Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 31.05.2022 – Au 8 K 22.912
Titel:

Erteilung eines kleinen Waffenscheins  

Normenketten:
WaffG § 5 Abs. 1 Nr. 2 a
BZRG § 51 Abs. 1, § 52 Abs. 1 Nr. 4
Leitsätze:
1. Eine erhebliche Anzahl von Eintragungen im Bundeszentralregister wegen vorsätzlicher Delikte zeigt ein mangelndes Potenzial für straftatfreie Konfliktlösungen und damit eine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit für die Erteilung des kleinen Waffenscheins. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
2. Unabhängig von einer erfolgten Tilgung oder einer eingetretenen Tilgungsreife können Straftaten gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG berücksichtigt werden, weil es bei der Erteilung eines Waffenscheins ein absolutes Verwertungsverbot für getilgte oder zu tilgende Registereintragungen über Verurteilungen nicht gibt. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Waffenrecht, Erteilung eines kleinen Waffenscheins, Isolierter Prozesskostenhilfeantrag, Bedingte Klageerhebung (unwirksam), Hinreichende Erfolgsaussichten für die beabsichtigte Rechtsverfolgung (verneint), Waffenrechtliche Zuverlässigkeit (verneint)
Fundstelle:
BeckRS 2022, 27658

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
Der Kläger begehrt im Wege eines isolierten Prozesskostenhilfeantrags die Gewährung von Prozesskostenhilfe für seine noch zu erhebende Versagungsgegenklage auf Erteilung eines kleinen Waffenscheins.
2
Der Kläger beantragte am 2. November 2021 die Erteilung bzw. Ausstellung eines kleinen Waffenscheins. Der dabei u.a. eingeholte Auszug aus dem Bundeszentralregister enthält 17 Eintragungen seit 1975. Auf den Auszug aus dem Bundeszentralregister wird Bezug genommen.
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Mit Schreiben vom 11. November 2021 wurde der Kläger zur beabsichtigten Versagung unter Fristsetzung bis zum 9. Dezember 2021 angehört. Mit Schreiben vom 11. Januar 2022 wurde der Kläger mangels Rückmeldung bzgl. des ersten Schreibens erneut mit einer Frist bis zum 4. Februar 2022 angehört. Eine Stellungnahme ging der Beklagten nicht zu.
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Mit Bescheid vom 3. März 2022 lehnte die Beklagte den Antrag auf Erteilung eines kleinen Waffenscheins ab (Ziffer 1) und erlegte dem Kläger die Kosten des Verfahrens auf (Ziffer 2).
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Dem Kläger fehle die Zuverlässigkeit im Umgang mit Waffen gem. § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG. Der Kläger stelle sich gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 a) Alt. 1 WaffG als absolut unzuverlässig dar, da zu befürchten stehe, dass er Waffen missbräuchlich verwenden werde. Aufgrund der Vielzahl von begangenen teils schwersten Straftaten sei der Schluss gerechtfertigt, dass eine rechtsmissbräuchliche Nutzung von Waffen zu erwarten sei. Insbesondere die verwirklichten Straftatbestände der Vergewaltigung, Körperverletzung, Bedrohung und die wiederkehrenden Betrugsdelikte ließen darauf schließen, dass der Kläger sich nicht an Recht und Gesetz gebunden fühle. An das Maß der Wahrscheinlichkeit, mit der der Kläger weitere Rechtsbrüche begehen könnte, seien im Waffenrecht nur geringe Anforderungen zu stellen, da es die sehr hochwertigen Schutzgüter Leben und Gesundheit zu bewahren gelte. Erlaubnisfreie Waffen seien keineswegs harmlos und könnten auf kurze Entfernung schwerste, mitunter tödliche Verletzungen hervorrufen. Das Interesse des Klägers am Führen von erlaubnisfreien Waffen müsse daher zurückstehen.
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Am 8. April 2022 ließ der Kläger beantragen,
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I. dem Kläger für die erste Instanz Prozesskostenhilfe zu bewilligen
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II. dem Kläger zur vorläufig unentgeltlichen Wahrnehmung seiner Rechte seinen Bevollmächtigten als Rechtsanwalt beizuordnen.
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Der Kläger sei nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen außerstande, die Kosten des beabsichtigten Rechtsstreits aufzubringen. Der Kläger sei als selbständiger Gastwirt tätig, seine Einnahmen hätten jedoch in den vergangenen zwei Jahren aufgrund der Einschränkungen der Corona-Pandemie die Ausgaben nicht gedeckt. Er habe kein Vermögen, der genutzte PKW sei finanziert. Die beabsichtigte Klage habe hinreichende Aussicht auf Erfolg und sei auch nicht mutwillig.
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Gleichzeitig ließ der Kläger einen mit „Klage“ überschriebenen Schriftsatz einreichen, in dem beantragt ist, den Bescheid der Beklagten vom 3. März 2022 aufzuheben und sie zu verpflichten, über den Antrag des Klägers auf Erteilung eines kleinen Waffenscheins unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden. Es werde gebeten, die Klage erst nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe zuzustellen und rechtshängig zu machen.
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Zur Begründung ist im Wesentlichen angeführt, der Kläger habe die Anhörungsschreiben nie erhalten. Der Kläger besitze die persönliche Eignung und die erforderliche Zuverlässigkeit gem. § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG. Die persönliche Zuverlässigkeit gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 WaffG liege vor. Die von der Beklagte zitierten Eintragungen 1 bis 15 im Bundeszentralregisterauszug enthielten Straftaten, deren Verurteilung mehr als 10 Jahre nach Rechtskrafteintritt zurückliege. Lediglich die Eintragungen 4 und 5 enthielten Verurteilungen wegen Verbrechenstatbeständen, seit deren Rechtskrafteintritt jedoch inzwischen mehr als 40 bzw. 37 Jahre verstrichen seien. Die Eintragungen 16 und 17 fielen nicht unter die Vorgaben des § 5 Abs. 1 Nr. 1 b) WaffG. Das von der Beklagte erwähnte Strafverfahren wegen Betrugs sei beendet, eine Verurteilung des Klägers nicht erfolgt.
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Gründe für die Versagung der persönlichen Zuverlässigkeit gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG seien nicht erkennbar. Keine einzige der bezeichneten Straftaten habe im Zusammenhang mit der Nutzung oder Überlassung von Waffen und Munition stattgefunden. Schließlich sei auch der Regeltatbestand des § 5 Abs. 2 WaffG nicht erfüllt. Sämtliche rechtskräftige Verurteilungen lägen mehr als 5 Jahre zurück.
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Der Kläger sei Gastwirt. Es käme immer wieder zu Vorfällen, bei denen am Abend betrunkene Gäste erschienen, keine Rücksicht auf weitere Gäste nähmen, sich nicht an behördliche Vorschriften halten würden und dann durch den Kläger aus der Kneipe verwiesen werden müssten. Soweit diese Gäste nicht freiwillig gehen oder sogar handgreiflich werden würden, müsse sich der Kläger selbst sowie seine Gäste schützen können, was z.B. durch den Besitz einer Schreckschusspistole gewährleistet sei. Der Kläger sei sowohl bei der Gaststätten- und Ordnungsbehörde der Beklagte als auch bei der zuständigen Polizeiinspektion in den vergangenen Jahren als zuverlässiger und vertrauenswürdiger Gastwirt bekannt. Die Beklagte habe im Rahmen der Zuverlässigkeitsprüfung unzureichend ermittelt. Die Einholung weiterer Stellungnahmen, wie gem. § 5 Abs. 5 Nr. 3 WaffG vorgesehen, sei vollständig unterblieben.
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Die Beklagte beantragt sinngemäß,
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den Prozesskostenhilfeantrag abzulehnen und die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte sei ihrer Erkundigungspflicht nach § 5 Abs. 5 WaffG nachgekommen und habe das Vorbringen des Klägers im gerichtlichen Verfahren berücksichtigt. Die Behauptung des Klägers, er habe die Schreiben vom 11. November 2021 und 11. Januar 2022 nicht erhalten, sei unglaubwürdig, den an dieselbe Adresse verschickten Bescheid habe der Kläger erhalten. Insbesondere vor dem Hintergrund der aus dem Bundeszentralregister ersichtlichen strafrechtlichen Vorgeschichte des Klägers habe sich für die Beklagte die Prognose ergeben, dass der Kläger mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Waffen und Munition zukünftig missbräuchlich verwenden werde. Dabei sei unerheblich, ob die Verurteilungen bereits 5 bzw. 10 Jahre zurücklägen oder das Strafmaß unter 60 Tagessätzen liege. Insbesondere könnten alle Eintragungen über strafgerichtliche Urteile aus dem Bundeszentralregister herangezogen werden, die noch nicht getilgt seien. Zudem sei nicht zwingend notwendig, dass diese Straftaten in unmittelbarem Zusammenhang mit Waffen stünden. Entscheidend sei vielmehr, ob die Besorgnis begründet sei, dass der Kläger seine Waffen oder Munition nicht verantwortungsbewusst gebrauchen werde. Von besonderer Relevanz seien daher die Wesensmerkmale des Klägers, die sich aus seinem bisherigen Verhalten ableiten ließen. Relevante Wesensmerkmale seien dabei insbesondere leichte Reizbarkeit, unbeherrschtes Reagieren auf Provokationen, unangemessene Reaktionen auf Stresssituationen in der Vergangenheit oder mangelndes Potenzial für gewaltfreie Konfliktlösungen. Der Kläger habe eine Vielzahl von Straftaten begangen, darunter auch solche gegen die körperliche Unversehrtheit (Körperverletzung, versuchte Vergewaltigung) sowie Beleidigungen in mehreren Fällen. Hieraus werde deutlich, dass der Kläger leicht reizbar sei und unbeherrscht und unangemessen in Konfliktsituationen reagiere, was auch bei der von dem Kläger geschilderten beabsichtigten Verwendung in der Kneipe bei betrunkenen bzw. handgreiflichen Gästen zu befürchten sei. Zudem habe er über einen Zeitraum von 40 Jahren in regelmäßigen Abständen die Rechtsordnung in teils erheblichem Maß verletzt. Die gegen den Kläger verhängten Haftstrafen sowie die hohen Geldstrafen ließen zudem den Schluss auf einen hohen Unwertgehalt der Taten zu, wodurch wiederum auf ein hohes Maß an krimineller Energie geschlossen werden könne.
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Eine gaststättenrechtliche Erlaubnis lasse aufgrund unterschiedlicher Zielrichtungen keine Rückschlüsse auf eine waffenrechtliche Zuverlässigkeit zu. Die Beklagte verkenne nicht, dass die letzte Verurteilung bereits einige Jahre zurückliege und die weiteren Verurteilungen teils deutlich in die Vergangenheit reichten. Dennoch sei im Rahmen einer Gesamtwürdigung aufgrund der vielen in der Vergangenheit verübten, teils schweren Straftaten und über mehrere Jahrzehnte andauernde Rechtsuntreue insgesamt die Annahme gerechtfertigt, der Kläger werde Waffen und Munition zukünftig missbräuchlich verwenden und sei daher waffenrechtlich unzuverlässig.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtssowie der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
II.
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Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, da es an den hinreichenden Erfolgsaussichten für die beabsichtigte Rechtsverfolgung fehlt (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO), weil der Bescheid der Beklagten vom 3. März 2022 voraussichtlich rechtmäßig ist, da der Kläger die waffenrechtliche Zuverlässigkeit nicht besitzt. Die Prognoseentscheidung der Beklagten ist gerichtlich voraussichtlich nicht zu beanstanden.
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Die unter dem Vorbehalt (Bedingung) der Bewilligung von Prozesskostenhilfe erhobene Klage ist unwirksam, da sie an eine außerprozessuale Bedingung geknüpft ist. Die Klageerhebung ist als Prozesshandlung bedingungsfeindlich. Wegen der Bedingungsfeindlichkeit der Klageerhebung ist bei der Prüfung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe von der unwirksam erhobenen Klage als noch zu erhebender Klage auszugehen (BVerwG, U.v. 17.1.1980 - 5 C 32/79 - juris; VG München, B.v. 24.10.2017 - M 24 E 17.4488 - juris Rn. 18; B.v. 8.8.2002 - M 6b KO 02.1879 - juris; Eyermann/Hoppe, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 82 Rn. 11).
21
Gemäß § 166 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist etwa dann gegeben, wenn schwierige Rechtsfragen zu entscheiden sind, die im Hauptsacheverfahren geklärt werden müssen. Auch wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Mittellosen ausgehen wird, ist vorab Prozesskostenhilfe zu gewähren (vgl. BVerfG, B.v. 14.4.2003 - 1 BvR 1998/02 - NJW 2003, 2976). Insgesamt dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Verfahrens nicht überspannt werden, eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolges genügt (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 166 Rn. 26). Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist im Verfahren ohne Vertretungszwang immer geboten, wenn es in einem Rechtsstreit um nicht einfach zu überschauende Tat- und Rechtsfragen geht (Happ in Eyermann, a.a.O., Rn. 38).
22
Nach diesen Grundsätzen hat die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der Bescheid der Beklagten erweist sich voraussichtlich als formell und materiell rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO). Der Kläger verfügt voraussichtlich gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 a) WaffG nicht über die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit. Danach besitzen Personen die erforderliche Zuverlässigkeit nicht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden werden.
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a) Der Bescheid vom 3. März 2022 erweist sich voraussichtlich als formell rechtmäßig
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aa) Er leidet insbesondere nicht unter dem formellen Fehler einer unterbliebenen Anhörung gem. Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG.
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Die vorgelegte Behördenakte enthält ein an den Kläger adressiertes Anhörungsschreiben vom 11. November 2021 (Bl. 21 der Behördenakte) und ein Erinnerungsschreiben vom 11. Januar 2022 (Vermerk: „Expediert am 12. JAN 2022“, vgl. Bl. 22 der Behördenakte), deren Zugang der Kläger bestreitet. Beide Schreiben wurden zwar nicht mit Zustellungsnachweis und auch nicht per Einschreiben versandt. In der Akte befindet sich jedoch ein Auslaufvermerk. Zwar trägt die Verfolgungsbehörde die Beweislast für die rechtzeitige Anhörung und den Zugang des Anhörungsschreibens (BayVGH, B.v. 10.10.2006 - 11 CS 06.607 - juris Rn. 19; B.v. 30.9.2008 - 11 CS 08.1953 - juris Rn. 5). Eine Behörde kann ihrer Beweispflicht hinsichtlich des Zugangs nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins genügen, wenn sie Tatsachen vorträgt, aus denen nach allgemeiner Lebenserfahrung geschlossen werden kann, dass der Empfänger einen Bescheid oder ein Schreiben tatsächlich erhalten haben muss (vgl. BayVGH, U.v. 18.22016 - 11 BV 15.1164 - juris Rn. 21; B.v. 6.7.2007 - 7 CE 07.1151 - NVwZ-RR 2008, 252 - juris Rn. 8; B.v. 11.5.2011 - 7 C 11.232 - juris Rn. 2; SächsOVG, B.v. 16.7.2012 - 3 A 663/10 - juris Rn. 7; SaarlOVG, B.v. 7.11.2011 - 3 B 371/11 - NVwZ-RR 2012, 131 - juris Rn. 5; VG Düsseldorf, U.v. 24.5.2012 - 6 K 8411/10 - juris Rn. 32). Die Beklagte hat in den Akten vermerkt, dass das Anhörungsschreiben am 12. Januar 2022 expediert wurde und vorgetragen, dass nicht ersichtlich ist, weshalb zwei Schreiben den Kläger nicht erreicht haben sollten, obwohl der Bescheid vom 3. März 2022 - zugestellt an dieselbe Adresse - problemlos habe zugestellt werden können. Der Kläger hat auch im Verfahren lediglich unsubstantiiert behauptet, die Schreiben nicht erhalten zu haben und ist dem Vortrag der Beklagten nicht substantiiert entgegengetreten, so dass das Gericht davon ausgeht, dass der Kläger angehört wurde. Nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG ist vor Erlass eines Verwaltungsakts einem Beteiligten, in dessen Rechte der Verwaltungsakt eingreift, Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Für eine ordnungsgemäße Anhörung ist zumindest erforderlich, dass der Betroffene von der Einleitung des Verfahrens respektive von der Absicht, einen Verwaltungsakt zu erlassen, verständigt wird (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl. 2021, § 28 Rn. 19 f.).
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Es kommt im Übrigen auch nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, ob eine derartige Anhörung vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids erfolgt ist, denn ein etwaiger Verfahrensmangel wäre jedenfalls nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG durch die Nachholung der Anhörung des Klägers im gerichtlichen Verfahren geheilt.
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Nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG kann die Anhörung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Hierbei setzt Art. 45 BayVwVfG insoweit vornehmlich einen zeitlichen Rahmen, verhält sich allerdings nicht zu der Art und Weise, wie die unterbliebene Verfahrenshandlung vorzunehmen ist. Dass eine unterlassene Anhörung allein im Rahmen eines behördlichen Verwaltungsverfahrens nachgeholt werden kann, ist der Regelung gerade nicht zu entnehmen. Der Mangel kann ausnahmsweise auch durch verwaltungsprozessualen Schriftwechsel der Beteiligten oder Äußerungen der Beteiligten im gerichtlichen Verfahren geheilt werden, indem nicht die formelle Zugehörigkeit zu einem Verwaltungs- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahren, sondern die materielle Gleichwertigkeit der Anhörung entscheidend ist, zumal für die Anhörung in Art. 28 BayVwVfG keine bestimmte Form vorgeschrieben ist. Von der Behörde zu verlangen, dem Betroffenen parallel zum Gerichtsverfahren zusätzlich Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wäre reiner Formalismus. Der Sinn und Zweck der Anhörung muss indes gewahrt sein, so dass erforderlich ist, dass die Behörde das bislang noch nicht Vorgetragene zur Kenntnis nimmt, würdigt und erneut prüft, ob sie unter Berücksichtigung des Vorbringens an ihrer Verfügung festhält oder nicht, und schließlich dem Betroffenen das Ergebnis dieser Prüfung ausdrücklich oder sinngemäß mitteilt (vgl. BayVGH, B.v. 7.10.2014 - 22 ZB 14.1062 - juris Rn. 9 f.; B.v. 17.12.2015 - 20 CS 15.2677 - juris Rn. 3; vgl. zum Ganzen VG Würzburg, U.v. 29.3.2019 - W 9 K 18.476 - juris Rn. 31 f.).
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Diesen Anforderungen wurde im Nachgang zum Erlass des Bescheides vom 3. März 2022 genüge getan - mit der Folge, dass eine Heilung gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG inzwischen eingetreten ist. Denn die Beklagte hat das Vorbringen des Klägers im Klageverfahren in ihrer Klageerwiderung vom 17.Mai 2022 zur Kenntnis genommen, dieses ausdrücklich noch einmal gewürdigt und ist dabei zu keiner anderen Entscheidung gekommen. Dem Kläger wurde mitgeteilt, dass die Beklagte - nach einem kritischen Überdenken der getroffenen Sachentscheidung - an ihrem Bescheid trotz des Vorbringens des Klägers festhält. Damit sind die materiellen Anforderungen an die Nachholung einer zunächst unterbliebenen Anhörung gewahrt.
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bb) Dass die Beklagte ihrer Erkundigungspflicht gem. § 5 Abs. 5 Satz 1 WaffG nicht nachgekommen wäre, ist nicht ersichtlich. Die Beklagte hat eine unbeschränkte Auskunft aus dem Bundeszentralregister (Nr. 1), eine Auskunft aus dem zentralen staatsanwaltlichen Verfahrensregister (Nr. 2), eine Stellungnahme der örtlichen Polizeidienststelle (Nr. 3) und eine Auskunft der zuständigen Verfassungsschutzbehörde (Nr. 4) eingeholt (vgl. Bl. 9 bis 21 der Behördenakte).
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b) Der Bescheid vom 3. März 2022 ist voraussichtlich auch materiell rechtmäßig. Um die unwiderlegbar vermutete Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 a) WaffG annehmen zu können, sind konkrete Tatsachen erforderlich, die den nachvollziehbaren und plausiblen Schluss rechtfertigen, dass der Kläger in Zukunft mit Waffen in einer vom Waffengesetz nicht geduldeten Form umgehen wird. Das mangelnde Potential für gewaltfreie Konfliktlösungen trägt dabei die Prognose einer missbräuchlichen Verwendung (vgl. BayVGH, U.v. 10.10.2013 - 21 B 12.960 - juris Rn. 30). Bei der zu erstellenden Prognose ist der allgemeine Zweck des Gesetzes zu berücksichtigen, beim Umgang mit Waffen und Munition die Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu wahren (§ 1 Abs. 1 WaffG), nämlich zum Schutz der Allgemeinheit diese vor den schweren Folgen eines nicht ordnungsgemäßen Umgangs mit Waffen zu bewahren (vgl. BT-Drs. 14/7758, S. 51). Die Risiken, die mit jedem Waffenbesitz verbunden sind, sind nur bei solchen Personen hinzunehmen, die nach ihrem Verhalten Vertrauen darin verdienen, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen. Dabei ist in Anbetracht des vorbeugenden Charakters der gesetzlichen Regelungen und der erheblichen Gefahren, die von Waffen und Munition für hochrangige Rechtsgüter ausgehen, für diese Prognose keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich, sondern es genügt vielmehr eine hinreichende, auf der Lebenserfahrung beruhende Wahrscheinlichkeit, wobei ein Restrisiko nicht hingenommen werden muss (vgl. BayVGH, B.v. 28.11.2013 - 21 CS 13.1758 - juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 4.12.2013 - 21 CS 13.1969 - juris Rn. 14 m.w.N.; VG München, B.v. 7.5.2018 - M 7 S 18.970 - juris Rn. 26).
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c) Als konkrete Tatsachen, die den nachvollziehbaren und plausiblen Schluss rechtfertigen, dass der Kläger in Zukunft mit Waffen in einer vom Waffengesetz nicht geduldeten Form umgehen wird, können diejenigen Straftaten berücksichtigt werden, die im Bundeszentralregister eingetragen und noch nicht getilgt sind.
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aa) Die im Bundeszentralregister enthaltenen 17 Eintragungen über strafgerichtliche Urteile aus den Jahren 1975 bis 2014 können herangezogen werden.
33
Gemäß § 51 Abs. 1 BZRG dürfen die Tat und die Verurteilung der betroffenen Person im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu ihrem Nachteil verwertet werden, wenn die Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden oder sie zu tilgen ist. Gemäß § 47 Abs. 3 Satz 1 BZRG ist die Tilgung einer Eintragung erst zulässig, wenn für alle Verurteilungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen. Da der Kläger zuletzt mit rechtskräftigem Urteil vom 24. Juni 2014 zu einer Geldstrafe von 160 Tagessätzen zu je 15,00 € verurteilt worden ist, liegt kein Fall des § 46 Abs. 1 Nr. 1 a) BZRG vor, so dass die Eintragung über diese Tat frühestens nach einem Fristablauf von zehn Jahren zu tilgen wäre (vgl. § 46 Abs. 1 Nr. 2 BZRG). Diese Tilgungsfrist ist im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung jedoch noch nicht abgelaufen. Im Übrigen könnten entgegen § 51 Abs. 1 BZRG und unabhängig von einer erfolgten Tilgung oder einer eingetretenen Tilgungsreife sämtliche Straftaten des Klägers gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG berücksichtigt werden, da es bei der verfahrensgegenständlichen Erteilung eines Waffenscheins ein absolutes Verwertungsverbot für getilgte oder zu tilgende Registereintragungen über Verurteilungen ohnehin nicht gibt (BayVGH, B.v. 4.4.2012 - 21 ZB 12.33 - juris Rn. 14; BayVGH, B.v. 11.7.2012 - 21 ZB 12.866 - juris Rn. 10). Für die Annahme einer erheblichen Gefährdung der Allgemeinheit i.S.d. § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG genügt es insoweit, wenn eine erhebliche Gefährdung nach Sachlage nicht ausgeschlossen werden kann (Bücherl in BeckOK StPO, 43. Edition 1.4.2022, BZRG, § 52 Rn. 8).
34
bb) Die in rechtskräftigen strafgerichtlichen Entscheidungen festgestellten Sachverhalte muss der Kläger gegen sich gelten lassen, da hinsichtlich der Bindung an die Tatbestandswirkung der strafgerichtlichen Verurteilung nur enge und spezifische Ausnahmen gegeben sind. Diese betreffen Fälle, dass die Verurteilung ersichtlich auf einem Rechtsirrtum beruht oder dass gewichtige Anhaltspunkte für eine in wesentlicher Hinsicht fehlerhafte Sachverhaltsfeststellung durch die Strafgerichte im Sinn des § 359 Nr. 5 StPO vorliegen (BayVGH, B.v. 16.9.2010 - 11 ZB 09.2002 - juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 9.6.2017 - 8 ZB 16.1841 - juris Rn. 9 m.w.N.). Konkrete Umstände solcher Art wurden vom Kläger nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich.
35
cc) Die hierauf gestützte Gesamtwürdigung des bisherigen Verhaltens des Klägers lässt bereits den Schluss auf ein in Zukunft eintretendes Fehlverhalten des Klägers gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 a) WaffG zu.
36
Zwar fallen die strafrechtlichen Verurteilungen immer weniger ins Gewicht, je länger sie zurückliegen (vgl. VG Augsburg, U.v. 20.11.2018 - Au 8 K 18.1059 - juris Rn. 29), jedoch ist der Schluss auf ein in Zukunft eintretendes Fehlverhalten des Klägers dennoch nicht fernliegend. Dafür spricht die erhebliche Anzahl (17) an Eintragungen im Bundeszentralregister. Auch lassen die jüngsten Verurteilungen wegen vorsätzlichen Delikten eine immer noch vorhandene Missachtung der Rechtsordnung erkennen. Insbesondere die Verurteilungen wegen übler Nachrede (2009), Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fälle (2011) und Beleidigung (2014) zeigen, dass der Kläger in Konfliktsituationen ein mangelndes Potenzial für straftatfreie Konfliktlösungen gezeigt hat. Die Verurteilungen aus den Jahren 2003 (versuchter Betrug mit Urkundenfälschung, Betrug), 2004 (Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt), 2005 (Urkundenfälschung mit Untreue und versuchtem Betrug) und 2013 (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 7 Fällen) lassen auch eine Gleichgültigkeit des Klägers hinsichtlich einer Gefährdung beziehungsweise Schädigung der Allgemeinheit erkennen. Auch wenn zwischen den Verurteilungen teilweise ein größerer zeitlicher Abstand liegt, so lassen die Tatsachen, dass der Kläger wiederholt in Konflikt mit dem Gesetz geraten ist sowie, dass der Kläger es auch nach mehreren teilweise verbüßten Freiheitsstrafen von drei Monaten bis 2 Jahren (Eintragungen 4, 5, 13 aus den Jahren 1981, 1983 und 2005) nicht geschafft hat, strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung zu treten, nicht den Schluss zu, er werde Waffen oder Munition ordnungsgemäß verwenden. Ein Restrisiko muss angesichts der Tatsache, dass der leichtfertige oder sogar missbräuchliche Gebrauch von - auch erlaubnisfreien - Waffen für den Einzelnen schwere körperliche, wenn nicht tödliche Folgen haben kann, nicht hingenommen werden. Die im Bescheid vom 3. März 2022 getroffene Prognose der Beklagten ist daher bei Gesamtwürdigung der Vorgeschichte des Klägers gerichtlich nicht zu beanstanden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass den Straftaten bisher kein Waffenbezug zu entnehmen ist. Einige der Straftaten (Versuchte Vergewaltigung in einem minderschweren Fall in Tatmehrheit rechtlich zusammentreffend mit versuchter Vergewaltigung und Nötigung 1981, versuchtes Verbrechen der Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und Bedrohung 1983) lassen zudem eine - wenngleich zeitlich länger zurückliegende - Bereitschaft zum vorsätzlichen Einsatz von Gewalt erkennen.
37
dd) An der negativen Prognose ändert auch der Vortrag des Klägerbevollmächtigten nichts. Eine womöglich bestehende gewerberechtliche Zuverlässigkeit führt angesichts der anderen Zielrichtung nicht zu einer Zuverlässigkeit im waffenrechtlichen Sinn. Gleiches gilt für die behauptete Tatsache, dass der Kläger bei der Gaststätten- und Ordnungsbehörde der Beklagten und der zuständigen Polizeiinspektion in den vergangenen Jahren als zuverlässiger und vertrauenswürdiger Gastwirt bekannt ist.
38
Nach allem hat der Kläger voraussichtlich keinen Anspruch auf Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids vom 3. März 2022 und auf erneute Entscheidung der Beklagten über den von ihm bei der Behörde gestellten Antrag auf Erteilung eines kleinen Waffenscheins unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Damit ist auch der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung abzulehnen.