Inhalt

VGH München, Beschluss v. 04.03.2022 – 20 CE 22.523
Titel:

Erfolgreicher Antrag auf vorläufige Feststellung der Gültigkeit des Genesenennachweises nach einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2

Normenketten:
VwGO § 43 Abs. 1, § 123, § 146
SchAusnahmV § 2 Nr. 4, Nr. 5
15. BayIfSMV § 3, § 4
GG Art. 20 Abs. 3
Leitsätze:
1. Unter einem Rechtsverhältnis iSv § 43 Abs. 1 VwGO sind die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm ergebenden rechtlichen Beziehungen für das Verhältnis von (natürlichen oder juristischen) Personen untereinander oder zu einer Sache zu verstehen. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Umstand, dass auch eine Feststellungsklage und einstweiliger Rechtsschutz gegen die Bundesrepublik Deutschland als für den Erlass der SchAusnahmV zuständige Stelle erhoben werden könnte, schließt das Bestehen eines feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses nicht aus. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Genesenenstatus, Feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zwischen Normadressat und Normanwender, feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zwischen Normadressat und Normanwender, Coronavirus SARS-CoV-2
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 22.02.2022 – M 26a E 22.663
Fundstelle:
BeckRS 2022, 27391

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1
Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat im Wege der einstweiligen Anordnung gegenüber dem Antragsgegner zu Recht festgestellt, dass der Antragsteller bis zum 16. Mai 2022 als genesene Person im Sinn des § 2 Nr. 4 SchAusnahmV gilt. Das Beschwerdevorbringen, an das der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO grundsätzlich gebunden ist, rechtfertigt keine andere Entscheidung. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als offensichtlich unzutreffend.
2
Mit der Beschwerde wird ausschließlich geltend gemacht, zwischen dem Antragsteller und dem Antragsgegner bestehe kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis nach § 43 Abs. 1 VwGO. Wie das Verwaltungsgericht in dem angegriffenen Beschluss zutreffend ausführt, besteht jedoch (auch) zwischen dem Antragsteller und dem Antragsgegner, für den die zuständige Infektionsschutzbehörde am Wohnsitz des Antragstellers handelt (Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) BayVwVfG i.V.m. § 65 Satz 1 Zuständigkeitsverordnung (ZustV), ein derartiges Rechtsverhältnis (vgl. BVerwG, U.v. 18.4.1985 - 3 C 34.84 - NJW 1985, 2774).
3
Unter einem Rechtsverhältnis im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO sind die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm ergebenden rechtlichen Beziehungen für das Verhältnis von (natürlichen oder juristischen) Personen untereinander oder zu einer Sache zu verstehen (BVerwG, U.v. 23.1.1992 - 3 C 50.89 - BVerwGE 89, 327 <329>; U.v. 26.1.1996 - 8 C 19.94 - BVerwGE 100, 262 <264>). Als Bezugspersonen kommen dabei in Betracht der Normgeber, der Normadressat und (als Vollzugsbehörde) der Normanwender. Da zum einen nach Art. 30 GG die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben grundsätzlich Sache der Länder ist, und zum anderen Art. 83 GG ebenso grundsätzlich bestimmt, dass die Länder Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten ausführen, d.h. sie verwaltungsmäßig umsetzen (BVerfG, B.v. 15.3.1960 - 2 BvG 1/57 - BVerfGE 11, 6 <15>), eröffnet sich im Regelfall ein Rechtsverhältnis zwischen Normadressaten und Normanwender (BVerwG, U.v. 23.8.2007 - 7 C 2.07 - juris Rn. 21), hier somit zwischen dem Antragsteller und dem Antragsgegner.
4
Das Rechtsverhältnis zwischen dem Antragsteller und dem Antragsgegner ist auch hinreichend konkret, es bezieht sich auf einen bestimmten, überschaubaren Sachverhalt (vgl. Urteile v. 8.6.1962 - BVerwG 7 C 78.61 - BVerwGE 14, 235 <236>, vom 30.5.1985 - BVerwG 3 C 53.84 - BVerwGE 71, 318 <319> und v. 7.5.1987 - BVerwG 3 C 53.85 - BVerwGE 77, 207 <211>). Deren Rechtsbeziehungen haben sich ausreichend verdichtet. Die Behörde des Antragsgegners (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) ist nach § 65 Satz 1 ZustV als Kreisverwaltungsbehörde (Art. 37 Abs. 1 Satz 2 LKrO) für den Vollzug des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) und des Bayerischen Infektionsschutzgesetzes (BayIfSG) zuständig. Sie überwacht damit im Rahmen ihrer örtlichen Zuständigkeit die Einhaltung der Ge- und Verbote der Verordnungen nach § 32 Satz 1 IfSG, insbesondere der §§ 4 und 5 15. BayIfSMV, deren Rechtswirkungen unmittelbar an den Immunitätsstatus i.S.d. § 2 Nr. 2 und 4 SchAusnahmV anknüpfen und von diesem abhängen. Zudem sind mit dem Genesenenstatus auch unmittelbar durch Bundesrecht begründete Rechte und Pflichten verbunden (vgl. §§ 20a Abs. 2 Nr. 2, 28b, 28c, jeweils i.V.m. §§ 3 bis 6 SchAusnahmV). Somit werden nicht lediglich abstrakte Rechtsfragen in Bezug auf möglicherweise eintretende Beeinträchtigungen im Wege der Feststellungsklage zur gerichtlichen Klärung gestellt.
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Der Umstand, dass auch eine Feststellungsklage und einstweiliger Rechtsschutz gegen die Bundesrepublik Deutschland als für den Erlass der SchAusnahmV zuständige Stelle erhoben werden könnte (vgl. VG Berlin, B.v. 18.2.2022 - 14 L 15/22 - juris; a.A. OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse v. 1.3.2022 - OVG 9 S 5/22 - https://www.berlin.de/gerichte/oberverwaltungsgericht/presse/pressemitteilungen/2022/pressemitteilung.1181503.php) schließt das Bestehen eines feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses zwischen dem Antragsteller und dem Antragsgegner nicht aus. Die Möglichkeit eines gegen den Normgeber der SchAusnahmV gerichteten verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, mit dem Ziel der Feststellung, dass die Änderung des § 2 Nr. 5 SchAusnahmV durch Art. 1 Nr. 1 der Verordnung zur Änderung der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung und der Coronavirus-Einreiseverordnung vom 14. Januar 2022 (BAnz AT 14.01.2022 V1) den Antragsteller in seinen Rechten verletzt (vgl. hierzu BVerwG, U. v. 12.9.2019 - 3 C 3.18 - juris Rn 14; in Abgrenzung zur Normergänzung vgl. BayVGH, B. v. 7.2.2022 - 20 CE 22.226 - BeckRS 2022, 2388) besteht neben der Möglichkeit, einstweiligen Rechtsschutz gegenüber dem Normanwender zu erlangen. Zwar mag ein Antrag gegen die Bundesrepublik Deutschland dem Rechtsschutzbegehren des Antragstellers, als Genesener im Sinne der Rechtsordnung zu gelten, im Hinblick auf den Geltungsbereich der Feststellungswirkungen noch mehr entsprechen. Dies führt aber nicht dazu, dass zwischen dem Antragsteller und der für den Vollzug zuständigen Infektionsschutzbehörde kein Rechtsverhältnis besteht (BVerwG, U.v. 12.9.2019 - 3 C 3.18 - juris Rn. 32).
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Aus der Entscheidung des Senats vom 22. Februar 2022 (Az.: 20 CE 22.459 - BeckRS 2022, 2392) ergibt sich nichts Anderes. Im dortigen Verfahren war der Feststellungsantrag ausdrücklich gegen den Normgeber des 15. BayIfSMV gerichtet auf Feststellung der Unanwendbarkeit einer Rechtsnorm wegen eines Verstoßes gegen höherrangiges Recht. Das Fehlen eines feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses zum Normgeber einer (Landes-)Verordnung auf der Grundlage von § 32 IfSG hat keinen Einfluss auf ein Rechtsverhältnis zwischen Normadressaten und Normanwender.
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Auch im Übrigen erweist sich der angegriffene Beschluss nicht als offensichtlich unzutreffend (vgl. BayVGH, B.v. 3.3.2022 - 20 CE 22.536 - noch nicht veröffentlicht).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung von Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013, wobei im Hinblick auf die tatsächliche Vorwegnahme der Hauptsache eine Reduzierung des Auffangstreitwerts nicht angebracht erscheint.
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Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 2 Satz 7 i.V.m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).