Titel:
Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen erkennungsdienstlicher Maßnahmen
Normenketten:
StPO aF § 81b Alt. 2, § 170 Abs. 2 (idF bis zum 1.10.2022)
BayPAG Art. 15 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 2, Art. 70 Abs. 1, Art. 71 Abs. 1 Nr. 2, Art. 73, Art. 76
Leitsätze:
1. Bezogen auf das Tatbestandsmerkmal der Beschuldigteneigenschaft iSd § 81b Alt. 2 StPO aF entfällt die Rechtmäßigkeit der Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung selbst bei einem späteren Freispruch oder der Einstellung des Verfahrens nicht. (Rn. 20 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Einschätzung der Strafverfolgungsbehörde, das Ermittlungsergebnis gebe gem. § 170 Abs. 2 StPO nicht genügenden Anlass zur Anklage, steht einer Bewertung des zugrundeliegenden „Anfangsverdachts“ und des Ermittlungsergebnisses nach den Maßstäben kriminalistischer Erfahrung nicht entgegen, wenn trotz Einstellung des Strafverfahrens ein „Restverdacht“ verbleibt. (Rn. 23 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch eine mit der Anordnung der erkennungsdienstlichen Maßnahme verbundene Vorladung findet in § 81b StPO aF oder jedenfalls nach Art. 15 Abs. 1 Nr. 2 BayPAG eine ausreichende Rechtsgrundlage. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
erkennungsdienstliche Behandlung, präventive Maßnahme, Wiederholungsgefahr, Beschuldigteneigenschaft, Verfahrenseinstellung, Vorladung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 27649
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Gerichtsbescheid ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung.
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Der Kläger war im Anordnungszeitpunkt des verfahrensgegenständlichen Bescheides Beschuldigter in einem Strafverfahren (u.a. ...), in dem er u.a. einer Beleidigung (7. Mai 2020), einer Beleidigung in drei tateinheitlichen Fällen (13. Mai 2020), einer Beleidigung (17. Mai 2020) sowie eines tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung in vier tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Beleidigung in acht tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit tätlicher Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen (18. Mai 2020) verdächtigt wurde. Am 10. September 2020 erhob die zuständige Staatsanwaltschaft u.a. aufgrund dieser Vorfälle Anklage beim Amtsgericht Augsburg; von der Verfolgung einzelner Taten bzw. Teile von Taten wurde nach § 154 Abs. 1 bzw. § 154a Abs. 1 StPO abgesehen. Ausweislich eines Auszugs aus dem Bundeszentralregister vom 5. Oktober 2021 wurde der Kläger bereits im Jahre 2011 wegen falscher Verdächtigung in Tateinheit mit Verleumdung in Tatmehrheit mit Beleidigung in vier tatmehrheitlichen Fällen, im Jahre 2012 wegen Beleidigung in sechs tatmehrheitlichen Fällen sowie im Jahre 2014 wegen versuchter Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung in Tatmehrheit mit Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit versuchter Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung in vier tateinheitlichen Fällen jeweils zu Geldstrafen verurteilt.
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Jene Ereignisse im Mai 2020 nahm der Beklagte zum Anlass, mit Bescheid vom 7. September 2021 die erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers anzuordnen. Die Anordnung erstreckt sich auf die Aufnahme von Lichtbildern (Gesicht, Profil, Halbprofil, ganzer Körper), die Abnahme von Finger- und Handflächenabdrücken, die Messung von Körpergröße und Gewicht sowie die Aufnahme einer Personenbeschreibung (Ziffer 1 lit. a). Der Kläger wurde aufgefordert, sich nach telefonischer Anmeldung und Terminvereinbarung innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Bestandskraft des Bescheids bei der zuständigen Polizeiinspektion zur Durchführung der erkennungsdienstlichen Maßnahmen einzufinden (Ziffer 1 lit. b). Dem Kläger wurde darüber hinaus ein Zwangsgeld in Höhe von 250,00 EUR angedroht, falls er der Aufforderung gemäß Ziffer 1 ohne hinreichenden Grund nicht fristgerecht Folge leistet (Ziffer 2 lit. a). Gleichzeitig wurde das Zwangsgeld für den Fall festgesetzt, dass der Kläger der Vorladung ohne hinreichenden Grund nicht binnen zwei Wochen nach Bestandskraft nachkommt; für diesen Fall wurde dem Kläger eine erneute Frist von zwei Wochen gesetzt, um sich zur erkennungsdienstlichen Behandlung einzufinden (Ziffer 2 lit. b).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass § 81b Alt. 2 StPO Rechtsgrundlage für die Anordnung der erkennungsdienstlichen Maßnahmen sei. Der Kläger sei - unter Verweis auf die Vorfälle vom 7., 13., 17. und 18. Mai 2020 - Beschuldigter in einem Strafverfahren. Er sei in der Vergangenheit in mehreren Fällen strafrechtlich auffällig gewesen, wobei u.a. Vorfälle/ Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung, Beleidigung, Amtsanmaßung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung, Hausfriedensbruch, Nötigung, Sachbeschädigung u.a. vom 11. Mai 2021, 7. März 2021, 16. Februar 2021, 5. Oktober 2020, 14. Juli 2020 bis 3. September 2020 sowie 18. Dezember 2019 bis 29. Februar 2020 im Einzelnen aufgeschlüsselt wurden. Es handele sich hauptsächlich um Gewaltdelikte. Der Kläger zeige durch sein gesamtes Verhalten, dass er nicht gewillt sei, sich an die festgelegten Normen und Gesetze zu halten. Es sei keinerlei Einsicht seines Fehlverhaltens ersichtlich. Er beleidige ohne ersichtlichen Grund wahllos Personen, die seiner Meinung nach ein „ausländisches“ Erscheinungsbild hätten. Auch gegenüber Polizeibeamten fehle ihm jeglicher Respekt. Dies äußere sich durch ständige Beleidigungen und Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte. Aus diesen Punkten ergebe sich eine Wiederholungsgefahr. Es bestehe die Gefahr, dass der Kläger auch in Zukunft straffällig werden könnte. Die erkennungsdienstliche Behandlung sei geeignet, den Kläger aufgrund einer leichteren Identifizierbarkeit von der erneuten Begehung von Straftaten abzuschrecken sowie ihn im Falle einer erneuten Begehung von Straftaten zu überführen oder ihn zu entlasten, wenn er zu Unrecht in den Kreis möglicher Verdächtiger geraten sollte. Die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung sei verhältnismäßig und ermessensgerecht. Rechtsgrundlage für die Anordnung der Vorladung zur Durchführung der erkennungsdienstlichen Maßnahmen sei Art. 15 Abs. 1 Nr. 2 PAG. Die Befugnis zur zwangsweisen Durchsetzung der Vorladung ergebe sich aus Art. 15 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 PAG. Die Androhung des Zwangsgeldes stütze sich auf Art. 70 Abs. 1, 71 Abs. 1 Nr. 2, 73, 76 PAG. Die Androhung des Zwangsgeldes könne mit seiner Festsetzung verbunden werden.
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Auf den Bescheid wird im Einzelnen Bezug genommen.
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Hiergegen erhob der Kläger am 13. September 2021 zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg Klage.
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Zur Begründung brachte er - ergänzt durch diverse Schreiben an das Gericht - u.a. vor, dass die Polizei ihn seit 2010 mit Lügenberichten und Falschaussagen „verarsche“ und sein(en) Bildungshintergrund, Alter und Werdegang missachte. Auf die Schreiben wird im Einzelnen Bezug genommen.
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Der Kläger beantragt (sinngemäß),
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den Bescheid des Beklagten vom 7. September 2021 (...) aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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Zur Begründung wird unter Bezugnahme auf den streitgegenständlichen Bescheid im Wesentlichen ausgeführt, dass aufgrund der zahlreichen Fälle, in denen der Kläger in der Vergangenheit wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten sei, eine Wiederholungsgefahr begründet sei. Es bestehe die Gefahr, dass der Kläger sehr zeitnah erneut straffällig werde. Das erkennungsdienstliche Material sei geeignet, den Kläger aufgrund des erhöhten Entdeckungsrisikos von neuen Taten abzuhalten sowie ihn im Falle neuer Taten zu überführen bzw. zu entlasten.
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Mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 3. November 2021, rechtskräftig seit 11. November 2021, wurde der Kläger aus rechtlichen Gründen wegen Schuldunfähigkeit, u.a. von den, den Anlass für die streitgegenständliche Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung gebenden, Vorfällen aus dem Mai 2020 freigesprochen (..., hinzuverbunden: ... und ...).
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Die Beteiligten wurden zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen. Zum Verfahren beigezogen wurden auch die Strafakten der Staatsanwaltschaft Augsburg mit dem Az. ... samt hinzuverbundenen Verfahren.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die Entscheidung konnte im vorliegenden Fall durch Gerichtsbescheid ergehen, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden zu diesem Vorgehen gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO angehört. Einer Zustimmung der Beteiligten bedarf es nicht (vgl. BVerwG, B.v. 11.7.2019 - 3 B 50.18 - juris Rn. 10).
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Der angegriffene Bescheid des Beklagten vom 7. September 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung findet in § 81b Alt. 2 StPO ihre Rechtsgrundlage, wonach Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten eines Strafverfahrens auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden dürfen, soweit es für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Die Vorschrift des § 81b Alt. 2 StPO ermächtigt zu präventiv-polizeilichen Maßnahmen und dient der vorsorgenden Bereitstellung von Hilfsmitteln für die künftige Erforschung und Aufklärung von Straftaten (vgl. BVerwG, U.v. 23.11.2005 - 6 C 2.05 - juris Rn. 18 m.w.N.). Die Voraussetzungen der Vorschrift liegen hier vor. Die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung wäre auch für den Fall rechtmäßig, dass man sie auf Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 PAG (mit den entsprechend zu § 81b Alt. 2 StPO entwickelten Maßstäben) stützen wollte, wenn eine zum Tatzeitpunkt bestehende Schuldunfähigkeit eines Betroffenen erst nachträglich bekannt wird (vgl. VG München, U.v. 27.3.2019 - M 7 K 17.4047 - juris Rn. 23 und 31 m.w.N.).
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a) Nach dem Wortlaut des § 81b Alt. 2 StPO darf die Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen nur gegen den Beschuldigten eines Strafverfahrens erfolgen. Damit wird deutlich, dass diese Anordnung nicht an beliebige Tatsachen anknüpfen und zu einem beliebigen Zeitpunkt ergehen kann, sondern dass sie aus einem konkret gegen den Betroffenen als Beschuldigten geführten Strafverfahren hervorgehen und jedenfalls sich auch aus den Ergebnissen dieses Verfahrens die gesetzlich geforderte Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung herleiten muss. Für die Beschuldigteneigenschaft kommt es allein darauf an, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheides formell betrachtet Beschuldigter eines Strafverfahrens war; die Rechtmäßigkeit der Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung bezogen auf das Tatbestandsmerkmal der Beschuldigteneigenschaft entfällt selbst bei einem späteren Freispruch oder der Einstellung des Verfahrens nicht (vgl. etwa BVerwG, U.v. 23.11.2005 - 6 C 2.05 - juris Rn. 20; BayVGH, B.v. 27.12.2010 - 10 ZB 10.2847 - juris Rn. 8; B.v. 2.4.2015 - 10 C 15.304 - juris Rn. 5 f. m.w.N.).
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Der Kläger war vorliegend zum Zeitpunkt des Ergehens der Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung vom 7. September 2021 Beschuldigter eines Strafverfahrens und deshalb tauglicher Adressat gemäß § 81b Alt. 2 StPO. Die Staatsanwaltschaft Augsburg erhob am 10. September 2020 u.a. aufgrund der Vorfälle vom 7., 13., 17. und 18. Mai 2020 (...) Anklage beim Amtsgericht Augsburg wegen Beleidigung (7. Mai 2020), Beleidigung in drei tateinheitlichen Fällen (13. Mai 2020), Beleidigung (17. Mai 2020) sowie tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung in vier tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Beleidigung in acht tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit tätlicher Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen (18. Mai 2020) - zum nach o.g. Grundsätzen maßgeblichen Zeitpunkt war das Ermittlungsverfahren weder eingestellt noch war der Kläger rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen. Dessen ungeachtet wird die Rechtmäßigkeit der Anordnung erkennungsdienstlicher Behandlung nicht dadurch berührt, dass der Betroffene die Beschuldigteneigenschaft zu einem späteren Zeitpunkt u.U. verliert (vgl. BVerwG, U.v. 27.6.2018 - 6 C 39.16 - juris Rn. 17).
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b) Die noch nicht vollzogene Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. VG Potsdam, U.v. 30.7.2021 - 3 K 3110/19 - juris Rn. 22) auch „notwendig“ im Sinne des § 81b Alt. 2 StPO.
23
Für die Annahme der Notwendigkeit bedarf es einer auf der sog. Anlasstat beruhenden Wiederholungsgefahr. Eine Wiederholungsgefahr ist anzunehmen, wenn aufgrund eines konkreten Sachverhalts die Prognose angestellt werden kann, dass der Betroffene auch in Zukunft in den Kreis Verdächtiger einer noch aufzuklärenden anderen strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und, dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen fördern könnten (vgl. BVerwG, U.v. 23.11.2005 - 6 C 2.05 - juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 8.9.2020 - 10 CS 20.1850 - juris Rn. 5). Die für diese Prognose maßgeblichen Umstände des Einzelfalls ergeben sich insbesondere aus Art, Schwere und Begehungsweise der dem Beschuldigten im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten, aus seiner Persönlichkeit sowie seinem bisherigen strafrechtlichen Erscheinungsbild. Aufgrund des präventiven Charakters der Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen kann bei der Prognose, ob eine Wiederholungsgefahr vorliegt, der in einem Ermittlungsverfahren erhobene Tatverdacht sogar dann berücksichtigt werden, wenn dieses Ermittlungsverfahren nach §§ 153 ff. oder § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist. Denn die Einschätzung der Strafverfolgungsbehörde, das Ermittlungsergebnis gebe nicht genügenden Anlass zur Anklage, steht einer Bewertung des zugrundeliegenden „Anfangsverdachts“ und des Ermittlungsergebnisses nach den Maßstäben kriminalistischer Erfahrung nicht entgegen, wenn trotz Einstellung des Strafverfahrens ein „Restverdacht“ verbleibt. Dasselbe gilt, wenn der Betroffene rechtskräftig freigesprochen wurde, der Freispruch aber die Verdachtsgründe nicht vollständig ausgeräumt hat (vgl. BayVGH, B.v. 8.9.2020 - 10 CS 20.1850 - juris Rn. 5 m.w.N.). Ferner beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle darauf, ob die nach kriminalistischer Erfahrung anzustellende Prognose auf zutreffender Tatsachengrundlage beruht und ob sie nach gegebenem Erkenntnisstand unter Einbeziehung des kriminalistischen Erfahrungswissens sachgerecht sowie vertretbar ist. Der unbestimmte Rechtsbegriff der „Notwendigkeit“ unterliegt dabei der vollen gerichtlichen Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte, während das der polizeilichen Prognose über das künftige Verhalten des Betroffenen zugrundeliegende Wahrscheinlichkeitsurteil einer solchen Kontrolle nur begrenzt zugänglich ist (vgl. VG Würzburg, U.v. 29.3.2019 - W 9 K 18.476 - juris Rn. 39).
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In Anwendung dieser Maßstäbe hat der Beklagte zutreffend dargelegt, dass sich aus dem bisherigen strafrechtlichen Werdegang, der Art und Weise der Begehung der Anlasstat(en) sowie der Persönlichkeit des Klägers eine hinreichend konkrete Wiederholungsgefahr ergibt. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt das Gericht auf die ausreichende und nachvollziehbare Begründung im angefochtenen Bescheid insoweit Bezug und sieht insoweit von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend wird ausgeführt:
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Der Kläger ist bereits in der Vergangenheit strafrechtlich in Erscheinung getreten, wodurch gleichsam die (Negativ-)Prognose der Wiederholungsgefahr indiziert ist sowie vorliegend schon dies die Annahme rechtfertigt, dass der Kläger bei künftigen noch aufzuklärenden einschlägigen Straftaten in den Kreis möglicher Tatverdächtiger einbezogen werden könnte und, dass die streitbefangenen erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen fördern könnten: Der Kläger wurde im Jahre 2011 wegen falscher Verdächtigung in Tateinheit mit Verleumdung in Tatmehrheit mit Beleidigung in vier tatmehrheitlichen Fällen, im Jahre 2012 wegen Beleidigung in sechs tatmehrheitlichen Fällen sowie im Jahre 2014 wegen versuchter Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung in Tatmehrheit mit Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit versuchter Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung in vier tateinheitlichen Fällen jeweils zu Geldstrafen verurteilt. Die Verurteilungen hielten den Kläger indes weder von der Begehung der Anlasstaten noch von weiteren Vorfällen ab, die (wie vom Beklagten aufgeschlüsselt) zumindest polizeiliche/ staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren - ebenfalls hauptsächlich wegen Beleidigung, Volksverhetzung, Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte - auslösten.
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Soweit der Kläger sowohl von den Anlasstaten aus dem Mai 2020 als auch in weiteren - vom Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid im Einzelnen aufgeführten - Anklagepunkten rechtskräftig aus rechtlichen Gründen wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen wurde, zieht das die kriminalistische Einschätzung des Beklagten hinsichtlich der Frage, ob der Kläger in Zukunft in den Kreis Verdächtiger einer noch aufzuklärenden anderen strafbaren Handlung einbezogen werden könnte, nicht in Zweifel, da trotz rechtskräftigen Freispruchs - wie hier - verbleibende bzw. fortbestehende Verdachtsgründe berücksichtigt werden können. Eine Einbeziehung kommt lediglich dann nicht (mehr) in Betracht, wenn bei rechtskräftigen Freispruch feststeht, dass der Betroffene eine Tat tatsächlich nicht oder nicht rechtswidrig begangen hat. Ein Freispruch wegen des Vorliegens schuldausschließender Gründe nach § 20 StGB räumt hingegen einen Tatverdacht nicht (in diesem Sinne) aus. Eine Einbeziehung verbleibender bzw. fortbestehender Verdachtsgründe stellt weder eine Schuldfeststellung oder -zuweisung dar, noch setzt sie eine solche voraus, was sich auch aus dem präventiven Zweck von § 81b Alt. 2 StPO im Allgemeinen und dem Wortlaut von § 20 StGB im Besonderen („bei Begehung der Tat“) ergibt (vgl. BVerwG, U.v. 9.6.2010 - 6 C 5.09 - NJW 2011, 405, juris Rn. 26 f.; vgl. auch BayVGH, B.v. 21.10.2002 - 24 C 02.2268 - juris Rn. 10; B.v. 8.9.2020 - 10 CS 20.1850 - juris Rn. 5 f.). Für die nicht zu beanstandende Prognose, der Kläger werde voraussichtlich auch bei künftigen noch aufzuklärenden einschlägigen Straftaten strafrechtlich in Erscheinung treten, sei zudem darauf hingewiesen, dass sich dem abgekürzten Strafurteil des Amtsgerichts Augsburg vom 3. November 2021, dem Protokoll der Hauptverhandlung, und dem psychiatrischen Gutachten vom 16. Februar 2021 eine (positiv festgestellte) vollständige - über den Begutachtungszeitraum von September 2019 bis November 2020 hinausreichende - Aufhebung der Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit des Klägers nicht entnehmen lässt. Im Protokoll der Hauptverhandlung vom 3. November 2021 findet sich vielmehr die Aussage des Sachverständigen, dass ob des in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks vom Kläger die „erforderliche Anzahl für die Diagnose einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung gegeben“ sei und eine Anwendung des § 20 StGB „nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden“ könne. Der Kläger ist, soweit ersichtlich, nicht freigesprochen worden, weil das Amtsgericht Augsburg davon überzeugt war, dass er die ihm zur Last gelegten Straftaten nicht (rechtswidrig) begannen hat. Für die präventiv-polizeiliche Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen ist nur der objektive Geschehensablauf entscheidend, der - wie hier - die Annahme von verbleibenden bzw. fortbestehenden Verdachtsgründen zu tragen vermag (vgl. auch VG Ansbach, B.v. 3.6.2014 - AN 5 S 14.346 - juris Rn. 15; zur Anwendung des Zweifelsgrundsatzes bei schuldfähigkeitsrelevanten Tatsachen: MüKo StGB, 4. Aufl. 2020, § 20 Rn. 29 f.).
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Es ist ferner nicht zu beanstanden, dass der Beklagte trotz nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellten Ermittlungsverfahren insoweit einen verbliebenen Restverdacht in seine Prognoseentscheidung aufnimmt, als es an erforderlichen Strafanträgen fehlte. Nachvollziehbar dargelegt und noch ausreichend begründet hat der Beklagte, dass ein Restverdacht nicht vollständig ausgeräumt wurde und weiterhin Anhaltspunkte für eine zukünftige Straffälligkeit des Klägers bestehen; eine erwiesene Unschuld wurde nicht festgestellt (u.a. ...). Es begegnet ebenso keinen rechtlichen Bedenken, dass der Beklagte nachvollziehbar dargelegte sowie hinreichend verbleibende Verdachtsgründe insoweit in seine Gefahrenprognose einbezieht, als von der Verfolgung einzelner Taten bzw. Teile von Taten nach § 154 Abs. 1 bzw. § 154a Abs. 1 StPO abgesehen wurde (u.a. ...). Bereits nach dem Wortlaut der Vorschriften geht damit keine erwiesene Unschuld einher (vgl. BayVGH, B.v. 3.4.2013 - 10 C 11.1967 - juris Rn. 14). Anders verhält es sich bei einer erfolgten Einstellung eines Ermittlungsverfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO im Tatvorwurf der Amtsanmaßung, da mangels Durchführung hoheitlicher Aufgaben der Straftatbestand der Amtsanmaßung ersichtlich nicht gegeben war (u.a. ...). Auch die Tatvorwürfe einer begangenen Volksverhetzung vermögen nach entsprechenden staatsanwaltschaftlichen Verfügungen aufgrund der erkennbar fehlenden Aufforderung zu Hass, Gewalt- und Willkürmaßnahmen nicht einbezogen zu werden (u.a. ...). Nach den vorstehenden Maßgaben ändert dies aber nichts daran, dass die vom Beklagten vorgenommene Gefahrenprognose im Übrigen keinen Bedenken begegnet.
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Im Lichte o.g. Maßgaben ist - unabhängig hiervon - schließlich die vom Beklagten ausreichend und nachvollziehbar dargelegte Prognose nicht zu beanstanden, dass wegen der vom Beklagten näher dargelegten Einstellung des Klägers, vornehmlich zu Menschen mit Migrationshintergrund einerseits und Polizist/innen andererseits, hinreichend wahrscheinlich zu erwarten steht, dass er auch künftig, insbesondere wie etwa im Rahmen der Anlasstaten, strafrechtlich in Erscheinung treten könnte. Es kommt nicht darauf an, ob der Kläger voraussichtlich (auch) verurteilt werden wird respektive kann. Hinzukommt, dass der Kläger zuletzt in einem kurzen Zeitraum (18. Dezember 2019 bis 11. Mai 2021), gehäuft strafrechtlich in Erscheinung trat.
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c) Die durch die erkennungsdienstliche Behandlung gewonnen Unterlagen sind auch geeignet, künftige Ermittlungen zu fördern (vgl. statt vieler BayVGH, B.v. 27.10.2020 - 10 ZB 20.1974 - juris Rn. 8 m.w.N.). Insbesondere erscheinen die Anlasstaten hier in besonderem Maße geeignet, die Notwendigkeit dieser Maßnahme zu rechtfertigen, wenn und weil durch aktuelle Lichtbilder der Person des Klägers, durch die Personenbeschreibung, seine Fingerabdrücke etc. Ermittlungen, insbesondere bei vom Kläger versandten „Briefschreiben“ oder Taten „im öffentlichen Raum“, für Befragungen von Zeugen und/ oder Geschädigten, Lichtbildvorlagen, einem Vergleich mit Aufnahmen von Überwachungskameras oder einem Abgleich von Fingerabdrücken mit Spuren von „öffentlichen“ Tatorten oder sonstigen Tatmitteln (wie z.B. Briefschreiben) usw. unterstützt werden, gleichzeitig aber auch die aktuellen erkennungsdienstlichen Unterlagen dazu dienen können, den Kläger bei Verdachtsfällen von einem etwaig unzutreffenden Verdacht zu befreien.
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d) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist ebenfalls gewahrt. Bei den Anlasstaten handelt es sich nicht um bloße Bagatellkriminalität, sondern um ein die Allgemeinheit massiv beeinträchtigendes strafbares Verhalten. Insbesondere handelt es sich bei der u.a. in Rede stehenden körperlichen Unversehrtheit ausweislich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG um ein hochrangiges Rechtsgut. Unabhängig hiervon verlässt die Anzahl, wie oft der Kläger in kurzer Zeit strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, den Bereich der Bagatellkriminalität. Zudem ist dem Beklagten darin zu folgen, dass die Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung des Klägers für diesen nur mit einer geringen Beeinträchtigung verbunden und damit zumutbar ist. Der Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass das anzufertigende erkennungsdienstliche Material nicht für ein öffentliches Register, sondern für eine polizeiliche Datei, die den Speicherfristen und Nutzungsvorschriften des PAG unterliegt, bestimmt ist (vgl. auch VG Düsseldorf, U.v. 7.2.2014 - 18 K 5188/13 - juris Rn. 40).
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e) Der Beklagte hat erkannt, dass die Entscheidung in seinem Ermessen steht, dieses ausgeübt sowie alle relevanten Belange mit dem ihnen zustehenden Gewicht in die Entscheidung eingestellt. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
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2. Die unter Ziffer 1 lit. b) des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Vorladung findet in § 81b StPO (quasi als Annex) oder jedenfalls nach Art. 15 Abs. 1 Nr. 2 PAG eine ausreichende Rechtsgrundlage (vgl. hierzu VG München, U.v. 27.3.2019 - M 7 K 17.4047 - juris Rn. 19). Sie ist Folge der Pflicht zur Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung und wurde vom Beklagten hinreichend und zutreffend begründet. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das Gericht insoweit auf die Gründe des angefochtenen Bescheids und sieht insoweit von einer eigenen Begründung ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
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3. Die Zwangsgeldandrohung und -festsetzung finden ihre Rechtsgrundlage in Art. 15 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 PAG i.V.m. Art. 70 Abs. 1, 71 Abs. 1 Nr. 2, 73, 76 PAG und begegnen keinen rechtlichen Bedenken (vgl. auch VG Augsburg, U.v. 21.11.2017 - Au 8 K 17.1422 - juris Rn. 26 m.w.N.).
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
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5. Die Entscheidung über die sofortige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 84 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.