten Angaben in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren, lässt sich nicht aufklären. Dem Gericht liegen die den zurückgenommenen Beihilfebescheiden zugrundeliegenden ausgefüllten Antragsformulare nicht vor und konnten vom Beklagten auch nicht vorgelegt werden. Es mag zwar naheliegend sein, dass die Beihilfestelle die Beihilfe im entsprechenden Umfang nicht gewährt hätte, wenn der Beihilfeberechtigte zutreffende Angaben zur gesetzlichen Krankenversicherung der Ehe ... in Österreich gemacht hätte. Diese Vermutung genügt - gerade im Hinblick auf die Beihilfegewährung als „Massenverfahren“ - jedoch nicht, um von unrichtigen oder unvollständigen Angaben auszugehen. Die Behörde trägt die Beweislast für Umstände, die eine Berufung des Begünstigten auf Vertrauen ausschließen (BVerwG, U.v. 27.9.1982 - 8 C 62.81 - juris Rn. 12).
48
b) Allerdings ist das Bestandsvertrauen des Klägers nicht schutzwürdig. Nach Art. 48 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht hat oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Das ist vorliegend nicht der Fall.
49
Der Verbrauch einer Leistung ist dabei unter Anwendung der zu § 818 BGB entwickelten Grundsätze zu bewerten. Die Bezugnahme in Art. 48 Abs. 2 Satz 5 BayVwVfG auf die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung lässt die Schlussfolgerung zu, dass insoweit die Grundsätze Anwendung finden, die zum Umfang des Bereicherungsanspruchs (§ 818 BGB) entwickelt worden sind. Gemäß § 818 Abs. 3 BGB ist die Verpflichtung zur Herausgabe oder zum Ersatz des Wertes (§ 818 Abs. 2 BGB) ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist. Der Begriff „Wegfall der Bereicherung“ ist dabei nicht nach rechtlichen, sondern nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten durch einen saldenmäßigen Vergleich des Aktiv- und des Passivvermögens zu beurteilen. Der Bundesgerichtshof geht folglich in ständiger Rechtsprechung mit der herrschenden Meinung davon aus, dass sich der zur Herausgabe verpflichtete Empfänger einer Leistung dann nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen kann, wenn er mit dem Erlangten Anschaffungen getätigt oder den Betrag ganz oder teilweise zur Schuldentilgung verwendet hat. Verbraucht ist eine Geldleistung u.a. dann, wenn der zu Unrecht gezahlte Betrag für eine verhältnismäßig geringfügige Verbesserung der Lebensführung ausgegeben wird, nicht aber, wenn er ganz oder teilweise zur Schuldentilgung oder für Anschaffungen verwendet wird, die wertmäßig noch im Vermögen des Begünstigten vorhanden sind (BVerwG, U.v. 28.1.1993 - 2 C 15/91 - juris Rn. 11 f. m.w.N.) Von Entreicherung kann nur dann gesprochen werden, wenn das ursprünglich Erlangte nicht mehr vorhanden ist (VG München, U.v. 17.12.2015 - M 17 K 15.2786 - juris Rn. 45).
50
Im vorliegenden Fall wurde die gewährte Beihilfe nach dem Vortrag der Klagepartei zur Deckung der Heilbehandlungskosten der Ehe ... verwendet. Es seien Rechnungen an behandelnde Ärzte und Institutionen bezahlt worden; es habe sich um Ausgleichszahlungen für tatsächlich erbrachte Geldabflüsse gehandelt (vgl. Schreiben vom 6.3.2019, Bl. 154 ff. d. BA). Die hiermit geschilderte Tilgung der Honorarforderungen der Ärzte und damit Tilgung von Schulden führt nach der Definition des gesetzlichen Begriffs nicht zur Entreicherung. Die überzahlte Beihilfe war ursächlich für die Schuldentilgung (vgl. hierzu auch VG München, U.v. 17.12.2015 - M 17 K 15.2786 - juris Rn. 46; Schwab in MüKo, 8. Aufl. 2020, § 818 Rn. 194).
51
3. Die Rücknahme der Beihilfebewilligung scheidet nicht aufgrund der in Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG normierten Frist aus. Nach Art. 48 Abs. 4 Satz 1 BayVwVfG ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt, zu dem die Behörde von den Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, zulässig.
52
Die Jahresfrist beginnt dabei erst zu laufen, wenn der nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung für die Rücknahme zuständige Amtsträger (vgl. BVerwG, B.v. 19.12.1984 - GrSen 1.84 - juris Rn. 22; VGH BW, U.v. 17.10.2013 - 9 S 123/12 - juris Rn. 76) positive und vollständige Kenntnis aller die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen hatte und keine Notwendigkeit mehr für eine weitere Aufklärung oder für irgendwelche Überlegungen hinsichtlich der Rücknahme bestand (VG München, U.v. 23.2.2017 - M 17 K 16.3883 - juris Rn. 23). Demnach handelt es sich bei Art. 48 Abs. 4 Satz 1 BayVwVfG nicht um eine Bearbeitungsfrist, sondern um eine Entscheidungsfrist (BVerwG, U.v. 28.6.2012 - 2 C 13.11 - juris Rn. 27; BayVGH, B.v. 9.11.2015 - 14 ZB 14.2079 - juris Rn. 7).
53
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze begann die Jahresfrist im vorliegenden Fall erst im Juli 2016 mit Abgabe des Sachverhalts an … … zu laufen und war im Zeitpunkt des Bescheiderlasses am 24. November 2016 noch nicht verstrichen. Zwar ist nach den vorgelegten Unterlagen davon auszugehen, dass das Landesamt für Finanzen am 1. Juli 2015 (vgl. Anhörungsschreiben auf Bl. 36 f. d. BA) Kenntnis vom Umfang der zu treffenden Rücknahmeentscheidung hatte und mit Ablauf der bis 15. September 2015 gesetzten Stellungnahmefrist (vgl. BVerwG, U.v. 20.9.2001 - 7 C 6.01 - juris Rn. 13) die Jahresfrist grundsätzlich zu laufen hätte beginnen können. Allerdings war nach dem innerbehördlichen Geschäftsverteilungsplan Herr … für „Sonderaufgaben“ aus allen Arbeitsgruppen zuständig. Nachvollziehbar sind die Ausführungen des Beklagten, dass es sich beim streitgegenständlichen Sachverhalt aufgrund dessen Komplexität und aufgrund der konkreten Qualifikation der Arbeitsgruppenleiter um eine in den Zuständigkeitsbereich des … … fallende „Sonderaufgabe“ handelte. Das vom Beklagten beschriebene Vorgehen, Vorarbeit durch die zuständige Arbeitsgruppenleitung ... und Herr … in Zusammenarbeit mit der Referatsleitung Fr. … und ... und Abgabe an … … als für die Rücknahme zuständigen Amtswalter nach Abschluss der Vorarbeiten lässt sich anhand der vorgelegten Behördenakten nachvollziehen. So wird die Einbeziehung des … … mit E-Mail vom ... 2016 (Bl. 51 d. BA) aktenkundig; eine vorherige Beteiligung des … … an dem streitgegenständlichen Sachverhalt ergibt sich aus den Akten nicht.
54
Da es aus Sicht des Gerichts auf die positive und vollständige Kenntnis des … … ankommt, braucht die Frage, ob die Anhörungen und Ermittlungen zu den Einkommensverhältnissen des Beihilfeberechtigten dem Beginn der Lauf der Jahresfrist entgegenstanden, nicht beantwortet werden. Hieran bestehen mit Blick auf die Tatsache, dass die Einkommensverhältnisse allein für die Billigkeitsprüfung im Rahmen der Rückforderung maßgeblich sein dürften (so auch der Beklagte selbst, vgl. insb. Bl. 36 f., 41, 52 d. BA sowie die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid zur Rückforderungsentscheidung) durchaus Zweifel. Bei der Rücknahme- und der Rückforderungsentscheidung handelt es sich um zwei getrennte Verwaltungsakte (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2017 - 5 C 4.16 - juris Rn. 41) mit zwei unterschiedlichen Rechtsgrundlagen. Das vom Beklagten zitierte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Dezember 1993 (10 A 1.91) beschäftigt sich allein mit einer Rückforderungsentscheidung. Dass eine solche nicht ohne Billigkeitsentscheidung ergehen darf und es für eine solche der Kenntnis der Vermögensverhältnisse des Beihilfeberechtigten bedarf, wird auch vom erkennenden Gericht nicht in Frage gestellt. Allerdings bezieht sich die Jahresfrist des Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG allein auf die Rücknahmeentscheidung, in deren Zusammenhang eine Billigkeitsentscheidung gerade nicht zu treffen ist und dementsprechend keine Kenntnis von den Vermögensverhältnissen des Beihilfeberechtigten notwendig sein dürfte. Der Beklagte hätte vielmehr zunächst einen (isolierten) Rücknahmebescheid und nach weiteren Ermittlungen und unter Berücksichtigung der Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 BayBesG i.V.m. Art. 13 und Art. 5 Abs. 2 BayBG später einen (isolierten) Rückforderungsbescheid erlassen können.
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4. Das dem Beklagten auf Rechtsfolgenseite zustehende Ermessen wurde ordnungsgemäß ausgeübt. Hierbei prüft das Gericht, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist, § 114 Satz 1 VwGO. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
56
Zwar liegt kein Tatbestand des Art. 48 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG und damit kein Fall des intendierten Ermessens vor (vgl. BayVGH, U.v. 15.3.2001 - 7 B 00.107 - juris Rn. 30 ff.).
57
Allerdings hat der Beklagte das ihm zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt.
58
Das „Programm“ für die Ausübung des Ermessens ist durch die Strukturvorgaben des Art. 48 für viele praktisch relevante Fallgestaltungen bereits weitgehend determiniert: Bei begünstigenden Geld- und Sachleistungsverwaltungsakten sind die gegen die Rücknahme sprechenden Gesichtspunkte vielfach schon bei der Frage zu prüfen, ob der Begünstigte auf den Verwaltungsakt vertraut hat und ob dieses Vertrauen schutzwürdig ist (Abs. 2 Satz 1) (Müller in Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, Stand: 1.4.2022, § 48 Rn. 41).
59
Der Beklagte ging davon aus, dass nach Abwägung der vorgetragenen Gesichtspunkte das öffentliche Interesse an der Herstellung der Rechtmäßigkeit überwiegt. Bezug nimmt diese Abwägung auch auf den vorigen Absatz, wonach ein besonders begründetes Bestandsvertrauen im vorliegenden Fall nicht ersichtlich sei und daher das Interesse der öffentlichen Verwaltung am ordnungsgemäßen und rechtmäßigen Gesetzesvollzug überwieg. In die Ermessensabwägung eingestellt wurde auch das Gebot zur sparsamen Haushaltsführung.
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6. Das Recht zur Rücknahme ist auch nicht verwirkt.
61
Für die Annahme einer Verwirkung reicht nicht nur ein bestimmter Zeitablauf aus, sondern die Behörde muss den Anschein erweckt haben, dass sie das Recht zur Rücknahme nicht mehr ausüben wird. Ein Unterlassen der Behörde ist dann gleichzusetzen, wenn der Betroffene das Unterlassen als Verzicht deuten kann (Kastner in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 48 VwVfG Rn. 66 m.w.N.). Dem ist vorliegend nicht so. Der Beklagte erhielt erstmals im September 2014 Kenntnis von der Krankenversicherung der Ehefrau in der ..., der Bescheid wurde am 24. November 2016 erlassen. In den zwei dazwischenliegenden Jahren gab es zahlreichen Schriftverkehr zwischen dem Beklagten und dem Beihilfeberechtigte. Der Beklagte gab in keinem Zeitpunkt Anlass zur Annahme, dass er sein Rückforderungsrecht nicht ausüben werde. Im Gegenteilt, es wurden zahlreiche Dokumente angefordert und der Kontakt mit der ... übernommen.
62
II. Die Rückforderung der überzahlten Beihilfe ist allerdings rechtswidrig.
63
Gemäß Art. 15 Abs. 2 BayBesG i.V.m. Art. 13 und Art. 5 Abs. 2 BayBG richtet sich die Rückforderung zu viel gezahlter Beihilfe nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung, also nach den §§ 812ff. BGB.
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1. Zwar ist der Kläger gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zur Herausgabe der gezahlten Beihilfeleistungen als „Erlangtes Etwas“ verpflichtet. Mit rechtmäßiger Rücknahme der 62 Beihilfebescheiden ist der rechtliche Grund hierfür weggefallen.
65
2. Auch eine Berufung auf den Wegfall der Bereicherung i.S.v. § 818 Abs. 3 BGB ist nicht möglich.
66
a) Sie ist von vorne herein aufgrund verschärfter Haftung ausgeschlossen.
67
Verschärft haftet gemäß § 819 Abs. 1 BGB derjenige, der den Mangel des rechtlichen Grundes bei Empfang kannte oder ihn später erfuhr. Dies ist zwar angesichts des klägerischen Vortrags, dass er keine positive Kenntnis von der Krankenversicherung der Ehefrau in Österreich gehabt hab, nicht der Fall.
68
Der Kenntnis des Mangels des rechtlichen Grundes der Zahlung steht es allerdings gleich, wenn der Mangel so offensichtlich war, dass der Empfänger oder die Empfängerin ihn hätte erkennen müssen, Art. 15 Abs. 2 Satz 2 BayBesG. Der Mangel des Rechtsgrundes ist für den Empfänger dann offensichtlich, wenn er ihn nur deshalb nicht erkannt hat, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht gelassen hat oder er den Fehler etwa durch Nachdenken oder logische Schlussfolgerung hätte erkennen müssen. Zwar kommt es für das Erkennenmüssen auf die individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des Beamten an. Diese These jedoch darf nicht dahin missverstanden werden, dass es in das Belieben des Beamten gestellt wäre, ob und inwieweit er sich mit den für ihn bedeutsamen rechtlichen Zusammenhängen vertraut macht (BVerwG, U.v. 26.4.2012 - 2 C 4.11 - juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 31.10.2019 - 3 ZB 19.1936 - juris Rn. 5). Nach dem Vortrag der Klagepartei lebten die Ehegatten seit 2003 getrennt (vgl. Bl. 158 d. BA). Die Annahme eines Minijobs erfolgte allerdings nach dem Vortrag der Klagepartei schon Ende der 90-er Jahre (vgl. Bl. 158 d. BA), und damit vor der vorgetragenen Trennung. Die Bedeutung, die der Beklagte dem Versicherungsstatus derjenigen Personen beimisst, für die Beihilfe beantragt wird, geht aus jedem Antragsformular hervor. Dass mit der Annahme eines Jobs ein Wechsel in der Krankenversicherung verbunden sein kann, liegt auf der Hand. Dem Beihilfeberechtigten hätte es oblegen, Erkundigungen über den versicherungsrechtlichen Status seiner Ehefrau einzuholen und gegebene Unklarheiten gegenüber dem Beklagten zu kommunizieren bzw. abzuklären.
69
b) Jedenfalls liegt in der Sache kein Wegfall der Bereicherung vor, vgl. Rn. 53 f.
70
3. Auch ist der Rückforderungsanspruch nicht aufgrund Verjährung erloschen.
71
Nach Art. 12 Satz 1 BayBG, der auf die Rückforderung von Beihilfe als sonstige Leistung anwendbar ist (vgl. Kolbinger in Brinktrine/Voitl, Beamtenrecht Bayern, Stand: 30.12.2019, Art. 12 BayBG, Rn. 7, 11; Ziffer 13.3 Bayerische Verwaltungsvorschriften zum Besoldungsrecht und Nebengebieten (BayVwVBes), verjähren Ansprüche aus dem Beamtenverhältnis in drei Jahren.
72
Nach Art. 12 Satz 2 BayBG i.V.m. § 199 Abs. 1 BGB beginnt die Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Der Lauf der Frist setzt also voraus, dass der Anspruch entstanden ist. Dies ist erst dann der Fall, wenn der Zuwendungsbescheid seine Wirkung verloren hat (VG München, U.v. 7.4.2021 - M 31 K 20.4046 - juris Rn. 40 m.w.N.), hier also mit Rücknahme der Beihilfebescheide. Da Rücknahme- und Rückforderungsentscheidung im vorliegenden Fall im gleichen Bescheid getroffen werden, ist eine Verjährung ersichtlich nicht gegeben.
73
Wenn die Klagepartei meint, dass bei einem derartigen Normverständnis Art. 53 BayVwVfG obsolet wäre (vgl. Bl. 88 d. BA), verkennt sie, dass Rücknahme- und Rückforderungsentscheidung nicht gleichzeitig ergehen müssen. Wenn zunächst (nur) eine Rücknahmeentscheidung ergeht, fängt die Verjährung des Anspruchs nach Art. 12 Satz 2 BayBG i.V.m. § 199 Abs. 1 BGB zu laufen und kann durch Erlass eines Rückforderungsbescheids gemäß Art. 53 BayVwVfG gehemmt werden.
74
4. Allerdings hat der Beklagte sein ihm im Rahmen der Billigkeit zustehendes Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt.
75
Nach Art. 13 BayBG i.V.m. Art. 15 Abs. 2 Satz 3 BayBesG kann von der Rückforderung aus Billigkeitsgründen ganz oder teilweise abgesehen werden. Die Ermessensausübung der Behörde kann vom Gericht nur eingeschränkt dahingehend überprüft werden, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist, § 114 Satz 1 VwGO. Im vorliegenden Fall ist von einem Ermessensfehlgebrauch des Beklagten auszugehen.
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Eine Billigkeitsentscheidung nach Art. 15 Abs. 2 Satz 3 BayBesG bezweckt eine allen Umständen des Einzelfalls gerecht werdende, für die Behörde zumutbare und für den Beamten tragbare Lösung zu ermöglichen, bei der auch Alter, Leistungsfähigkeit und sonstige Lebensverhältnisse des Herausgabepflichtigen eine maßgebende Rolle spielen. Sie ist Ausdruck des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben und stellt eine sinnvolle Ergänzung des ohnehin von dem gleichen Grundsatz geprägten Rechts der ungerechtfertigten Bereicherung dar und ist vor allem in Fällen der verschärften Haftung von Bedeutung. Dabei ist jedoch nicht die gesamte Rechtsbeziehung, aus welcher der Bereicherungsanspruch erwächst, nochmals unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben zu würdigen, sondern auf das konkrete Rückforderungsbegehren, und vor allem auf die Modalitäten der Rückabwicklung und ihre Auswirkungen auf die Lebensumstände des Beamten abzustellen. Die Rechtsfehlerhaftigkeit einer Billigkeitsentscheidung nach Art. 15 Abs. 2 Satz 3 BayBesG hat die Rechtswidrigkeit der Rückforderungsentscheidung nach Art. 15 Abs. 2 Satz 1 BayBesG zur Folge. Eine Billigkeitsentscheidung zugunsten des Schuldners modifiziert den Rückzahlungsanspruch. Die Billigkeitsentscheidung betrifft nicht lediglich die Vollziehung oder Vollstreckung eines Rückforderungsbescheids, sondern den materiellen Bestand des Rückforderungsanspruchs und ist deshalb zwingend vor der Rückforderung zu treffen. Vor der Billigkeitsentscheidung steht lediglich die Höhe der Überzahlung fest, nicht aber, ob, in welcher Höhe und mit welchen Modalitäten diese Überzahlung auch einen Rückforderungsanspruch nach Art. 15 Abs. 2 Satz 1 BayBesG begründet. Die Billigkeitsentscheidung ist damit notwendiger und untrennbarer Bestand der Rückforderungsentscheidung (BayVGH, B.v. 8.3.2013 - 3 CE 12.1928 - juris Rn. 22 f. m.w.N.).
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Da eine Billigkeitsentscheidung zugunsten des Schuldners den Rückzahlungsanspruch modifiziert, beurteilt sich deren Rechtmäßigkeit nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, also in der Regel des Widerspruchsbescheides. Maßgebend ist die Erkenntnislage der Behörde zu diesem Zeitpunkt. Auch der gerichtlichen Überprüfung einer Billigkeitsentscheidung dürfen nur die Umstände zugrunde gelegt werden, die der Behörde aufgrund des Vorbringens des Schuldners oder nach Lage der Akten ohnehin bekannt waren. Eine darüber hinausgehende Aufklärungspflicht besteht nicht (BVerwG, U.v. 8.10.1998 - 2 C 21.97 - juris Rn. 22).
78
Der Beklagte berücksichtigt ausweislich der im Rahmen des Bescheids vom 24. November 2016 getroffenen Billigkeitsentscheidung das hohe Alter des Beihilfeberechtigten überhaupt nicht. Auch lässt die Billigkeitsentscheidung jede Ausführung dazu vermissen, was genau der Kläger konkret gegenüber der Beihilfestelle dazu angegeben hat, wann und auf welche Weise er von der Krankenversicherung seiner Frau erfahren hat. Diese sehr wesentlichen Umstände sind für das Gericht auch nicht nachprüfbar, da in der Akte kein Telefonvermerk über dieses immer wieder in Bezug genommene Telefongespräch zu finden ist. Nicht erkennbar ist auch, von welchem Verantwortungsgrad des Beihilfeberechtigten der Beklagte ausgegangen ist.
79
Dass der Beklagte die Auswirkungen auf die Lebensumstände des Ruhestandsbeamten durch die konkrete Ausgestaltung der Rückforderung in einer Summe vor Augen hatte, ist aus gerichtlicher Sicht nicht erkennbar. Der Beklagte geht selbst davon aus, dass sich der Gesamtbetrag der Einkünfte für die Jahre 2012 und 2013 auf ca. 35.000,00 € belief sowie aus Versorgungsbezügen und Renten zusammensetzte. Dass es sich hierbei um die gemeinsamen Einkünfte der Eheleute handelte, die sich nach dem Tod der Ehefrau verringert haben dürften, geht aus dem Bescheid schon nicht klar hervor. Der Beklagte stellt dann darauf ab, dass der Beihilfeberechtigte die gemeinsame Wohnung von der Ehefrau geerbt hat. Weiteres Vermögen war dem Beklagten nicht bekannt. Dass der Beihilfeberechtigte ausweislich seines Vortrags im Verwaltungsverfahren (Bl. 39 d. BA) diese Wohnung auch selbst bewohnt, was vom Beklagten nicht in Frage gestellt wurde, wird nicht weiter berücksichtigt. Wie sich der Beklagte vorstellt, dass der hochbetagte Kläger die Wohnung binnen einer (Zahlungs-)frist von gut zwei Monaten verkauft bzw. einen Kredit o.Ä. aufnimmt, um die erhebliche Rückforderungssumme zu zahlen, wird in der Billigkeitsentscheidung nicht thematisiert und berücksichtigt. Warum die seitens des zuständigen Amtsträgers kurz vor Erlass des Bescheids vorgeschlagene Einräumung von Ratenzahlung i.H.v. 400,00 € monatlich unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Sachverhalts und insbesondere des hohen Alters des Beihilfeberechtigten (vgl. Bl. 53, 55 f. d. BA) nicht umgesetzt wurde, geht aus der Behördenakte nicht ansatzweise hervor.
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Auch der Widerspruchsbescheid vom 8. April 2019 enthält keine weiteren Gesichtspunkte zur Billigkeitsentscheidung. Vielmehr wird hierin sogar ausgeführt: „Ein Absehen von der Rückforderung aus Billigkeitsgründen kommt nicht in Betracht, da eine solche Entscheidung unter Anlegung eines strengsten Maßstabes nur in besonders gelagerten Einzelfällen möglich und im vorliegenden Fall grundsätzlich nicht anzunehmen ist, da eine Entreicherung vorliegt und die Überzahlung aufgrund grob fahrlässigen pflichtwidrigen Verhaltens des Beihilfeberechtigten entstanden ist.“ Hier scheint der Beklagte bereits zu verkennen, dass im Rahmen der Billigkeit nicht lediglich ein (ganzes) Absehen von der Rückforderung, sondern wie oben dargestellt auch die Einräumung von Ratenzahlung möglich ist. Eine weitere Darstellung bzw. Berücksichtigung von in der Person des Beihilfeberechtigten zu seinen Gunsten bestehenden Gesichtspunkten erfolgt auch hier nicht.
81
Die Berücksichtigung der vorgenannten Gesichtspunkte war auch nicht entbehrlich. Denn die von dem Beklagten im Rahmen der Billigkeitsentscheidung bisher gewürdigten Aspekte zu Lasten des Klägers gebieten nicht die Annahme einer Ermessensreduzierung auf Null im Sinne der getroffenen Entscheidung (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2017 - 5 C 5.16 - juris Rn. 28).
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III. Der Kläger hat aber keinen Anspruch auf Zahlung von 28.654,86 € nebst Zinsen.
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Anspruchsgrundlage ist mangels spezialgesetzlicher Grundlage der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch. Beim allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch handelt es sich um ein aus den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts, insbesondere der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, abgeleitetes eigenständiges Rechtsinstitut des öffentlichen Rechts, dessen Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen, soweit sie nicht spezialgesetzlich geregelt sind, denen des zivilrechtlichen Bereicherungsanspruchs entsprechen. Ausnahmen davon hat das Bundesverwaltungsgericht lediglich dann anerkannt, wenn und soweit den §§ 812 ff. BGB eine abweichende Interessenbewertung zugrunde liegt, die in das öffentliche Recht nicht übertragbar ist (BVerwG, B.v. 7.10.2009 - 9 B 24/09 - juris Rn. 5).
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Vorliegend fehlt es - ungeachtet der Frage, ob eine Rückabwicklung im jeweiligen Leistungsverhältnis zu erfolgen hat - an einer Bereicherung des Beklagten auf Kosten des Klägers. Wäre der Beklagte zur Zahlung an den Kläger verpflichtet, käme es zu einer Überkompensation. Der Kläger ist angesichts der aufgehobenen Rückforderungsentscheidung (vgl. hierzu oben Textziffer II, Rn. 66 ff.) (derzeit) nicht verpflichtet, an die Beklagte zu leisten. Der Kläger kann in der vorliegenden Konstellation nicht eine Kostenerstattung sowohl der Beihilfestelle als auch der ... beanspruchen. In einer etwaig zukünftig neu zu treffenden Rückforderungsentscheidung wird der seitens der ... erhaltene Betrag zugunsten des Klägers zu berücksichtigen sein, soweit es nicht zu einer Rückforderung seitens der ... kommt. Dass der Beklagte davon ausgehen wird, dass die erhaltenen 28.654,86 € die Zahlungsverpflichtung des Klägers reduzieren, ergibt sich aus den Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
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IV. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 155 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.