Titel:
Erfolglose Nachbarklage gegen Baugenehmigung zum Umbau einer Gaststätte in Beherbergungsbetrieb
Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4
BauGB § 34 Abs. 1
Leitsatz:
Die Unbestimmtheit einer Baugenehmigung kann einer Nachbarklage nur dann zum Erfolg verhelfen, wenn sie hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Fragen unbestimmt ist und daher im Falle einer Umsetzung des Bauvorhabens eine Verletzung von Nachbarrechten nicht auszuschließen ist (BayVGH BeckRS 2019, 17730). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Nutzungsänderung Gasthaus in Wohnungen, Boardinghouse und Fremdenzimmer, Gebietserhaltungsanspruch, Rücksichtnahmegebot, Park- und Parksuchverkehr, Berufungszulassungsverfahren, ernstliche Richtigkeitszweifel, Bauplanungsrecht, Gemengelage, Nutzungsänderung, Nutzungsaufgabe
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 07.04.2022 – RO 2 K 18.1692
Fundstelle:
BeckRS 2022, 27381
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese jeweils selbst tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.
Gründe
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Die Kläger wenden sich gegen die Erteilung einer Baugenehmigung zum Umbau einer ehemaligen Gaststätte durch das Landratsamt R. an die Beigeladenen zu 1 und 2.
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Mit Unterlagen vom 7. November 2017 beantragten die Beigeladenen zu 1 und 2 die Erteilung einer Baugenehmigung für den Umbau einer ehemaligen Gaststätte in Wohnungen, Boardinghouse und Fremdenzimmer auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung N. Der Beigeladene zu 3 verweigerte hierzu sein gemeindliches Einvernehmen, weil im Umfeld der beabsichtigten Maßnahme sehr beengte Verhältnisse bestünden, die verkehrsrechtlich als enorme Beeinträchtigung zu werten seien. Mit Bescheid vom 11. September 2018 erteilte das Landratsamt Regensburg die beantragte Baugenehmigung. In der Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass durch die Änderung oder Nutzungsänderung kein zusätzlicher Stellplatzbedarf ausgelöst werde, da rechnerisch weniger Stellplätze benötigt würden als für die ursprünglich bestandsgeschützte Nutzung.
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Hiergegen erhoben die Kläger (Az. RO 2 K 18.1692) sowie die Beigeladene zu 3 (Az. RO 2 K 18.1641) gesondert Klagen, die mit Urteilen vom 7. April 2022 jeweils abgewiesen wurden. Zur Begründung im Verfahren der Kläger wurde vom Verwaltungsgericht u.a. ausgeführt, dass zwar Unklarheiten bestünden, ob insgesamt eine Nutzung als Beherbergungsgewerbe oder auch eine Wohnnutzung vorliege, die Kläger aber nicht in nachbarschützenden Rechten verletzt seien. In der Umgebung läge eine Gemengelage vor, so dass den Klägern kein Gebietserhaltungsanspruch zustehe. Auch verstoße das Vorhaben nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme; insbesondere komme es nicht zu unzumutbaren Beeinträchtigungen der Kläger im Hinblick auf einen Parksuchverkehr. Hiergegen richtet sich der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung. Eine Entscheidung über den Antrag auf Zulassung der Berufung der Beigeladenen zu 3 (Az. 15 ZB 22.1489) betreffend das Klageverfahren Az. RO 2 K 18.1641 steht noch aus.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
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Der zulässige Antrag bleibt ohne Erfolg. Aus dem Zulassungsvorbringen ergeben sich weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch die von den Klägern geltend gemachten besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
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1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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Ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Kläger als Rechtsmittelführer innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) haben darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel hier nicht.
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a) Das Verwaltungsgericht hat zutreffend (vgl. BayVGH, B.v. 30.7.2019 - 15 CS 19.1227 - juris Rn. 16; B.v. 6.2.2017 - 15 ZB 16.398 - juris Rn. 22) darauf abgestellt, dass die Unbestimmtheit einer Baugenehmigung einer Nachbarklage nur dann zum Erfolg verhelfen kann, wenn sie hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Fragen unbestimmt ist und daher im Falle einer Umsetzung des Bauvorhabens eine Verletzung von Nachbarrechten nicht auszuschließen ist (UA S. 12). Dies ist beispielsweise der Fall, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen bzw. mangels konkretisierender Inhalts- oder Nebenbestimmungen der Gegenstand und / oder der Umfang der Baugenehmigung und damit des nachbarlichen Störpotentials bei der Umsetzung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 6.12.2021 - 15 ZB 21.2360 - juris Rn. 9). Hier hat das Verwaltungsgericht zwar Unklarheiten bezüglich des beantragten Boardinghouse im Hinblick darauf angenommen, ob insgesamt eine Nutzung als Beherbergungsgewerbe oder auch eine Wohnnutzung vorliege, bzw. zu welchen Anteilen (UA S. 13). Es hat aber Auswirkungen auf Nachbarrechte sowohl bei Annahme einer Gemengelage - wovon das Verwaltungsgericht ausgeht - als auch im Falle eines allgemeinen Wohngebiets i.S.d. § 4 BauNVO - wovon die Kläger ausgehen - verneint (UA S. 14 ff.), weshalb die Kläger von der angenommenen Unbestimmtheit nicht in nachbarrechtsrelevanter Weise betroffen sind.
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b) Ernstliche Zweifel ergeben sich auch nicht aus der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Gebietseinstufung.
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Das Verwaltungsgericht ist unter Berücksichtigung der beim Augenschein getroffenen Feststellungen und der gewonnenen Erkenntnisse zu dem Ergebnis gekommen, dass das maßgebliche Gebiet (UA S. 15) als Gemengelage einzustufen ist und sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 34 Abs. 1 BauGB richte (UA S. 16 f.). Hiermit setzt sich das Zulassungsvorbringen, das lediglich die gegenteilige Auffassung der Kläger im Hinblick auf die Bewertung eines Pizza-Service sowie der landwirtschaftlichen Hofstellen wiedergibt, nicht substantiiert auseinander; die schlichte Darlegung der eigenen Rechtsauffassung genügt gerade nicht dem Darlegungsgebot des § 124 Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO (vgl. BayVGH, B.v. 19.8.2022 - 15 ZB 22.1400 - juris Rn. 16). Entgegen dem Zulassungsvorbringen hat das Verwaltungsgericht zu den Hofstellen im Übrigen ausgeführt, dass selbst wenn man davon ausginge, dass beide Hofstellen nicht mehr aktiv landwirtschaftlich betrieben würden, sie dennoch ein landwirtschaftliches Gepräge vermittelten und auch eine aufgegebene Nutzung hier noch nachwirke (UA S. 15). Dem tritt das Zulassungsvorbringen nicht substantiiert entgegen. Auf die von den Klägern insoweit beanstandete fehlende Aufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) zu der Ausführung des Verwaltungsgerichts, eine Felderbewirtschaftung erscheine nicht ausgeschlossen, kommt es damit nicht an. Das Verwaltungsgericht hat zudem erkannt, dass die Nutzung des ehemaligen Gasthauses 2011 aufgegeben wurde. Entgegen dem Vorbringen der Kläger hat es auch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls (vgl. BVerwG, B.v. 2.10.2007 - 4 B 39.07 - juris Rn. 2) und unter Würdigung der örtlichen Gegebenheiten auf Basis der beim verwaltungsgerichtlichen Augenschein gewonnenen Erkenntnisse eine Prägung des Gebiets durch das ehemalige Gasthaus (noch) bejaht (UA S. 16). Soweit die Kläger mit ihrem Zulassungsvorbringen insoweit die Tatsachen- und Beweiswürdigung des Erstgerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) angreifen, könnte die Beweiswürdigung wegen der eingeschränkten Überprüfbarkeit der richterlichen Überzeugungsbildung ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur dann begründen, wenn die tatsächlichen Feststellungen des Gerichts augenscheinlich nicht zutreffen oder etwa gedankliche Lücken oder Ungereimtheiten aufweisen. Entsprechendes lässt sich dem Zulassungsvorbringen nicht entnehmen. Allein die Möglichkeit einer anderen Bewertung der Beweisaufnahme rechtfertigt die Zulassung der Berufung noch nicht (vgl. BayVGH, B.v. 3.3.2016 - 15 ZB 14.1542 - juris Rn. 9).
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Ferner hat das Verwaltungsgericht - im Stile einer Alternativbegründung (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 124a Rn. 61) - ergänzend angemerkt, dass auch im Falle eines faktischen allgemeinen Wohngebiets i.S.d. § 4 BauNVO das Berufen auf einen Gebietserhaltungsanspruch nicht zielführend gewesen wäre, weil eine über die Wohnnutzung hinausgehende Nutzung hier wegen der ausnahmsweisen Zulässigkeit von Beherbergungsbetrieben nach § 4 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO keine den Gebietserhaltungsanspruch auslösende gebietsfremde Nutzung sei (UA S. 17). Der bloße Einwand der Kläger hiergegen, die Annahme der Zulässigkeit eines Boardinghouse im allgemeinen Wohngebiet würde die Ausnahme zum Grundsatz erklären, genügt nicht den Darlegungsanforderungen (§ 124 Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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c) Das Bauvorhaben ist im Hinblick auf die Verkehrs- und Stellplatzsituation gegenüber den Klägern auch nicht rücksichtlos.
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Soweit die Kläger geltend machen, das Vorhaben verursache offensichtlich einen unzumutbaren Park- und Parksuchverkehr zu Lasten der Kläger, bleibt der Antrag ebenfalls erfolglos, da die Frage der Stellplätze regelmäßig nicht drittschützend ist (vgl. BayVGH, B.v. 26.4.2012 - 2 ZB 10.3147 - juris Rn. 15). Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme kann zwar in Betracht kommen, wenn sich die Erschließungssituation eines Grundstücks durch eine vorhabenbedingte Überlastung einer das Grundstück des Betroffenen erschließenden Straße oder durch unkontrollierten Parksuchverkehr erheblich verschlechtert (vgl. BayVGH, B.v. 12.7.2022 - 15 CS 22.1437 - juris Rn. 19). Insoweit ist aber weder dargelegt noch ersichtlich, dass die Zugänglichkeit zum Anwesen der Kläger „dem Grunde nach“ und auf Dauer in Frage gestellt wäre (vgl. BayVGH, U.v. 6.12.2000 - 26 N 00.1059 - juris Rn. 34 ff.). Die bloße Behauptung eines unzumutbaren Park- und Parksuchverkehrs genügt angesichts der Ausführungen des Verwaltungsgerichts unter Würdigung der örtlichen Gegebenheiten nicht den Darlegungsanforderungen (§ 124 Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
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Dem Zulassungsvorbringen lässt sich bereits nichts über das zu § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO Dargelegte hinaus entnehmen, was sich nicht nach den obigen Ausführungen ohne weiteres und mit zweifelsfreiem Ergebnis im Zulassungsverfahren klären ließe. Eine lediglich unterschiedliche Bewertung des vorliegenden Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht und die Kläger genügt nicht für die Darlegung besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten (vgl. BayVGH, B.v. 6.5.2022 - 15 ZB 22.732 - juris Rn. 18). Die Rechtssache weist auch keine entscheidungserheblichen Fragen auf, die in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich das durchschnittliche Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten bereiten, sich also wegen der Komplexität und abstrakten Fehleranfälligkeit aus der Mehrzahl der verwaltungsgerichtlichen Verfahren herausheben (vgl. BayVGH, B.v. 24.2.2020 - 15 ZB 19.1505 - juris Rn. 18).
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Da die Beigeladenen im Zulassungsverfahren keinen die Sache förderlichen Beitrag geleistet haben, entspricht es der Billigkeit, dass diese ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst tragen (§ 162 Abs. 3 VwGO).
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Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Entscheidung wird das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).