Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 13.06.2022 – Au 9 S 22.1171
Titel:

Verkehrsverbot für ein Tabakerzeugnis (Wasserpfeifentabak)

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
TabakerzG § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 4, § 5 Abs. 2, § 29 Abs. 2
Tabak-RL Art. 2, Art. 7 Abs. 6
TabakerzV § 4
Leitsatz:
Da § 4 TabakerzV ein absolutes Verbot des Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen normiert, wenn sie einen der in Anlage 1 zu § 4 TabakerzV aufgeführten Zusatzstoff enthalten, ist nicht entscheidungserheblich, ob von dem beanstandeten Produkt tatsächlich eine Gesundheitsgefahr für die Verbraucher ausgeht. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
vorläufiger Rechtschutz, Sofortvollzug, Verkehrsverbot für ein Tabakerzeugnis (Wasserpfeifentabak), Zusatzstoff, Rücknahme im Umlauf befindlicher Produkte, vorläufiger Rechtsschutz, Verkehrsverbot, Tabakerzeugnis, Wasserpfeifentabak, Gesundheitsgefahr, Inhaltsstoff, RL 2014/40/EU
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 02.08.2022 – 20 CS 22.1540
Fundstelle:
BeckRS 2022, 27395

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 200.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich im Wege vorläufigen Rechtschutzes gegen ein von der Antragsgegnerin ausgesprochenes Verkehrsverbot für ein Tabakerzeugnis (Wasserpfeifentabak) und dessen angeordneter Rücknahme.
2
Die Antragstellerin importiert u.a. den im Königreich Jordanien hergestellten Wasserpfeifentabak der Sorte „...“ und gibt diesen an Groß- und Einzelhandelsbetriebe ab.
3
Am 2. November 2021 wurde durch das Landratsamt ... im Betrieb „...“,, eine Probe des vorbezeichneten Wasserpfeifentabaks der Packungsgröße 200 g entnommen. Diese Probe wurde durch das Chemische- und Veterinäruntersuchungsamt ... (...) untersucht und mit Gutachten vom 10. Februar 2022 beanstandet. Es handle sich bei dem Produkt um ein Tabakerzeugnis i.S.v. § 1 Abs. 1 Tabakerzeugnisgesetz (TabakerzG) i.V.m. Art. 2 Nr. 13 RL 2014/40/EU, das mit Hilfe einer Wasserpfeife verwendet werden könne. Die Probe unterliege den Bestimmungen des TabakerzG und der Tabakerzeugnisverordnung (TabakerzV). Die Probe habe die Inhaltsstoffe 1,8-Cineol, Eukalyptol, Isopulegol, Menthon und Menthol enthalten. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 TabakerzG i.V.m. § 4 TabakerzV dürften Tabakerzeugnisse nicht in den Verkehr gebracht werden, wenn sie einen in Anlage 1 aufgeführten Zusatzstoff enthalten. Die festgestellten Parameter seien für den Gebrauch in Rauchtabakerzeugnissen nicht zugelassen, da sie sämtlich die Nikotinaufnahme oder das Inhalieren erleichterten.
4
Auf die weiteren Ausführungen im Untersuchungsbefund des ... ... vom 10. Februar 2022 wird ergänzend verwiesen.
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Mit Schreiben vom 28. März 2022 wurde die Antragstellerin zum beabsichtigten Rückruf des für nicht rechtskonform erachteten Wasserpfeifentabaks angehört. Sie nahm mit Schreiben vom 29. April 2022 zum beabsichtigten Rückruf Stellung.
6
Mit Bescheid der Stadt Augsburg - Amt für Verbraucherschutz und Veterinärwesen - vom 10. Mai 2022 wurde der Antragstellerin das Inverkehrbringen von Wasserpfeifentabak der Sorte „...“, der unter Verwendung der verbotenen Zusatzstoffe „Eukalyptusöl“ und „Minzöl“ resp. „1,8 Cineol (Eukalyptol)“, „Menthol“ und „(-)-Menthon“ hergestellt worden sei, untersagt (Nr. 1 des Bescheids). In Nr. 2 wurde die Antragstellerin zunächst aufgefordert, die bereits in Verkehr gebrachten Einheiten des Tabakerzeugnisses zurückzurufen. Der Rückruf ist bis zum 20. Mai 2022 einzuleiten. In Nr. 3 des Bescheids wurde die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 des Bescheids angeordnet. Für den Fall der nicht fristgerechten Folgeleistung der in Nrn. 1 und 2 des Bescheids getroffenen Anordnungen wurde der Antragstellerin in Nr. 4 und Nr. 5 des Bescheids ein Zwangsgeld in Höhe von 15.000,00 EUR (bzgl. Nr. 1) bzw. in Höhe von 10.000,00 EUR (bzgl. Nr. 2 des Bescheids) angedroht.
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Zur Begründung führt die Antragsgegnerin unter anderem aus, dass die Notwendigkeit für die Untersagung des Inverkehrbringens und den Rückruf des Erzeugnisses sich aus § 29 Abs. 2 Satz 1 TabakerzG ergebe, wonach die Marktüberwachungsbehörden die erforderlichen Maßnahmen zu treffen hätten, wenn sie den begründeten Verdacht hätten, dass ein Erzeugnis nicht die Anforderungen dieses Gesetzes, der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen und der unmittelbar geltenden Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union im Anwendungsbereich dieses Gesetzes erfülle. Gemäß § 29 Abs. 2 Nr. 4 TabakerzG bestehe insbesondere die Befugnis, zu verbieten, dass ein Erzeugnis in den Verkehr gebracht werde. Gemäß § 29 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 TabakerzG sei die Marktüberwachungsbehörde zudem befugt, den Rückruf oder die Rücknahme eines in den Verkehr gebrachten Erzeugnisses anzuordnen. Das Erzeugnis „...“ erfülle nicht die Anforderungen gem. § 5 Abs. 1 Nr. 4 TabakerzG i.V.m. § 4 TabakerzV. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 TabakerzG i.V.m. § 4 TabakerzV dürften Tabakerzeugnisse nicht in den Verkehr gebracht werden, wenn sie einen der in Anlage 1 aufgeführten Zusatzstoffe enthielten. Dabei beinhalte § 4 TabakerzV lediglich das Verbot des absichtlichen, zielgerichteten Zusetzens eines Stoffes im Rahmen der Rezeptur des Tabakerzeugnisses und nicht etwa den Gehalt eines Stoffes im Tabakerzeugnis, der natürlicher Bestandteil eines rechtmäßig verwendeten Zusatzersatzstoffes sei oder aus einer Verunreinigung herrühre. Der Einsatz von Aromen mit zugesetztem Eukalyptus- und Minzöl stelle für sich bereits einen Verstoß gegen die Zusatzstoffbestimmungen gem. § 5 Abs. 1 Nr. 4 TabakerzG i.V.m. § 4 TabakerzV i.V.m. der Anlage 1 Nr. 4e TabakerzV dar, da Öle und Bestandteile, die aus Pflanzen der Gattungen Mentha, Eucalyptos, Ocimum, Thymus und Salvia stammten, verbotene Zusatzstoffe in Tabakerzeugnissen seien, weil sie die Nikotinaufnahme oder das Inhalieren erleichterten. Folglich seien auch die im Tabakerzeugnis nachgewiesenen Stoffe wie Menthol, (-)-Menthon und 1,8 Cineol zu beanstanden, da diese durch die rechtswidrige Verwendung von Eukalyptus- und Minzöl im Tabakerzeugnis aktiv zugesetzt worden seien. Die Untersagung des Inverkehrbringens des Erzeugnisses sei ebenso wie die Anordnung des Rückrufs geeignet, die Abgabe des beanstandeten Produktes an Endkunden zu unterbinden und damit deren Gesundheit zu schützen. Die Maßnahmen seien auch erforderlich, da sie das mildeste Mittel darstellten. Die sofortige Vollziehung sei unter Berücksichtigung, dass ein aufgrund von unerlaubten Zusatzstoffen nicht verkehrsfähiges Tabakerzeugnis in Verkehr gebracht werde, im öffentlichen Interesse geboten. Das Verbot von Zusatzstoffen, die die Nikotinaufnahme oder das Inhalieren erleichterten, dienten dem Gesundheitsschutz, da damit der (übermäßige) Konsum bzw. die Gewöhnung an das Tabakerzeugnis verhindert werden solle. Es handle sich demnach um Vorkehrungen gegen gesundheitliche Schäden. Die Anordnungen unter Nr. 1 und 2 des Bescheids dienten der Umsetzung der Schutzvorschriften und damit direkt dem Gesundheitsschutz. Sie lägen somit im öffentlichen Interesse. Damit die Anordnungen ihre Wirkung möglichst rasch entfalten können, sei die sofortige Vollziehung notwendig und geboten. Während eines möglichen, lang andauernden Rechtsbehelfsverfahrens wäre ansonsten der kollektive Gesundheitsschutz vor einem widerrechtlich in Verkehr gebrachten Tabakerzeugnis nicht gegeben. Das Interesse an der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen den Bescheid müsse deshalb gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Gesundheit der Verbraucher zurücktreten. Die Androhung der Zwangsgelder stütze sich auf Art. 29, 30, 31 und 36 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG). Hinsichtlich der Zwangsgeldhöhe sei das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin berücksichtigt worden.
8
Auf den weiteren Inhalt des Bescheids der Antragsgegnerin vom 10. Mai 2022 wird ergänzend verwiesen.
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Unter dem 20. Mai 2022 wurde die Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids dahingehend abgeändert, dass die Antragstellerin lediglich die bereits in Verkehr gebrachten Einheiten des Tabakerzeugnisses zurückzurufen habe (Rücknahme). Die Rücknahme sei in Abänderung des Bescheids bis zum 25. Mai 2022 einzuleiten.
10
Die Antragstellerin hat gegen den vorbezeichneten Bescheid mit Schriftsatz vom 24. Mai 2022 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben (Az.: Au 9 K 22.1170), über die noch nicht entschieden wurde.
11
Ebenfalls mit Schriftsatz vom 24. Mai 2022 hat die Antragstellerin im Wege vorläufigen Rechtschutzes beantragt,
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die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10. Mai 2022, Az.:, abgeändert durch die Mail vom 20. Mai 2022, wird hinsichtlich Ziffern 1 und 2 wiederhergestellt.
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass das beanstandete streitgegenständliche Produkt die Aromen P0600917, P0124945 und P0632322 der Firma ... GmbH enthalte. Die verwendeten Aromen würden ohne das Zusetzen der chemischen Verbindungen Eukalyptol, Isopulegol, Menthon und Menthol hergestellt. Der in dem Gutachten des ... festgestellte Gehalt sei auf einen natürlichen Bestandteil in den für die Tabakherstellung verwendeten ätherischen Ölen zurückzuführen sowie auf Spuren von Substanzen, die durch Verschleppungen von Produktionsanlagen vorhanden sein könnten. Der Antrag sei begründet. Zum einen sei bereits die Sofortvollzugsanordnung formell rechtswidrig. Zum anderen ergebe das Ergebnis der Interessenabwägung im streitgegenständlichen Fall, dass das Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung überwiege. Die summarische Prüfung ergebe, dass die Klage voraussichtlich Erfolg haben werde, da der streitgegenständliche Bescheid rechtswidrig sei und die Antragstellerin in ihren Rechten verletze. Die Begründung der sofortigen Vollziehung sei lediglich formelhaft erfolgt. Sie genüge den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nicht. Sie gebe lediglich den Gesetzestext der TabakerzV wieder und stelle auf das öffentliche Interesse an der Gesundheit der Verbraucher ab. Allein das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes rechtfertige die sofortige Vollziehbarkeit jedoch nicht. Die Antragsgegnerin lege nicht auf den Einzelfall bezogen dar, weswegen ein Sofortvollzug notwendig sei, sondern führe lediglich formelhafte Allgemeinüberlegungen aus. Es gehe vorliegend nicht um den konkreten Gesundheitsschutz der Verbraucher, sondern lediglich um allgemeine gesundheitspolitische Ziele. Auch die in Nr. 1 des Bescheids angeordnete Untersagung des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Wasserpfeifentabaks sei rechtswidrig. Das streitgegenständliche Produkt erfülle die Anforderungen des TabakerzG. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin verstoße das Produkt nicht gegen § 5 Abs. 1 Nr. 4 TabakerzG i.V.m. § 4 TabakerzV. § 4 TabakerzV besage, dass Tabakerzeugnisse nicht in den Verkehr gebracht werden dürften, wenn sie einen der in Anlage 1 aufgeführten Zusatzstoffe enthielten. Zusatzstoff sei nach Art. 2 Nr. 23 der Tabakrichtlinie legal definiert als Stoff mit Ausnahme von Tabak, der einem Tabakerzeugnis, einer Packung oder einer Außenverpackung zugesetzt werde. Diese Legaldefinition sei verbindlich für das Tabakrecht. Gemeint sei nach dem Wortlaut und nach dem Sinn und Zweck das absichtliche, zielgerichtete Zusetzen eines Stoffes im Rahmen der Rezeptur des Tabakerzeugnisses und nicht etwa ein Gehalt eines Stoffes im Tabakerzeugnis, der natürlicher Bestandteil eines rechtmäßig verwendeten Zusatzstoffes sei oder aus seiner Verunreinigung herrühre. Auch ein Blick in die englische und französische Sprachfassung der Tabakrichtlinie bestätige, dass ein absichtliches, zielgerichtetes Zusetzen gemeint sei. Damit das Verkehrsverbot des § 4 TabakerzV zur Anwendung gelange, bedürfe es somit eines zielgerichteten, rezepturmäßigen Verwendens eines Zusatzstoffes. Die in Anlage 1 zu § 4 TabakerzV gelisteten Zusatzstoffe sollten verboten werden, weil sie das Rauchen attraktiver machen könnten, da sie das Inhalieren oder die Nikotinaufnahme erleichterten. Bei natürlichen Bestandteilen sei dies auszuschließen, da diese nicht in der Rezeptur vorgesehen seien und überdies nur mit geringem und schwankendem Gehalt vorhanden seien. Daher fielen die streitgegenständlichen im Wasserpfeifentabak festgestellten Stoffe 1,8 Cineol Eukalyptol, Isopulegol, (-)-Menthon und Menthol nicht unter das Zusatzstoffverbot des § 4 i.V.m. Anlage 1 Nr. 4 TabakerzV. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin falle das streitgegenständliche Produkt auch nicht unter Anlage 1 Nr. 4 Buchst. e) TabakerzV. Danach seien aus Pflanzen gewonnene Stoffe wie Öle und Bestandteile, die aus Pflanzen der Gattungen Mentha, Eukalyptus, Ocimum, Thymus und Salvia stammten als Zusatzstoffe in Tabakerzeugnissen verboten. Auch hierbei müsse es sich um einen Zusatzstoff handeln. Der Stoff dürfe nicht natürlicher Bestandteil eines rechtmäßig verwendeten Zusatzstoffes sein oder aus einer Verunreinigung stammen. Ätherische Öle dürften zulässigerweise in Tabakerzeugnissen eingesetzt werden. Die hier zugesetzten Aromaöle enthielten Eukalyptus- und Minzöl nur als natürliche Bestandteile. Darüber hinaus obliege es der Antragsgegnerin nachzuweisen, dass dem streitgegenständlichen Produkt Eukalyptus- oder Minzöl rezepturmäßig zugesetzt worden sei. Dieser Nachweis sei dem mit dem Verweis auf die im Gutachten ... festgestellten Stoffe nicht geführt. Auch die in Nr. 2 abgeändert verfügte Rücknahme des Produkts sei rechtswidrig. Die Marktüberwachungsbehörde ordne gemäß § 29 Abs. 4 TabakerzG den Rückruf oder die Rücknahme von Erzeugnissen an oder untersage die Bereitstellung auf dem Markt, wenn diese ein über die typischen Gefahren des Konsums hinausgehendes ernstes Risiko insbesondere für die Sicherheit und Gesundheit von Personen darstellten. Die Möglichkeit, einen höheren Sicherheitsgrad zu erreichen, sei kein ausreichender Grund, um anzunehmen, dass ein Erzeugnis ein ernstes Risiko darstelle. Die Antragsgegnerin habe weder ein über die typischen Gefahren des Konsums hinausgehendes ernstes Risiko dargelegt, noch eine konkrete Risikobewertung getroffen. Im Rahmen einer konkreten Interessenabwägung müsse man daher zu dem Ergebnis kommen, dass das Suspensivinteresse das Vollzugsinteresse überwiege. Die hier vorgefundenen Stoffe seien entweder als natürliche Bestandteile der ätherischen Öle oder aufgrund von Verunreinigungen in den Produktionsanlagen in das streitgegenständliche Produkt eingetragen worden. Hieraus resultiere kein gesteigertes Gesundheitsrisiko für die Verbraucher.
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Auf den weiteren Vortrag im Antragsschriftsatz vom 24. Mai 2022 wird ergänzend verwiesen.
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Die Antragsgegnerin ist dem Antrag mit Schriftsatz vom 7. Juni 2022 entgegengetreten und beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wird ausgeführt, der Antrag sei zulässig, aber unbegründet. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin sei die Anordnung der sofortigen Vollziehung hinreichend begründet. Die Vorkehrung vor gesundheitlichen Schäden sei allein bereits ausreichende Begründung. Die rechtswidrig beigemengten Zusatzstoffe seien für sich betrachtet zwar nicht nachgewiesen gesundheitsschädlich, jedoch gehe bereits vom Ausgangsprodukt, dem Wasserpfeifentabak, per se eine Gesundheitsgefahr aus, welche durch die Zugabe raucherleichternder Stoffe, die die Aufnahme größerer Mengen und den Konsum entgegen einer körperlichen Abwehrreaktion ermöglichen, verstärkt werde. Die sofortige Vollziehung der Rücknahme sei notwendig, damit der bereits in Verkehr gebrachte Wasserpfeifentabak während eines möglichen Rechtsbehelfsverfahrens durch die bereits belieferten Händler nicht weiter an Kunden veräußert werde. Obwohl es sich bei dem beanstandeten Wasserpfeifentabak um das meist verkaufte Produkt der Antragstellerin handle, müsse das wirtschaftliche Interesse am Verkauf des Tabaks zurückstehen, da mit der Gesundheit der Konsumenten ein hohes Gut gefährdet sei. Auch im Übrigen sei der streitgegenständliche Bescheid rechtmäßig. Insbesondere seien Eukalyptusöl und Minzöl gem. § 5 Abs. 1 Nr. 4 TabakerzG i.V.m. § 4 TabakerzV und Anlage 1 Nr. 4 Buchst. e) unerlaubte Zusatzstoffe in Tabakerzeugnissen. Es sei zwischen den im Produkt enthaltenen Stoffen Isopulegol, Menthon, Menthol und Cineol (Eukalyptol), die gemäß Stellungnahme der ... GmbH vom 29. April 2022 durch Verschleppung oder Verunreinigung im Aroma vorhanden sein könnten, und den im Rahmen der Zugabe von Eukalyptusöl und Minzöl eingebrachten Stoffen, ebenfalls Menthol, Menthon und Cineol (Eukalyptol) zu unterscheiden. Erstere seien aufgrund des Eintrags keine Zusatzstoffe i.S.d. § 4 TabakerzV, da keine aktive Zugabe erkannt werden könne. Die letztgenannten seien allerdings allein durch die Zugabe der genannten Öle aktiv zugeführt als nicht rechtmäßige Stoffe im Tabakerzeugnis vorhanden und somit selbst rechtswidrig. Öle, die in der Negativliste der Anlage 1 zu § 4 TabakerzV enthalten seien, wie beispielsweise Eukalyptusöl und Minzöl, würden vom Verkehrsverbot erfasst. Im Rahmen der Interessenabwägung sei auch berücksichtigt worden, dass eine gravierende Beeinträchtigung des Rufs der Antragstellerin zumindest in Bezug auf Privatkunden ausgeschlossen werden könne, da bei einer Rücknahme im Gegensatz zum Rückruf nur die belieferten Händler informiert werden müssten. Ein gesteigertes Gesundheitsrisiko ergebe sich durch die Zugabe raucherleichternder Stoffe, die die Aufnahme größerer Mengen und den Konsum entgegen einer körperlichen Abwehrreaktion durchaus ermöglichten.
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Auf die weiteren Ausführungen im Antragserwiderungsschriftsatz vom 7. Juni 2022 wird ergänzend verwiesen.
19
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachund Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die von der Antragsgegnerin vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
20
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage (Az.: Au 9 K 22.1170) hat keinen Erfolg.
21
1. Der Antrag ist zulässig.
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Die Antragstellerin begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer am 24. Mai 2022 erhobenen Klage (Az.: Au 9 K 22.1170) hinsichtlich der nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärten Nrn. 1 und 2 des Bescheids vom 10. Mai 2022 (Verbot des Inverkehrbringens des Wasserpfeifentabaks der Sorte „...“ und der hierzu zuletzt von der Antragsgegnerin geforderten Rücknahme bereits ausgelieferter Produkte).
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2. Der Antrag ist in der Sache jedoch unbegründet.
24
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts angeordnet ist, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen den zugrundeliegenden Bescheid ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. in den Fällen, in denen die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs kraft Gesetzes entfällt, die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anordnen. Das Gericht prüft bei ersterem, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind, und trifft im Übrigen jeweils eine eigene Abwägungsentscheidung. Bei der im Rahmen dieser Entscheidung gebotenen Interessenabwägung kommt vor allem den Erfolgsaussichten des Verfahrens in der Hauptsache besondere Bedeutung zu. Bleibt das Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos, so wird die Abwägung in der Regel zum Nachteil des Betroffenen ausfallen. Hat der Rechtsbehelf in der Hauptsache hingegen voraussichtlich Erfolg, so ist dessen aufschiebende Wirkung wiederherzustellen bzw. anzuordnen. Wenn sich bei der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage dagegen weder die offensichtliche Rechtswidrigkeit noch die offensichtliche Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung feststellen lässt, hängt der Ausgang des Verfahrens vom Ergebnis einer vom Gericht vorzunehmenden weiteren Interessenabwägung ab (vgl. BayVGH, B.v. 5.3.2015 - 10 CS 14.2244 - juris).
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a) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids ist formell rechtmäßig.
26
Soweit die Behörde die sofortige Vollziehung ausdrücklich angeordnet hat (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) hat das Gericht zunächst zu prüfen, ob sich die behördliche Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung als im Sinne des § 80 Abs. 3 VwGO ausreichend erweist; ist das nicht der Fall, hat das Gericht die Vollziehungsanordnung ohne weitere Sachprüfung aufzuheben, nicht jedoch die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wiederherzustellen (vgl. BayVGH, B.v. 9.12.2013 - 10 CS 13.1782 - juris).
27
Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen der Anordnung des Sofortvollzugs nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Dabei reicht jede schriftliche Begründung, die zu erkennen gibt, dass die anordnende Behörde eine Anordnung des Sofortvollzugs im konkreten Fall für geboten erachtet. Die Begründung muss kenntlich machen, dass sich die Behörde bewusst ist, von einem rechtlichen Ausnahmefall Gebrauch zu machen (Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 55). Es müssen die besonderen, auf den konkreten Fall bezogenen Gründe angegeben werden, die die Behörde dazu bewogen haben, den Suspensiveffekt aus § 80 Abs. 1 VwGO auszuschließen (vgl. BayVGH, B.v. 16.2.2000 - 10 CS 99.3290 - juris Rn. 16). Es kommt hingegen nicht darauf an, ob die angeführten Gründe den Sofortvollzug tatsächlich rechtfertigen und ob die für die sofortige Vollziehung angeführten Gründe erschöpfend und zutreffend dargelegt sind.
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Diesen Vorgaben wird die streitgegenständliche Begründung des Sofortvollzugs gerecht. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist mit einer hinreichenden Begründung versehen, mithin also formell rechtmäßig. Die Antragsgegnerin hat in der streitgegenständlichen Anordnung vom 10. Mai 2022 ausgeführt, dass die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse geboten sei. Das Verbot von Zusatzstoffen, die die Nikotinaufnahme oder das Inhalieren erleichterten, diene dem Gesundheitsschutz, da damit der (übermäßige) Konsum bzw. die Gewöhnung an das Tabakerzeugnis verhindert werden solle. Es handle sich um Vorkehrungen gegen gesundheitliche Schäden. Die Anordnungen des Bescheids dienten der Umsetzung der Schutzvorschriften des TabakerzG und der TabakerzV und damit unmittelbar dem Schutz der Gesundheit. Sie lägen im öffentlichen Interesse. Damit die Anordnungen ihre Wirkung möglichst rasch entfalten können, sei die sofortige Vollziehung notwendig. Während eines möglichen, lang andauernden Rechtsbehelfsverfahrens wäre der kollektive Gesundheitsschutz vor einem widerrechtlich in Verkehr gebrachten Tabakerzeugnis nicht gegeben. Das Interesse an der aufschiebenden Wirkung einer Klage müsse deshalb gegenüber dem öffentlichen Interesse am Gesundheitsschutz der Verbraucher zurücktreten.
29
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO erforderliche besondere öffentliche Interesse jedenfalls dann vorliegt, wenn ein Tabakerzeugnis in den Verkehr gebracht wird, welches einen der in Anlage 1 zu § 4 TabakerzV genannten unerlaubten Zusatzstoffe enthält. Nach Nr. 4 der Anlage 1 zu § 4 TabakerzV - Verbotene Zusatzstoffe in Tabakerzeugnissen - gilt dies insbesondere bei Zusatzstoffen in Rauchtabakerzeugnissen, die das Inhalieren oder die Nikotinaufnahme erleichtern. Ist dies - wie von der Antragsgegnerin angenommen - der Fall und das Tabakerzeugnis mithin nicht verkehrsfähig, so bleibt naturgemäß für eine einzelfallbezogene Begründung des Sofortvollzugs nur ein entsprechend verringerter Spielraum. Vor diesem Hintergrund ist die Begründung des Sofortvollzugs vorliegend bezogen auf die lebensmittelrechtlichen Feststellungen des ... vom 10. Februar 2022 (Behördenakte Blätter 3 bis 6) fallbezogen und nicht lediglich floskelhaft erfolgt. Mit Blick darauf, dass an den Inhalt der schriftlichen Begründung des Sofortvollzugs keine zu hohen Anforderungen zu stellen sind, genügt die Begründung des Sofortvollzugs vorliegend noch den Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Eine Aufhebung der Anordnung des Sofortvollzugs aus formellen Gründen war daher nicht veranlasst. Der Funktion des Begründungserfordernisses aus § 80 Abs. 3 VwGO, die vor allem darin besteht, der Behörde die besondere Ausnahmesituation bewusst zu machen, wurde jedenfalls ausreichend Rechnung getragen. Ob die behördliche Begründung inhaltlich zutreffend ist, ist im Rahmen der Prüfung nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO unerheblich. Damit bleibt aber auch der lediglich hilfsweise gestellte Antrag auf Aufhebung der sofortigen Vollziehung ohne Erfolg.
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b) Das streitgegenständliche Verbot des Inverkehrbringens des Wasserpfeifentabaks der Sorte „...“ ist nach der im Verfahren vorläufigen Rechtschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden Prüfung der Sach- und Rechtslage voraussichtlich rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das öffentliche Interesse und das Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung der Anordnung überwiegt das Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage.
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aa) Das in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids der Antragsgegnerin vom 10. Mai 2022 ausgesprochene Verkehrsverbot für den von der Antragstellerin vertriebenen Wasserpfeifentabak der Sorte „...“ ist bei der im Verfahren vorläufigen Rechtschutzes gebotenen summarischen Prüfung von Sach- und Rechtslage rechtmäßig, sodass die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage (Az.: Au 9 K 22.1170) aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben wird. Maßgebliche Beurteilungsgrundlagen für die Rechtmäßigkeit des von der Antragsgegnerin ausgesprochenen Verkehrsverbots als Dauerverwaltungsakt (vgl. BayVGH, B.v. 25.4.2022 - 20 CS 22.530 - juris Rn. 26; OVG NW, U.v. 22.1.2008 - 13 A 3308/03 - juris Rn. 54) sind die Bestimmungen des TabakerzG vom 4. April 2016 (BGBl. I 2016, 569) und der TabakerzV vom 27. April 2016 (BGBl. I 2016, 980) in Kraft getreten jeweils am 20. Mai 2016, welche die ab dem 19. Mai 2014 geltende RL 2014/40/EU (EU-Tabak-Richtlinie) in nationales Recht umsetzen.
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(1) Bei dem streitgegenständlich beanstandeten Produkt „...“ handelt es sich um ein Tabakerzeugnis i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 TabakerzG. Nach dieser Bestimmung gelten für die Anwendung dieses Gesetzes und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen die Begriffsbestimmungen des Art. 2 der RL 2014/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen (RL 2014/40/EU).
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Das hier in Streit stehende Produkt unterfällt der Begriffsbestimmung des Art. 2 Nr. 13 RL 2014/40/EU, wonach „Wasserpfeifentabak“ ein Tabakerzeugnis ist, das mit Hilfe einer Wasserpfeife verwendet werden kann. Für die Zwecke dieser Richtlinie gilt Wasserpfeifentabak dabei als Rauchtabakerzeugnis.
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(2) Mit der RL 2014/40/EU wurde der Bereich der Inhalts- und Zusatzstoffe in Tabakerzeugnissen unionsweit harmonisiert. Nach Art. 7 Abs. 6 Buchst. d) der RL 2014/40/EU verbieten die Mitgliedsstaaten das Inverkehrbringen von Rauchtabakerzeugnissen, die Zusatzstoffe enthalten, die das Inhalieren oder die Nikotinaufnahme erleichtern. Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 TabakerzG wird hierzu das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates, soweit dies zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Gesundheitsschäden oder zur Durchführung von Rechtsakten der Europäischen Union erforderlich ist, das Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen mit bestimmten Inhaltsstoffen oder mit bestimmten Mengen von Inhaltsstoffen zu verbieten oder zu beschränken und diese Inhaltsstoffe festzulegen oder die Mengen festzusetzen. Dieser Ermächtigung folgend bestimmt § 4 TabakerzV, dass Tabakerzeugnisse nicht in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn sie einen der in Anlage 1 aufgeführten Zusatzstoff enthalten.
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(3) Nach Nr. 4 Buchst. d) der Anlage 1 zu § 4 TabakerzV - Verbotene Zusatzstoffe in Tabakerzeugnissen - sind u.a. die Stoffe Menthol (CAS-Nr. 1490-04-6), (-) - Menthol (CAS-Nr. 2216-51-5) und 1,8 Cineol (Eukalyptol) (CAS-Nr. 470-82-6) Zusatzstoffe in Rauchtabakerzeugnissen, die das Inhalieren oder die Nikotinaufnahme erleichtern. Nach Nr. 4 Buchst. e) sind solche Zusatzstoffe auch aus Pflanzen gewonnene Stoffe wie Öle und Bestandteile, die aus Pflanzen der Gattungen Mentha, Eucalyptos, Ocimum, Thymus und Salvia stammen.
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(a) Das in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids ausgesprochene Verkehrsverbot für das Produkt Wasserpfeifentabak der Sorte „...“ kann auf § 4 TabakerzV i.V.m. Anlage 1 zu § 4 TabakerzV Nr. 4 Buchst. e) gestützt werden und ist daher rechtmäßig.
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Nach dieser Regelung sind Zusatzstoffe bei Rauchmittelerzeugnissen, die das Inhalieren oder die Nikotinaufnahme erleichtern, auch aus Pflanzen gewonnene Stoffe wie Öle und Bestandteile, die aus Pflanzen der Gattungen Mentha, Eucalyptos, Ocimum, Thymus und Salvia stammen. Ausweislich der Bestätigung der Firma ... GmbH vom 29. April 2022 wird den im beanstandeten Produkt verwendeten Aromen P0600917 und P0124945 aktiv Eukalyptusöl bzw. Minzöl zugesetzt, welches wiederum Cineol bzw. Menthol und Menthon enthält. Damit erfolgt aber eine für den Begriff der „Zusatzstoffe“ genügende aktive Zugabe von Ölen, die aus Pflanzen der Gattungen Mentha und Eucalyptos stammen und die geeignet sind, ein Verkehrsverbot auf der Grundlage des § 4 TabakerzV i.V.m. der Anlage 1 zu § 4 TabakerzV zu begründen. Bei Eukalyptusöl handelt es sich um ein stark riechendes ätherisches Öl, welches mittels Wasserdampfdestillation aus Blättern und Zweigen der Eukalypten (Eukalyptus) gewonnen wird. Bei Minzöl handelt es sich um ein aus dem Kraut bestimmter Ackerminzen gewonnenes ätherisches Öl. Minzöl enthält dabei ca. 30% bis 50% Menthol, ca. 17% bis 35% Menthon, ca. 5% bis 13% Isomenthon, ca. 1,5% bis 7% Menthylacetat und ca. 2,5% bis 5% Menthofuran sowie weitere Terpene (Europäisches Arzneibuch, 7. Ausgabe, Grundwerk 2011, Deutscher Apothekerverlag, Seite 1803).
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Auch die Amtliche Begründung zu § 4 TabakerzV und der Anlage 1 zu § 4 TabakerzV legt die Annahme eines Verkehrsverbots nahe. Zu Nr. 4 zu Anlage 1 ist insoweit ausgeführt, dass nach Buchst. a) bis e) bestimmte TRPM8 Agonisten verboten sind. Die wissenschaftliche Bewertung durch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat ergeben, dass die Aktivierung des TRPM8 der zentrale physiologische Wirkmechanismus ist, der durch die Maskierung atemwegsreizender Rauchbestandteile die Inhalation erleichtert. Es werden bekannte TRPM8 Agonisten aufgezählt und bestimmten Stoffgruppen zugeordnet. Besonders hervorzuheben ist dabei Menthol, das ein monozyklisches Terpen ist und als Bestandteil ätherischer Öle in verschiedenen Arten der Pflanzengattung Mentha vorkommt. Die pharmakologischen Wirkungen sind nach wissenschaftlicher Bewertung des BfR gut untersucht und umfassen eine Aktivierung für thermosensitive Rezeptoren, wodurch eine kühlende Wirkung im Bereich der Zunge und Mundhöhle entsteht. Hinzu kommt eine lokalanästhetische Wirkung. Die Effekte können Reizungen und Irritationen in der Mundhöhle und dem Rachenraum mildern und dadurch die mit der Inhalation des Tabakrauches an sich verbundenen natürlichen Abwehrmechanismen unterdrücken.
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Da ausweislich der Stellungnahme der Firma ... GmbH vom 29. April 2022 den im Endprodukt enthaltenen Aromen (P0600917 und P0124945) Minzöl und Eukalyptusöl i.S.d. Zusatzstoffdefinition des Art. 2 Nr. 23 RL 2014/40/EU aktiv zugesetzt werden, verstößt der hier streitgegenständliche Wasserpfeifentabak der Marke „...“ gegen das Zusatzstoffverbot in § 4 TabakerzV i.V.m. der Anlage 1 zu § 4 TabakerzV (Negativliste). Diese verwendeten ätherischen Öle sind ungeachtet ihrer Inhaltsstoffe selbst Bestandteil der Negativliste in Anlage 1 zu § 4 TabakerzV und damit geeignet, ein Verkehrsverbot nach § 4 TabakerzV zu begründen (so auch Horst/Oelrichs, ZLR 2021, 574 ff. (580)).
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Da § 4 TabakerzV ein absolutes Verbot des Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen normiert, wenn sie einen der in Anlage 1 zu § 4 TabakerzV aufgeführten Zusatzstoff enthalten, ist vorliegend nicht entscheidungserheblich, ob von dem beanstandeten Produkt tatsächlich eine Gesundheitsgefahr für die Verbraucher ausgeht. Die Regelung bezweckt vielmehr, Erleichterungen beim Inhalieren der gesundheitsschädlichen Tabakinhaltsstoffe zu verhindern und so den mit der Inhalation des Tabakrauches an sich verbundenen natürlichen physischen Abwehrmechanismus zur Geltung zu bringen, um Gesundheitsgefahren, die mit der Inhalation von Tabakrauch verbunden sind, effektiv zu begegnen.
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(b) Da das in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids ausgesprochene Verkehrsverbot für das Produkt Wasserpfeifentabak der Sorte „...“ auf § 4 TabakerzV i.V.m. Anlage 1 zu § 4 TabakerzV Nr. 4 Buchst. e) gestützt werden kann, kommt es nicht mehr darauf an, dass die im analytischen Untersuchungsbefund des ... Sigmaringen festgestellten Einzelparameter 1,8 Cineol, Eukalyptol, Isopulegol, (-) -Menthon und Menthol ausweislich der Erklärung des Aromalieferanten Frey + L. GmbH rezepturmäßig nicht als Einzelstoff beigefügt werden. Der Zusatzstoffbegriff aus TabakerzG und TabakerzV wird hier bereits durch die bewusste Zugabe ätherischer Öle auf der Basis von Mentha und Eukalyptos erfüllt.
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Relevant für die Reichweite des Zusatzstoffverbotes ist die vom Gesetzgeber in § 4 TabakerzV gewählte Formulierung „wenn sie einen der in Anlage 1 aufgeführten Zusatzstoffe enthalten“. Entgegen dem Wortlaut, der nahelegen könnte, dass für das Verkehrsverbot ausschließlich auf den Inhalt der Zusatzstoffe im Endprodukt abzustellen ist, ist vielmehr maßgeblich, auf welche Weise der Zusatzstoff in das Tabakerzeugnis gelangt ist (vgl. hierzu Horst/Oelrichs, ZLR 2021, 575 ff.). Art. 2 Nr. 23 RL 2014/40/EU bestimmt insoweit, dass „Zusatzstoff“ ein Stoff mit Ausnahme von Tabak ist, der einem Tabakerzeugnis einer Packung oder einer Außenverpackung zugesetzt wird. Damit werden mit Ausnahme von Tabak - rezepturmäßig - bei der Herstellung von Tabakerzeugnissen eingesetzten Stoffe erfasst (Horst in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand Juli 2021, § 5 TabakerzG, Rn. 6). Gemeint ist damit das absichtliche, zielgerichtete Zusetzen eines Stoffes im Rahmen der Rezeptur im Rahmen des Tabakerzeugnisses und nicht etwa ein Gehalt eines Stoffes im Tabakerzeugnis, der natürlicher Bestandteil eines rechtmäßig verwendeten Zusatzstoffes ist oder lediglich aus einer Verunreinigung herrührt (Horst in Zipfel/Rathke, a.a.O., Stand November 2021, § 4 TabakerzV, Rn. 8). Das Verkehrsverbot des § 4 TabakerzV verlangt eine bewusste Verwendung bestimmter Inhaltsstoffe. Verboten sind diese Stoffe deshalb, weil sie das Rauchen attraktiver machen können. Dies ist beispielsweise der Fall, weil sie Erleichterungen beim Inhalieren mit sich bringen, das Raucherlebnis verschönern, negative Folgen des Rauchens verharmlosen oder negieren oder sogar den Eindruck erwecken können, einen gesundheitlichen Nutzen oder sonstigen ernährungsphysiologischen Vorteil zu haben (Horst/Oelrichs, ZLR 2021, 575 ff. (579)).
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bb) Auch die in Nr. 2 des inhaltlich geänderten Bescheids vom 10. Mai 2022 ausgesprochene Rücknahme der sich im Verkehr befindlichen Produkte begegnet bei summarischer Prüfung von Sach- und Rechtslage keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, so dass die hiergegen erhobene Klage auch insoweit voraussichtlich erfolglos bleibt. Die ausgesprochene Rücknahme findet ihre Rechtsgrundlage in § 29 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 TabakerzG. Nach § 29 Abs. 2 Satz 1 TabakerzG treffen die Marktüberwachungsbehörden die erforderlichen Maßnahmen, wenn sie den begründeten Verdacht haben, dass ein Erzeugnis nicht die Anforderungen dieses Gesetzes, der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen und der unmittelbar geltenden Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union im Anwendungsbereich dieses Gesetzes erfüllt. Nach § 29 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 TabakerzG sind die Marktüberwachungsbehörden insbesondere befugt, die Rücknahme oder den Rückruf eines in den Verkehr gebrachten Erzeugnisses anzuordnen. Art. 2 Nr. 5 in der Verordnung (EG) 765/208 definiert Rücknahme als „jede Maßnahme, mit der verhindert werden soll, dass ein in der Lieferkette befindliches Produkt auf dem Markt bereitgestellt wird“. Unter Bereitstellung auf dem Markt versteht Art. 2 Nr. 1 der Verordnung (EG) 765/2008 „jede entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe eines Produktes zum Vertrieb, Verbrauch oder zur Verwendung auf dem Gemeinschaftsmarkt im Rahmen einer Geschäftstätigkeit“. Die Rücknahme betrifft den Fall, dass sich ein Erzeugnis zwar in der Lieferkette (beginnend mit dem Hersteller bzw. Importeur) befindet, jedoch noch nicht an die Verbraucherinnen/Verbraucher gelangt ist. Insoweit kann die Rücknahme auch „still“ erfolgen, sie ist im Gegensatz zum Rückruf nicht zu veröffentlichen (Horst in Zipfel/Rathke, a.a.O., Stand: November 2021, § 29 TabakerzG Rn. 34 ff.). Die vorliegend von der Antragstellerin geforderte Rücknahme ist daher i.S.d. Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes milderes Mittel gegenüber dem zunächst angeordneten Rückruf von Erzeugnissen. Beim Rückruf handelt es sich im Hinblick auf die Definition „Bereitstellung auf dem Markt“ in Art. 2 Nr. 1 Verordnung (EG) 765/2008 um den Fall, dass ein Erzeugnis bereits im Besitz der Verbraucherinnen/Verbraucher ist, bzw. dass dies nicht ausgeschlossen werden kann. Der Rückruf hat dabei in der Regel anders als bei der bloßen Rücknahme öffentlich zu erfolgen (Horst in Zipfel/Rathke a.a.O., § 29 TabakerzG Rn. 38). Ausgehend von diesen Grundsätzen begegnet die von der Antragsgegnerin zuletzt lediglich geforderte Rücknahme des streitgegenständlichen Produkts keinen rechtlichen Bedenken, die geeignet wären, die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der gleichzeitig erhobenen Anfechtungsklage zu begründen.
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c) Ausweislich der Antragsschrift vom 24. Mai 2022 richtet sich der Antrag vorläufigen Rechtsschutzes ausdrücklich nicht gegen die Zwangsmittelandrohungen in Nrn. 4 und 5 des streitgegenständlichen Bescheids der Antragsgegnerin vom 10. Mai 2022. Ungeachtet dessen erweisen sich aber auch die gegenüber der Antragstellerin ausgesprochenen Zwangsgeldandrohungen bei summarischer Prüfung als voraussichtlich rechtmäßig, da mit den Nrn. 1 und 2 des Bescheids vom 10. Mai 2022 vollziehbare Grundverwaltungsakte i.S.d. Art. 19 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG vorliegen. Auch die Vorgaben zur Höhe der Zwangsgelder in Art. 31 Abs. 2 VwZVG sind bei summarischer Betrachtung erfüllt, da die Antragsgegnerin, das bei der Antragstellerin mit der Erfüllung der ihr auferlegten Pflichten verbundene wirtschaftliche Interesse in den Blick genommen hat. Lediglich der für die Einleitung der Rücknahme festgesetzte Zeitpunkt ist infolge Zeitablaufs neu zu bestimmen.
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3. Nach alldem erscheint nach summarischer Prüfung ein Erfolg der Klage der Antragstellerin gegen die streitgegenständliche Anordnung der Antragsgegnerin als nicht hinreichend wahrscheinlich. Anderes ergibt sich auch nicht aus einer Interessenabwägung im Übrigen.
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Angesichts des hohen Gewichts des öffentlichen Interesses an dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz - GG) muss das private Interesse der Antragstellerin, das beanstandete Produkt weiterhin vertreiben zu dürfen, zurückstehen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Antragstellerin nicht substantiiert geltend gemacht hat, dass durch das angeordnete Verkehrsverbot und die Rücknahmeforderung ihre wirtschaftliche Existenz ernstlich gefährdet sein könnte. Im Hinblick auf das hohe Gewicht des Verbraucherschutzes, wie er den Bestimmungen des TabakerzG und der TabakerzV zugrunde liegt, bestehen vorliegend überwiegende Gründe des Interesses der Antragsgegnerin und der Allgemeinheit, die die rein wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin deutlich überwiegen.
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4. Nach allem war der Antrag daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Als im Verfahren unterlegen hat die Antragstellerin die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Nr. 1.5 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (Sonderbeilage BayVBl. Januar 2014). Die Kammer hat sich dabei an dem von der Antragstellerin mitgeteilten Streitwert des wirtschaftlichen Interesses (geschätzter im Umlauf befindlicher Warenwert) für das Hauptsacheverfahren in Höhe von 400.000,00 EUR orientiert. Dieser Wert war im Verfahren vorläufigen Rechtschutzes zu halbieren.