Inhalt

VGH München, Beschluss v. 28.06.2022 – 10 ZB 22.30645
Titel:

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag in asylrechtlicher Streitigkeit

Normenkette:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1
Leitsatz:
Die mit einer Grundsatzrüge aufgeworfenen Fragen sind nicht klärungsfähig, wenn sie für das Verwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich waren. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asyl, Berufungszulassung, Grundsatzrüge, klärungsfähig, entscheidungserheblich
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 13.04.2022 – RN 14 K 21.30578
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 22.09.2022 – 10 ZB 22.30743
Fundstelle:
BeckRS 2022, 27380

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

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1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG ist nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt und liegt auch nicht vor.
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a) Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG setzt voraus, dass der Rechtsmittelführer erstens eine konkrete und gleichzeitig verallgemeinerungsfähige Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, zweitens ausführt, aus welchen Gründen diese klärungsfähig ist, also für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich war, und drittens erläutert, aus welchen Gründen sie klärungsbedürftig ist, mithin aus welchen Gründen die ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 10.1.2018 - 10 ZB 17.30487 - juris Rn. 2; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: 41. EL, Juli 2021, § 124a Rn. 102 ff.). Die Grundsatzfrage muss zudem anhand des verwaltungsgerichtlichen Urteils rechtlich aufgearbeitet sein. Dies erfordert regelmäßig, dass der Rechtsmittelführer die Materie durchdringt und sich mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzt. Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer zudem Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. BayVGH, B.v. 10.1.2018 - 10 ZB 16.30735 - juris Rn. 2).
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b) Die Klägerseite hat folgende Fragen als grundlegend aufgeworfen:
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1. Sind Duldungsgründe im Rahmen der Rückkehrentscheidung nach dem AsylG zu berücksichtigen?
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2. Ist die Abschiebungsandrohung eine Rückkehrentscheidung im Sinne der Rückführungsrichtlinie?
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3. Ist das Kindeswohl im Rahmen der Rückkehrentscheidung - hier Abschiebungsdrohung - mit zu berücksichtigen?
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4. Sperren inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse wie etwa eine dauernde Reiseunfähigkeit, eine Beschäftigungsduldung, eine abgeschlossene Ausbildung oder familiäre Gründe oder sonstige vergleichbare Gründe den Erlass einer Abschiebungsanordnung in einem Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland?
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5. Ist die Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG eine Rückkehrentscheidung im Rahmen der Rückführungsrichtlinie RL 2008/115/EG?
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6. Ist das BAMF für die Prüfung des Kindeswohls im Rahmen der Abschiebungsandrohung zuständig?
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7. Hat das BAMF im Rahmen der Verfügung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots gem. § 11 AufenthG Kindeswohl und Duldungsgründe zu berücksichtigen und selbst zu prüfen?
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c) Die Klägerseite bemängelt eingangs der Zulassungsschrift, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass für die Töchter der Klägerin keine Gefahr der Genitalverstümmelung drohe, eine Rückkehr im Familienverband möglich sei und auch eine interne Fluchtalternative bestehe. Aufgrund der Beweisanregungen in dem klägerischen Schriftsatz vom 31. März 2022 hätte sich dem Verwaltungsgericht eine Beweiserhebung zur Existenzsicherung aufdrängen müssen. Hinsichtlich der unter 1. und 2. aufgeworfenen Fragen führt die Klägerseite aus, dass die asylrechtliche Abschiebungsandrohung eine Rückkehrentscheidung im Sinne der Rückführungsrichtlinie und dabei auch das Kindeswohl zu berücksichtigen sei. Im Lichte der jüngeren Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union spreche vieles dafür, dass das BAMF neben Abschiebungsverboten auch inländische Abschiebungshindernisse prüfen müsse. Die Klägerin sei zu dulden, weil sie in familiärer Lebensgemeinschaft mit ihren Eltern und ihrer Schwester lebe, das Asylverfahren ihres Vaters, der eine Aufenthaltsgestattung besitze, noch anhängig sei, und schließlich die Mutter schwanger sei (Entbindungstermin im November 2022). Dieser Vortrag entspricht dem Vortrag der Tochter der Klägerin in dem Zulassungsverfahren, über das der Senat mit Beschluss vom gleichen Tag entschieden hat (Az. 10 ZB 11.30644). Daher ist der klägerische Vortrag dahingehend zu verstehen, dass die Klägerin in familiärer Lebensgemeinschaft mit dem Lebensgefährten und ihren beiden Töchtern lebe, das Asylverfahren des Lebensgefährten, der eine Aufenthaltsgestattung besitze, noch anhängig sei, und schließlich sie selbst schwanger sei. Zu den unter 3. bis 7. aufgeworfenen Fragen erläutert die Klägerseite, dass die Klägerin durch die asylrechtliche Abschiebungsanordnung vollziehbar ausreisepflichtig werde. Ob es zulässig sei, inlandsbezogene Abschiebungshindernisse im nachgelagerten ausländerrechtlichen Rückführungsverfahren zu klären, sei unionsrechtlich nicht geklärt.
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d) Das Zulassungsvorbringen genügt den vorgenannten Anforderungen nicht.
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Abgesehen davon, dass die Klägerseite zu dem eingangs angeführten Vortrag keine Frage formuliert hat und er auch nicht zu den tatsächlich aufgeworfenen Fragen passt, wendet sich die Klägerseite damit erkennbar gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts. Dies vermag indes eine Grundsatzrüge nicht zu tragen. Mit den tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts setzt sich die Zulassungsschrift außerdem auch nicht auseinander. Soweit die Klägerseite der Sache nach eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes rügt, trägt dies weder eine Grundsatzrüge noch eine Verfahrensrüge. Abgesehen davon liegen die Voraussetzungen für eine derartige Verletzung nicht vor, da die Klägerseite nach eigenem Vortrag die Beweiserhebung nur schriftsätzlich angeregt, nicht jedoch in der mündlichen Verhandlung formell beantragt hat, und das Zulassungsvorbringen mit dem angegriffenen Urteil auch im Übrigen nicht aufzeigt, dass sich dem Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall eine Beweiserhebung aufdrängen musste.
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Die unter 1. bis 7. aufgeworfenen Fragen sind nicht klärungsfähig, weil sie für das Verwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich waren. Die vorgenannten Fragen kreisen darum, ob bei der asylrechtlichen Abschiebungsandrohung beziehungsweise dem asylrechtlichen Einreise- und Aufenthaltsverbot auf das Kindeswohl gestützte (Duldungs-)gründe zu prüfen sind. Das Verwaltungsgericht hat jedoch hinsichtlich der Abschiebungsandrohung das Vorliegen von Duldungsgründen mit ausführlicher Begründung - unter Berücksichtigung der von Klägerseite angeführten Gesichtspunkte - ausdrücklich verneint (vgl. UA S. 23: „Die Klägerin wird im Familienverband in ihr Heimatland zurückkehren“ u. „Der Hinweis auf Duldungsgründe im Hinblick auf ihre Schwangerschaft, die Klägerin befindet sich nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung in der 6. Schwangerschaftswoche, sind rein spekulativ im Hinblick auf eine mögliche Reiseunfähigkeit“). Auch im Rahmen der Prüfung des Einreise- und Aufenthaltsverbots hat das Verwaltungsgericht die Gesichtspunkte als bereits hinreichend berücksichtigt angesehen (vgl. UA S. 23: „wurde insbesondere die familiäre Situation der Klägerin sowie die Asylverfahren … berücksichtigt“). Auf die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen kommt es daher nicht entscheidungserheblich an. Bereits das Verwaltungsgericht hat insoweit auf die fehlende Entscheidungserheblichkeit abgestellt (vgl. UA S. 23: „Mangels … Entscheidungserheblichkeit“). Mit all dem setzt sich die Zulassungsschrift nicht substantiiert auseinander, sondern stellt lediglich die Behauptung auf, „die Klägerin sei also noch über einen längeren Zeitraum zu dulden“. Speziell die unter 2. und 5. aufgeworfenen Frage sind zudem deshalb nicht klärungsbedürftig, weil sie bereits in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt sind (vgl. BVerwG, U.v. 16.2.2022 - 1 C 6.21 - juris Rn. 51).
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.
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3. Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts nach § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG rechtskräftig.